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1 Räuber und Beute - Die ökologische Bedeutung der Beutegreifer im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen Räuber-Beute-Beziehung - wer reguliert wen? W. ARNOLD Autor: Univ.Prof. Dr. Walter ARNOLD, Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie, Veterinärmedizinische Universität, Savoyenstraße 1, A-1160 WIEN Höhere Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Landwirtschaft, A-8952 Irdning 13. Österreichische Jägertagung, 13. und 14. Februar 2007 Seit Jahrzehnten gehen die Niederwild- besätze zurück, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Mitteleuropa. Demgegenüber stehen drastisch anstei- gende Jagdstrecken bei Beutegreifern wie Fuchs oder Steinmarder. Was liegt näher, als hier eine ursächliche Bezie- hung anzunehmen? Ohne Zweifel be- gnügen sich Beutegreifer nicht nur mit Mäusen und anderen jagdlich uninteres- santen Arten, sondern verschmähen auch jagdbare Wildarten nicht. Traditionell sahen Jäger deshalb in Beutegreifern in erster Linie Schädlinge, die den Jagder- folg schmälerten. Der hohe Verfolgungs- druck auf die missliebigen Konkurren- ten der Jagd war maßgeblich für das Verschwinden von Bär, Luchs oder Wolf aus Mitteleuropa verantwortlich und brachte andere Arten an den Rand des Aussterbens. Dennoch gab es damals wohl kaum jemanden, der dies als Scha- den empfunden hätte. Denn nicht nur Jäger zeigten wenig Sympathie für die Beutegreifer. Eine Bevölkerung, die überwiegend von der Landwirtschaft leb- te, hatte höchstes Interesse daran, die Verluste an Nutztieren hintan zu halten. Zu existentiell war die Bedrohung, die von den Raubtieren für den Viehbestand ausging. Wie tief die alten Vorbehalte sitzen, zeigt der Sprachgebrauch, wenn Jäger auch heute noch „Raubzeug bekämpfen“, wenn sie Fuchs und Marder bejagen. Obwohl die Jäger die immense Bedeu- tung der Lebensraumerhaltung für das Wild längst erkannt haben und sich hier mit großem Einsatz engagieren, betrach- ten viele die konsequente Dezimierung der Beutegreifer immer noch als wichti- gere, unverzichtbare Maßnahme zur Verbesserung der Niederwildsituation. Demgegenüber steht eine, in weiten Tei- len jagdkritische Öffentlichkeit, die mit manchmal bemerkenswerter Naivität glaubt, man müsse die Natur nur sich selbst überlassen, dann würde sich schon alles richten. Auch diese Auffassung ist aus historischer Sicht durchaus verständ- lich. Der Naturschutz wurde zur gesell- schaftlich akzeptierten und bedeutenden Bewegung als unübersehbar wurde, dass der wissenschaftlich-technische Fort- schritt, das Bevölkerungswachstum und moderne landwirtschaftliche Produkti- onsmethoden in immer rasanterem Maße Natur vernichteten. „Verzicht auf Ein- griffe und wirtschaftliche Nutzung durch den Menschen“, so einfach schien die beste Regel zu lauten, mit der sich die noch verbliebenen Reste intakter Natur bewahren ließen. Dabei sind selbst die riesigen Wildnisreservate Nordamerikas und Afrikas oft nicht groß genug, damit die Selbstregulationskräfte der Natur auch greifen. In Mitteleuropa sind die Wildtierlebensräume mitten in einer in- tensiv genutzten Kulturlandschaft, in der ohne regulierende Eingriffe des Men- schen wirkungsvoller Naturschutz un- möglich ist. Selbstverständlich braucht die Natur weder die Jäger, noch die Na- turschützer, noch den Menschen über- haupt. Ob das was dabei herauskommt, wenn wir die Natur bei uns nur sich selbst überlassen allerdings das ist was wir er- reichen wollten, darf bezweifelt werden. Seltsamerweise wird in diesem Zusam- menhang die Notwendigkeit der Regu- lation von Schalenwildbeständen so gut wie nie bestritten; ja im Gegenteil - oft wird den Jägern vorgeworfen, hier zu- wenig engagiert zu sein. Bei den Beute- greifern verlässt man im traditionellen Naturschutz dagegen nur ungern das Prinzip der Schonung von Tieren vor direkter Verfolgung durch den Men- schen, das ja in der Tat etliche Arten vor dem Aussterben gerettet hat. Auf schwierige Fragen gibt es selten einfache Antworten Doch wer reguliert nun wen? Ist es die Zahl der vorhandenen Beutetiere, die bestimmt wie viele Beutegreifer existie- ren können, oder ist es der Nahrungsbe- darf der Beutegreifer, der die Bestände der Beutetiere reguliert? Es gibt wohl kaum eine Frage die besser geeignet wäre hitzige Debatten über das Für und Wi- der jagdlicher Maßnahmen zu entzün- den. Viele Konflikte zwischen Jägern und Nicht-Jägern über diese Frage ent- stehen, weil beide Seiten dazu neigen, ihr Heil in einfachen Antworten zu su- chen, die an der Wirklichkeit vorbeige- hen. Ökosysteme sind sehr komplizierte Wirkungsgefüge mit vielfältigen Wech- selbeziehungen zwischen den beteiligten Arten. Wenn wir von einer Räuber-Beu- te-Beziehung sprechen, welche meinen wir denn dann? Viele Beutegreifer ste- hen auf dem Speisezettel noch größerer Räuber, denken wir nur an den Fuchs, der eine beliebte Beute des Adlers ist. Wie wir alle aus der Wildschadenspro- blematik wissen, beeinflussen auch Pflanzenfresser ihre Nahrungsgrundlage und können sie soweit schädigen, dass es zu Rückwirkungen auf die Bestände der Pflanzenfresser kommt. Weiter ist jedes Lebewesen potentieller Wirt von Parasiten und Krankheitserregern, die sein Gedeihen ganz nachhaltig beeinflus- sen können. Die Vielfalt und Intensität der wechsel- seitigen Beeinflussung von Beute, Fress- feind, Parasit und Krankheitserreger spiegelt sich in den erstaunlichen Anpas- sungsleistungen wider, die das „Wettrüs- ten“ der Gegner im Laufe der Evolution hervorgebracht hat. Wolf, Luchs oder Habicht entwickelten exzellente Sinne um ihre Beute aufzuspüren und wir- kungsvolle Waffen, um sie zu töten. Dem entziehen sich Beutetiere durch schnel- le Flucht, perfekte Tarnung, Herdenle- ben, durch schützende Deckung und Baue. Pflanzen wehren sich mit einer oft aufwändigen Produktion von Giftstoffen oder Stacheln gegen den Verbiss und das Immunsystem erledigt Parasiten und Krankheitserreger bevor sie Schaden stif- ten können. Wie gut sich ein Organis- mus gegen Attacken zur Wehr setzen kann, hängt wiederum davon ab, wie er-

