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1 Rumänien, Pascal Spahni, 6. Dezember 2015 Über Obdachlose, Bettler, EssensAbfälle und Gypsies („Zigeuner“) Bemerkung: Der nachfolgende Bericht basiert hauptsächlich auf Informationen, die ich von anderen Personen (vor allem von Gelu) mündlich bekommen habe. Ich glaube diesen Personen, habe jedoch nicht gross weiter recherchiert und kann deshalb nicht garantieren, dass alles hundert Prozent so stimmt, wie ich es hier beschreibe... Weiter habe ich ein paar Fotos von der EMMAUSFacebook Seite verwendet, nicht ganz alle Bilder sind von mir selbst (aber die meisten). Am Ende dieses Textes bitte ich euch herzlich um eure Unterstützung für einen guten Zweck. Food waste Nach unserer Jubiläumsfeier blieben sehr viele Essensresten übrig. Diese wegzuwer fen wäre eine Schande, wenn man daran denkt, wie viele Leute froh darüber wären... Ich fragte deshalb bei einer Freundin (Anca), die sich sozial stark engagiert, nach, ob sie eine Idee hätte. Sie sagte mir, ich solle das ganze Essen zu ihrem Restaurant bringen und dann schauen wir weiter. Dies habe ich dann am nächsten Tag auch ge tan. Anca rief einer Organisation an, die sich um Obdachlose kümmert und diese stan den dann auch zehn Minuten später mit einem Auto vor dem Restaurant, um das ganze Essen abzuholen. Ich war beeindruckt, wie gut das Ganze funktionierte und auch, dass da scheinbar ein gutes Netzwerk vorhanden ist. „Food waste“ (Essenverschwendung) war schon immer ein Thema, das mich beschäf tigte und ich sehe sehr viel Verbesserungspotential... Mir kam die Idee, ein Netzwerk mit Restaurants und EventOrganisatoren (Hochzeiten, Catering, Kongresse etc.), die immer viele Essensresten/Abfälle haben, aufzubauen. Diese sollen ihre Essenresten nicht wegwerfen, sondern bereitstellen, um abgeholt und dann an Obdachlose verteilt zu werden. Das Projekt ist gescheitert, bevor es begonnen hatte. Dies ist jedoch nicht weiter schlimm... Warum, erzähle ich euch ein bisschen weiter unten im Text... Da diese Idee verschiedene Herausforderungen mit sich bringt, wollte ich zuerst ein bisschen recherchieren. Um an das ObdachlosenNetzwerk zu kommen und an wei tere Informationen in diesem Bereich zu gelangen, telefonierte ich Gelu, dem Gründer der Organisation, die unsere Essensresten abgeholt hatte. Gelu ist 42 Jahre alt, sehr engagiert, positiv, jung geblieben aber trotzdem sehr reif. Im sozialen Bereich hat er extrem viel Erfahrung und er kennt sich bestens aus mit allem, was in dieser Gegend

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  Rumänien,  Pascal  Spahni,  6.  Dezember  2015    Über  Obdachlose,  Bettler,  Essens-­Abfälle  und  Gypsies  („Zigeuner“)    Bemerkung:  Der  nachfolgende  Bericht  basiert  hauptsächlich  auf  Informationen,  die  ich  von  anderen  Personen  (vor  allem  von  Gelu)  mündlich  bekommen  habe.   Ich  glaube  diesen  Personen,  habe  jedoch  nicht  gross  weiter  recherchiert  und  kann  deshalb  nicht  garantieren,  dass  alles  hundert  Prozent  so  stimmt,  wie  ich  es  hier  beschreibe...  Weiter  habe  ich  ein  paar  Fotos  von  der  EMMAUS-­Facebook  Seite  verwendet,  nicht  ganz  alle  Bilder  sind  von  mir  selbst  (aber  die  meisten).  Am  Ende  dieses  Textes  bitte  ich  euch  herzlich  um  eure  Unterstützung  für  einen  guten  Zweck.    Food  waste  Nach  unserer  Jubiläumsfeier  blieben  sehr  viele  Essensresten  übrig.  Diese  wegzuwer-­fen  wäre  eine  Schande,  wenn  man  daran  denkt,  wie  viele  Leute  froh  darüber  wären...                              Ich  fragte  deshalb  bei  einer  Freundin  (Anca),  die  sich  sozial  stark  engagiert,  nach,  ob  sie  eine   Idee  hätte.  Sie  sagte  mir,   ich  solle  das  ganze  Essen  zu   ihrem  Restaurant  bringen  und  dann  schauen  wir  weiter.  Dies  habe  ich  dann  am  nächsten  Tag  auch  ge-­tan.  Anca  rief  einer  Organisation  an,  die  sich  um  Obdachlose  kümmert  und  diese  stan-­den   dann   auch   zehn  Minuten   später  mit   einem  Auto   vor   dem  Restaurant,   um   das  ganze  Essen  abzuholen.   Ich  war  beeindruckt,  wie  gut  das  Ganze   funktionierte  und  auch,  dass  da  scheinbar  ein  gutes  Netzwerk  vorhanden  ist.    „Food  waste“  (Essenverschwendung)  war  schon  immer  ein  Thema,  das  mich  beschäf-­tigte  und  ich  sehe  sehr  viel  Verbesserungspotential...  Mir  kam  die  Idee,  ein  Netzwerk  mit  Restaurants  und  Event-­Organisatoren  (Hochzeiten,  Catering,  Kongresse  etc.),  die  immer  viele  Essensresten/-­Abfälle  haben,  aufzubauen.  