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Jahrgang 56, Nr. 6 (2005) DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN 157 Kreuzbandruptur. Teil 2: Prävention Übersichten Das vordere Kreuzband ist bei einer Knieverletzung die am häufigsten betroffene Bandstruktur (20). Die Inzidenz der Kreuzbandruptur wird auf 1:3 500 in der Allgemein- bevölkerung geschätzt (7, 25). Diese Zunahme ist eine Folge des erhöhten Freizeitangebotes und des erhöhten Aktivitätsbewusstseins unserer Gesellschaft. Insbesonde- re Ballsportarten erfreuen sich großer Beliebtheit. Auf- grund der spieltypischen Sprung- und Abbremsbewegun- gen kommen Kreuzbandrupturen im Ballsport vergleichs- weise häufig vor. Da das vordere Kreuzband eine wichtige Funktion für die Kinematik des Kniegelenkes hat, bedeutet eine Kreuz- bandruptur ernste Konsequenzen für den betroffenen Sportler. Eine chronische Instabilität kann die sportliche Leistungsfähigkeit unmittelbar beinträchtigen. Langfris- tig führen rezidivierende Subluxationsereignisse zu Einleitung Meniskus- und Knorpelschäden (7). Die Inzidenz der Osteoarthrose ist bei Sportlerinnen mit einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes deutlich erhöht (24). Lohmander et al. (24) untersuchten 103 Fußballspielerinnen 12 Jahre nach einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes. 82 % dieser Spielerinnen wiesen nach dieser Zeit radiologische Arth- rosezeichen am verletzten Knie auf (24). Eine operative Rekonstruktion hatte in dieser Studie keinen Einfluss auf die Inzidenz der Arthrose. Offensichtlich haben Meniskus- und Knorpelverletzungen, die bei dem initialen Kniege- lenkstrauma entstehen einen Einfluss auf die Entstehung der Osteoarthrose (Abb. 1). Diese Faktoren können durch eine Kreuzbandersatzplastik nicht beeinflusst werden. Mit dieser Operation kann nur die Instabilität behandelt wer- den. Andererseits sind Kreuzbandplastiken technisch an- spruchsvolle Operationen. Operationsfehler wie z.B. eine falsche Platzierung der Bohrkanäle kann die Mechanik des Kniegelenkes nachhaltig negativ beeinflussen. Female athletes tend to be more upright with a slightly flexed knee when cutting and landing. The muscle mechanics in this position favour the quadriceps while denying a favourable position for the hamstrings to counteract the quadriceps. Additionally, women also have greater qua- driceps activation. Various studies have shown that specific training programs can significantly reduce the incidence of ACL injuries: 1. Information about injury mechanism (eg. Henning Program, Vermont ACL Prevention Program). The athletes are trained how to prevent si- tuations which put them at risk for injury. 2. Proprioception (eg. Caraffa Program). In male professional soccer players, Caraffa showed that incorporation of proprioceptive skills such as balance board exercises into pre-season conditioning program is ab- le to significantly reduce the ACL injury rate. 3. Jump training (e.g. the Cincinatti Sportsmetric Program). This pro- gram includes a temporary staggered jump training. 4. Combination Programs. These programs include elements of all three of the above programs. A universal prevention strategy is not known at the moment, but the- re is evidence that a combination of different strategies maximizes the effect. Key words: Injury mechanism, Non-contact injury, Prevention- programs, Ball sport, Anterior cruciate ligament Summary Wolf Petersen 1 , Thore Zantop 1 , Dieter Rosenbaum 2 , Michael Raschke 1 Rupturen des vorderen Kreuzbandes bei weiblichen Athleten. Teil 2: Präventionsstrategien und Präventionsprogramme Anterior Cruciate Ligament Ruptures in Female Athletes. Part 2: Prevention Strategies and Prevention Programs 1 Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Münster 2 Funktionsbereich Bewegungsanalytik, Klinik für Allgemeine Orthopädie, Universitätsklinikum Münster In den letzten Jahren wurden verschiedene Präventionsstrategien zur Verhinderung von Kreuzbandverletzungen entwickelt. Dabei verfolgen die einzelnen Präventionsprogramme unterschiedliche Ansätze: 1. Aufklärung und Modifikation von gefährdenden Bewegungen (z.B. Henning Program, Vermont ACL Prevention Program). Dabei werden die Sportler über die Risikobewegungen aufgeklärt, und es wird trainiert, wie diese Situationen vermieden werden können. 2. Propriozeptionstraining (z.B. das Caraffa-Programm). Bei italieni- schen Profi-Fußballern konnte die Anzahl der Kreuzbandverletzungen mit einem Propriozeptionstraining auf dem Balancebrett signifikant re- duziert werden. Eine schwedische Studie an heranwachsenden weibli- chen Fußballspielerinnen konnte diesen Effekt nicht zeigen. 3. Gezieltes Sprungtraining (z.B. „Cincinatti-Sportsmetric-Program“). Bei diesem Präventionsansatz erfolgt ein zeitlich gestaffeltes Sprung- und Krafttraining. 4. Kombinationsprogramme. Diese Programme vereinigen Elemente aus allen vorherigen drei genannten Präventionsansätzen. Ein einheitliches Präventionsprogramm gibt es bisher nicht. Möglicher- weise ist der Präventionseffekt bei einer Kombination der unterschied- lichen Programme am größten. Schlüsselwörter: Verletzungsmechanismen, Nicht-Kontakt- Verletzungen, Präventionsprogramme, Ballsport, Vorderes Kreuzband Zusammenfassung

Rupturen des vorderen Kreuzbandes bei weiblichen …...Rupturen des vorderen Kreuzbandes. Teil 2Übersichten Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Kreuz-bandrupturen (VKB) im

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Jahrgang 56, Nr. 6 (2005) DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN 157

Kreuzbandruptur. Teil 2: Prävention Übersichten

Das vordere Kreuzband ist bei einer Knieverletzung dieam häufigsten betroffene Bandstruktur (20). Die Inzidenzder Kreuzbandruptur wird auf 1:3 500 in der Allgemein-bevölkerung geschätzt (7, 25). Diese Zunahme ist eineFolge des erhöhten Freizeitangebotes und des erhöhtenAktivitätsbewusstseins unserer Gesellschaft. Insbesonde-re Ballsportarten erfreuen sich großer Beliebtheit. Auf-grund der spieltypischen Sprung- und Abbremsbewegun-gen kommen Kreuzbandrupturen im Ballsport vergleichs-weise häufig vor.

