Upload
others
View
3
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der zweiten Staatsprüfung für das Lehramt der Grund- und Mittelstufe
Rollenspiel im Physikunterricht
Ist ein Rollenspiel geeignet, die Anschaulichkeit physikalischer Vorgänge zu erhöhen? Ein Unterrichtsversuch in zwei 6. Klassen einer Haupt- und Realschule
vorgelegt von Verena Jendro
am 16. März 2006
Erstgutachter: Herr D. Adler Zweitgutachterin: Frau Y. Struck
Gliederung
1. Einleitung 1
2. Theoretische Grundlagen 2
2.1 Der Unterrichtsgegenstand 3 2.2 Schülervorstellungen zur Elektrizitätslehre 3
2.3 Die gewählte Unterrichtsmethode 6
2.4 Das Rollenspiel / Gespielte Analogie im Physikunterricht 7
3. Unterrichtsplanung 10
3.1 Lerngruppenspezifische Voraussetzungen 11 3.2 Methodische Schlussfolgerungen 13 3.3 Planung der Unterrichtseinheit 14 3.4 Ziele der Unterrichtseinheit 16
4. Darstellung des Unterrichtsverlaufs und Reflexion 17
4.1 Durchführung des Rollenspiels 17
4.2 Motivation 20
4.3 Anschaulichkeit 21
4.4 Lernziele 22
5. Fazit und Ausblick 25 6. Literaturverzeichnis 27
Anhang
1
Erzähle mir und ich werde vergessen. Zeige mir und ich werde mich erinnern.
Beteilige mich und ich werde verstehen. Laotse
1. Einleitung
Das Fach Physik erfreut sich mangelnder Beliebtheit, denn bei Schülerbefragungen
rangiert die besagte Naturwissenschaft ganz unten auf der Wertungsskala.1 Besonders
Mädchen finden – darin zunächst das klassische Klischee bestätigend – wenig Gefallen an
dem Fach. 2 Doch nicht nur seitens der Schüler scheint hier eine Abneigung vorzuliegen:
In ganz Deutschland mangelt es an Physiklehrern. Und Menschen, die aus Überzeugung
genau diesen Weg gewählt haben, begegnet man mit Unverständnis und entsprechendem
Kopfschütteln: „Physik? Ausgerechnet Physik – da habe ich nie etwas verstanden!“ sind
Klagen, die vermutlich ein jeder kennt, der sich als Physiklehrer oder gar - lehrerin zu
erkennen gibt. Diese Disziplin wird oft assoziiert mit langweiligen nichts sagenden
Theorien und unverständlichen mathematischen Gleichungen, komplizierten technischen
Abläufen, nicht funktionierenden Versuchen und überdies schlecht erklärenden
Lehrenden, eine eben durchgängige Erfahrung, die dann auch jene Reaktion gerade einer
zukünftigen Lehrkraft gegenüber erklären mag.
Schon seit Jahrzehnten wird diesem Phänomen auf den Grund zu gehen versucht. Studien
sollen helfen, verzeichnen jedoch zunächst aber ähnliche Ergebnisse. Die Erhebungen
IEA 1973, TIMS 1997 und PISA 2001/2 dokumentieren, dass der Physikunterricht
verbesserungsbedürftig ist und im Verlaufe der Jahre so gut wie keinen Fortschritt
aufweist. Aufzuzählende Mängel im Unterricht stellen hierbei vor allem ein zu großes
Ausmaß an additivem Auswendiglernen von Fakten dar, verbunden mit der Kehrseite des
unzureichenden Verstehens von Zusammenhängen. „Stark verbesserungsbedürftig sind
die Motivations lage und die Lernbedingungen für verstehendes Lernen; dazu muß u. a.
der Unterricht kumulativ aufgebaut werden“3, wobei als zusätzlicher Kritikpunkt aber das
Fehlen vermittelnder sinnlich-praktischer wie praxisrelevanter Inhalte sowie
Vorgehensweisen zu ergänzen wäre. Orientierungswissen4 bietet eine Lösung, welches
über Verfügungswissen5 hinausgeht. Mithin ist es Aufgabe wie Kunst lehrerseits, die
Schüler bei ihrem Vorwissen bzw. ihren Vorstellungen abzuholen und diese nachfolgend
1 Vgl. Heissmann, Nicole: Physik im Turbogang, in: Der Stern vom 12.05.2004, S. 45 f. 2 Vgl. Wodzinsky, Rita: Mädchen im Physikunterricht, in: Kircher, Ernst, und Schneider, Werner B. (Hrsg.): Physikdidaktik in der Praxis, Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 2002, S. 27 ff. 3 Zitiert nach http://physik.tu-berlin.de/-chris/ALU/kriterien.html. 4 Vgl. Muckenfuß, Heinz: Lernen im sinnstiftenden Kontext. Entwurf einer zeitgemäßen Didaktik des Physikunterrichts, Cornelsen Verlag, Berlin 1995, S.64 ff. 5 Vgl. ebenda, S. 66 ff. – Vgl. auch den Hamburger Rahmenplan für die Naturwissenschaften / Technik für die Haupt- und Realschule, S. 7 ff.
2
nachhaltig zu modifizieren. Dies gelingt gerade bei der recht abstrakten Elektrizitätslehre
oft nicht, auch wenn die Schüler gerade mit diesem Thema doch tagtäglich praktisch
befasst sind, wenngleich hier lediglich als passive Konsumenten der Ergebnisse externen
Verfügungswissens. Selbst Erwachsene sprechen leichthin von „verbrauchtem Strom“,
wissen aber nicht, was in den Schaltkreiselementen vor sich geht. Eine mögliche Lösung
könnte darin bestehen, modellhaftes Denken bei den Schülern zu evozieren und dies
sinnlich / handlungsorientiert / praktisch-spielerisch umzusetzen – nämlich das Modell des
elektrischen Stromkreises in Form eines Rollenspiels von den Schülern selbst nachstellen
zu lassen, um die Kluft zwischen Abstraktion und Konkretion der Aneignung zumindest
tendenziell einzuebnen. 6 Mit genau diesem Problemfeld befasst sich der
Unterrichtsversuch dieser Arbeit, welcher in zwei sechsten Klassen an einer integrierten
Haupt- und Realschule durchgeführt wurde. In der Reflexion werden beide Lerngruppen
gegenübergestellt, wobei in selbstkritischer Rückschau und aufgrund der ersten
Umsetzung in der nachfolgenden Klasse 6b bereits Änderungen vorgenommen worden
waren, welche zwecks Optimierung der Methode bei der Klasse 6a bereits variiert
durchgeführt wurde. Auf die Konsequenzen der Modifikationen für Schüler als auch
Lehrer wird hierbei ausdrücklich eingegangen werden. Neben einer Untersuchung der
Durchführung liegt ein besonderer Schwerpunkt auf einer Betrachtung der Nachhaltigkeit
bezüglich jener intendierten Modifizierung der Schülervorstellung den elektrischen
Stromkreis betreffend, welche – basierend auf einer mehrwöchig zurückliegenden
Evaluation – herangezogen wird.
2. Theoretische Grundlagen
Die Elektrizitätslehre stellt im Physikunterricht einen zentralen und wiederkehrenden
Unterrichtsgegenstand dar und gilt aufgrund der nahezu ausschließlichen Annäherung auf
abstrakter Ebene den Schülern als besonders schwer vermittelbar. In diesem Abschnitt
wird diese Problematik geschildert und legt als solche somit eine erste Begründung des
Unterrichtsversuchs dar, mittels der ursprünglich in den Sozial- und
Geisteswissenschaften genutzten Methode des Rollenspiels genau diese Problemstellung
eventuell sogar nachhaltig zu überwinden, wobei diese Anleihe bei jenen Disziplinen
keine rein ins trumentelle ist, sondern schon im Mittel selbst den subjektiven Faktor
6 Abstraktion stellt laut Aebli ein Hindernis für die Lernmotivation beim Anwenden dar. Vgl. Aebli, Hans: Grundlagen des Lehrens, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1987, S. 157 ff.
3
anspricht und kognitive Bemühungen jenseits rein abstrakten oder ausschließlich
instrumentellen Charakters anzustoßen vermag.
2.1 Der Unterrichtsgegenstand
Im elementaren Elektronenmodell wird der elektrische Strom in Metallen als eine
Linearbewegung von Elektronen gefasst, der sich auf den positiven Pol der
Spannungsquelle zu bewegt und seine Quelle im negativen Pol der Spannungsquelle hat.
Die Richtung dieses Stromes heißt Elektronenstromrichtung. Die positiven Ladungen
werden als festsitzend betrachtet.
An der Quelle (Batterie) nehmen die Elektronen Energie auf, die von ihnen (energiereich)
zum Energiewandler (Lampe) transportiert wird. Dort wird jene in ihre hiesigen
Erscheinungsformen von Licht und Wärme umgewandelt. Die Elektronen kehren im
Stromkreis zur Quelle zurück (energiearm). Jedes Elektron transportiert ein gleiches
Ladungs-, mithin Energiequantum.
Bei einer Reihenschaltung nun benötigen zwei Lampen den doppelten Energiestrom wie
lediglich ein Energiewandler. Die Spannung verdoppelt sich, während die Stromstärke
gleich bleibt.
Bei der Parallelschaltung indes wird jedes Elektron entweder durch die eine oder die
andere Lampe geschoben. Die Zahl der Elektronen pro Sekunde – also die Stromstärke –
verdoppelt sich, wohingegen die Spannung gleich bleibt.
Der Quotient ‚gelieferte Energiemenge W / Ladungsmenge Q’ ist also ein Maß für die
Stromstärke I und Spannung U der Quelle.
2.2 Schülervorstellungen zur Elektrizitätslehre
Die Psychologin Ulla Maichle führte im Jahr 1979 eine empirische Untersuchung durch,
in der sie unter Bezugnahme auf kognitionspsychologische Modelle der
Wissensrepräsentation die subjektiven Wissensstrukturen von Schülern der Sekundarstufe
I zum Realitätsbereich ‚Einfacher elektrischer Stromkreis’ beschrieb. Doch war sie zu
jenen Zeiten nicht die einzige, die sich mit den typischen Lernschwierigkeiten in der
Elektrizitätslehre befasst hatte, denn im Zuge der Erkundung von Schülervorstellungen,
die damals im Vordergrund physikdidaktischer Forschung stand, richteten viele
Pädagogen ihre Aufmerksamkeit auf dieses Gebiet.