Diese  sollen  ihre  Essenresten  nicht  wegwerfen,  sondern  bereitstellen,  um  abgeholt  und  dann  an  Obdachlose  verteilt  zu  werden.  Das  Projekt  ist  gescheitert,  bevor  es  begonnen  hatte.  Dies  ist  jedoch  nicht  weiter  schlimm...  Warum,  erzähle  ich  euch  ein  bisschen  weiter  unten  im  Text...    Da  diese  Idee  verschiedene  Herausforderungen  mit  sich  bringt,  wollte  ich  zuerst  ein  bisschen  recherchieren.  Um  an  das  Obdachlosen-­Netzwerk  zu  kommen  und  an  wei-­tere  Informationen  in  diesem  Bereich  zu  gelangen,  telefonierte  ich  Gelu,  dem  Gründer  der  Organisation,  die  unsere  Essensresten  abgeholt  hatte.  Gelu  ist  42  Jahre  alt,  sehr  engagiert,  positiv,  jung  geblieben  aber  trotzdem  sehr  reif.  Im  sozialen  Bereich  hat  er  extrem  viel  Erfahrung  und  er  kennt  sich  bestens  aus  mit  allem,  was  in  dieser  Gegend  

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irgendwie  mit  „arm“  zu  tun  hat.  Mehr  über  ihn  und  seine  Organisation  erzähle  ich  euch  ein  bisschen  weiter  unten  im  Text,  nun  aber  wieder  zum  „Food  waste“:    Gelu  hatte  sich  Zeit  genommen,  um  mir  seine  Organisation  zu  zeigen  und  all  meine  Fragen  zu  beantworten.  Ich  erzählte  ihm  von  meiner  Idee  und  wollte  seine  Meinung  dazu  wissen.  Sehr  erstaunt  war  ich  über  seine  Antwort:  „Es  gibt  kein  Food  waste  bzw.  keine  Essensverschwendung  hier   in   Iasi“.  Wie?  Das  kann  doch  gar  nicht  sein...   Ich  war  doch  an  dieser  Hochzeit  und  dort  habe  ich  ja  gesehen,  wie  viel  Essen  übrig  ge-­blieben  ist...  Ich  sehe  doch,  wie  die  Leute  hier  in  den  Restaurants  verschwenderisch  mit  Essen  umgehen...  Keine  Essensverschwendung?  Unmöglich!  Gelu  hat’s  mir  aber  erklärt  und  es  ist  extrem  spannend:  Das  ganze  Essen,  das  nach  einem  Abend  im  Res-­taurant  oder  nach  einer  Hochzeit  übrig  bleibt,  wird  von  den  Mitarbeitern  (Kellner,  Kü-­chenpersonal  etc.)  eingepackt  und  mit  nachhause  genommen.  Dort  wird  es  dann  an  Familie,  Freunde  und  Nachbarn  weiterverteilt.  Viele  Leute  hier  haben  nicht  so  viel  Geld  und  profitieren  von  solchen  Dingen.      Klammer  auf:  Die  Rumänen  sind  sowieso  Weltmeister  im  Verteilen.  Zum  Beispiel  auf  dem  Land,  wenn  jemand  ein  Schwein  schlachtet,  wird  das  Fleisch  sofort  an  die  Ganze  Familie  verteilt  und  an  die  Nachbarn  verkauft.  Die  Mütter  auf  dem  Land  kochen  immer  sehr  viel  und  geben   ihren  Kindern,  die   in  der  Stadt   leben,  das  Essen  für  die  ganze  Woche  mit.  Die  Rumänen  nutzen  auch  immer  jede  Gelegenheit,  um  jemandem  etwas  für  jemand  anderes  mitzugeben.  Deshalb  reisen  die  Rumänen  auch  viel  mit  überfüllten  Autos  voller  Plastiksäcken.  Irgendwie  hat  jeder  Rumäne  irgendwo  noch  einen  Cousin  oder  eine  Schwester,  die  irgendwo  anders  leben  und  man  ihnen  vielleicht  irgendetwas  senden  könnte...  Ich  kann  mich  noch  erinnern  als  wir  nach  Deutschland  fuhren...  Cris-­tis  Vater  hatte  uns  zwei  riesige  Packungen  mit  Senf  mitgegeben,  welche  wir  dort  bei  Freunden  und  Familie  verteilen  sollten.  Und  auf  dem  Rückweg  gaben  diese  uns  dafür  Medikamente   etc.   mit,   welche   wir   ihren   Familienmitgliedern   in   Rumänien   bringen  mussten.  Klammer  zu.    Wieder  zurück  zum  „Food  waste“:  Landet  dann  doch  einmal  etwas  zu  Essen  im  Abfall,  wird  es   trotzdem  nicht  verschwendet.  Es   funktioniert  nämlich   folgendermassen:  Für  jede  einzelne  Mülltonne,   in   der   normalerweise  Essensresten   landen   (die  Rumänen  trennen  den  Müll  leider  nicht,  aber  die  Mülltonnen,  die  nahe  bei  einem  Restaurant  etc.  stehen,  haben  meistens  mehr  Essensresten),   ist  ein  Obdachloser  oder  eine  andere  „arme  Person“  „verantwortlich“.  Diese  Person  ist  von  Morgens  bis  Abends  bei  dieser  Mülltonne  (vielleicht  nicht  gerade  bei  der  Mülltonne  aber  ein  paar  Meter  entfernt)  und  jedes  Mal,  wenn  jemand  etwas  reintut,  schaut  sie  nach,  ob  es  sich  um  „brauchbare“  Essensresten  handelt.  Wenn  ja,  so  nimmt  sie  die  Essensresten  raus  uns  sortiert  diese.  All  diese  sortierten  Essensresten  werden  dann  auf  einem  inoffiziellen  „Essensresten-­Markt“  für  ein  bisschen  Geld  an  andere  „arme  Personen„  verkauft.  Leider  hatte  ich  bis  jetzt  noch  keine  Zeit,  so  einen  „Markt“  zu  besuchen.  Dies  möchte  ich  jedoch  bald  ein-­mal  tun  und  darüber  schreiben.                