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Räuber und Beute - Die ökologische Bedeutung der Beutegreifer im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen

Räuber-Beute-Beziehung - wer reguliert wen?W. ARNOLD

Autor: Univ.Prof. Dr. Walter ARNOLD, Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie, Veterinärmedizinische Universität,Savoyenstraße 1, A-1160 WIEN

Höhere Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Landwirtschaft, A-8952 Irdning13. Österreichische Jägertagung, 13. und 14. Februar 2007

Seit Jahrzehnten gehen die Niederwild-besätze zurück, nicht nur in Österreich,sondern in ganz Mitteleuropa.Demgegenüber stehen drastisch anstei-gende Jagdstrecken bei Beutegreifernwie Fuchs oder Steinmarder. Was liegtnäher, als hier eine ursächliche Bezie-hung anzunehmen? Ohne Zweifel be-gnügen sich Beutegreifer nicht nur mitMäusen und anderen jagdlich uninteres-santen Arten, sondern verschmähen auchjagdbare Wildarten nicht. Traditionellsahen Jäger deshalb in Beutegreifern inerster Linie Schädlinge, die den Jagder-folg schmälerten. Der hohe Verfolgungs-druck auf die missliebigen Konkurren-ten der Jagd war maßgeblich für dasVerschwinden von Bär, Luchs oder Wolfaus Mitteleuropa verantwortlich undbrachte andere Arten an den Rand desAussterbens. Dennoch gab es damalswohl kaum jemanden, der dies als Scha-den empfunden hätte. Denn nicht nurJäger zeigten wenig Sympathie für dieBeutegreifer. Eine Bevölkerung, dieüberwiegend von der Landwirtschaft leb-te, hatte höchstes Interesse daran, dieVerluste an Nutztieren hintan zu halten.Zu existentiell war die Bedrohung, dievon den Raubtieren für den Viehbestandausging.Wie tief die alten Vorbehalte sitzen, zeigtder Sprachgebrauch, wenn Jäger auchheute noch „Raubzeug bekämpfen“,wenn sie Fuchs und Marder bejagen.Obwohl die Jäger die immense Bedeu-tung der Lebensraumerhaltung für dasWild längst erkannt haben und sich hiermit großem Einsatz engagieren, betrach-ten viele die konsequente Dezimierungder Beutegreifer immer noch als wichti-gere, unverzichtbare Maßnahme zurVerbesserung der Niederwildsituation.Demgegenüber steht eine, in weiten Tei-len jagdkritische Öffentlichkeit, die mitmanchmal bemerkenswerter Naivitätglaubt, man müsse die Natur nur sichselbst überlassen, dann würde sich schonalles richten. Auch diese Auffassung ist

aus historischer Sicht durchaus verständ-lich. Der Naturschutz wurde zur gesell-schaftlich akzeptierten und bedeutendenBewegung als unübersehbar wurde, dassder wissenschaftlich-technische Fort-schritt, das Bevölkerungswachstum undmoderne landwirtschaftliche Produkti-onsmethoden in immer rasanterem MaßeNatur vernichteten. „Verzicht auf Ein-griffe und wirtschaftliche Nutzung durchden Menschen“, so einfach schien diebeste Regel zu lauten, mit der sich dienoch verbliebenen Reste intakter Naturbewahren ließen. Dabei sind selbst dieriesigen Wildnisreservate Nordamerikasund Afrikas oft nicht groß genug, damitdie Selbstregulationskräfte der Naturauch greifen. In Mitteleuropa sind dieWildtierlebensräume mitten in einer in-tensiv genutzten Kulturlandschaft, in derohne regulierende Eingriffe des Men-schen wirkungsvoller Naturschutz un-möglich ist. Selbstverständlich brauchtdie Natur weder die Jäger, noch die Na-turschützer, noch den Menschen über-haupt. Ob das was dabei herauskommt,wenn wir die Natur bei uns nur sich selbstüberlassen allerdings das ist was wir er-reichen wollten, darf bezweifelt werden.Seltsamerweise wird in diesem Zusam-menhang die Notwendigkeit der Regu-lation von Schalenwildbeständen so gutwie nie bestritten; ja im Gegenteil - oftwird den Jägern vorgeworfen, hier zu-wenig engagiert zu sein. Bei den Beute-greifern verlässt man im traditionellenNaturschutz dagegen nur ungern dasPrinzip der Schonung von Tieren vordirekter Verfolgung durch den Men-schen, das ja in der Tat etliche Arten vordem Aussterben gerettet hat.

