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SALAFISTISCHE RADIKALISIERUNG – URSACHEN UND AUSWEGE

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SALAFISTISCHE RADIKALISIERUNG –

URSACHEN UND AUSWEGE

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Inhalt

Vorwort 4

1. SalafismusalsislamistischeStrömung 62. SalafismusalsIdeologie 83. ErscheinungsformendesSalafismus 94. ErkennungsmerkmalesalafistischerOrientierung 135. OrganisationstrukturundAktionsfeldersalafistischer Gruppen 166. SalafismusalsNährbodenfürdenJihadismus 187. HintergründeundUrsachenfürdieZuwendungzum Salafismus 228. ReaktionsmöglichkeitenvonStaatundGesellschaft 249. Fazit 26

10.Anhang

• ZentraleBegriffeimSprachgebrauchvonSalafisten 28• WeiterführendeLiteraturzurThematik 30• Informations-,Hilfs-undBeratungsangebote 30

Mainz,Januar20161.Auflage

NachdrucknurmitschriftlicherGenehmigungdesHerausgebersMinisteriumdesInnern,fürSportundInfrastruktur

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weigern sich jungeMenschendemKontakt im Jugendzentrum?DistanzierensiesichvonihrenFreunden?Äußernsiesichverächt-lichüberdiehiesigeFormdesgesellschaftlichenZusammenlebens?LassensiesichvongewaltverherrlichendenVideobotschaftenfes-seln?

Mit der Broschüre „Salafistische Radikalisierung – Ursachen undAuswege“möchtedasMinisteriumdesInnern,fürSportundIn-frastrukturIhnenHintergrundinformationenzumThemaSalafis-mus und dessen Erscheinungsformen geben. Die Broschüre sollauchHilfestellungbeiderErkennungmöglicherRadikalisierungs-verläufe leisten.Zudemwirdaufgezeigt,welcheStellenbeidro-hender oder bereits eingetretener RadikalisierungHilfsangeboteunterbreitenundwelcheReaktionsmöglichkeitenStaatundGe-sellschafthaben.

RogerLewentzMinisterdesInnern,fürSportundInfrastruktur

Vorwort

SehrgeehrteLeserinnenundLeser,

Rheinland-Pfalzisteinbuntes,toleran-tes,weltoffenesBundesland.Dieüber-wiegende Anzahl seiner BürgerinnenundBürger–unabhängigvonHerkunftoder Religion – steht aktiv für unserefreiheitlich-demokratische Grundord-nungein.EinGarantdafür,dassunsereGesellschaft sicher, freiheitlich und le-benswertbleibt.

IndesbestehtauchbeiunsdieGefahr,dasssichinsbesonderejungeMenschenradikalisierenundletztlichalsGewalttäterodergarTerroristeninErscheinungtreten.DemzubegegnendienenPräventionsangebote,auchsolchederSicher-heitsbehörden.Dabeimüssenwir uns bewusst sein: der KampfgegenjedeArtvonRadikalisierungundExtremismusistAufgabedergesamtenGesellschaft.Wirallekönnenundmüssendazubei-tragen,dassunserStaatnichtdurchdieAktivitätenvonExtremis-tengefährdetwird.

Die Erfahrungen der Sicherheitsbehörden zeigen uns, dass demislamistischen Terror eine bestimmte ideologische Prägung vor-ausgeht.SoistinsbesonderedieStrömungdesSalafismus–eineErscheinungsform innerhalb des Phänomenbereichs Islamismus– imstande, Radikalisierungsprozesse in Gang zu setzen und zufördern.ImExtremfallentschließensichdieradikalisiertenPerso-nen zu einerAusreise in die Kriegsgebiete Syrien/ Irak, umdortanderSeitevonTerroristenzukämpfenundmöglicherweisemitAnschlagsabsichtennachDeutschlandzurückzukehren.

Wir können dazu beitragen, Radikalisierungsverläufe zu verhin-dern,indemwiraufmöglicheErscheinungsmerkmaleachten:Ver-

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SalafistengehengenauandiesemPunktweiter.SieikonisierendieSalaf-GenerationenundsindderAnsicht,dassdasgeistigeErbederrechtschaffenenAltvorderendasbeinhalte,waseinzigalsder„richtigeIslam“(al-islamas-sahih)geltenkönne.Siefordernvehe-mentdieakribischeNachahmungderrechtschaffenenAltvorde-reninallenLebensbereichenundsehenderenVerhaltennichtnuralsbeispielhaftes,sondernalsverbindlichesRollenmodell füralle MuslimeauchinderheutigenZeitan.Esgeltedaher,Neuerungen(bid´a), die nicht in Koran, Propheten- und Gefährtentraditionzubelegen sind, z.B.dieHeiligenverehrung, zurückzuweisenundkonsequentausderreligiösenPraxisundLebensführungzuver-bannen. Selektiv blenden Salafisten jedoch jeneÜberlieferungenaus,dievonKonflikten,SpaltungenundUneinigkeitenunterdenMuslimenwährendder Lebzeitender Salaf berichten– vorundnachdemTodMuhammads.DeswegenlässtsichdasIdealbildderSalaf,andemsichAnhängerder salafistischenWeltanschauungkompromisslosorientierenwollen,invielerleiHinsichtalsUtopiebeschreiben.DieFokussierungderSalafistenaufdiemuslimischeUrgemeinde des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen HalbinselgehtmiteinerGeringschätzungspätererPhasenderislamischenGeschichte–mitunterauchihrerZeugnisse–einher.

Das Projekt der Salafisten sieht vor, den„authentischen,wahren“Islamwiederher-zustellen und auf dieser Grundlage einenStaat zu errichten. Dadurchwürden ihrerÜberzeugungnachdieMuslimezuihreral-tenStärkezurückfinden.Diesseinurdurchdie bedingungslose Orientierung an dengrundlegendenQuellendes Islamundsei-nenLebensbereichenmöglich.Da der Sa-

lafismusimNamendes„wahren“IslamdieErrichtungeineralleinreligiöslegitimiertenGesellschafts-undStaatsordnunganstrebt,kanneralseineStrömungdesIslamismuskategorisiertwerden.Als islamistischeStrömungstehenKernelementedesSalafismusim Widerspruch zur freiheitlich demokratischen GrundordnungderBundesrepublikDeutschland.

1. Salafismus als islamistische Strömung

SalafistenerhebenfürsichdenAnspruch,dieeinzigwahrenMus-limezusein.IhrZielistes,denUrislaminseinerReinheitwieder-herzustellen.