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Ich  war  sehr  erstaunt  über  diese  Erklärungen  von  Gelu  und  ich  bin  sehr  positiv  beein-­druckt,  wie  gut  sich  dieses  Problem  von  alleine  löst...  Ein  bisschen  enttäuscht  war  ich  schon,  dass  es  sich  deshalb  mit  meiner  Projekt-­Idee  erübrigt  hatte,  aber  eigentlich  ist  es  ja  gut,  wenn  sich  die  Probleme  von  alleine  lösen...  Ich  habe  ihn  gefragt,  ob  dann  dies  mit  den  Mülltonnen  nicht  mafiös  organisiert  ist.  Er  antwortete  mir  mit  Nein.  Wenn  jemand   für  eine  Mülltonne  verantwortlich   ist,   dann   ist   es  einfach  so.  Wenn   jemand  anderes  Essensresten  aus  der  selben  Mülltonne  nehmen  möchte,  dann  wird  sich  ein-­fach  geprügelt  und  der  Stärkere  gewinnt...  Normalerweise  werden  aber  die  „Verant-­wortlichkeiten“  für  die  Mülltonnen  respektiert.      Was  jedoch  ganz  stark  von  der  Mafia  kontrolliert  wird,  ist  das  Bettler-­„Business“:    Bettler  Schon  seit  Jahren  beschäftigt  mich  die  Frage,  ob  es  Sinn  macht,  Bettlern  etwas  zu  geben  oder  nicht...  Jeder  von  uns  kennt  das:  Ein  Mann,  der  nur  mit  einem  Bein  am  Boden  auf  einem  Hauptplatz  sitzt,  eine  Frau  mit  ihrem  Baby  im  Arm  vor  einer  U-­Bahn  Station,  ein  anderer  Mann,  der  vor  sich  auf  dem  Boden  Bilder  von  seiner  Familie  aus-­gebreitet  und  auf  einem  Karton  irgendetwas  dazu  geschrieben  hat  oder  eine  alte  Frau  mit  Kopftuch,  die  vor  dem  Eingangstor  einer  Kirche  nach  Geld  fragt.  Für  mich  ist  die  Konfrontation  mit  solchen  Leuten  mit  einem  unangenehmen  Gefühl  verbunden.  Unan-­genehm,  weil  dieses  Gefühl  kontroverse  Elemente  beinhaltet.  Zum  einen  Mitleid  und  das  Bedürfnis,  zu  helfen.  Zum  anderen  Scham,  weil  man  nicht  auf  die  Bitte  der  Bettler  reagiert  und  sich  auch  nicht  getraut,   ihnen   in  die  Augen  zu  schauen   (eine  gewisse  Verklemmtheit  von  sich  selbst,  die  man  nicht  mag).  Auch  Dankbarkeit  dafür,  dass  man  nicht  selbst  in  dieser  unglücklichen  Lage  ist  und  damit  verbunden  auch  ein  gewisses  Verantwortungsbewusstsein,  seine  glückliche  Lage  zu  teilen.  Weitere  Elemente  dieses  unangenehmen  Gefühls  sind  Hilflosigkeit  und  Ungewissheit,  weil  man  nicht  weiss,  ob  es  etwas  bringt,  wenn  man  der  jeweiligen  Person  etwas  gibt,  und  auch  Hass  gegen-­über  denjenigen  Personen,  die  Mitleid  und  Armut  ausnutzen  und  damit  durch  organi-­sierte  Strukturen  Profit  machen.    Ich  habe  deshalb  Gelu  gefragt,  wie  das  Ganze  funktioniert  und  ob  ich  ab  und  zu  etwas  geben  sollte  oder  nicht.  Seine  Antwort  war  ganz  klar:  Nein.  Betteln   ist  ein  Business  (sogar  hier  und  vor  allem  in  den  westlichen  Ländern)  und  die  einzige,  die  davon  profi-­tiert,  ist  die  Mafia.  Die  Mafia  kontrolliert  den  ganzen  „Bettler-­Markt“.  Sie  weist  den  Bett-­lern  ihre  Plätze  zu  (an  einem  Hauptplatz  mit  vielen  Leuten  kann  man  viel  mehr  „ein-­nehmen“  als  an  einem  Platz  wo  es  nicht  so  viele  Leute  hat)  und  verlangt,  je  nach  „Ren-­tabilität“  der  Plätze,  mehr  Abgaben  von  den  Bettlern.  Sie  verteilt  Babys  an  die  jeweili-­gen  „Bettler-­Müttern“,  um  mehr  Mitleid  zu  erzeugen  (diese  Frauen  sind  zum  Teil  gar  nicht  die  richtigen  Mütter  dieser  Babys  und  ich  habe  auch  gehört,  dass  die  Babys  zum  Teil  mit  Drogen  ruhiggestellt  werden,  sodass  sie  schlafen  und  nicht  weinen).  Weiter  gibt  es  auch  Bettler,  die  „Krüppel  spielen“,  in  Wirklichkeit  aber  gar  keine  sind,  sondern  es   irgendwie  schaffen,  einen  Arm  oder  ein  Bein  so  zu  verstecken,  dass  es  so  aus-­sieht...  „Krüppel“  erzeugen  sehr  viel  Mitleid  und  es  gibt  hier  in  Iasi  einen  „berühmten“  „echten“  „Krüppel“,  der  so  gut  verdient,  dass  er  am  Abend  jeweils  mit  dem  Taxi  nach-­hause  in  seine  schöne  Wohnung  fährt.      Weiter  gibt  es  den  „Bettler-­Export“,  der  auch  durch  die  Mafia  organisiert  wird.  Als  wir  vor  einiger  Zeit  dieses  jährliche  Iasi-­Festival  hatten,  bei  dem  hunderttausende  Leute  von  überall  in  Rumänien  nach  Iasi  kamen,  waren  auch  deutlich  mehr  Bettler  auf  den  

