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J unge_Kunst 89 #89 HEFT NR. 04/2011 *KUNST UND GESELLSCHAFT *KÜNSTLER EROBERN DEN STADTRAUM INTERAKTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM VERÄNDERN SICHTWEISEN. *KUNST UND GESELLSCHAFT WELCHE KUNST? WELCHE GESELLSCHAFT? *HANDELN UND GESTALTEN IN SOZIALER VERANTWORTUNG DIE MONTAG STIFTUNG KUNST UND GESELLSCHAFT *AUSSERDEM: INTERVIEWS MIT KÜNSTLERN, GALERISTEN, SAMMLERN & KURATOREN, BERICHTE ZUM KUNSTMARKT & AUSSTELLUNGEN, KÜNSTLERPORTRAITS, PRAXISTIPPS FÜR KÜNSTLER & SAMMLER, LITERATUR, AKTUELLE AUSSCHREIBUNGEN FÜR KÜNSTLER, LINKS & KONTAKTE

Rollin Beamish has Mayor Article and Cover Page in Art Magazin

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"Junge Kunst Nr.: 89"

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Junge_Kunst89

#89 HEFT NR. 04/2011 *KUNST UND GESELLSCHAFT *KÜNSTLER EROBERN DEN STADTRAUMINTERAKTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM VERÄNDERN SICHTWEISEN. *KUNST UND GESELLSCHAFT WELCHE KUNST? WELCHE

GESELLSCHAFT? *HANDELN UND GESTALTEN IN SOZIALER VERANTWORTUNG DIE MONTAG STIFTUNG

KUNST UND GESELLSCHAFT

*AUSSERDEM: INTERVIEWS MIT KÜNSTLERN, GALERISTEN, SAMMLERN & KURATOREN, BERICHTE ZUM KUNSTMARKT & AUSSTELLUNGEN,

KÜNSTLERPORTRAITS, PRAXISTIPPS FÜR KÜNSTLER & SAMMLER, LITERATUR, AKTUELLE AUSSCHREIBUNGEN FÜR KÜNSTLER, LINKS & KONTAKTE

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TEXT: PETER LODERMEYER BILD: ROLLIN BEAMISH, "POSTHUMAN (FAITH)", 2011, GRAPHIT AUF PAPIER, 76 X 56 CM. FOTO: © COURTESY GREUSSLICH CONTEMPORARY, BERLIN

KUNST UND GESELLSCWELCHE KUNT, •.

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PETER LODERMEYER

MARKTPLATZ_KUNST UNO GESELLSCHAFT

»HILFLOSIGKEIT UND LÄHMUNG ANGESICHTS DER VON DERPOLITIK KAUM NOCH STEUERBAREN IMMANENTEN WIDERSPRÜCHE DER GLOBALISIERTEN WESTLICHEN KULTUR IST EINGENERATIONSGEFÜHL, DAS SICH UNVERMEIDLICH AUCH AUF DIE KUNST AUSWIRKT.«

Eine der erstaunlichsten Vorstellungen der Modernebestand darin, zu glauben, man könne die Gesellschaft nachMaßgabe künstlerischer Ideale formen und neu gestalten. Diesozialen, wirtschaftlichen und kulturellen lebensverhältnissesollten umgestürzt und wie eine gigantische Skulptur nachästhetischen Gesichtspunkten neu geordnet werden. Dass aus-gerechnet die Künste, die seit Jahrhunderten die Stätten gesell-schaftlicher Macht - Kirchen, Klöster, Paläste, Rathäuser,Bürgervillen - gebaut, geschmückt und ausgestattet hatten, nundafür sorgen sollten, die Herrschaftsverhältnisse umzuwerfen,gehört zu den Überraschungsmomenten der künstlerischenModerne. "Eine endlich bewohnbare Welt" zu schaffen, wie derSurrealisten-Papst Andre Breton das utopische Projektbeschrieb, ist den Künstlern bekanntlich nicht gelungen. [osephBeuys war, nach der Katastrophe von Zweitem Weltkrieg undHolocaust, der wohl letzte "Avantgardist nach dem Ende derAvantgarden", wie ihn der Literaturwissenschaftler PeterBürger nannte, ein Don Quijote der Kunst-Utopie, der unbeirrtdie vollständige Verwandlung der Gesellschaft durch Kunstanstrebte. Sein konkretester politischer Schritt war seinEngagement für die Partei der Grünen, deren Gründungsmit-glied und Vordenker er war. Dass von Beuys' utopischenHoffnungen nicht viel übriggeblieben ist, verwundert nicht.Schaut man in das aktuelleWahlprogramm der Grünen, so fin-det sich unter dem Stichwort Kunst immerhin die Formulie-rung: "Insofern sind Kultur und Kunst hochpolitisch undgeben wichtige Impulse für die Entwicklung des politischenDenkens und Handelns und für die Selbstverständigung einerGesellschaft" - von Beuys' Idee einer "sozialen Plastik" undseinen anthroposophisch inspirierten Vorschlägenzur Dreiglie-derung der Gesellschaft ist freilich nirgends die Rede.