DerarabischeBegriffSalafbedeutetVorfahren.FürSalafistenum-fassendieseVorfahrendenVerkünderMuhammad(gest.632),sei-neGefährtensowiediebeidendarauffolgendenGenerationenvonMuslimen.NachsalafistischerAuffassungmarkiertdasJahr855,dasSterbejahr des sunnitischen Rechtsgelehrten Ahmad Ibn Hanbal,dasEndeder„gesegnetenSalaf-Epoche“.DieSalaf-EpochewirdindensalafistischenDiskursenalsdie„goldeneÄra“dermuslimischenGemeinschaftdargestellt,indereinislamischesWeltreichbegrün-detwurde.IndennachfolgendenGenerationenseider„wahre“Is-lamEntstellungsprozessenausgesetztgewesen,diebis indieGe-genwartfortwirken.DieshabezumtendenziellenNiedergangdesIslamundderpolitischenOhnmachtderMuslimeweltweitgeführt.UmdieReinheitundWahrhaftigkeitdesIslamwiederherstellenzukönnen,seiesunumgänglich,diereligiösePraxis,dieLebensführungsowieStaats-undRechtsordnunganKoranundSunna(überlieferteTatenundAussprücheMuhammads)–sowiesiefrühervondenrechtschaffenenAltvorderenverstandenwurden–auszurichten.

DieislamischenÜberlieferungen schreibendenrechtschaffenen Altvorderen einen frommenLebenswandelsowieeinehohe Einsatzbereitschaft für denGlauben und die muslimischeGemeinschaft(umma)zu.Des-halb kommt diesen Genera- tionenvonGläubigeneineVor-bildfunktion für die MehrheitderMuslimeaufderEbenederEthikundMoralzu.

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SalafistenwertendievonMenschengeschaffenenOrganederLe-gislative, JudikativeundExekutiveals institutionalisierteFormendesUnglaubensab.VoneinemweltlichenHerrscherwirdverlangt,dassernurnachdemsalafistischenVerständnis vonKoranundSunnaregiert.Anderenfallswirderals„Götze“(taghut)bezeich-net und die Unterwerfung unter seine Herrschaft bzw. Rechts-ordnungals„Götzendienst“abqualifiziert.SowohldieAussetzungvongöttlichenBestimmungenalsauchderenVeränderung,zeit-gemäßeAnpassungoderErgänzung seienÜbertretungenundwerdenvonVertreterndesSalafismusalsTatbeständedesUnglaubensbetrachtet. Für SalafistengebührenHerrschaftundUnterwürfigkeitnurdemeinen,absolutsouveränenGott.

Der„wahre“MuslimwirdimSalafimusalseingehorsamerDienerGottesangesehen,dersichinallenLebensbereichendemWillenseines einzigen Schöpfers unterwirft. Dieser Schöpfer ist gleich-wohl der absoluteHerrscher, dessen göttlicherWille KoranundSunnaentnommenwerdenkann.

DiesalafistischeGlaubenslehregibteinfestesGerüstvor,welcheskeine Abweichung oder Differenz duldet. Rasterartigwird jedesmenschlicheVerhaltengemäßdemWortsinndesKorans inKa-tegorieneingeteiltundzurEinstufungvonIndividuenherangezo-gen.GemäßdersalafistischenIdeologiewirddieWeltinzweisichfeindlich gegenüberstehende Sphären unterteilt: islamkonformundnicht-islamkonformbzw.gläubigundungläubig.

3. Erscheinungsformen des Salafismus

DassalafistischeSpektrumistimHinblickaufseineErscheinungs-undAktionsformennichteinheitlich.SeineVielfaltergibtsichausdenspezifischensozialenundpolitischenRahmenbedingungenindenjeweiligenLändern.TrotzihrerunterschiedlichenFormendespolitischenHandelnsteilenallesalafistischenAusrichtungendie-selbenreligiösenGrundsätzeundorientierensichüberwiegendan

VonanderenislamistischenAkteurenwiebeispielsweiseAngehörigenderMuslimbruderschaftunterscheidensichSalafistenwenigergrund-sätzlichalsdurcheinenhöherenGradanRigorositätundRadikalität.Dieswirdz.B.imHinblickaufstrengereBekleidungsvorschriftenfürFrauen(VollverschleierungstattKopftuch)oderdiebesondersablehnendeHaltunggegenüberschiitischenMuslimendeutlich.

2. Salafismus als Ideologie

Das islamische Bekenntnis zu einemeinzigenGott (tauhid) ist fürSalafistennicht ausschließlich ein religiöses Be-kenntnis,sonderneineAufforderungzueinerbestimmtenLebenshaltung.Dem-nachbedingtderEin-Gott-Glaubeeinekonsequente Verinnerlichung, Verwirk-lichung und Aufrechterhaltung diesesBekenntnisses inallenrituellenundall-täglichenHandlungen.AnbetungistimSalafismus nicht nur als gottesdienst- liche Handlung zu verstehen, sondernalsAusführungder imKorandargeleg-ten Gesetze und Bestimmungen Got-

tes.ImUmkehrschlussgiltdasBefolgenandererBestimmungen,wiebeispielsweisederdeutschenGesetze,ebensoals„Anbetung“,jedochals„Götzendienst“undstelltdamiteinenVerstoßdar.

IslamismusisteineSammelbezeichnungfürallepolitischenAuf-fassungenundHandlungen,dieimNamendesIslamdieErrich-tungeineralleinreligiöslegitimiertenGesellschafts-undStaats-ordnung anstreben. Dies bedeutet: Religion und Staat sollennichtmehrgetrenntsein,vielmehrunterliegtderStaatderre-ligiösenLegitimation.DamitgehtdieAblehnungderPrinzipienvon Individualität, Menschenrechten, Pluralismus, SäkularitätundVolkssouveränitäteinher.

SogenannterTauhid-Finger:typischeGestebeiSalafis-tenzurBetonungdesGlau-bensaneineneinzigenGott(tauhid).

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c) Jihadistische Salafistenpropagieren und wen-den Gewalt an – nichtnurzurErrichtungeinesislamischen Staates,sondern auch zur (Re-)Islamisierung der Ge-sellschaft in ihremSin-neundzurBeseitigungvon Hindernissen aufdiesemWeg.

d) FernerexistierteineGruppevonsalafistischenReligionsgelehrten,dieeinestaatstragendeRolleimpolitischenSystemeinnehmenundalsVehikelzurStützungderherrschendenElitefungieren.InSaudi-ArabiensindsiegareinwesentlicherTeilderpolitischenEli-te.DieseRichtungistmitderwahhabitischenidentisch.

DiesevierAusrichtungenlassensichalsFraktioneneinerintheo-logischerHinsichtzusammenhängendensalafistischenBewegungbeschreiben.DiesertheologischeZusammenhangerleichtertdenAnhängerndenWechselzwischendeneinzelnenStrömungenundmachtdieÜbergängefließend.InderRealitätsinddieverschiedenenDenkrichtungendesSalafismusnichtvoneinanderabgrenzbar.

EinezusammenfassendeBetrachtungdieserweitverbreitetenTypologielässterkennen,dassallevierobenbeschriebenenFrak-tionendesSalafismusinersterLinieinLändernmitmehrheitlichmuslimischerBevölkerung lokalisiert sind.Gemeinsam ist ihnen,

denselbenVordenkern.DarüberhinaushabensalafistischeAus-richtungen dieselben Auffassungen in Bezug auf Gesellschaftund Staat. Sie streben kurz- oder langfristig die vollständigeUmgestaltung von Staat, Gesellschaft und individuellem Le-bensvollzug jedes einzelnenMenschen nach rigiden religiösenNormenan. SalafistischeAusrichtungenunterscheiden sich inersterLinieinderWahlderMittel,mitdenenihreZieleverwirk-lichtwerdensollen.