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Strassen  (sonst  sieht  man  eigentlich  sehr  wenige...).  Auch  die  Bettler  kommen  vom  ganzen  Land  hier  her,  weil  sie  an  diesem  Wochenende  sehr  viel  verdienen.    Klammer  auf:  Dieses  jährliche  Iasi-­Festival  ist  zum  einen  ein  riesiges  Stadt-­Fest  mit  vielen   Ständen   wo  man   allerlei   Dinge   kaufen   kann,   einem   Konzert   mit   bekannten  Bands  und  einem  Feuerwerk.  Zum  anderen  ist  es  auch  eine  religiöse  Feier,  bei  wel-­cher  die  Leute  teilweise  bis  zu  24  Stunden  Schlange  stehen,  um  in  der  Metropoliten-­Kathedrale  die  Glaswand  des  Sankt  Parascheva  Relikts  zu  küssen  und  zu  beten.  Die  Kirche  hatte  an  diesen  Tagen  scheinbar  ca.  4  Millionen  Euro  durch  Kollekte  etc.  ein-­genommen.  Ich  stelle  jetzt  einmal  in  den  Raum,  ob  dieses  Geld  wirklich  für  wohltätige  Zwecke  verwendet  wird  oder  nicht  doch  eher  für  schöne  Autos  und  Prunk  für  die  hohen  Geistlichen...  Die  junge  Generation  in  Rumänien  ist  sehr  sehr  kritisch  gegenüber  der  orthodoxen  Kirche  und  dies  ist  sicher  zu  einem  grossen  Teil  berechtigt.  Dazu  jedoch  ein  anderes  Mal.  Klammer  zu.    Der  eigentliche  „Bettler-­Export“  ist  aber  der  Export  von  Bettlern  aus  ärmeren  Ländern  wie  zum  Beispiel  Rumänien  in  westliche  Länder  wie  Zum  Beispiel  Frankreich.  In  Paris  habe  ich  mit  Abstand  am  meisten  Bettler  gesehen  (viel  mehr  als  in  ärmeren  Ländern  wie  Rumänien,  Kolumbien  etc.).  Vor  allem  die  aggressiven  Gypsy-­Frauen  („Zigeuner“)  dort  sind  sehr  visibel  und  fallen  negativ  auf.  Je  nach  dem  wie  gut  es  gerade  läuft,  nimmt  ein  Bettler  in  einer  Stadt  wie  Paris  ca.  zwischen  150  und  300  Euro  pro  Tag  ein.  Ein  „guter“  Bettler,  der  jeden  Tag  „arbeitet“,  kann  also  bis  zu  9'000  Euro  im  Monat  einneh-­men.  Verglichen  mit  dem  gesetzlichen  Rumänischen  Mindestlohn  von  ein  bisschen  mehr  als  200  Euro  im  Monat  ist  dies  ca.  ein  Vierzigfaches  und  dieser  Betrag  übersteigt  auch  das  Zehnfache  von  dem,  was  ich  hier  verdiene  und  auch  das,  was  die  meisten  Leute  in  der  Schweiz  verdienen.  Es  ist  also  ein  extrem  rentables  Geschäft.  Nicht  je-­doch  die  Bettler,  sondern  die  Mafia  profitiert  von  diesem  Geschäft.  Sie  kontrolliert  und  organisiert  es.  Die  Bettler  nehmen  zwar  viel  ein,  verdienen  aber  nicht  viel.  Meistens  bekommen  sie  etwas  zu  essen  und  einen  Platz  zum  Schlafen,  die  Einnahmen  müssen  sie  jedoch  abgeben.    Dies  macht  mich  unglaublich  wütend  und  ich  finde  es  richtig  pervers,  dass  man  die  Armut  und  das  Leid  der  Menschen  ausnutzt,  um  damit  Millionen  zu  „verdienen“.      Ich  würde  mir  wünschen,  dass   in  diesem  Bereich  mehr   recherchiert,  geforscht  und  aufgeklärt  wird.  Dass  mehr  Ethnologen,  Soziologen  oder  wie  sie  auch  immer  heissen,  sich  damit  auseinandersetzen,  Projekte  machen  und  danach  zusammen  mit  Politik  und  Hilfswerken   eine   gesamtheitliche   und   nachhaltige   Lösung   ausarbeiten,   um   diesem  Problem  entgegenwirken.  Ich  masse  mir  nicht  an,  endgültig  darüber  zu  urteilen,  da  ich  zu  wenig  darüber  weiss  und  nicht  den  Überblick  habe,  was  schon  alles  gemacht  wird.  Ich  empfinde  es  aber  trotzdem  als  korrekt,  wenn  ich  über  mein  Bauchgefühl  schreibe...    Gelu  hat  mir  gesagt,  dass  die  einzigen  Bettler,  bei  denen  es  evtl.  gut  ist,  ihnen  etwas  zu  geben,  alte  Frauen  sind.  Diese  seien  scheinbar  meistens  nicht  Teil  des  Mafia-­Sys-­tems.    Gypsies  Was  mich  auch  sehr  traurig  und  nachdenklich  macht,  sind  gewisse  Gypsy-­Kinder  („Zi-­geuner“)  hier  in  Iasi.  Die  Gypsies  schicken  ihre  Kinder  teilweise  auf  die  Strasse,  um  zu  betteln  und  Dinge  zu  verkaufen  (wie  gesagt,  es  gibt  nicht  viele  Bettler  hier  und  dem-­entsprechend  auch  nicht  viele  Kinder-­Bettler,  aber  diese  Kinder  fallen  trotzdem  auf...).  

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Ich  sehe  teilweise  fünfjährige  Kinder,  die  mir  vor  dem  Supermarkt  verwelkte  Blumen  verkaufen  möchten  und  mir  mehrere  Sekunden  hinterherlaufen.  Es  macht  mich  extrem  traurig  und  wütend,  dies  zu  sehen,  weil  ich  genau  weiss,  dass  ich  ihnen  nicht  helfe,  wenn  ich  ihnen  etwas  abkaufe  oder  ihnen  Geld  gebe.  Das  Geld  geht  an  die  Eltern  und  vielleicht  auch  an  die  Mafia  und  je  erfolgreicher  die  Eltern  damit  sind,  desto  mehr  hal-­ten  sie  an  ihrem  Konzept,  ihre  Kinder  auf  die  Strasse  zu  schicken,  fest.  Es  ist  ein  Teu-­felskreis,  der  nicht  so  einfach  unterbrochen  werden  kann.  Die  Gypsies  haben  oft  keine  Ausbildung,  gingen  nie  zur  Schule  und  sind  ganz  und  gar  nicht   in  die  Gesellschaft  integriert.  Die  Gyspy-­Kinder  wachsen  so  auf,  kennen  nichts  Anderes  und  werden  es  dementsprechend  genau  gleich  mit  ihren  Kindern  machen,  wenn  sie  einmal  erwach-­sen  sind.  Gemäss  den  Eindrücken,  die  ich  hier  erlebe,  leben  die  meisten  Gypsies  hier  komplett  in  einer  Parallelgesellschaft.  Die  meisten  Rumänen  sagen  mir,  dass  man  die  Gypsies  gar  nicht  integrieren  kann,  weil  die  Gypsies  das  gar  nicht  wollen.  