Zunächst entwarf Maichle eine idealisierte Wissensstruktur zum Thema ‚Einfacher
elektrischer Strom’, wie sie im Physikunterricht der Sekundarstufe I in der Regel
4
angestrebt wird; Zentrum dieser Strukturdarstellung bildet der Prozessknoten ‚Elektrischer
Strom’, der dessen Ursache (Spannung der Batterie), dessen Effekt (Helligkeit der Lampe)
und den Prozessträger (Elektronen) verknüpft; ferner enthält das Begriffsnetz die
Wortbedeutungen Batterie, Lampe, Widerstand, Stromstärkewert, Spannungswert,
Widerstandswert und Helligkeitswert. Sodann zeigte sie anhand von Protokollen aus
Interviews, die obige Autorin mit 13- bis 15-jährigen Realschülern im Anschluss an den
Unterricht geführt hatte, dass sich die reale Wissensstruktur der meisten Schüler über
einfache elektrische Vorgänge in prägnanter Weise von der idealisierten Wissensstruktur
unterscheidet. Die Mehrzahl der Schüler interpretierte das Geschehen im einfachen
elektrischen Stromkreis mit dem so alltagsplastischen Geben-Schema: Die Batterie
(Agent) enthält elektrischen Strom (Objekt) und gibt diesen an das Lämpchen (Rezipient)
ab. Strom wird demnach nicht als Strömung (Prozess), sondern als ein Etwas (Objekt)
betrachtet. Damit verliert die elektrische Spannung ihre Funktion als Ursache, besser
gesagt als unerlässliche Bedingung des elektrischen Stroms: Sie wird von der Mehrzahl
der Schüler als maßgebendes Merkmal des Stromes gedeutet oder sogleich als Synonym
für Strom selbst missverstanden. Der Widerstandsbegriff wurde von den meisten Schülern
gar außer Acht gelassen, obwohl er im Unterricht im Zusammenhang mit der Funktion
von Lampen eingeführt worden war. Somit ergibt sich die Notwendigkeit, die dem gang
und gäben Alltagsbewusstsein mit seinen personalisierend-egozentrischen Aspekten
entnommenen Erklärungsschemata, hier verdinglichter Objekthaftigkeit, nicht zuletzt
mittels des Instruments des Rollespiels aufzubrechen, um gerade Schülern dieses Alters
den Einstieg in andere kognitive Zugangsweisen, die etwa prozessualen Erscheinungen
gerechter werden, zu eröffnen: „Die formalen Operationen liefern nämlich dem Denken
eine ganz neue Fähigkeit, die letztlich vom Realen loslöst und befreit, um ihm die
beliebige Aufstellung von Theorien und Überlegungen zu erlauben.“7
Maichle hat die Interviewaussagen der Schüler in jenem Begriffsnetz zusammengefasst,
das gleichsam deren gemeinsame Wissensstruktur repräsentiert. In dieser modalen
Wissensstruktur aller untersuchten Schüler in dem fraglichen Bereich ‚Einfacher
elektrischer Stromkreis’ bildet der Begriff ‚Transfer’ einen zentralen Knoten, welcher die
Batterie (Ursprung des Transfers), den Strom (Objekt des Transfers) und die Lampe
(Rezipient des Transfers) verknüpft. Der Begriff ‚Elektrischer Strom’ stellt nun seinerseits
ein zweites Zentrum dar, das über die Merkmalsrelation ‚hat’ auf die Begriffe
Stromstärke, Spannung und Menge verweist: Der elektrische Strom ‚hat’ Spannung oder 7 Zitiert nach Jean Piaget: Die geistige Entwicklung des Kindes, in: derselbe: Theorien und Methoden der modernen Erziehung, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1974, S. 205.
5
er ‚hat’ Stromstärke oder ‚hat’ Menge. Eine solche Vernetzung der beiden Grundbegriffe
der Elektrizitätslehre widerspricht völlig der physikalischen Sicht, nach der eine
elektrische Spannung nicht nur völlig unabhängig vom Vorhandensein eines elektrischen
Stromes bestehen kann, sondern sogar eine unerlässliche Grundbedingung für dessen
Auftreten bildet. Bemerkenswert ist ferner, dass die Begriffe ‚Elektron’ und ‚Widerstand’,
obwohl im Unterricht behandelt, in diesem Begriffsaggregat nicht vorkommen.
Von insgesamt 1236 Schüleraussagen war kaum eine physikalisch korrekt gewesen. Die
Befunde ergaben weiterhin folgendes Bild: Die meisten der befragten Schüler (81 %)
sehen Strom als eine Art Substanz mit mengenartigem Charakter an, die man speichern
kann. Die Folgerung, dass diese Substanz dann – im ‚Verbraucher’ – verbraucht werden
kann, ist nahezu zwingend: Die überwiegende Mehrheit (92 %), die Strom als speicherbar
ansahen, stimmte dieser Aussage zu. Gleichfalls im Einklang mit dieser Vorstallung steht
die Aussage, dass der Batterie neben dem Spannungswert auch ein spezifischer
Stromspannungswert zuzuordnen sei (66 %), woraus nicht wenige Probanden schließen,
dass allein die Batterie die Stromstärke in einem Stromkreis bestimme (36 %). Aufgrund
dieser Vorstellung betrachten viele die Spannung als Merkmal des Stromes selbst (87 %);
daraus folgt für sie wiederum mit Notwendigkeit, dass das Vorhandensein eines
elektrischen Stromes seinerseits überhaupt erst die Voraussetzung für das Auftreten einer
Spannung bilde (57 %), was die physikalische Erklä rung endgültig auf den Kopf stellt.8
Insgesamt bestätigte sich die im ersten Teil der Studie modellierte Wissensstruktur.
Allerdings zeigte sich darüber hinaus, dass die subjektive Wissensstruktur der Schüler
eklatante Widersprüche aufweist. Diese und andere physikalisch inkorrekte Gedanken
perpetuieren sich und werden zu weit verbreiteten Alltagsvorstellungen, die wiederum
wie in jenem Geben-Schema selbst den unzureichenden Begriffsrahmen bereitstellen, so
dass wir sogar in arrivierten Presseerzeugnissen nicht über Falschaussagen stolpern. 9
Alltagsvorstellungen sind somit offenkundig und gerade trotz ihrer Verkehrtheit in ihrer
Annahme dem konventionellem Elektrikunterricht überlegen, zumal sie die Vorteile
unmittelbarer Anschaulichkeit wie mangelnder kognitiver Mühewaltung auf ihrer Seite
haben, die offenbar weitaus mehr zählen als inhaltliche Stimmigkeit.
2.3 Die gewählte Unterrichtsmethode
8 Vgl. Willer, Jörg: Didaktik des Physikunterrichts, Wissenschaftlicher Verlag Harri Deutsch GmbH, Frankfurt am Main 2003, S. 298. 9 Vgl. Muckenfuß, Heinz: Lernen im sinnstiftenden Kontext. Entwurf einer zeitgemäßen Didaktik des Physikunterrichts, Cornelsen Verlag, Berlin 1995, S. 319.
6
Das Rollenspiel wird ursprünglich in den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie zu
therapeutischen Zwecken angewandt. Unterrichtsinhalt dieser Methode in der gängigen
Praxis ist vorrangig die Struktur eines sozialen Konflikts.10 Es geht hierbei darum,
Rollenverhalten zu studieren, Rollenerwartungen zu erkennen und
Entscheidungsmöglichkeiten durchzuspielen. Durch das Erspie len typischer
Konfliktsituationen kann Kindern und Jugendlichen geholfen werden, ihre Probleme
zunächst einmal wenigstens zu artikulieren. Im Spiel werden soziale und persönliche
Folgen ihrer Handlungsweisen deutlicher, und Analysen können die Wertmaßstäbe
aufdecken, die unhinterfragt jedem Handeln zugrunde liegen und als „Macht der
Gewohnheit“ eben quasinatürlich erscheinen, aber etwa bei unserem Beispiel des
Stromkreises von höchst unzureichender Erklärungskraft sind. Die personenorientierten
Rollenspiele, aber auch zum Teil die Planspiele haben soziale, gesellschaftliche und
politische Funktionen. 11 Verfolgt man vorrangig eine pädagogische Zielsetzung, so wird
in der Literatur auf improvisierte12 oder auch nicht angeleitete13 Rollenspiele verwiesen,
„wo ein hoher Grad an Wahlfreiheit bei der Rollenübernahme, Rollendefinition und
Situationsbeschreibung herrscht und ein hoher Grad an Gestaltungsfreiheit im Spielablauf
gewünscht ist.“14 Das Pendant hierzu stellt das angeleitete Rollenspiel dar: „Beim
angeleiteten Rollenspiel verfolgt ein Pädagoge mit den Schülern eine Absicht, ein
präzisierbares, mehr oder weniger differenziertes Lernziel. Angeleitete Rollenspiele
bedürfen einer Vorbereitung, Strukturierung und Nachbereitung durch oder mithilfe des
Spielleiters.“15 Hierbei sind Rolle, Situation und Handlung des Spiels weitgehend
vorgegeben. 16 Da im Physikunterricht in erster Linie fachliche Unterrichtsziele vermittelt
werden sollen, findet auf den ersten Blick das Rollenspiel hier keinen Platz. Doch auf den
zweiten kann gerade dessen angeleitete Variante durchaus Raum im Rahmen dieser
Naturwissenschaft finden, nämlich in der Spielform mit ‚schwerpunktmäßiger
Darstellungsfunktion’ 17 als ein auch in diesen Fächern praktizierbarer Kompromiss
zwischen dem didaktischen Vermittlungsauftrag und der dem Instrument eigenen
Aktivierung der Schüler. Wie dies im Rahmen der Elektrizitätslehre umgesetzt werden
kann, wird nunmehr in folgendem Kapitel aufgezeigt.