Auf schwierige Fragen gibtes selten einfache AntwortenDoch wer reguliert nun wen? Ist es dieZahl der vorhandenen Beutetiere, diebestimmt wie viele Beutegreifer existie-ren können, oder ist es der Nahrungsbe-darf der Beutegreifer, der die Bestände

der Beutetiere reguliert? Es gibt wohlkaum eine Frage die besser geeignet wärehitzige Debatten über das Für und Wi-der jagdlicher Maßnahmen zu entzün-den. Viele Konflikte zwischen Jägernund Nicht-Jägern über diese Frage ent-stehen, weil beide Seiten dazu neigen,ihr Heil in einfachen Antworten zu su-chen, die an der Wirklichkeit vorbeige-hen. Ökosysteme sind sehr komplizierteWirkungsgefüge mit vielfältigen Wech-selbeziehungen zwischen den beteiligtenArten. Wenn wir von einer Räuber-Beu-te-Beziehung sprechen, welche meinenwir denn dann? Viele Beutegreifer ste-hen auf dem Speisezettel noch größererRäuber, denken wir nur an den Fuchs,der eine beliebte Beute des Adlers ist.Wie wir alle aus der Wildschadenspro-blematik wissen, beeinflussen auchPflanzenfresser ihre Nahrungsgrundlageund können sie soweit schädigen, dasses zu Rückwirkungen auf die Beständeder Pflanzenfresser kommt. Weiter istjedes Lebewesen potentieller Wirt vonParasiten und Krankheitserregern, diesein Gedeihen ganz nachhaltig beeinflus-sen können.

Die Vielfalt und Intensität der wechsel-seitigen Beeinflussung von Beute, Fress-feind, Parasit und Krankheitserregerspiegelt sich in den erstaunlichen Anpas-sungsleistungen wider, die das „Wettrüs-ten“ der Gegner im Laufe der Evolutionhervorgebracht hat. Wolf, Luchs oderHabicht entwickelten exzellente Sinneum ihre Beute aufzuspüren und wir-kungsvolle Waffen, um sie zu töten. Dementziehen sich Beutetiere durch schnel-le Flucht, perfekte Tarnung, Herdenle-ben, durch schützende Deckung undBaue. Pflanzen wehren sich mit einer oftaufwändigen Produktion von Giftstoffenoder Stacheln gegen den Verbiss und dasImmunsystem erledigt Parasiten undKrankheitserreger bevor sie Schaden stif-ten können. Wie gut sich ein Organis-mus gegen Attacken zur Wehr setzenkann, hängt wiederum davon ab, wie er-

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W. ARNOLD

13. Österreichische Jägertagung 2007

Abbildung 1: Der Schneeschuhhase-Luchs-Zyklus in den Wildnisgebieten Nord-amerikas (MAC LULICK 1937)

folgreich er selbst im Attackieren war,denn nur das gut genährte Tier ist ge-sund, flink und behände. Im komplexenWirkungsgefüge eines Ökosystems wir-ken also „top-down“- und „bottom-up“-Kräfte in der Regel gleichzeitig und inverschiedener Intensität.Konflikte über das Für und Wider derBejagung von Beutegreifern lassen sicham Besten dadurch lösen, dass man sichnicht hinter traditionellen Auffassungenverschanzt, sondern bereit ist unvorein-genommen zu prüfen, wie gesichert dennder eigene Standpunkt eigentlich ist.Gerade auf dem Gebiet der Räuber-Beu-te-Beziehungen wurden in den letztenJahren wichtige neue Erkenntnisse ge-wonnen, die es zu berücksichtigen gilt.Unangebracht ist auf alle Fälle eine simp-le Einteilung von Wildtierarten in „Nütz-linge“ oder „Schädlinge“. Diese Katego-rien entspringen nur aus dem Nutzungs-anspruch des Menschen an die Natur. Fürein Verständnis der Vorgänge in einemÖkosystem sind diese Begriffe völligwertlos und sollten nicht die Richtschnureiner zeitgemäßen Jagdausübung sein.

Veränderungen von Beständen -durchaus nichts UngewöhnlichesIm einfachsten Fall eines Räuber-Beu-te-Systems produziert die Beute die Bi-omasse, die ein auf sie spezialisierterRäuber nutzt. Durch die Nutzung beein-trächtigt der Räuber die eigene Lebens-grundlage und kann sie erheblich dezi-mieren. Entgegen einem weitverbreite-ten Irrglauben wirtschaftet die Naturkeineswegs „schonend“ und „voraus-schauend“. Der kurzfristige Vorteil wirdin der natürlichen Auslese belohnt, auch

wenn er sich langfristig als Nachteil er-weist. Auf diese Weise entstehen zykli-sche Schwankungen von Bestandesdich-ten, wobei die Veränderungen bei denBeutegreifern denen bei der Beute zeit-lich versetzt folgen.

Große und regelmäßig wiederkehrendeVeränderungen von Populationsdichtenfinden sich vor allem in nördlichen Brei-ten, bei Kleinsäugern wie Mäusen undLemmingen, bei Raufußhühnern, beiHasen und bei den entsprechenden Prä-datoren. Das wohl berühmteste Beispielist der Schneeschuhhase-Luchs-Zyklus,der aufgrund einer sorgfältig geführtenJagdstatistik entdeckt wurde. Die Hud-son Bay Company führte über einen lan-gen Zeitraum penibel Buch darüber, wieviele Felle von Schneeschuhhasen undKanadischen Luchsen von den Trappernangeliefert wurden (17).

Wie in späteren Studien vielfach bestä-tigt wurde, spiegeln Jagdstatistiken in derTat die tatsächliche Entwicklung derBestände recht gut wider. Aus den Auf-zeichnungen der Hudson Bay Companywurde ersichtlich, dass der nordameri-kanische Schneeschuhhase, ein engerVerwandter des Europäischen Feldha-sen, etwa alle 10 Jahre ein Dichtemaxi-mum erreicht. Die Bestände der Schnee-schuhhasen sind dann um das 10-30-fa-che, in günstigen Habitaten sogar um das100-fache höher als nach den rasantenZusammenbrüchen, die auf jeden Gip-fel in der Populationsdichte folgen.

Parallel zu den Veränderungen bei denSchneeschuhhasen schwankt, mit einergewissen zeitlichen Verzögerung, auchdie Häufigkeit eines wichtigen Raubfein-

des des Schneeschuhhasen, des Kanadi-schen Luchses (Abbildung 1).