Es existieren vier Typen salafistischer Ausrichtungen:

a) Politikferne bzw. puristische Salafis-ten zeichnen sich durch die Unter-lassung politischer Betätigung aus.Sie orientieren sich hierbei an einerAussage des Gelehrten Nasir al-Dinal-Albani, wonach die beste Politikdarin bestehe, sich von der Politikabzuwenden. Vorrang haben für siedie Reinigung der Religion von un-statthaften Neuerungen sowie dieDa‘wa-Arbeit im Sinne der Missio-nierung. Darauf basierend folgt dieErziehungdesEinzelnenundderGe-meinschaftimSinnedesvermeintlich„wahren“IslamsalafistischerAuffas-sung.

b) Legalistisch politischagierende Salafistenstreben die gewalt-freie Änderung derpolitischen und dersozialen Ordnung an,zum Beispiel mittelsderGründungeinerpolitischenPartei,derMitgliedschaftinei-nersalafistischenParteioderOrganisation.

Symbolderägyptischen„ParteidesLichts“(Hizb al-Nur),einer2011gegrün-detenParteimitsalafis- tischerAusrichtung.

Muhammadal-Maqdisi,geb.1959inNablus(Westjordanland),einerdergeistigenWeg- bereiterdesjihadistischenSalafismus.

BeimWahhabismushandeltessichumeineRichtung,dieim18.JahrhundertaufderArabischenHalbinselgegründetwurde.SiezeichnetsichdurcheinreformfeindlichesundrigidesIslamver-ständnisaus,dasimLaufedes20.JahrhundertsdenSalafismusstarkgeprägthat.IndenGolfstaatenSaudi-ArabienundKataristderIslaminseinerwahhabitischenPrägungStaatsreligion.

Nasiral-Dinal-Albani,geb.1914inAlbanien,gest.1999inJordanien:IslamgelehrterundVerfasserzahlreicherreligiöserSchriften;einfluss-reicherVordenkersalafis- tischerLehrmeinungen.

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4. Erkennungsmerkmale salafistischer

Orientierung

EinwichtigerBestandteildesSalafismusbildetdasäußereErschei-nungsbild seiner Mitglieder. Salafisten wollen sich bewusst vonden „Ungläubigen“, aber auch von anderenMuslimen abheben.WährendfürFrauendieVollverschleierungvorgesehenist,tragendieMännerlangeBärte,wobeiderOberlippenbartgestutztwird,undlangeKleider,dieoberhalbdesKnöchelsenden.WerdieseVor-schriften,diesichimübrigennichtausdemKoranergeben,nichtimDetail umsetzt,wird des Verrats am „wahren“Glauben be-zichtigt.DiesestriktePositionist innerhalbdesorthodoxensun-nitischenIslamäußerstumstritten.DieDiskrepanzkannmanu.a.damit erklären, dass viele salafistische Vertreter die Vielfalt derAuslegungsmöglichkeiten im Islamzurückweisenund imUnter-schiedzurtraditionellenreligiösenGeistlichkeit(ulama)oftnichtübereinefundiertereligiöseAusbildungverfügen.Essindvielmehrtheologische Laien und „Freizeitprediger“, die den Salafismus inDeutschlandprägen.

UnterderFormel„FreundschaftundMeidung“(al-wala´wa-l-bara)wirdeinGrundsatzgepredigt,wonachesgilt,dieNähezuSalafistenzusuchenundsichvonNicht-Salafistenfernzuhalten.Derfreund-schaftlicheUmgangmitNicht-Muslimenbzw.mitNicht-Sala-fistenistnurdannzulässig,wennsiedadurchzum„wahren“Is-lambekehrtwerden sollen.Ansonsten ist esnach salafistischerÜberzeugungeinereligiösePflichtjedes„wahren“Gläubigen,An-dersgläubigezuhassen.DadurchwirdderinnereZusammenhaltsalafistischerGruppierungen gestärkt, diewie religiöseSektenfunktionieren.

AnhängerdesSalafismusinDeutschlandprangerndie„westliche“LebensartalszutiefstdekadentanundmöchtensichvorderengesellschaftlichenEinflüssenschützen.Dabeivermittelndiesala-fistischenProtagonisteninDeutschlandeineexklusivegöttlicheWahrheit. IhrestrikteAneignungbieteteinenAuswegausdie-

dasssiediepolitischenSystemeindiesenLändernfürkorruptundunislamischerklären.AllerdingsbringensiediesaufunterschiedlicheArtundWeisezumAusdruck.

Bei aller gebotenen Differenzierung ist das salafistische Spekt-rum inDeutschland inallen seiner Erscheinungsformenvonge-sellschaftspolitischerRelevanz.Weiterhinistfestzustellen,dassinDeutschlandkeingenuinerSalafismusexistiert.SowohldiePredi-geralsauchderenAnhängerundSympathisantenhabenverschie-deneideologischePositionenvonGelehrten,diehauptsächlichimNahenOstenagieren, angenommen.Die Salafisten inDeutsch-landverkörperneingallertartigesGebilde.IdeologischhandeltessichumeineMischformallerobenbeschriebenenFraktionen.Ab-hängigvondenaktuellenUmständenbedienensiesichderArgu-mentationen der entsprechenden salafistischen Ausrichtungen,umihrHandelnzulegitimieren.

DiesalafistischenPrediger inDeutschlandfordernvon ihrenAn-hängern die absolute Unterwerfung unter den vermeintlichenWillenGottes.DiesschafftdenNährbodenfürdieMobilisierungvonSzenemitgliedernundSympathisanten fürden Jihad im In-undAusland.DabeivertrittdieSzeneeineKonzeption,diesowohlgewaltlose als auch gewaltsame Formen des Jihad beinhaltet.Entscheidendbei derWahl der jeweiligen Form sindRadikalisie-rungsgrad und persönliche Ambitionen der Akteure, nicht dieweltanschaulichenGrundsätzedesSalafismus.Letzteresindkon-stantundausderSichtsalafistischerAkteurenichtverhandelbar.DieFormdesJihad,dievondenjeweiligenSzenemitgliedernundSympathisantenpraktiziertwird, ist zudemstarkvonderReso-nanzentfaltungderPropaganda,densozialenUmständenundderpersönlichenmentalenSituationabhängig.

DiegewaltloseVariantedesJihadumfasstdenAufrufandie„wahre“Religion zu glauben (ad-da’wa li-d-din al-haqq). Sowerden dasseit2012laufendeKoranverteilungsprojekt„LIES!“unddiedamitverbundenenAnstrengungenderehrenamtlichengagiertenPer-sonenvonderSzeneals„eineedleFormdesJihad“bezeichnet.