10 Vgl. Warm, Ute: Rollenspiel in der Schule, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1981, S. 7 ff. 11 Vgl. Schaller, Roger: Das große Rollenspiel-Buch, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2001, S. 67 ff. 12 Vgl. ebenda, S. 63. 13 Vgl. Warm, Ute: Rollenspiel in der Schule, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1981, S. 91f. 14 Zitiert nach: Schaller, Roger: Das große Rollenspiel-Buch, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2001, S. 63. 15 Zitiert nach: Warm, Ute: Rollenspiel in der Schule, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1981, S. 93. 16 Vgl. Schaller, Roger: Das große Rollenspiel-Buch, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2001, S. 63. 17 Vgl. Warm, Ute: Rollenspiel in der Schule, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1981, S. 95.
7
2.4 Das Rollenspiel / Gespielte Analogie im Physikunterricht
Wie bereits oben erwähnt, werden in Simulationsspielen meistens zwischenmenschliche,
gesellschaftliche oder politische, also wesentlich soziale Vorgänge nachgebildet, doch
vielleicht könnten Rollenspiele die negative Einstellung auch zu den Naturwissenschaften
im Allgemeinen sowie zu jener als so unattraktiv hingestellten Physik im Besonderen
ändern und / oder wenigstens deren abstrakte Begriffe oder Modelle zur didaktisch stets
unabdingbaren Anschaulichkeit führen. Erste Publikationen über Spiele im
Physikunterricht stammen aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. So analysierte
Dussler zahlreiche Spiele im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit im Physikunterricht.18 Dem
Rollenspiel nun wendet sich in erster Linie Kircher in seinen neuesten Veröffentlichungen
zu: „Eine wichtige Untergruppe der psychomotorischen Spiele sind die von Schülern
gespielten Analogien. Damit werden abstrakte Begriffe und Modellvorstellungen
illustriert: die Aggregatzustände, Gasdruck und Gasvolumen, Ausdehnung bei Erwärmung
interpretiert durch das Teilchenmodell. Oder aus der Elektrizitätslehre: der elektrische
Stromkreis, der Widerstand, Strom und Stromstärkeinterpretiert im Elektronenmodell.“19.
Zunächst werden die physikalischen Inhalte erarbeitet. Im Spiel geht es dann um das
Durcharbeiten, Üben und Anwenden jener Modelle. Hierbei gibt es laut Kircher drei
Spielregeln:
• Vorwissen aktivieren
Die Schüler können ihre vielfältigen Ideen einbringen, sie aktivieren ihr
Vorwissen. Im Idealfall strukturieren sie es neu, nehmen neue und alte
Wissenselemente aus der Fachsystematik der Physik auf. Sie verbinden so ihr
Vorwissen mit dem Fachwissen.
• Kommunizieren
Die Schüler tauschen ihre Vorschläge aus, diskutieren und streiten miteinander –
ganz im Sinne eines wissenschaftlichen Streitgesprächs. Inhaltliches und
sozialkommunikatives Lernen gehen hier miteinander einher.
• Beitrag aller
18 Vgl. Dussler, Georg: Spiel und Spielzeug im Physikunterricht, Otto Salle Verlag, Frankfurt 1933. 19 Zitiert nach: Kircher, Ernst, Girwids, Raimund, und Häußler, Peter (Hrsg.): Physikdidaktik: Eine Einführung, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 2001, 2. Auflage, S. 162.
8
Die Schüler spielen die Analogie zusammen, und diese wird somit zum
Gemeinschaftswerk, inklusive Lehrkraft, der die Anleiterrolle zukommt. Es ist
also eine Einbindung aller, auch sonst stiller Schüler gewährleistet.20
Somit bedient das Rollenspiel, gemäß obigem Autor auch gespielte Analogie genannt, viele
Aspekte der allgemeinen als auch der fachspezifischen Physik-Didaktik:
Schüler- und Handlungsorientierung
Im Hinblick auf die handlungsorientierte Erarbeitung physikalischer Inhalte an der
Sekundarstufe lässt sich unter anderem mit Gudjons festhalten, dass es zum einen an einer
fachdidaktischen Durchdeklinierung des Prinzips der Handlungsorientierung fehlt; zum
anderen sind schulformbezogene Ausarbeitungen des Prinzips Handlungsorientierung
dringend notwendig. 21 Schüler- und Handlungsorientierung im Unterricht umfasst vor allem
zwei Aspekte: einerseits Schüleraktivität, und zwar nicht als zeitgeistgemäße ‚Action’,
sondern als ein auf Denken, Verstehen und Lernen ausgerichtetes Tun; andererseits
Mitbestimmung der Schüler, mit dem Ziel einer Selbststeuerung der Handelnden. Im
Allgemeinen sind zur praktizierten Mitbestimmung bereits erste Handlungserfahrungen
notwendig, sie muss daher abgestuft eingeführt werden. Bei der gespielten Analogie kann dies
gerade als Chance genutzt werden, zusammen mit den Schülern Anleitungen hierzu zu
entwickeln, weiterzuführen oder aber zu verwerfen. Beide Aspekte, Schüleraktivität und
Mitbestimmung, sind erforderlich, um die gewohnte Haltung der Schüler abzubauen, „…dass
der Lehrer die Unterrichtsprozesse organisiert und sie selbst nur Container sind, in die der
Stoff zum Zwecke der Wiedergabe in der Leistungsbewertung eingefüllt wird“22, damit genau
obige Passivität sowie die dazugehörigen Haben-und-Geben-Paradigmen befördernd. „Wir
müssen nach didaktischen Ansätzen suchen, die Eigentätigkeit und Unmittelbarkeit
fördern…“23, wobei letztere im anstehenden Versuch sowohl die Objektseite (Bälle als
Repräsentation physikalischer Begriff) als auch mittels jener schülerischen Initiative auch die
Subjektfaktoren (sinnlich Ansprache durch jene Bälle, verknüpft mit dem im gewöhnlichen
Physikunterricht selten angereizten senso-motorischen Faktor der Lokomotion, die wiederum
die Teilchenbewegung darstellt) meint.
20 Vgl. Kircher, Ernst, und Schneider, Werner B. (Hrsg.): Physikdidaktik: Eine Einführung in Theorie und Praxis, Vieweg Verlag, Braunschweig 2000, S. 266. 21 Vgl. Gudjons, Herbert: Handlungsorientiert lehren und lernen, Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn 2001, S. 42. 22 Zitiert nach ebenda, S. 10. 23 Zitiert nach ebenda, S. 19.
9
Mit der Anknüpfung an Vorwissen / Schülervorstellung und Modifizierung durch das
Rollenspiel im Physikunterricht, etwa jener dass Strom ‚verbraucht wird’24, werden
gleichzeitig die Ansprüche des Konstruktivismus erfüllt. Lernende konstruieren ihr Wissen,
das heißt Lernen ist ein aktiver Prozess: Anknüpfend an das eigene Vorwissen interpretiert
das Individuum neue wahrnehmungsbedingte Erfahrung und generiert somit neue
Kenntnisse25, wird sich damit einerseits seiner selbst als kognitivem Produzenten bewusst,
während sich die Resultate, die Modellvorstellungen, eben als kognitive Annäherungen an die
nicht kurzerhand objektiv verstehbaren Gegenstände zu schmiegen haben. Für die Schaffung
neuen Wissens sind nicht nur Vorwissen und Vorerfahrungen erheischt, sondern
gleichermaßen die Identifikation mit den Lerninhalten, z. B. durch Entwicklung von
Überzeugungen und Gefühlen, also subjektiven Bedingungen26, von deren eminenter
Relevanz für den Lernerfolg auch und gerade die Physik-Didaktik nicht länger abstrahieren
darf. Deren Evozierung wird gerade durch eine hohe Motivation mittels des spielerischen
Charakters der Methode und einer dadurch gegebenen sinnlichen Erfahrung bei den Schülern
ermöglicht, kommt also schon methodisch jenen unabdingbaren subjektiven Lernkonditionen
entgegen.
Weiterhin bietet die gespielte Analogie eine sinnvolle Möglichkeit der Elementarisierung in
Verbindung mit dem Modellhaftem Denken. Zusammen stellen sie zumindest eine Lernhilfe
dar, falls Schüler sie benutzen wollen und können. 27 „Wir betrachten Analogien vor allem in
der Funktion eines ‚advance organizer’ (‚Vorausorganisator’), durch den Schüler ein
vorläufiges Verständnis für einen neuen Lernbereich erhalten.“28 Analogien im Sinne der
Modellb ildung unterstützen ob ihres Anknüpfungscharakters an Alltagspraxis resp.
vorhandenes Wissen diesen Erkenntnisprozess. Um die abstrakte Theorie der
Elektrizitätslehre erfolgreich erfassen und weiterentwickeln zu wollen, „…muß man vor allem
die Ergebnisse der früheren Untersuchungen vereinfachen und auf eine dem Verstand
möglichst leicht zugängliche Form bringen. […] Wir müssen deshalb eine
Untersuchungsmethode ausfindig machen, welche uns bei jedem Schritt zu einer klaren
24 Vgl. Kircher, Ernst, und Schneider, Werner B. (Hrsg.): Physikdidaktik: Eine Einführung in Theorie und Praxis, Vieweg Verlag, Braunschweig 2000, S. 4. 25 Vgl. Nickel, Horst: Entwicklungspsychologie des Kinder- und Jugendalters, Verlag Hans Huber, Bern / Stuttgart / Wien 1975, Bd. II, S. 191 ff. 26 Vgl. Labudde, Peter: Konstruktivismus im Physikunterricht der Sekundarstufe II, Haupt-Verlag, Bern 1952, S. 18. 27 Vgl. Heintel, Peter: Modellbildung in der Fachdidaktik, Franz Deuticke Verlagsgesellschaft m. b. H., Wien 1986, S. 14 ff. 28 Zitiert nach: Kircher, Ernst, und Girwids, Raimund, und Häußler, Peter (Hrsg.): Physikdidaktik: Eine Einführung, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 2001, 2. Auflage, S. 131.
10
physikalischen Anschauung befähigt, ohne uns an eine spezielle Theorie zu binden.“29
Kritiker bemängeln aufgrund einer fachlichen Reduktion der Ansprüche an die theoretische
Stimmigkeit die Gefahr einer Generierung bzw. Bestärkung von physikalisch inkorrekten
Vorstellungen auf Seiten der Schüler. Fraglich ist hierbei jedoch, ob diese hinsichtlich der
Lernvoraussetzungen gerade bei Haupt- und Realschülern nicht zumindest und zunächst in
Kauf genommen werden muss, um dann späterhin zu doch zu substanziellen Lernfortschritten
zu gelangen. Hierauf wird in der Reflexion noch einmal explizit Bezug genommen werden.