Wie wirken Beute undBeutegreifer aufeinander?Der Schneeschuhhase-Luchs-Zyklus galtlange Zeit als die Fallstudie, die über-zeugend belegte, dass die Beute den Räu-ber reguliert und nicht umgekehrt, mitfolgender Interpretation der Datenlage:Anwachsende Schneeschuhhasenbestän-de bieten dem Luchs zunehmend besse-re Ernährungsbedingungen. Die Luchseleben wie im Schlaraffenland, pflanzensich entsprechend gut fort und nehmenan Zahl zu. Dadurch wird der Raubfeind-druck immer höher, bis zu dem Punktan dem die Beutepopulation zusammen-bricht. Die Folge ist Nahrungsmangel beiden Luchsen, der sie entsprechend dezi-miert. Mit nun sehr geringem Raubfeind-druck erholt sich der Schneeschuhhasen-bestand wieder und der Zyklus beginntvon neuem - Fazit: Die Beute reguliertden Räuber, weshalb ein Beutegreiferseine Beute nicht nachhaltig dezimierenoder gar ausrotten kann.Wie voreilig dieser Schluss war, zeigtenUntersuchungen der Wechselwirkungenvon großen Beutegreifern und Pflanzen-fressern in Wildnisgebieten Alaskas undKanadas. In langjährigen Studien stellteman dort fest, dass Wölfe und Bären dieElch- bzw. Rentierbestände nicht we-sentlich beeinflussen, solange diese Be-stände gut sind. Bei hohen Elch- undRentierdichten werden ihre Populationendurch die vorhandene Äsung reguliert.Werden die Elche oder Rentiere aberaufgrund anderer Ereignisse deutlichdezimiert (z.B. Nahrungsknappheit, har-te Winter, Überbejagung), dann be-schleunigt die Wirkung der Raubfeindedie Abnahme der Bestände. Sind dieAnzahlen der Elche und Rentiere einmalunter eine bestimmte Schwelle gesunken,dann erholen sie sich wegen des Einflus-ses der Wölfe nicht mehr von diesemTiefstand. Erst eine Reduktion der Beu-tegreifer Wolf und Bär führt wieder zueinem Ansteigen der Elch- und Karibu-bestände (7,8).In Kanada hat man z.B. festgestellt, dassWölfe die Elchbestände deutlich unterder Tragfähigkeit des Lebensraumes hin-sichtlich der verfügbaren Äsung halten.Aus einem großen Areal wurden in den

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Räuber-Beute-Beziehung - wer reguliert wen?

13. Österreichische Jägertagung 2007

1970er Jahren alle Wölfe abgeschossen,mit dem Ergebnis, dass dort die Elchbe-stände, nun alleine durch die Nahrungs-verfügbarkeit reguliert, auf das sieben-fache anwuchsen (6). Allerdings warnendie kanadischen Forscher trotz ihresüberzeugenden Ergebnisses davor, daswirklich dramatische Problem aus denAugen zu verlieren. Die Wildnisgebietewerden auch in Nordamerika immerweniger und der Verlust natürlicher Le-bensräume ist ein viel bedeutenderesProblem als ein lokales „Zuviel“ anWölfen oder Bären.Dass Beutegreifer ihre Beutetierpopula-tion nach einem Bestandszusammen-bruch, z.B. aufgrund von Nahrungsman-gel oder von Witterungseinflüssen, überlängere Zeiträume hinweg auf niedrigemNiveau halten können, selbst wenn dieNahrungsgrundlagen und andere Le-bensraumbedingungen wieder optimalgeworden sind, wurde mittlerweile inweiteren Studien bestätigt, u.a. auch inder Wechselbeziehung zwischen Fuchsund Wildkaninchen (3,18). Raubfeindekönnen offensichtlich ihre Beutepopula-tionen dauerhaft unter jener Dichte hal-ten, die sie aufgrund der vorhandenenÄsung eigentlich erreichen könnten. EineSituation, die in der ökologischen Lite-ratur mit dem Begriff „Raubfeindfalle“beschrieben wird.Die Situation der Raubfeindfalle trittleicht ein, wenn wir es mit opportunisti-schen Beutegreifern zu tun haben, die aufandere Beute ausweichen, wenn eineBeuteart nur mehr in sehr geringer Dichtevorhanden ist. Fuchs und Marder sindsolche Beutegreifer. Auch wenn Haseund Rebhuhn schon selten gewordensind, geht es Fuchs und Marder deswe-gen nicht unbedingt schlechter. Sie ver-stehen alternative Nahrungsquellen zunutzen und haben als Kulturfolger nochein gehöriges Stück Unabhängigkeit vonder Dichte einzelner Beutearten hinzugewonnen.

Pflanzen wehren sich gegenVerbiss - nicht ohne WirkungDie Gesetzmäßigkeiten, die die Wech-selwirkungen zwischen Räuber- undBeutepopulationen charakterisieren, gel-ten ebenso für die Beziehungen zwischenPflanzen und Pflanzenfressern. Auchhier gibt es eine „Beute“ - die Nahrungs-pflanzen - die für den „Beutegreifer“

Pflanzenfresser die Lebensgrundlagedarstellt. Unter Einbeziehung der Wech-selwirkung zwischen Pflanzen undPflanzenfressern, also der nächst tiefe-ren Stufe in der Nahrungskette einesÖkosystems, eröffnet sich eine alterna-tive Erklärungsmöglichkeit für denSchneeschuhhase-Luchs-Zyklus. Dieenormen Dichteschwankungen derSchneeschuhhasen könnten ebenso gutauf zyklische Veränderungen ihrer wich-tigsten Winteräsung, verholzte Triebe,zurückzuführen sein. Auf starken Ver-biss reagieren die Pflanzen mit verstärk-ter Produktion von Giftstoffen, die siefür Schneeschuhhasen ungenießbar ma-chen. Eine Hungersnot, verursacht durchdie Abwehrreaktion der Pflanzen, könntedaher der wahre Grund für den Zusam-menbruch einer Schneeschuhhasenpopu-lation sein. In der Tat ist jeder dieserZusammenbrüche begleitet von niedri-geren Geburtenraten, geringerer Überle-benswahrscheinlichkeit der Jungtiere,großem Gewichtsverlust und geringenWachstumsraten der Junghasen - allesPhänomene, die auf Nahrungsmangeldeuten. Wird der Verbissdruck merklichgeringer, weil es kaum mehr Schnee-schuhhasen gibt, produzieren die Pflan-zen keine Giftstoffe mehr, die nutzbareWinteräsung wird wieder mehr und derZyklus beginnt von neuem - so die The-orie.Um herauszufinden ob die Räuber-Beu-te-, oder die Pflanzenfresser-Pflanzen-Wechselwirkung der entscheidende Aus-löser für die beobachteten Populations-zyklen ist, wurde in der Wildnis Alas-kas von 1987-1994 ein groß angelegtesExperiment durchgeführt (16). Auf vierjeweils einen Quadratkilometer großeUrwaldflächen wurden folgende Maß-nahmen durchgeführt: Auf einer Flächewurde mit hochwertigem Hasenfuttergroßzügig zugefüttert, um den vermute-ten Engpass in der Winteräsung auszu-gleichen; auf der zweiten Fläche wurdendie großen Beutegreifer Luchs, Bär,Wolf und Kojote durch einen Elektro-zaun ausgesperrt; auf der dritten Flächewurde zugefüttert und die Beutegreiferwurden ausgezäunt; die vierte Flächeblieb unbehandelt und diente als Kon-trollgebiet. Die Hasendichte wurde aufallen Flächen jeweils im Frühjahr undHerbst ermittelt. Das Experiment zeig-te, dass der 10-Jahreszyklus der Schnee-