• BeschreibungpolitischerEreignissealsKampfdesWestensgegendenIslam,

• BeschreibungkriegerischerKonflikteinislamischenLändernalsJihad,

• keineeindeutigeDistanzie-rungzuodergarVerherrli-chungvonSelbstmordat-tentätern,

• BeschreibungdesJihadalssechsteSäule(Glaubens-pflicht)desIslam,

• antisemitischeArgumen-tationslinienundDehumanisierungAndersgläubiger,

• keineBefürwortungderDemokratie,oftsogarZurückweisungals„WerkdesTeufels“,

• AblehnungderGleichbe-rechtigungderGeschlechter,

• SalafistischerDresscode:Anspielungaufdieals„ori-ginär“islamischverstandene KleiderordnungwiezuZeitenMuhammads,z.B.KleidungslängebiszudenKnöcheln,

• TrageneinergehäkeltenKopfbedeckungundgele-gentlicheinesTurbans,

• TrageneinesGanzkörper-schleiersbeiFrauen,

• VermeidungvonAugen-undKörperkontaktmitdemjeweilsanderenGeschlecht,

• regelmäßigerAderlassalsmedizinischeProphetentradition,• Hörenislamisch-heroischerGesängeohneInstrumente

(nashid),AblehnungweltlicherMusik,• KonsumsalafistischerMedienundMaterialien(Videos,Audios,

Bücher,Webseiten).

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ser„verdorbenen“Gesellschaft.PhysischlebtmaninDeutschland,mentaljedochwirddieeigeneerhabeneGemeinschaftder„wahren“Gläubigenzelebriert.JedeHandlungundjedeAussagedessalafis-tischenDiskurseswird entsprechendmit religiösen Formeln um-manteltundalsgöttlicherWillepropagiert.GottistihrVerbünde-ter,seineAllmachtrechtfertigtihreHandlungen,diewiederumdiehimmlischeVorsehungvomSiegdes Islamgreifbarnahmachen.DerIslamgemäßdemeigenenVerständnisistsomitdieEinladungGottes insParadies,einZustanddesvollkommenenGlaubens, indemKompromissenichtdenkbarsind.DieseEinladung,sodieVor-stellungderSalafisten,istallenMenschendurchDa´wa(AufrufzumIslam,Missionierung)zugänglichzumachen.DieNichtannahmederEinladunggiltalsAggressiongegenGott.DieseAggressionrecht-fertigtindenAugenmancherSalafistenalleFormenderAbwehr–auchdiemilitanten,wenndieMachtkonstellationeszulässt.

ImDiskurssalafistischerAkteureundPersonenkreiseinDeutsch-land lassensichoftbestimmteErscheinungs-,Denk-undHand-lungsbilder feststellen. Dabei ist zu beachten, dass die GrenzenzwischenorthodoxerAuslegungdesGlaubensund salafistischerIslamauffassungen in einzelnen Aspekten oft fließend sind. DieuntengenanntenKriterienkönnenIndizienfüreineZugehörigkeitzueinersalafistischenGruppesein,wenngleichhiergilt,dasssienichtzwingendaufdenGradderBindungineinemsalafistischenMilieuodermöglicheMilitanzhinweisen.EbensokannessichumProvokation,BehauptunginderCliqueodereinvorübergehendesAusprobierenbestimmterPositionenhandeln.

Mögliche Kriterien:• ZweidimensionaleBewertungsschemataohneDifferenzierung:

„gut“gegen„böse“,„Wir“gegen„dieAnderen“,• religiöseBegründungsämtlichereigenerHandlungen,• DistanzierungbisVerachtungallderer,dieals„Ungläubige“

bezeichnetwerden,• ErklärungandererislamischerKonfessionen(z.B.Schiiten)und

Strömungen(z.B.Sufismus,islamischeMystik)alsFormendesUnglaubens,

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indasMissionierungsprojekt„Lies!“eingebunden.Das„Lies!“-Pro-jektwurdevondeminKölnwohnhaftenIbrahimAbou-Nagiein-itiiert,derzugleichLeiterdesNetzwerks„DieWahreReligion“ist.ImRahmenvon„Lies!“werdenseit2011 inzahlreichenStädtenKoran-Übersetzungenverteilt - 25MillionenExemplare sinddasangestrebteZiel.DieuntergroßemPersonalaufwandbetriebeneAktiondientauchdazu,dieMitwirkendensowieInteressentenandenInfoständenmitsalafistischemGedankengutzubeeinflussen.ImGanzenstelltdiesesProjektinOrganisationundAusgestaltungeineProfessionalisierungsalafistischerPropagandadar.

DieAkteurevon„DieWahreReligion“sindbundesweitmiteinerVielzahlvonSalafisten,teilsauchausdemgewaltbereitenSpekt-rum,vernetzt.

IndenvergangenenJahrenwurdenmehrereüberregionaltätigesalafistische Vereinigungen durch das Bundesinnenministeriumverboten,da sichderVereinszweckgegendie verfassungsmäßigeOrdnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtete,teilweiseunterdemEinsatzbzw.derBilligungvonGewalt.2012warhiervondiezuletzt inSolingenansässigeGruppierung„MillatuIbrahim“ („GemeinschaftAbrahams“) betroffen. 2013 folgte einVerbot seiner Teilorganisation „An-Nussrah“ („Die Unterstüt-zung“) sowie des Missionierungsnetzwerks „DawaFFM“ („AufrufzumIslam,FrankfurtamMain“)unddes„DawaTeamIslamischeAudios“.2015wurdedieVereinigung„TauhidGermany“,diealsEr-satzorganisationvon„MillatuIbrahim“fungierthatte,verboten.DieGruppierungwaru.a.durchzahlreicheAufrufe,denStaatundseineVertreterzubekämpfen,aufgefallen.

InRheinland-PfalzexistierenkeinefestensalafistischenOrganisati-onsstrukturen.GleichwohlgibtesrealeundvirtuelleAnlaufstellenfürrheinland-pfälzischeSalafistensowieVernetzungenindiesala-fistischeSzeneimIn-und-seltener-imAusland.BislangkonntensalafistischeBestrebungenfolgenderArtfestgestelltwerden:• EinladungüberregionaleinflussreichersalafistischerPrediger

ineinzelneMoscheevereine,

5. Organisationstruktur und Aktionsfelder salafistischer Gruppen

Wer die salafistischen Strukturen in Deutschland erfassen will,wirdvergeblichnacheinemDachverbandmitHauptsitz,Vorstand,Satzung und zugehörigenOrtsvereinen suchen. Die salafistischeSzenesetztsichvielmehrausunabhängigenVereinen,informellenPersonenzusammenschlüssen, Internetseitenund Initiativen zu-sammen.ZwischendeneinzelnenAkteurenundAnhängernbe-stehen häufig Kennverhältnisse undmitunter auch Formen derZusammenarbeit.SiewerdenaberwederinnerhalbDeutschlandsnochausdemAuslandzentralgesteuert.

