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stadtprojekte Hamburgs Modellprojekt für autofreies Wohnen: Der erste Bauabschnitt ist fertig! Senator Dr. Willfried Maier über kurze Wege und urbanes Wohnen Vom Neandertal zur Saarlandstraße Seite 6 Die Grüne Klammer Seite 20 Autofreier Alltag: Erfahrungen Seite 32 Senator Dr. Maier: Die Großstadt ist auch ohne Auto lebenswert . . . . . . . 1 Am Barmbeker Stichkanal: Reportage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Autofrei Wohnen: Wie es dazu kam/ Projekte in Deutschland . . . . . . . . . . . 4 Bremen-Hollerland – Entstehung einer folgenreichen Idee . . . . . . . . . . . 5 Vom Neandertal zur Saarlandstraße: Chronologie1992-2001 . . . . . . . . . . . 6 Der Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Der städtebauliche Entwurf . . . . . . . . 9 Die Bauherren . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Stellplatzregelungen . . . . . . . . . . . . 12 Das Planungsrecht . . . . . . . . . . . . . . 14 Kleine Umfrage unter Passanten und Anwohnern . . . . . . . . . . . . . . . 15 Baubetreuung durch die Stattbau Hamburg GmbH . . . . . . . . . . . . . . . 16 Nächtelange Diskussionen: Über Planungsbeteiligung . . . . . . . . 18 Die Grüne Klammer – Außenräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Wohnprojektplanung – Ein Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Besuch bei LEBEN MIT BEHIN- DERUNG HAMBURG . . . . . . . . . . 26 Über den Verein Autofreies Wohnen e. V .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 „Motorisierung der Häuser“ . . . . . . . 30 Ökologie, Haustechnik, Energie . . . . 31 Autofreier Alltag: Erfahrungen . . . . 32 Grundrisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 summary/résumé: englische und französische Übersetzung . . . . . . . . . 33 Checkliste: Voraussetzungen/ Verallgemeinerbares . . . . . . . . . . . . 34 Kontaktadressen, Informationen . . . . 36 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 INHALT Spielplatz statt Stellplatz Die Großstadt ist auch ohne Auto lebenswert Freie und Hansestadt Hamburg Stadtentwicklungsbehörde N och arbeiten die Handwerker an den letzten Details, noch sind ein paar Fahrradhäuschen ohne Türen und das junge Grün sprießt erst spärlich. Aber die letzten Mieterinnen und Mieter haben im April ihre Wohnungen bezogen. S tadtluft macht frei“ hieß es um 1470. Damals zog die wirtschaftliche, reli- giöse und politische Freiheit in den Städten die Landbevölkerung in Scharen an. „Stadtluft macht krank“ lautete dagegen ein Slogan aus den 1970er Jahren, der auf die zunehmende Luftverschmutzung in den Städten aufmerksam machte. Inzwischen hat die Umweltschutzbewegung viele tech- nische Verbesserungen für die Industrie und private Haushalte in Gang gesetzt, wodurch die Emissionslage verbessert wurde. Ein wesentlicher, belastender Faktor für das Leben in der Stadt bleibt jedoch der Auto- verkehr. Dabei bietet gerade die europä- ische Stadt mit ihrer dichten Mischung von Wohnungen, Arbeitsstätten, Läden, Schulen und Parks die idealen Vorausset- zungen, um auf das (eigene) Auto weitge- hend verzichten zu können. Viele für den Damit ist es geschafft. Hamburgs erste autofreie Wohnanlage steht, der erste Bau- abschnitt ist abgeschlossen und bewohnt. Zwischen Saarlandstraße im Westen, Osterbekkanal im Süden und dem Barm- beker Stichkanal im Osten leben in 111 Wohnungen rund 250 Menschen, die sich für ein Leben ohne eigenes Auto entschie- den haben. Und es werden mehr werden, denn ein zweiter Bauabschnitt ist ab 2004 geplant. SAARLANDSTRASSE – WOHNEN OHNE AUTO AM OSTERBEKKANAL stadtprojekte 1 Ausgabe April 2001

SAARLANDSTRASSE – WOHNEN OHNE AUTO AM …€¦ · Seite 2 stadtprojekte Quartier zogen. Hier aber genießen sie auch die Vorteile des Verzichts auf das Auto: keine parkenden Autos

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stadtprojekte

Hamburgs Modellprojekt für autofreies Wohnen: Der erste

Bauabschnitt ist fertig!

Senator Dr. Willfried Maier über kurze Wege und urbanes Wohnen

Vom Neandertal zur SaarlandstraßeSeite 6

Die Grüne KlammerSeite 20

Autofreier Alltag:ErfahrungenSeite 32

Senator Dr. Maier: Die Großstadt

ist auch ohne Auto lebenswert . . . . . . . 1

Am Barmbeker Stichkanal:

Reportage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

Autofrei Wohnen: Wie es dazu kam/

Projekte in Deutschland . . . . . . . . . . . 4

Bremen-Hollerland – Entstehung

einer folgenreichen Idee . . . . . . . . . . . 5

Vom Neandertal zur Saarlandstraße:

Chronologie1992-2001 . . . . . . . . . . . 6

Der Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Der städtebauliche Entwurf . . . . . . . . 9

Die Bauherren . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Stellplatzregelungen . . . . . . . . . . . . 12

Das Planungsrecht. . . . . . . . . . . . . . 14

Kleine Umfrage unter Passanten

und Anwohnern . . . . . . . . . . . . . . . 15

Baubetreuung durch die Stattbau

Hamburg GmbH . . . . . . . . . . . . . . . 16

Nächtelange Diskussionen:

Über Planungsbeteiligung . . . . . . . . 18

Die Grüne Klammer –

Außenräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Wohnprojektplanung –

Ein Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Besuch bei LEBEN MIT BEHIN-

DERUNG HAMBURG . . . . . . . . . . 26

Über den Verein Autofreies

Wohnen e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

„Motorisierung der Häuser“. . . . . . . 30

Ökologie, Haustechnik, Energie . . . . 31

Autofreier Alltag: Erfahrungen . . . . 32

Grundrisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

summary/résumé: englische und

französische Übersetzung . . . . . . . . . 33

Checkliste: Voraussetzungen/

Verallgemeinerbares . . . . . . . . . . . . 34

Kontaktadressen, Informationen . . . . 36

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

I N H A L TSpielplatz statt Stellplatz

Die Großstadt ist auch ohne Auto lebenswert

Freie und Hansestadt HamburgStadtentwicklungsbehörde

Noch arbeiten die Handwerker anden letzten Details, noch sindein paar Fahrradhäuschen ohne

Türen und das junge Grün sprießt erstspärlich. Aber die letzten Mieterinnen undMieter haben im April ihre Wohnungenbezogen.

Stadtluft macht frei“ hieß es um 1470.Damals zog die wirtschaftliche, reli-giöse und politische Freiheit in den

Städten die Landbevölkerung in Scharenan. „Stadtluft macht krank“ lautete dagegenein Slogan aus den 1970er Jahren, der aufdie zunehmende Luftverschmutzung in denStädten aufmerksam machte. Inzwischenhat die Umweltschutzbewegung viele tech-nische Verbesserungen für die Industrie und

private Haushalte in Gang gesetzt, wodurchdie Emissionslage verbessert wurde. Einwesentlicher, belastender Faktor für dasLeben in der Stadt bleibt jedoch der Auto-verkehr. Dabei bietet gerade die europä-ische Stadt mit ihrer dichten Mischungvon Wohnungen, Arbeitsstätten, Läden,Schulen und Parks die idealen Vorausset-zungen, um auf das (eigene) Auto weitge-hend verzichten zu können. Viele für den

Damit ist es geschafft. Hamburgs ersteautofreie Wohnanlage steht, der erste Bau-abschnitt ist abgeschlossen und bewohnt.Zwischen Saarlandstraße im Westen,Osterbekkanal im Süden und dem Barm-beker Stichkanal im Osten leben in 111Wohnungen rund 250 Menschen, die sichfür ein Leben ohne eigenes Auto entschie-den haben. Und es werden mehr werden,denn ein zweiter Bauabschnitt ist ab 2004geplant.

S A A R L A N D S T R A S S E – W O H N E N O H N E A U T O A M O S T E R B E K K A N A L

stadtprojekte1Ausgabe April 2001

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Quartier zogen. Hier aber genießen sieauch die Vorteile des Verzichts auf das Auto:keine parkenden Autos vor der Haustür,sondern Platz für Bänke, einen Spielplatzund ein Volleyballfeld, überdachte Fahr-radstellplätze vor den Hauseingängen,großzügige Fahrradkeller, zu denen Ram-pen hinabführen – und die Kinder könnengefahrlos vor den Häusern spielen.

Fünf Jahre Projektgeschichte liegen hin-ter den Beteiligten. Und beteiligt warenneben der Stadtentwicklungsbehörde, derBaubehörde, der Finanzbehörde, dem Be-zirksamt Hamburg-Nord, Architektinnenund Architekten sowie Bauunternehmen vorallem viele der heutigen Bewohnerinnen und

Bewohner, die sich in der Mietergenossen-schaft Wohnwarft – Genossenschaft für auto-freies Wohnen und der Wohnungseigentü-mergemeinschaft Barmbeker Stich – WEGohne Auto zusammengeschlossen haben.

Das langgestreckte Grundstück ist anzwei Seiten von Wasser umgeben, der Os-terbek im Süden und dem BarmbekerStichkanal im Osten. Zum Wasser hin bil-den die Gebäude der Siedlung zwei großeInnenhöfe. Ein fünfgeschossiger L-förmi-ger Wohnriegel faßt jeden der Höfe zurSaarlandstraße hin und nach Norden ein.Die südliche, offene Begrenzung bildetjeweils ein viergeschossiges sogenanntesPunkthaus.

Alltag wichtige Stellen liegen in fußläufi-ger Nähe, andere sind leicht mit Rad, Busoder Bahn zu erreichen.

Mit den Vorzügen des urbanen Lebenskann der Stadtstaat Hamburg sich auch inder Konkurrenz als Wohnstandort behaup-ten. Mit den „Einfamilienhausweiden“ desUmlandes können und wollen wir nichtkonkurrieren, da städtischer Boden be-grenzt und teuer ist. Stattdessen wollen wirmit attraktiven Wohnformen Menschenvom Leben in der Großstadt überzeugen:

Wohnungen und Häuser, die auf wenigFläche viel Raum für Privatheit bieten undgleichzeitig den Bezug zum öffentlichenUmfeld eröffnen.

An der Saarlandstraße ist beispielhaftzu sehen, wie verschiedene Menschen mitunterschiedlichen Ansprüchen an dasWohnen innerstädtisch und ohne Auto gutleben können. Das Gesamtprojekt kanndamit für andere Interessierte zeigen, dassund wie es möglich ist, individuelle Vor-stellungen vom Leben in der Stadt umzu-setzen. Die gelungene, dichte Mischungdeckt sich mit der Vorstellung von einerStadtentwicklung, die rücksichtsvoll und

nachhaltig mit den Ressourcen der Stadtumgeht: Dazu gehört der Boden ebensowie die Luft. Und die gute Lage – mit U-Bahnanbindung, Stadtparknähe, Kampna-gel etc. – belohnt die heutigen Bewohne-rinnen und Bewohner der neuen Häuser ander Saarlandstraße für die Mühen, denensie sich im Verlauf des Projektprozessesunterzogen haben. Ich wünsche ihnen einekommunikative Nachbarschaft mit genü-gend Rückzugsraum, in der sie die Vor-züge des Großstadtlebens genießen kön-nen. Und hoffentlich überzeugt ihr Vorbildviele andere von dieser Lebensweise,damit Hamburg mit weniger Verkehrsbe-lastung noch lebenswerter wird.

Das autofreie Quartier an der Saarlandstraße ist Hamburgs erste Wohnanlage,in der sich alle Bewohnerinnen und Bewohner vertraglich zum Verzicht auf ein ei-genes Auto verpflichten. Etwa die Hälfte der im ersten Bauabschnitt fertigge-stellten Wohnungen wurde von den zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohnernals „Wohnprojekt“ mit intensiver Planungsbeteiligung gebaut. Wert gelegt wurdedabei nicht nur auf die komfortable Erschließung der Gebäude für Menschen, diesich zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewegen, sondern auch auf viel Raum für ge-meinschaftliche Nutzungen. Die Gebäude wurden zudem mit hohen ökologischenStandards errichtet. Ein weiteres Gebäude mit 14 behindertengerecht ausgestat-teten Wohnungen hat die gemeinnützige GmbH LEBEN MIT BEHINDERUNGHAMBURG gebaut. Hier wird behinderten Menschen das Leben in einer eigenenWohnung bei gleichzeitiger Unterstützung durch eine enge Nachbarschaft undambulante Betreuung ermöglicht. Die übrigen Wohnungen wurden durch diestädtische Wohnungsbaugesellschaft GWG errichtet. Erstmals haben sich hier dieMieterinnen und Mieter einer konventionellen Wohnungsbaugesellschaft an denVerzicht auf ein eigenes Auto gebunden.

… nicht nur der Verzicht auf das eigene Auto. Eine Reportage von Anna Wegener

Am Barmbeker Stichkanal ist vieles anders

Haus LEBEN MIT BEHINDERUNG HAMBURG

Autofrei Wohnen, das ist kein The-ma, über das die Bewohnerinnenund Bewohner der neuen Wohnan-

lage an der Saarlandstraße noch diskutie-ren müßten. Der autofreie Alltag ist für sielängst Normalität – war es für die meistenvon ihnen schon, bevor sie in das autofreie

Für Fahrräder ist gesorgt

Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber

inne. Hermann Hesse

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„Ein Filetstück“, wie ein Bewohner be-tont. Und man muß ihm zustimmen, nichtnur im grünen Innenhof, auch angesichtsdes Blicks über Hamburg, der sich von derDachterrasse bietet. Aber nicht dies warder Grund für die Auswahl gerade dieserFläche für das Projekt, sondern ihre zen-trale Lage in der Stadt und zu den Zentrenvon Barmbek und Winterhude, die Nähezum Stadtpark sowie die gute Anbindungan den ÖPNV.

Um den südlichen Hof liegen die Woh-nungen des Wohnprojektes. Sie sind seitletztem Mai bezogen. Balkone, Gärten undder Hofbereich sind schon bepflanzt. Esläßt sich ahnen, wie bunt und lebendig esim Sommer sein wird. Im nördlichen Hofist es noch etwas kahl – das winkelförmigeGebäude der GWG ist erst seit einigenWochen fertig und die Mieterinnen undMieter sind gerade erst eingezogen. Die Be-hindertenwohnungen im Punkthaus sindschon seit letztem Frühjahr bewohnt.

Siebzehn statt vierundachtzig

Vor den Zeilen zur Saarlandstraße führtein in Ausnahmefällen – z. B. von der Feu-erwehr – auch befahrbarer Wohnweg ent-lang. Davor liegen die wenigen PKW-Stellplätze, die sogar in einer autofreienSiedlung vorgehalten werden müssen – fürBehinderte, Besucherinnen und Besuchersowie Anlieferungen. 17 Plätze sind es fürdie 111 Wohnungen des ersten Bauab-schnitts gegenüber 84 Plätzen, die in einer

„normalen“ Siedlung bereitgestellt wer-den müßten. Auch ökologischen Aspektenwird große Bedeutung beigemessen – einTeil der Gebäude ist in Niedrigenergie-bauweise errichtet, die Waschmaschinenwerden mit Regenwasser betrieben, ein ei-genes Blockheizkraftwerk erzeugt Wärme

und Strom und auf dem Dach ist eineFotovoltaikanlage installiert.

Noch liegt vor den neuen Häusern einefreigeräumte Baufläche, über die der Ver-kehrslärm der Saarlandstraße heranbraust.Aber das wird sich ändern. Der Baubeginnfür den Gebäuderiegel entlang der Saar-

landstraße, der für die Siedlung als Lärm-schutz dienen soll, ist noch in diesem Jahrgeplant.

Die Ufer der Kanäle sind öffentlich,entlang des Wassers verläuft ein Fußwegund gewährt den Passanten einen Blick indie Innenhöfe. Auf dem Uferstreifen ander Osterbek ist die Anlage eines kleinenParks vorgesehen.

Die fünf Jahre gemeinsamer Planunghaben auch ein anderes Miteinander derBeteiligten geschaffen, das ist sichtbar undspürbar. Grüppchen im Treppenhaus undGespräche vor den Haustüren sind zubeobachten, Kinder allerorten. Eine ent-spannte Atmosphäre.

Seite 3

„Ich bin monatelang durch die Gegendgerannt und habe gedacht „nie wiederWohnprojekt“, „nie wieder Wohnprojekt“,jetzt wo der Frust vorbei ist, würde ichsagen, es war eine der besten Entscheidun-gen meines Lebens, hierher zu ziehen unddas mit aufzubauen, das hat sich wirklichgelohnt.“

Jörg-Michael Sohn, Barmbeker Stich

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Im Süden: die Gebäude des Wohnprojektes

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Im Norden: das Gebäude der GWG

Im Aquarell: das Punkthaus derEigentumsgemeinschaft

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Seite 4 s tadt projektes tadt projekte

Mit der Entwicklung des Autoszum Massenverkehrsmittel, diein den 60er Jahren begann,

wurden wohnungsnahe und zahlenmäßigausreichende Stellplätze zur Planungs-maxime. Die damit verbundenen hohenKosten und die Beeinträchtigung desWohnumfeldes wurden als unvermeidbarhingenommen – obwohl letztere zusam-men mit den Aspekten Lärm und Ge-fährdung durch den Autoverkehr von denStadtbewohnerinnen und -bewohnern stetsals Störfaktor Nr. 1 genannt wird.

Nur in einigen wenigen Stadtentwick-lungsprojekten wurde mit einer Konzentra-tion von Stellplätzen am Rande der Siedlungexperimentiert (z. B. Nürnberg-Langwasser,Stockholm-Skarpnäck, in neuerer Zeit auch

Trabrennbahn-Farmsen in Hamburg undLoretto-Areal/Französisches Viertel inTübingen). Bei diesen Lösungen wird zwardas Innere der Quartiere von Autoverkehrweitgehend freigehalten, häufig aber sindNachteile anderer Art entstanden, vor al-lem die mangelnde Sicherheit großer Park-garagen, städtebaulich desolate „Rücksei-ten“ der Quartiere und hohe Kosten fürSammelstellplatzanlagen.

