11
Kurzarbeit & EO Historische Anpassungen Was bedeuten die Änderungen für Arbeitnehmende und Unternehmen? S. 11 Führen in der Coronakrise 10 Expertentipps Jetzt braucht’s Führungs- kräfte, die überlegt und ruhig agieren. S. 22 Kompetenzmanagement Skills im Fokus Das moderne Talentmanagement orientiert sich an Fähigkeiten und Kompetenzen. S. 38 Ausgabe 4 / CHF 14.— Mai 2020 TALENTMANAGEMENT «Unsere Mitarbeitenden agieren auch als Talent Scouts» Hannah Zaunmüller im Experten-Interview

«Unsere Mitarbeitenden agieren auch als Talent Scouts»...emotionale Mitarbeiterbindung zu er-höhen. Es handelt sich im Prinzip um ein agiles Stimmungsbarometer: mit intelli-genten

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • Kurzarbeit & EOHistorische AnpassungenWas bedeuten die Änderungen für Arbeitnehmende und Unternehmen? S. 11

    Führen in der Coronakrise10 ExpertentippsJetzt braucht’s Führungs-kräfte, die überlegt und ruhig agieren. S. 22

    KompetenzmanagementSkills im FokusDas moderne Talentmanagement orientiert sich an Fähigkeiten und Kompetenzen. S. 38

    Ausgabe 4 / CHF 14.—Mai 2020

    TALENTMANAGEMENT

    «Unsere Mitarbeitenden agieren auch als Talent Scouts»Hannah Zaunmüller im Experten-Interview

  • 6

    EXPERTEN-INTERVIEW

    personalSCHWEIZ Mai 2020

    Frau Zaunmüller, seit gut zwei Jahren sind Sie bei Ringier als Head Human Resources tätig. Worauf richten Sie momentan den Fokus bei Ihrer Arbeit?Seit Mitte Februar beschäftigt uns natür-lich die Coronakrise Tag und Nacht. Wir haben bei Ringier sehr früh und konse-quent Präventionsmassnahmen eingelei-tet. Nachdem rund 90 Prozent unserer Mitarbeitenden ins Homeoffi ce gewech-selt hatten, bestand unsere Aufgabe da-rin, die Mitarbeitenden zu unterstützen und zu begleiten. Fast täglich stellten sich ganz neue Fragen. Eine Herausforderung, aber auch eine sehr lehrreiche Zeit.

    Welche HR-Projekte respektive HR-Themen stehen mittel- und langfristig bei Ringier im Zentrum?Entsprechend unseren strategischen Stossrichtungen haben wir HR-Themen und -Massnahmen defi niert, die wir umsetzen. Wir führen zum Beispiel Puls-umfragen ein, um die Feedback- und Vertrauenskultur zu fördern, die Zusam-menarbeit im Team zu fördern und die emotionale Mitarbeiterbindung zu er-höhen. Es handelt sich im Prinzip um ein agiles Stimmungsbarometer: mit intelli-genten Kurzbefragungen wird laufend aufgezeigt, wo die Mitarbeitenden ste-hen, und es kann mit zielgenauen Mass-nahmen reagiert werden.

    Lifelong Learning ist ebenfalls ein zentra-les Thema. Im Rahmen der Digitalisierung und des sich schnell verändernden Um-felds setzt sich Ringier mit Arbeitsformen der Zukunft auseinander und fördert le-

    benslanges Lernen u.a. durch ein entspre-chendes Angebot zur Verbesserung von Wissen, Qualifi kationen und Kompeten-zen. Viele Ringier Gesellschaften haben ein Lifelong-Learning-Versprechen ab-

    gegeben und bauen ihr Weiterentwick-lungsangebot – ob extern oder intern, ob Präsenz, online oder Blended Learning – kontinuierlich aus.

    Ganz wichtig ist uns das Thema Employer Branding: Arbeitgeberattraktivität ist ein

    strategischer Erfolgsfaktor für die Ringier Gruppe. Das Thema wird immer zentraler, und wir treiben entsprechende Massnah-men in allen 19 Ländern, in denen die Ringier Gruppe tätig ist, voran.

    Viele Branchen sind mit einem zunehmenden Fachkräftemangel konfrontiert. Wie begegnen Sie dieser Problematik?Für bestimmte Fachgebiete gibt es tat-sächlich zu wenige Bewerber. So denken «Digital Talents» bei der Suche nach ei-

    Talentmanagement

    «Unsere Mitarbeitenden agieren auch als Talent Scouts»Im Zuge des Fachkräftemangels hat sich der «War for Talents» nochmals zugespitzt. Unternehmen

    sind mehr denn je gefordert, durch ein strategisch ausgerichtetes Talentmanagement für die

    Besetzung der Schlüsselpositionen zu sorgen. Wir haben mit Hannah Zaunmüller, Head Human

    Resources der Ringier Gruppe, über Massnahmen zur Talentgewinnung und -entwicklung und

    über die Nachfolgeplanung gesprochen.

    Interview geführt von Dave Husi

    «‹Digital Talents› denken bei der Suche nach einer spannenden Herausforderung

    nicht direkt an die Medienbranche.»

    Hannah Zaunmüller, Head Human Resources der Ringier Gruppe, sieht Employer Branding als stra-

    tegischen Erfolgsfaktor.

  • 9

    ARBEITSRECHT §

    personalSCHWEIZ Mai 2020

    stände des Einzelfalls zu beurteilen. Ein nur wenige Wochen andauernder Einsatz mit vergleichbaren Aufgaben, mit einem nur unwesentlichen längeren Arbeitsweg dürfte in der Regel zumutbar sein.

    Die Weisung, dass die Mitarbeitenden vor-übergehend bei einem Drittunternehmen arbeiten sollen, ist jedoch auch bei dring-lichen betrieblichen Bedürfnissen nicht zulässig. Hierfür bedarf es einer vertragli-chen Grundlage oder der ausdrücklichen Zustimmung der betroffenen Arbeitneh-menden. Der Einsatz der Mitarbeitenden bei einer anderen Konzern- oder bei einer unabhängigen Drittgesellschaft qualifi -ziert zudem als Personalverleih im Sinne des Bundesgesetzes über die Arbeitsver-mittlung und den Personalverleih und dessen Verordnung (AVG und AVV). Die entsprechenden Bestimmungen sind zu beachten.