Ich  sehe  die  Schwierigkeiten  und  die  Herausforderungen,  das  Argument,  dass  es  einfach  nicht  geht  und  fertig,  ist  meiner  Meinung  nach  aber  zu  einfach...  Mehr  zu  den  Gypsies  werde  ich  ein  anderes  Mal  schreiben.  Das  Thema  ist  sehr  komplex  und  ich  muss  zuerst  noch  selbst  viel  mehr  darüber  erfahren.      EMMAUS  –  Die  Obdachlosenorganisation  Wie  schon  gesagt,  hat  sich  dieser  Gelu  Zeit  genommen,  um  mir  seine  Organisation  zu  zeigen  und  zu  erklären,  was  sie  alles  machen.  Ich  möchte  euch  unbedingt  davon  er-­zählen,  weil  ich  das  Engagement  von  Gelu  und  seinen  Leuten  als  extrem  wertvoll  und  wichtig  empfinde  und  ich  von  ihrer  nachhaltigen  Idee  begeistert  bin.  Deshalb  war  ich  in   letzter  Zeit  ab  und  zu  einmal  dort,  hatte  mit  den   „Compagnons“  gesprochen,  mit  ihnen  gegessen,  war  bei  der  täglichen  Sandwich-­und-­Tee-­Verteil-­Tour  dabei  und  hatte  mehrere  Male  mit  den  Verantwortlichen  über  diese  Organisation  gesprochen.    EMMAUS  ist  eine  weltweite  Organisation  mit  vielen  eigenständigen  lokalen  Unteror-­ganisationen.  Gelu  ist  der  Gründer  von  EMMAUS  Rumänien  sowie  auch  von  EMMAUS  Iasi.  EMMAUS  Iasi  gibt  es  schon  seit  15  Jahren  und  es  ist  die  einzige  Organisation  hier  in  Iasi,  die  sich  um  die  Obdachlosen  kümmert.  EMMAUS  besitzt  hier  in  Iasi  ein  grosses  Haus,  in  welchem  ca.  15  Obdachlose  wie  in  einer  grossen  Familie  bzw.  WG  wohnen,  schlafen  und  essen.  Da  sie  ja  jetzt  dort  wohnen,  sind  sie  nicht  mehr  obdach-­los,  sondern  heissen  nun  „Compagnons“.                                

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Alle  diese  Compagnons  arbeiten  für  die  Aktivitäten  und  Projekte  der  Organisation.  Ein  paar  hundert  Meter  entfernt  vom  EMMAUS-­Haus  steht  ein  EMMAUS-­Secondhand  La-­den,  in  welchem  die  Compagnons  arbeiten.  Sie  räumen  die  Gestelle  ein,  sind  verant-­wortlich  für  die  Kasse,  fahren  grössere  Einkäufe  mit  dem  Lieferwagen  zu  den  Kunden  nachhause  etc.  EMMAUS  hat  einen  Standort  in  Sion  und  drei  Standorte  in  Frankreich,  zu  denen  sie  ein  paar  Mal  im  Jahr  mit  dem  Lastwagen  fahren,  um  alte  Möbel,  Besteck,  Kleider  und  weiteres  Zeugs  abzuholen,  dass  die  Schweizer  und  Franzosen  nicht  mehr  wollen.  Dies  fahren  sie  dann  nach  Iasi  und  verkaufen  es  hier  im  Secondhand  Laden.                                                                                        

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                                                                                         Gewisse  Compagnons  arbeiten  auch  im  Haus.  Gabriela  zum  Beispiel  ist  verantwortlich  für  die  Küche.  Sie  kocht  das  Morgen-­,  Mittag-­  und  Abendessen  und  deckt  den  Tisch,  sodass  alle  zusammen  essen  können,  wenn  sie  vom  Secondhand  Laden  und  anderen  Arbeitsaktivitäten  nachhause  kommen.  Als  ich  dort  war,  haben  sie  vorher  gerade  eine  Kuh  vom  eigenen  Bauernhof  geschlachtet,  dazu  aber  weiter  unten  im  Text...    

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                                               Andere  Compagnons  bauen  zum  Beispiel  das  Haus  um.  Sie  sind  gerade  am  Aufsto-­cken,  sodass  sie  für  die  doppelte  Anzahl  von  Compagnons  Schlafplätze  haben.  In  zwei  Wochen  sollte  das  Ganze  fertig  sein  und  dann  bietet  das  Haus  Schlaf-­  und  Wohnraum  für  ca.  30  –  40  Personen.  Im  Moment  sind  es  Viererzimmer  und  es  ist  recht  eng.  Da-­nach  haben  sie  vielleicht  die  Möglichkeit,  nur  zu  zweit  in  einem  Zimmer  zu  schlafen.                                              

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                                             EMMAUS  Iasi  besitzt  neben  dem  Haus  und  dem  Secondhand  Laden  auch  ein  20  Hek-­taren-­Feld  und  einen  Bauernhof  ein  bisschen  ausserhalb  der  Stadt.  Dort   leben  und  arbeiten  auch  noch  einmal  ca.  15  Compagnons.  Auf  dem  Bauernhof  kümmern  sie  sich  um  ca.  60  Schweine,  10  Kühe  und  viele  Hühner  etc.  Weiter  pflanzen  sie  Gemüse  und  Obst  an.  Auf  dem  Feld  wird  Getreide  etc.  angepflanzt,  hauptsächlich  als  Futter  für  die  Tiere  des  Bauernhofs.  Alle  Produkte  (Fleisch,  Milch,  Eier,  Gemüse,  Früchte  etc.),  die  auf  dem  Feld  und  Bauernhof  produziert  werden,  sind  für  den  Eigengebrauch,  sprich  für  die  Compagnons  im  EMMAUS-­Haus  und  auf  dem  EMMAUS-­Bauernhof.  In  Zukunft  möchten  sie  mehr  produzieren  und  die  Produkte  auch  verkaufen.                                          