Anfang der 90er Jahre kam Bewegungin die Diskussion um Möglichkeiten desWohnens ohne eigenes Auto. Der BremerSenat plante für ein Viertel des ca. 1.000Wohneinheiten umfassenden Neubauvor-habens in Bremen-Hollerland, auf privateStellplätze fast vollständig zu verzichten(s. nachfolgenden Bericht). Um sicherzu-

stellen, dass nicht einige auf Kosten anderernur die Vorteile einer solchen Wohnanlagenutzen und trotzdem nicht auf ein eigenesAuto (die Teilnahme am Car-Sharing solltemöglich sein) verzichten wollen, wurdeein Gutachten in Auftrag gegeben, dasWege aufzeigte, die Bewohner und Be-wohnerinnen rechtlich zu binden.1)

Obwohl das Projekt „Wohnen ohne ei-genes Auto“ in Bremen Hollerland nichtrealisiert wurde, waren diese VorarbeitenAuslöser für eine Reihe von Folgeprojektenähnlicher Art. Die Bauvorhaben Bremen-

Autofrei WohnenWie es dazu kam

Projekte im In- und Ausland. Ein Überblick von Tony Schröterund Almut Blume-Gleim, Stadtenwicklungsbehörde

Autofreie Neubauprojekte im Bau bzw. fertiggestellt

Autofreie Neubauprojekte in Planung

Autofreie Wohnprojekte im Bestand

Hamburg

Berlin

Bremen

Halle

Düsseldorf

Köln

Bonn

Leipzig

Karlsruhe

FreiburgMünchen

Nürnberg

Münster

Bielefeld

Wuppertal

AachenKassel

Tübingen

Hamburg

Berlin

Bremen

Halle

Düsseldorf

Köln

Bonn

Leipzig

Karlsruhe

FreiburgMünchen

Nürnberg

Münster

Bielefeld

Wuppertal

AachenKassel

Tübingen

• ca. 2 ha in Innenstadtnähe• 220 Wohnungen: 2/3 Miete und 1/3 Eigentum• Bezug von 120 WE Anfang 2000

Hamburg „Saarlandstraße“

• 0,08 ha in der Innenstadt• 23 Mietwohnungen• seit 1995 bezogen

Bremen „Grünenstraße“

• 0,5 ha in der Innenstadt• 55 Mietwohnungen, überwiegend zur Miete• seit 1998 in Bau

Kassel „Messeplatz“

• ca. 38 ha im Stadterweiterungsgebiet• 2000 Miet- und Eigentumswohnungen; Anteil autofreier Wohnungen ist flexibel• seit 1999 teilweise bezogen

Freiburg „Vauban“

• 0,38 ha in der Innenstadt• 42 Mietwohnungen• seit 1996 bezogen

München „Kolumbusplatz“

• ca. 1,8 ha im Stadterweiterungsgebiet• 250 Mietwohnungen• Bezug Ende 1999

Wien „Floridsdorf“

• 3,8 ha in der Innenstadt• ca. 200 Mietwohnungen und Eigenheime• Baubeginn Anfang 2000

Münster „Gartensiedlung Weißenburg“

• ca. 60 ha in Innenstadtnähe• Wohnraum für ca. 6000 Einw. in Miet- und Eigentumswohnungen; Anteil autofreier Wohnungen ist flexibel• seit 1995 in Bau

Tübingen„Loretto-Areal/Französisches Viertel“

• Neubaustadtteil von ca. 550 ha am Stadtrand• davon 41 Eigentums- und Genossenschafts- wohnungen autofrei• seit 1999 teilweise bezogen

München „Riem“

• ca. 6 ha in Innenstadtnähe• 600 Wohnungen: 1/2 Miete und 1/2 Eigentum• seit 1996 bezogen

Amsterdam „GWL - terrein“

P R O J E K T E I N D E U T S C H L A N D

Imke

Staats

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s tadt projekte

Grünenstraße, Hamburg-Saarlandstraße,Kassel-Messeplatz, Freiburg-Vauban, Mün-chen-Riem und Wien-Floridsdorf sindinzwischen realisiert. Auch in Amsterdamund Edinburgh entstanden interessanteAbwandlungen desselben Grundgedan-kens, Wohnquartiere vom Autoverkehr zuentlasten, und in Köln und Münster wer-den entsprechende städtebauliche Kon-zepte gerade diskutiert.2) Die genannten„autofreien“ oder „autoarmen“ Projektewaren in der Regel dort erfolgreich, woBürgerinteresse, politischer Wille, einekooperative Verwaltung und aufgeschlos-sene Bauträger zusammenkamen. Bezeich-nend ist, dass viele dieser Projekte auf ehe-mals stadteigenen Flächen realisiert wurdenund sich rein private Wohnungsbauunter-nehmen bislang sehr zurückgehalten haben.

Bedenkt man, dass im Bundesdurch-schnitt jeder vierte Haushalt kein Auto be-sitzt und dass 14 Millionen Menschen inDeutschland bereits autofrei leben (in in-nerstädtischen Lagen fast 50 % aller Haus-halte), erscheint die Anzahl der genanntenautofreien Projekte eher gering. Würdeman eine buchhalterische Berechnung, diedie Kosten für das Wohnen von den Kos-ten für die Autohaltung wirklich trennt,publik machen, ist es vorstellbar, dass sei-tens der Bevölkerung ein weit größerer Be-darf an autofreien Siedlungen geäußertwürde. Der Prozeß der „lernenden Pla-nung“ könnte von Politikerinnen und Po-litikern, Bürgerinnen und Bürgern sowieVerwaltungsleuten dann noch intensiverbetrieben werden.

Anfang der 90er Jahre wurde inBremen ein kleines Forschungs-projekt durchgeführt, das weitrei-

chende Folgen haben sollte. Wir bateneinige Familien (möglichst mit Kindern),vier Wochen auf die Benutzung ihres Au-tos zu verzichten und während dieser Zeitein von unserer Forschungsgruppe1) vorbe-reitetes Tagebuch über die Schwierigkei-ten einer Mobilität ohne Auto zu führen.Von den 7 Familien stieg eine während desExperimentes aus, von den anderen erhiel-ten wir Tagebücher aller jugendlichen underwachsenen Familienmitglieder. Das frap-pierende Ergebnis: von den 6 Familienschafften 5 das Auto nach dem Experimentab; ihnen allen war etwa in der drittenWoche des Experimentes klar geworden,dass sie eigentlich kein Auto brauchten,ja dass sie sich ohne Auto sogar wohlerfühlten.

Das war die Initialzündung für die Idee,all den Personen, die ohne eigenes Autoleben wollen, Quartiere zur Verfügung zustellen, in denen das Fehlen der Autos zueiner Steigerung der Lebensqualität derBewohnerinnen und Bewohner führt.Trotz großer Anfangsschwierigkeiten kam

es dann in Bremen zu der ersten Planungeines solchen Quartiers in der Bundesre-publik.2) Es wurde unter Beteiligung derStadt, der Gewoba3) als Bauträgerin undeiner Initiativgruppe bis zur Baureife ent-wickelt. Letztlich wurde das Quartier nach(zu) langer Planungszeit dann doch nichtgebaut, weil es – im Gegensatz zu denzahlreichen Mietinteressenten – zu wenigKaufinteressenten gab. Den größten Teildes Grundstückes wollte die Gewoba al-lerdings verkaufen. Zugleich fiel der Zeit-punkt des Baubeginns mit einer Immo-bilienkrise zusammen; die Gewoba konntedamals auch in dem angrenzenden Gebietebenfalls nur vier Reihenhäuser verkaufen,obgleich sie dort mit Parkplätzen ausge-stattet waren.

Dass es nicht zum Bau dieses autolosenQuartiers kam, ist sehr schade für Bremen,es hätte ein schönes Expo-Projekt werdenkönnen. Für die Verbreitung der Projekt-idee in der Bundesrepublik war es keinNachteil. Die große öffentliche Aufmerk-samkeit, die diesem Projekt zuteil wurde,ermöglichte es den anderen Projekten, ausden Bremer Planungen zu lernen, flexiblerzu sein, auch Fehler zu vermeiden. DasSchicksal des Bremer Projektes läßt sichmit den Schwierigkeiten vergleichen, de-nen häufig die Erstgeborenen von mehrerenGeschwistern gegenüberstehen: sie habenes sehr schwer, sich ihre Freiräume zuerkämpfen, aber sie bahnen den nachfol-genden jüngeren Geschwistern den Weg.Die haben es dann leichter, und das istvöllig in Ordnung so.

Die Saarlandstraße ist eines der jünge-ren Geschwister. Wie schön, dass es sichentfalten konnte.

1) Hiltrud Burwitz, Henning Koch, Thomas Krämer-Badoni, 1992: Leben ohne Auto. Reinbek: Rowohlt

2) Zeitgleich, aber ohne gegenseitiges Wissen, entstandin Amsterdam ein Quartier ohne Autos für etwa 600Personen.

3) Gesellschaft für Wohnen und Bauen, Nachfolgerinder Neuen Heimat und größte Wohnungseigentüme-rin in Bremen.

Seite 5s tadt projekte

1) Prof. Derleder, Universität Bremen, veröffentlicht inder Reihe Bremer Beiträge zur Stadtentwicklung,2/94, Hg.: Freie und Hansestadt Bremen, Senator fürUmweltschutz und Stadtentwicklung.

2) Einen Überblick über „autoarme“ Stadtquartiere gibtdas Institut für Landes- und Stadtentwicklungsfor-schung des Landes NRW (ILS).

Prof. Dr. Thomas Krämer-Badoni, Universität Bremen, Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung „Arbeit und Region“

Bremen-HollerlandDie Entstehung einer folgenreichen Idee

Entwurf für das Wohnen ohne eigenes Auto,Gerd Hamacher/Knut Gitter, Darmstadt, 1994

Projekt 14 im Französischen Viertel, Tübingen

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Seite 6 s tadt projektes tadt projekte

Die Auseinandersetzung mit Mög-lichkeiten und Formen des Woh-nens ohne Auto begann in Ham-

burg 1992. Mit Unterstützung von RobinWood und des Verkehrsclubs Deutschland(VCD) gründete sich ein Verein mit demprovozierenden Namen „Neandertal – Ver-ein für autofreies Leben e.V.“, der sich zumZiel gesetzt hatte, einem autofreien Wohn-projekt in Hamburg den Weg zu bahnen.

Zu diesem Zweck wurden zum einenFlächen gesucht und über die Presse insGespräch gebracht, zum anderen interes-sierte Menschen über Zeitungsanzeigenaufgefordert, sich beim Verein zu melden.

Auf diese Weise sammelte der Verein übertausend Adressen von Interessierten undkonnte damit deutlich machen, dass einerhebliches Interesse an der Realisierungeines solchen Projektes bestand. Immer-hin besitzen etwa 42 % der HamburgerHaushalte kein Auto. Das pressewirksameAuftreten des Vereins hat sicherlich dazubeigetragen, dass die Realisierung eines Pi-

lotprojektes „autoarmes/autofreies“ Woh-nen am 7. Dezember 1993 als Ziel in dieKooperationsvereinbarungen zwischender SPD und der STATT-Partei aufge-nommen wurde. Dort heißt es in KapitelIV –Verkehr –: „Im Rahmen eines Woh-nungsneubauprojektes wird die Verwirkli-chung eines Pilotprojekts „autoarmes/autofreies Wohnen“ angestrebt.“

Die Kooperationsverein-barungen: ein eindeutiger

politischer Auftrag

Die Kooperationsvereinbarungen ga-ben der Stadtentwicklungsbehörde Anlaß,zur Bebauung anstehende Flächen syste-matisch auf ihre Eignung für ein solchesProjekt zu überprüfen. Gleichzeitig führteder Verein „Neandertal“ unter den ihmbekannten Interessierten am autofreienWohnen eine Umfrage durch, welche dervon der Stadt vorgeschlagenen Flächenfür eine Wohnsiedlung geeignet wäre. DieBefragten sprachen sich eindeutig für eineFläche an der Saarlandstraße aus. Ent-scheidend waren die zentrale Lage und diegute infrastrukturelle Anbindung. Im No-

1992 Gründung des Vereins „Neandertal - Verein für autofreies Leben e.V.“

1993 Kooperationsvereinbarungen zwischen SPD und STATT-Partei sehenRealisierung eines autoarmen/autofreien Wohnquartiers vor

1994 Entscheidung für die Saarlandstraße als Standort für eine autofreieWohnsiedlung

1995 Entscheidung des städtebaulichen Gutachterverfahrens; der Entwurf vonABP./Hass erzielt den 1. Rang

1996 Gründung der späteren Mietergenossenschaft Wohnwarft eG und der späteren Wohnungseigentümergemeinschaft Barmbeker Stich – WEG ohne Auto

1997 Anhandgabe des Grundstücks an die vier Investoren des Wohnungsbaus

1998 Baubeginn

1999 Richtfest für die ersten 70 Wohnungen

2000 Feststellung des Bebauungsplans/Bezug der ersten Wohnungen

2001 Vollständiger Bezug aller Wohnungen des ersten Bauabschnittes undAnhandgabe an die Investoren des Kerngebietsriegels

C H R O N O L O G I E

Almut Blume-Gleimund Tony Schröter,

Stadtentwicklungsbehörde

Vom Neandertal zur Saarlandstraße

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Modell des prämierten städtebaulichen Entwurfs

Die frühere Nutzung des Grundstücks: Eisenhandel Carl Spaeter, ca. 1930, Blick von Nordosten

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s tadt projekte

vember 1994 einigten sich Baubehördeund Stadtentwicklungsbehörde auf ebendiese Fläche: das ehemalige Gelände dermetallverarbeitenden Betriebe Spaeterbzw. Orthmann & Herbst zwischen demBarmbeker Stichkanal und der Saarland-straße in Barmbek. Hier sollte in drei Bau-abschnitten ein „autofreies“ Wohnquar-tier mit etwa 200 Wohneinheiten sowieeine Gewerbebebauung mit „Gewerbe imGeschoß“ entwickelt werden.

Für das Gebiet wurde zu der Zeit bereitsein konkurrierendes Gutachterverfahrenmit vier Teams aus Architektur-/Stadtpla-nungsbüros und Landschaftsplanungsbü-ros zur Klärung des Städtebaus vorbereitet.In kurzer Zeit wurden die Anforderungenan „autofreies Wohnen“ (z.B. die Anforde-rungen von Feuerwehr, Müllabfuhr undz.B. Möbelwagen) von der Baubehörde undder Stadtentwicklungsbehörde ermittelt,mit den anderen Behörden abgestimmt undin das Programm eingearbeitet.

Besonders bei der Berechnung derMindestanzahl an Stellplätzen ist die fürdieses Thema zuständige Baubehördeinnovative Wege gegangen und hat – umdas Modellprojekt unbürokratisch in sei-ner Zielsetzung zu unterstützen – unterAbwägung aller Aspekte die für diesesProjekt einmalige Quote von 0,15 Stell-plätzen/Wohneinheit genehmigt. Für dieArbeit der verschiedenen Behördendienst-stellen war von Bedeutung, mit den Ko-operationsvereinbarungen von 1993 eineneindeutigen politischen Auftrag zu haben.Im Juli 1995 lagen vier Entwürfe vor, dieauch von Vertreterinnen und Vertreterndes Vereins begutachtet wurden. Das Preis-gericht entschied sich für den Entwurf desHamburger Architekturbüros APB. (inZusammenarbeit mit dem Landschaftsar-chitekten Hass, Rellingen), der nach klei-neren Überarbeitungen zur Grundlage fürdas Bebauungsplanverfahren und die In-vestorenausschreibung gemacht wurde.

Die Idee, Wohn- und Gewerbeteil mög-lichst an einen Investor oder an einenZusammenschluß mehrerer Investoren zu

vergeben, erwies sich als nicht durchführ-bar, da sich nur ein Investor fand, der dasgeforderte „Gewerbe im Geschoß“ bauenwollte und dieser wiederum die Vorgabenbezüglich des „autofreien Wohnens“ nichtbesonders ernst nahm. Dagegen gab es dreiBewerbungen für den Wohnteil, darunter

seitens des Vereins, der sich in „AutofreiesWohnen e.V.“ umbenannt hatte. Der Vereinvertrat dabei zwei Gruppen von Menschen,die die Gründung einer Eigentumsgemein-schaft beziehungsweise einer Kleingenos-senschaft anstrebten und mit Unterstüt-zung der Stattbau Hamburg GmbH selbstdie Bauherrenrolle übernehmen wollten.

Nach weiteren Verhandlungen derFinanzbehörde/Liegenschaftsverwaltungmit den einzelnen Bewerbern über dieRealisierung zunächst nur des Wohn-quartiers setzte die Finanzbehörde auf dieErkenntnis, dass die beiden durch denVerein vertretenen Gruppen die Idee des„autofreien Wohnens“ wohl am konse-quentesten umsetzen würden. In diesem

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„Nichts ist stärker, als eine Idee, derenZeit gekommen ist.“

Victor Hugo

Lage des Gebietes im Stadtraum, Stadtkarte von Hamburg, AusschnittA

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Senator Dr. Maier und der Polier bei der Grundsteinlegung

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Schwierig: Investorensuchefür den Gewerbeteil

So positiv sich insgesamt die Planung derWohnprojekte entwickelte, so schwierig ge-staltete sich die Suche nach einem Investorfür den geplanten Gewerbeteil entlang derSaarlandstraße. „Gewerbe im Geschoß“ –offensichtlich eine nicht zu unterschätzendeHürde in den Augen der Investoren: ge-sucht werden immer noch vorrangig ein-,maximal zweigeschossige Bauten für einfa-che Betriebsabläufe. Zudem wurden viel-leicht Einschränkungen durch das benach-barte autofreie Wohnen befürchtet. Durcheine Entscheidung der Senatskommissionfür Stadtentwicklung, Umwelt, Wirtschaftund Verkehr wurde die geplante Ausweisungals Gewerbegebiet in Kerngebietsnutzung(MK) geändert. Die kürzlich erfolgte An-handgabe an einen Investor gilt für einePlanung, die Büros (2000 m2), Wohnen(2000 m2) und ein Hotel (8000 m2) vor-sieht. Der für den Wohnanteil zuständigeEisenbahnbauverein Harburg eG will dieFläche für Wohnprojekte nutzen.