schuhhasen das Ergebnis einer Interak-tion zwischen Raubfeinddruck undNahrungsverfügbarkeit ist, wobei derRaubfeinddruck den klar dominierendenProzess darstellt. Die Nahrungsverfüg-barkeit spielt vor allem im Winter eineRolle, aber auch dann nur indirekt. DieHasen starben selten als Folge von Un-terernährung, Todesursache war prak-tisch immer ein Beutegreifer. Allerdingsbeeinträchtigte Nahrungsknappheit, bzw.mangelnde Qualität der Nahrung dieKondition der Hasen in einem Ausmaß,das sie viel leichter erbeutbar machte. Diedurch Luchse bedingte Sterblichkeit beiden Schneeschuhhasen war also zu ei-nem guten Teil kompensatorisch. Wei-tere indirekte Effekte, die eine Rollespielten, betrafen die Fortpflanzung. InZeiten hoher Populationsdichte und ho-hen Raubfeinddruckes führte Stress undMangelernährung zu verminderterFruchtbarkeit der Hasen (15).Mittlerweile untermauern eine ganzeReihe von Untersuchungen an anderenArtengemeinschaften diesen Befund. Inden meisten Fällen beeinflussen sowohldie Nahrungsverfügbarkeit als auch derRaubfeinddruck die Populationsdynamikeines Pflanzenfressers maßgeblich. DieBeutegreifer spielen dabei in intaktenÖkosystemen eine wichtige Rolle. Wosie fehlen neigen die Beutepopulationenaufgrund der nun bestimmenden Pflan-zenfresser-Pflanzen-Wechselwirkung zustärkeren Fluktuationen mit höheremRisiko katastrophaler Zusammenbrüche(23). Die Wirkung der Beutegreifer be-schränkt sich dabei nicht nur auf ihreBeute, sondern beeinflusst ganze Öko-systeme. Wo Wölfe im Banff-National-park in Kanada die Rothirsche kurz hal-ten, gibt es mehr natürliche Waldverjün-gung in den Auwäldern, wovon wiede-rum die Biber profitieren (12). Nach heu-tigem Stand der Ökosystemforschung istdavon auszugehen, dass Beutegreifergrundsätzlich die Biomasse ihrer pflan-zenfressenden Beute reduzieren und dassdadurch die Biomasse der Pflanzen zu-nimmt (4).

Parasiten und Krankheitserreger- oft übersehene MitspielerDem bisher dargestellten Wirkungsge-füge, das die Bestandesdichte einer Wild-tierpopulation beeinflusst, fehlt nocheine wesentliche Komponente von Öko-

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systemen, deren Bedeutung leicht über-sehen wird - Parasiten und Krankheits-erreger. Sie sind in ihrer Wirkung aufeine Wirtsart den Beutegreifern gleich-zusetzen. Ebenso wie der Raubfeind pro-fitiert auch der Parasit von höheren Po-pulationsdichten seiner „Beute“. Je zahl-reicher die Wirtsorganismen sind, destoleichter fällt es einem Parasiten auch ei-nen Wirt zu infizieren. Das gilt sowohlfür Parasiten, die über Zwischenstadienin den Endwirt gelangen, wie auch fürKrankheitserreger, die direkt innerhalbeiner Wirtsart von Individuum zu Indi-viduum übertragen werden. Eine weite-re Analogie zum Räuber-Beute-Systembesteht darin, dass schlechte Lebensbe-dingungen sich auf die Leistungsfähig-keit des Immunsystems mindestensebenso negativ auswirken wie auf dieFlucht- oder Verteidigungsfähigkeit ei-nes Tieres.Dass Parasiten die Ursache von enormenzyklischen Schwankungen sein können,zeigen die Bestandesveränderungen desschottischen Moorschneehuhns, einesengen Verwandten des Alpenschnee-huhns. Diese in Nord-England undSchottland beheimatete und jagdlich sehrbegehrte Raufußhuhnart unterliegt ähn-lich dramatischen und regelmäßigenBestandesveränderungen wie die nord-amerikanischen Schneeschuhhasen. Ur-sache ist hier aber nicht ein Beutegrei-fer, sondern der Fadenwurm Trichos-trongylus tenius. Dieser Wurm lebt inden Blinddärmen des Moorschneehuhnsund führt bei starkem Befall zu erhöhterSterblichkeit, vor allem aber zu vermin-derter Fruchtbarkeit. Bei ungünstigenWitterungsverhältnissen während derBrutzeit im Frühling kommt der schädi-gende Einfluss des Parasiten besonderszum Tragen. Da die Klimabedingungenalle Hühner gleichzeitig betreffen, ent-stehen Populationszyklen (5).Den Nachweis des Parasiten als eigent-liche Ursache der zyklischen Bestandes-veränderungen erbrachte ein Experi-ment: Eine Behandlung der Hühner ge-gen den Wurmbefall verhinderte dieZusammenbrüche der Bestände undbrachte die Zyklen zum Erliegen (14).Eine Modellrechnung mit an natürlichenPopulationen erhobenen Kennzahlen er-gab, dass eine Behandlung von etwa 20%der Tiere bereits ausreicht, um die regel-

