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Saatgut in all seiner Vielfalt besitzt einen unschätzbaren Wert – nicht nur für LandwirtInnen, sondern für die gesamte Weltbevölkerung. Weltweit wird jedoch der Handel von Saatgut reguliert und eingeschränkt. Internati- onale Abkommen und nationale Gesetzgebungen bedrohen die Vielfalt unserer Lebensmittel und gefährden die Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung. Züchtern und Agrarunternehmen – ihr Recht an geistigem Eigentum, ihr Recht an Kulturpflanzen, die sie über Jahre, Eigentums keine Gewinne und somit keine Innovationen – so lautet die Argumentation der Züchter und der Gesetzgeber. Das internationale Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums ZüchterInnen zu schützen. Das bereits seit 1961 bestehende Ab- internationale pour la protection des obtentions végétales) gesteht einseitig Züchtern Rechte zu, BäuerInnen kommen darin nicht vor. Unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit sind ihm bereits 74 Staaten beigetreten. Seine Regelungen gelten auch in der Europäischen Union – mit nachteiligen Folgen für BäuerInnen. Bedrohung für bäuerliches Saatgut gehandelt werden. Um registriert werden zu können, müssen Sorten neu, homogen und unabhängig vom Standort stabil und eindeutig von anderen Sorten unterscheidbar sein. Selten tref- fen diese Kriterien auf bäuerliches Saatgut zu, da es von Natur aus nicht homogen und stabil ist, sondern sich in permanenter Evolution befindet. So entstehen zwei parallel existierende registrierten Sorten und der bäuerliche, informelle Sektor, der darauf beruht, dass BäuerInnen ihr eigenes Saatgut vermehren, tauschen und verkaufen. Während der kommerzielle Sektor oft vom Staat subventioniert wird und registrierte Sorten an - me vernachlässigt oder sogar gänzlich verboten. Zertifiziertes Saatgut zeigt seine volle Wirkung oft nur in Kombination mit geraten in Abhängigkeiten von den Herstellern dieser Mittel, zugleich schrumpft die Auswahl an Saatgut. Gerade in Zeiten des Klimawandels sind wir auf vielfältiges Saatgut angewiesen, das je nach Bodenbeschaffenheit und klimatischen Bedingungen Was muss sich ändern? Die Weltgemeinschaft braucht alternative Ansätze: Saatgutge- setzgebungen, die die gleichzeitige Existenz von kommerziel- lem und bäuerlichem Saatgut erlaubt, ohne eines der beiden zu bevorzugen. Nur so kann eine gesunde Balance zwischen Innovation und Erhaltung von biologischer Vielfalt geschaffen - züchtung einbinden. Bäuerliches Saatgut sollte genauso wie zertifiziertes „neu- es“ Saatgut in Kataloge aufgenommen werden. Kommunale Saatgutbanken (wie sie zum Beispiel im Senegal seit 2003 existieren), die regional angepasstes Saatgut erhalten und zu- gänglich machen sowie Saatguttauschbörsen müssen staatlich unterstützt werden. Außerdem sollten Verarbeiter wie Mühlen oder Bäckereien sowie die VerbraucherInnen über den Mehrwert von Biodiversität in der Landwirtschaft aufgeklärt werden, damit nicht-uniformes Gemüse wieder wertgeschätzt wird. Unsere Sichtweise, wie Landwirtschaft sich entwickeln muss, um langfristig alle Menschen ernähren zu können, muss sich ändern. Nicht die einseitige Förderung höherer Erträge ist dafür entscheidend. Vielmehr braucht es Wertschätzung bäuerlicher gestärkt werden, damit sie freien Zugang zu Saatgut haben und die weltweite Ernährung auch weiterhin vielfältig sichern können. Denn zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung gehören kulturelle Akzeptanz und Qualität von Nahrung. Um dies zu gewährleisten, ist Sortenvielfalt unerlässlich. Thema | 4 FoodFirst 2/2017 Saatgutabkommen bedrohen das Menschenrecht auf Nahrung von Lea Burwitz

Saatgutabkommen bedrohen das Menschenrecht auf Nahrung … · mf\Û;]cj]l]Û]pakla]j]fÛafÛ\]jÛK`]gja] Û@fÛ\]jÛGjYpakÛoaj\Ûo]a-terhin eigenes Saatgut produziert und verteilt

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Saatgut in all seiner Vielfalt besitzt einen unschätzbaren Wert – nicht nur für LandwirtInnen, sondern für die gesamte Weltbevölkerung. Weltweit wird jedoch der Handel von Saatgut reguliert und eingeschränkt. Internati-onale Abkommen und nationale Gesetzgebungen bedrohen die Vielfalt unserer Lebensmittel und gefährden die Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung.