Sinne entschieden sie sich Ende 1996 füreine Anhandgabe des Grundstücks an diebeiden Gruppen – die Baugenossenschafti. Gr. Wohnwarft und die Eigentumsgruppedes Verein Autofreies Wohnen e.V., an dieLEBEN MIT BEHINDERUNG HAM-BURG gemeinnützige GmbH und an dieGWG – Gesellschaft für Wohnen undBauen mbH als städtische Wohnungsbau-gesellschaft. Für die erfolgreiche Umset-zung des Projektes erwies sich diese Ent-scheidung als sehr konstruktiv.

Schon während dieser ersten Plan-ungsphase im Jahr 1995 (städtebaulicherWettbewerb, Investorensuche) bemühtesich der Verein als Vertretung der zukünf-tigen Bewohnerinnen und Bewohner undder Bauwilligen, an der Planung über dasim Baugesetzbuch geregelte Maß hinausbeteiligt zu werden. Um das Mißtrauengegenüber der Verwaltung abzubauen unddie Meinung der zukünftigen Nutzerinnenund Nutzer zu einzelnen Themen einho-len zu können, lud die Stadtentwicklungs-behörde im ersten Halbjahr 1996 sechs

mal zu Jour-fixe-Terminen ein, an denenneben Vertreterinnen und Vertretern derBaubehörde und anderer Dienststellenzukünftige Bewohnerinnen und Bewohnerteilnahmen. Durch diese Termine ent-spannte sich das Verhältnis zwischen Bür-gerinteressen und Verwaltung deutlich, sodass das Bebauungsplanverfahren zügigund ohne größere Probleme durchgeführtwerden konnte.

Der Ort

Der Stadtteil Barmbek-Nord befin-det sich am Rande der innerenStadt im Bezirk Hamburg-Nord.

Hier leben überdurchschnittlich viele Men-schen, die über 65 Jahre alt sind und un-terdurchschnittlich viele Unter-18jährige(9,5% im Stadtteil im Vergleich zu 16,1%in Hamburg).1) Die Einwohnerdichte je km2

der Wohngebiete ist hier dreimal so hochwie im Hamburger Durchschnitt.

Das Plangebiet liegt am südwestlichs-ten Punkt des Stadtteils, günstig zur Ham-burger City – mit U-, S-Bahn oder Bussensind es nur 15-20 Minuten bis dort – unddamit in der Nähe vieler Arbeitsstätten.Die Haltestellen liegen nur 100 bis max.600 m von der neuen autofreien Siedlungentfernt.

Die hohe Standortqualität zeigt sichauch durch übergeordnete Erholungs- undFreizeiteinrichtungen wie den nahegelege-nen Stadtpark. Die direkt benachbarte Fach-

hochschule, das Allgemeine KrankenhausBarmbek, eine insgesamt sehr gute Infra-struktur an Einrichtungen des täglichenBedarfs wie Läden, Schulen, Kindertages-stätten, Kirchen, Alteneinrichtungen, Spiel-und Sportplätzen, Grün- und Erholungs-flächen sind zu Fuß, mit dem Fahrrad oder

Bus in wenigen Minuten zu erreichen.Übrigens: Je 1000 Einwohner und Einwoh-nerinnen lag die Zahl der privaten PKWim Januar 2000 mit 337 leicht unter demHamburg-Durchschnitt von 363. abg

Zentrale Lage in der Stadt

1) Statistisches Landesamt, HAMBURG.regional 2000

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Deutsche Grundkarte, ohne Maßstab

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Das von der Stadt ausgelobte kon-kurrierende Gutachterverfahrenwurde im Juli 1995 entschieden.

Den 1. Rang erkannte das Preisgericht demEntwurf des Architektenbüros ABP. mitdem Landschaftsplaner U. Hass zu.

Der prämierte Entwurf zeigt entlangder Saarlandstraße die – damals noch ge-plante – Gewerbebebauung, die durch zweiGebäudeversätze kleine Anlieferhöfe bil-det. Hinter dem abschirmenden Gebäude-band der Gewerbebetriebe liegen 3 Wohn-höfe, jeweils von einem fünfgeschossigen,winkelförmigen Block und einem zweiflüge-ligen Einzelgebäude umrahmt. Insgesamt

sind 230 Wohnungen vorgesehen. In denWohnhöfen liegen Mietergärten und Kin-derspielplätze. Fast alle Wohnungen habenAussicht auf die grünen Kanalufer.

Der beschränkt befahrbare Wohnwegvor den Häusern verbindet zwei besondersschöne, zum Wasser abgestufte Plätze imNorden und Süden des Quartiers. DerPlatz am Osterbekkanal ist ein „halbbefes-tigter Spielplatz für Jung und Alt“ mitCafé, Bootsanleger und Brückensteg hinü-ber zum östlich benachbarten Wohnquar-tier. Der nördliche Platz erweitert denCampus der Fachhochschule, die entlangdes Wiesendamms erweitert wird.

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Der städtebauliche Entwurf 1995

Blick nach Westen

… nach Norden

… nach Osten

… von Süden

… nach Südosten

… nach Süden

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Städtebaulicher Entwurf/Funktionsplan von APB./Hass

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Wohnwarft – Genossenschaftfür autofreies Wohnen eG

Die Mietergenossenschaft Wohn-warft wurde im August 1996gegründet. Ziel der Genossen-

schaftsmitglieder war es, in der autofreienWohnsiedlung an der Saarlandstraße unterBeteiligung am Planungs- und Bauprozeßgeförderte Mietwohnungen für die eigeneNutzung zu bauen.

Alle Genossenschaftsmitglieder mußtenanteilig (entsprechend der Wohnungsgröße)13 % Eigenkapital in die Genossenschafteinbringen und zudem die Voraussetzungender Einkommensgrenze des § 5 ZweitesWohnungsbaugesetz erfüllen. Die Mieterund Mieterinnen verpflichteten sich imMietvertrag zum Verzicht auf das eigeneAuto.

Als Architekten für ihr Projekt beauf-tragte die Genossenschaft das Büro Dittert& Reumschüssel. Gebaut wurden 31 Woh-nungen in einem L-förmigen fünfgeschos-sigen Gebäuderiegel – vier Vollgeschosseund Staffelgeschoß mit umlaufender Dach-terrasse. Die Wohnungsgrößen liegen zwi-schen 42 und 107 qm. Alle Wohnungenhaben einen Balkon oder einen Mietergar-ten. Das Gebäude wurde in Niedrigener-

giebauweise errichtet. Zusätzlich sind eingroßer Gemeinschaftsraum, eine Gemein-schaftsdachterrasse, Fahrradhäuschen, zweiFahrradkeller mit Zufahrtsrampe, einBootskeller sowie ein Werkstattraum undTrockenräume im Keller entstanden.

Gemeinsam mit dem Verein AutofreiesWohnen e.V. hat sich die Genossenschaftbei der Liegenschaftsverwaltung der StadtHamburg um eine Baumöglichkeit im ge-planten 2. Bauabschnitt an der Saarland-straße beworben.

Wohnungseigentümerge-meinschaft Barmbeker Stich –

WEG ohne Auto

Die WEG Barmbeker Stich wurdezeitgleich mit der Mietergenos-senschaft Wohnwarft 1996 von

den Interessenten für die geplante auto-freie Wohnsiedlung an der Saarlandstraßegegründet. Ziele waren die gemeinschaft-liche Planung, Finanzierung und Errich-tung von Eigentumswohnungen für dieMitglieder der WEG.

Als WEG traten die zukünftigen Woh-nungseigentümerinnen und -eigentümergegenüber Behörden, Architektinnen undArchitekten, Banken und dem Bauträgergemeinsam als Bauherr auf. Alle Beteilig-

ten mußten zwischen 20 und 25 % Eigen-kapital für ihre Wohnung einbringen.

Der Verzicht auf den Besitz eines eige-nen Autos ist in der Teilungserklärung undim Kaufvertrag festgeschrieben. Wird eineWohnung verkauft, behält diese Verzichts-klausel (über eine Eintragung in das Grund-buch) ihre Gültigkeit.

Mit dem Architekten Klaus JoachimReinig, Plan-R-Architektenbüro, hat dieWEG an der Saarlandstraße 18 Wohnun-gen gebaut, 11 davon als gefördertes Ei-gentum (1. u. 2. Förderungsweg). Elf derWohnungen befinden sich im südlichenTeil des L-förmigen Wohnriegels parallelzur Saarlandstraße, sieben – größere –Wohnungen im Punkthaus, einer Stadt-villa mit drei Geschossen und Staffelge-schoß, die den Innenhof des Wohnriegelsnach Süden begrenzt. Beide Gebäude sindin Niedrigenergiebauweise erstellt. DieWohnungsgrößen reichen von einer Ein-Zimmer-Wohnung mit 32 qm bis zu Fünf-Zimmer-Wohnungen mit mehr als 110 qm.Entstanden sind außerdem eine Gemein-schaftsdachterrasse mit Teeküche, ein Bas-telraum, Fahrradhäuschen, ein ebenerdigerFahrrad- und Karrenraum, ein Fahrrad-keller sowie Waschküchen und Trocken-räume.

Die Mietergenossenschaft Wohnwarftund die Eigentümergemeinschaft Barm-beker Stich verstehen sich als ein Projekt.Das Grundstück wurde von beiden als Bau-herrengemeinschaft in Erbpacht für 75Jahre erworben, das Bauvorhaben wurdegemeinsam realisiert. Für alle übergeord-neten Fragen wurden Entscheidungen imKonsens getroffen. Alle Gemeinschaftsein-richtungen und Außenanlagen stehen füralle zur Verfügung. Beide Gruppen zusam-men haben auch die Stattbau Hamburg

Das Wohnprojekt: Wohnwarft und Barmbeker Stich

Wohnwarft-Genossenschaft und Barmbeker Stich – WEG ohne Auto

Die Bauherren

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Barmbeker Stich – WEG ohne Auto

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auf sich allein gestellt zu sein. Bei derBewältigung des Alltags werden die Be-wohnerinnen und Bewohner pädagogischunterstützt. Die „Pädagogische Betreuungim eigenen Wohnraum“ kümmert sichauch um die Nachbarschaft im Haus undregt gemeinsame Aktivitäten an. Einambulanter Pflegedienst kann in Anspruchgenommen werden.

GmbH als Baubetreuerin, die Landschafts-architektin Mareile Ehlers für die Planungder Außenanlagen sowie das Bauunterneh-men engagiert.

In den 49 Wohnungen des Projektesleben heute 116 Personen, davon etwa einDrittel Kinder. Der jüngste Bewohner istgerade ein Jahr, die ältesten Bewohnerin-nen sind schon im Rentenalter.

GWG –Gesellschaft für Wohnen

und Bauen mbH

An der Saarlandstraße hat die städ-tische WohnungsbaugesellschaftGWG mit dem Architekten Olaf

Sternel 48 geförderte Mietwohnungenerrichtet (1. und 3. Förderungsweg). Derwinkelförmige 5-geschossige Gebäuderie-gel – 4 Vollgeschosse und Staffelgeschoß –der GWG bildet zusammen mit demPunkthaus von LEBEN MIT BEHINDE-RUNG HAMBURG den nördlichen der

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LEBEN MIT BEHINDE-RUNG HAMBURG

gemeinnützige GmbH

LEBEN MIT BEHINDERUNGHAMBURG entstand 1956 aufInitiative von Eltern behinderter

Kinder zunächst als „Hamburger Spasti-kerverein“. Ziele waren die Organisationgegenseitiger Unterstützung sowie dieEinrichtung von Beratungs- und Betreu-ungsangeboten.

Heute ist LEBEN MIT BEHINDE-RUNG HAMBURG als gemeinnützigeGmbH eine der großen Anbieterinnen derBehindertenhilfe in Hamburg und be-treibt 50 stadtteilintegrierte Behinderten-wohngruppen sowie acht Tagesstätten fürschwer- und mehrfachbehinderte Men-schen. LEBEN MIT BEHINDERUNGHAMBURG stellt außerdem ein breitesambulantes Hilfsangebot für Menschenmit geistigen und körperlichen Behinde-rungen und ihre Familien bereit. Ziel istes, behinderten Menschen ein möglichstselbstbestimmtes und von fremder Hilfeunabhängiges Leben zu ermöglichen.

Im Rahmen des Projektes „AutofreiesWohnen“ an der Saarlandstraße hat dieGmbH mit dem Architekturbüro Dittert& Reumschüssel ein Haus mit 14 roll-stuhlgerechten Zwei-Zimmer-Wohnun-gen, einem großzügigen Treppenhaus,Dachterrasse und Gemeinschaftsraum ge-baut. Aktuell leben in der Saarlandstraße 15behinderte Menschen in 13 Wohnungen.Eine Wohnung wird übergangsweise vonLEBEN MIT BEHINDERUNG HAM-BURG als Büro genutzt.

Das Haus ermöglicht den behindertenMieterinnen und Mietern eine Selbständig-keit in der eigenen Wohnung, ohne völlig

beiden Wohnhöfe der Siedlung. Die Woh-nungsgrößen liegen zwischen 45 und 80qm. Alle Wohnungen verfügen über einenBalkon oder Mietergarten zum Innenhof.Im Gebäude befinden sich weiträumigeFahrradkeller. Errichtet wurden außerdemFahrradboxen vor den Hauseingängen.

Im Mietvertrag verpflichten sich dieBewohner und Bewohnerinnen zum Ver-zicht auf das eigene Auto. Eine vomVerein Autofreies Wohnen e.V. betreuteMietergruppe wurde von der GWG amPlanungsprozess beteiligt. aw

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LEBEN MIT BEHINDERUNG HAMBURG

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Westfassade des GWG-Gebäudes

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Die neun Stellplätze, die für dieersten 63 an der Saarlandstraßefertiggestellten Wohneinheiten

beiderseits der südlichen Erschließungs-straße realisiert wurden, sind für behin-derte Personen, Besucherinnen und Besu-cher, Zulieferverkehr und die sogenannten„Wechselfälle des Lebens“ vorgesehen.Car-Sharing-Fahrzeuge sind in der Glo-

balrichtline nicht explizit erwähnt, könntenaber auch zugelassen werden. Allerdingsgibt es innerhalb der beiden Wohnpro-jektgruppen eine breite Mehrheit dage-gen, Car-Sharing-Organisationen auf demGrundstück einen Stellplatz zur Verfü-gung zu stellen, da sich in angemessenerEntfernung schon mehrere dieser Stell-plätze befinden.

Auch in Hinblick auf das Parken vonBesucherinnen und Besuchern gibt es eineMehrheit, die sich dafür ausgesprochenhat, dass Besucher – wie bei „normalen“Wohnungsbauvorhaben auch – an der öf-fentlichen Straße parken sollen.

Darüber, was als Wechselfall des Le-bens angesehen werden kann, entscheidetdas Plenum aufgrund einer anonymisier-ten Darlegung des Einzelfalles durch Ver-trauensleute der beiden Gruppen. Es hatbereits einen ersten Fall gegeben, in demzugestimmt wurde, dass jemand in einerbesonderen Lebenslage ein Auto für einenZeitraum von drei Monaten auf demGrundstück abstellen durfte. Die Beispielezeigen, dass die behördlichen Vorschriftendurch weitergehende Regelungen ergänztwerden müssen (z.B. Übernahme der Ver-pflichtung zur Autofreiheit in Mietver-träge bzw. in die Teilungserklärung; Wei-tergabe der Verpflichtung beim Verkaufeiner Wohnung; wer zahlt, wenn tatsäch-lich irgendwann Ablösebeträge fällig wer-den sollten?).

Die für die Saarlandstraße entwickeltenRegelungen haben sich in dem angespro-chenen Fall bewährt. Langfristig wird dieFähigkeit der Gruppe, Konflikte dieserArt zu lösen, sicherlich über das Bestehendes Projektes entscheiden.

Die Fahrradstellplätze sind an derSaarlandstraße üppig dimensioniert undbequem erreichbar. Für den südlichenBlock mit 49 WE sind insgesamt 164Fahrradstellplätze (durchschnittlich 3,3Plätze pro Wohnung) vorhanden, davonbefinden sich 64 Stellplätze in Fahrrad-schuppen vor den Hauseingängen und ca.100 Stellplätze in Fahrradkellern. Die bei-den Fahrradkeller im winkelförmigenGebäude sind über Rampen erreichbar,der Fahrradkeller des Punkthauses übereine Treppe mit Führungsschiene. DieTüren zu allen Fahrradkellern lassen sichvon außen bereits oben an der Rampe mitden Hausschlüsseln und von innen miteinem unter der Kellerdecke angebrach-tem Seilzug automatisch öffnen; sie schlie-ßen selbsttätig. Zusätzlich existiert im Erd-geschoß des Punkthauses ein Karrenraumfür Kinderwagen, Kinderspielsachen, Gar-tengeräte und Fahrradanhänger. ts

Viel Platz für Fahrräder, keine Plätze für Autos

Stellplätze für Autos und Fahrräder – im Allgemeinen und im Besonderen

Gemäß §48 der Hamburgischen Bauordnung (HbauO) sind bei Neubauten „Stell-plätze für Kraftfahrzeuge … sowie Abstellmöglichkeiten für Fahrräder in ausreichen-der Zahl und Größe … herzustellen“. Was als ausreichend angesehen wird, präzisierteine Verwaltungsvorschrift. In Hamburg geschieht dies durch die Globalrichtline „Not-wendige Stellplätze und notwendige Fahrradplätze“. Danach sind bei Wohngebäudenaußerhalb gründerzeitlicher Quartiere üblicherweise 0,8 Stellplätze pro Mietwoh-nung bzw. 1 Stellplatz pro Eigentumswohnung zu errichten. Gemäß § 45, Abs. 4HBauO muss jede Wohnung außerdem 2 m2 Abstellraum für Fahrräder und Kinder-wagen bieten. In § 49 HBauO ist die Zahlung von Ausgleichsbeträgen für nicht herge-stellte Stellplätze und Fahrradplätze an die Freie und Hansestadt Hamburg geregelt.

In Folge der Diskussion über das Projekt „Wohnen ohne (eigenes) Auto“ an derSaarlandstraße wurden von der Hamburger Baubehörde unter Punkt 2.5.4 allgemeineBestimmungen in die Globalrichtline aufgenommen, die es jedem Investor in Ham-burg unter den dort formulierten Voraussetzungen erlauben, „autoarmes/autofreiesWohnen“ zu realisieren. Der Stellplatzbedarf verringert sich in diesen Fällen auf eineQuote von 0,2 Stellplätzen pro Wohneinheit (WE), solange und soweit sich die Nut-zerinnen und Nutzer der Wohnungen gegenüber der Baubehörde verpflichten, aufdas Halten sowie das regelmäßige Nutzen eines Kfz zu verzichten. Der gelegentlicheGebrauch von Mietautos, die Teilnahme am Car-Sharing etc. sind damit nicht aus-geschlossen.