mäßigen Zusammenbrüche der Bestän-de zu verhindern (14).Die detaillierte Untersuchung am schot-tischen Moorschneehuhn stellt eine derwenigen Fallstudien dar, bei denen eineeinzige Wechselbeziehung - hier zwi-schen einem Fadenwurm und seinemWirt - als ausreichende Erklärung für zy-klische Populationsentwicklungen wahr-scheinlich schien. Weiterführende expe-rimentelle Studien an wild lebenden Po-pulationen zeigten jedoch, dass auch hierdie Verhältnisse komplizierter sind. DieBestandesdichte der Hühner wird auchdurch ihr Territorialverhalten beeinflusst.Hohe Populationsdichten führten zu ag-gressiverem Verhalten der Hähne, be-gleitet von erhöhter Ausschüttung männ-licher Geschlechtshormone. Diese sindwiederum bekannt dafür die Immunab-wehr zu schwächen, was die Vögelwieder anfälliger für den Parasiten macht(20).Zyklische und zeitgleiche Populations-entwicklungen gibt es nicht nur beiMoorschneehühnern, sondern auch beianderen Raufußhuhnarten. Vor allemin den nördlichen Teilen ihres Verbrei-tungsgebietes sind sie typisch fürAuer-, Birk- und Haselwild mit erstaun-lich zeitgleichen Verläufen (19). Da dieWahrscheinlichkeit eines Parasitenbefal-les bei diesen Arten vermutlich von dengleichen Umweltfaktoren bestimmt wird,ist es naheliegend anzunehmen, dass fürdie Synchronisation der Populationszy-klen über die Artgrenzen hinaus letztlichauch Parasiten verantwortlich sind (13).

Langfristige Niederwild- undBeutegreiferentwicklungin ÖsterreichIn der Kulturlandschaft werden die viel-fältigen Wechselwirkungen zwischenden Arten eines Ökosystems noch umeine entscheidende Facette komplexer.Es kommt der Mensch mit seinen Nut-zungsansprüchen und der tiefgreifendenUmgestaltung der Landschaft als wesent-liche und bestimmende Komponentehinzu. Ohne Zweifel verändern mensch-liche Einflüsse die Tragfähigkeit einesLebensraumes nachhaltig und in durch-aus unterschiedlicher Art und Weise fürdie einzelnen Wildtierarten. Je nach An-passungsfähigkeit wird es in der FolgeVerlierer und Gewinner geben.

Welche Rolle spielten nun Beutegreiferfür den Niedergang des Niederwildes inMitteleuropa? Aufschluss kann hier dielängerfristige Entwicklung der Bestän-de der Beute- und Beutegreiferarten brin-gen. Alle bisher besprochenen Studienbezogen ihre Aussagekraft vor allem ausdem langen Zeitraum, über den mittelsAbschusszahlen der Verlauf der Popu-lationsentwicklung nachverfolgt werdenkonnte. Im Falle des Schneeschuhhase-Luchs-Zyklus waren dies seit 1821 vor-handene Jagdstatistiken, beim Schotti-schen Moorschneehuhn Aufzeichnungender Abschusszahlen über einen Zeitraumvon 107 Jahren. Viele Studien, die überdie experimentelle Reduktion von Raub-feinden nachweisen wollen, dass diesefür den Rückgang der Beutebeständeverantwortlich sind, haben dagegen we-gen eines zu kurzfristigen oder zu klein-räumigen Ansatzes nur begrenzten Wert.Mehr als die triviale Erkenntnis dassFuchs, Marder, Habicht und Co. auchNiederwild fressen kommt selten dabeiheraus. Erst wenn Informationen überlange Zeitreihen und aus großen Gebie-ten vorliegen, lassen sich fundierte Aus-sagen über die Wirkung von Beutegrei-fern auf Beutepopulationen machen.In Österreich sind wir in der glücklichenSituation, dass bereits in der Monarchiesorgfältig die jährlichen Abschusszahlenin den einzelnen Kronländern aufge-zeichnet wurden (24). Zuverlässige undregelmäßige Jagdstatistiken liegen ab1875 vor, aus manchen Provinzen auchschon früher. Wir können also für ganzÖsterreich auf vergleichbare Daten übereinen Zeitraum von mehr als 130 Jahrenzurückgreifen. Eine Schwierigkeit beidiesen langfristigen Betrachtungen stelltder korrekte Flächenbezug dar, falls die-ser sich im Laufe der Geschichte änder-te. Dies ist nicht der Fall in Niederöster-reich. Die territoriale Ausdehnung desehemaligen Kronlandes war praktischdie gleiche wie die des heutigen Bundes-landes einschließlich Wiens. Niederös-terreich soll daher als Beispiel für dielangfristige Entwicklung in einem typi-schen Niederwildlebensraum gelten.Unser Bild von der Entwicklung der Nie-derwildbestände ist geprägt von denVerhältnissen und Veränderungen wäh-rend der letzten 50-60 Jahre. Die Erin-nerung an phantastische Niederwildstre-

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cken in den 1950er Jahren ist noch le-bendig und erweckt den trügerischenEindruck, als wäre damals noch alles inOrdnung gewesen. Im Vergleich zur heu-tigen Situation stimmt das sicher, dochder Blick auf die längerfristige Entwick-lung der Jagdstrecken beweist, dass wiruns heute am Ende einer traurigen Ent-wicklung befinden, die bereits am Be-ginn des 20. Jahrhunderts ihren Anfangnahm. Mit Jahresstrecken von ca.350.000 Feldhasen und ca. 250.000 Reb-hühnern waren in Niederösterreich die