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                                             Es   ist  nicht  einfach,  Obdachlose  zu  überzeugen,  zu  EMMAUS  zu  kommen  und  Teil  der  Wohngemeinschaft   zu  werden.  Zuerst  muss  man  die  Obdachlosen   finden,  den  Kontakt  aufbauen  und  nach  und  nach  das  Vertrauen  zu  ihnen  gewinnen.  Nicht  jeder  möchte  sich  helfen  lassen  und  deshalb  ist  es  sehr  wichtig,  immer  viel  Respekt  zu  zei-­gen.  Um  in  Kontakt  und  ins  Gespräch  zu  kommen  sowie  um  das  Vertrauen  schrittweise  aufzubauen,  verteilt  EMMAUS  von  Montag  bis  Freitag  jeden  Abend  Sandwiches,  die  in  der  Küche  von  den  Compagnons  selbst  produziert  werden.  Mit  Alexandru,  Vasile  (er  war  selber  obdachlos  und  der  erste  Compagnon  von  EMMAUS  Iasi  vor  15  Jahren)  und  Marine  (eine  Freiwillige  aus  Dijon  in  Frankreich,  die  nun  ein  Jahr  bei  EMMAUS  in  Iasi  verbringt)  ging  ich  vor  ein  paar  Tagen  mit  auf  die  Sandwich-­Verteil-­Tour.  In  unserem  kleinen  Lieferwagen  hatten  wir  100  Sandwichs,  100  Äpfel,  3  Kanister  mit  warmem  Tee,  Kleider  und  Wolldecken  (es  wird  sehr  kalt  hier  im  Winter  und  deshalb  ist  es  sehr  wich-­tig,  dass  die  Leute  etwas  warmes  zu  Trinken  bekommen  und  sich  zudecken  können,  wenn  sie  draussen  schlafen.  Es  sind  auch  schon  Obdachlose  verfroren).  Wir  hielten  an  drei  verschiedenen  Standorten  in  der  Stadt,  hupten  mit  dem  Auto  und  schon  waren  wir  umringt  von  vielen  Obdachlosen.  Die  Obdachlosen  kennen  Alexandru,  Vasile  und  Marine  und  sie  wissen,  dass  es  jeden  Abend  (ausser  leider  am  Wochenende)  etwas  zu  Essen  gibt.  Es  sind  immer  ungefähr  die  gleichen  und  deshalb  kommt  man  mit  der  Zeit  mit  ihnen  ins  Gespräch  und  kann  so  den  Kontakt  und  das  Vertrauen  aufbauen.  An  diesem  Abend  war  ich  der  Verantwortliche  für  die  Tee-­Herausgabe.  Die  meisten  Ob-­dachlosen  sind  sehr  gesprächig  und  lebendig.  Gewisse  machten  sogar  Witze  und  ver-­suchten  mich  herauszufordern.  Es  hatte  auch  diverse  Kinder  unter  ihnen,  die  grund-­sätzlich  einen  fröhlichen,  aber  doch  sehr  armen  Eindruck  machten.  Mit  kleinen  Dingen  kann  man   ihnen  eine   grosse  Freude  machen  und   sie   sind   sehr   froh   darum.  Diese  Sandwich-­Verteil-­Tour  ist  auch  dazu  da,  dass  Alexandru,  Vasile  und  Marine  ein  biss-­chen  den  Puls  der  Obdachlosen   fühlen  und  bei   individuellen  seelischen  Problemen  oder  wenn  jemand  sehr  krank  ist  entsprechend  helfen  können.    

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                                                   EMMAUS  Iasi  schafft  es,  gewisse  Obdachlose  nach  einiger  Zeit  davon  zu  überzeugen,  Compagnons  zu  werden,   in  der  Wohngemeinschaft  zu  leben  und  bei  den  Projekten  mitzuarbeiten.  Sie  geben  ihnen  eine  Beschäftigung  und  somit  das  Gefühl,  gebraucht  zu  werden.  Ihre  Arbeit  gibt  ihnen  eine  gewisse  Tagesstruktur  und  sie  lernen  auch  viel  dabei.  Das  Leben  in  der  Wohngemeinschaft  gibt  ihnen  das  Gefühl  von  Zugehörigkeit  und  Integration.  Im  Haus  gibt  es  auch  Regeln.  Alkohol  ist  verboten  und  wenn  jemand  besoffen  nachhause  kommt,  muss  er  die  Nacht  draussen  verbringen.  Wer  sich  prügelt  oder  stiehlt,  wird  aus  der  Gemeinschaft  und  dem  Projekt  ausgeschlossen.  Das  Zusam-­menleben  im  Haus  funktioniert  grundsätzlich  sehr  gut  und  der  Umgang  miteinander  ist  sehr  herzlich  und  respektvoll.  Ich  wurde  spontan  von  den  Compagnons  zum  Abend-­essen  eingeladen  und  durfte  diese  positive  Atmosphäre  miterleben.  Obwohl  ich  nicht  die  selbe  Sprache  spreche  und  mich  mit  den  Compagnons  grundsätzlich  nur  mit  Hän-­den  und  Füssen  verständigen  kann,  wurde  ich  sehr  herzlich  aufgenommen  und  alle  versuchen  mit  mir   zu   kommunizieren.  Mit   den  Verantwortlichen   kann   ich   immerhin  Französisch  sprechen.  Dies,  weil  sie  regelmässig  mit  Sion  und  Frankreich  Kontakt  ha-­ben  und  auch  schon  eine  längere  Zeit  dort  waren.  Weiter  bieten  sie  gewissen  Com-­pagnons  auch  die  Möglichkeit,  ein  „Praktikum“  in  Sion  und  Frankreich  zu  absolvieren.    Ein  Compagnon  bleibt  im  Durchschnitt  ca.  drei  Jahre  bei  EMMAUS  Iasi.  Danach  ist  er  wieder  in  die  Gesellschaft  integriert,  kann  sein  eigenes  Leben  bestreiten,  sich  bewer-­ben,  eine  Wohnung  mieten  und  eine  Familie  gründen.  Die  Erfolgsquote  von  EMMAUS  liegt  zwischen  80  und  90  %.  Dies  bedeutet,  dass  es  EMMAUS  bei  fast  jedem  Com-­pagnon  gelingt,   ihn  wieder   in  die  Gesellschaft  zu   integrieren.  Nur  bei  ganz  wenigen  gelingt  es  nicht  und  diese  landen  dann  leider  wieder  auf  der  Strasse.  