    Personalverleih: Gelegentliches Überlassen

    Personalverleih liegt vor, wenn ein Un-ternehmen seine Mitarbeitenden einem

    Neben der kürzlich viel diskutierten Möglichkeit der Anordnung von Kurzarbeit können Arbeitsplätze unter Umständen auch dadurch erhalten wer-den, dass die Mitarbeitenden fl exibel und ausserhalb des vertraglich Vereinbarten eingesetzt werden. Eine solche anderwei-tige Beschäftigung kann unter Beachtung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen ei-ne andere Tätigkeit beim Unternehmen selbst, bei einer Konzerngesellschaft oder auch bei einem Drittunternehmen um-fassen. Der Arbeitgeber kann den Mit-arbeitenden während der wirtschaftlich bedingten Ausfallzeiten auch eine von diesen selbst gewünschte Nebenbeschäf-tigung bewilligen.

    Zuweisung einer anderen Beschäftigung oder eines anderen Arbeitsorts

    Der Arbeitgeber stellt den einzelnen Ar-beitnehmer in der Regel für eine spezifi -sche Tätigkeit an einem bestimmten Ar-beitsort an. Die Zuweisung einer anderen Tätigkeit und/oder eines anderen Arbeits-orts kann daher grundsätzlich nicht mittels einer Weisung des Arbeitgebers erfolgen.

    Dieser Grundsatz kann einerseits durch vertragliche Abreden durchbrochen werden, wonach der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch andere (vergleich-bare) Aufgaben oder einen anderen Ar-beitsort – bei gleichbleibenden übrigen Vertragskonditionen – zuweisen kann. Andererseits haben die Mitarbeitenden gestützt auf ihre Treuepfl icht bei dringli-chen betrieblichen Bedürfnissen vorüber-gehend andere Aufgaben auszuführen

    oder sich an einen anderen Arbeitsort versetzen zu lassen, nicht jedoch in ein anderes Unternehmen. Dies gilt in beiden Fällen nur, sofern dieser anderweitige Ein-satz für den Arbeitnehmer zumutbar ist. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit sind insbesondere folgende Kriterien zu beach-ten: Dauer und betriebliche Notwendig-keit des anderweitigen Einsatzes, Distanz vom alten zum neuen Arbeitsort, private Situation des Arbeitnehmers (Wohn- und familiäre Situation), Ausgleichsmassnah-men des Arbeitgebers (z.B. Ersatz der Mehrkosten des Arbeitswegs).

    In wirtschaftlichen Krisensituationen dürften die dringlichen betrieblichen Bedürfnisse oftmals gegeben sein. Der Arbeitgeber kann den Mitarbeitenden somit – auch ohne eine entsprechende vertragliche Abrede – vorübergehend eine anderweitige zumutbare Tätigkeit zuweisen und/oder diese an einen an-deren zumutbaren Arbeitsort versetzen (wohl auch innerhalb des Konzerns). Ob ein solcher anderweitiger Einsatz für den jeweiligen Arbeitnehmer zumutbar ist, ist immer aufgrund der konkreten Um-

    Temporärer Arbeitsort-/Tätigkeitswechsel und Personalverleih

    Anderweitige Beschäftigung der Mitarbeitenden in KrisensituationenIn wirtschaftlichen Krisensituationen müssen Arbeitgeber zielführende Massnahmen treffen,

    um so weit wie möglich sowohl die Arbeitsplätze der Mitarbeitenden als auch das Unternehmen

    selbst zu retten. Unter Beachtung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen kann der Einsatz von

    Mitarbeitenden ausserhalb des vertraglich vereinbarten ein Lösungsansatz sein.

    Von Marc Ph. Prinz und Jeannine Dehmelt

    Unter Beachtung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen können Mitarbeitende (vorübergehend)

    auch ausserhalb der vertraglich vereinbarten Bereiche eingesetzt werden.

  • 11

    LOHN & SOZIALVERSICHERUNGEN

    personalSCHWEIZ Mai 2020

    Anrechenbarer ArbeitsausfallEin Arbeitsausfall ist anrechenbar, wenn er auf wirtschaftliche Gründe zurück-zuführen und unvermeidbar ist und je Abrechnungsperiode mindestens 10% der Arbeitsstunden ausmacht, die nor-malerweise insgesamt geleistet werden.

    1. Kurzarbeitsentschädigung

    Kurzarbeit ist ein geeignetes Instrument zur Abwendung einer drohenden Ar-beitslosigkeit bei vorübergehender Re-duzierung oder vollständiger Einstellung der Arbeit. Die KAE ist ein Ersatz für Er-

    werbsausfälle und beträgt 80% des an-rechenbaren Verdienstausfalls von max. CHF 148 200.–.

    Anspruchsberechtigte PersonenAnspruch auf eine KAE haben folgende Personen (siehe Grafi k auf Seite 12).

    Corona Erwerbsersatz entschädigung und Anpassungen bei der Kurzarbeit

    Historische AnpassungenBis vor Kurzem war die Kurzarbeitsentschädigung (KAE) wenig bekannt — heute ist die Ent-

    schädigung in aller Munde. Die Corona Erwerbsersatzentschädigung (EO) ist eine neue Leistung

    analog dem EO-Taggeld. Mit den historischen Anpassungen soll nun die Wirtschaft gerettet wer-

    den, welche unter den Auswirkungen der Massnahmen rund um das Coronavirus massiv leidet

    (Stand: 22. April 2020).

    Von Beatrix Bock

    Die mit verschiedenen Bundesratsbeschlüssen in mehreren Etappen beschlossenen Ände-rungen in Kürze sind:

    Kurzarbeitsentschädigung • Keine Frist zur Voranmeldung mehr

    • Kurzarbeit kann auch telefonisch vor-angemeldet werden mit unverzüglicher schriftlicher Bestätigung

    • Keine Karenzfrist mehr

    • Kein Abbau von Überstunden mehr nötig

    • Anspruch neu für Arbeitnehmende in befristeten Arbeitsverhältnissen und für Personen im Dienste einer Organisation für Temporärarbeit

    • Anrechenbarer Arbeitsausfall auch für Lernende

    • Neu für arbeitgeberähnliche Angestellte wie Gesellschafter einer GmbH pauschal CHF 3320.– für eine Vollzeitstelle ohne Kürzung

    • Mitarbeitende Ehegatten pauschal CHF 3320.– für eine Vollzeitstelle ohne Kürzung

    • Dringliche Vereinfachungen bei der Abwicklung der Gesuche/Zahlungen

    • Bewilligungsdauer 6 statt 3 Monate

    • Arbeitnehmende auf Abruf, deren Beschäftigungsgrad um mehr als 20% schwankt und seit mindestens 6 Mo-naten beim gleichen Arbeitgebenden angestellt sind, erhalten neu eine KAE.

