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Von Sabina Dannoura Freising/Wien – Kunst beflügelt die See- le – und die Phantasie. Ein Bild ist des- halb nie objektiv zu erfassen: Abseits ei- ner harten Analyse über die angewand- ten Maltechniken erzählt ein Gemälde je- dem Betrachter eine andere Geschichte. Fahrzeugkolonnen auf einer Autobahn, Stoßstange an Stoßstange, zeigen für den einen ein Abbild unserer modernen Zeit, in der Menschen ständig in Bewegung sind. Symbol für unserer rastloses Da- sein? Aus einem anderen Blickwinkel wird in eben dieser Inszenierung Isola- tion sichtbar: Menschen, voneinander ab- geschirmt in ihren Blechkisten, einsam in der Masse. Die Künstlerin dieses Ge- mäldes, Sallie McIlheran-Wunner, sagt: „Mich fasziniert die Bewegung.“ Eine ganze Serie hat sie dem Tempo unseres Alltags gewidmet. In Bewegung ist auch ihre Kunst. Die Meisterschülerin des Wie- ner Professors Wolfgang Hutter, der dem Kreis der phantastischen Realisten ange- hört, hat sich von der traditionellen Fili- granarbeit frei gemacht, mutig und ent- schlossen trägt sie satte Farben mit brei- tem Pinselstrich auf und lässt auf der Leinwand Lichtreflexe leuchten. Doch nicht Freising, wo die 1968 in Te- xas geborene Sallie McIlheran seit 15 Jah- ren lebt, ist Schauplatz für die Präsenta- tion dieser außergewöhnlichen Werke: In Wien, der Stadt, in der sie die hohe Kunst der klassischen Malerei erlernte, gibt sie einen Einblick in ihr vielschichtiges Schaffen: Die Galerie „base-level“, di- rekt am Rudolfsplatz im 1. Bezirk gele- gen, gibt ihrer „Traffic“-Serie – Bilder von Autobahnen, Bauarbeiten, Gestalten auf Fahrrädern – ebenso wie ihren surrea- len Bildwelten und meisterlichen Por- träts den passenden Raum. Hier, in der Kulturmetropole, lebt ihr Mentor Heinz P. Adamek, früher Direktor der Hoch- schule für angewandte Kunst. Er schätzt die künstlerische Potenz von Sallie McIl- heran, ihre virtuose Malkunst. Und er kann wie kaum ein anderer die Entwick- lung hin zu einem eigenen Stil der zierli- chen Künstlerin nachzeichnen. Den Gästen der Vernissage, die in der vergangenen Woche auch aus Freising zahlreich in die Galerieräume strömten, erzählt er von McIlherans Anfangsjah- ren, als sie in der Tradition der fantasti- schen Realisten verhaftet gewesen sei. Die Ausstellung zeigt auch aktuelle Bei- spiele für diese Strömung, die sich an der technischen Perfektion der Alten Meister orientiert. Eindrucksvoll repräsentiert das Bild „Arboretum“ diese filigrane Malweise: Baumgerippe verweben sich zu Gebäuden, Toren, Gebirgsmassiven. In ihrer zweiten künstlerischen Phase geht die Freisingerin einen Schritt wei- ter, sie verfremdet Gesichter, die mal aus Wurzeln bestehen oder denen Muscheln entwachsen. Wie Karikaturen wirken die phantastisch-unwirklichen Kreaturen. Hauptwerk der Ausstellung bilden al- lerdings die Exponate, in denen sie zu Farben greift und ihre Freude an Bewe- gung in Szene setzt. „Ich male auch oft Porträts und Menschen in Bewegung – beim Gehen, beim Besuch eines Lokals. Bewegung fasziniert mich. Das wollte ich zeichnerisch ausdrücken“, erklärt McIlheran selber ihr Faible. Tatsächlich haben ihre Autokolonnen nichts stati- sches, dank raffinierter Schattierungen scheint man einen Stummfilm zu sehen. „Diese dichten Darstellungen bergen gleichzeitig Poesie, sind subtile Balladen der Bewegung, vom Woher und Wohin, vom Wo und Warum“, bemerkt Heinz P. Adamek treffend. Die farbintensiven, manchmal pastelli- gen Bilder von Gestalten auf Fahrrädern erzählen von der Leichtigkeit des Dahin- eilens, von flüchtigen Begegnungen. Die- se Augenblicke, die McIlheran so virtuos einfängt, zeigen indes nicht den Höhe- punkt, den entscheidenden Moment: Ihr „Asphalt Cowboy“ kreuzt den Weg eines Taxis, doch ob es zum Zusammenstoß kommt, bleibt offen. Der Betrachter muss – in seiner Phantasie – also den letz- ten Schritt gehen und wird dabei zu ei- nem Teil der Kunstwerke von Sallie McIl- heran. Deren künstlerische Reise führte in den vergangenen Jahren in alle Welt – in Texas hat sie sich seit 2006 in jedem Jahr präsentiert. Und nun Wien. Warum ist sie in ihrer Wahlheimat seit 2003 mit kei- ner Ausstellung mehr vertreten gewesen? Trifft auf sie der Spruch zu, der Prophet gelte nichts im eigenen Land? „Meine letzte Ausstellung in Freising war toll und hat mir Kraft gegeben, meinen eige- nen Weg zu gehen und mich woanders zu zeigen“, erklärt sie ihre Abstinenz. Nun hat sie aber durchaus wieder Lust, ihre Bilder den Freisingern zu zeigen. Wer so- lange nicht warten möchte: Die Ausstel- lung in Wien ist noch bis Samstag, 13. No- vember zu sehen, weitere Informationen im Internet (www.base-level.com). Stummfilm auf Leinwand Die Freisinger Malerin Sallie McIlheran-Wunner präsentiert ihre kraftvollen Werke in Wien Bewegung fasziniert Sallie McIlheran-Wunner – auch auf der Autobahn. Die Frei- singer Künstlerin zeigt ihre Werke momentan in Wien. sda/Foto: Dannoura SZ-Landkreisausgaben - Süddeutsche Zeitung Donnerstag, 28. Oktober 2010