GIBT ES NACH BEUYS NOCH EINE POLITISCHERELEVANZ IN DER KUNST?Beuys starb 1986, mitten im "postmodernen" Jahrzehnt, andessen Ende zudem der Zusammenbruch des sozialistischenGesellschaftsmodells stand. Das Ende der Moderne als

ABB. S. 32 .posthurnan (Stalker)", 2011, Graphit auf Papier, 76 x 56 cm. ©Courtesy Greusslich Contemporary, Berlin

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Kraftzentrum gesellschaftlicher Utopien und das totaleScheitern des real existierenden Sozialismus als Gegenmodellzum kapitalistischen Westen haben der Kunst, so scheint es,noch den letzten gesellschaftskritischen Stachel gezogen. Dasbedeutet nicht, dass man nicht doch gelege11tlich wieder radi-kale, umstürzlerische Kunst-Parolen hört, doch weisen dieseheute einen (typisch postmodernen) Zitat charakter auf undmachen aus ehemals todernst gemeinten Ideen ein theatrali-sches Remake. Das bekannteste Beispiel dafür sind sicherJonathan Meeses manifestartige Proklamationen. Wenn Meesedie "Diktatur der Kunst" ausruft und prophezeit: "AllePolitiker werden abdanken. Sie werden in Liebe und in Demutabdanken und der Kunst die Macht schenken - und dann wirdim Parlament, im Reichstag in Berlin die Diktatur der Kunstausgerufen sein und dann wird die Kunst regieren - ohneMenschen", so wird deutlich, dass er zwar eine avantgardisti-sche Revolutionsattitüde zitiert, sie aber rhetorisch so radikali-siert, dass sie ins Absurde (und damit ins Folgenlose) kippt. Esbesteht wohl kein Zweifel daran, dass es Beuys mit der gesell-schaftlichen Relevanz seines "erweiterten Kunstbegriffs" abso-lut ernst war. Sollte auch Jonathan Messe mit seiner "Diktaturder Kunst" tatsächlich meinen, was er sagt, so müsste man sichdoch eher Sorgen um den Künstler machen.

Im Grunde berührt sich Meeses Zitieren avantgardistisch-revolutionärer Haltungen mit der seit Jahren zu beobachten-den Retro- Welle, die zahlreiche künstlerische und kulturelleBereiche prägt. Ist es nicht ein merkwürdiges und nachDeutung verlangendes Phänomen, dass zahlreiche jungeMenschen sich für Kleidung, Musik und Design interessieren,worin die Geschmackskultur aus der Jugendzeit ihrer Elternzitiert wird? Der Retro-Kult hat uns Nostalgie-Radios beschert,Toaster im 50er-Jahre-Look, Tapeten mit psychedelischenMustern; und selbst die einst gehasste, dickrandige Hornbrilleist, leicht veredelt, als "Nerd-Brille" zurückgekehrt. Dazukommt noch die Neigung der Filmindustrie, immer weiterNeuauflagen und Remakes älterer Filme zu präsentieren,

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während die Popmusik unermüdlich Cover-Versionen ältererErfolgstitel auf den Markt wirft - meist mit dem Ergebnis, dassdie schneidende Schärfe, die provokative Kraft des Originalseinem weichgespülten Zitatsound weicht: Man höre nur aufYouTube, wie der einstige Hollywood-Kinderstar Miley Cyrusden Nirvana-Song "Smells like teen spirit" singt.