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EMMAUS  Iasi  finanziert  sich  praktisch  vollständig  aus  den  Einnahmen  des  Second-­hand  Ladens.  Mit   ca.  60'000  Euro   im  Jahr  gelingt  es   ihnen,  alle   ihre  Aktivitäten  zu  finanzieren.  Damit  decken  sie  das  Essen  und  die  Unterkunft  aller  Compagnons  (ca.  30  –  40  Personen)  im  Haus  und  auf  dem  Bauernhof,  ein  Taschengeld  für  jeden  Compag-­non  (ca.  60  Euro/Monat/Compagnon),  die  Löhne  der  Verantwortlichen  (ca.  5  Leute)  und  alle  weiteren  Kosten.  Weiter  bezahlen  sie  auch  voll  Steuern,  vom  Staat  werden  sie  leider  nicht  unterstützt.  Für  gewisse  grössere  Projekte  (wie  zum  Beispiel  das  Auf-­stocken)  können  sie  bei  der  Dachorganisation  von  EMMAUS  ein  Budget  beantragen.  Ob  es  bewilligt  wird,  ist  aber  nicht  immer  garantiert.    Gelu  ist  momentan  im  Gespräch  mit  dem  Staat,  weil  er  ein  grösseres  Projekt  machen  möchte,  das  ein  Gesundheitszentrum  und  Plätze  für  ca.  250  Personen  beinhaltet.  Mit  diesem  Projekt  möchte  er  sich  auch  bei  der  EU  für  die  Finanzierung  bewerben.  Mehr  Informationen  habe  ich  im  Moment  noch  nicht,  ich  werde  mich  aber  erkundigen.  Auf  jeden  Fall  kann  ich  mir  vorstellen,  dass  es  sehr  lange  dauern  wird,  da  die  Behörden  meistens  unfähig  sind  und  die  Bürokratie  alle  Prozesse  sehr  verlangsamt.      Alkoholismus  und  Perspektivlosigkeit  auf  dem  Land  Mit  diversen  Leuten  habe  ich  in  letzter  Zeit  über  die  gesellschaftlichen  und  sozialen  Herausforderungen  hier  in  Rumänien  gesprochen.  Es  gibt  tonnenweise  davon...  Iulia,  eine  gute  Freundin,  die  bei  meiner  Mutter  in  der  Schweiz  Deutsch  lernte  und  nun  wie-­der  zurück  in  Rumänien  ist,  hat  mir  erzählt,  dass  in  ihrem  Dorf  auf  dem  Land,  wo  sie  aufgewachsen  ist,  ein  sehr  trauriges  Bild  herrscht.  Praktisch  alle  Leute  sind  den  gan-­zen  Tag  besoffen  und  arbeiten  nicht,  ob  wohl  es  viel  zu  tun  gäbe.  In  der  Zeit  des  Kom-­munismus  hatte  jeder  eine  Arbeit  und  auch  die  nötige  Disziplin  war  (zwar  erzwungen  aber  immerhin)  vorhanden.  Nach  der  Revolution  sind  alle  diese  Strukturen  zusammen-­gebrochen  und  die  Leute  kamen  nicht  klar  mit  ihrer  Freiheit  und  auch  die  nötige  Eigen-­verantwortung  und  Initiative  fehlte.  Nun,  nach  dem  EU-­Beitritt  2007,  bekommen  diese  Leute  auf  dem  Land  gewisse  finanzielle  Unterstützung  und  können  sich  so  über  Was-­ser  halten,  ohne  gross  etwas  zu  tun  (zwar  nicht  mit  einem  guten  Leben,  aber  immerhin  überleben  sie).  Rumänien  ist  bekannt  dafür,  dass  auf  dem  Land  fast  gar  nichts  geht  und  viele  Leute  dort  besoffen  sind  und  nicht  arbeiten.  Weiter  ist  auf  dem  Land  auch  das  Bildungsniveau  sehr  schlecht  und  gewisse  Eltern  schicken  ihre  Kinder  nicht  zur  Schule.  Es  gibt  nicht  in  jedem  Dorf  eine  Schule  und  die  Schulbusse  fahren  nur  dann,  wenn  der  korrupte  Schulleiter  gerade  einen  Grosszügigkeitsanfall  hat  und  das  Geld,  was  der  Schule  zur  Verfügung  steht,  wirklich  auch  für  das  Benzin  des  Schulbusses  braucht  und  nicht,  wie  meistens,  für  sein  eigenes  Luxus  Auto.  Dies  ist  selbstverständ-­lich  ein  bisschen  überspitzt,  aber  es  geht  definitiv  in  diese  Richtung.  Schon  mehrere  Leute  haben  mich  auf  diese  Probleme  auf  dem  Land  hingewiesen.  Das  Dorf  von  Iulia  wiederspiegelt  scheinbar  die  allgemeine  Situation  sehr  gut.    Die  Preise  auf  dem  Land  sind  extrem  tief.  Auch  Land  und  Häuser  kann  man  für  sehr  wenig  Geld  kaufen.  Da  nichts  läuft  und  funktioniert,  kauft  niemand  und  deshalb  ist  alles  sehr  billig.  Viele  junge  Leute  stehen  vor  dem  Problem,  dass  ihre  Grosseltern  noch  auf  dem  Land  leben,  alt  und  krank  sind,  aber  nicht  in  die  Stadt  ziehen  wollen.  Irgendwann  werden  diese  Leute  sterben  und  dann  wissen  die  Nachkommen  nicht,  was  sie  mit  dem  Land  und  dem  Haus  machen  sollen.  Iulia  hatte  mir  gesagt,  dass  sie  für  das  ganze  Land  (weiss  nicht  genau  wie  gross  aber  sicher  einigermassen  gross)  und  das  Haus  vielleicht  noch   1'000   Euro   bekommen   würde   (im   Frühling   möchte   ich   mir   dies   einmal   an-­schauen).  Das  ist  wirklich  extrem  wenig  Geld.  Deshalb  bin  ich  bin  überzeugt,  dass  hier  

