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23 SURPRISE 291/13 Nils Althaus Abgründe, Abstürze und ein Happy-End VON MICHÈLE FALLER Der junge Mann auf der Bühne zitiert Philosophen, Schriftsteller und die Bibel. Es geht um Aufrichtigkeit. Während sich die Weisheiten noch in den Köpfen der Zuschauer setzen, meint er: «Am bekanntesten ist ja aber dieses Sprichwort: Ehrlich gheit am lengschte.» Nils Althaus zitiert in seinem neuen Soloprogramm aber nicht nur sich selber, sondern lässt nach guter Kabarettistentradition auch andere Figuren zu Wort kom- men. Den hemdsärmeligen Politiker, der seine leichte Rücklage mit dem vorgeschobenen Kinn auszugleichen scheint, den neugierigen und naiv- beflissenen Hauswart, der sich in charmantem Schwäbisch über man- gelnde Schnurspannung bei Altpapierbündeln aufhält, und einen be- dächtigen und politisch hyperkorrekten Basler Hobbyornithologen. So schnell sich Althaus auf der Bühne verwandelt, so vielfältig ist der bisherige Lebenslauf des 31-Jährigen. Vor fünf Jahren gab er im Film «Breakout» sein Leinwanddebut, erhielt von «Swiss Films» den offiziel- len Titel «Shooting Star 2007» und hat in seinem guten Dutzend Filme nicht nur den halbstarken Hip-Hopper und den coolen Verführer gege- ben, sondern auch die tragische Figur des Dällebach Kari in «Eine wen iig». Dass der Mime ausserdem ein abgeschlossenes Biochemie-Studium und fünf Solo-Bühnenprogramme vorzuweisen hat, ist in diesem relativ jugendlichen Alter doch beeindruckend – oder unheimlich? Nicht eigentlich. Althaus und seine Vielseitigkeit kommen auf der Kleinkunstbühne sympathisch, locker und ganz natürlich rüber. Er springt von Figur zu Figur, fällt zwischendurch auch mal gewollt aus der Rolle und bildet so mit seinem Publikum eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft über die Rampe hinweg. Kleine Highlights für sich stellen seine grossartigen Mundartsongs dar. Einige erinnern von Stil und Me- lodie her an den grossen Mani Matter – keineswegs nur wegen des Dia- lekts und der wohlklingenden Stimme. Sie sind mindestens so intelli- gent und abgründig, aber ein gutes Stück böser; zuweilen richtiggehend fies – und unglaublich witzig. Und wenn es die nach ein paar Liedern schon etwas abgehärteten Zuschauer kaum fassen, dass die nette Ge- schichte von Herrn Gnägi und Frau Gnägi-Haselstaudenheim gut aus- geht, folgt nach dem Applaus der gnadenlose Epilog. Die titelgebende Ehrlichkeit verschafft sich im Programm zwar meist ungewollt Gehör; sei es durch technische Pannen oder im Affekt vorge- brachte Beleidigungen; doch zum Schluss wird unmissverständlich klar, wie der Urheber des Kabarettabends zur Ehrlichkeit steht. Er überrascht sein Publikum mit radikalen Wendungen und Wandlungen und schreibt mit dem Lied «Ehrlich gheit» kurzerhand das Schicksal von Narziss in der griechischen Mythologie um. Es fällt wohl jemand in den Teich, der sich ins eigene Spiegelbild verliebt hat, ertrinkt aber mitnichten, son- dern landet weich und mit Blick in den blauen Himmel. «Ich habe die Geschichte ganz bewusst so umgedeutet, dass die Ehrlichkeit am Schluss eine Tugend ist», sagt Althaus. «Für mich ist es wichtig, klar Po- sition zu beziehen, auch wenn das als ein bisschen ‹ältelig› gilt. Die Leute trauen sich das nicht mehr; drum gibt es so viel Ironie überall.» Er selber bringt Ironie samt klarer Haltung in seinem Programm unter. Mühelos schlägt er einen Bogen von der politisch korrekten «Mitma- chen ist alles»-Mentalität hin zum Waffenexportgeschäft oder macht sich in einer «Plüsch»-Parodie über die Schweizerkrankheit Heimweh angesichts schwerwiegender Probleme in anderen Weltgegenden lus- tig. Seine Soloprogramme liegen dem Künstler am Herzen: «Meine Mei- nung und Weltanschauung einem Publikum kundzutun, ist ein grosser Teil des Vergnügens dieser Arbeit – und ein Privileg.» Momentan lernt der Schauspieler für das Lehrdiplom; demnächst wird er am Gymnasium Chemie und Biologie unterrichten. «Ich möchte mich nicht abhängig machen vom Erfolg, sondern dann auf die Bühne gehen, wenn ich etwas zu sagen habe», erklärt Althaus. Dann habe er die Freiheit, auch mal ein Programm zu machen, das sich nicht rentie- re. Und er möchte dazulernen: «Wenn man sich immer nur mit sich sel- ber beschäftigt, ist das auch anstrengend.» Der Schauspieler grinst et- was verlegen. «Und der Erkenntnisgewinn ist marginal.» Was man aus Zuschauersicht ganz und gar nicht behaupten kann! Nils Althaus: «Ehrlich gheit», Kabarettsolo mit Liedern, Di, 8. Januar Kleintheater Luzern; Fr, 18. Januar Kulturfabrikbigla, Biglen; So, 20. Januar Kulturgenossenschaft Alti Moschti, Mühlethurnen; Di, 22. Januar Theater am Hechtplatz, Zürich; Do, 24. Januar Casino Theater Burgdorf. Weitere Daten bis November 2013: www.nilsalthaus.ch Der Shootingstar wird bald Chemie unterrichten. Nils Althaus ist Schauspieler, Kabarettist und bald Chemie- und Biolehrer. In seinem neuen Soloprogramm «Ehrlich gheit» bringt er seinem Publikum bei, wie man ehrlich stürzt und dabei Haltung bewahrt. BILD: ZVG