Da das vordere Kreuzband eine wichtige Funktion fürdie Kinematik des Kniegelenkes hat, bedeutet eine Kreuz-bandruptur ernste Konsequenzen für den betroffenenSportler. Eine chronische Instabilität kann die sportlicheLeistungsfähigkeit unmittelbar beinträchtigen. Langfris-tig führen rezidivierende Subluxationsereignisse zu

Einleitung Meniskus- und Knorpelschäden (7). Die Inzidenz derOsteoarthrose ist bei Sportlerinnen mit einer Ruptur desvorderen Kreuzbandes deutlich erhöht (24). Lohmander etal. (24) untersuchten 103 Fußballspielerinnen 12 Jahrenach einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes. 82 % dieserSpielerinnen wiesen nach dieser Zeit radiologische Arth-rosezeichen am verletzten Knie auf (24). Eine operativeRekonstruktion hatte in dieser Studie keinen Einfluss aufdie Inzidenz der Arthrose. Offensichtlich haben Meniskus-und Knorpelverletzungen, die bei dem initialen Kniege-lenkstrauma entstehen einen Einfluss auf die Entstehungder Osteoarthrose (Abb. 1). Diese Faktoren können durcheine Kreuzbandersatzplastik nicht beeinflusst werden. Mitdieser Operation kann nur die Instabilität behandelt wer-den. Andererseits sind Kreuzbandplastiken technisch an-spruchsvolle Operationen. Operationsfehler wie z.B. einefalsche Platzierung der Bohrkanäle kann die Mechanikdes Kniegelenkes nachhaltig negativ beeinflussen.

Female athletes tend to be more upright with a slightly flexed knee when

cutting and landing. The muscle mechanics in this position favour the

quadriceps while denying a favourable position for the hamstrings to

counteract the quadriceps. Additionally, women also have greater qua-

driceps activation. Various studies have shown that specific training

programs can significantly reduce the incidence of ACL injuries:

1. Information about injury mechanism (eg. Henning Program, Vermont

ACL Prevention Program). The athletes are trained how to prevent si-

tuations which put them at risk for injury.

2. Proprioception (eg. Caraffa Program). In male professional soccer

players, Caraffa showed that incorporation of proprioceptive skills such

as balance board exercises into pre-season conditioning program is ab-

le to significantly reduce the ACL injury rate.

3. Jump training (e.g. the Cincinatti Sportsmetric Program). This pro-

gram includes a temporary staggered jump training.

4. Combination Programs. These programs include elements of all three

of the above programs.

A universal prevention strategy is not known at the moment, but the-

re is evidence that a combination of different strategies maximizes the

effect.

Key words: Injury mechanism, Non-contact injury, Prevention-

programs, Ball sport, Anterior cruciate ligament

Summary

Wolf Petersen1, Thore Zantop1, Dieter Rosenbaum2, Michael Raschke1

Rupturen des vorderen Kreuzbandes bei weiblichen Athleten.Teil 2: Präventionsstrategien und Präventionsprogramme

Anterior Cruciate Ligament Ruptures in Female Athletes. Part 2: Prevention Strategiesand Prevention Programs

1 Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Münster2 Funktionsbereich Bewegungsanalytik, Klinik für Allgemeine Orthopädie, Universitätsklinikum Münster

In den letzten Jahren wurden verschiedene Präventionsstrategien zur

Verhinderung von Kreuzbandverletzungen entwickelt. Dabei verfolgen

die einzelnen Präventionsprogramme unterschiedliche Ansätze:

1. Aufklärung und Modifikation von gefährdenden Bewegungen (z.B.

Henning Program, Vermont ACL Prevention Program). Dabei werden die

Sportler über die Risikobewegungen aufgeklärt, und es wird trainiert,

wie diese Situationen vermieden werden können.

2. Propriozeptionstraining (z.B. das Caraffa-Programm). Bei italieni-

schen Profi-Fußballern konnte die Anzahl der Kreuzbandverletzungen

mit einem Propriozeptionstraining auf dem Balancebrett signifikant re-

duziert werden. Eine schwedische Studie an heranwachsenden weibli-

chen Fußballspielerinnen konnte diesen Effekt nicht zeigen.

3. Gezieltes Sprungtraining (z.B. „Cincinatti-Sportsmetric-Program“).

Bei diesem Präventionsansatz erfolgt ein zeitlich gestaffeltes Sprung-

und Krafttraining.

4. Kombinationsprogramme. Diese Programme vereinigen Elemente aus

allen vorherigen drei genannten Präventionsansätzen.

Ein einheitliches Präventionsprogramm gibt es bisher nicht. Möglicher-

weise ist der Präventionseffekt bei einer Kombination der unterschied-

lichen Programme am größten.