Die Aktivitäten der verschiedenen Einrichtungen sind vielfäl-tig und umfassen folgende Bereiche:• Missionierungsarbeit(da‘wa)u.a.durchKoranverteilungs-

aktionenundInfostände,• religiöse,gesellschaftlicheundpolitischePropagandaim

Internet,inSchriften,Predigten,Vorträgen,beiIslamsemi- narenundKundgebungen,

• UnterstützungsleistungenfürmuslimischeZivilisten,aber auchfürjihadistischeundterroristischeGruppierungeninKriegs-undKrisenregionen,

• Unterstützung(rechtskräftigverurteilter)muslimischer Gefangenerund

• alsein2015aufgekommenesPhänomendieKontaktauf- nahmezuFlüchtlingeninDeutschland.

Bundesweitexistierenzahlreichesalafistischeundsalafistischbe-einflussteGruppierungenundVereine. Sie besitzen teilweise einregionalbegrenztesAktionsfeldundteilweiseüberregionaleWir-kung. Zu denwichtigstenGruppierungenmit überregionalem -auchnachRheinland-Pfalzreichendem-EinflussgehörtdasNetz-werk„DieWahreReligion“,dasaufmehrerenEbenenaktivist.EsbetreibteineigenesumfangreichesWeb-Angebot,hatindenver-gangenen Jahren bundesweit Islamseminareorganisiert und ist

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„Jihad“-Schauplätzen in Afghanistan, Irak, Syrien, Somalia undanderenorts.

DasBeispielMuratK.zeigtdievondersalafistischenGruppendy-namik ausgehende Gefahr. Während einer Demonstration ge-gen eine Kundgebung der rechtsextremen Splitterpartei „ProNRW“am5.Mai2012inBonneskaliertedieLagederart,dasseszuGewaltausbrüchenseitensderSalafistengegendieimEinsatzbefindlichenPolizeibeamtenkam.MuratK. attackierte zweiPo-lizistenmiteinemMesser.BeiseinerVerurteilungwegengefähr-licherKörperverletzung,LandfriedensbruchundWiderstandsge-genVollstreckungsbeamtewarferdemVorsitzendenRichterdasGrundgesetzvordieFüße.ErverteidigteseineTatdamit,dassesdiePflicht jedesrechtgläubigenMuslimssei,dieRepräsentantendestaghutanzugreifen.DerBegrifftaghut(Götze)findetimsala-fistischenSprachgebrauchhäufigalsSinnbildeinesbösen,korruptenSystemsVerwendung.

Der Fall des zur Tatzeit erst 21-jährigenAridU. ist einweiteresBeispielfürdieRadikalisierung.Motiviertunteranderemvondersalafistischen Propaganda hiesiger Prediger und einer subjektivwahrgenommenen Aggressivität der USA gegen die weltweiteGemeinschaftderMuslime, erschoss erAnfangMärz2011 zweiUS-SoldatenamFrankfurterFlughafenundverletztezweiweitereschwer.BeidieserTathandelteessichumdenerstenerfolgreichdurchgeführtenAnschlaginDeutschland,demdiesalafististischeWeltanschauungzugrundeliegt.

Ebensogingendasgeplante,aberverhinderteAttentataufdenVorsitzendenderrechtsextremenPartei„ProNRW“sowiederAn-schlagsversuchamBonnerHauptbahnhofimDezember2012vonPersonenaus,diesichunterdemEinflusssalafistischerPropagandaradikalisierthatten.

EinRadikalisierungsverlaufbishinzumKampfaufSeitenderTer-rororganisation„IslamischerStaat“(IS)lässtsichbeimehemaligenRapperDenisCuspertausBerlinnachzeichnen.SeineKonversion

• TeilnahmevonPersonenausRheinland-PfalzansalafistischenIslamseminarenundKundgebungenimIn-undAusland,

• salafistischgefärbtePredigt-undVortragsinhalteineinzelnenMoscheevereinen,

• BestrebensalafistischerPersonen,EinflussaufdieAusrichtungundAktivitäteneinzelnerMoscheevereinezunehmen,

• salafistischePropagandaimInternetundinsozialenNetzwerken,• SympathiebekundungenfürHauptakteuredessalafistischen

Spektrums,z.B.insozialenNetzwerkenimInternet,• InfoständeimRahmen

des„Lies!“-Projekts,u.a.inKoblenz,Lud-wigshafenamRhein,Mainz,NeustadtanderWeinstraße,NeuwiedundSpeyer,

• TeilnahmevonPersonenausRheinland-Pfalzandergewaltsameskalier-tenDemonstrationvonSalafistengegendierechtsextremePartei„ProNRW“am5.Mai2012inBonn,

• AusreisenvonPersonenausdemsalafistischenSpektrum in„Jihad“-Regionen,u.a.nachSyrienundindasafghanisch- pakistanischeGrenzgebiet.

6. Salafismus als Nährboden für den Jihadismus

Insbesonderewenn salafistische Propaganda aufMitglieder undSympathisantenmit straffälliger Neigung trifft, kann sie in dieMobilisierung für den Jihad im Sinne des militanten Kampfesmünden. Dieser kann unterschiedliche Formen annehmen: vonsituativenGewaltausbrüchenimöffentlichenRaumüberdiege-zielteLiquidierungvonvermeintlichenFeindendesIslamsbishinzumörderisch indifferenten Terroranschlägen und Ausreisen zu

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digerundnährtsichausdenEreignissenundBilderndereskalier-tenBürgerkriegeinSyrienundIrak.DieProtagonistenderSzeneversuchendarausNutzenzuziehen,um ihrenEinflussbereichzuerweitern.SieproduziereninihrenPredigtenpopulistischeInhalte,dieaufGewaltrhetorikunterAbwertungandererfußenundsomitzurGewaltenthemmungihrerAnhängerschaftbeitragen.

Da salafistische Gruppen ihrer nicht-salafistischen Umgebunggegenüber prinzipiell feindlich gesinnt sind und sich somit imdauerhaftenKonfliktmitihrbefinden,verleihensiedemEinzelneneinGefühlderAnerkennung,derStärkeund–nochwichtiger–dermoralischenÜberlegenheit.InderSelbstwahrnehmungver-ursachtdieVerfolgungdurchstaatlicheOrganesomiteinSelbst-wertgefühl,dasvorhernieerreichtwordenist.DasInteressedesStaatesundderÖffentlichkeitwirduminterpretiertundalsErfolggefeiert. BetrachtetmandiedeutscheSalafismusszene, sowirddeutlich,dassessichkeineswegsumeinreines„Armutsphänomen“han-delt.DeutscheSalafistenverstehensichalsAvantgardedesIslamundverbindenrealeErfahrungen,diemuslimischeJugendlichemitDiskriminierungen und Islamfeindlichkeit machen, mit diverseninternationalenKonfliktenwiedenKriegenimIrakundinAfgha-nistanoderSyrien.AufdiesenrealenErfahrungenbautdiesalafis-tischeRadikalisierungauf.