Aufgrund o. g. Aspekte scheinen der Verwendung des Rollenspiels halber im
Physikunterricht Hoffnungen gerade auf eine Nachhaltigkeit des Gelernten berechtigt. Für
eine dauerhafte Speicherung ist gleichwohl die Assoziation mit bereits vorhandenem Wissen
wichtig. „Eine besondere Art ist die Verknüpfung physikalischer Formeln mit bildhaften
Vorstellungen oder experimentellen Erfahrungen“30, in dieser Synthese, da sie sogleich
mehrere Persönlichkeitsaspekte anspricht, gerade Garant jener Tragfähigkeit des Gelernten.
Damit sprechen viele Punkte dafür, das Rollenspiel nicht sogleich als ‚sinnlose Spielerei’ im
Rahmen des Physikunterrichts zu entwerten und zu verwerfen, sondern in ihm als Methode
eine Chance für die ‚Entstaubung’ eines unbeliebten Unterrichtsfaches zu sehen, das
Rollenspiel zumindest auch in diesem Fach auf den Prüfstein der Praxis zu stellen und ihm
eine solche auch einmal einzuräumen. Vielleicht wird mittels der gespielten Analogie die
Lernmotivation sogar bei einem der abstraktesten Themen intrinsisch31 und praktikables
Verfügungs- zu auch subjektivem Orientierungswissen, darin einem elementaren
menschlichen Bedürfnis entsprechend, in dessen Rahmen dann auch wieder physikalische
Theorien ihren Platz haben? Dieser Erprobung widmen sich nachstehende Kapitel.
3 Unterrichtsplanung
In diesem Kapitel wird unter Berücksichtigung einer Lerngruppenbeschreibung beider Kurse
und der oben bereits dargestellten Grundlagen die Auswahl der Unterrichtsmethode
begründet. Nachfolgend wird die Unterrichtsplanung anhand einer tabellarischen Übersicht
konkretisiert und mit Nennung der Lernziele abgeschlossen.
29 Zitiert nach Schürmann, Hans Werner: Theoriebildung und Modellbildung, Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden 1977, S. 110 f. 30 Zitiert nach: Kircher, Ernst, und Girwids, Raimund, und Häußler, Peter (Hrsg.): Physikdidaktik: Eine Einführung, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 2001, 2. Auflage, S. 240. 31 Vgl. Aebli, Hans: Zwölf Grundformen des Lehrens, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1983, S. 333 f.
11
3.1 Lerngruppenspezifische Voraussetzungen
Der Unterrichtsversuch wurde in zwei Kursen der sechsten Jahrgangsstufe einer integrierten
Haupt- und Realschule (Ganztagsschule) in Hamburg-Bramfeld durchgeführt. Das
Einzugsgebiet kann überwiegend der unteren Mittelschicht zugeordnet werden. Aufgrund des
integrativen Charakters der Schule besteht eine beachtliche Heterogenität in den Klassen; eine
besondere Herausforderung stellt die verhältnismäßig große Anzahl an sozial
verhaltensauffälligen Schülern dar. Beide Physikkurse bestehen aus Halbgruppen, welche sich
innerhalb eines Schuljahres jeweils einmal halbjährig mit dem Technikunterricht abwechseln.
Nachstehend werden beide Lerngruppen separat beschrieben.
Die Klasse 6b
Diese Lerngruppe besteht aus insgesamt 13 Schülern, davon neun Jungen und vier Mädchen.
Das Unterrichten dieses Kurses gestaltet sich als außerordentlich schwierig, so dass die
Klasse vom gesamten Kollegium als gemeinhin unlenkbar gilt. Dauerhaft muss gegen
Disziplinschwierigkeiten vorgegangen werden, und auch das Klassenlehrerteam klagt über
tägliche Machtkämpfe. Erschwerend für den Phys ikunterricht kommt der nicht zu
vernachlässigende Faktor der Tageszeit hinzu: Der Unterricht findet nach der Mittagspause
von 12:30 Uhr bis 14:00 Uhr statt. Entsprechend bereitet es den Schülern Schwierigkeiten,
sich zu konzentrieren sowie sich sozial angemessen zu verhalten. Dies geht bis hin zu
Gewalttätigkeiten während des Unterrichts. Disziplinproblemen versuche ich mit viel
persönlicher Geduld sowie den Maßnahmen von Gruppen- und Einzelgesprächen, Sanktionen
wie schlechten Noten, Ausschluss vom Unterricht oder Elternbriefen entgegenzutreten. Ich
achte dabei sehr auf schüler- und handlungsorientierten Unterricht durch Inanspruchnahme
von Schülerexperimenten und Lebensweltbezug. Dies wird seitens der Schüler mit Motivation
und Interesse vergolten, doch kommt es auch vor, dass die Offenheit des Unterrichts etwa bei
Experimenten gerade missbraucht wird, um auszubrechen und sich durch Zweckentfremdung
(z. B. mit Feuer) sich den anderen gegenüber zu produzieren. Jede Doppelstunde stellt eine
somit Gratwanderung dar, für die ich mich aber bewusst entscheide. Ich kenne die
Lerngruppe seit Beginn dieses Halbjahres.
Mit Ausnahme von Mehmet und Daniel, die ruhig und zurückhaltend dem Unterricht folgen,
müssen sämtliche anderen Jungen als sehr lebhaft mit überwiegend aggressivem Potential
beschrieben werden. Besonders übermütig ist Özgür, dem es generell schwer fällt, sich an
Regeln zu halten und dem Unterricht zu folgen. Dies kompensiert er durch lautes und
auffälliges Verhalten, zieht dabei andere gern mit und zeigt sich Lehrern und Mitschülern
gegenüber sehr respektlos. Er, Mario, Ibrahim, Talha und Alexander sind gewaltbereit und
12
liefern sich verbal wie physisch Auseinandersetzungen, die bei zu verhaltener Reaktion
seitens des Lehrers dann sogar im Unterricht ausgetragen werden. Mario verweigert bisweilen
die Mitarbeit – dies wird ihm aufgrund seiner schwierigen Familienverhältnisse, unter denen
er momentan sehr leidet, transitorisch gewährt. Es ist aber ebenso möglich, sie alle dem
Unterrichtsgeschehen zuzuwenden und, wenn auch unter Inkaufnahme möglicher Störungen,
zu experimentieren und ein offenes Unterrichtsgespräch durchzuführen. Immer wieder sind
die Schüler über die von ihnen fachlich richtig geäußerten Aussagen überrascht, freuen sich
über Lob seitens des Lehrers und bleiben dadurch auch weiterhin motiviert. Dies hält an,
solange niemand etwas die anderen Provozierendes in das Unterrichtsgeschehen einwirft, um
so vom eigentlichen Thema abzulenken.
Die Mädchen hingegen arbeiten ruhig und konzentriert, sind sehr interessiert an Experimenten
und deren Auswertung und fühlen sich ihrerseits gestört durch das Gebaren der Jungen.
Lediglich Fabienne lässt sich oft ablenken.
Die 6a
Diese Lerngruppe besteht aus 14 Schülern, davon fünf Mädchen und neun Jungen. Ich
unterrichte die Klasse 6a neben Physik auch in Geschichte und Deutsch. Phasenweise ist die
Lerngruppe diszipliniert, weist jedoch tendenziell ähnliche Probleme auf wie die 6b. Der
Physikunterricht findet hier montags bereits in den ersten beiden Stunden statt.
Josephine, Aylin und Jeanette sind sehr leistungsorientiert und bemühen sich stets um gute
Noten. Beide sowie Anahita, Vladimir und Merihvan arbeiten interessiert und konzentriert
mit.
Jeremy und Ahmet jedoch haben große Schwierigkeiten, dem Unterricht fachlich zu folgen
und lenken sich und andere schon von daher oft ab. Besonders leistungsstark ist Steven, der
überwiegend wegen seines Verhaltens des Gymnasiums verwiesen wurde. Er ist generell an
dieser Schule unterfordert, und vor kurzem wurde ihm eine Empfehlung für das Gymnasium
ausgesprochen, die er jedoch vehement verweigert. Seitdem zeigt er sich sehr auffällig und ist
stets bestrebt, den Unterricht zu stören. Ebenfalls an einer Behinderung des
Unterrichtsgeschehens interessiert sind Jascha und Moritz, die zusammen mit Steven
gelegentlich den Unterricht gänzlich zu torpedieren versuchen. Serioscha ist zwar fachlich
sehr engagiert, nutzt aber bei Provokationen gern seine Kenntnisse aus dem Boxverein, was
während einer Pause bereits für einen Mitschüle r mit einem Kiefernbruch im Krankenhaus
endete.
13
Meine Konsequenzen für den Physikunterricht sind in dieser Lerngruppe ähnlich denjenigen
der 6b. Eine besonders enge Zusammenarbeit mit den Klassenlehrerinnen sowie meine
regelmäßige Teilnahme am Klassenrat erleichtern den Umgang mit Störungen.
Insgesamt habe ich trotz der benannten Problemfelder ein gutes Verhältnis zu beiden
Lerngruppen, was sich in den regelmäßigen Feedbackrunden zeigt, in denen sich beide Seiten
um ein gutes Unterrichtsklima bemüht zeigen und stets aufeinander zugehen.
3.2 Methodische Schlussfolgerungen
Wie bereits im vorigen Abschnitt dieser Arbeit beschrieben, stellt sich in jeder
Unterrichtsstunde erneut die Frage, wie die Schüler bestmöglich motiviert werden können,
sich mit dem Unterrichtsstoff auseinander zusetzen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es
beiden Lerngruppen schwer fällt, sich bei theoretischen Phasen mehrere Minuten am Stück zu
konzentrieren. Es wird ihnen ‚langweilig’ oder sie fühlen sich beizeiten geistig überfordert
und drücken ihren daraus erwachsenden Unmut mittels Störungen aus. Eine intrinsische
Motivation erziele ich bei ihnen durch Schülerexperimente; hierbei besteht zumeist auch die
Möglichkeit einer länger währenden Auswertung der Versuche. Abstrakte Lerninhalte (wie z.