Das Projekt „Saarlandstraße“ stellt insofern einen Sonderfall dar, als dass hier nicht0,2 sondern nur 0,15 Stellplätze pro WE nachzuweisen waren, was angesichts derstrengen Auslegung des Begriffs „autofreies Wohnen“ durch die Bewohnerinnen undBewohner noch zuviel erscheinen kann.

Die in der Globalrichtline unter Punkt 2.5.4 in Aussicht gestellte Abminderung derStellplatzquote im Vergleich zu üblichen Wohnungsbauvorhaben gilt nur solange,wie tatsächlich kein Bedarf an Stellplätzen auftritt. Sollten sich Bewohnerinnen oderBewohner später doch Autos anschaffen, müßten entsprechend dem Bedarf Aus-gleichsbeträge in Höhe von zur Zeit 12.000,- DM pro Stellplatz geleistet werden.Sollten sich mehr als die Hälfte der Haushalte Autos anschaffen, würde das Projektals gescheitert angesehen und die gesamte Differenz zwischen 0,2 und 0,8 bzw. 1 Stell-platz pro WE als Ausgleichsbetrag gefordert.

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Weitergehende Regelungen für Stellplätze in der Saarlandstraße.

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„Unser Treppenhaus, dieses Lichte, mitdem Rot, das finde ich einfach richtig schön,vor allem, wenn die Sonne reinscheint.“(zum Treppenhaus des Barmbeker Stichsim L-Gebäude)

Jörg-Michael Sohn, Barmbeker Stich

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Die autofreie Wohnanlage an derSaarlandstraße ist auf einer typi-schen Konversionsfläche entstan-

den. Im Baustufenplan Barmbek-Nordvom 4. März 1955 war die Fläche als Indu-striegebiet ausgewiesen. Nach Verlagerungder ansässigen metallverarbeitenden Be-triebe bestand die Möglichkeit, das ge-samte – stadteigene – Gelände städtebau-lich neu zu ordnen.

Vorgesehen waren eine Neubebauungmit enger nachbarschaftlicher Zuordnungvon Arbeitsstätten- und Wohnnutzung beirelativ hoher baulicher Dichte sowie dieAnlage einer öffentlichen Grünverbin-dung entlang der Kanäle. Mit der politi-schen Entscheidung, auf dem Gelände dasPilotprojekt „autoarmes/autofreies Woh-nen“ zu realisieren, stand dabei eine ganzneue Aufgabe an. Ansätze, „autofrei“ woh-nen zu wollen, wurden damals in verschie-denen Städten entwickelt, doch gab es bis-her in ganz Deutschland noch keine dies-bezüglichen Erfahrungen mit größerenSiedlungseinheiten und mit der planungs-und bauordnungsrechtlichen Bewältigungdieser Aufgabe.

Vordringlichste Aufgabe war es, das altePlanungsrecht durch den neuen Bebauungs-plan Barmbek-Nord 9 zu ersetzen. Grund-lage der Bebauungsplanentwicklung warder Entwurf, mit dem das Büro ABP. dasvon der Stadtentwicklungsbehörde ausge-lobte konkurrierende städtebauliche Gut-achterverfahren für die Fläche gewann.

Die in der Stadtentwicklungsbehörde re-gelmäßig stattfindenden Koordinierungs-gespräche mit allen Beteiligten, u.a. denVertreterinnen und Vertretern des VereinsAutofreies Wohnen, sollten die Umsetzungdes Entwurfs von ABP. in einen Bebau-ungsplan zügig vorantreiben.

Dabei mußten folgende Punkte geklärtund teilweise rechtlich geprüft werden:

• Welcher Stellplatzschlüssel soll in derautofreien Wohnsiedlung angesetzt wer-den?

• Wird die Erschließung durch öffentlicheoder private Erschließungselemente ge-sichert?

• Können Wendeanlagen geringer dimen-sioniert werden als bei normalen Wohn-siedlungen?

• Wird die Umsetzung der Planungsideedurch Flächenausweisung oder durchBaukörperfestsetzung erreicht?

• Welche Garantien gibt es, dass die Be-wohnerinnen und Bewohner auch wirk-lich „autofrei“ wohnen werden, und wiewird dies geregelt?

Unter Berücksichtigung dieser Punktewurde der Bebauungsplan erstellt. Ausge-wiesen wurden:

• Kerngebiet entlang der Saarlandstraße.Die Bebauung dient als „Lärmschutz-riegel“ für das östlich gelegene ReineWohngebiet und wird in Form eines„Mäanders“ realisiert, der es erlaubt,Anlieferverkehre entlang der Saarland-

Das Plangungsrecht imWandel der Zeiten.

Jutta Wehrmann, BezirkHamburg-Nord,

Stadtplanungsabteilung

Vom Industriegebiet zum Wohngebiet

Feststellung des Bebauungsplans Barmbek-Nord 9 am 31.3.2000

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straße abzuwickeln und das Wohngebietautofrei zu erhalten.

• Reines Wohngebiet, 3-4-geschossig miteiner Grundflächenzahl (GRZ) von 0,3sowie Baukörperfestsetzungen und Aus-weisung von Baulinien.

• Öffentliche Straßenverkehrsflächen, aus-gebildet als kleindimensionierte Stich-straßen mit Wendemöglichkeit.

• Geh-, Fahr- und Leitungsrecht: Da dieWendemöglichkeit in ihrem Radiusnicht für Müllfahrzeuge ausgelegt ist,wurde der Erschließungsboulevard vorden Wohnhäusern mit einem Fahrrechtbelegt.

• Reduzierte Anzahl von Stellplätzen inForm einer Stellplatzanlage für ca. 30Fahrzeuge. Dies entspricht bei geplan-ten ca. 200 Wohneinheiten einem Stell-platzschlüssel von 0,15 pro Wohnein-heit. Die Stellplätze sind für Car-Sha-ring und Ausnahmefälle vorgesehen.

• Öffentliche Parkanlage im südlichenTeil der Fläche entlang des Osterbek-kanals, private Grünfläche mit öffentli-chem Gehrecht entlang des BarmbekerStichkanals am östlichen Rand der Flä-che.

Von den geplanten Wohneinheitensind heute 111 fertiggestellt und bewohnt.Damit ist etwa die Hälfte des Ge-samtkonzeptes realisiert. Das Ergebnis deräußerst komplexen und kompliziertenAufgabe kann sich durchaus sehen lassen.Dennoch kann das Projekt „AutofreiesWohnen“ in seiner Funktionsfähigkeitheute noch nicht abschließend beurteiltwerden, da die Randbebauung entlang derSaarlandstraße sowie der zweite und dritteWohnungsbauabschnitt bis hin zum Wie-sendamm noch nicht realisiert sind. Aufdem Gelände des zweiten Bauabschnittesbefinden sich heute noch eine Tankstelle,deren Pachtvertrag jedoch 2004 ausläuft,sowie der Betriebsparkplatz eines nördlichdes Wiesendammes gelegenen Betriebes.

Obwohl viele Mitwirkende innerhalbund außerhalb des Bezirksamtes Nord mitgroßer Skepsis an dieses Projekt herange-gangen sind, ja sogar an seinem Gelingengezweifelt haben, wurden alle Hürden ge-nommen und das Projekt zu einem insge-samt befriedigenden vorläufigen Abschlußgebracht.

Finden Sie die Siedlung gelungen?

„Ist gewöhnungsbedürftig, ist ja etwasanders als sonst. Aber die Leute, die dortwohnen, die sind alle sehr zufrieden. Ja,wir haben Kontakt, hier über die Apotheke.Auch die Behinderten kommen hierher.“

Stefanie Haake, Apothekerin, BrucknerApotheke, Saarlandstraße

„So’n bißchen bonschefarben und paßtüberhaupt nicht zu den ganzen Backstein-bauten hier, ich weiß nicht so recht.“

Ein Passant mit Hut

„Gefällt mir sehr gut, schön kinderge-recht, keine Autos. Obwohl das natürlicheigentlich nicht viel Unterschied macht –hier direkt neben der Tankstelle und an derHauptsstraße – dass das eine autofreie Sied-lung ist.“

Derya Yilmaz, Postbotin in der Saar-landstraße

„Bischen sehr bunt, aber sonst geht das,ist ja nicht so auffällig, steht ja eher im Hin-tergrund.“

Ian A. Shokati, Auszubildender, Wein-land (Weinladen) an der Saarlandstraße

Es ist eine autofreie Siedlung ...

„Dem autofreien Wohnen gegenüber binich ja sehr skeptisch. – Hier ist alles voll-geparkt ohne Ende. Und ich glaube ja nicht,dass die dort alle gar kein Auto haben, oder?Das ist dann so, Freund hat den Mietvertrag,Freundin wohnt da mit und das Auto stehtdann hier. Denn das merken wir verstärkt,hier ist kein Parkplatz mehr zu kriegen, dasist wesentlich schlimmer als vorher.“

Stefanie Haake, Apothekerin, BrucknerApotheke, Saarlandstraße

„Oh, das ist sehr sympatisch. Das istsehr gut, in einer autofreien Siedlung, dakönnte ich auch wohnen. Ich bin passio-nierter Bahnfahrer. – Dafür hätte sie aberschöner aussehen können.“

Ein Passant mit Hut

„Obwohl da ja ganz schön viele Autosrumstehen, dafür, dass es eine autofreieSiedlung ist.“

Ian A. Shokati, Auszubildender, Wein-land (Weinladen) an der Saarlandstraße

„Ja, ich habe so etwas gehört, autofreiesWohnen wird da praktiziert. – Das ist doch

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Wie gefällt Ihnen die autofreieWohnsiedlung an der Saarlandstraße?

Kleine Umfrage unter Passanten und Anwohnern

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Ausschnitte aus dem Film „Autofrei leben in der Saarlandstraße“, erhältlich in der STEB

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ganz schön. Vor allen Dingen, wenn manhier gegenüber wohnt, dann verliert mannicht die Parkplätze – das hat auch einepraktische Seite.“

Günter Quitz, Anwohner an der Saar-landstraße

Wissen Sie, was es bedeutet, autofrei zu

wohnen?

„Ja, dass es denen schwerfallen wird, malohne Auto auszukommen, da wohnen jaauch Kinder und alte Leute.“

Eva-Maria und Heinz Schröder, Pas-santen

Was halten Sie von der Idee des „auto-

freien Wohnens“?

Könnten Sie sich vorstellen, dort zu

leben?

„Ja, ganz gut sogar. Ich will sogar einenAntrag stellen für eine der Wohnungen, dieda noch gebaut werden sollen.“

Derya Yilmaz, Postbotin in der Saar-landstraße

„Ja, warum nicht – (unisono) wir habenkein Auto.“

Eva-Maria und Heinz Schröder, Pas-santen

„Ich persönlich kann nicht ohne Auto.Ich weiß auch nicht, wie die das machen,wenn die Kinder haben. Schön für den, deres kann. Aber ich glaube nicht, dass sich dasdurchsetzen wird. Ich kenne nur die Leutedort, sonst niemanden, der ohne Auto aus-kommt.“

Stefanie Haake, Apothekerin, BrucknerApotheke, Saarlandstraße

„Ich halte gar nichts davon, ich empfin-de das eher als einen Einschnitt in meinepersönliche Freiheit. Ich würde da nichteinziehen. Ein Fahrzeug gehört zu mei-nem Lebensstandard. Wenn die Leute dasso wollen, ohne Auto, bitte sehr.“

Ian A. Shokati, Auszubildender, Wein-land (Weinladen) an der Saarlandstraße

„Die Idee finde ich gut. Ja, ich könntemir vorstellen, dort zu wohnen. Wenn dasalles eingehalten wird. Das nimmt ja über-hand mit den Autos hier.“

Josef Wölki, Passant

„Ja, Stattbau darf nicht vergessenwerden. Stattbau war eine ganz hilfreichegemeinsame Klammer, denn es war eingemeinsamer Ansprechpartner. Stattbauwar die Stelle, an die wir uns immer wen-den konnten, wenn wir nicht weiter wuß-ten. Rainer Schendel hat sich immergekümmert, nicht nur um die organisato-risch-technisch-finanziellen Dinge, sonderner hat auch ganz viel Vermittlungsarbeitgeleistet und Vorschläge gemacht. Hat imGrunde so eine informelle Schiedsrichter-funktion übernommen.“

Jörg-Michael Sohn, Barmbeker Stich

Die Stattbau Hamburg Stadtent-wicklungsgesellschaft mbH arbei-tet als Baubetreuerin für gemein-

schaftlich orientierte Wohnprojekte. Sieplant nicht – wie traditionelle Bauträgerdies tun – für einen anonymen Mieter-markt. In unseren Projekten geht es im-mer um interessierte Nutzergruppen, diesich mit ihren Bedürfnissen an Stattbauwenden. Von Anfang an stehen also dieVorstellungen von Menschen, wie sie – ge-meinschaftlich – wohnen wollen, im Mit-telpunkt der Planungen.

Das Grundstück an der Saarlandstraßewar bereits seit mehreren Jahren in unserInteresse gerückt. Während der Prüfung,ob „autoarmes/autofreies Wohnen“ andieser Stelle durchgeführt werden soll,kam der Verein Autofreies Wohnen e.V.auf uns zu und bat um Unterstützung beider Realisierung des Vorhabens. Zunächstmußte sortiert werden, welche Bedürf-nisse bei den am Projekt interessiertenMenschen vorhanden waren und ob undwie diese im Rahmen des Projektes erfülltwerden konnten. Die anfänglich sehr dif-fusen Vorstellungen konkretisierten sichund es bildeten sich unterhalb des Ober-themas autofreies Wohnen drei unter-schiedliche Interessensgruppen heraus:

• diejenigen, die an dem Projekt teilhabenwollten, in dem sie von einem damalsnoch nicht bekannten Investor Miet-wohnungen anmieten

Für diese Gruppe konnten wir wenigtun, da unser Angebot darauf ausgerichtetist, dass Baumaßnahmen konkret durchge-führt werden. Als geklärt war, dass dieGWG die Nachbarbebauung durchführenwürde, übernahm der Verein AutofreiesWohnen e.V. die Interessenvertretung die-ser Gruppe. Allerdings stellte sich im nach-hinein heraus, dass nur sehr wenige dieserInteressierten am Ende tatsächlich in dieWohnungen eingezogen sind, da sie nichtihren Bedürfnissen entsprachen.

• diejenigen, die eine Genossenschaftgründen und genossenschaftliche Miet-wohnungen erstellen und bewohnenwollten

Es gab bereits hinreichende Erfahrun-gen mit neu zu gründenden Kleinge-nossenschaften, die ein nach ihren inhalt-lichen Vorstellungen geplantes Wohnpro-jekt erstellt hatten. Daran anknüpfendwurde eine Genossenschaftsgruppe instal-liert, die dieses Thema weiter bearbeitensollte.

Für diese Gruppe mußten die Themen „Genossenschaftssatzung sowie alle zur

Stattbau Hamburg GmbH als Baubetreuerin. Rainer Schendel, Stattbau Hamburg, berichtet.

Eine Art informellerSchiedsrichter

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Gründung der Genossenschaft notwendi-gen formalen Aspekte“ und „das Finan-zierungs- und Förderungskonzept imRahmen des vertraglich vereinbartenWohnungsbaus gemäß § 88d II. WoBauG– und zwar einvernehmlich mit Bau-behörde und Hamburgischer Wohnungs-baukreditanstalt“ diskutiert und abschlie-ßend bearbeitet werden. Die Genossen-schaft wurde Wohnwarft, Genossenschaftfür autofreies Wohnen getauft.

• diejenigen, die Eigentumswohnungen sel-ber nutzen wollten

Zwei Alternativen wurden diskutiert:„Einen Bauträger zu suchen, der die Woh-nungen erbaut und sie den einzelnen Inte-ressentinnen und Interessenten verkauft“oder „Die Interessierten als selbst agierendeBauherrengemeinschaft zu organisieren,die nach Fertigstellung der Wohnungen ineine Wohnungseigentumsgemeinschaftübergehen sollte.

Nach Abwägen des Für und Wider be-schlossen die späteren Wohnungseigentü-merinnen und -eigentümer, das Risikoselbst zu tragen und als Bauherrengemein-schaft aufzutreten. Hierfür wurde ein ent-sprechender GbR-Vertrag entwickelt. DieGruppe nannte sich Barmbeker Stich –WEG ohne Auto.

Die Genossenschafts- und die Woh-nungseigentumsgruppe mußten überle-gen, ob sie gemeinsam auf einem Grund-stück bauen sollten, oder ob es sinnvollund möglich wäre, jeweils eigene Grund-stücke aus dem vorhandenen großenGrundstück herauszuschneiden. Letzt-endlich wurde entschieden, dass beideGruppen auf einem Grundstück bauenwollten und das Grundstück den Bau-herren durch Bestellung eines Erbbau-rechts von der Freien und HansestadtHamburg zur Verfügung gestellt werdensollte. Dafür mußte eine Wohnungseigen-tumsgemeinschaft gegründet werden, dieaus insgesamt 19 Mitgliedern bestand. Daswaren die 18 Einzeleigentümerinnen und-eigentümer des Barmbeker Stich mitjeweils einer Wohnung sowie die Ge-nossenschaft Wohnwarft als eine Eigen-tümerin mit 31 Wohnungen. Eine ent-sprechende Teilungserklärung wurde ent-

wickelt. Mit der Verkäuferin des Grund-stückes, der Freien und Hansestadt Ham-burg, mußte ein geeigneter Erbbaurechts-vertrag entwickelt werden.

Trotz des gemeinsamen Grundstücks-erwerbs suchten sich der Barmbeker Stichund die Wohnwarft jeweils ein eigenesArchitekturbüro. Das ist ein Punkt, derdie grundsätzliche Schwierigkeit des Pro-jektes verdeutlicht. Die 18 Wohnungsei-gentümerinnen und -eigentümer und dieGenossenschaft, die wiederum aus 31 zu-künftigen Bewohnerhaushalten besteht,hatten alle individuelle Interessen undWünsche. Zusätzlich hatten die Eigen-tumsgruppe und die Genossenschaft teil-weise unterschiedliche Interessenslagen.Gleichzeitig hatten sie gemeinsam dieBauherrenrolle inne, die gegenüber Be-hörden, Baufirmen und anderen an derPlanung und am Bau Beteiligten mit einerStimme vertreten werden mußte. Die Auf-gabe von Stattbau war es, zum einen dieBauherrenfunktion aller Bauherren nachaußen wahrzunehmen und zum anderen in-nerhalb der heterogenen Bauherrenschaftjeweils geeignete Prozesse zu initiierenund zu begleiten, damit die unterschied-lichen Einzelinteressen und das Gesamt-interesse gewahrt und in ein gemeinsamesHandeln gebündelt werden konnten.