    Abgestützt auf der Basis von 6 oder 12 Monaten (die vorteilhafte Variante)

    • Kurzarbeitende können bei Annahme ei-nes Zwischenverdienstes diesen behalten

    • Maximale Bezugsdauer KAE bei einem Arbeitsausfall von 85% von 4 Monaten aufgehoben

    Abwicklung durch kantonale Amtsstellen

    Anmeldung bei den kantonalen Amtsstellen

    Neue Unterlagen zur KAE

    • COVID-19 Voranmeldung Kurzarbeit

    • COVID-19 Antrag und Abrechnung Kurzarbeitsentschädigung

    • Merkblatt 2.13 Informationen für Arbeit-gebende und Selbstständig erwerbende

    • Online-Rechner Kurzarbeitsentschädi-gung

    • Weiterhin gelten die normalen Formulare für alle anderen Fälle

    Corona Erwerbsersatz-entschädigung • Corona EO neu für Eltern mit Kindern

    unter 12 Jahren, die ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen müssen, weil die Fremd-betreuung der Kinder nicht mehr ge-währleistet ist. Gilt nicht bei Homeoffi ce!

    • Neu für Personen, die wegen einer Qua-rantänemassnahme ihre Erwerbs tätigkeit unterbrechen müssen

    • Selbstständigerwerbende, die wegen Massnahmen zur Bekämpfung des Corona virus einen Erwerbs ausfall er-leiden. Der Bundesrat hat am 22. April 2020 den Anspruch bis zum 16. Mai verlängert, für Betriebe, die am 27. April oder 11. Mai wieder öffnen können.

    • Freischaffende Künstler mit abgesagten Anlässen

    Abwicklung durch Ausgleichskassen

    Anmeldung bei den Ausgleichskassen, wel-che die Beiträge der Betroffenen abrechnen

    Neue Unterlagen zur Corona EO

    • Formular 318.758 zur Anmeldung Corona EO

    • Merkblatt 6.03 Corona EO

    Arbeitslosenentschädigung • Vorübergehende Aufhebung der Stellen-

    meldepfl icht STMP

    • Verzicht auf Einreichen des Nachweises der Arbeitsbemühungen, jedoch spätes-tens einen Monat nach Ablauf der neuen Verordnung

    • Erstes Beratungs- und Kontrollgespräch nach der Anmeldung telefonisch inner-halb von 30 Tagen

    • Vermeidung von Aussteuerungen durch maximal 120 zusätzliche Tage an alle Anspruchsberechtigten

    • Verlängerung der Rahmenfrist um maximal 2 Jahre

    ZUSAMMENFASSUNG IN KÜRZE

  • 17

    PERSONALARBEIT IN DER PRAXIS

    personalSCHWEIZ Mai 2020

    de facto ein Markenbotschafter. Fraglich ist nur, ob dabei jeweils diejenigen Bot-schaften fl iessen, die das Unternehmen sich wünschen würde. Sollte HR das The-ma also doch aktiv anpacken und sich eine «Armee» markenstolzer Corporate Infl uencer aufbauen?

    Wie anpacken?

    Worin besteht nun der magische Kunst-kniff, der aus einem Mitarbeitenden einen Markenbotschafter, einen hoch motivier-ten Infl uencer macht? Dass dies nur auf Freiwilligkeit basieren kann, liegt nahe.

    Im Idealfall ist eine Person bereits Fan des Produkts bzw. der Marke und bewirbt sich auf dieser Basis für das Unternehmen und wird angestellt. Dies gelingt in der Regel im Bereich des Konsumgüterbusi-

    Um was geht’s?

    Ich bin Claudia, eine überzeugte Mit-arbeiterin der smahrt consulting AG. Morgens gehe ich mit meiner smahrten Jacke aus dem Haus, mache mir mit mei-nem smahrt-Kugelschreiber Notizen auf meinem natürlich smahrten Block und schleppe auch mein Notebook stolz in einer smahrt gebrandeten Tasche herum. Bin ich also eine Markenbotschafterin? Oder neudeutsch Brand Advocate oder Corporate Infl uencer genannt? Ohne Zweifel.

    Wer nach aussen hin als überzeugter Markenbotschafter auftritt, ist es auch im Inneren. Nämlich ein Mitarbeitender, der sich voll und ganz mit der Marke identi-fi ziert und diese stolz nach aussen trägt. Was spontan natürlich gut klingt, wirft

    bei tieferer Betrachtung doch ein paar Fragen auf, die es verdienen, dass man ihnen etwas Zeit schenkt.

    Kann HR das Thema ignorieren?

    Vorneweg stellt sich die Frage, ob es überhaupt wünschenswert ist, wenn alle Mitarbeitenden als (positive) Markenbot-schafter durchs Leben düsen. Vermitteln sie die richtigen Botschaften? Passen sie überhaupt zur Marke? Daraus entsteht eine Aufgabe für HR. Und für das gesam-te Unternehmen.

    Sich mit dem Thema gar nicht zu beschäf-tigen, ist ebenfalls eine Option. Aber eine gefährliche! Denn auch ohne Zutun von HR ist jeder Mitarbeitende, der mit Kun-den oder im privaten Umfeld direkt oder indirekt über das Unternehmen spricht,

    Corporate Infl uencer

    Vom Mitarbeitenden zum Markenbotschafter?Markenbotschafter, Brand Advocates, Corporate Infl uencer. Diese und andere Schlagworte

    wabern durch die HR-Abteilungen der Unternehmen. Was steckt dahinter und warum ist es

    für HR essenziell, sich damit auseinanderzusetzen? Worin liegt der konkrete Nutzen und wo

    lauern die damit einhergehenden Gefahren?