Schlüsselwörter: Verletzungsmechanismen, Nicht-Kontakt-

Verletzungen, Präventionsprogramme, Ballsport, Vorderes Kreuzband

Zusammenfassung

Page 2: Rupturen des vorderen Kreuzbandes bei weiblichen …...Rupturen des vorderen Kreuzbandes. Teil 2Übersichten Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Kreuz-bandrupturen (VKB) im

158 DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN Jahrgang 56, Nr. 6 (2005)

Übersichten Kreuzbandruptur. Teil 2: Prävention

Aus diesem Grunde sollte die Prävention von Kreuz-bandrupturen höchste Priorität bei Sportlern, Trainernund Physiotherapeuten haben. In den letzten Jahren wur-den verschiedene Strategien zur Prävention von Kreuz-bandrupturen entwickelt. Für die geringe Beachtung die-ser Präventionsprogramme in Deutschland können ver-schiedene Gründe ursächlich sein. Einerseits sindPräventionsmaßnahmen zeitaufwändig. Daher ist die Be-reitschaft der Trainer und Spieler, kostbare Trainingszeitdafür zu opfern, oftmals gering. Andererseits wurde derüberwiegende Teil der Präventionsstrategien erst in denletzten Jahren entwickelt und ist vielen Trainern,Sportärzten und Physiotherapeuten nicht bekannt, da sienoch nicht Gegenstand der Ausbildungsstrategien zur Er-langung der Trainerlizenz sind.

Eine Metaanalyse, in der unterschiedliche Präventi-onsmaßnahmen zur Verhinderung von Kniegelenksverlet-zungen verglichen werden, kommt zu dem Ergebnis, dasseine wissenschaftliche Evidenz hinsichtlich der Effekti-vität bisher nur für Präventionstrainingsprogramme vor-liegt (36). Auch wenn sich die Verwendung von Orthesenim Leistungssport einer großen Beliebtheit erfreut, sinddie Angaben hinsichtlich des prophylaktischen Effektesvon Kniegelenksorthesen widersprüchlich. Daher ist esZiel dieses Beitrages, einen Literaturüberblick über aktu-elle Präventionstrainingsprogramme zur Verhinderungvon Kreuzbandrupturen zu geben.

Bereits Anfang der 80er Jahre wurde von Ekstrand et al. (8)ein Trainingsprogamm zur Verletzungsprävention vorge-stellt. Das Programm wurde in einer randomisierten Studiean 12 männlichen Senioren-Fußballteams in Schweden ge-testet. Das komplexe Programm bestand aus verschiedenenKomponenten:

1. Korrektur falscher Trainingsabläufe2. Verbesserung der Ausrüstung3. Prophylaktisches Tapen der Sprunggelenke von verletzten

Spielern4. Kontrollierte Rehabilitation verletzter Spieler5. Ausschluss von Spielern mit einer schweren Instabilität6. Aufklärung über Verletzungsmechanismen und Animati-

on zum fair play7. Aufklärung der Mannschaftsärzte und Physiotherapeuten.

Mit diesem Präventionsprogramm konnten die Verletzun-gen in der Interventionsgruppe um 75 % verringert werden.Ein Effekt auf die Inzidenz von Knieverletzungen oder sogarvon Kreuzbandverletzungen konnte mit diesem Ansatz je-doch nicht festgestellt werden (8).

Heidt et al. (15) haben an 300 weiblichen Fußballspiele-rinnen den Effekt eines 7-wöchigen Präventionsprogrammesin der Vorsaison getestet. Dieses Programm setzt sich aus fol-genden Komponenten zusammen:

Allgemeine Trainingsmodifikationenzur Verletzungsprävention

1. Sportspezifisches kardiovaskuläres Konditionstraining2. Plyometrische Übungen3. Krafttraining4. Flexibilitätsübungen.

Mit diesem 7-wöchigen Programm verletzten sich nur14 % der Spielerinnen der Interventionsgruppe und 33,7 %der Kontrollgruppe.

Ein weiteres komplexes Präventionsprogramm für denFußballsport wurde erst kürzlich von Junge et al. (21) für ju-gendliche Spieler im Amateurbereich vorgestellt. Dieses Pro-gramm beinhaltet folgende Aspekte:

1. Regelmäßiges Aufwärmen und kontrolliertes Abkühlen2. Tapen von instabilen Sprunggelenken3. Adäquate Rehabilitation verletzter Spieler4. Aufklärung über Verletzungsmechanismen und

Motivation zum fair play.

Außerdem enthält dieses Programm im Gegensatz zu denvorher genannten Programmen Übungen zur Stabilisierungdes Sprung- und Kniegelenkes und zur Verbesserung vonKoordination, Reaktionszeit und Ausdauer. Mit diesem Pro-gramm konnten in der Interventionsgruppe 21 % wenigerVerletzungen als in der Kontrollgruppe erzielt werden.

Von diesen unspezifischen Präventionsprogrammen müs-sen spezifische Programme unterschieden werden, die spezi-ell für die Verhinderung von Kniegelenksverletzungen ent-wickelt wurden (4, 13, 17, 27, 29). Dabei kann man die ein-zelnen Strategien und Programme aufgrund ihrerunterschiedlichen Ansätze unterscheiden (Tab. 1):

1. Aufklärung über Verletzungsmechanismen und Modifika-tion gefährdender Bewegungsmuster (13)

2. Programme zur Verbesserung der Propriozeption (4)3. Neuromuskuläres Training zur Optimierung der inter- und

intramuskulären Koordination (17)4. Kombinationsprogramme (27, 29).

Ziel des zweiten Teils unseres Beitrages ist es, einen Lite-raturüberblick über Präventionstrategien zur Verhinderungvon Kniegelenksverletzungen im Ballsport zu geben.