zumIslamimJahr2010gingzeitlichmitdemAnschlussandiesa-lafistischeGruppierung„DieWahreReligion“einher.BinnenkurzemavancierteerinTeilenderdeutschsprachigensalafistischenSzenezueinemVortragendenvonHymnenbzw.Kampfliedern(arab.nashid).DieInhaltereichtenhierbeivomAufruf,sichdemJihadanzuschlie-ßen,überdieVerherrlichungdesMärtyrertodesbiszumBekennt-niszuUsamabinLadin. InderFolgewandeltesichDenisCuspertvomPropagandistendesJihadzueinemjihadistischenAkteur.2012führteseinWegvonDeutschlandnachÄgyptenundspäternach Syrien,woersichzunächstderdortigen„al-Qaida“-Sektion„Jabhatal-Nusra“ anschloss und im Jahr 2014 dem IS-Führer Abu Bakral-BaghdadidieTreueschwor.VideoaufnahmenweisenaufdieBeteiligungvonDenisCuspertanexzessivenGewalttatenhin.

DarüberhinauskamesindenvergangenenJahrenimmerhäufigerzuAusreisenvonJihad-WilligenausDeutschlandindieKonfliktre-gionenderislamischenWelt.ReisteinfrüherenJahren,insbeson-dere2008und2009,derGroßteilderradikalisiertenPersonenindasafghanisch-pakistanischeGrenzgebiet,löstederAusbruchdesBür-gerkriegsinSyrienimJahre2011einenochdeutlichgrößereAus-reisewelleaus.SeitdemhabensichmehrereHundertSalafistenausDeutschlandjihadistischenOrganisationeninSyrienundIrakange-schlossen.Einigevonihnenwurdendortgetötet,einigevonihnenhaben im Auftrag der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS)SelbstmordanschlägeauchgegenZivilistendurchgeführt.

Diese Auswahl von Beispielenbelegt,welcheverheerendeWir-kung salafistische Propagandain Deutschland ausüben kannund zeigt deutlich, dass einezunehmende Zahl von Anhän-gern militant agiert. Die Ur-sache liegt in der stärker wer- dendengewaltverherrlichendenund volksverhetzenden Propa- gandaeinigersalafistischerPre-

SchwarzesBannermitdemislamischenGlaubensbekenntnis(sog.raya); historischbetrachtetoftinkriegeri-schemKontextverwendetund heutevonJihadisten.

„KampfderKulturen“und„KreuzzugdesWestensgegendenIslam“: DieseBotschaftenwerdeninsalafistischenDiskursenregelmäßigvermittelt.

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Auch zieht die salafistischeLehreselbstmitihrenstren-gen Verhaltensvorschriftenund einfachen Erklärungs-musternaufdieFragen,waserlaubt und verboten, wasgutundschlecht,werFreundundwer Feind ist, nach Ori-entierung suchende Men-schenan.

EinTeilderSalafistenhatsichindenvergangenenJahrenbishinzurBeteiligungamJihad,insbesondereinSyrien,radikalisiert.AuchhieristdieMotivlagemeistdurchWechselwirkungenpersönlicherUmständeundreligiöserundpolitischerArgumentenachsalafis-tischemMuster charakterisiert.Aufder individuellen Ebene sindüberdasBedürfnisnachGemeinschaftserlebnis,Gruppenzugehö-rigkeitundAnerkennunghinausvielfachauchdieFluchtvorAll-tagsproblemeninderHeimatsowieAbenteuerlustausschlagge-bend.HinzukommtbeidenmeistenausgereistenPersonenderWunsch, in einer islamischenUmgebung zu leben, die sie – zu-mindestvorihrerAusreise–indenvonJihadistenkontrolliertenGebietenfürrealisierthalten.

Der letztgenanntePunkt deutet daraufhin, dass die religiöse–ebensowiedie politische–Dimensionnichtgänzlichübersehenwerdensollte.VieleJihad-Beteiligtesindtatsächlichdavonüber-zeugt,durchihrenKampfeinsatz,beispielsweisegegendasAssad-RegimeinSyrienoderNATO-KräfteinAfghanistan,eineGlaubens-pflichtzuerfüllen.SieverweisendabeiaufKoranversewie„Ziehthinaus,leichtundschwer,undsetzteucheinmiteuremGutundeuremLebenaufGottesWeg.“(Sure9,Vers41).ZugleichagierensieinErwartungeinerBelohnungimJenseits,dieineinigenKoran-passagenundHadithenfürGlaubenskämpferinAussichtgestelltwird, z.B. „Wer auf demWegeGottes kämpft, sodanngetötetwirdoder siegt, demwerdenwir reichenLohngeben.“ (Sure4,Vers74).

7. Hintergründe und Ursachen für die Zuwendung zum Salafismus

Ähnlich wie in anderen Phänomenbereichen sind die UrsachenfürdieRadikalisierungauchimBereichdesSalafismusvielschich-tigundindividuellverschieden.Nichtinallen,aberindenmeistenFällenistdieZuwendungzursalafistischenLehreundzusalafisti-schenGruppenResultateinerpersönlichenKrisensituation.

Sie ist oftmals gekennzeichnet durch:• ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Gesell-

schaft,dasaufDiskriminierungserfahrungenoderzumindestsubjektiv wahrgenommener Diskriminierung aufgrund dermuslimischen Religionszugehörigkeit oder der ethnischenHerkunftberuht,

• familiäreProbleme,• SuchenachHalt,OrientierungundLebenssinn–unterUmstän-

denzurÜberwindungvonAlkohol-,Drogensuchtodereinerkri-minellenVergangenheit.

Sowohl bei der Suche nach einer Ersatzgemeinschaft als auchnach klarenRichtlinienundeinfachen Erklärungenhalten sala-fistische Gruppen ein Angebot bereit, das insbesondere orien-tierungslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenenmitunterattraktiverscheint–MännernebensowieFrauen,Geburtsmus-limenebensowieKonvertiten. SalafistenmessenderGemein-schaft von „Brüdern und Schwestern imGlauben“ unabhängigvonethnischerZugehörigkeit,Einkommen,schulischemoderbe-ruflichemErfolgeinenhohenStellenwertbei.Überdiegemein-sameDurchführungreligiöserHandlungenwiedasBetenhinausbietensieunterschiedlicheFreizeit-undGruppenaktivitätenan.Mehrnoch, sie fühlensichdurchgemeinsameÜberzeugungen,StandpunkteundZieleuntereinanderverbunden.DiewachsendeEinbindung ineinesalafistischeGruppegehtoftmiteiner (sichverstärkenden)EntfremdungvondereigenenFamilieundgege-benenfallsdembisherigenFreundeskreiseinher.

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dererseits beschreibt Deradikalisierung Maßnahmen, die daraufabzielen,PersonenoderGruppendazuzubewegenunddabeizuunterstützen,sichausdemextremistischenUmfeldherauszulö-senundextremistischeHandlungenaufzugeben(disengagement)sowieentsprechendeDenkweisenabzulegen.