    Von Claudia Broghammer

    Enthusiastische Markenbotschafter können ein Gewinn für Unternehmen sein — doch es birgt auch Gefahren.

  • 29

    HR-STRATEGIE

    personalSCHWEIZ Mai 2020

    Als Organisationsentwicklerin bin ich schon vielen Unternehmen aus vielen Branchen begegnet – und da strategische Personalplanung eine der Kernaufgaben in der Organisationsentwicklung ist, ging es bei meinen Mandaten häufi g um das Thema «wie viele Ressourcen brauchen wir in Zukunft für welchen Bereich» und dann natürlich auch darum, welches Skill- und immer mehr auch welches Mindset Personen mitbringen sollten, um im Sin-ne einer Gesamtstrategie gut zum Unter-nehmen zu passen.

    Es wird zunehmend anspruchsvoller, Ta-lente zu gewinnen, die zum Unterneh-men passen, aber auch, die bestehende Belegschaft so einzusetzen, dass das Unternehmen mittel- bis längerfristig er-folgreich sein kann. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sich der Arbeitsmarkt gemäss dem VUCA-Prinzip (also volatiler, unsi-cherer, komplexer und mehrdeutiger als früher) entwickelt und damit durchzogen ist von Trends, die sich bei der strategi-schen Personalplanung abzeichnen. Dazu gehören folgende:

    Eine Verschiebung vom Skills-basierten zum Mindset-zentrierten Rekrutieren

    Viele Unternehmen haben erkannt, dass die Personen mit einer optimalen Pas-sung in Bezug auf die in der Stellenaus-schreibung geforderten Skills, also vor allem die professionellen Fähigkeiten und Fertigkeiten, oftmals nicht die er-folgreichsten Besetzungen sind. In dem Sinne, dass entweder die Neubesetzung schnell wieder kündigt oder aber das Unternehmen feststellt, dass es «ein-

    fach nicht passt». Der Faktor «Kultur-passung» wird zunehmend wichtiger. Waren Skills vor einigen Jahren in der Regel noch das entscheidende Element, warum man sich für oder gegen einen Kandidaten entschieden hat, so ist es heutzutage mehr das «Mindset», das zählt. Möchte die Person bei der Vision des Unternehmens mitgehen? Hat die Person «die richtige» Einstellung, wür-de sie die Unternehmenswerte oder das Leitbild aktiv leben?

    Moderne Unternehmen streichen daher vermehrt die Kultur heraus und bringen geforderte Fähigkeiten, Fertigkeiten, Ausbildung oder auch Berufserfahrung nur als «Anhang» zur Stellenanzeige. Schliesslich können für die Aufgabe benötigte Skills meist gelernt werden, wobei eine Passung mit der Kultur des Unternehmens in der Regel da ist oder eben nicht. Ein Stück weit kann man zwar in eine Kultur hineinwachsen – wenn je-doch die Grundwerte des Unternehmens nicht zu den eigenen grundsätzlichen Wertvorstellungen passen, macht es in der Regel keinen Sinn, in solch einem Unternehmen als Mitarbeitender ein-zusteigen. Dies wissen inzwischen auch die einstellenden Unternehmen. Und da jede Neuanstellung immer auch eine In-vestition und der Verlust eines Arbeitneh-mers nach kurzer Zeit meist auch einen Schaden für das Geschäft darstellen, ist es wichtig, bei der Rekrutierung bereits darauf zu achten, inwiefern eine Passung gegeben sein könnte – oder eben nicht. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur ist daher nicht nur ein Hygienefak-tor, sondern kann ganz entscheidend sein für den Geschäftserfolg.

    Von einer «hard facts» zu einer «soft facts» oder «kultur-lastigen» Arbeitgebermarke

    Immer mehr Unternehmen richten ihre Employer Value Proposition (Arbeitgeber-marke), also das, was das Unternehmen als Arbeitgeber ausmacht und von an-deren unterscheidet, darauf aus, was es kulturell zu bieten hat. Zahlreiche Studien zeigen auf, dass die Generation Y – und inzwischen schon Z, die bereits auf den Arbeitsmarkt drängt – weniger fi xiert auf harte Faktoren wie beispielsweise Lohn ist. Vielmehr ist sie sehr daran interes-siert, einen wertvollen Beitrag zum Ge-samterfolg des Unternehmens zu leisten, mitzubestimmen, sich zu entfalten, aber gleichzeitig auch eine vernünftige Work-Life-Balance erhalten zu können.

    Themen wie Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung rücken mehr und mehr in den Vordergrund – das Image, das ein Unternehmen auf dem Markt hat, hat einen signifi kanten Einfl uss darauf, ob es als attraktiver Arbeitgeber gilt. Die Arbeitgebermarke spielt dabei nicht nur für die Rekrutierung eine entscheidende Rolle, sondern auch für die bestehende Belegschaft. Es sollen schliesslich die Talente des Unternehmens an dieses gebunden werden. Stimmt die Kultur und werden im Unternehmen Möglich-keiten für «internal mobility» geboten, das heisst, dass Mitarbeitende in andere Rollen und Themen innerhalb des Un-ternehmens wechseln (oder auch nur zeitweise rotieren) können, so ist eine langfristige Bindung an einen Arbeitge-ber auch heutzutage kein unerreichbarer Zustand.

    Mindset, persönliches Potenzial und Unternehmenskultur

    Trends in der strategischen PersonalplanungDie passenden Talente für das eigene Unternehmen zu gewinnen, wird immer mehr zur Heraus-

    forderung. Für eine erfolgreiche Personalplanung sollten die folgenden 5 Punkte in die Entschei-

    dungen miteinbezogen werden.

    Von Melanie Knijff

  • 36

    FUTURE OF WORK

    personalSCHWEIZ Mai 2020

    Klassische Zielzahlensysteme basieren auf dem Konstrukt einer Jahrespla-nung. Hierzu gehen grössere Organisa-tionen jeden Herbst in die Budgetierungs-phase. In aufwendiger Feinabstimmung werden unternehmensweite Zielvorga-ben für das kommende Geschäftsjahr erstellt und dann auf Quartale, Mona-te, Bereiche, Teams und Einzelpersonen verteilt. Hierauf wird eine Punktlandung gefordert. Das Erreichen der Vorgaben wird bonifi ziert. Insgesamt ist dies ein Vorgehen, das sehr viel kostet, viel Zeit verschlingt, Geld in falsche Kanäle lenkt, Lug und Trug unterstützt, neue Ideen un-terdrückt und darüber hinaus in unvor-hersehbaren Zeiten völlig unbrauchbar ist.