So mußte Stattbau einerseits die Bau-herrenrolle im üblichen Umfang überneh-men, wie es jedes herkömmliche kommer-zielle Baubetreuungsunternehmen auchmachen müßte. Darüber hinaus, und daswar der weit schwierigere Teil der Aufga-be, mußten eine ausreichende Kommuni-kation und die Entscheidungsfindunginnerhalb der Bauherrenschaft organisiertwerden.

Alle Probleme, die z.B. von zukünfti-gen Mieterinnen und Mietern der Genos-senschaft gegenüber der Genossenschaftoder zwischen der Genossenschaft und derEigentumsgruppe geäußert wurden, aberauch Interessenskonflikte innerhalb derEigentumsgruppe und Anforderungen, dievon außen an die Bauherrenschaft herange-tragen wurden (z.B. Mehrkostenforderung,Behördenanfragen, Belange der Nachbar-schaft etc.) sind in irgendeiner Form überStattbau ausgetragen worden.

Nachdem geklärt war, dass auf dem Ge-lände gebaut werden konnte, kam auch dieLEBEN MIT BEHINDERUNG HAM-BURG gemeinnützige GmbH auf uns zu,um unsere Unterstützung für den Baueines eigenen Gebäudes mit behinderten-gerechten Wohnungen zu erlangen. Mitallen diesen beteiligten Gruppen oderInstitutionen, die selber bauen wollten,schlossen wir jeweils einen Vertrag überdie wirtschaftliche Baubetreuung.

Wie so oft steckt der Teufel im Detail.Bei diesem Pilotprojekt war es nichtanders. So hatten sich zwar viele klugeLeute das Große und Ganze wie den Be-bauungsplan und die Stellplatzregelungausgedacht, aber die Details der Umset-zung konnten in der ganzen Tiefe – schonwegen der Vielzahl der zu beteiligendenStellen – nicht bedacht sein. Bis heutekonnte z.B. nicht geklärt werden, mit wel-cher Beleuchtung ein privater Weg, der alsFortsetzung einer öffentlichen Grünan-lage genutzt wird, in sinnvoller Weise aus-gestattet werden soll.

Die Erfahrungen aus der Saarlandstraßezeigen unseres Erachtens, dass es notwen-dig wäre, bei zukünftigen Pilotprojekteneinen Irrtumsvorbehalt einzuräumen, deres zuläßt, dass Detailanforderungen imLaufe des Verfahrens den Realitäten sinn-voll angepaßt werden können. Dazu be-darf es auch während der Bauphase derfederführenden Koordination durch einebehördliche Stelle. An der Saarlandstraßehätte so z.B. verhindert werden können,dass die neu erstellte öffentliche Stich-straße bereits jetzt wie ein Flickenteppichaussieht, weil jedes Versorgungsunter-nehmen für jedes einzelne Bauvorhabenerneut Grabungsarbeiten durchführt.

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Im Sommer 1995 stellte der VereinAutofreies Wohnen die Fläche an derSaarlandstraße, die Zielsetzung und

Rahmenvorgaben des Projektes auf eineröffentlichen Veranstaltung vor. Mehr als200 Interessierte nahmen daran teil. ImVerlauf weiterer Treffen kristallisierte sicheine Gruppe ernsthaft Bauinteressierterheraus. Im August 1996 teilte sich dieseGruppe in die spätere Mietergenossenschaftund Wohnungseigentumsgemeinschaft.Damit bekam „der diffuse Haufen interes-sierter Menschen“, so ein Bewohner, Struk-tur und der eigentliche Planungsprozessbegann.

Zwischen 1997 und der Fertigstellungder Gebäude im Frühjahr 2000 wurdeintensiv und mit großem Zeitengagementan der Planung gearbeitet. Für die Auf-gabenbereiche wurden Arbeitsausschüssegebildet, die sich regelmäßig, oft wöchent-lich, trafen:

• Der Bauausschuß war das Bindegliedzwischen den Gruppen und den Archi-tekten. Sie waren an der Ausschreibungund den Verhandlungen mit dem Bau-unternehmen beteiligt und verfolgten denBauprozess.

• Der Rechtsausschuß arbeitete zusammenmit Rechtsanwalt, Notar und Baubetreuersämtliche Verträge aus.

• Der Grünausschuß erarbeitete zusammenmit der Gartenarchitektin die Grünpla-nung, begleitete die Ausschreibung fürdas Gartenbauunternehmen und die Bau-leitung.

• Der Finanzausschuß wählte zusammen mitdem Baubetreuer die Bank aus, erstellteeine Übersicht über Fördermöglichkei-ten und kümmerte sich um die finanzielleAbwicklung des Projektes.

Zudem gab es regelmäßige Treffen derGenossenschaft und der Eigentumsgemein-schaft für Fragen, die nur die jeweiligeGruppe betrafen, sowie, zeitweise wöchent-lich, Plena des Gesamtprojektes. Zusätz-lich gab es das „Bauteam“, in dem die

Architektinnen und Architekten, der Bau-betreuer und Vertreterinnen und Vertreterder Bauherren zusammenkamen, das sichebenfalls regelmäßig traf.

Zu verschiedenen wichtigen Themen-bereichen, z.B. der Grundstücksteilung, derWohnungsvergabe oder der Farbgestal-tung der Fassaden fanden an den Wochen-enden ganztägige „Wohnwerkstätten“ statt.Die individuelle Planung jeder Wohnungerfolgte in Einzelgesprächen der zukünf-tig dort Wohnenden mit der Architektinbzw. dem Architekten.

Ein wichtiger Einschnitt war die kon-krete Vergabe der einzelnen Wohnungenan die Gruppenmitglieder im Sommer1998. Der Einigungsprozess war ausge-sprochen langwierig und schwierig, istaber im Konsens gelungen, auch wenneinige Beteiligte zunächt nicht so glück-lich mit der Entscheidung waren. Mit der„eigenen Wohnung“ wurde das Planungs-geschehen für alle sehr viel konkreter unddie Bindung an das Projekt größer.

Im März 2001 baten wir einige der Be-wohnerinnen und Bewohner, uns über denPlanungsprozess zu berichten.“

Wie konnte es gelingen, mit so vielen

Menschen gemeinsam ein Haus zu pla-

nen?

Ralf Lange, Wohnwarft: „Ich glaube,das ist die wirkliche Kraftleistung und Er-folgsgeschichte dieses Projektes gewesen.Dass wir es geschafft haben – und zudemmit zwei Architekten – einen Gruppen-prozess zu organisieren, der eine betei-ligungsorientierte Planung ermöglichthat. Wir haben sehr, sehr viele Sitzungengemacht.“

Jörg-Michael Sohn, Barmbeker Stich:

„Wir haben sehr darauf geachtet, zu klä-ren, wie wir Entscheidungen treffen,bevor es dann um Entscheidungen gegan-gen ist. Aus meiner Sicht war das einer derzentralen Punkte, der sehr zum Erfolg derGruppe beigetragen hat. Etwas, das uns

Die Leute vom Wohnprojekt:„Beteiligung ist anstrengend, aber erfolgreich.“

Nächtelange Diskussionen

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Alle!

Gemeinsam bewältigt: Farbauswahl für die Fassade

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nächtelange Diskussionen gekostet hat, wardie Suche nach einem gerechten Abstim-mungsverfahren.“

Können Sie uns von der Arbeitsweise

der Arbeitsgruppen bzw. -ausschüsse be-

richten?

Beate Christians, Barmbeker Stich:

„Wir haben ja eigentlich alles zusammen-gemacht, mußten ja auch zusammen bau-en. Zum Beispiel die Fahrradhäuschen. Eshaben sich Leute gemeldet, die Lust hatten,Fahrradhäuschen zu planen, und habeneine Fahrradhäuschen-Arbeitsgruppe ge-bildet. Die hat überlegt, wie breit muß einPlatz sein, mit welchem Abstand müssendie Bügel stehen. Die Ergebnisse wurdenin der Großgruppe abgestimmt. Natürlichspielen auch die Kosten eine Rolle, manhat Vorstellungen, möchte das gerne ganzanders haben, vielleicht komplett ausHolz, aber dann merkt man, wie hoch dieKosten sind und muß eben doch eine Be-tonwand setzen – so etwas entwickelt sichim Planungsprozeß, man muß gucken, wasman haben möchte und sieht, was manfinanzieren kann.“

Wie groß war der Zeitaufwand?

Christine von Bargen, Barmbeker

Stich: „Ich war in der Baugruppe Kontakt-person für unseren Architekten. EineZeitlang war ich acht Stunden am Tag mitdem Projekt beschäftigt.“

Jörg-Michael Sohn, Barmbeker Stich:

„Ich vermute mal, wenn man alles zusam-menrechnet, hat dieses Projekt auf Dauerzwei bis drei Stellen beschäftigt. Was ichdem Projekt hoch anrechne, ist, dass wires geschafft haben, die Leute nicht zu sehrzu verschleißen. Es hat immer mal wiedermal eine Abwechselung in der Leitung ge-geben, dass sich jemand, der sich sehr en-gagiert hat, zurückgezogen hat, und anderean seine Stelle getreten sind. Eine Personhätte das über die fünf bis sechs Jahre garnicht durchgehalten.“

Holger Mossakowsky, Barmbeker Stich:

„Wichtig war auch, dass die Bauherren inden einzelnen Wohnungen entlastet wa-ren. Man wußte, einige Bereiche werdenvon der Gesamtgruppe abgedeckt, um die

muß ich mich nicht kümmern, und konntesich dadurch auf die Dinge konzentrieren,die in den Wohnungen individuell wichtigwaren, sei es der Fußboden oder dieKüchengestaltung. Es war also nicht nurZeitaufwand, man hat auch unwahrschein-lich viel Zeit freigeschaufelt bekommen.“

Welche Rolle haben die Architekten ge-

spielt?

Ralf Lange, Wohnwarft: „Es war einewichtige Entscheidung, zwei Architektenzu beauftragen. Ich denke, vieles wäreleichter gewesen, wenn es nur einenArchitekten gegeben hätte. Abstimmungs-prozesse haben sich durch die vielenBeteiligten zum Teil kritisch verzögert. Esgibt aber auch Stimmen, die sagen, geradedass wir zwei Architekten hatten, die sichwiederum abstimmem mußten, hatte Vor-teile, weil dadurch noch mehr gestalterischeIdeen eingebracht wurden, die das Ganzerund gemacht haben.“

Wie war es mit der Planung der ein-

zelnen Wohnungen, war das nur noch eine

Sache zwischen dem Architekten bzw. der

Architektin und den jeweiligen Bewohne-

rinnen und Bewohnern?

Beate Christians, Barmbeker Stich:

„Nein, nicht nur. Wir hier im BarmbekerStich haben, bevor wir überhaupt Grund-risse geplant haben, in der großen Gruppeüberlegt, wie wir mit Wünschen umgehenund welche Wünsche realisiert werdenkönnen. Wir haben uns Regeln aufgestellt:Wenn Haushalte in ihrer Wohnung Pla-nungen machen, die die darunter oder da-

rüber liegenden Haushalte beeinträchti-gen, dann dürfen sie das nur , wenn sie vonden Betroffenen eine Einwilligung dafürbekommen.

Wir zum Beispiel tanzen mit dem Ba-dezimmer aus der Reihe. Da wo bei unsdas Bad ist, haben die anderen Wohnun-gen Wohnräume. Das heißt, es entsteht inden Wohnungen unter uns ein Schacht,der da eigentlich nicht sein müßte. Wirmußten die Haushalte unter uns also fra-gen, ob sie damit einverstanden sind. Undwenn sie „Nein“ gesagt hätten, dann hät-ten wir das selbstverständlich nicht so pla-nen können.“

Gab es auch Konflikte?

Ralf Lange, Wohnwarft: „Konfliktegab es zweifelsohne. Ein Thema waren dieFahrradrampen und die Frage der Ge-staltung des Raumes vor den Gebäuden,das war auch hochgradig strittig. Daran istdas Projekt an einigen Stellen fast geschei-tert. Das Gebäude hier ist einen Meter ausdem Boden heraus gewachsen, um dieRampen, die in den Keller führen, mög-lichst kurz zu halten. Sie wären doppelt solang, wenn das Gebäude ebenerdig geblie-ben wäre, denn dann hätte man einen Un-terschied von 2,50 m überwinden müssen,und das hätte man nur mit einer Rampegekonnt, die 17 m lang gewesen wäre.“

Jörg-Michael Sohn, Barmbeker Stich:

„Zugespitzt: Es gab einen Zielkonflikt.Auf der einen Seite sollte die Rampe mög-lichst flach sein, damit man auch mit voll-beladenem Fahrrad noch hochfahrenkann. Auf der anderen Seite heißt das,man braucht furchtbar viel Platz. Es gabzeitweise die Vision eines „Autobahn-kreuzes“ für Fahrräder hier vor dem Haus.Das heißt, dass das halbe Gelände mit ei-ner kompliziert geführten, kleeblattförmi-gen Rampe bedeckt gewesen wäre, ummöglichst leicht in den Keller rein undwieder raus zu kommen. Es hat um dieseFrage der Rampenführung und wie führtman den Kompromiß und wieviel Raumdarf das einnehmen, wie steil und wie flachdarf das sein, wirklich furchtbare und hef-tigste Diskussionen gegeben. Das war wirk-lich einer der kritischen Augenblicke desProjektes.“ aw

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Zu wenig

Man ist mit sich allein. Mit den anderenzusammen sind es die meisten auchohne sich. Aus beidem muß man heraus.

Ernst Bloch

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Die Außenräume des Pilotvorha-bens „Autofreies Wohnen“ – mitdem zweiseitigen Blick aufs

Wasser sehr attraktiv gelegen – stelltenbesondere Anforderungen an die Planung.Nachdem ich von der Mietergenossen-schaft Wohnwarft und der Eigentumsge-meinschaft Barmbeker Stich im Jahr 1997einen ersten Auftrag für die Planung derAußenanlagen erhalten hatte, kamen nach-einander auch die Einrichtung LEBENMIT BEHINDERUNG HAMBURG, dieGWG und die Hansestadt Hamburg aufmich zu, letztere mit dem Auftrag zur Pla-nung einer Uferpromenade am Osterbek-kanal.

Bei der Vielzahl und Unterschied-lichkeit der einzelnen Bauvorhaben imRahmen des Projektes ist der gemein-schaftliche und öffentliche Raum dasverbindende Element.

der Fahrradunterstände und die erstaunlichkleine Zahl an Parkplätzen signalisiert.

Ein einheitliches Gestaltungskonzeptfür die Wohnwege lag mit dem städte-baulichen Entwurf bereits vor. Nach derGrundstücksaufteilung war, mit Ausnahmeder beiden Stichstraßen von der Saarland-straße, die komplette Erschließung von denprivaten Bauträgern zu realisieren und zuunterhalten. Es war Aufgabe unseres Büros,im gemeinsamen Planungsprozeß einenKonsens bezüglich Materialwahl, Bepflan-zung und Ausstattung herbeizuführen.Wir schlugen einfache und robuste Mate-rialien vor, die im Prinzip auch für dieöffentlichen Verkehrsflächen geeignet wa-ren: Pflasterplatten im quadratischen For-mat, kombiniert mit Natursteinpflaster undGrand, einen filigranen und blendfreienMastleuchten-Typ und eine durch die Jah-reszeiten hindurch attraktive Baumart, die

Die Grüne KlammerMareile Ehlers, Landschaftsarchitektin BDLA, über die Planung der Außenräume

Allen Beteiligten war klar, dass dieFreiraumplanung hier eine integrierendeRolle übernehmen mußte. Der „Boule-vard“, der Hauptwohnweg vor den Häu-sern, bildet das Rückgrat der ganzen Anlageund die Klammer zur geplanten Riegelbe-bauung an der Saarlandstraße. Autofreiesund nachbarschaftliches Wohnen – dieseInhalte werden den Betrachtenden zuerstüber die verkehrsberuhigten und schwel-lenfreien Wohnwege, die langen Reihen

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Südlicher Innenhof

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als Hochstamm gezogene Felsenbirne. DieMüllstandorte sind den Fahrradunterstän-den jeweils angepaßte Stahlkonstruktionen.Dem „Boulevard“ ist ein schmales, doch inseinen Nutzungen durchaus buntes StückLand für Spiel, Erholung und die eigeneGartenarbeit der Bewohnerinnen und Be-wohner vorgelagert.

Es zeigte sich, dass die dichte städtischeBebauung der Grünplanung insgesamt ei-nen engen Rahmen setzte: miteinanderverzahnte Grenzziehungen, die Zufahrtenfür Müllfahrzeuge und Feuerwehr, kom-plexe unterirdische Leitungsführungensowie die Erdstatik in Gebäudenähe warenzu berücksichtigen. Trotz dieser Vorgabengelang es, durchgängige Baumpflanzungenam „Boulevard“ zu tätigen. Rank- und Klet-terpflanzen an den Fassaden und Mauernwerden weiter dazu beitragen, dem Quar-tier den gewünschten grünen Rahmen zuverleihen.

Mietergärten an den Erdgeschoßwoh-nungen, Treffpunkte für die Gemeinschaftsowie Spielmöglichkeiten für die Kinderwaren auf relativ knappem Raum unterzu-bringen. Die erhöhte Erdgeschoßzone gabbei den beiden L-förmigen Gebäuden einenHöhenversatz von rund einem Meter vorund ermöglichte so eine klare Abgrenzungzwischen privaten Mietergärten und ge-meinschaftlichen Flächen – sei es als Bö-schung oder Stützmauer. Treppenanlagenführen von diesen privat genutzten Berei-chen in die Höfe. Die Sitzplätze werdendurch ein Blätterdach, das auf leichtenStahlpergolen ruht, gegen Einblicke vonoben abgeschirmt.