B. im Rahmen der Akustik) erreichen sie ausschließlich, wenn diese Phänomene sichtbar, also
sinnlich erfahrbar gemacht werden (z. B. Stimmgabel im Wasserglas), was bereits einen
Hinweis auf die didaktisch diesbezüglich positiv zu bewertenden Einsatzmöglichkeiten des
Rollspiels ergibt.
Sich mit diesen Lerngruppen einem abstrakten Thema wie der Elektrizitätslehre zu nähern
und dieses ihnen verständlich zu machen, stellt sich also zwangsläufig als Herausforderung
dar. Eine rein theoretische Annäherung scheint mir bei ihnen kein langfristiges Modelldenken
und somit keine tragfähige, da zu unsinnlich-abstrakte Grundlage für eine spätere
Weiterarbeit zu befördern. Ich rechne damit, auf rein kognitiver Basis die Schüler nicht zu
erreichen, während des Lernprozesses zu verlieren oder bestenfalls nur kurzfristig einen
wenig nachhaltigen Lernerfolg zu erzielen, da der Unterrichtsstoff schnell in Vergessenheit zu
geraten droht, so es eben nicht gelingt, dass die Inhalte auf jenen eigenen Antrieb des
Subjektes sowie dieses wiederum auf einen entsprechenden Anreiz der Lernobjekte trifft, was
eben die unabdingbaren Voraussetzungen für tragfähige Unterrichtserfolge. Sich diesem
Thema daher zusätzlich spielerisch und handlungsorientiert zu nähern, eröffnet mir eher die
Hoffnung auf eine nachhaltige Generierung physikalisch korrekterer Schülervorstellungen.
Mittels Nachspielen eines elektrischen Stromkreises soll ein lebhaftes Bild geschaffen
14
werden, welches nicht zuletzt durch die motorische Untermauerung im Denken haften bleibt
oder zumindest ein späteres Erinnern zwecks Weiterentwicklung der Modellvorstellung im
weiterführenden Physikunterricht ermöglicht.
Optimal wäre eine fachliche Diskussion über physikalische Widersprüche innerhalb dieser
gespielten Analogie, doch scheint dies kaum innerhalb dieser Lerngruppe realisierbar.
Gefahren sehe ich im Umgang mit dieser offenen und die Schüler körperlich fordernden
Methode – Wird es ihnen gelingen, diesen Prozess diszipliniert miteinander selbst innerhalb
der Großgruppe durchzuführen? Werden sie die Materialien (z. B. die Bälle) zweckmäßig
handhaben? Finden sie das Rollenspiel ihrem Alter angemessen und fühlen sie sich somit
trotz ihrer für sie bereits abgeschlossenen Kindheit ernst genommen?
Möglicherweise entstehen bei den Schülern physikalisch inkorrekte Modellvorstellungen über
die Elektrizitätslehre; da dies jedoch bei sämtlichen Modellen aufgrund der damit automatisch
einhergehenden Elementarisierung der Fall ist, nehme ich dies bewusst in Kauf. Abzuwägen
gilt es im Nachhinein, wie sich das Verhältnis zwischen korrekter und inkorrekter
Informationsverarbeitung gestaltet, um daraufhin wiederum modifizierend einwirken zu
können, so dass sich ein Optimum zwischen subjektivem Engagement einerseits und
Vermittlung objektiver Inhalte zum anderen ergibt.
3.3 Planung der Unterrichtseinheit
Die Inhalte des Physikunterrichts orientieren sich an dieser Schule nicht am Lehrplan,
sondern anhand der Fachkonferenz. Vorgesehen in Klasse 6 sind ihr zufolge die Bereiche
Optik sowie Akustik. Der Unterrichtsversuch fand nach Vermittlung des hierfür vorgesehenen
Lernstoffes kurz vor dem Kurswechsel statt. Er orientiert sich am Hamburger Rahmenplan für
die Naturwissenschaften / Technik für die Haupt- und Realschule, Klasse 5/6-2 1. Elektrik.
Als Einstieg plante ich eine Ideensammlung zwecks Eruierung der Vorkenntnisse.
Anschließend sollten die Jugendlichen auf einem Arbeitsblatt Schaltzeichen zuordnen und
anhand dessen einen Stromkreis aus Schalter, Batterie, Kabel und Lämpchen zeichnen sowie
diesen in Kleingruppen nachkonstruieren. Unter Zuhilfenahme eines Auswertungsprotokolls
sollten die Ergebnisse ausgewertet werden.
Dies sollte dann die Basis für den eigentlichen Unterrichtsversuch abgeben. Das Rollenspiel
war von mir in zwei aufeinander aufbauende Teile gestaffelt: Zunächst sollen die Schüler
theoretisch erarbeiten, was genau passiert, wenn der Stromkreis geschlossen wird und die
Lampe leuchtet. Hierfür soll ein an die Tafel gezeichnetes Modell dienen (siehe Anhang). Es
besteht aus einem gezeichneten Stromkreis, in dem anhand von Pfeilen die Richtung der
15
Elektronen, welche als negativ geladen gekennzeichnet sind, bezeichnet war (vom Minus-
zum Pluspol der Batterie). Dies sollte von ihnen der Verdeutlichung halber nachgespielt
werden. Als Vorlage diente ein mit Klebeband auf den Boden fixierter Stromkreis. Es wurden
die Rollen ‚Batterie’ (Pole werden durch Armstulpen mit „+“ und „–“ gekennzeichnet),
‚Schalter’ und ‚Lampe’ vergeben. Der Rest der Schüler sind ‚Elektronen’. Vier Elektronen
verteilen sich bei offenem Schalter auf dem Kabel, die restlichen stellen sich hinter die
Batterie. Wenn sich der Schalter schließt, bewegen sich die Elektronen gleichmäßig vom
Minus- zum Pluspol der Batterie, und die Lampe erleuchtet, was durch das Hochwerfen eines
Balles seitens der ‚Lampe’ symbolisiert wird. Öffnet sich der Schalter, so bleiben die
‚Elektronen’ stehen, und die ‚Lampe’ hält den Ball fest (= aus). Anhand dieses Rollenspiels
soll der Elektronenfluss verdeutlicht werden.
Im zweiten Schr itt ist dann der Energiebegriff vorzustellen. Auch hierzu soll einführend das
Modell an der Tafel dienen. Die Elektronen fließen energiereich von der Batterie zur Lampe.
Dort wird diese umgewandelt, und die Elektronen gelangen wiederum, diesmal jedoch
energiearm zur Batterie.
Beim Rollenspiel wird die Energie anhand von Bällen symbolisiert. Die ‚Elektronen’ erhalten
von der ‚Batterie’ jeweils einen Ball (energiereich), den sie bei der ‚Lampe’ abgeben. Diese
wirft den Ball einmal hoch (an) und legt ihn anschließend in einem Eimer ab (umgewandelt
und verbraucht). Die Elektronen kehren ohne Ball zur Batterie (energiearm) zurück und
erhalten einen neuen (energiereich) und so weiter. Die Energieversorgung hört auf, sobald der
Schalter geöffnet wird oder die Batterie verbraucht ist. Die ‚Elektronen’ erhalten keine
weiteren Bälle (Energie), und die ‚Lampe’ kann somit auch keine mehr hochwerfen
(umwandeln = aus).
Zwecks Erhebung der Ergebnisse dienten jeweils ein mündliches und schriftliches Feedback
direkt nach dem Unterrichtsversuch und ein weiteres, dann schriftliches sechs Wochen später.
Tabellarische Übersicht der Unterrichtseinheit
1. Doppelstunde
Zeit Phase Inhalt 13 min Einführung ins Thema Assoziationssammlung zum Begriff ‚Stromkreis’ /
Tafel 17 min Arbeitsphase Zuordnen von Schaltzeichen und Zeichnen eines
Stromkreises (Batterie, Kabel, Schalter, Lampe) / Arbeitsblatt
10 min Ergebnissicherung Vergleichen der Ergebnisse / Tafel, Arbeitsblatt 20 min Schülerexperiment Schalten eines Stromkreises mit Batterie, Kabel,
Lampe und Schalter
16
20 min Ergebnissicherung Auswertung anhand eines Versuchsprotokolls / Tafel, Arbeitsblatt
5 min Feedback Mündliches Schüler- und Lehrerfeedback
2. Doppelstunde
Zeit Phase Inhalt 5 min Wiederholung Stromkreis und Schaltzeichen 10 min Unterrichtsgespräch Elektronenfluss / Tafel 20 min Arbeitsphase Elektronenfluss / Rollenspiel 5 min Pause 10 min Unterrichtsgespräch Energieumwandlung / Tafel 30 min Arbeitsphase Energieumwandlung / Rollenspiel 10 min Feedback Mündliches Schüler- und Lehrerfeedback
3.4 Ziele der Unterrichtseinheit
Stichwortartig werden nachfolgend die Ziele der Unterrichtseinheit ‚Elektrizitätslehre’
aufgeführt.
Kognitiv:
• Die Schüler können mithilfe von Schaltzeichen einen elektrischen Stromkreis
zeichnen
• Die Schüler kennen das Modell des Elektronenflusses in einem elektrischen
Stromkreis
• Die Schüler kennen das Modell der Energieübertragung
• Die Schüler wissen, dass nicht Strom verbraucht, sondern Energie
umgewandelt wird
Sozial:
• Die Schüler arbeiten leise (Einzelarbeit, Experimentierphase)
• Die Schüler werten Experimente anhand der Richtlinien eines
Versuchsprotokolls aus (Trennung der Auswertungsphasen)
• Die Schüler lernen, Erkenntnisse miteinander auszutauschen
• Die Schüler halten sich an die Ro llenanweisung
• Die Schüler arbeiten in einer Großgruppe und schließen niemanden aus
• Die Schüler gehen diszipliniert mit den Materialien um
• und halten sich an Gesprächsregeln (melden)
17
4. Darstellung des Unterrichtsverlaufs und Reflexion
In diesem Kapitel wird zunächst die Durchführung des Rollenspiels selbst beschrieben. Die
Darstellung erfolgt unter Trennung beider Lerngruppen, da ich das Rollenspiel vorab in der
6b realisierte und aufgrund der Reflexion dieser Doppelstunde erste Änderungen vornahm,
die ich bei der nachfolgenden Durchführung in der Klasse 6a bereits umsetzen konnte.