RZ Spie 291 -) 20.12.12 16:53 Seie 23 Nils Althaus ... · lekts und der wohlklingenden Stimme. Sie sind mindestens so intelli-gent und abgründig, aber ein gutes Stück böser; zuweilen

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Page 1: RZ Spie 291 -) 20.12.12 16:53 Seie 23 Nils Althaus ... · lekts und der wohlklingenden Stimme. Sie sind mindestens so intelli-gent und abgründig, aber ein gutes Stück böser; zuweilen

23SURPRISE 291/13

Nils AlthausAbgründe, Abstürze und ein Happy-End

VON MICHÈLE FALLER

Der junge Mann auf der Bühne zitiert Philosophen, Schriftsteller unddie Bibel. Es geht um Aufrichtigkeit. Während sich die Weisheiten nochin den Köpfen der Zuschauer setzen, meint er: «Am bekanntesten ist jaaber dieses Sprichwort: Ehrlich gheit am lengschte.» Nils Althaus zitiertin seinem neuen Soloprogramm aber nicht nur sich selber, sondern lässtnach guter Kabarettistentradition auch andere Figuren zu Wort kom-men. Den hemdsärmeligen Politiker, der seine leichte Rücklage mit demvorgeschobenen Kinn auszugleichen scheint, den neugierigen und naiv-beflissenen Hauswart, der sich in charmantem Schwäbisch über man-gelnde Schnurspannung bei Altpapierbündeln aufhält, und einen be-dächtigen und politisch hyperkorrekten Basler Hobbyornithologen.

So schnell sich Althaus auf der Bühne verwandelt, so vielfältig ist derbisherige Lebenslauf des 31-Jährigen. Vor fünf Jahren gab er im Film«Breakout» sein Leinwanddebut, erhielt von «Swiss Films» den offiziel-len Titel «Shooting Star 2007» und hat in seinem guten Dutzend Filmenicht nur den halbstarken Hip-Hopper und den coolen Verführer gege-ben, sondern auch die tragische Figur des Dällebach Kari in «Eine weniig». Dass der Mime ausserdem ein abgeschlossenes Biochemie-Studiumund fünf Solo-Bühnenprogramme vorzuweisen hat, ist in diesem relativjugendlichen Alter doch beeindruckend – oder unheimlich?