    Denn das Tempo in der fortschreitenden Digitalökonomie ist irre hoch. Während auf klassische Weise noch geplant und das Geplante dann wie geplant umge-setzt wird, ändert sich die Welt rundhe-rum bereits völlig. Ständige Disruptionen sind mehr und mehr Usus. Permanente Vorläufi gkeit ist die neue Norm. Das Ver-folgen von Planvorgaben und «Dienst nach Vorschrift» sind das Letzte, was in diesem Fall hilft.

    Klassische Planungsprozesse verhindern Innovationen

    Sind Ziele und Pläne rein effi zienzgetrie-ben, von oben verordnet und nur pro for-ma mit den Mitarbeitenden abgestimmt, dann fehlt zudem die innere Anteilnah-me, das Herzblut, der Feuereifer, die Leidenschaft für eine Sache. Im Abarbei-tungsmodus wird das, was zu tun ist, «at target, on budget, in time» erledigt, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

    Wer bei Evaluierungen punktet und bo-nifi zierte Anerkennung dafür erhält, dass er vorgezeichneten Verfahrensweisen ak-ribisch folgt, wird sich niemals an Neues wagen. So sind Einzelziele, totale Kont-rolle, ein Planungskorsett und der damit einhergehende Kennzahlenkult eine ge-radezu toxische Umgebung für einträgli-che Innovationen.

    Das ganze Drumherum eines traditio-nellen Budgetierungsprozesses, das in klassischen Unternehmen Monate dau-ert, kann in wenigen Tagen erledigt wer-den. Zudem kann die mit einem stark verschlankten Planungs- und Budgetie-rungsprozess einhergehende Zeit- und Kostenersparnis dazu genutzt werden, Wert für das Unternehmen zu generieren.

    OKR: in Hochgeschwindigkeits-zeiten die bessere Wahl

    OKR steht für Objectives & Key Results. Ursprünglich wurde diese Methode von Andy Grove, dem Mitbegründer des Halbleiterherstellers Intel, entwickelt. Bei OKR handelt es sich um keinen strengen formalen Prozess, sondern um ein Steue-rungsinstrument, das sich je nach Unter-nehmenskontext kurzzeitig und situativ anpassen lässt.

    Im Gegensatz zu den von der Wirklichkeit zunehmend schnell überrollten üblichen einjährigen Zielsetzungs- und Planungs-perioden werden OKRs auf einen Nah-bereich von bis zu drei Monaten festge-legt. Agil und fl exibel passt man sich den jeweiligen Umständen an. So wird eine hochdynamische Vorwärtsbewegung er-zeugt.

    • Die Objectives («Wo will ich hin?») geben eine inspirierende Stossrichtung vor. Dies ist wichtig, denn wer ankom-men will, muss wissen, wohin die Reise gehen soll. Gerade selbstorganisierte Teams brauchen Orientierungspunkte, denen sie folgen.

    • Die Key Results («Was muss ich tun, um das angepeilte Ziel zu erreichen, und wie kann ich dies messen?») sor-gen für Fokus. Sie sollen die anvisier-ten Schlüsselresultate konkret in Zahlen fassen. Dabei sollte jedes Objective drei bis fünf messbare Ergebnisse haben, die gemeinsam im Team erarbeitet werden.

    Die Ziele sind also der Traum und dem-nach qualitativ, die Ergebnisse sind greifbar und somit quantitativ. Der über-schaubare Zeitraum macht das Ganze agil.

    OKRs erzeugen Leistungswillen und Selbstwirksamkeit

    OKRs werden innerhalb der einzelnen Teams im Rahmen von Kurzmeetings be-sprochen und dann defi niert. Alles bleibt in der Eigenverantwortung der Teams. Die anvisierten Ziele werden nicht von oben vorgegeben und Ergebnisse auch nicht von oben kontrolliert. OKRs sind

    Objective Key Results

    So werden Zielfi ndungs- und Planungsprozesse agilerDamit eine agile Zusammenarbeit funktioniert, müssen die Rahmenbedingungen stimmen.

    Herkömmliche Zielfi ndungsmethoden und tradierte Planungsprozesse verhindern genau das.

    OKR ist ein Ausweg aus diesem Dilemma.

    Von Anne M. Schüller

    OKR ermöglicht einen agilen Planungsprozess.

  • 41

    DENKSPORT

    personalSCHWEIZ Mai 2020

    Was sollten Führungskräfte in der Coronakrise eher nicht tun?

    Agieren statt reagieren

    Eine regelmässige Lagebesprechung durchführen

    Gut kontrollieren, ob Mitarbeitende ihre Aufgaben zeitnah erledigen, und ggf. mehr Druck aufsetzen

    Was ist die Kehrseite von besonders engagierten Markenbotschaftern?

    Durch ihre starke Bindung zum eigenen Unternehmen verlieren sie den kritischen Aussenblick

    Wenn ihre Erwartungen an das Unternehmen nicht erfüllt werden, können sie von überzeugten Fans schnell zu überzeugten Gegnern werden

    Sie verlangen für ihren besonderen Effort meist einen fi nanziellen Bonus

    Wofür steht die Abkürzung «OKR»?

    Online Key Reputation

    Obvious Knowledge Reward

    Objective Key Results

    Wettbewerb

    Testen Sie Ihr WissenWie gut haben Sie unsere Artikel gelesen?

    Nehmen Sie per Online-Fragebogen auf www.personal-schweiz.ch am Wettbewerb teil!

    Lösungen und Gewinner werden in der Juni-Ausgabe von personalSCHWEIZ bekannt gegeben.Teilnahmeschluss: 14.5.2020. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

    Lösungen zum Denksport-Wettbewerb der April-Ausgabe 2020:

    Wie viele Personen in der Schweiz hatten im Jahr 2018 mehr als einen Job?354 000

    Was beschäftigt gemäss Outplacement-Beratungen gekündigte Mitarbeitende am meisten?Mangelnder Respekt und Wertschätzung im Trennungsprozess

    Welche Strategie ist für Hochleistungsorganisationen weniger geeignet, um die Belastung der Mitarbeitenden zu reduzieren und einer Überhitzung vorzubeugen?Zusätzliche monetäre Anreize bei schnellerer Zielerreichung in Aussicht zu stellen

    Gewinner: Die Gewinner der April-Ausgabe heissen Barbara Keller und Reto Zgraggen. Herzliche Gratulation!