Abschusszahlen um die damalige Jahr-hundertwende etwa zweimal höher als inden besten Niederwildzeiten nach dem2. Weltkrieg (Abbildung 2). Das „Zwi-schenhoch“ in den 1950er und 1960erJahren scheint nur die Erholung nacheinem vermutlichen Einbruch der Be-stände während des 2. Weltkrieges wi-derzuspiegeln. Allerdings bleibt diesSpekulation, da für den Zeitraum von1937 und 1948 keine Jagdstatistiken ver-fügbar sind. Die Entwicklung der Fa-sanstrecken soll hier nicht behandelt

werden, da bei dieser Federwildart we-gen der vielen Auswilderungen die Ab-schusszahlen den natürlichen Verlauf derPopulationsentwicklung nicht zuverläs-sig wiedergeben.Der Verlauf der Bestände beim beute-greifenden Federwild ist ganz ähnlichwie der beim Niederwild. Allerdings istdiese Statistik nicht auf einzelne Artenbezogen wie die Niederwildstatistik. Bis1914 wurden alle Abschüsse von Ha-bichten, Falken und Sperbern summa-risch erfasst, in der Zwischenkriegszeitals „Habichte und ähnliches“. Nach dem2. Weltkrieg wurden die Arten einzelnaufgeschlüsselt, die Falken aber nichtmehr registriert. Um die Daten verglei-chen zu können, wurden deshalb für letz-teren Zeitraum die Abschüsse an Habich-ten, Sperbern und Weihen zu einer Kenn-zahl addiert (Abbildung 2). Bemerkens-wert ist bei den Greifvögeln, dass derEinbruch bei ihnen zu Beginn des 20.Jahrhunderts deutlich vor dem Einbruchbeim Niederwild erfolgt, d.h. die Greif-vögel konnten den Rückgang der Nie-derwildstrecken keinesfalls verursachthaben. Die Aaskrähen und Elstern er-reichten dagegen ihren höchsten Bestandeindeutig nach dem Niederwild. Hierkönnten also ähnliche Verhältnisse vor-gelegen haben, wie beim Schneeschuh-hase-Luchs-Zyklus. Über den Verlaufder Populationsentwicklung bei Greif-und Krähenvögeln nach den 1970er Jah-ren können Jagdstrecken wegen derganzjährigen Schonung dieser Arten kei-ne Auskunft mehr geben. In jüngster Zeitvom Forschungsinstitut für Wildtierkun-de und Ökologie koordinierte großflächi-ge Zählungen zeigen aber, dass die Be-stände wieder zugenommen haben.Völlig anders ist die Bestandesentwick-lung beim Haarraubwild. Fuchs undMarder sind bis zur Mitte des 20. Jahr-hunderts auf relativ niederem Niveau.Sind diese Zahlen irreführend, weil nurein Bruchteil der erlegten, mit Fallenoder Gift getöteten Tiere auch statistischerfasst wurde? Wohl kaum, denn war-um sollte dies beim Iltis anders gewesensein, für den die Streckendaten um 1900ein Bestandeshoch nachweisen. Erstnach dem 2. Weltkrieg nahm die Fuchs-population gewaltig zu, etwa zeitgleichmit einem erneuten Anstieg der Iltisse.Der darauf folgende Rückgang der

Abbildung 1: Jagdstrecken im Gebiet Niederösterreichs und Wiens von 1867 -2004. Jeder Punkt stellt eine Jahresstrecke dar. Die Linien sind geglättete Mit-telwertslinien für die entsprechende Wildart und geben die langfristigen Trendsin der Bestandesentwicklung wieder.

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Fuchsstrecken in den 1960er bis Mitteder 1980er Jahren verlief mit einer ge-wissen Verzögerung parallel zum Rück-gang beim Feldhasen und Rebhuhn,scheinbar der klassische Fall einer Re-duktion der Beutebestände durch denBeutegreifer, der sich dadurch die eige-ne Lebensgrundlage schmälert. Dochwarum gab es dann sowenig Füchse inden vorangegangenen Jahrzehnten, alsder Tisch so reichlich gedeckt war wiesonst nie? Ab etwa 1990 stiegen dieFuchsstrecken rasant an, ein Trend derbis heute anhält. Es ist zu vermuten, dassdie 1990 begonnene Tollwutbekämp-fung mit Impfködern an dieser Entwick-lung wesentlichen Anteil hat.Die Tollwut war eine wesentliche Sterb-lichkeitsursache für die Füchse, die mitder Impfung praktisch ausgeschaltetwurde. Grundsätzlich sollte auch ande-res Haarraubwild, das für die Tollwutempfänglich ist, in ähnlicher Weise pro-fitiert haben. Das scheint auch so zu sein,denn Dachs und Marder nahmen im glei-chen Zeitraum mit ähnlicher Geschwin-digkeit zu. Beim Marder setzt diese Ent-wicklung jedoch schon früher, etwa um1970 ein (Abbildung 2). Es müssen alsonoch andere Faktoren eine Rolle spielen,möglicherweise die Klimaerwärmung,die auch zur ähnlich explosionsartigenZunahme der Schwarzwildbestände bei-trägt (2).

Ursachen derBestandesveränderungenRäuber-Beute-Zyklen, wie der des kana-dischen Luchses und des Schneeschuh-hasen in der Wildnis Nordamerikas oderParasiten-Wirts-Zyklen wie beim Moor-schneehuhn scheinen in der Kulturland-schaft Mitteleuropas nicht zu existieren,oder von anderen Faktoren überspielt zuwerden. Nur der Iltis zeigt in dem be-trachteten Zeitraum eine zyklische Po-pulationsentwicklung, allerdings mit ei-nem ungewöhnlich langen Abstand vonetwa 70 Jahren zwischen den Bestandes-gipfeln (Abbildung 2). Vielleicht sind diebeobachteten Veränderungen bei den an-deren Wildarten nur Ausschnitte nochviel längerer Zyklen, die wir einfachnicht überschauen. Grundsätzlich kannman diese Möglichkeit nicht ausschlie-ßen, doch scheinen die durch den Men-schen veränderten Lebensbedingungen