Im Anschluss daran erfolgt die kritische Rückbetrachtung unter bestimmten Gesichtspunkten.
4.1 Durchführung des Rollenspiels
Aufgrund der vorangegangenen Doppelstunde war den Schülern bereits bekannt, dass bei
geschlossenem Stromkreis die Lampe leuchtet, hingegen sie bei Öffnung des Stromkreises
erlischt. Die Eruierung des Vorwissens zum Thema ‚Elektrizitätslehre’ ergab, dass bei den
Schülern beider Lerngruppen die allgemein gängige Vorstellung vorherrschte, der Strom
fließe durch die Kabel und würde von der Lampe verbraucht. Auf den Begriff der Energie
gelangten sie nur durch massive Impulsgebung seitens des Lehrers.
Nach einer Wiederholung, in deren Rahmen anhand einer Zeichnung eines elektrischen
Stromkreises (Lampe, Batterie, Kabel und Schalter) an der Tafel repetiert wurde, dass die
Lampe leuchtet, wenn der Stromkreis geschlossen ist, nahm ich hierauf Bezug und fragte
danach, was genau in dem Stromkreis passieren würde, wenn die Lampe leuchtete.
Wieder traten innerhalb beider Kurse die Vorstellungen zu Tage, dass der Strom fließe und
die Lampe mit Strom versorgen würde.
Ich erarbeitete mit den Schülern theoretisch das Modell des Elektronenflusses. Die Batterie
verfügt über zwei unterschiedlich geladene Pole, im leitenden Kabel befinden sich positiv und
negativ geladene Teilchen, wobei die Protonen an die Masse gebunden und damit
unbeweglich sind. Die negativen, Elektronen genannt, können hingegen durch die Batterie i.
S. einer Funktion als Elektronenpumpe in Bewegung gesetzt werden. Die Richtung bestimmt
die Batterie, da sich gleiche Pole abstoßen. Der Elektronenfluss verläuft also vom Minus-
zum Pluspol der Batterie. Um die Lampe zum Leuchten zu bringen, bedarf es allerdings
weiterer Elektronen – diese werden aus der Batterie gespeist und zusätzlich in den Stromkreis
eingeschleust. Vermittelst des Akkumulators werden sie so lange in Bewegung gehalten, bis
dieser entweder ‚leer’ ist oder der Schalter geöffnet wird. Dann verharren die Elektronen und
die Lampe erlischt. Den Schülern beider Gruppen fiel die Beteiligung während der
theoretischen Phase wie erwartet schwer, da sie generell Schwierigkeiten haben, sich längere
18
Zeit am Stück auf lediglich eine Sache zu konzentrieren. Nun sollte dieses Modell von beiden
Gruppen nachgespielt werden.
Auf den Boden war mithilfe von Klebeband ein Stromkreis mit Schaltzeichen dargestellt
(siehe Anhang).
Nun wurden die Rollen verteilt: Jeweils ein Schüler spielte die Batterie sowie die Lampe. Die
Batterie bekam jene Armstulpen, worauf mit „+“ und „–“ die elektrischen Pole
gekennzeichnet waren, die Lampe einen Ball, welcher zum Zeichen des Aufleuchtens
hochgeworfen werden sollte. Zwei spielten den Schalter: Sie platzierten sich nebeneinander;
sobald die eben noch erhobene Hand des einen Schülers auf der Schulter des anderen ruhte,
galt der Stromkreis als geschlossen (siehe Anhang). Der Rest der Schüler nun stellte die
Elektronen dar. Vier von ihnen nahmen ihren Platz im Kabel ein, die anderen platzierten sich
hinter der Batterie. Auf Zeichen des Lehrers sollte sich dann der Schalter schließen, die
Elektronen sich in Bewegung setzen und die Lampe leuchten.
6b
Die Schüler stellten sich ihren Rollen entsprechend auf. Mario verweigerte flehentlich die
Mitarbeit und nahm daher an beiden Rollenspielen nicht teil. Ich gab dem Schalter das
Zeichen zum Schließen, und die ‚Elektronen’ setzten sich in Bewegung. Dies endete indes
alsbald chaotisch, da sich die ‚Elektronen’ nicht gleichmäßig bewegten und sich zum Teil
überholten und so aneinander vorbeiliefen, darin gerade nicht den physikalischen
Vorstellungen entsprechend. Hinzu kam, dass sich nicht alle Schüler im Rahmen des auf dem
Boden markierten ‚Kabels’ bewegten. Ich gab das Zeichen zum Öffnen des ‚Schalters’ und
wies nachdrücklich auf die Gleichmäßigkeit der Bewegung hin sowie darauf, dass sich
niemand überholen solle. Ebenso machte ich auf das ‚Kabel’ aufmerksam. Hierbei kam
seitens der Schüler die Frage auf, wie schnell sie eigentlich laufen sollten. Es war ihnen gar
nicht klar, dass der gesamte Vorgang innerhalb des Rollenspiels stark verlangsamt
nachgeahmt wurde, was mir aber die zu begrüßende Möglichkeit eröffnete, auf die realen
Verhältnisse, aber auch auf den begrenzten Analogiewert des Rollenspiels einzugehen.
Es folgte ein zweiter Versuch, der erheblich besser verlief. Die ‚Elektronen’ hielten sich an
die Anweisung und ‚flossen’ relativ gleichmäßig durch den ‚Stromkreis’. Man könnte hier gar
das Paradox aufstellen, dass jener ‚Fehler’ der ungleichmäßigen Bewegung bei der ersten
Durchführung sich als Chance bewähren kann: Einerseits ist der Lehrer gehalten, dem
Fehlverhalten die richtige theoretische Vorstellung eines mit Lichtgeschwindigkeit sich
konstant bewegenden Elektronenstromes entgegenzustellen, andererseits lässt sich gerade
diese Abstraktion durch eine ganz konkrete, sinnlich erfahrbare Verhaltensregel darstellen:
19
„Nicht überholen!“ als einer dann gelungenen Synthese von Theorie und Praxis im
modellhaften Nachvollziehen. Als sich der ‚Schalter’ wieder öffnete, blieben sie stehen und
die ‚Lampe’ hörte auf, den Ball hochzuwerfen, erlosch also. Zwecks Einführung des
Energiebegriffs bat ich die Schüler, wieder an ihre Plätze zurückzukehren, und hielt, vom
Tafelbild gestützt, einen Lehrervortrag. Die Elektronen bewegen sich energiereich von der
Batterie zur Lampe, wo die Energie in Licht und Wärme umgewandelt wird. Von dort fließen
die Elektronen energiearm zurück zur Batterie und erhalten erneut Energie …
Analog hierzu stellte ich vor den Platz der ‚Batterie’ einen Beutel voll Bällen, welche die
‚Energie’ darstellten. Die ‚Elektronen’ erhalten von ihr einen Ball, also ‚Energie’, welche sie
bei der ‚Lampe’ abgeben sollen. Die ‚Lampe’ wirft diesen hoch (wandelt diese um =
erleuchtet), legt ihn vor sich in eine Tonne ab und empfängt einen neuen Ball, den sie
hochwirft sowie dann wiederum deponiert. Die ‚Elektronen’ kehren ohne Ball (Energie) von
der ‚Lampe’ zurück zur Batterie (energiearm), wo sie einen neuen Ball (Energie) bekommen
und aufs Neue zur ‚Lampe’ gehen … Die ‚Lampe’ erlischt, wenn der ‚Schalter’ geöffnet wird
und die ‚Elektronen’ stehen bleiben oder die ‚Batterie’ ‚leer’ ist ( = alle Bälle vergeben hat)
und somit die ‚Lampe’ keinen Ball (Energie) mehr zum Hochwerfen (umwandeln) empfängt,
also erlöschen muss.
Die Schüler stellten sich wieder auf. Bevor ich das Zeichen zum Schließen des ‚Schalters’
geben konnte, galt die Aufmerksamkeit zunächst einmal den Bällen, die von einigen Schülern
aus dem Beutel entnommen und durch die Gegend geworfen wurden. Es dauerte etwas, bis
die Schüler davon abließen und die Bälle zurück an ihren Platz legten. Der ‚Schalter’ schloss
sich, die ‚Elektronen’ erhielten Bälle von der ‚Batterie’ und gaben diese bei der ‚Lampe’ ab,
welche diese hochwarf. Etwas Schwierigkeiten bereitete zunächst die jeweilige Ballübergabe:
Sowohl bei der ‚Batterie’ als auch bei der ‚Lampe’ fiel der eine oder andere Ball hinunter, und
auch der Gang auf dem ‚Kabel’ forderte das eine oder andere ‚Elektron’ dazu heraus, mit dem
Ball zu tändeln. Nach einigen Ermahnungen kehrte jedoch Disziplin ein, und der Ablauf
gestaltete sich nachfolgend friktionslos. Als die ‚Batterie’ alle Bälle herausgegeben hatte,
erhielt die ‚Lampe’ keine ‚Energie’ mehr und ‚erlosch’ demzufolge. Ebenso die Energie der
Schüler, sich im Weiteren auf den Unterricht zu konzentrieren, was jedoch nicht der Methode
per se anzulasten ist, sondern den gewöhnlichen Prozess darstellt. Als ich die Schüler
aufforderte, die Bälle zurück in den Beutel zu legen, behielten Özgür und Alex diese in der
Hand und verweigerten die Rückgabe. Es endete in einem Machtkampf und kostete etwas
Mühe, bis ich die Bälle zurückbekam. Darin äußerte sich eine Missachtung meiner Funktion
20
als Respektsperson, mit der ich zu rechnen hatte und gelassen umging. Im Anschluss daran
wurde kurz das Rollenspiel als Methode reflektiert.