An der Grenze zwischen dem für dieAllgemeinheit zugänglichen Uferweg amBarmbeker Stichkanal und den Innenhö-fen tat sich ein Zielkonflikt auf: Den vonder Stadtplanung angestrebten offenenRaumbezügen stand das verständliche Be-dürfnis der Nutzerinnen und Nutzer nach

Privatheit und dem Schutz der Kleinkin-derspielplätze entgegen. So wurden Zäuneletztlich nur sehr sparsam und vom Ufer-weg zurückversetzt vorgesehen, mit derOption, bei Bedarf weitere aufzustellen.Die durchlässige und beschwingte Qua-lität der Bebauungskante auf der Seite desBarmbeker Stichkanals bleibt erlebbar.Die Orientierung des Quartiers zum Was-ser soll möglicherweise bald über eine pri-vate Steganlage und – in weiterer Zukunft– über die neue Uferpromenade am Oster-bekkanal Gestalt annehmen.

„Wir haben den Innenhof bewußt alsDorfplatz konzipiert, mit einer „Dorf-linde“ – einem Dorfwalnußbaum, umgenau zu sein. Bei der Auswahl des Bau-mes war die Frage der Verschattung sehrwichtig: wieviel Schatten, wieviel Sonnewollen wir haben? Wo kommt es mögli-cherweise zu einer Verschattung der Erd-geschoßwohnungen. Da geht es dann umden Interessenausgleich: was ist im Ge-samtinteresse und inwieweit beeinflußtdas die einzelnen Wohnungen.“

Jörg-Michael Sohn, Barmbeker Stich

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Barmbeker Stichkanal

Der Uferweg bleibt öffentlich

Freiflächenplan, Entwurf: Mareile Ehlers

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Christine Reumschüssel vom BüroDittert & Reumschüssel, Archi-tektur und Stadtentwicklung hat

an der Saarlandstraße für die Mietergenos-senschaft Wohnwarft und für LEBEN MITBEHINDERUNG HAMBURG gebaut.

Frau Reumschüssel, Sie planen seit vie-

len Jahren für Wohnprojekte. Was war in

der Saarlandstraße anders?

„Bisher hatten wir mit Wohnprojektenin der Sanierung zu tun. Dort sind vieleDinge durch das vorhandene Gebäude vor-gegeben, deshalb ist die Planungsphasenicht so kompliziert. Das Projekt an derSaarlandstraße war ein Neubau. Dort hat-ten wir 31 unterschiedliche Wohnungen.Das ist einfach mehr Planungsaufwand.

Spezifisch war die Situation mit denbeiden Gruppen. Als wir anfingen, hattedie Gruppe gerade den Prozeß „aus einsmach zwei“ durchgemacht und alles warnoch im Fluß. Es gab unwahrscheinlichviel Abstimmungbedarf zwischen denGruppen, wo wir als Architekten immerirgendwie mit drin waren. Außerdemmußten die beiden Architekten sich eini-gen.“

Was ist anders bei der Planung mit

Wohnprojekten?

„Die Planung mit Wohnprojekten stellthohe Anforderungen an die Architekten.Man muß sehr vielfältig und sehr flexibelsein. Denn man macht einen Entwurf für

ein Gebäude, bei dem noch nicht fest-steht, wo welche Wohnung liegt. – Manmuß ein Raster entwickeln, das möglichstflexibel ist und dieses Raster muß allenBeteiligten bekannt sein. Bei uns bestehtdieses Raster aus den Treppenhäusern undden tragenden Wänden, die sogenannte„Schotten“ bilden. Dieses Raster zu ent-wickeln, ist unsere Aufgabe, dann wird esim Plenum diskutiert. Die Bewohner ent-scheiden in allen Schritten mit, über dasSchottensystem, über die Lage der Trep-penhäuser, über die eigene Wohnung.

Auch für die Fassade muß man sichPrinzipien überlegen – denn wir könnenkeinen Fassadenentwurf machen, bevornicht die Grundrisse der einzelnen Woh-nungen feststehen. Wenn dann zum Bei-spiel in einer vertikalen Achse, in der sonstnur Wohnräume liegen, auf einmal einBad liegt, hat das ein völlig anderes Fens-ter und mit so einer Fassade muß ich alsArchitektin leben – und gestalterisch um-gehen können, das kann sonst auch pein-lich aussehen.

Insgesamt glaube ich, dass die Qualitätder Gebäude besser wird, denn die Leutehaben wirklich ein Interesse daran, dasBeste herauszuholen. Das betrifft auch dieAusstattungsstandards, sie kümmern sichim Detail, holen noch einmal andere In-formationen ein ... und im Zweifel sind sieauch bereit, für Qualität mehr zu investie-ren, z. B. für die Ausführung der Fensteroder, in der Saarlandstraße, für die Gestal-tung der Treppengeländer.“

Was sollten Architekten und Architek-

tinnen können, wenn sie für Wohnprojekte

planen wollen?

„Einmal muß man sehr gut zuhörenkönnen, auch, um widerstreitende Interes-sen zu erkennen, in der Regel zwischen denEinzelnen und der Gruppe. Da sind wirdann oft der Anwalt der Gesamtgruppe.

Und man muß mit Gruppenprozessenvertraut sein. Wenn es mal kracht undknallt, darf man sich davon nicht nieder-machen lassen – denn es knallt gar nichtunbedingt mit dem Architekten, sondernoft intern. Es gibt intern Prozesse – indenen ist richtig Leben! Das muß maneinschätzen können, damit man nicht da-rin untergeht.

Wichtig ist sicherlich, dass man dieeigene Arbeit gut erläutern kann – hohlePhrasen über irgendwelche gestalteri-schen Aspekte der Fassadengestaltungzählen überhaupt nicht. Man muß in derLage sein, Qualitäten in der Nutzung zubenennen. Warum es zum Beispiel gut ist,wenn das Treppenhaus nicht 3,20 m son-dern 3,60 m breit ist. Verständnis dafürentwickeln, das Nutzungsqualitäten imVordergrund stehen und diese benennenkönnen – das ist bei Architekten nichtselbstverständlich, auch wenn man es den-ken sollte.

Ich habe in der Arbeit mit Projektengelernt, dass meine Vorstellungen vonWohnen dabei überhaupt keine Rolle

„Es macht Spaß, mit Leuten zu bauen, die dann auch in den Wohnungen leben“

Christine Reumschüssel, Architektin, im Gespräch über Wohnprojektplanung

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spielen. Die muß ich zurücknehmen. Mei-ne Aufgabe ist es, ein Gebäude zu entwi-ckeln, das so flexibel ist wie möglich undso viele individuelle Wünsche wie möglichzuläßt.

Bestimmte Dinge geben wir vor, müs-sen wir vorgeben, die Statik, die Haus-technik, auch Gestaltungsaspekte – wirdenken daran, wie die Fassade und dieTreppenhäuser aussehen, daran denken dieBewohner nicht. Und dann ist da irgend-wo eine Grenze und jenseits dieser Grenzesind sie eben die Bauherren.“

Wie weit geht Ihre Kompromißbereit-

schaft? Gibt es Grenzen?

„Wir beziehen durchaus Position. Undes gibt Punkte, wo wir nicht kompromiß-bereit sind. Ein Beispiel in der Saarland-straße ist die Dachterrasse. Der Umgangwar im Bauantragsplan noch etwas breiterangegeben als er jetzt ist, das hat sich ausDetailplanungen ergeben. Als den Bewoh-nern klar wurde, dass die Terrasse schmalerwerden sollte, wollten sie partout, dass wirdie Brüstung weglassen und stattdessenein Geländer anbringen. Das hätte aberwesentliche Auswirkungen auf das Ausseh-en des Gebäudes gehabt und wir haben unsgeweigert. Das wird uns immer nochangekreidet, aber es ist mir in diesem Falllieber, dass das Gestaltkonzept mit denwenigen Dingen, die wir überhaupt ma-chen konnten, noch funktioniert hat.“

Auch an der Planung ihrer eigenen

Wohnung waren die zukünftigen Be-

wohner und Bewohnerinnen von Anfang

an beteiligt. Wie lief dieser gemeinsame

Prozeß?

„Zunächst mußten die Leute verstehen,wie sich das Gebäude organisiert, welcheAbhängigkeiten es gibt in Bezug auf dieLage und Größe der Wohnung. Dafür ha-ben wir schon ganz früh Skizzen gemacht,die das Schottenprinzip der tragendenWände zeigen und darstellen, wie und wie-viele Schotten man zu größeren Wohnun-gen zusammenschließen kann.

Als die Wohnungsgrößen feststanden,haben wir strukturelle „Testentwürfe“ ge-macht, um zu sehen, ob und wie alle benö-

tigten Wohnungen in das Gebäude passen.Nachdem das geklärt war, erfolgte die Woh-nungsverteilung auf einem Plenum derWohnwarft.

Wir haben Pläne aufgehängt, die denGebäudegrundriß, die Treppenhäuser undtragenden Wände zeigten. Die Leute ha-ben darin die Wohnung ihrer Wahl mar-kiert. Natürlich gab es viele Wohnungen,die mehrfach „belegt“ waren. Wir habendann gemeinsam vor den Konfliktpunktengestanden, alle haben gesehen, da wollenfünf Leute in eine bestimmte Lage unddas geht ja irgendwie nicht. Wir haben dieEinzelnen gefragt, was sie besonders an-spricht an der Lage. Es war oft gar nicht

so, dass es unbedingt die Wohnung seinmußte, sondern dass sie unbedingt nebeneiner anderen Person wohnen wolltenoder unbedingt im Erdgeschoß oder soetwas. Wir haben also versucht, herauszu-finden, welches die eigentlichen Wünschewaren, und wo es noch Lagen gab, indenen sie erfüllt werden. Und wenn einePartei dann vielleicht nicht die 1-A-Lagebekommen hat, haben wir geguckt, waswir tun können, dass sie ein anderes Bon-bon bekommt, das ihr viel wert ist.

Ich habe schon oft darüber nachgedacht– ich weiß nicht mehr, wie es funktionierthat, aber innerhalb von zwei Stunden hat-ten wir alle Wohnungen verteilt.

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Wohnungsgrößen

Räume, Schottenbreite

Addition

verschachtelt gestapelt

Das Schottenprinzip: Basis für die gemeinsame Entwurfsplanung

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In einem zweiten Gespräch wurde diedetaillierte Ausstattung der Wohnung be-sprochen. Dabei wurden die „Feinheiten“festgelegt: die Breite der Türanschläge,wie herum die Türen aufgehen, die Kü-chenplanung, die Lage der Anschlüsse imBad und die Lage der Steckdosen. DasProzedere war dann dasselbe wie beimersten Gespräch.“

Ein Résumé?

„In einem so intensiven Prozeß lerntman seine Bauherren sehr gut kennen, dasist im Geschoßwohnungsbau sonst anders.An der Saarlandstraße kenne ich alle Be-wohner, von vielen auch einen Teil ihrerGeschichte. Es macht Spaß, mit Leuten zubauen, die dann auch in den Wohnungenleben. Es ist viel lebendiger. Ich weiß hin-terher auch, warum eine Wohnung so aus-sieht, wie sie aussieht.“

von links: (oben) Christine Reumschüssel, Architektin, Dittert&Reumschüssel / Klaus JoachimReinig, Architekt, Plan–R– / (unten) Olaf Sternel, Olaf Sternel Architekten / RainerSchendel, Stattbau Hamburg GmbH / Mareile Ehlers, Landschaftsarchitektin Flächenaufteilung

Eine möglichst weitgehende Barriere-freiheit war dem Wohnprojekt ein wich-tiges Anliegen. Schwellenfrei zugänglichsind die Erdgeschoßwohnungen imPunkthaus sowie 25 der Wohnungen imL-förmigen Gebäude:

• alle Erdgeschosswohnungen• über den Fahrstuhl im Zentraltrep-

penhaus alle dort liegenden Woh-nungen sowie alle Wohnungen imStaffelgeschoß

Außerdem• alle Gemeinschaftseinrichtungen• der Innenhof• die Keller des Wohnriegels über

Rampen

Auch innerhalb der Wohnungen und zuBalkonen und Terrassen wurde Barriere-freiheit umgesetzt.

B A R R I E R E F R E I H E I T

Nachdem die Wohnungsvergabe erfolgtwar, haben alle von uns einen Blankoplanihrer Wohnung bekommen. Außerdemhatten wir Mustergrundrisse für die ver-schiedenen Wohnungsgrößen vorbereitet.Es gab mit jeder Partei ein einstündigesEinzelgespräch hier bei uns im Büro. Dasreichte auch, die Leute kamen in derRegel gut vorbereitet in das Gespräch undwußten relativ schnell, was sie wollen.

Bei dem Gespräch haben wir in einenGrundriß eingetragen, was wir besprochenhaben und zudem bestimmte Dinge abge-fragt, z.B. ob die Türen weiß oder Buchesein sollen, welche Fliesen die Bewohnerwollen, wie hoch gefliest werden soll – dieindividuellen Varianten innerhalb des ge-steckten Rahmens. Nach dem Gesprächhaben wir den Grundriß gezeichnet, denBewohnern zugeschickt und im Idealfallmit einem OK zurückbekommen. Manch-mal gab es aber auch Änderungswünsche.Als wir alle Grundrisse zusammen hatten,konnten wir den Bauantrag einreichen.

Wiesendamm

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1. OG 2. OG 3. OG

Jedem das seine – Grundrißvarianten

Änderungswünsche

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„Wir sind ja inzwischen sozusagen auf-genommen in das Besichtigungsprogrammder Alsterdampfer, wenn die hier vorbei-fahren, dann heißt es immer „Und dortsehen Sie das erste autofreie Wohnprojekt“.Gerade dieser wunderbare Blick, dieses Un-verbaute, das ist etwas, was richtig schönist.“

Jörg-Michael Sohn, Barmbeker Stich(auf der Dachterrasse ganz im Süden)

„Besonders gelungen ist die Dachter-rasse auf dem Punkthaus!“

Mare Hoppe, Barmbeker Stich

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Dem Himmelso nah …

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Thomas Langer, 29 Jahre

Herr Langer, sind Sie zufrieden hier?

„Ich wohne hier jetzt bald ein Jahr undbin sehr zufrieden. Am Anfang war es einbißchen schwer, weil ich vorher in einerWohngruppe gewohnt habe, und von ei-ner Wohngruppe in ein Wohnprojekt, dasist eine Umstellung, ist schon anders. Weilman hier mehr allein machen kann – undmuß. Ich mache alles alleine, auch wa-schen und putzen.“

Im März diesen Jahres bei LEBENMIT BEHINDERUNG HAMBURG,im neuen Haus an der Saarlandstraße:

Es ist Freitag nachmittag, im hellen Trep-penhaus ist viel Bewegung, ein Kommenund Gehen, offene Wohnungstüren, Klön-schnack am Treppengeländer, jemand trägteinen Korb Wäsche in den Keller. Einefamiliäre Atmosphäre. Im Gemeinschafts-raum mit Blick auf die Dachterrasse undüber die Dächer der Siedlung berichten unsMarie-Luise Lücking und Gabriele Münz-berg vom Verein LEBEN MIT BEHIN-DERUNG HAMBURG über das Projekt.

Alle Hausbewohnerinnen und -bewoh-ner lebten bis zu ihrem Einzug in betreutenWohngruppen. Behinderte sind bei demSchritt aus einer Wohngruppe in eine eige-ne Wohnung, in der sie ganz auf sich alleingestellt sind, oft überfordert. Hier füllt dasProjekt eine Lücke. Nicht nur weil mitgroßzügigen Raumzuschnitten, absoluterSchwellenfreiheit und rollstuhlgerechterAusstattung von Bädern und Küchen durch-gängig behindertengerecht gebaut wurde

– keine Kompromisse, wie in nachträglichumgerüsteten Wohnungen – sondern vorallem wegen der Nachbarschaft zu anderenbehinderten Menschen und dem Betreu-ungsangebot vor Ort. Von zentraler Be-deutung sind die Räume, die Gemeinsam-keit und Nachbarschaft ermöglichen, dasgroßzügige und freundliche Treppenhaus,die Dachterrasse und der Gemeinschafts-raum.

Auch die Behinderten profitieren vonder Autofreiheit der Siedlung, schon weilein großer Angstfaktor im unmittelbarenUmfeld wegfällt. Wichiger aber ist dieIntergration des Projektes in eine Umge-bung, in dem die Behinderten selbstver-ständlich als Nachbarn akzeptiert werden.

Was ihr am besten gefällt? Marie-LuiseLücking betont, „das Treppenhaus ist toll“,das Herz des Hauses. Unser Eindruck hatdas bestätigt.

Zwei der Bewohnerinnen und Bewoh-ner haben uns ihre Wohnungen gezeigt.

Ein Besuch bei LEBEN MIT BEHINDERUNG HAMBURG

„Insgesamt ist es richtig schön hier“

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Im Sommer wird hier oben viel los sein: Dachterrasse und Gemeinschaftsraum

Thomas Langer im Gespräch

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Wie ist der Kontakt zu den anderen Be-

wohnerinnen und Bewohnern?

„Am Anfang war er nicht so gut. Abermit dem Bewohner unter mir ist es von anAnfang gut gelaufen. Es gibt gemeinsameAktivitäten im Haus, an denen ich auchteilnehme, und das macht auch Spaß.Nicht alles, und ich will auch nicht allesmitmachen, das ist mir zuviel.

Zu den Leuten in den anderen Häusernhabe ich keinen Kontakt. Ich treffe schonmal jemanden, sage mal „Guten Tag“, aberrichtig kennen tue ich keinen.“

Wo arbeiten Sie und was machen Sie

sonst gerne?

„Ich arbeite als Gärtner bei den Win-terhuder Werkstätten. Da spiele ich auchBasketball. Und ich spiele Tischtennis – dasist meine Leidenschaft.“

Nach fast einem Jahr hier im Haus und

in der Siedlung – was finden Sie gelungen,

was wäre verbesserungswürdig?

„Es wird ja noch gebaut überall. Wennalles fertig ist, ist es bestimmt sehr schön –optimal gut.

Im Haus sind die Kellerräume gut. Vorallem, weil man dort seinen Wäschestän-der hinstellen kann. Das große Badezimmergefällt mir, auch weil da Platz für eine ei-gene Waschmaschine ist.

Die Dachterrasse draußen finde ich ge-lungen, nur wäre es schön, wenn der Ge-meinschaftsraum drinnen größer wäre, derist ein bißchen zu klein.“

Monika Reimers, 49, Rollstuhlfahrerin

Frau Reimers, sind Sie zufrieden, hier

in Ihrer neuen Wohnung?