Abbildung 1: Vordere Kreuzband-Verletzungs-Kaskade

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Jahrgang 56, Nr. 6 (2005) DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN 159

Rupturen des vorderen Kreuzbandes. Teil 2 Übersichten

Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Kreuz-bandrupturen (VKB) im Ballsport bei weiblichen Sportlernetwa 2,4 bis 9,5 mal häufiger vorkommen als bei Männern(11). Als Grund für diese hohe Inzidenz werden im Schrift-tum vor allem geschlechtsspezifische Unterschiede beisportspezifischen Bewegungen gesehen (18).

Kreuzbandrisse entstehen im Ballsport am häufigstenbei der Landung nach einem Sprung und während schnel-ler Richtungswechsel entstehen (28, 34). Videoanalysenergaben, dass sich das Kniegelenk zur Zeit der Verletzungam häufigsten in leichter Beugung, in Valgus- undAußenrotationsstellung befindet (34). In dieser Knieposi-

Aufklärung über Verletzungs-mechanismen und Modifikationgefährdender Bewegungsmuster

tion ist die Spannung im vorderen Kreuzband sehr hochund die muskulären Agonisten des vorderen Kreuzbandes,die ischiokruralen Muskeln, haben einen ungünstigen He-belarm, um das Tibiaplateau zu sichern. Außerdem soll eszu einem Impingement am lateralen Femurcondylus kom-men (28). Der Körperschwerpunkt liegt zum Zeitpunkt derVerletzung hinter dem Kniegelenk. In dieser Situationmuss die Hüfte schnell flektiert werden, um den Körper-schwerpunkt nach vorne zu bringen. Bei dieser Bewegungkommt es zur schnellen Kontraktion des M. quadrizeps,dem muskulären Antagonisten des vorderen Kreuzban-des. Eine plötzliche Anspannung dieses Muskels kann beidiesen Kraftverhältnissen der Hebelarme zur Ruptur desvorderen Kreuzbandes führen.

Bewegungsanalysen haben gezeigt, dass weiblicheAthleten nach einem Sprung in einer aufrechteren Positi-on landen als Männer mit einem weniger gebeugten Knie-

Name des Programmesund Autor

Prinzip Probanden Sportart Ergebnisse Weitere Informationen

Henningprogramm(Grifis 2000)

Aufklärung undBewegungsmodifikation

2 weiblicheBasketballteams

Basketball Reduktion von VKBRupturen um 89%

Dean Griffis240 South Forest View

Ct.Wichita, KS 67235, USA

Vermont ACL PreventionProgram

Ettlinger et al. (1995)

Aufklärung undBewegungsmodifikation

4700 Skilehrer/innenund Pistenpatrols

Alpin-Ski Reduktion schwererKnieverletungen um

62%

Vermont SafetyResearchPO Box 85

Underhill Center, VT0590, USA

Caraffa-Programm(Caraffa et al. 1996)

Propriozeptionstraining 300 männlicheProfifußballspieler

Fußball Trainingsgruppe 10VKB Rupturen

Kontrollgruppe 70 VKBRupturen

A CaraffaOrthopaedic ClinicS. Maria Hosptal

University of PerugiaI-05106 Terni, Italy

Södermann-Studie(Södermann et a. 2000)

Propriozeptionstraining 121 jugendlicheweibliche Athleten,Kontrollgruppe 100

jugendliche weiblicheAthleten

Fußball kein signifikannterUnterschied

hinsichtlich derVerletzungshäufigkeit

zwischen beidenGruppen.

Cincinatti SportsmetricProgram

(Hewett et al. 1999)

Sprungtraining mitDehnübngen

1263 weiblicheProbanden (Fußball,

Volleyball, Basketball)

Fußball,Basket ball,Volleyball

Trainingsgruppe 2 VKBRupturen

Kontrollgruppe 10 VKBRupturen

Cincinatti SportsmetricResearch and Education

Foundation311 Straght Street

Cincinatti, OH 45219

Norwegisches Handball-Präventionsprogramm(Myklebust et al. 2003)

Aufklärung undBewegungsmodifikation,Propriozeptionstraining

und Sprungtraining

52-60 weiblicheHandballmanschaften

Handball Nicht-Präventionssaison: 29

VKB Rupturen1. Präventionssaison:

23 VKB Rupturen,2. Präventionssaison:

17 VKB Rupturen

www.ostrc.no

Deutsches HandballPräventionsprogramm(Petersen et al. 2005)

Aufklärung undBewegungsmodifikation,Propriozeptionstraining

und Sprungtraining

Weibliche Athleten Handball Trainingsgruppe 1 VKBRuptur

Kontrollgruppe 5 VKBRupturen

www.klinikum.uni- muenster.de/ institute/ u

hchir/

PEP Programm Aufklärung undBewegungsmodifikation,Propriozeptionstraining

Weibliche Athleten,(833 Athleten in derKontrollgruppe und561 Athleten in der

Interventionsgruppe)

Fußball Interventionsgruppe :7 VKB-Rupturen

(Verletzungsrate 0.15),Kontrollgruppe 19

VKB Rupturen (0.28)

Mrs. Holly Silvers (PT)[email protected]

Tabelle 1: Übersicht über spezifische “Knieverletzungs-Präventionsprogramme”

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160 DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN Jahrgang 56, Nr. 6 (2005)

Übersichten Kreuzbandruptur. Teil 2: Prävention

und Hüftgelenk. Außerdem halten weibliche Sportler dasKnie vermehrt in Valgus-Position. Auch bei Drehbewe-gungen haben Frauen eine aufrechtere Körperhaltung.Frauen erreichen nach dem Landen nach einem Sprungeinen durchschnittlichen Kniebeugewinkel von 17°; Män-ner hingegen einen Kniebeugewinkel von durchschnitt-lich 31° (23). Nach dem Bodenkontakt beim Landen errei-chen Frauen den maximalen Kniebeugewinkel deutlichschneller als Männer. Auf diese Weise werden die Kräftenach einem Sprung bei weiblichen Sportlern abrupter ab-sorbiert als bei Männern (23). Videonanalysen haben ge-zeigt, dass sich das Kniegelenk bei der Entstehung einerKreuzbandruptur in nur geringer Beugestellung befindet,der Körperschwerpunkt liegt hinter dem Knie, der Unter-schenkel ist außenrotiert und das Knie befindet sich imValgus. Die Muskelmechanik begünstigt in dieser Positi-on den M. quadrizeps. Zusätzlich ist der Hebelarm derischiokruralen Muskulatur, die den Tibiakopf nach vornesichert, verkürzt.