ES FEHLEN DIE UTOPIENSelbstverständlich macht die Retro- Welle nicht vor der bilden-den Kunst halt. Wer kennt als Kunstmessen-Besucher nicht dieErfahrung des Deja-vu? Neo-Informel oder Neo-Pop Art wer-den mit aller Selbstverständlichkeit präsentiert, GerhardRichter-Imitatoren sind zahlreich vertreten, Abstraktion istwieder angesagt, auch wenn oder gerade weil niemand fragt,wovon denn überhaupt abstrahiert wird und warum.Alexander Müller fragte zuletzt besorgt in der FAZ: "Wiekommt es, dass gerade jetzt in nahezu allen Lebensbereichenkalter Kaffee wieder aufgebrüht wird?" und konstatierte: Retro"ist ein hilfloser, selbstreferentieller und schwachbrüstigerVersuch, sich gegen den rasenden Stillstand der Gesellschaft zusträuben, der alles lähmt und nicht zu bremsen ist. Wo dieUtopien für morgen fehlen, stehen die Zeichen auf Rückzug. "

Daher rührt also die Zukunftsvergessenheit unserer gegen-wartsfixierten Kultur, denn direkt hinter dem Horizont derGegenwart lauern unlösbare Probleme und fundamentaleKrisen: gigantische Staatsverschuldung in praktisch allen ent-wickelten Ländern, drohende Staatsbankrotte, die irreversibleErschöpfung der fossilen Brennstoffe, rasant fortschreitendeökologische Schäden, um nur einige wenige zu nennen.Hilflosigkeit und Lähmung angesichts der von der Politikkaum noch steuerbaren immanenten Widersprüche der globa-lisierten westlichen Kultur ist ein Generationsgefühl, das sichunvermeidlich auch auf die Kunst auswirkt. Dazu kommt diein den letzten Jahren rasant fortgeschrittene Kommerzialisie-rung des Kunstbetriebs, ihr Arrangement mit den Spielregelndes Kapitalismus.

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Nicht wenige Künstler ziehen daraus die Konsequenz, sichmit ihrer Kunst ganz auf die Seite der ökonomischenGewinner zu stellen und eine entsprechende Ästhetik zu ent-wickeln, die soziales Prestige verheißt. Am Beispiel vonAndreas Gursky hat etwa der Kunsthistoriker WolfgangUllrich im "Merkur" vom Juni 2009 beschrieben, was er die"Kunst der Sieger" nennt, und darauf hingewiesen, dass derDüsseldorfer Foto-Künstler "auch VIPs und Superreiche unterseinen Kunden hat, die sich sonst nicht sehr für Kunst inter-essieren, die aber ein Organ haben für den Überlegen-heitsgestus der Bilder: Madonna, Hugh Grant, Tom Ford, [eanTodt oder Michael Schumacher." Anhand der Analyse vonGurskys Foto des Gefangnisses in Stateville, Illinois, von2002 kommt Ullrich zu der Schlussfolgerung, dass Gursky"zu den ersten Künstlern gehört, die Bilder machen, welchevon vornherein den Erwartungen einer VIP-Gesellschaft ent-sprechen. "

ASS. S. 34: "posthuman (unidentified, Abbottabad, 2011)", 2011, Graphit aufPapier, 76 x 56 cm. © Courtesy Greusslich Contemporary, Berlin

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IST EINE GESELLSCHAFTSKRITISCHE INTENTION INDER JUNGEN KUNST GEFRAGT?Es ist kein leichter Stand heute für junge Künstler. Vor kurzemstellte mir ein befreundeter, schon etablierter Bildhauer dieFrage: Was soll man den Kunststudenten denn beibringen:sich marktstrategisch zu verhalten und den Galeristen undSammlern zu liefern, was sie haben wollen - oder aber,künstlerisch integer zu arbeiten, mit der Aussicht, womög-lich von Hartz IV leben zu müssen' Und überhaupt: Was sol-len die Maßstäbe für integres künstlerisches Schaffen sein,wenn der Kunstbegriff bis zur Beliebigkeit erweitert wurde?

Nichtsdestotrotz gibt es junge Künstler, die ihre Arbeitganz dezidiert als gesellschaftskritisch ansehen und ihreMotivation aus einem Unbehagen an der globalenPostmoderne beziehen. Die Arbeiten des Amerikaners RollinBeamish sind ein Beispiel, an dem man zugleich sehen kann,dass es für eine heutige Gesellschaftskritik nicht genügenkann, einfach politische Überzeugungen zum Ausdruck zubringen. Eine komplexe Situation wie die politisch-kulturel-le Lage der Gegenwart erfordert komplexe künstlerischeStrategien. Der Titel der jüngsten Zeichnungs-Serie vonRollin Beamish lautet "post human".