„Mit der Wohnung bin ich sehr zufrie-den. Die Ausstattung ist prima, ich kannmich hier fast allein versorgen, nur mor-gens und abends kommt der Pflegedienst.Und am Wochenende, da kochen wir mit-tags zusammen. Von der Einrichtung habeich fast alles mitgebracht aus der Wohn-gruppe.“

Haben Sie Kontakt zu den anderen Be-

wohnerinnen und Bewohnern im Haus?

„Ja, der Kontakt mit den anderen Be-wohnern ist prima. Wir kennen uns alleund wir laden uns auch mal gegenseitigzum Kaffeetrinken oder zum Frühstückenin unsere Wohnungen ein.“

Und gibt es auch Kontakte zu den

Nachbarn in den anderen Häusern?

„Mit Namen kenne ich die anderenNachbarn nicht, aber so vom Sehen undman redet auch mal miteinander. Wir wa-

ren ja auch auf dem Einweihungsfest drü-ben im Hof letzten Sommer mit dabei.“

Wo arbeiten Sie?

„Ich arbeite in der Näherei in Meien-dorf, drei Tage in der Woche. Da holt michmorgens der Fahrdienst ab und bringt michnachmittags zurück.“

Jetzt wohnen Sie fast ein Jahr hier.

Werden Sie das feiern?

„Ja, nächsten Monat wohnen wir hierschon ein ganzes Jahr. Wir werden ein Festmachen, auch für unsere Freunde, und be-stimmt laden wir auch die Nachbarn ausden anderen Häusern dazu ein.“

Und zuletzt … (Thomas Langer)

„Insgesamt ist es richtig schön hier.Solche Wohngelegenheiten, ehrlich, da-von könnte es mehr geben. Es gibt sovieleBaustellen in Hamburg, aber es werdenimmer nur mehr Büros gebaut. Mich kriegtman hier nicht wieder weg, ich bleibe hiereine Ewigkeit.“ aw

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Das gesamte Haus von LEBEN MITBEHINDERUNG HAMBURG ist aufRollstuhlfahrerinnen und -fahrer einge-richtet. Zur Ausstattung gehören:

• ausreichende Bewegungsflächen im großzügigen Treppenhaus und in den Wohnungen

• ein großer verglaster Fahrstuhl• elektrischer Haustüröffner• durchgehende Schwellenfreiheit

und in den Wohnungen:

• tiefgezogene Fenster• unterfahrbare Küchenarbeitsflächen,

z.T. absenkbare Hängeschränke• niedrige Türdrücker und automa-

tische Türöffner• rollstuhlgerechte Badezimmer

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Die oberen Schränke sind auf Knopfdruck absenkbar: Monika Reimers präsentiert ihre Küche

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Herr Wagner, der erste Bauabschnitt ist

fertig, wie geht es hier an der Saarland-

straße weiter?

„Das Projekt ist toll, aber es ist ja nochlange nicht fertig, wir haben erst ein Drit-tel gebaut. Wir werden sicher im zweitenBauabschnitt weiterbauen, wobei wir nochgucken müssen, wer „wir“ ist: auf jeden Fallder Verein, wahrscheinlich auch die Ge-nossenschaft. Spätestens ab nächstes Jahrwerden wir aktiv Bauwillige dafür sam-meln, u.a. über unseren Fragebogen imInternet.“

War es schwierig durchzusetzen, dass

der Verein, beziehungsweise dann die Bau-

gruppen, das Bauvorhaben in Eigenregie

durchführen konnten?

„Wir standen natürlich in Konkurrenzmit den Investoren. Warum sollten geradewir das Grundstück in die Hand bekom-men? Zunächst waren wir ja nur ein Um-weltschutzverein, aus dem dann die Bau-gruppen hervorgegangen sind, und wirkonnten keine Referenzobjekte vorweisen.Wir haben gesagt, wir schaffen das schon,wir bauen das, kein Problem. Aber dieStadt mußte erst mal Zutrauen gewinnen.Beweisen, dass wir das können und dass wirdas ernst nehmen, konnten wir im Grundeja erst nach drei, vier Jahren.

Gerade durch die Zweifel der Behördenwurde die Gruppe aber auch dazu gezwun-gen zu zeigen, dass sie es schafft.“

Wie verlief die Zusammenarbeit mit

den Behörden?

„Bei den Planungen liefen immer ver-schiedene Prozesse parallel. Die Verwaltunghat einen Teil der Planungen gemacht, undwir hatten unsere eigenen Vorstellungen,wie es hier aussehen soll und wie wir dasumsetzen wollen. Es gab viel Unterstüt-zung, aber auch Reibereien mit den Fach-behörden. Um einige Dinge muß man rich-tig kämpfen. Und manchmal war unsereEnergie auch am Ende.“

Sie wohnen ja nun auch hier, was fin-

den Sie besonders gut gelungen, was ist

nicht so gut gelungen?

„Das ist komisch, man hat sich jahre-lang etwas ausgedacht, was sich mehr undmehr konkretisiert, und und plötzlich ste-hen die Häuser da und alle die Leute woh-nen da zusammen, das ist ja mehr das Er-leben. Was nicht gelungen ist? Das istschwierig, ich finde das Projekt sehr ge-lungen. Da müßte ich jetzt richtig nach-denken. Wenn, dann solche Kleinigkeiten,dass die Haustechnik mal Probleme macht.Nein, ich bin sehr positiv überrascht überdas Haus, denn auch ich gehöre zu denLeuten, die dachten, man könne nur imAltbau wohnen – aber das stimmt über-haupt nicht.“

Befragt man die Bewohnerinnen und

Bewohner nach den Qualitäten der

Siedlung, werden sehr unterschiedliche

Aspekte genannt, z.B. die Gemeinschaft

oder der ökologische Standard, „auto-

frei“ scheint da gar nicht so eine Rolle

zu spielen?

„Das ist so. Hier haben sich lauter Leutezusammengefunden, die sowieso kein Autohaben. Da mußten wir ja nicht über dasreden, was sowieso ist, sondern konntendarüber diskutieren, wie wir hier wohnenwollen. Das Thema autofrei, das wird schon

seit Jahren nicht mehr richtig diskutiert,darüber hat man sich zusammengefunden.– Wenn ich Kegeln gehe, diskutiere ich jaauch nicht mit meinen Kegelbrüdern, obwir jetzt Kegeln gehen oder nicht lieberetwas ganz anderes machen, da gehe ichzum Kegeln, und dann tauscht man sichaus über andere Sachen.“

Unter welchen Voraussetzungen lässt

sich autofreies Wohnen erfolgreich reali-

sieren? Geht das nur als gemeinschaftlich

orientiertes Wohnprojekt?

„Ein autofreies Wohnprojekt läßt sichnicht einfach überall und mit jedem Bau-träger realisieren. Das braucht einen be-stimmten Rahmen, es muß gut durch denöffentlichen Personennahverkehr erschlos-sen sein, man muß gut einkaufen können,es muß in der Stadt liegen. Da ist eineReihe von Dingen, die stimmen müssen,sonst geht es einfach nicht. Und um so einVorhaben muß sich jemand kümmern, ineinem Maße, wie es ein konventionellerBauträger im konventionellen Umfeld inder Regel nicht leisten kann. Zu großeUnternehmen kommen mit so kleinen Pro-jekten nicht zurecht, da gehen viele guteIdeen im System verloren, sie können ein-fach nicht mehr flexibel genug reagieren.

Ich würde so ein Projekt immer lieberan ein Wohnprojekt binden als an einenkonventionellen Bauträger, da hätte ichBauchschmerzen. Ein Bauträger, mit demman ein autofreies Projekt verwirklicht,der muß das wirklich wollen, Sensibilitätdafür entwickeln und auch ein bißchenaufgeschlossen sein.“

Wie groß ist der Verein heute?

„Der Verein hat heute etwa 200 Mitglie-der, das sind neben dem aktiven Vorstandalle möglichen Leute, z.T. Bewohnerinnenund Bewohner hier aus der Saarlandstraße,z.T. schon Bauwillige für ein neues Pro-jekt, das wieder teils als Genossenschaft,teils als Eigentumsgemeinschaft gebautwerden soll.“

Karsten Wagner, Vorsitzender des Verein Autofreies Wohnen e.V.

und Bewohner der Saarland-straße, Mitglied der Wohnwarft,

über die Rolle des Vereins

„... und plötzlich stehen die Häuser da“ – eine Idee wird konkret

Das Wohnprojekt im Modell

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Hallo!

(schreit) „Hallo!“Was ist das hier für eine Siedlung?

„Autofrei!“Und wie findest Du das?

„Gut!“Und warum?

„Weil es nicht so nach Benzin stinkt.“Istwan, 4 Jahre

Was spielst Du am liebsten?

„Mit meinem Auto.“Malte, 3 Jahre

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Autos in der Stadt – wer hat darübernicht schon gestöhnt. Die Anwoh-nerinnen von großen Straßen stört

der Lärm, die Fußgänger stören der Ge-stank und die Geschwindigkeit, die Fahr-radfahrerinnen stören die blockiertenFahrradwege. Als Autofahrer stören einendie fehlenden Parkplätze und die vielenanderen Autos, wenn man im Stau steckt.Kein Wunder, wenn seit zehn Jahren ver-stärkt Alternativen zum Auto in der Stadtgesucht werden.

Um es gleich vorweg zu sagen: Als Ar-chitekt fahre ich ein eigenes Auto. Ichbrauche es für meine engen Termine undum z. B. Modelle zu transportieren. AmWochenende nutze ich das Auto mit mei-ner Familie zur Fahrt ins Grüne. MeineTöchter brauchen es am Samstag abendfür den Weg in die Discos (ich leihe es ih-nen gerne gegen das Versprechen, keinenAlkohol zu trinken).

Aber für den täglichen Weg zur Arbeitbenötige ich das Auto nicht. Mein Bürohabe ich so ausgesucht, dass ich es zu Fußerreichen kann – jeden Morgen der Ge-nuß, nicht mehr im Auto sitzen zu müssen,

sondern durch den Stadtteil zu gehen, amZeitungskiosk eine Zeitung auszusuchen,die Gemüsehändler grüßen zu können undzu schauen, wer sich so auf der Straßetummelt.

Als mich Wohngruppen fragten, ob ichfür sie autoarmes Wohnen planen wollte,habe ich daher gerne zugesagt. Ich hattebereits 1995 in Bremen mit der Genos-senschaft „anders wohnen“ ein autofreiesProjekt in der Grünenstraße 17 realisiert.

Als Architekten des Projektes an derSaarlandstraße haben das BüroChristine Reumschüssel und ich

ein Mobilitätskonzept für autoarmes Woh-nen entwickelt: Kein Parken vor den Gebäu-den und gute Erreichbarkeit der Gebäudefür Fahrradfahrer, Fußgängerinnen, Roll-stuhlfahrer, Kinder- und Einkaufswagen.

Die Vertikalerschließung der 3-4-ge-schossigen Gebäude mit Staffelgeschoßsollte für die Haushalte sehr einfach ge-macht werden – am besten mit Aufzügen(„Motorisierung der Häuser“). Da Aufzügekostenträchtig sind, wurden dort, wo dieFinanzierung den Einbau nicht sofort er-

möglichte, Optionen dafür eingeplant.Schwellenfreiheit ist gewährleistet in denErdgeschoßwohnungen und zu den Balko-nen und Dachterrassen.

Die Erdgeschoßebene liegt einen Me-ter über den Außenanlagen und wird überRampen erschlossen. Dies eröffnet dieMöglichkeit, die „Fahrradplätze 1. Klasse“direkt in Fahrradhäuschen an den Haus-eingängen zu bauen, so dass die Erdge-schoßhaushalte noch über diese hinwegse-hen können. Kurze Fahrradrampen führenin die Keller zu den „Fahrradplätzen 2.Klasse“, für die Fahrräder, die nicht täg-lich genutzt werden. Und natürlich für dieKanus und Boote: Schließlich können dieBewohnerinnen und Bewohner über die Ka-näle bis zum Rathaus paddeln – autofrei.

Für eine Baugemeinschaft zu planenstellt neue und hohe Anforderun-gen an die Planerinnen und Planer:

Die Gebäude werden sehr stark von innennach außen entwickelt, die Bewohner undBewohnerinnen achten zunächst auf diesinnvolle Gestaltung der Wohnung unddie Einhaltung der finanzierbaren Woh-

„Motorisierung der Häuser“

Autofrei planen für Baugemeinschaften

Baukonzept Autofreies Wohnen

Neue Anforderungen an das Berufsbild des

Architekten

Leichte kühle Gestaltung in Grün-Gelb-Weiß für den Winkelbau, kräftiges Gelb-Rot für das Punkthaus

Ein Text von Klaus Joachim Reinig, Architektenbüro Plan-R-, Hamburg

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nungsgrößen. In dieser Phase wenden wirein Planungssystem an, das ausreichendPlanungsflexibilität für unterschiedlicheRaumstrukturen beinhaltet und gleichzei-tig die Einhaltung eines Rasters tragenderWände und einer definierten Lage derKüchen und Sanitärräume ermöglicht.Das ist nicht zuletzt für den späterenLärmschutz zwischen den Wohnungen einwesentlicher Punkt.

Von der Öffentlichkeit werden Gebäudejedoch von außen betrachtet und beurteilt:Die Kunst der Architekten ist also, dasäußere Erscheinungsbild mitzudenken, zugestalten und eine Beliebigkeit der Fassa-den zu vermeiden.

Gestaltungskonzepte mit Gruppen zudiskutieren ist eine besondere Heraus-forderung. In der Saarlandstraße habenwir Architekten das Grundkonzept aus-führlich diskutiert: Leichte kühle Gestal-tung in Grün-Gelb-Weiß-Tönen für denWinkelbau und warme kräftige Gelb-Rot-Töne für das Punkthaus: Die Lady wirdumarmt. Die Ausdifferenzierung der Far-ben und Strukturen wurde in Bemuste-rungsrunden zusammen mit der Stadtpla-nung festgelegt: Sind die Farben bei dendichten Gebäudeabständen hell genug,sind sie noch aussagekräftig? Wie steht dieFassadenfarbe zu der Vegetation und denMietergärten?

Mit dem Ergebnis sind die Bewohne-rinnen und Bewohner heute hoch zufrie-den. Die Architekten sind Kompromisseeingegangen, auch im Bewußtsein, das Ar-chitekturauffassungen sich verändern kön-nen und eine Akzeptanz von Laien eineeigene Qualität darstellt. Die baukünstle-rische Aufgabe hat sich den Anforderun-gen Dritter zu stellen. – Oder, wie es derKunstwissenschaftler Prof. Hipp ausdrückt:„Baukultur erweitert die Architektur insLeben hinein“.

Gemeinsam mit den Bewohnerinnenund Bewohnern einigten sich die beidenbeteiligten Architekturbüros auf Gestal-tungsgrundsätze u.a. für Fensterbreiten,Fassadenfarben und Balkongestaltung.

Für die individuellen Ausstattungen derWohnungen, die Fußboden- und Wandbe-läge, Sanitär- und Küchenausstattung gab eseinen Katalog von Auswahlmöglichkeiten,die auch Selbsthilfearbeiten ermöglichten.

Die Pläne wurden in zwei Planungspha-sen freigegeben: für die Bauantragsplanungwurde die Raumstruktur definiert, für dieAusführungsplanung die Ausstattung derRäume. In beiden Planungsphasen gab esEinzelberatungen mit den Nutzerinnenund Nutzern wie auch Besprechungen imBauauschuß der Bauherrengemeinschaftüber die grundsätzlichen Planungsalternati-ven und die gemeinschaftlichen Bereiche.

Die Gebäude wurden durch einen Ge-neralunternehmer erstellt. Aufgabe der Ar-chitekturbüros war hier insbesondere dieZeit- und Qualitätskontrolle sowie die Ko-ordination und Integration der vielfältigenSonderwünsche.

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Manfred Gerber, Barmbeker Stich:

„Wir haben uns atomstromfrei gemacht,indem wir ein Blockheizkraftwerk gebautund uns von der HEW gänzlich gelöst ha-ben. Mit dem Blockheizkraftwerk könnenwir theoretisch unseren gesamten Strom-bedarf decken. Aber da der Strom durch-gängig produziert, aber ungleichmäßig ab-genommen wird, können wir nur etwa zweiDrittel selber nutzen. Ein Drittel müssenwir verkaufen und dafür entsprechend einDrittel wieder zukaufen. Wir haben einenVertrag mit Ökostrom geschlossen, die unsden Strom abnehmen und uns den zusätz-lichen Strom zukommen lassen.“

Genossenschaft und Eigentumsgemeinschaft haben neben der Autofreiheit weitereökologische Maßnahmen geplant und realisiert:

• Bauweise im Niedrigenergiestandard (Wärmebedarf < 50 kW/(m2a):wind- und wärmegedämmte Gebäudehülle ab Kellerdecke (16 mm starkesWärmedämmverbundsystem mit Putz) und kompakte Bauweise;Fenster mit Wärmeschutzverglasung (k-Wert 1,1)

• Kontrollierte Be- und Entlüftung der Häuser mit Frischluftzufuhr über Wand-öffnungen in den Wohn- und Schlafräumen, Abluftabfuhr über feuchtigkeitsge-steuerte Lüfter in den Bädern

• Gründächer auf dem Punkthaus und den Fahrradhäusern• Regenwasserzisternen unter dem Innenhof zur Versorgung der Waschküchen und

für die Außenbewässerung• Erdgasbetriebenes Blockheizkraftwerk für die eigene Warmwasser-, Strom- und

Wärmeerzeugung (32 kW thermische u. 15 kW elektrische Energie) mit eigenemStromnetz innerhalb des Projektes (auch das Gebäude von LEBEN MITBEHINDERUNG HAMBURG wird mit Strom beliefert)ergänzend: Gas-Brennwertanlage für Mehrbedarf an Wärme (fürHeizung/Winter)

• Atomstromfreiheit: Zusätzlich benötigter Strom wird von der Ökostrom HandelsAG zugekauft

• Fotovoltaikanlage auf dem Dach des L-förmigen Gebäuderiegels (14 kW)

Ö K O L O G I E , H A U S T E C H N I K , E N E R G I E

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Jochim Geier: verantwortlich für dasBlockheizkraftwerk

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Über die Städte

Siehst du die schwarze Wolke dort(Für Männer ein Ort!)Wo die Autos brüllen im StadtgewühlSchau Dich um und bleib kühlNimm den Hut und geh fort!Wo die Autos brüllen im Stadtgewühl!