eher die Ursache für die Bestandesver-änderungen bei Wildtieren zu sein.Fuchs und Steinmarder sind Beispiele fürArten, die von den Veränderungen in derKulturlandschaft im 20. Jahrhundert pro-fitierten, wohl auch weil sie menschli-che Ansiedlungen und Städte als neuenLebensraum entdeckten, mit Mistkübelnund Abfällen als ergiebige Nahrungs-quelle. Feldhasen und Rebhühner gehör-ten zu den Verlierern und mit ihnen dieGreif- und Krähenvögel. Welche Verän-derungen könnten dies bewirkt haben?Die zunehmende Zersiedelung der Land-schaft, die Kommassierung, ein dichtesStraßennetz mit einem enorm gestiege-nen Verkehrsaufkommen, beides verant-wortlich für entsprechend höhere Ver-kehrsopferzahlen bei Wildtieren, die zu-nehmende Umweltverschmutzung, derEinsatz von chemischen Schädlingsbe-kämpfungsmitteln und von Herbiziden,die Mechanisierung der Feldbearbeitung- dies alles hatte ohne Zweifel seinen An-teil. Mit entscheidend dürfte die Erfin-dung und industrielle Erzeugung desKunstdüngers gewesen sein, die zu Be-ginn des 20. Jahrhunderts passierte. DieStilllegung landwirtschaftlicher Flächenzur Erholung des Bodens wurde dadurchverzichtbar. Es begann der im Laufe des20. Jahrhunderts immer schnellere wer-dende Verlust von Brachen und Feldrai-nen (22), ideale Lebensräume für dasNiederwild. Wie vorteilhaft sich Brach-flächen auf das Überleben von Jungha-sen auswirken - und der Rückgang beimFeldhasen ist in erster Linie eine Folgeerhöhter Sterblichkeit der Junghasen -zeigten Klaus HACKLÄNDERS Unter-suchungen in Niederwildversuchsrevie-ren im Marchfeld und am Forschungs-institut für Wildtierkunde und Ökologie.Feldhasen finden in Brachflächen nichtnur Deckung, sondern vor allem fetthäl-tige Wildpflanzen, und Häsinnen, denenfettreiche Äsung in ausreichendem Maßezur Verfügung steht, können ihre Jun-gen besser ernähren (9-11, 21). Natür-lich werden es letztlich meistens Beute-greifer, Parasiten und Krankheiten sein,denen schwache Junghasen zum Opferfallen. Eine entscheidende Ursache desProblems ist aber die Mangelernährungaufgrund unzureichender Lebensraum-qualität. Gleiches gilt mit hoher Wahr-scheinlichkeit für das Rebhuhn. Die Ge-

sperre brauchen Insektennahrung, undwo summt und brummt es intensiver alsin der Blütenvielfalt einer Brachflächeoder eines Feldrains? Wie zutreffend die-se Interpretation ist, unterstreicht einBlick auf die jüngste Entwicklung derJagdstrecken. Seit dem EU-BeitrittÖsterreichs wurden über die Förderungvon Brachen vermehrt Flächen aus derintensiven landwirtschaftlichen Produk-tion genommen und prompt stellte sicheine leichte Verbesserung bei den Nie-derwildstrecken ein.Bleibt die Frage, warum die Beständealler betrachteten Arten bis zum Ende des19. Jahrhunderts zunahmen (Abbildung2). Die Antwort gibt der Verfasser derhistorischen Jagdstatistiken Österreichs,Joseph WESSELY in seinem 1853 er-schienenen Werk „Die österreichischenAlpenländer und ihre Forste“. Er schließtnicht aus, dass in den ersten Jahrzehntender statistischen Erfassung die Zunahmeder Wildbestände nur eine scheinbarewar und sich lediglich das Berichtswe-sen bis zur Jahrhundertwende stetig ver-besserte. Wahrscheinlicher dünkt ihmjedoch, dass die Wildbahn um die Mittedes 19. Jahrhunderts rücksichtslos durchJagdfrevel und jagdliche Übernutzungausgeräumt war. Der Mensch ist ohneZweifel der effektivste Beutegreifer, deres wie kein anderes Lebewesen zustan-de bringt ganze Arten auszurotten. Die-se Fähigkeit besaßen wohl schon unserejagenden steinzeitlichen Vorfahren, vondenen wir heute annehmen müssen, dasssie es waren, die maßgeblich zum Aus-sterben zahlreicher großer Säugetiere amEnde der letzten Eiszeit beitrugen undnicht die Klimaveränderung (1).

Was ist zu tun?Wer heute dem Niederwild helfen will,macht sicher keinen Fehler, wenn er eif-rig Fuchs und Marder bejagt. Wenn diehohen Bestände dieser Beutegreifer re-duziert werden, profitierten davon nichtnur Hase und Rebhuhn, sondern auchgefährdete nicht jagdbare Arten. Werallerdings glaubt, dass alleine damit dasProblem des Niederwildrückganges zulösen wäre, liegt gründlich falsch. Umsomehr ist Zurückhaltung geboten bei denBeutegreifern, die selbst schon seltengeworden sind, auch wenn sie sichderzeit durch die Schonung wieder er-

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Räuber-Beute-Beziehung - wer reguliert wen?

13. Österreichische Jägertagung 2007

holen. Der Abschuss einiger Habichteoder Weihen wird dem Niederwild we-nig bringen, der Jagd aber mit Sicher-heit beträchtlichen Imageschaden zufü-gen. In einer Zeit, in der die Menschenin den Städten zunehmend den Bezug zurNatur verlieren und die Jagd um ihregesellschaftliche Akzeptanz kämpft,wiegt dieser Imageschaden viel schwe-rer als die Einbußen bei der Niederwild-strecke, die tatsächlich auf das Konto vonGreifvögeln gehen.Eine effektive Verbesserung der Nieder-wildsituation bringen Maßnahmen zurLebensraumverbesserung. Wo wir derNatur wieder etwas Raum lassen und ihreRegenerationskraft unterstützen, stelltsich schnell wieder die Artenvielfalt ein,die das Niederwild dringend braucht. DieJägerschaft hat in dieser Beziehung vielgeleistet, mit der Anlage und richtigenPflege von Brachflächen, der Pflanzungvon Hecken und Windschutzgürteln undist gut beraten diesen Weg konsequentweiter zu beschreiten.

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