    20. WEKA Arbeitsrecht-Kongress 2020Donnerstag, 1. Oktober 2020 – Crowne Plaza, Zürich

    Frischen Sie Ihr Know-how zum Schweizer Arbeitsrecht aufDieser Kongress ist ein Muss für jeden, der im Personalbereich tätig ist und sein arbeitsrechtliches Wissen auf dem neusten Stand halten möchte. Denn Sie hören Referate über genau die arbeitsrechtlichen Themen, wo der Schuh im Personalwesen am meisten drückt.

    NEU!

    Gewinnen Sie

    eine Teilnahme am 20. WEKA

    Arbeitsrecht-Kongress 2020

    im Wert von CHF 640.—

  • 42

    WERTE & KOMPETENZEN

    personalSCHWEIZ Mai 2020

    Fachkräftemangel und Wertewandel als grosse Herausforderungen

    Die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Schweiz wächst viel stärker als das Ange-bot. Gemäss einer UBS-Studie aus dem Jahr 2019 fehlen in der Schweiz in den nächsten zehn Jahren bis zu einer halben Million Arbeitskräfte.1 Aber auch vor dem Hintergrund des Wertewandels in unse-rer Gesellschaft erhält die Thematik der Personalgewinnung, -entwicklung und -erhaltung eine ganz neue Bedeutung. Die heutigen Führungsaufgaben erfor-dern ein hohes Mass an Individualität und situativer Herangehensweise. Die Führungskräfte führen Teams mit bis zu vier verschiedenen Generationen, welche sich deutlich voneinander unterscheiden und anders geführt werden wollen. Da-mit steigt auch das Potenzial für Missver-ständnisse oder Konfl ikte.

    Die Alten kritisieren die Jungen – und umgekehrt

    Konfl ikte zwischen den Generationen gab es schon immer. Schon Sokrates be-klagte sich vor über 2500 Jahren über die damalige Jugend: «Die heutige Jugend liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet Autorität. Sie widerspricht ihren Eltern, legt die Beine übereinander und tyrannisiert ihre Lehrer.» Was sich im Gegensatz zur Zeit von Sokrates verän-dert hat, ist die Tonart und Verbreitung von Kritik. Dies ist auch den sozialen Netz-werken geschuldet. Die Generation Z ist digitaler als jede Vorgängergeneration. Eine Welt ohne Internetzugang haben die Angehörigen der Generation Z nie kennengelernt. Das Smartphone ist das universelle Gerät im Alltag, und Online-sein ist Teil des Lebens.

    So tickt die Generation Z

    Die Generation Z stellt hohe Erwartungen an die Konsistenz von Auftritt, Bild, Text, Sprache und Verhalten von Institutionen. Diskrepanzen führen zu einer unmittel-baren Urteilsbildung oder sogar Verur-teilung. Wenn z.B. Aussagen auf der Un-ternehmenswebseite bei Nachfrage bei Bekannten, im Unternehmen oder auf Bewertungsportalen nicht übereinstim-men, dann führt das zu einem kaum zu korrigierenden Imageschaden. Ein wei-teres Merkmal der Generation Z ist das im Vergleich zu den Vorgängergeneratio-nen viel engere Verhältnis zu den Eltern, welches die Wahrnehmung von Nähe, Distanz und Hierarchie im Arbeitsleben prägt. So ist z.B. ein «jovialer» Umgang mit dem Chef kein Zeichen für Respekt-losigkeit, sondern Ausdruck eines als positiv erlebten Verhältnisses auf Augen-höhe. Die jungen Mitarbeitenden fordern Transparenz und einen hohen Einbezug in die Entscheidungsfi ndung. Gleichzeitig zeichnen sie sich durch weniger Durch-haltevermögen und Eigenverantwortung aus als ihre Vorgängergenerationen. Vom Arbeitgeber erwarten sie viel Flexi-bilität und Spontaneität bei gleichzeitig exaktem Erwartungsmanagement ihnen gegenüber. Eine weitere Besonderheit ist die Ablehnung von Konzepten wie «Work-Life-Balance» oder «Work-Life-Blending». Sie trennen strikt zwischen Ar-beit und Leben, auch durch die Erfahrung mit den damit verbundenen (negativen) Konsequenzen bei ihren Eltern.

    Die oben aufgeführten Aspekte unter-scheiden sich deutlich von der Art und Weise, wie die heutigen Führungskräfte ihren Karriereweg erlebt haben und wie sie geführt wurden. Somit reicht also die kritische Selbstrefl exion «was hat bei mir

    funktioniert und was hätte ich mir damals gewünscht» nicht aus. Vielmehr ist ein tiefes Verständnis der Besonderheiten der Generation Z für die erfolgreiche Führung notwendig. Nachfolgend sind die wich-tigsten Do’s and Don’ts im Umgang mit der Generation Z aufgeführt2: • Work-Life-Separation: Berufl iches und Privates werden lieber getrennt. Homeoffi ce? Nein, danke! (Anm. d. Red.: Stand vor der Corona-Pandemie).

    • Eigener Schreibtisch: Mobiles Büro und Open-Space-Strukturen waren gestern. Privatsphäre und überschau-bare Strukturen sind wichtig. Somit sind bei der Neuplanung ruhige Einzel-schreibtische in Bürolandschaften zu integrieren.

    • Feste Arbeitszeiten: Die Arbeit klar regeln, Arbeitszeiten zwischen 9 und 5 Uhr bevorzugt. Überstunden nur in Ausnahmefällen und wenn die Arbeit auch wirklich interessiert.

    • Exakte Stellenbeschreibung: Das Learning by Doing der Generation Y ist nichts für die Generation Z. Sie will schon im Inserat genau wissen, was sie erwartet, und sich entsprechend vor-bereiten.

    • Festes Gehalt: Die Generation Z ist karrierebewusst, aber nicht um jeden Preis. Ein festes Gehalt wird bevorzugt, und die leistungsorientierte Mentalität der Generation Y ist ihr eher fremd.