6a
Der Unterrichtsversuch fand in dieser Lerngruppe eine Woche später statt, so dass ich
aufgrund der gemachten Erfahrung beschloss, einige kleinere Änderungen vorzunehmen. Ich
unterbrach die theoretische Phase nicht mehr durch das Rollenspiel, sondern führte sogleich
beide Modelle, das Elektronenfluss- sowie das Energiemodell, theoretisch ein. Zwar war mir
bewusst, dass eine Verlängerung der theoretischen Phase den Schülern große Konzentration
und Disziplin abverlangte, doch erschien mir die Reflektierbarkeit der Methode hinsichtlich
einer Verbesserung der Anschaulichkeit als für die Schüler besser nachvollziehbar, zumal
montags in den ersten beiden Stunden eine andere Lernvoraussetzung vorherrscht als nach der
Mittagspause. Ansonsten blieb der Ablauf der Rollenspiele konstant – mit Ausnahme einer
Vorwegnahme einiger Hinweise, die bei der 6b zu Irritationen geführt hatte: Ich verwies im
Vorfeld auf die ‚Kabel’ auf dem Boden und erklärte damit, dass sich die Elektronen im Kabel
befänden und die Schüler sich somit als ‚Elektronen’ auch auf dem Kabel zu bewegen hätten
und nicht daneben. Gleichzeitig erwähnte ich theoretisch die Gleichmäßigkeit des Flusses,
was für das praktische Rollenspiel eben zur Folge hätte, dass niemand ein anderes ‚Elektron’
überholen dürfe, damit die Analogie auch erfüllt sei. Ebenfalls stellte ich klar, dass sich die
Elektronen in annähernd Lichtgeschwindigkeit bewegten und wir das selbstverständlich nur
verlangsamt darstellen könnten. Außerdem erklärte ich ausdrücklich, dass auch die von mir
mitgebrachten Bälle solche Materialien darstellten, mit denen, wie bei den anderen
Experimenten auch, nicht gespielt werde.
Beide Rollenspiele liefen reibungslos ab und bereiteten den Schülern sichtlich Spaß. Sie
hielten sich an die Regeln, so dass ich nicht eingreifen musste und mich auf die
Beobachterrolle resp. die Kontrolle des Ablaufs konzentrieren konnte. In der anschließenden
Reflexion wurde das Rollenspiel einheitlich als Bereicherung betrachtet, worauf ich später
noch genauer eingehen werde.
4.2 Motivation
Bereits bei Ankündigung des Rollenspiels während der Vorstellung des Stundenüberblicks
zeigten sich beide Gruppen neugierig und wollten wissen, was genau wir machen würden,
wohingegen ich sie auf einen späteren Zeitpunkt vertröstete. Ich vermute, dass allein schon
der Inhalt des ‚Spiels’ innerhalb der Begrifflichkeit auf die Schüler animierend wirkt. Mit
‚Spiel’ wird von ihnen gemeinhin ‚Spaß’ assoziiert. Hinzu kommt der exzeptionelle Charakter
21
dieser Methode im Physikunterricht – möglicherweise ist ihnen das Rollenspiel aus anderen
Unterrichtsfächern zwar nicht fremd, doch im Rahmen einer Naturwissenschaft für sie neu
und gerade damit interessant. Auch das auf den Boden geklebte ‚Kabel’ weckte ihre
Wissbegierde hinsichtlich des Vorhabens. Generell war eine große Gespanntheit auf das
angekündigte Rollenspiel zu registrieren.
6b
In dieser Lerngruppe bestand eine ungewöhnlich hohe Bereitschaft zur Mitarbeit im Rahmen
des Rollenspiels. Schnell wurden die Rollen übernommen, und mit sichtlichem Gefallen
spielte sie den Stromkreis nach. Es erhob sich während beider praktischer Arbeitsphasen nicht
eine einzige Klage darüber, das Rollenspiel sei ‚langweilig’ oder ‚unverständlich’. Der Eifer
war nach Beendigung eines Rollenspiels so groß, dass explizit eine Wiederholung
eingefordert wurde. Sogar Mehmet, Özgür, Talha und Alex waren mit motiviert bei der
Arbeit, und auch Sabrina, die oft von mir animiert werden muss, übernahm freiwillig die
Rolle der ‚Batterie’. Belegbar ist mein Eindruck ihres Behagens an der Methode anhand der
freudigen Gesichter auf den Fotos (siehe Anhang). Im Gegensatz hierzu sei auf die
Physiognomien während der theoretischen Phase hingewiesen (siehe Anhang).
In der mündlichen Reflexion am Ende der Stunde fragte ich danach, wie den Schülern das
Rollenspiel gefallen habe. Hier jedoch erwies sich mein ursprünglicher Eindruck indessen als
verkehrt: Es kamen von den Jungen Aussagen wie „scheiße“ oder „blöd“. Hierbei erkenne ich
gleichwohl nicht zuletzt den Wunsch, unterrichtsfern vor den anderen ‚cool’ zu wirken und
somit eine mögliche Unehrlichkeit in Sachen ihrer ansonsten unübersehbaren Zustimmung
und Motivation dem Spiel gegenüber.
6a
Die Motivation spiegelte sich in dieser Lerngruppe in ähnlicher Weise wider wie in der 6b.
Auch hier wurden sofort alle Rollen vergeben, und es bereitete den Schülern sichtlich Freude,
einen Stromkreis nachzuspielen, und ebenso hier beteiligten sich sonst schwache oder zu
ruhige Schüler wie Ahmet, Marcel, Josi, Jeanette und Merihvan aktiv. Auch in diesem Kurs
wurden Wiederholungen der jeweiligen Rollenspiele eingefordert.
Bei der Abschlussrunde äußerten sich sämtliche Schüler positiv über die Methode und
meinten, sie würden gern wieder in dieser Form lernen.
4.3 Anschaulichkeit
Die Anschaulichkeit nun zu belegen gestaltet sich schwierig. Zunächst einmal spricht die
Methode an sich für deren Steigerung. Durch das Nachspielen entstehen bei den Schülern
22
gelebte, innere Bilder als intrapsychische Repräsentationen, verknüpft mit Gefühlen, welche
in jedem Fall im Unterbewusstsein gespeichert werden. Diese sind laut den Erkenntnissen der
Psychologie besser abrufbar, da eben mit auch persönlichen, möglichst positiven Aspekten
besetzt, als abgespeicherte Theorien, zumal wenn diese mit negativen Emotionen assoziiert
sind, was gemäß unserer Eingangsbemerkung ja für den Physikunterricht durchgängig zu
gelten scheint.
Ein weiterer Aspekt, welcher für eine verbesserte Anschaulichkeit spricht, sind die
Rückmeldungen der Schüler. Im Rahmen der ersten schriftlichen Rückmeldung direkt am
Anschluss des Unterrichtsversuchs gaben 65 % der Beteiligten an, dass ihnen das Rollenspiel
bei der Erfassung des Modells über den elektrischen Stromkreis geholfen habe (siehe
Anhang).32 Hierbei äußern die Schüler überwiegend, dass sie es besser rezipiert und durch das
Nachspielen besser verstanden hätten. 20 % (siehe Anhang) gaben an, dass sie es bereits
während der theoretischen Behandlung an der Tafel verstanden und das Spiel ihnen nur wenig
bis gar nicht geholfen hätte. Nur 15 % bewerteten das Rollenspiel als nicht hilfreich. Zwei
Bögen können nicht gewertet werden, da die Antworten keinerlei Bezug auf die Fragen
erkennen lassen.
Ein starker Indikator, welcher diese Schlussfolgerung stützt, sind die Schüleräußerungen des
letzten Feedbackbogens, der sechs Wochen später von den Schülern ausgefüllt wurde. Alle
Befragten, also 100 %, erinnerten sich über das Rollenspiel an das Modell des elektrischen
Stromkreises. Viele beschrieben sogar bereits bei Frage 1 das Gelernte mithilfe des
Rollenspiels (siehe Anhang). Hingegen verwies nicht ein einziger Schüler auf das Modell an
der Tafel, was bei der ersten Befragung noch der Fall gewesen war.
Diese Ergebnisse sprechen insbesondere für ein Lernen im angestrebten Bezugsrahmen der
Nachhaltigkeit durch das Rollenspiel.
4.4 Lernziele
Eine Überprüfung der Lernziele erfolgt anhand einer Auflistung von Punkten, die speziell für
eine Untersuchung der Methode des Rollenspiels von Relevanz ist. Ich unterscheide hier
zwischen ‚voll erfüllt’, ‚zum Teil erfüllt’ und ‚nicht erfüllt’, wobei ‚zum Teil erfüllt’ und
‚nicht erfüllt’ auch die Folge von Formulierungsschwäche oder mangelnder Motivation
hinsichtlich des Ausfüllens des Feedbackbogens sein können. An dieser Stelle ein eindeutiges
Ergebnis zu präsentieren, ist mir somit nicht möglich. Des Weiteren ist nicht geklärt, wie die 32 Die Belege können lediglich auszugsweise benannt werden, da aufgrund der als Vorschrift geltenden Begrenzung der Seitenzahl dieser Arbeit nicht sämtliche Feedbackbögen beigelegt werden können.
23
Lernleistung ohne das Rollenspiel ausgefallen wäre. Ausgewertet wurden 20
Beantwortungen.
Die Schüler kennen das Modell des Elektronenflusses in einem elektrischen Stromkreis
Voll erfüllt: 25 %
Zum Teil erfüllt: 40 %
Nicht erfüllt: 35 %
Hierbei geben die meisten Schüler an, dass Elektronen im Stromkreis fließen, wobei auch
andere Formulierungen für ‚fließen’ gebraucht werden (z. B. ‚laufen’). Einige Schüler
bezeichnen die Elektronen auch als ‚Minus-Teilchen’. Ein Viertel nimmt Bezug auf die
Richtung vom Minus- zum Plus-Pol der Batterie. 35 % Prozent erwähnen die Elektronen in
keiner Weise, wobei einige schildern, dass der Lauf des Stroms ‚von – nach +’ gehe.
Die Schüler kennen das Modell der Energieübertragung
Voll erfüllt: 15 %
Zum Teil erfüllt: 45 %
Nicht erfüllt: 40 %
Die meisten Schüler, die den Energiebegriff in ihrem Feedback anführen, lassen sich über
eine Versorgung der Lampe mit Energie aus, wenn auch meist anders formuliert. Nur
vereinzelt wird eine Übertragung der Energie durch die Elektronen benannt. Zumeist werden
diese somit in ihrer Funktion als Energieträger beiseite gelassen und der Energiebegriff allein
stehend genannt. Von verhältnismäßig vielen Schülern wird die Bedeutung der Energie
gänzlich außer Acht gelassen.