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extrem  viel  Potential  vorhanden  ist.  Für  soziale  Projekte  sowie  auch  für  Business.  Bil-­liges  und  sehr  fruchtbares  Land  wäre  vorhanden  und  Arbeit  gäbe  es  genügend.  In  der  Erntezeit  stellt  Iulias  Familie  übrigens  Taglöhner  ein  für  ein  bisschen  mehr  als  10  Fran-­ken  am  Tag  (und  sie  müssen  ihnen  Essen,  Wein,  Bier  und  Kaffee  zur  Verfügung  stel-­len).   Ich  denke  wirklich,  dass  man  hier  mit  einer  kleinen   Investition  schon  sehr  viel  bewirken  kann  (sozial  sowie  auch  profitorientiert)  und  ich  werde  mich  mehr  darüber  informieren.  Ich  kann  mir  sehr  gut  vorstellen,  bald  ein  Projekt  auf  dem  Land  zu  starten.        Waisenkinder  Ein  weiteres  Problem,  dass   ich  kurz  ansprechen  möchte,  betrifft   die  Waisenkinder.  Diese  werden  bis  zu  ihrem  18ten  Lebensjahr  vom  Staat  mit  verschiedenen  Einrichtun-­gen  betreut,  danach  sind  sie  aber  auf  sich  selbst  gestellt.  Es  gibt  bis  jetzt  keine  staat-­lichen  Programme,  die  diese  Personen  auch  nach  dem  18ten  Lebensjahr  weiterbe-­gleitet.  Viele  von   ihnen   landen  dementsprechend  auf  der  Strasse  und   rutschen  ab.  Gelu  möchte  sich  in  Zukunft  auch  mehr  um  diese  Leute  kümmern.  Auch  hier  werde  ich  mich  genauer  informieren,  bis  jetzt  weiss  ich  noch  nicht  so  viel  darüber.      Ich  möchte  mich  engagieren  –  über  eure  Hilfe  würde  ich  mich  sehr  freuen!    Ich   bin   überzeugt,   dass  man   hier  mit   relativ   geringem  Aufwand   sehr   viel   bewirken  kann.  Die  Preise  hier  ermöglichen  es,  dass  man  schon  mit  wenigen  Franken  vielen  Leuten  ihr  Leben  ein  bisschen  erleichtern  kann.  Ich  möchte  mich  hier  sozial  engagie-­ren.  Meiner  Meinung  nach  hat  jeder,  der  in  einer  so  glücklichen  Lage  ist  wie  ich,  eine  soziale  Verantwortung  und  sollte  seinen  Teil  dazu  beitragen,  etwas  der  Gesellschaft  zurückzugeben.    Für  ein  eigenes  Projekt  muss  ich  mich  noch  mehr  informieren  und  mein  Netzwerk  ver-­grössern.   Vorläufig  möchte   ich   jedoch   vermehrt   über   soziale   und   gesellschaftliche  Probleme  /  Projekte  schreiben  und  in  meinem  Umfeld  Geld  sammeln,  um  Projekte  und  Organisationen  hier  in  Rumänien  zu  unterstützen  und  später  dann  zusammen  grös-­sere  Projekte  zu  starten.    Leider  hatte  ich  bis  jetzt  nicht  die  Möglichkeit,  mit  Gelu  über  konkrete  Projekte  zu  spre-­chen,  die  wir  bald  starten  könnten.  Was  aber  kurzfristig  sicher  ein  Thema  ist,  ist  der  kalte  Winter.  Es   ist  wirklich  saukalt  hier  und  die  Obdachlosen  haben  zum  Teil  nicht  einmal   richtige  Schuhe  und  genügend  warme  Kleider.  Ausserdem  suchen  sie  sich  für  die  Nacht  jeweils  ein  Plätzchen,  dass  ihnen  einen  Unterstand  bietet,  aber  in  den  wenigsten  Fällen  beheizt  ist.  Ich  bin  überzeugt,  dass  man  hier  für  sehr  wenig  Geld  irgendeine  Halle  kaufen,  Heizungen  einbauen  und  diese  den  Obdachlosen  als  Schlaf-­platz  zur  Verfügung  stellen  könnte.  Weiter  könnte  man  vielleicht  Thermosflaschen  oder  warme  Unterwäsche  kaufen  und  verteilen.  Da  ich  diese  Szene  nicht  kenne,  muss  ich  zuerst  mit  Gelu  besprechen,  was  umsetzbar  wäre.    Wenn  ihr  mich  dabei  unterstützen  möchtet,  wäre  ich  sehr  dankbar.  Ich  habe  im  Mo-­ment  weder  ein  Spendenkonto  noch  ein  konkretes  Projekt,  ich  werde  aber  sobald  wie  möglich  mit  Gelu  sprechen  und  dann  etwas  umsetzen.   Ich  garantiere  euch,  dass  eure  Spende  sinnvoll  eingesetzt  wird  und  ich  euch  auch  genau  darüber   infor-­mieren  werde,  was  mit  eurem  Geld  passiert.  Ich  werde  jeweils  darüber  schreiben  

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und  versuchen,  Projekte  mit  immer  grösserem  Impact  zu  unterstützen  und/oder  selbst  durchzuführen.    Wenn   ihr  mir   vertraut   und  den  Obdachlosen   in   Iasi   helfen  möchtet,   sodass   sie  ein  bisschen  weniger   frieren  diesen  Winter,  dann  würde   ich  mich  sehr   freuen,  wenn  ihr  mich  kontaktiert.   Jeder  Beitrag   ist   herzlich  willkommen,  auch  wenn  es  sich  nur  um  wenige  Franken  handelt.  Ihr  könnt  mir  sagen  wie  viel  ihr  spenden  möchtet  und  dann  schauen  wir  individuell  wegen  der  Geldüberweisung.  In  Zukunft  werde  ich  dies  dann  professioneller  machen,  nun  läuft  mir  aber  gerade  die  Zeit  davon.  Selbstverständlich  würde  ich  mich  auch  freuen,  mit  euch  darüber  zu  diskutieren,  eure  Meinungen  und  Ideen  anzuhören  und  Fragen  zu  beantworten.  Vom  14.  Dezember  bis  zum  11.  Januar  bin  ich  in  der  Schweiz  und  würde  mich  freuen,  mit  euch  darüber  zu  reden.    Über  eure  Spende  würde  ich  mich  sehr  freuen!  Ihr  könnt  mich  wie  folgt  kontaktieren:    E-­Mail:  [email protected],  [email protected]  Skype:  pascal.spahni  Handy:  +40  756  246  205  (meine  Rumänische  Nummer...  Die  Schweizer  Nummer  funk-­tioniert  momentan  glaub  nicht  mehr)  Facebook:  Pascal  Spahni    Ich  wünsche  euch  eine  ganz  gute  Zeit  und  grüsse  euch  herzlich!            Pascal