DiebesteFormderDeradikalisierungistdie(Rück-)GewinnungvonjungenMenschen für dieDemokratie. Toleranz, Respekt gegen-über Andersdenkenden und ziviler Umgangmit Konflikten sindKernkompetenzendermodernenGesellschaft.JungenMenschenmussverdeutlichtwerden,dassdieseausreichendeMöglichkeitenfürdieSelbstentfaltungbietenundmitdemIslamnichtinKonfliktstehen.

ZurerfolgreichenUmsetzungvonDeradikalisierungsmaßnahmenistdieVernetzungvonTeilkompetenzen(zivilgesellschaftlicheAk-teure, Jugendämter, Migrationsbeauftragte, Integrationsminis-teriumundInnenministerium)einewichtigeVoraussetzung.DiesgiltebenfallsfürdieEinbindungmuslimischerPartner.Dieeinzel-nenAkteurekönnenihrejeweiligenErfahrungeninislamischge-prägtenMilieuseinbringenundSynergienentwickeln.

In der Auseinandersetzungmit dem Salafismus bedarf es einerKommunikationsplattform. Qualifizierte Netzwerke sind not-wendig,umantidemokratischesowieextremistischeStimmeninderGesellschaft rechtzeitig zu erkennenund ihnen zielgerichtetmitpassendenInstrumentarienzubegegnen,umdieRadikalisie-rungsspiralezuunterbrechen.

DieAusbildungsolcherNetzwerkeerfordert:• AufklärungundSensibilisierunginZusammenarbeitmit Schulen,• PräventionsprojekteinJugendclubs,• ZusammenarbeitzwischenzivilgesellschaftlichenAkteuren undkommunalenVertretern,• Präventionsprojekteinbetroffenen/potenziellenMilieus,• Aussteigerprogramme,

Ihren Kampfeinsatz betrach-ten Jihadisten zumeistalsVer-teidigung derMuslime und ih-rer Rechte gegen tyrannischeHerrscheroderfremdeMächte.Darüber hinaus handeln sie inder Vorstellung, einen BeitragzurGründungeinerislamischenOrdnung zu leisten. Sofern siesich dem „Islamischen Staat“(IS) anschließen, sind sie garüberzeugt,anderSchaffungei-nes angestrebten islamischenGroßreichesunabhängigvonnationalstaatlichenGrenzenmitzu-wirken. Ob ihr Vorgehen aber tatsächlich der islamischen LehreundPraxisfrühererGenerationenvonMuslimenentspricht,wirdvonihnennichtwirklichreflektiert.

8. Reaktionsmöglichkeiten von Staat und Gesellschaft

Sowohl sicherheitspolitisch relevante Akteure als auch zivilge-sellschaftlicheMultiplikatoren sind heutemehr denn je gefragt,Möglichkeitenzufinden,umdervirulentenHerausforderungdesSalafismuszubegegnenundumdieindieFängedesSalafismusgeratenen Jugendlichen für die Demokratie zurückzugewinnen.Hierbeiistesnotwendig,MaßnahmenfüreinevorausschauendeIntervention in der Frühphase der salafistischen Radikalisierungzuergreifen,StrategienzumUmgangmitbereits radikalisiertenPersonenundzurBegrenzung ihresEinflussesaufandere Indivi-duenzuentwickelnundProgrammezurRehabilitierungvonBe-troffenenundOpfernzuinitiieren.DieseMaßnahmensollendasZielderDeradikalisierungfokussieren.Deradikalisierungisteiner-seitsein individuellerProzess,beidemeine radikalisiertePersonihr Bekenntnis zu extremistischenDenk- undHandlungsweisen,insbesondere zur Befürwortung von Gewalt zur Durchsetzungihrer Ziele, sowie ihr entsprechendes Engagement aufgibt. An-

„Dabiq“,dasOnline-Magazindes„Isla-mischenStaates“(IS),hierdasTitel-blattdererstenAusgabevomJuli2014(„DieRückkehrdesKalifats“)

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DieTatsache,dassnureinTeil der Salafismus-AnhängerGewaltals legitimesMittel für religiöse, gesellschaftliche und politischeVeränderungen betrachtet, macht diese Gruppen nicht mindergefährlich.SieagierenentlangeinerpolarisierendenMischungaustraditionellenVorstellungenundpolitischenAmbitionen.Diesala-fistischeWeltanschauung liefert die argumentativeBegründungauch fürmilitante Jihadisten.Anders formuliert,nicht jederSa-lafismus-Anhänger isteinGewalttäter,allerdings legitimiertderSalafismusund fordert in letzterKonsequenzdengewaltsamenJihad.VondenDenkernderBewegungwerdensoMissionundmi-litanter Kampf als zwei Seiten einerMedaille, als Jihad, gelehrt.DabeiprofitiertdieGruppe–obkampforientiertodermissiona-risch–vonmitunterlegalenStrukturen,diesieinDeutschlandun-terhält.Aufgrund ihrer eindeutigenDemokratiefeindlichkeitunddervonihnenangestrebtenÜberwindungderVerfassungstellensalafistischeBestrebungeninDeutschlandeineernstzunehmendeHerausforderungfürStaatundGesellschaftdar.

• AufbauvonInformationskanälen,• GewinnungvonVertrauenspersonenindenbetroffenen

Gemeindensowie• AusbildungvonGesprächspartnernundMultiplikatoren.

DabeisollteeineDeradikalisierungsstrategievermeiden,ganzereli-giösebzw.ethnischeGruppenzustigmatisierenundalsBestand-teileinerressortübergreifendengesamtgesellschaftlichenVorge-hensweisekonzipiertwerden.ImFalledesSalafismussindMuslimewichtigePartnerderJugendarbeit.

9. Fazit

AnhängerdesSalafismussindMuslime,die für sich inAnspruchnehmen,denWeginsParadieszukennen.DiesalafistischeWelt-anschauungstellteineBedrohungfürdengesellschaftlichenFrie-deninDeutschlanddar.DerenVerbreitungführtzumeistzuMar-ginalisierung, Separatismus und Radikalisierung von Muslimen.DiesalafistischenBotschaftensindintegrationsfeindlichundanti-demokratisch.EswirdmitNachdruckzurAblehnungderdemokratischenRechts-undWerteordnungaufgerufen.

Die Hauptakteure salafistischer Bewegungen vertreten einenmachtpolitischenAnspruch.IhreStrategiensindvielfältigerNatur.DieBewegung teilt sich in Eliteformationen, die aus den „wah-ren“Gläubigenbestehen,undSympathisanten.DieElitensinddieTrägerundVerbreiterderIdeologie.MeistverstehendiesesichalsAvantgarde,diedieMuslimeindasgoldeneZeitalterdesIslamzu-rückführenwird.Dabeigehtesihnenstetsdarum,sichalsErlöserzupräsentieren.