    Interview mit Nathalie Leschot

    Nathalie Leschot ist seit 2011 Personal-verantwortliche der Stadt Biel. Als Leiterin eines Teams von 20 Mitarbeitenden und in der Beratung der Führungskräfte der Stadtverwaltung mit über 2500 Mitar-beitenden ist sie mit den Herausforde-rungen der Führung im Generationenmix vertraut.

    Was macht einen attraktiven Arbeitgeber aus?

    Generation Z will andere FührungIn den Unternehmensleitungen dominieren Führungskräfte der Generationen Baby-Boomer und

    X. Ihre Erfahrungen und Wertvorstellungen prägen die heutigen Anreizsysteme und Führungs-

    instrumente. Treffen sie damit auch die Erwartungen der Generation Z?

    Text und Interview von Dr. Michèle Etienne

  • 48

    WORK+

    personalSCHWEIZ Mai 2020

    Früher dachte man, Unfälle sind Zufäl-le und Krankheit ist Schicksal. Daran könnte man nichts ändern, glaubte man. Jedoch hat die Suva im Bereich Unfallver-hütung seit Jahrzehnten grossartige Erfol-ge vorzuweisen. Und so bewiesen, dass Unfälle keine Zufälle und somit verhinder-bar sind. Dass dies in vielen Fällen auch für Krankheiten gilt, ist weniger bekannt. Nun ist es zugegebenermassen schwieriger, ei-ne «Beinahe-Krankheit» zu erkennen, als einen «Beinahe-Unfall». Bei Krankheiten sind es andere Vorzeichen, die sie ankün-digen. Psychosoziale Stressoren sind wich-tige Einfl ussfaktoren bei der Entwicklung von Krankheiten. Jedes Organsystem wird durch Stress belastet, am häufi gsten sind das Immunsystem, Herz-Kreislauf, Verdauungsapparat und Bewegungsap-parat davon betroffen. Natürlich geht es dabei nicht darum, dass Führungskräfte über vertiefte medizinische oder psycho-logische Kenntnisse verfügen müssten.

    Im Gegenteil, über die Symptome sollte kaum gesprochen werden. Ein moderner Betrieb sollte klar kommunizieren, dass ihm Gesundheit und Wohlbefi nden der Mitarbeitenden wichtig sind.

    Verantwortung der Führung

    In den letzten Jahrzehnten wurden gros se Verbesserungen im Bereich der physika-lischen und chemischen Belastungen er-reicht. Nach wie vor wenig Aufmerksam-keit wird dem Bereich Stress geschenkt. Obwohl seit 20 Jahren immer wieder durch Studien aufgezeigt wird, dass zu-nehmend viele Mitarbeitende substan-ziell unter Stress leiden, und obwohl die Zahlen der IV bezüglich der psychischen Erkrankungen erschreckend sind, geht die Wirtschaft davon aus, dass Gesund-heit Privatsache sei. Das kommt die Mit-arbeitenden, die Betriebe und die ganze Gesellschaft teuer zu stehen.

    Vorgesetzten sollten die häufi gsten psy-chosozialen Stressfaktoren bekannt sein (siehe Box). Sie sollten sich bewusst sein, welchen Einfl uss sie auf das Arbeitsklima und somit auf die Gesundheit ihrer Mit-arbeitenden haben. Natürlich wird nicht erwartet, dass sie alle Probleme lösen. Sie sollten aber in der Lage sein, Veränderun-gen bei den Mitarbeitenden zu erkennen und entsprechend zu handeln. Dabei ste-hen selbstverständlich Gespräche im Vor-dergrund. Zusätzlich gilt es, sich bei Be-darf auch selbst Hilfe zu holen, entweder bei internen (eigene VG, HR-Abteilung) und allenfalls bei externen Anlaufstellen.

    Psychosoziale Stressfaktoren

    • unklare Kommunikation, fehlende Informationen

    • belastete Beziehungen (berufl ich wie privat)

    • Zeit- und Leistungsdruck

    • fehlende Wertschätzung (Anerkennung, Feedback, Interesse)

    • Diskrepanz Verantwortung – Handlungsspielraum

    • eigene (körperliche) Krankheiten oder innerhalb der Familie

    • fi nanzielle Sorgen

    • kulturelle/sprachliche Probleme

    • Veränderungen, Verlusterlebnisse, Gewalt

    Verantwortung des Betriebs

    Wichtig ist, dass die Gesundheitsförde-rung von der gesamten Geschäftsleitung unterstützt und getragen wird. Mit der Haltung «Mitarbeitende sind hier zum Ar-beiten, ihre Gesundheit interessiert mich nicht» wird man keinen Erfolg haben. Die Mitarbeitenden sind das wichtigste Kapi-tal eines Betriebs, und es lohnt sich, ihnen Sorge zu tragen. Damit Gesundheitsför-derung in allen Bereichen des Betriebs greifen kann, braucht es beispielsweise

    Psychosoziale Stressoren rechtzeitig erkennen

    Gesundheitsmanagement im BetriebFrüherkennung von Belastungen und Stress ist möglich — Führungskräfte spielen dabei eine

    zentrale Rolle.

    Von Dr. med. Rolf Heim

    Zeit- und Leistungsdruck, aber auch fehlende Wertschätzung sind häufi ge Stressoren.

  • WORK+KOLUMNE

    Mut zur Talentkultur

    Wir leben in bewegten Zeiten. Die digitale Trans-formation verändert die Unternehmen und die Gesellschaft unentwegt. Unternehmen müssen bestehende Geschäftsmodelle anpassen und durch effi zientere, digitale Lösungen ersetzen. Dafür sind sie auf gut qualifi zierte Fachkräfte angewiesen, welche ihrerseits jedoch wegen der demografi schen Entwicklung ein rares Gut sind.