Aus diesen Beobachtungen und Befunden ergaben sichHinweise auf Strategien zur Prävention von Knieverlet-zungen bei weiblichen Sportlern. Lephardt et al. (23)konnten mittels Bewegungsanalysen zeigen, dass diese„gefährlichen“ Bewegungsmuster durch geeignete Übun-gen unter Anleitung verändert werden können. Nach An-gaben von Cowling et al. (6) reichen verbale Instruktio-nen, um den Kniebeugewinkel bei der Landung signifi-kant zu erhöhen.

Dieser Ansatz zur Prävention von Kniegelenksverlet-zungen wurde erstmals jedoch von Henning beschrieben.Das „Henning Program“ wurde zur Verhinderung vonKreuzbandverletzungen im Basketball entwickelt. Eszielt darauf ab, Bewegungsmuster zu modifizieren undauf diese Weise verletzungsanfällige Gelenkstellungenzu vermeiden. Das sogenannte „plant and cut“-Manöversoll als runde Bewegung in Einzelschritten durchgeführtwerden. Bei der Landung nach einem Sprung soll dasKnie gebeugt und nicht gestreckt sein, das Abstoppensoll nicht mit geradem Knie, sondern durch mehrere klei-ne Schritte erfolgen. Diese Präventionsstrategien sollenden Sportlern durch einen Videofilm nähergebracht wer-den.

Henning hat dieses Programm an 2 Basketballmann-schaften getestet. In Team A sind in den 2 Jahren, bevordas Präventionstraining begonnen wurde, 5 VKB-Ruptu-ren aufgetreten. In Team B sind in den letzten 2 Jahren 9Rupturen des vorderen Kreuzbandes aufgetreten. NachEinführung des „Henning Programs“ sank die Prävalenzin Team A auf 2 VKB-Rupturen in 8 Jahren und in TeamB auf eine VKB-Ruptur in 3 Jahren (13). Leider wurdendiese Ergebnisse nur in Form eines Abstracts und nicht alsOriginalartikel publiziert. Außerdem ist das Studiendesignaufgrund der geringen Probandenzahl unzureichend underlaubt daher keine endgültigen Aussagen.

Die von Henning beschriebenen Präventionsansätzewurden später jedoch in verschiedenen Präventionsansät-zen aufgegriffen (17, 27, 29).

Ein weitere Studie aus dem Skisport zeigt, dass Auf-klärung über die Verletzungsmechanismen präventiv wir-ken kann. Jede fünfte alpine Rennläuferin erleidet eineVKB-Ruptur, und die Inzidenz von VKB-Rupturen ist beiweiblichen Athletinnen im Skisport um den Faktor 3,1 er-höht. Der Großteil der VKB-Verletzungen entsteht imSkisport in einer Situation, in der das Kniegelenk starkflektiert ist, sich der Körperschwerpunkt hinter dem Kniebefindet und der Unterschenkel innenrotiert ist. DieserMechanismus ist im Schrifttum auch als „Phantomfuß-mechanismus“ bekannt (9). Aufgrund dieser Daten wurdedas „Vermont ACL Prevention Program“ entwickelt. Beidiesem Programm werden die Probanden mit Videos kon-frontiert, die typische VKB-Verletzungssituationen imSkisport zeigen. Diese Videos sollen die Probanden zurEntwicklung eigener Präventionsansätze stimulieren (9).Die Videos sollen helfen, gefährliche Situationen zu er-kennen und eine Antwort auf den Verletzungsreiz in Bei-nahe-Verletzungs-Situationen zu entwickeln. In der Sai-son 1993/94 nahmen 4 700 Skilehrer/innen und „Pisten-Patrols“ in den USA an diesem Programm teil. Durchdieses Programm konnten ernste Kniegelenksverletzun-gen um 62 % reduziert werden (9).

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass erste Hin-weise dafür bestehen, dass durch Aufklärung über Verlet-zungsmechanismen und die Modifikation gefährdenderBewegungsmuster Kniegelenksverletzungen verhindertwerden können.

Propriozeption (afferente Informationen über die Stellungdes Gelenkes) ist die sensorische Quelle für Informationen,die die neuromuskuläre Kontrolle eines Gelenkes ermögli-chen (22). Propriozeptive Informationen werden von ver-schiedenen Mechanorezeptoren gemeldet, die in Muskeln,Gelenken (Bändern und Kapsel) und in der Haut vorkommen.

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Inzidenzvon Sprunggelenksverletzungen durch „propriozeptive“Übungen auf einem Balancebrett deutlich gesenkt werdenkann (2, 37, 38). Die Angaben im Schrifttum hinsichtlich desEffektes von Propriozeptionsübungen auf die Inzidenz vonKreuzbandverletzungen sind jedoch widersprüchlich.