DieSalafistenschaffenes,mit ihrer religiös-totalitärenWeltan-schauung desorientierte Jugendliche zumobilisieren. Salafismussteht fürRückzug, Identitätssuche,dasBeharrenunddieAngstvorvermeintlichenSünden.Erdefiniert„gut“und„böse“, indemereinenvermeintlich„reinen“Islampredigt.

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Mujahid (Plural: Mujahidun, Mujahidin): Glaubenskämpfer (s.auchJihad)

Mushrik (Plural: Mushrikun, Mushrikin): Polytheist (s. auchShirk)

Nashid:religiöser(Sprech)GesangohneinstrumentelleBegleitung;häufigeakustischeUntermalunginVideos,diedenJihadsowieMärtyrerverherrlichen

Rafidi (Plural: Rafida, Rawafid):„Leugner“;abwertendeBezeich-nungfürSchiiten

Scharia:islamischesGesetz

Shahid (Plural: Shuhada):Märtyrer

Shirk:Vielgötterei,Polytheismus;beiSalafistenerweiterteBedeu-tung:BefolgungweltlicherGesetzeanstellederScharia;Gegen-satzbegriffzuTauhid

Taghut: Götze; bei Salafisten Inbegriff des unislamischen unddaher abzulehnenden oder gar zu bekämpfenden Systems ein-schließlichseinerRepräsentanten,InstitutionenundSymbole

Takbir:Ausrufenvon„Allahuakbar“(„Gottistunvergleichlichgroß!“)

Takfir:ErklärungeinesMuslimsodereinermuslimischenGrup-pierung zumUngläubigen (kafir) bzw. zu Ungläubigen; Exkom-munizierung

Tasfiyya: Reinigung der islamischen Religion von unislamischenElementen

Tauhid:Monotheismus;beiSalafistenmiterweiterterBedeutung:AnerkennungGottesalseinzigenGesetzgeberundBefehlshaber(GegensatzbegriffzuShirk)

10. Anhang

Zentrale Begriffe im Sprachgebrauch von Salafisten

Die nachstehenden Begriffe sind größtenteils allgemeiner Be-standteilder islamischenTerminologie, siewerdenabervonSa-lafisteninflationärverwendet.DarüberhinauserfahreneinigederBegriffebeiihneneineerweitertebzw.zugespitzteBedeutung.

Ahl al-sunna wal-jama‘a:AnhängerderProphetentraditionundderGemeinschaft;SelbstbezeichnungvonSalafisten

Al-salaf al-salih:dierechtschaffenenAltvorderen,d.h.dieerstenGenerationenvonMuslimen;RollenmodellfürgläubigeMuslime,ganzbesondersfürSalafisten

Al-wala‘ wa-l-bara‘:Loyalität(gegenüberGottunddengläubigenMuslimen)undLossagung(vomUnglaubenundvondenUngläubigen)

Bid‘a:(unerlaubtereligiöse)Neuerung

Da‘wa:Aufrufbzw.Einladung(zumIslam);sinngemäß:Missionie-rung,Propaganda

Iman:Glaube(GegenbegriffzuKufr)

Janna:Paradies

Jahannam:Hölle

Jihad:Einsatzbzw.KampfaufdemWegGottesbzw.fürGott

Kafir (Plural:Kuffar):Ungläubiger;salafistischeStandardbezeich-nungfürNichtmuslime(s.auchtakfir)

Kufr:Unglaube

Manhaj:Lebensweise,Praxis

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ZudenAufgabenderBeratungsstellezählendieBeratungvonAn-gehörigenundFreundenausdemUmfeldRadikalisierter,dieBe-ratungundDeradikalisierungvonRadikalisiertenineinemfrühenStadiumundAusstiegshilfenz.B.fürSyrienrückkehrer.

„Beratungsstelle Radikalisierung“ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)Telefon: 0911/9434343•E-Mail:[email protected] www.bamf.de/beratungsstelleDie „Beratungsstelle Radikalisierung“ versteht sich als ein Bera-tungsangebot fürAngehörigeundweitereUmfeldpersonenvonsichradikalisierendenjungenMuslimen.

Ministerium des Innern, für Sport und InfrastrukturAbteilung VerfassungsschutzTelefon: 06131/163567•E-Mail:[email protected]: 06131/16173567Hinweise über extremistische und sicherheitsgefährdende Be-strebungenoderindividuelleRadikalisierungserscheinungenwer-den vom rheinland-pfälzischenVerfassungsschutz entgegenge-nommenundvertraulichbearbeitet.

Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM)Telefon: 0228/376631•E-Mail:[email protected] www.bundespruefstelle.deDieBPjMprüfteinschlägigePublikationen,SchriftenundMedienaufjugendgefährdendeInhalteundindiziertdiesegegebenenfalls.DiesogenannteIndex-ListekannbeiderBPjMangefordertwerden.

jugendschutz.netE-Mail: [email protected] www.jugendschutz.net/hotlineDie von den Jugendministerien gegründete länderübergreifendeStellehatdieAufgabe,fürdieEinhaltungdesJugendschutzesimInternetzusorgen.ProblematischeInhalteimNetzkönnenanjugendschutz.netgemeldetwerden.

Weiterführende Literatur zur Thematik

Buchta, Wilfried: Terror vor Europas Toren. Der Islamische Staat, Iraks Zerfall und Amerikas Ohnmacht.CampusVerlag.FrankfurtamMain,NewYork2015.

Ceylan, Rauf; Jokisch Benjamin (Hg.): Salafismus in Deutschland: Entstehung, Radikalisierung und Prävention. PeterLangVerlag.FrankfurtamMainu.a.2014.

Dantschke, Claudia; Mansour, Ahmad; Müller, Jochen; Serbest, Yasemin: „Ich lebe nur für Allah“. Argumente und Anziehungskraft des Salafismus. EineHandreichungfürPädagogik,JugendundSozialarbeit,Fa-milienundPolitik.SchriftenreiheZentrumDemokratischeKultur2011.

Said, Behnam T. und Fouad, Hazim (Hg.): Salafismus. Auf der Suche nach dem wahren Islam.VerlagHerderGmbH.FreiburgimBreisgau2014.

Schneiders, Thorsten Gerald (Hg.): Salafismus in Deutsch-land. Ursprünge und Gefahren einer islamisch-fundamen- talistischen Bewegung.TranscriptVerlag.Bielefeld2014.

Steinberg, Guido: Kalifat des Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror.VerlagKnaurTB.München2015.

Informations-, Hilfs- und Beratungsangebote

„Beratungssstelle zur Verhinderung islamistischer Radikalisie-rung und einzelfallbezogener Intervention“ Rheinland-PfalzImFrühjahr2016wirdinRheinland-Pfalzdie„BeratungsstellezurVerhinderung islamistischerRadikalisierungundeinzelfallbezoge-nerIntervention“ihreArbeitaufnehmen.

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Herausgeber:

MINISTERIUMDESINNERN,FÜRSPORTUNDINFRASTRUKTURRHEINLAND-PFALZ

LeitstelleKriminalprävention

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