Züchtern und Agrarunternehmen – ihr Recht an geistigem Eigentum, ihr Recht an Kulturpflanzen, die sie über Jahre,

Eigentums keine Gewinne und somit keine Innovationen – so lautet die Argumentation der Züchter und der Gesetzgeber. Das internationale Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums

ZüchterInnen zu schützen. Das bereits seit 1961 bestehende Ab-

internationale pour la protection des obtentions végétales)

gesteht einseitig Züchtern Rechte zu, BäuerInnen kommen darin nicht vor. Unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit sind ihm bereits 74 Staaten beigetreten. Seine Regelungen gelten auch in der Europäischen Union – mit nachteiligen Folgen für BäuerInnen.

Bedrohung für bäuerliches Saatgut

gehandelt werden. Um registriert werden zu können, müssen Sorten neu, homogen und unabhängig vom Standort stabil und eindeutig von anderen Sorten unterscheidbar sein. Selten tref-fen diese Kriterien auf bäuerliches Saatgut zu, da es von Natur aus nicht homogen und stabil ist, sondern sich in permanenter Evolution befindet. So entstehen zwei parallel existierende

registrierten Sorten und der bäuerliche, informelle Sektor, der darauf beruht, dass BäuerInnen ihr eigenes Saatgut vermehren, tauschen und verkaufen. Während der kommerzielle Sektor oft vom Staat subventioniert wird und registrierte Sorten an

-me vernachlässigt oder sogar gänzlich verboten. Zertifiziertes Saatgut zeigt seine volle Wirkung oft nur in Kombination mit

geraten in Abhängigkeiten von den Herstellern dieser Mittel, zugleich schrumpft die Auswahl an Saatgut. Gerade in Zeiten des Klimawandels sind wir auf vielfältiges Saatgut angewiesen, das je nach Bodenbeschaffenheit und klimatischen Bedingungen

Was muss sich ändern?Die Weltgemeinschaft braucht alternative Ansätze: Saatgutge-setzgebungen, die die gleichzeitige Existenz von kommerziel-lem und bäuerlichem Saatgut erlaubt, ohne eines der beiden zu bevorzugen. Nur so kann eine gesunde Balance zwischen Innovation und Erhaltung von biologischer Vielfalt geschaffen

-züchtung einbinden. Bäuerliches Saatgut sollte genauso wie zertifiziertes „neu-es“ Saatgut in Kataloge aufgenommen werden. Kommunale Saatgutbanken (wie sie zum Beispiel im Senegal seit 2003 existieren), die regional angepasstes Saatgut erhalten und zu-gänglich machen sowie Saatguttauschbörsen müssen staatlich unterstützt werden. Außerdem sollten Verarbeiter wie Mühlen oder Bäckereien sowie die VerbraucherInnen über den Mehrwert von Biodiversität in der Landwirtschaft aufgeklärt werden, damit nicht-uniformes Gemüse wieder wertgeschätzt wird.Unsere Sichtweise, wie Landwirtschaft sich entwickeln muss, um langfristig alle Menschen ernähren zu können, muss sich ändern. Nicht die einseitige Förderung höherer Erträge ist dafür entscheidend. Vielmehr braucht es Wertschätzung bäuerlicher

gestärkt werden, damit sie freien Zugang zu Saatgut haben und die weltweite Ernährung auch weiterhin vielfältig sichern können. Denn zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung gehören kulturelle Akzeptanz und Qualität von Nahrung. Um dies zu gewährleisten, ist Sortenvielfalt unerlässlich.

Thema | 4FoodFirst 2/2017

Saatgutabkommen bedrohen das Menschenrecht auf Nahrung von Lea Burwitz

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Vom 8. bis 12. März 2017 fand in Schwäbisch Hall der Kongress „Global Peasants‘ Rights“ statt, auf dem die vorläufige Fassung der UN-Deklaration zu den Rechten von KleinbäuerInnen diskutiert wurde. Eine Arbeitsgruppe tauschte sich über aktuelle Herausforderungen angesichts des zunehmenden Drucks von Staaten und Saatgutkonzernen auf kleinbäuerliche Saatgutsysteme aus und erarbeitete Änderungsvorschläge der Paragraphen zu Saatgut. Hier identifizierte Gemeinsamkeiten legen nahe, Strategien voneinander zu übernehmen und weiterzuentwickeln.