Bertolt Brecht

Es gibt Menschen, die wissen nicht, was passiert;Es gibt Menschen, die wissen, was passiert;Es gibt Menschen, die machen, was passiert.

(Verfasser unbekannt)

Ralf Lange, Wohnwarft:

„Es gab keine Entzugserscheinungen.“

Rainer Licht, Wohnwarft:

„Der größte Teil von und hat schon vor-her ohne Auto gelebt, es gab aber aucheinige, die zum Tag des Einzugs ihr Autoabgeschafft haben.“

Christine von Bargen, Barmbeker Stich:

„Auf alle Fälle ist vieles wesentlichleichter geworden. Vorher musste ich mitmeinem Fahrrad, meiner Karre immer erstTreppe rauf, dann Treppe runter in denKeller. Das ist hier natürlich nicht mehrso. Mein Fahrrad ins Fahrradhäuschen, dieKarre in den Karrenraum, der liegt eben-erdig.“

Holger Mossakowsky, Barmbeker Stich:

„Früher hat man sich für Transporteentweder selbst einen Anhänger gekauft,den hat man einmal in der Woche benutzt,oder alles auf dem Gepäckträger transpor-

tiert. Hier teilen sich sieben oder acht Par-teien einen Anhänger, das ist ähnlich wieCar-Sharing – Anhänger-Scharing. So et-was war vorher, wo man versprenkelt ge-wohnt hat, einfach nicht möglich, oder nursehr schwer.“

Ralf Lange, Wohnwarft:

„Das Einkaufen in einer autofreien Sied-lung kann man so organisieren: Wir – dassind momentan etwa zehn Haushalte undes werden mehr – lassen Lebensmittel kom-

men. Wir bestellen per Fax beim „Körner-Versand“ in Hamburg die Lebensmittel,die wir brauchen. Immer Freitags wirdgeliefert. Es sind Bio-Lebensmittel, diezudem besonders preiswert sind. Dasheißt, das Anliefern ist das eine Plus, diePreisgünstigkeit das zweite. Wir schätzendiese Form des Einkaufens sehr, sie er-leichtert den Transport. Auch die Geträn-ke bekomme ich vom Körner-Versand. Ichspare mir die Schlepperei, ich brauchedafür kein Auto, und den Rest kann ichmit dem Fahrrad transportieren.“

Ralf Lange, Wohnwarft:

„Auch ein entscheidender Vorteil ist, dasswir hier im Nahbereich der Häuser keineAutos haben. Ich kann meine Tochter ohneSorge draußen spielen lassen, brauche keineAngst zu haben. Das war in meiner vori-gen Wohnsituation anders, da musste ichständig dabei sein. Das ist eine riesige Er-leichterung, die ich täglich genieße.“

Rainer Licht, Wohnwarft:

„Ich finde vor allem auch die Bereichevor dem Haus sehr gelungen. Sie werdensicher noch besser genutzt werden, wennder Lärmschutz erst mal steht. Da wirdauch die Autofreiheit sichtbar – auf demGrabeland, da würden eben sonst die Au-tos stehen. Das ist nicht nur für die Kinderschön, sondern auch für einen selber einFreiheitsgefühl, man geht aus der Tür undkann erst mal ein ganzes Stück weit laufenohne in so eine Blechkiste zu laufen. Dasist schon ein Riesenvorteil.“

Rainer Licht, Wohnwarft:

„Wir haben im Vorfeld schon disku-tiert, ob wir hier einen Stellplatz für einCar-Sharing Auto einrichten, uns aber da-gegen entschieden. Es gibt ja schon zweiPlätze in relativer Nähe, bei Kampnagelund am Barmbeker Bahnhof.“

Jörg-Michael Sohn, Barmbeker Stich:

„Keine Griffnähe zur Droge Auto!“

Autofreier Alltag: Erfahrungen

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Le projet témoin «Vivre sans voi-ture (privée)» répond au besoin

de voir certaines surfaces de zones rési-dentielles sans voiture. Il est prévu en tout3 tranches de travaux comprenant 220 loge-ments dont 111 sont déjà construits. Lespromoteurs sont une société de construc-tion, une coopérative de construction, uneassociation «Vivre avec un handicap» et ungroupement de propriétaires. Par un enga-gement contractuel détaillé, les habitantsrenoncent à l’usage d’une voiture privée.Les avantages de vivre sans voiture sontdes coûts de construction moindres, desespaces verts sans voiture directement de-vant l’immeuble, moins de bruit et de gazpolluants, une organisation commune de lamobilité et une qualité améliorée du cadredu vie. Des locaux communs à usage mul-tiple, une terrasse de toit, un atelier et unlocal à vélos font partie des équipementscommuns. D’autres particularités du pro-jet sont d'une part le niveau écologiqueélevé et d'autre part la réalisation d'uncadre de vie projeté en commun : dès ledébut, les futurs habitants planifient touten commun – le fait de choisir soi-mêmeses voisins est fort apprécié des locatairesqui y habitent maintenant depuis près d’unan. Un alignement d’immeubles à usageprincipalement commercial doit couper lazone résidentielle de la circulation de la rueSaarland mais il n’est pas encore réalisé. Ilest prévu en tout 12 000 m2 de surfacebrute – destinés à un hôtel de 8 000 m2, desbureaux de 2 000 m2 et des logements de2 000 m2 aussi. Les travaux devraient com-mencer cette année. La zone planifiée estbien située par rapport au centre-ville deHambourg – seulement 15 à 20 minutes enmétro ou bus – et donc à proximité denombreux lieux de travail. Les arrêts sontà une distance de seulement 100 à 600 mmaximum. Toutes les structures de la viequotidienne telles que les écoles, les écolesmaternelles, les églises, les terrains de jeuxet de sport, les parcs et zones de loisir sontfacilement accessibles à pied ou en vélo. Unatout supplémentaire est la proximité duparc municipal, le Stadtpark, ainsi que descanaux Osterbek et Barmeker Stich.

The ”Living Without your Car”model project is a reaction to the

need for car-free residential areas. A totalof 3 construction phases with 220 apart-ments are planned, of which 111 have al-ready been completed. The developers area municipal housing construction corpora-tion, a cooperative, the society ”Leben mitBehinderung” (Living with a handicap) andan owners’ association. Residents committhemselves to not owning a car by agre-eing to detailed contractual regulations.Advantages of car-free living are reducedconstruction costs, car-free green areas di-rectly in front of the building, less noiseand fewer exhaust fumes, shared organiza-tion of mobility and a higher quality oflife. A variety of communal rooms, rooftopterraces, workshops and bicycle storagespaces in the cellar are all components ofthis project. Further special features of theproject are the high ecological standardson the one hand and its implementation asa communal project on the other. From theoutset the future residents planned every-

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thing together – for nearly a year now, theresidents have greatly enjoyed the bene-fits of having been able to choose theirneighbours. A row of buildings with pri-marily commercial use shields the areafrom the traffic on Saarlandstraße. Plansare to create a total area of 12,000 m2; anhotel is to occupy 8,000 m2, offices 2,000 m2

and a further 2,000 m2 is earmarked forapartments; construction is due to startthis year. The area is conveniently locatedclose to Hamburg’s city center – only 15-20 minutes by subway or bus – and thuswithin easy reach of many places of em-ployment in the city. Stations are locatedin distances from 100 to maximally 600 m.All facilities supplying the daily needs ofresidents, such as schools, kindergartens,churches, sports or playgrounds, greenspaces and recreational areas are withineasy walking or cycling distance. A specialbonus is its close proximity to the Stadt-park (city park) and its location directlyon the Osterbek and Barmbeker Stichcanals.

G R U N D R I S S E

Rue Saarland 4–6d et 14 – Quartier Barmbeknord – District Hambourg nord

Rue Saarland /Vivresans voiture – Résumé

Saarlandstraße/Living Without Cars – SummarySaarlandstraße 4 - 6d and 14 – quarter Barmbek-Nord – borough Hamburg-Nord

GWG-Gebäude

Punkthaus

Genossenschaftswohnungen

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„Es ist leichter zu lernen, ökologisch zu leben als zu lernen,

Auto zu fahren“Voraussetzungen …

… für den Erfolg autofreien Wohnens:

• zentrale Lage• guter ÖPNV-Anschluß (mehr als nur eine Buslinie), U-Bahn• wohnungsnahe gute Infrastruktur• Gebietsgröße ausreichend für Erfahrbarkeit der Vorteile autofreien Wohnens• geklärte rechtliche Grundlagen (Mietvertrag, Grundbucheintrag,

Regelungen mit der Stadt)

… für das Gelingen von Wohnprojekten:

• Grundstück sollte nicht erst lange gesucht werden müssen• Infrastruktur im Sinne eines organisatorischen Rahmens für rechtliche

und finanzielle Fragen (Organisation wie Stattbau)• kommunikative und didaktische Fähigkeiten von Architekten und Architektinnen

im Umgang mit Gruppenprozessen• Struktur für die Bauzeit: Plenum, Bau-, Grün-, Finanz- Rechtsausschuß,

verbindliche Geschäftsregeln• Zeit einplanen für den Vorlauf: Gruppenprozeß in Gang bringen,

äußere Widrigkeiten klären• Beratung/Moderation/Prozessbegleitung für die Entwurfs-und Entwicklungsphase

… für einen hohen ökologischen Standard:

• kompaktes Gebäude• keine in den Baukörper eingeschnittenen Loggien, Balkone vor die Fassade setzen• gute Dämmung • intelligente Haustechnik• sinnvolle Energieversorgung (möglichst regenerative Energieträger)• offene Oberflächenentwässerung

Welche Fakten und Erfahrungen sind verallgemeinerbar?

Autofreiheit:

• es gibt viele Gründe, autofrei zu wohnen: mehr Wohnqualität, geringere Kosten (z.B. DM 30.000,– pro Tiefgaragenstellplatz)

• Beitrag zur CO2-Reduzierung• fließende Übergänge von Innen und Außen werden wieder möglich und begünstigen

die Kommunikation der Bewohnerinnen und Bewohner• vielfältige Nutzungsmöglichkeiten der hausnahen Außenräume; Erweiterung der

Wohnnutzung und städtebauliche Aufwertung der Erdgeschoßwohnungen vor undhinter dem Haus: Wohnweg, Treppe, Fahrradhäuser, Rampen, Bänke ...

• innovative Wege könnten beschritten werden: Entwidmung und Umbau von Stell-plätzen im Bestand für andere, höherwertigere Nutzungen, Entwicklung flexiblerMobilitätskonzepte

Wohnprojekte:

• Bauzeit verlängert sich• Baukosten erhöhen sich nicht• überall dort machbar, wo mehrere Menschen ein gemeinsames Interesse haben

und in Nachbarschaft leben wollen („Selbstgewählte Nachbarschaft“)

Hoher ökologischer Standard:

• Niedrigenergiehausstandard ist nicht teurer als nach Wärmeschutzverordnung zubauen

• Versiegelungsgrad wird minimiert• Energieeinsparung/Umweltentlastung cr/abg

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Pre-conditions for….

successful ”car-free” living:• central location• good public transport services (more than one bus route),

underground train• good infrastructure near the home• an area large enough to experience the benefits of car-free

living• legal position clarified (lease, entry in the land register,

arrangements with the City)

the success of communal residential projects:• it shouldn’t take long to find the plot of land• infrastructure in the sense of an organizational framework

for legal and financial issues (organization as for ”Stattbau”)• communicational and didactic abilities of architects when

dealing with group processes• organization for the building period: plenum, committees for

building, green areas, finances, legal matters; binding rules oftransaction

• allow time for preliminary work: start off the group process,resolve external difficulties

• people to advise/preside over/accompany the process duringthe conception and development phase

a high ecological standard:• compact building• no loggias cut into the fabric, balconies set in front of the

facade• good insulation• intelligent building services• sensible utility supplies (where possible renewable energy)• open surface-water drains

Which facts and experiences may be generalized?

Living without a car:• there are many reasons for living without a car: better living

quality, lower costs• a contribution towards reducing CO2

• inside and outside are no longer so sharply divided, whichencourages communication between the residents

• variety of uses for the outside areas near the house;extension of residential use, the space in front of and behindthe house makes the ground floor flats more attractive: resi-dents’ path, stairs, bicycle sheds, ramps, benches…

• innovative ideas could be realized; nearby parking spaces couldbe redesignated and altered to serve better purposes, more fle-xible concepts of mobility could be developed

Communal residential projects:• the building time is longer• building costs are not higher• can be realized wherever several people have a common inte-

rest and wish to live near to each other (”self-chosen neigh-bours”)

High ecological standard:• It is not more expensive to build a house to energy efficient

standards than one conforming to the heat-insulation ordinance.

• less land needs to be paved over• energy savings/reduced strain on the environment

Conditions préalables pour...

...réussir à vivre sans voiture :• site central• bon rattachement aux transports publics (plus d’une ligne de

bus, métro)• bonne infrastructure, à proximité des logements• périmètre de résidence suffisant pour profiter des avantages

d’une vie sans voiture• base juridique éclaircie (Contrat de location, inscription au

cadastre, accords avec la ville)

... la réussite d’un habitat projeté en commun• la recherche du terrain à bâtir ne doit pas être trop longue• infrastructure dans le sens d’un cadre organisationnel pour des

questions juridiques et financières (consultants, p . e . Stattbau)• compétences communicatives et didactiques des architectes ca-

pables de communiquer et de gérer des dynamiques de groupes• structure pour la durée des travaux de construction (assemblée

plénière; commission de construction, des espaces verts, desfinances, commission juridique; règlement interne)

• prévoir une période préliminaire pour établir un processus degroupe et aplanir tous les obstacles

• conseil / animation / suivi du processus de planification et dedéveloppement

...un niveau écologique élevé• constructions compactes • éviter d’insérer des loggias dans le volume bâti mais construire

des balcons en façade• bonne isolation• génie technique intelligent• alimentation en énergie adéquate (si possible des énergies

renouvelables)• écoulement ouvert des eaux de surface

Quels faits et expériences peuvent être généralisés ?

Vie sans voiture :• il y a beaucoup de raisons de vivre sans voiture : une meilleure

qualité du cadre de vie, des coûts moins élevés• contribution à la réduction de CO2

• passages fluides à nouveau possibles entre l'intérieur et l'exté-rieur ce qui favorise la communication entre les habitants

• multiples possibilités d'utiliser les locaux extérieurs proches del'immeuble; extension de l'usage du cadre de vie et revalorisa-tion des rez-de-chaussée devant et derrière l'immeuble : accèsà l'immeuble, escaliers, locaux à vélos, rampes, bancs ...

• idées innovantes à poursuivre : parkings à débaptiser et àtransformer pour d'autres usages valorisants, développementde concepts de mobilité flexibles

Habitat projeté en commun :• durée de construction plus longue• les coûts de construction n'augmentent pas• réalisable partout où plusieurs personnes visent un intérêt

commun et souhaitent une vie avec des voisins («On choisitsoi-même ses voisins»)

Niveau écologique élevé :• Les mesures à prendre pour une faible consommation d’éner-

gie ne sont pas plus chères que de construire selon les régle-mentations de protection thermique en vigueur

• les surfaces cachetées sont minimisées• economie d'énergie / pollution moindre

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”It is easier to learn to live in eco-friendly manner than to learn to drive a car“

«Il est plus facile d’apprendre à vivreécologiquement que d’apprendre àconduire»

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Herausgeberin:

Freie u. Hansestadt HamburgStadtentwicklungsbehördeAlter Steinweg 420459 Hamburg

Referat für Öffentlichkeitsarbeit:Telefon: 040 / 428 41 - 3004Telefax: 040 / 428 41 - [email protected]

Redaktion:

Almut Blume-Gleim (verantwortlich)Renée Culemann

Mitarbeit:

Sabine Haritz

Textbearbeitung/Interviews:

Anna Wegener

Gestaltung:

eigenart grafik und idee

Übersetzungen:

Angela Weckler, EnglischLiliane Aubry-Crasemann undAlmut Blume-Gleim, Französisch

Auflage: 3.000

Stand: April 2001

Wir danken allen Projektbeteiligten, die uns bei der Erstellung dieser Zeitungunterstützt haben.

Autofreies Wohnen e. V.

Karsten WagnerVolkmannstraße 6, 22083 HamburgTelefon: 040 278 08 361Internet: www.autofreieswohnen.de

Wohnwarft Genossenschaft für

autofreies Wohnen eG

Rainer LichtSaarlandstraße 6c, 22303 HamburgTelefon: 040 / 525 90 - 780e-mail: [email protected]

Barmbeker Stich WEG

Elmar PlögerSaarlandstraße 6a, 22303 HamburgTelefon: 040 / 278 738 - 66e-mail: [email protected]

LEBEN MIT BEHINDERUNG

HAMBURG gemeinnützige GmbH

Gabriele MünzbergSüdring 36, 22303 HamburgTelefon: 040 / 270 790 - 0

GWG – Gesellschaft für Wohnen

und Bauen mbH

Geschäftsstelle BarmbekAm Stadtrand 35, 22047 HamburgTelefon: 040 / 694 44 84 00

Stadtentwicklungsbehörde

Landesplanungsamt, Almut Blume-GleimTelefon: 040 / 428 41 3220

Architekturbüros:

Dittert & Reumschüssel

Cristine ReumschüsselColonnaden 43, 20354 HamburgTelefon: 040 / 53 71 96 00

Mareile Ehlers

Landschaftsarchitektin BDLAHimmelstraße 8, 22299 HamburgTelefon: 040 / 511 33 50

Plan -R-, Klaus Joachim ReinigLange Reihe 27, 20099 HamburgTelefon: 040 / 24 12 37

Olaf Sternel Architekten

Hasselbrookstr. 25, 22089 HamburgTelefon: 040 / 254 069 - 0

Wirtschaftliche Baubetreuung:

Stattbau Hamburg GmbH

Reiner SchendelNeuer Kamp 25, 20359 HamburgTelefon: 040 / 43 29 42 - 0

I M P R E S S U M

Kontaktadressen und Informationen

Projektadresse:

Saarlandstr. 4-6d und 14, Stadtteil Barmbek-NordVerkehrsverbindungen:

Buslinien 117, 171, 172, 173, (600)U3 Saarlandstraße, U/S Barmbek

Diese Broschüreerhalten Sie in derBaubehörde,Stadthausbrücke 8,20355 Hamburg

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