Nicht eigentlich. Althaus und seine Vielseitigkeit kommen auf derKleinkunstbühne sympathisch, locker und ganz natürlich rüber. Erspringt von Figur zu Figur, fällt zwischendurch auch mal gewollt aus derRolle und bildet so mit seinem Publikum eine kleine, eingeschworeneGemeinschaft über die Rampe hinweg. Kleine Highlights für sich stellenseine grossartigen Mundartsongs dar. Einige erinnern von Stil und Me-lodie her an den grossen Mani Matter – keineswegs nur wegen des Dia-lekts und der wohlklingenden Stimme. Sie sind mindestens so intelli-gent und abgründig, aber ein gutes Stück böser; zuweilen richtiggehendfies – und unglaublich witzig. Und wenn es die nach ein paar Liedernschon etwas abgehärteten Zuschauer kaum fassen, dass die nette Ge-schichte von Herrn Gnägi und Frau Gnägi-Haselstaudenheim gut aus-geht, folgt nach dem Applaus der gnadenlose Epilog.

Die titelgebende Ehrlichkeit verschafft sich im Programm zwar meistungewollt Gehör; sei es durch technische Pannen oder im Affekt vorge-brachte Beleidigungen; doch zum Schluss wird unmissverständlich klar,wie der Urheber des Kabarettabends zur Ehrlichkeit steht. Er überraschtsein Publikum mit radikalen Wendungen und Wandlungen und schreibtmit dem Lied «Ehrlich gheit» kurzerhand das Schicksal von Narziss inder griechischen Mythologie um. Es fällt wohl jemand in den Teich, dersich ins eigene Spiegelbild verliebt hat, ertrinkt aber mitnichten, son-dern landet weich und mit Blick in den blauen Himmel. «Ich habe dieGeschichte ganz bewusst so umgedeutet, dass die Ehrlichkeit amSchluss eine Tugend ist», sagt Althaus. «Für mich ist es wichtig, klar Po-sition zu beziehen, auch wenn das als ein bisschen ‹ältelig› gilt. DieLeute trauen sich das nicht mehr; drum gibt es so viel Ironie überall.»Er selber bringt Ironie samt klarer Haltung in seinem Programm unter.Mühelos schlägt er einen Bogen von der politisch korrekten «Mitma-chen ist alles»-Mentalität hin zum Waffenexportgeschäft oder machtsich in einer «Plüsch»-Parodie über die Schweizerkrankheit Heimwehangesichts schwerwiegender Probleme in anderen Weltgegenden lus -

tig. Seine Soloprogramme liegen dem Künstler am Herzen: «Meine Mei-nung und Weltanschauung einem Publikum kundzutun, ist ein grosserTeil des Vergnügens dieser Arbeit – und ein Privileg.»

Momentan lernt der Schauspieler für das Lehrdiplom; demnächstwird er am Gymnasium Chemie und Biologie unterrichten. «Ich möchtemich nicht abhängig machen vom Erfolg, sondern dann auf die Bühnegehen, wenn ich etwas zu sagen habe», erklärt Althaus. Dann habe erdie Freiheit, auch mal ein Programm zu machen, das sich nicht rentie-re. Und er möchte dazulernen: «Wenn man sich immer nur mit sich sel-ber beschäftigt, ist das auch anstrengend.» Der Schauspieler grinst et-was verlegen. «Und der Erkenntnisgewinn ist marginal.» Was man ausZuschauersicht ganz und gar nicht behaupten kann! �

Nils Althaus: «Ehrlich gheit», Kabarettsolo mit Liedern,

Di, 8. Januar Kleintheater Luzern; Fr, 18. Januar Kulturfabrikbigla, Biglen;

So, 20. Januar Kulturgenossenschaft Alti Moschti, Mühlethurnen;

Di, 22. Januar Theater am Hechtplatz, Zürich; Do, 24. Januar Casino Theater Burgdorf.

Weitere Daten bis November 2013: www.nilsalthaus.ch

Der Shootingstar wird bald Chemie unterrichten.

Nils Althaus ist Schauspieler, Kabarettist und bald Chemie- und Biolehrer. In seinem neuen Soloprogramm«Ehrlich gheit» bringt er seinem Publikum bei, wie man ehrlich stürzt und dabei Haltung bewahrt.

BILD: ZVG

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