Zu Beginn der Arbeitsgruppe berichteten VertreterInnen von KleinbäuerInnenorganisationen über ihre Alltags-erfahrungen. Einiges in den Berichten spiegelte sich. Beispielsweise sahen sowohl René Segbenou, JINUKUN,

neue Gesetze gefährdet – für Benin vgl. Gesetze im Rahmen der Neuen Allianz, 2012/13; für Honduras vgl. das dort seit 2012 geltende Gesetz über pflanzengene-tische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft. Wo nur noch zertifiziertes Saatgut verkauft und verwendet werden darf, wird die Verwendung lokaler Sorten, auf die die Zertifizierungskriterien nicht zutreffen, krimi-

Nutzung lokaler Sorten auswirken. Wenn letztere durch patentiertes Genmaterial verunreinigt werden, fallen sie

Sanchez aus Honduras, wo genveränderte Maissorten 1998 eingeführt wurden.

weiter. So berichtete Segbenou aus Benin: „Die Gesetze -

terhin eigenes Saatgut produziert und verteilt. Es ist schwierig für einen Staat, einem Bauern zu sagen, er dürfe nun kein eigenes Saatgut mehr produzieren und tauschen.“ Ähnliches gilt, so Sanchez, in den Bergregionen von Honduras: „Finan-ziell gesehen wäre es für Monsanto zu teuer, bei jemandem Lizenzgebühren einzutreiben […], der fünf Wegstunden ent-fernt ist […] und eine im Durchschnitt 0,5 Hektar große Finca bewirtschaftet.“ Zudem fänden die Betroffenen Wege, Gesetze zu umgehen. Sanchez berichtete, dass Saatgut auf manchen Märkten nun als Getreide etikettiert und verkauft werde.Dennoch stünden die Gesetze zumindest als latente, auch indirekte Bedrohung im Raum. Sanchez mutmaßte: „Wenn Monsanto weiß, dass die Maissorten in Honduras verunreinigt sind […, sie] wahrscheinlich vom honduranischen Staat fordern werden, entweder Lizenzgebühren oder die Rechte zu bezahlen, die Monsanto über die Gene hat, die im ganzen Land verstreut sind.“ Zudem stießen die Gesetze auf kulturelles Unverständnis. In Honduras sei „die Beziehung zu Saatgut […] kulturell ge-sehen sehr stark und komplex. Das bedeutet, dass es für einen Indigenen oder Kleinbauern schwer nachvollziehbar ist, dass jemand in der Lage sein soll, ihm das Recht auf die Verwendung seines Saatguts zu stehlen.“Angesichts dessen kämpfen die Betroffenen für Saatgutsouverä-nität. Dazu Segbenou: „Der erste Kampf, den wir geführt haben,

muss auch konstruktive Vorschläge einbringen […].“ Auch

gegenwärtig an der Basis funktionieren, erforscht werden. Man diskutiert ständig die Gesetze.“ Dies sei ein nächstes Vorhaben von JINUKUN.Eine der jüngsten Entwicklungen in Honduras beginnt jedoch

Vereinnahmung auch lokaler Sorten haben im März 2017 zwei städtische Gemeinden sowie eine indigene Gemeinschaft der Lenca Saatgut, das traditionell in ihrer Gemeinde produziert wird, als ihr gemeinschaftliches Erbe deklariert. Diesem juristischen Schritt werden praktische folgen. „Dieses Jahr“, so Sanchez, „werden wir an den Umsetzungsmechanis-men arbeiten, also daran, wie diese Erklärung der Gemeinden in ihren jeweiligen Gebieten in konkrete Aktionen umgesetzt werden kann. […]. Wir hoffen, dass immer mehr Bauern und Indigene den Kampf aufnehmen […]. Denn dies ist ein weiterer Teil der Verteidigungsstrategie: wenn in einer Gemeinde tau-sende Bauern erklären, ihr eigenes Saatgut zu haben, kann der Staat nicht alle einsperren. Dazu hat er nicht die Kapazität.“

könnte so oder ähnlich jedoch weltweit erklingen. Wenn auch die Wahl der Strategien an örtliche Gegebenheiten gebunden bleibt, haben die TeilnehmerInnen der Arbeitsgruppe einander doch inspirieren können.

Quellen: Die Zitate entstammen sowohl dem Protokoll der Arbeitsgruppe als auch einem Interview, das im Anschluss an diese mit Sanchez geführt wurde. Das Interview wird in Kürze auf der Webseite von FIAN Deutschland zu finden sein.

FoodFirst 2/20175 | Thema

Strategien im Kampf um Saatgutsouveränität – Inspiration auf dem „Global Peasants‘ Rights“ Kongress von Elisa Schwis, FIAN AK Agrar