Üblicherweise versteht man unter Posthumanismus dieReflexion auf den Zustand nach dem Menschen, wie wir ihnheute kennen, sei es durch genetische Veränderungen, tech-nische Manipulationen, Neuro-Enhancer usw. Das ist hieroffensichtlich nicht gemeint. Beamish findet seine Motivemeist im Internet, dem ultimativen Bildarchiv derGegenwart. Für "post human" kombiniert er "Porträts" vonFilmfiguren (aus Andrei Tarkowskis "Stalker", David Lynchs"Mulholland Drive" und Terry Gilliams "Brazil ") mit Bildernanonymer Erschossener aus dem Bürgerkrieg in Lybien undder Erstürmung des Hauses von Osama bin Laden im paki-stanischen Abbottabad durch amerikanische Elitetruppen.

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Zunächst fragt sich der Künstler, was passiert, wenn die digi-talen Bilder in einem geradezu hyperrealistischen Stil in dasMedium der Handzeichnung übersetzt werden (wobeiBeamish übrigens völlig freihändig, ohne Projektion odertechnische Bildübertragung, zeichnet). Interessant ist derBlick der Porträtfiguren; insbesondere im Fall von "posthuman (Sam Lowry)" wird deutlich, dass das leicht unter-sichtige, ins Halbprofil gedrehte Gesicht mit dem ernstenBlick in die Ferne ein Klischee der totalitären Modernezitiert, den Blick in die Zukunft, wie er auf zahllosen Fotos,Filmen und Propagandaplakaten zu sehen ist, gleichgültig obsowjetischer, nationalsozialistischer oder maoistischerProvenienz. Wenn man den Film "Brazil" kennt, dem dasMotiv entstammt, weiß man, dass dieser Blick in eine utopi-sche Welt das Wahnprodukt der von Folterungen zerrüttetenHauptfigur Sam Lowry ist.

POST-HUMANISM - WAS KOMMT NACH UNS?Es kann hier nicht all den komplizierten Fragen nach denFilmzitaten und dem Zusammenhang mit den medialenBildern von Opfern militärischer Gewalt oder den Transfor-mationen von Fotografie in Zeichnung nachgegangen werden.Zwei Hinweise zum Posthumanismus sollen genügen. Wennder Philosoph Peter Sloterdijk Recht hat mit seinerBehauptung, dass unsere gegenwärtigen Gesellschaften imWesentlichen nur noch durch die Massenmedien zusammen-gehalten und integriert werden als .Erregungsgememschaf-ten" , dann bedeutet dies, dass das Zeitalter des Humanismus,das medial durch die Buchkultur, durch das Lesen bedeutsa-mer Texte geprägt war, mit der Ära des Internets und der digi-talen Massenmedien zu Ende gegangen ist. Posthumanismus

ASS. S. 35: .posthuman (Sam Lowry)", 2011, Graphit auf Papier, 76 x 56 cm ©Courtesy Greusslich Contemporary, Berlin

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bedeutet bei Beamish aber auch, mittels der künstlerischenAufarbeitung massenmedial erzeugter und digital archivierterBilder darüber nachzudenken, was "nach uns", d. h., nachdem kommen wird, was wir als unsere politisch-kulturell-wirtschaftliche Gegenwart kennen, und die sich, wie immerdeutlicher wird, in naher Zukunft dramatisch verändern wird.Dass wir solchen schwierigen Fragen gerne ausweichen undimmer ins Naheliegende flüchten, ist in Beamishs Arbeit iro-nisch eingearbeitet: Auf dem letzten Blatt der Serie sieht maneine zerbröckelnde Mauer, in die zwei Schriftzeilen eingraviertsind: "I should maybe do some laundry before I investigatepost-humanism" .

INFORMATIONEN

www.rollinbeamish.com. Beamish wird vertreten von der Berliner GalerieGreusslich Contemporary: www.greusslich-contemporary.de

PETER LODERMEYER

Prom. Kunsthistoriker, Kunstkritiker und freier Autor, Bonn.

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