    Selten war es deshalb so matchentscheidend wie heute, als Unternehmen Talente gewinnen und halten zu können. Der Schlüssel dazu liegt in einer für die Zielgruppe attraktiven Führungs- und Unternehmenskultur, die dem neuen Zeitalter entspricht. Das Vertrauen in die eigenen Leute ist das Herzstück einer solchen Kultur. Dementspre-chend fördern Führungskräfte die Flexibilisierung von Raum und Zeit, die virtuelle Zusammenarbeit, und sie leben Führung auf Distanz. Gleichzeitig weichen sie die starren hierarchischen Führungs-strukturen zugunsten fl exibler Netzwerkorgani-sationen auf und fördern eigenverantwortliche Zusammenarbeit. «Chef» zu sein, heisst in dieser neuen Welt noch weniger als früher, bedeutender oder besser zu sein – der neue «Chef» hat ledig-lich eine andere Rolle: er arbeitet für die Mitarbei-tenden, nicht umgekehrt. Vertrauen, Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität sind so keine leeren Schlagworte, sondern die Essenzen einer Kultur, welche die Leistung steigern und Innova-tionsprozesse ermöglichen.

    Es ist die heutige, weitgehend im Industriezeit-alter sozialisierte Führungsriege von Geschäfts-leitung und Verwaltungsrat, welche das Wissen und Denken der jungen Nachwuchskräfte für den Erfolg benötigt. Sie muss das Bewusstsein und die Kenntnisse für den Wandel der Führungs- und Unternehmenskultur in ihre Gremien holen. Und dies eilt: Talente haben die Wahl und sind umwor-ben – sie wollen in Unternehmen arbeiten, in de-nen sie sich vollwertig einbringen und entwickeln können, und sie sind es schlussendlich, welche Unternehmen zum Erfolg führen.

    Dr. Doris Aebi ist Mitinhaberin der Executive Search und Board Consulting Firma aebi+kuehni AG in Zürich. Daneben ist sie Verwaltungsrätin, Referentin an der Swiss Board School der Universität St. Gallen und Autorin des Buchs «Teppichetage. Der Blick hinter die Kulisse», erschienen 2018 im Xanthippe-Verlag.

    personalSCHWEIZ Mai 2020 49

    eine offene Kommunikationskultur, eine klare Informationspolitik, eine ergono-mische Arbeitsplatzgestaltung und eine klare Suchtmittelpolitik. Und als Control-ling-Element müssen Absenzen erfasst und in der GL-Sitzung thematisiert wer-den. Nicht misstrauisch und vorwurfsvoll, sondern interessiert und bei Bedarf mit Unterstützung für die betroffenen Mitar-beitenden.

    Instrumente

    Die Erfassung und die Auswertung von Absenzdaten sowie die Informierung der Vorgesetzten bilden den technischen Rahmen und werden von der Personal-abteilung übernommen. Eigentliches Herz der Gesundheitsförderung im Be-trieb sind aber die Gespräche zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden. Diese Gespräche werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit unterschiedlichen Zielen geführt. Eine wichtige Rolle spie-len dabei vor allem zwei Gesprächstypen:

    RückkehrgesprächNach jeder Absenz, egal ob krankheits- oder unfallbedingt, fi ndet ein Rückkehr-gespräch statt. Der/die Vorgesetzte er-kundigt sich ganz selbstverständlich nach dem Befi nden der Mitarbeitenden und nach allfälligen Einschränkungen. Dieses kurze informelle Gespräch zeigt diesen, dass sie wichtig sind und ernst genom-men werden. Es versteht sich von selbst, dass der Ton wohlwollend und wertschät-zend ist. In diesem Moment geht es weni-ger um Vergangenes als um mögliche ak-tuelle Belastungen. Und eine interessierte Führungskraft hat die Gelegenheit, den/die Mitarbeitende besser wahrzunehmen als sonst im Arbeitsalltag.

    UnterstützungsgesprächFalls sich aufgrund verschiedener Anzei-chen (siehe Box) der Verdacht erhärtet, dass es einer/m Mitarbeitenden nicht gut geht, ist es Zeit für ein Unterstüt-zungsgespräch. Dieses fi ndet in einem ruhigen Raum statt, damit auch vertrau-liche Themen angesprochen werden kön-nen. Ein solches Gespräch dauert etwa 20–40 Minuten. Zu diesem Zeitpunkt hat man in der Regel schon vereinzelt über die Gesundheit und mögliche Belastun-gen gesprochen. Dies soll nun vertieft werden. Die Erfahrung zeigt, dass in ca.

    70 Prozent der Fälle private oder beruf-liche Stressoren gefunden werden. So oder so werden gemeinsam Entlastungs-möglichkeiten gesucht und Ziele verein-bart. Veränderungen sollen sich auf die Belastungen beziehen und in den Augen der Betroffenen und der Vorgesetzten Sinn machen. Typisch sind Anpassungen der Arbeitszeiten, des Arbeitspensums und des Arbeitsinhalts. Gelegentlich braucht es auch ein klärendes Gespräch mit Arbeitskollegen, anderen Vorgesetz-ten oder dem HR. Häufi g unterschätzen Vorgesetzte ihre Möglichkeiten und sind im Nachhinein ob des Erfolgs positiv überrascht. Die Mitarbeitenden ihrerseits schätzen diese Form der Unterstützung. Sogar in jenen Fällen, wo keine Problem-ursache gefunden wurde, empfi nden sie das Gespräch als wertvoll, denn es zeugt von der Wertschätzung und dem Enga-gement der Vorgesetzten.

    Anhaltspunkte für reduziertes Wohlbefi nden

    Die folgenden Anhaltspunkte deuten darauf hin, dass es einem/r Mitarbeiten-den nicht gut geht:

    • wiederholte (körperliche) Beschwerden

    • geringes Interesse

    • sozialer Rückzug

    • emotionale Labilität: Gereiztheit oder Weinerlichkeit

    • Nervosität

    • gesteigertes Konsumverhalten, z.B. erhöhter Konsum von Kaffee oder Zigaretten

    • Abnahme mentaler Funktionen (z.B. Gedächtnis, Konzentration, Aufmerksamkeit)

    • verminderte Zuverlässigkeit

    • verminderte Motivation

    • Verlängern der Pausen

    • deutlich veränderte Arbeitszeiten (Mitarbeitende/r kommt gehäuft zu spät oder leistet mehr Überzeit)

    • gehäufte Absenzen (mehr als zwei in sechs Monaten).

    Dr. med. Rolf Heim (1971), studierte Medizin, Speziali-sierung in Psychiatrie und Arbeitsmedizin. Seit 2008 führt er in Holderbank eine eigene Praxis und berät Unternehmen im Umgang mit psychisch kranken

    Mitarbeitenden. Heim ist Autor mehrerer Publikationen.