Caraffa et al. (4) konnten an 300 professionellen männli-chen Fußballspielern zeigen, dass Übungen auf einem Ba-lancebrett die Rate an Kreuzbandrupturen signifikant senkenkann. In der Trainingsgruppe (n=300) kam es zu 10 Kreuz-bandrupturen, in der Kontrollgruppe (n=300) kam es zu 70Kreuzbandrupturen. Diese Studie ist die einzige Studie, diezeigt, dass Propriozeptionsübungen am Kniegelenk wirksamsind und auch bei männlichen Spielern nützlich sind.

Wedderkopp et al. (39) haben ein Interventionsprogrammunter Verwendung von Balancebrettern an jugendlichenweiblichen Handballspielerinnen untersucht. Zusätzlichwurden Kräftigungsübungen durchgeführt. In dieser Studiekonnten 78 % der Verletzungen mit dem Programm verhin-dert werden. Um den Effekt der Balanceübungen hinsichtlich

Propriozeptionstraining

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Jahrgang 56, Nr. 6 (2005) DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN 161

Kreuzbandruptur. Teil 2: Prävention Übersichten

des präventiven Trainingseffektes zu evaluieren, verglichenWedderkopp et al. (40) in einer Folgestudie zwei verschiede-ne Präventionsprogamme miteinander (16 Handballmann-schaften mit weiblichen Spielern). In einer Gruppe wurdenstandardisierte Kräftigungsübungen mit Balanceübungenkombiniert. In der Kontrollgruppe wurden nur Kräftigungs-übungen durchgeführt. Die allgemeine Verletzungsinzidenzbetrug in der Balancebrettgruppe 2,4 Verletzungen/1 000Spielstunden und in der Kontrollgruppe 6,9 Verletzun-gen/1 000 Spielstunden. Aufgrund der Probandenzahl konn-ten keine Aussagen zur Inzidenz von Kniegelenksverletzun-gen gemacht werden.

Zu einem gegenteiligen Ergebnis kamen Söderman et al.(30). Diese Arbeitsgruppe hat ein Balancebretttraining an121 jugendlichen weiblichen Fußballspielerinnen getestet(30). Einhundert weitere Spielerinnen dienten als Kontroll-gruppe. Beide Gruppen wurden über eine Spielsaison beob-achtet. Zum Ende der Saison bestand kein signifikannter Un-terschied hinsichtlich der Verletzungshäufigkeit zwischenbeiden Gruppen. Die Rate schwerer Verletzungen war in derInterventionsgruppe sogar deutlich höher (8 versus 1). Viervon 5 Rupturen des vorderen Kreuzbandes kamen in der In-terventionsgruppe vor. Nur unter Spielerinnen, die innerhalbder letzten drei Monate vor Studienbeginn eine Verletzungerlitten, kam es zu signifikant weniger Verletzungen in derInterventionsgruppe.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die derzeitigeDatenlage für den Einsatz von Balancebrettern spricht. Dieallgemeine Verletzungsinzidenz und die Rate von Verletzun-gen des oberen Sprunggelenkes (OSG) kann mit einem Ba-lancebretttraining reduziert werden. Ob das Training auf Ba-lancebrettern jedoch einen Effekt auf Kniegelenksverletzun-gen hat, ist nicht eindeutig gesichert und bedarf weitererForschung.

Auch die Aktivierung der das Kniegelenk stabilisierendenMuskeln weist geschlechtsspezifische Unterschiede auf.Weibliche Sportler scheinen sich hinsichtlich der Aktivie-rungsmuster der Kniegelenksmuskulatur von männlichenSportlern zu unterscheiden. Huston und Woitys (18) beob-achteten, dass weibliche Hochleistungssportler bei einer ex-perimentellen vorderen tibialen Translation (Verletzungs-reiz) mit einer Aktivierung des M. quadrizeps antworteten(Quadrizeps-Dominanz). Bei männlichen Sportlern sowieuntrainierten Kontrollpersonen (weibl. und männl.) kam eszu einer Aktivierung der ischiokruralen Muskulatur. Hewettet al. (16) konnten zeigen, dass männliche Athleten dieKnieflexoren beim Landen nach einem Sprung im Vergleichzu weiblichen Athleten signifikant schneller aktivieren. Bio-mechanische Analysen haben ergeben, dass auf diese Weisesehr hohe Bodenreaktionskräfte entstehen (16). Durch einspezielles Sprungtraining konnte die muskuläre Dysbalancezwischen M. quadrizeps und ischiokruraler Muskulatur je-doch beseitigt und die Aktivität der ischiokruralen Muskula-tur gesteigert werden (16). Verschiedene Studien haben ge-zeigt, dass eine schnelle Aktivierung der ischiocruralen Mus-kulatur auf einen Verletzungsreiz einen wichtigen Beitragzur funktionellen Sicherung des Kniegelenkes leistet (1, 3,14, 31).

Diese Ergebnisse dienten Hewett et al. (16) zur Etablie-rung eines spezifischen Sprungtraining-Programmes zurVerbesserung der neuromuskulären Kontrolle des Kniegelen-kes. Dieses Programm wurde als „Cincinatti SportsmetricTraining Program“ an 1 263 Probanden (Fußball, Volleyball,Basketball) getestet (17).

Sprungübungen (neuromuskuläres Training)

Tabelle 2: Das Deutsche Handball-Verletzungs-Präventionstraining

Propriozeptionsübungen

Einbeinstand und handballspezifische Wurfübungen (aufachsengerechte Ausrichtung des Kniegelenkes achten, Kniein leichter Beugung, keine Außenrotation), evtl. Übungen mitgeschlossenen Augen

Rundes Wackelbrett: Erst beidbeining, dann einbeinig, ge-gensätzliche Bewegungen von Stand- und Spielbein, LeichteWurfübungen mit Partner

Rundes Wackelbrett, längliches Wackelbrett: Einbeinig (ab-wechselnd links und rechts) und Wurfübungen mit Partner

Rundes Wackelbrett, längliches Wackelbrett: Einbeinig (ab-wechselnd links und rechts) und Wurfübungen mit Partner

Rundes Wackelbrett, längliches Wackelbrett: Einbeinig undWurfübungen mit Partner, zusätzlich Übungen bei denen derSpieler durch seinen Partner aus dem Gleichgewicht ge-bracht wird.