Die Schüler wissen, dass Strom nicht verbraucht, sondern Energie umgewandelt wird
Voll erfüllt: 5 %
Zum Teil erfüllt: 0 %
Nicht erfüllt: 95 %
In der gewünschten Form hat lediglich einer der Schüler geantwortet (siehe Anhang).
Sämtliche weiteren Aussagen enthalten keine Informationen über diesen Vorgang.
24
Insgesamt gesehen also ein ernüchterndes Ergebnis. Allerdings muss konzediert werden, dass
die Fragestellung sehr offen gehalten war. Im Nachhinein betrachtet würde ich bei einer
zukünftigen Erhebung der Schülervorstellungen gezieltere Fragen stellen, welche genauer
erkennen ließen, was die Schüler an Lernfortschritten erzielten hätten. Es kann davon
ausgegangen werden, dass die Schüler bei spezielleren Fragen auch expliziter geantwortet
hätten. So bleibt die Frage offen, ob die Schüler Nichterwähntes auch tatsächlich nicht wissen
oder lediglich nur nicht geschrieben haben.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf Ahmets Rückmeldung eingehen (siehe Anhang):
Dieser Schüler gehört zu den leistungsschwächsten und hat normalerweise starke Probleme,
dem Unterricht zu folgen. Ahmet benennt beide Pole der Batterie, erkennt, dass sich der
Prozess im Inneren des Kabels abspielt (modellhaftes Denken), und beschreibt die Elektronen
als bewegliche Energieträger, welche von der Batterie zur Lampe gelangten. Nach Ankunft
der Energie bei der Lampe leuchtet laut Ahmet die Lampe. Er erkennt das Elektron somit als
Energieversorger und beschreibt das Rollenspiel analog richtig. Zumindest Ahmet hat mithin
nachweislich einen erheblichen Lernzuwachs erzielt. Aufgrund dessen sei an dieser Stelle in
Frage gestellt, ob die Angaben der anderen, ansonsten leistungsstärkeren Schüler, in Hinsicht
auf ihren tatsächlichen fachlichen Lernzuwachs aussagekräftig sind.
Was ebenfalls einen Grund für die fehlenden fachlichen Angaben abgeben könnte, ist das
Versäumnis einer Wiederholung, welche aus zeitlichen Gründen aufgrund des Kurswechsels
nicht mehr stattfinden konnte. Daraus könnte eine kognitive Überforderung resultiert haben,
welche eine konkrete Abrufung der Lehrinhalte nach mehreren Wochen verhinderte. Auch
hier bleibt die Frage offen, inwieweit bei einer angemessenen Repetition und Fortführung des
Themas das Wissen gefestigt und somit im Sinne des Nachhaltigkeitskriteriums langfristig
ergiebiger gewesen wäre.
Insgesamt gesehen lässt die Erhebung selbst unter oben stehenden Bedingungen auch nach
mehreren Wochen eine substanzielle Modifikation der anfangs abgefragten
Schülervorstellungen in Richtung auf die vorherrschenden physikalischen Erklärungen
erkennen. Ebenso wurde bei den Schülern ein korrespondierend modellhaftes Denken als ein
erster Schritt zur kognitiven Erfassung abstrakterer Verhältnisse gefördert, wie es gerade für
zu diesem Lebenszeitpunkt entscheidend ist: „Im Alter von 7-8 bis 11-12 Jahren organisieren
sich die ‚konkreten Operationen’, d. h. die operativen Gruppierungen des Denkens, die sich
auf Gegenstände, die man wirklich handhaben oder anschaulich erfassen kann, beziehen. Von
11-12 Jahren an und während des ganzen Jugendalters wird endlich das formale Denken
ausgearbeitet, dessen Gruppierungen für die vollkommen entwickelte gedankliche Intelligenz
25
charakteristisch sind.“33 Beides wurde durch das Rollenspiel begünstigt, das somit als ein
guter, aber dennoch ausbaufähiger Anfang gewertet werden kann.
Die Schüler halten sich an die Rollenanweisung
Dieses Lernziel wurde größtenteils von den Schülern erreicht. Anfängliche Unstimmigkeiten,
wie zum Beispiel jenes Überholen der ‚Elektronen’ oder das deplatzierte Zuwerfen von
Bällen während des Rollenspiels sind auf Irritationen zurückzuführen, welche durch eine
unzureichende Beschreibung seitens des Lehrers evoziert wurden. Ein Zeichen hierfür ist die
weitaus besser verlaufene Durchführung in der zweiten Lerngruppe, da der Lehrer die
Anweisungen im Vorfeld präzisiert hatte.
Die Schüler gehen diszipliniert mit den Materialien um
Mit Ausnahme der Eskalation bei der Ballrückgabe durch Özgür und Alex wurde angemessen
mit den Materialien umgegangen, wobei selbstkritisch anzumerken ist, dass die meinerseits
mitgebrachten Behältnisse sich insofern als zu klein herausstellten, da viele Schüler jede
Gelegenheit wahrnahmen, etwa mit wieder herausspringenden Bällen zu tändeln.
Die Schüler arbeiten in einer Großgruppe und schließen niemanden aus
Dies wurde von beiden Lerngruppen voll erfüllt. Im Nachhinein eine Überraschung, da es bei
der Bildung von Kleingruppen für die Experimentierphasen immer wieder zu Diskrepanzen
kommt. Oft scheint es den Schülern unmöglich, auch nur mit einigen ihrer Mitschüler
zusammenzuarbeiten. Dieses Problem trat jedoch innerhalb des Rollenspiels komplett in den
Hintergrund. Jeder Schüler war beteiligt, und niemand wurde von anderen ausgeschlossen.
5. Fazit und Ausblick
Aufgrund der Erfahrungen, welche ich anhand der Durchführung dieses Unterrichtsversuchs
machte, halte ich den Einsatz des Rollenspiels im Physikunterricht für sinnvoll, da ich es als
gewinnbringende Ergänzung und Untermauerung einer Modelltheorie erachte. Ich gehe davon
aus, dass unter Behebung der in der selbstkritischen Reflexion dieser Arbeit beschriebenen
Mängel, wie zum Beispiel die fehlende Zeit zur Wiederholung und Vertiefung der
Lerninhalte, eine gespielte Analogie für die Schüler als Erinnerungsstütze sehr hilfreich sein
und somit zu einer besseren Basis der anstehenden Weiterarbeit führen kann.
33 Zitier nach Jean Piaget: Psychologie der Intelligenz, Walter-Verlag, Olten 1971, S. 140.
26
Insbesondere bei generell unkonzentrierten Gruppen mit nur in geringem Ausmaße gegebener
intrinsischer Lernmotivation ist diese Methode als Chance zu betrachten, ‚trockene’ und
unanschauliche Modelltheorie in den Köpfen der Schüler lebendig, d. h. nicht zuletzt sinnlich
erfahrbar und bereits von daher später besser abrufbar werden zu lassen.
Bei leistungsstärkeren Gruppen bieten Rollenspiele im Physikunterricht einen hervorragenden
Anlass zur Diskussion, in deren Rahmen dann gemeinsam fachliche Schwächen innerhalb der
Darstellung herausgearbeitet werden können.
In jedem Fall ist die Methode mehr als lediglich ‚alberne Spielerei’ und hat es verdient, als
Methode i. S. eines den Erkenntnisvorgang unterstützendes Lerninstruments ernst genommen,
diskutiert und erprobt, aber auch stets kritisch reflektiert und modifiziert zu werden.
27
6. Literaturverzeichnis
Aebli, Hans: Zwölf Grundformen des Lehrens, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1983 Aebli, Hans: Grundlagen des Lehrens, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1987 Dussler, Georg: Spiel und Spielzeug im Physikunterricht, Otto Salle Verlag, Frankfurt 1933 Gudjons, Herbert: Handlungsorientiert lehren und lernen, Julius Klinkhardt Verlag, Bad
Heilbrunn 2001 Hamburger Rahmenplan für die Naturwissenschaften / Technik für die Haupt- und Realschule Heintel, Peter: Modellbildung in der Fachdidaktik, Franz Deuticke Verlagsgesellschaft m. b .
H., Wien 1986 Heissmann, Nicole: Physik im Turbogang, in: Der Stern vom 12.05.2004 Kircher, Ernst, und Schneider, Werner B. (Hrsg.): Physikdidaktik: Eine Einführung in Theorie
und Praxis, Vieweg Verlag, Braunschweig 2000 Kircher, Ernst, und Girwids, Raimund, und Häußler, Peter (Hrsg.): Physikdidaktik: Eine
Einführung, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 2001, 2. Auflage Labudde, Peter: Konstruktivismus im Physikunterricht der Sekundarstufe II, Haupt-Verlag,
Bern 1952 Muckenfuß, Heinz: Lernen im sinnstiftenden Kontext. Entwurf einer zeitgemäßen Didaktik
des Physikunterrichts, Cornelsen Verlag, Berlin 1995 Nickel, Horst: Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters, Verlag Hans Huber,
Bern / Stuttgart / Wien 1975 Piaget, Jean: Psychologie der Intelligenz, Walter-Verlag, Olten 1971 Piaget, Jean: Theorien und Methoden der modernen Erziehung, Fischer Taschenbuch Verlag,
Frankfurt am Main 1974 Schaller, Roger: Das große Rollenspiel-Buch, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2001 Schürmann, Hans Werner: Theoriebildung und Modellbildung, Akademische
Verlagsgesellschaft, Wiesbaden 1977 Warm, Ute: Rollenspiel in der Schule, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1981 Willer, Jörg: Didaktik des Physikunterrichts, Wissenschaftlicher Verlag Harri Deutsch
GmbH, Frankfurt am Main 2003 Wodzinsky, Rita: Mädchen im Physikunterricht, in: Kircher, Ernst, und Schneider, Werner B.
(Hrsg.): Physikdidaktik in der Praxis, Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 2002 http://physik.tu-berlin.de/-chris/ALU/kriterien.html
28
Ich versichere, dass ich diese Arbeit ohne fremde Hilfe verfasst und mich dabei anderer als
der angegebenen Hilfsmittel nicht bedient habe.
Mit einer späteren Ausleihe der Arbeit bin ich einverstanden.
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50