Rundes Wackelbrett, längliches Wackelbrett: Einbeinig (ab-wechselnd links und rechts), geschlossenen Augen und Wur-fübungen mit Partner

Sprungübungen

Saltomatte: Sprünge auf der Matte (erst beidbeinig, dann einbeinig),später mit handballspezifischen Wurfübungen.

�Körperkontrolle durch den Trainer: Landen auf dem Vorfuß,Knie über den Zehen�

Saltomatte: Sprünge vom Boden auf die Matte (erst beidbeinig, danneinbeinig), später mit handballspezifischen Wurfübungen.

Saltomatte: Sprünge vom Kasten auf die Matte (erst beidbeinig, danneinbeinig), später mit handballspezifischen Wurfübungen.

Saltomatte: Sprünge vom Kasten auf die Matte (erst beidbeinig, danneinbeinig), später mit handballspezifischen Wurfübungen.

Saltomatte: Sprünge vom Kasten auf die Matte, handballspezifischeWurfübungen, geschlossene Augen.

1. Stufe(1. Woche)

2. Stufe(2. Woche)

3.Stufe(3. Woche)

4.Stufe(4. Woche)

5.Stufe(5. Woche)

6.Stufe(6. Woche)

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162 DEUTSCHE ZEITSCHRIFT FÜR SPORTMEDIZIN Jahrgang 56, Nr. 6 (2005)

Übersichten Kreuzbandruptur. Teil 2: Prävention

Wichtig ist bei diesem Programm die Bewegungskontrol-le, um gefährdende Bewegungsmuster zu eliminieren. DieBewegungskontrolle richtet sich nach den von Henning(1990) angegebenen Prinzipien. Das Programm dauert 6 Wo-chen und wird in der Vorsaison 3x pro Woche durchgeführt.Es besteht aus verschiedenen Sprungübungen, deren Kom–plexität sich zunehmend steigert. Vor den Sprungübungenwurden für 15-20 Min. Dehnübungen durchgeführt.

In dieser Studie erlitten in der Trainingsgruppe nur 2Spielerinnen eine ernste Verletzung im Gegensatz zu 10Spielerinnen in der Kontrollgruppe. Die relative Verlet-zungsinzidenz betrug in der Interventionsgruppe 0,12 und inder Kontrollgruppe 0,43.

Hewetts Arbeiten (16, 17) zeigen, dass gezielte Sprung-übungen die Balance von Beuge- und Streckmuskeln ver-bessern. Wichtig scheinen auch bei diesen Übungen die vonHenning postulierten Grundsätze zur Verletzungspräventionzu sein.

Die positiven Erfahrungen mit den einzelnen Präventions-maßnahmen haben nahegelegt, diese miteinander zu kombi-

nieren (Tab.1). Ein Merk-mal dieserProgrammeist, dass siedurch dieIntegrationsportartspe-zifischerÜbungen aufeinzelneSportartenzugeschnit-

ten sind. Bislang wurden solche Programme für den Hand-ball- und Fußballsport entwickelt.

HandballMyklebust et al. (27) haben ein solches Programm in Nor-wegen etabliert und im Rahmen einer prospektiven Studie anweiblichen Handballmannschaften getestet. Das Programmbeinhaltet ein nach seiner Schwierigkeit gestaffeltes Balan-ce- und Sprungtraining. Die Balanceübungen werden aufBalancebrettern oder Airex-Matten mit oder ohne Partnersowie mit und ohne Ball durchgeführt. Bei den Sprung-übungen erfolgt die Landung teilweise auf einer Matte, umeinen Unsicherheitsfaktor zu erzeugen. Bei den Übungen solldie Stellung der unteren Extremität nach den von Henningangegebenen Prinzipien kontrolliert werden.

Das Programm wurde über 3 Wettkampfperioden an 153Athletinnen getestet. In der Saison, in der das Präventi-onstraining nicht durchgeführt wurde, ereigneten sich 29Rupturen des vorderen Kreuzbandes; in der ersten Interven-tionssaison ereigneten sich 23 VKB-Rupturen, der zweitenInterventionssaison kamen nur 17 VKB-Rupturen vor. Eine

Kombinationsprogramme

weitere wichtige Beobachtung dieser Studie war, dass dieCompliance bei Trainern und Spielern kontinuierlich überden Studienzeitraum abnahm (27).

Ein ähnliches Präventionsprogramm wurde parallel vonunserer Arbeitsgruppe entwickelt (29). Dieses Präventions-programm setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen(Tab. 2):

1. Aufklärung: Es erfolgt eine Aufklärung der Mannschaftüber die Verletzungsmechanismen an der unteren Extre-mität im Ballsport

2. Propriozeptionstraining: Das Propriozeptionstraining be-inhaltet Übungen auf einem käuflich erwerblichenBalancebrett (Abb. 2).

Innerhalb der 8-wöchi-gen Vorbereitungsphase er-folgt ein in seiner Schwierig-keit gestaffeltes Trainings-programm (Tab. 2). Anfangswurden Übungen im beid-beinigen Stand durchge-führt, später einbeinig undunter Verwendung einesWackelbrettes. Frühzeitig er-folgte der Einsatz des Ballesin Form einfacher Wurf-übungen mit dem Partner.Der höchste Schwierigkeits-grad beinhaltet Übungen mitgeschlossenen Augen mitund ohne Ball sowie Übun-gen, bei denen der Partnerden Übenden aus demGleichgewicht bringt.

3. Koordinations- und Sprungtraining (Abb. 3): Beim Ko-ordinations- und Sprungtraining steht die Bewegungskon-trolle bei Sprung im Vordergrund. Diese erfolgt durch denPhysiotherapeuten, Trainer und später durch den Übungs-partner. Dabei soll darauf geachtet werden, dass sich der Kör-perschwerpunkt beim Landen nicht hinter dem Fuß befindet(„Knie-über-dem-Zeh-Position“). Beim Landen sollte der Fußnicht flach, sondern mit dem Vorfuß zuerst aufgesetzt wer-den (Tab. 2). Eine weiche Matte soll die Übungen erschwerenund propriozeptive Fähigkeiten bei der Landung trainieren(Abb. 3).

Dieses Programm wurde in Form eines kleinen Heftes zu-sammengefasst und unter den Spielerinnen verteilt. In derVorbereitungsphase wird das Trainingsprogramm in seinervollen Intensität 3x pro Woche für 10 Minuten durchgeführt.In der Spielphase wurden nur Propriozeptionsübungen (1-2x5 Min/Woche) weitergeführt. Es ist sinnvoll, die Übungen inein Zirkeltraining einzubauen. Wichtig ist außerdem, dassdie trainierten Gelenke während des Trainings keine passiveUnterstützung durch Tapeverbände, Orthesen oder Schuh-material bekommen. Im prospektiven Vergleich traten in dernicht präventiv trainierten Kontrollgruppe 5 Kreuzband-

Abbildung 2: Typische Propriozeptionsübung auf weichemBalacebrett. Diese Balancebretter sind im Handel erhältlich

Abbildung 3: Typische Sprungübungvom Kasten auf eine Weichbodenmat-te. Das Knie soll bei der Landung ge-beugt sein, der Athlet soll auf demVorfuß landen mit dem Knie über demFuß

Page 7: Rupturen des vorderen Kreuzbandes bei weiblichen …...Rupturen des vorderen Kreuzbandes. Teil 2Übersichten Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Kreuz-bandrupturen (VKB) im

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Kreuzbandruptur. Teil 2: Prävention Übersichtenrupturen auf; in der Präventionsgruppe kam es nur zu einerVKB-Ruptur. Auch die Häufigkeit mittelschwerer und leich-ter Verletzungen der unteren Extremität war in der Präven-tionstrainingsgruppe geringer als in der nicht trainiertenGruppe (29).

FußballIm Rahmen des „Santa Monica ACL Prevention Projects“wurde das Prevent Injury Enhance Performance (PEP) ent-wickelt. Das Programm ist eine 15-minütige Trainingssit-zung, die das traditionelle Aufwärmen ersetzen soll. Auf die-se Weise soll keine wertvolle Trainingszeit verschenkt wer-den. Die Ziele dieses Präventionstrainings sind:

1. Vermeidung von verletzungsgefährdenden Positionen2. Steigerung der Flexibilität3. Steigerung der Kraft4. Sprungübungen5. Propriozeptionsübungen.

Die Ergebnisse wurden auf dem “Specialty day” der “Ame-rican Orthopaedic Society for Sports Medicine” (AOSSM) aufdem amerikanischen Orthopäden Kongress 2004 in SanFranzisco vorgetragen. 61 Mannschaften mit 1 394 weib-lichen Athleten nahmen im Jahre 2002 an der Studie teil(833 Athleten in der Kontrollgruppe und 561 Athleten inder Interventionsgruppe). In der Interventionsgruppe kames zu 7 Rupturen des vorderen Kreuzbandes (Verletzungs-rate 0,15) im Gegensatz zu 19 in der Kontrollgruppe(0,28). Die unterschiedlichen Verletzungsraten erreichtenin der zweiten Saisonhälfte ein signifikantes Niveau.

Es bestehen Hinweise, dass Verletzungen des Kniegelen-kes beim weiblichen Athleten durch geeignete Modifika-tionen des Trainings verhindert werden können. Dabeisollten diese Trainingsinhalte in das normale Aufwärm-training integriert und möglichst mit sportartspezifischenÜbungen kombiniert werden. Ein Präventionsprogrammsollte folgende Punkte berücksichtigen:

1. Aufklärung über Verletzungsmechanismen2. Sprungübungen zur Kraftsteigerung und Bewegungs-

korrektur3. Propriozeptionsübungen.

Daneben sollte das Training allgemeine Ausdauer, Kraftund Flexibilität garantieren.

Es wäre wünschenswert, dass diese Prinzipien auchvon deutschen Sportlern, Trainern und Sportärzten be-achtet werden. Der Schwerpunkt der präventiven For-schungsinteressen scheint zum derzeitigen Zeitpunkt imSkandinavischen Raum sowie in Amerika zu liegen. Eineenge Zusammenarbeit von Klinikern, Bewegungsanalyti-kern, Trainern und Sportlern kann dazu beitragen, denStellenwert von präventiven Strategien in Deutschland

Schlussfolgerungen und Ausblick

voranzutreiben. Weitere Studien sind notwendig, um diebestehenden Präventionsprogramme zu verbessern undStrategien für weitere Ballsportarten zu entwickeln. Es istnotwendig, dass in Zukunft der Präventionsforschung inDeutschland ein höherer Stellenwert eingeräumt wird undentsprechende Forschungsprojekte von öffentlicher oderprivater Hand gefördert werden.

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Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Wolf Petersen

Klinik für Unfall-, Hand- und WiederherstellungschirurgieUniversitätsklinikum Münster

Waldeyerstr. 148149 Münster

E-mail: [email protected]