Salle McIlheran

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Von Sabina Dannoura

Freising/Wien – Kunst beflügelt die See-le – und die Phantasie. Ein Bild ist des-halb nie objektiv zu erfassen: Abseits ei-ner harten Analyse über die angewand-ten Maltechniken erzählt ein Gemälde je-dem Betrachter eine andere Geschichte.Fahrzeugkolonnen auf einer Autobahn,Stoßstange an Stoßstange, zeigen für deneinen ein Abbild unserer modernen Zeit,in der Menschen ständig in Bewegungsind. Symbol für unserer rastloses Da-sein? Aus einem anderen Blickwinkelwird in eben dieser Inszenierung Isola-tion sichtbar: Menschen, voneinander ab-geschirmt in ihren Blechkisten, einsamin der Masse. Die Künstlerin dieses Ge-

mäldes, Sallie McIlheran-Wunner, sagt:„Mich fasziniert die Bewegung.“ Eineganze Serie hat sie dem Tempo unseresAlltags gewidmet. In Bewegung ist auchihre Kunst. Die Meisterschülerin des Wie-ner Professors Wolfgang Hutter, der demKreis der phantastischen Realisten ange-hört, hat sich von der traditionellen Fili-granarbeit frei gemacht, mutig und ent-schlossen trägt sie satte Farben mit brei-tem Pinselstrich auf und lässt auf derLeinwand Lichtreflexe leuchten.

Doch nicht Freising, wo die 1968 in Te-xas geborene Sallie McIlheran seit 15 Jah-ren lebt, ist Schauplatz für die Präsenta-tion dieser außergewöhnlichen Werke: InWien, der Stadt, in der sie die hohe Kunstder klassischen Malerei erlernte, gibt sie

einen Einblick in ihr vielschichtigesSchaffen: Die Galerie „base-level“, di-rekt am Rudolfsplatz im 1. Bezirk gele-gen, gibt ihrer „Traffic“-Serie – Bildervon Autobahnen, Bauarbeiten, Gestaltenauf Fahrrädern – ebenso wie ihren surrea-len Bildwelten und meisterlichen Por-träts den passenden Raum. Hier, in derKulturmetropole, lebt ihr Mentor HeinzP. Adamek, früher Direktor der Hoch-schule für angewandte Kunst. Er schätztdie künstlerische Potenz von Sallie McIl-heran, ihre virtuose Malkunst. Und erkann wie kaum ein anderer die Entwick-lung hin zu einem eigenen Stil der zierli-chen Künstlerin nachzeichnen.

Den Gästen der Vernissage, die in dervergangenen Woche auch aus Freisingzahlreich in die Galerieräume strömten,erzählt er von McIlherans Anfangsjah-ren, als sie in der Tradition der fantasti-schen Realisten verhaftet gewesen sei.Die Ausstellung zeigt auch aktuelle Bei-spiele für diese Strömung, die sich an dertechnischen Perfektion der Alten Meisterorientiert. Eindrucksvoll repräsentiertdas Bild „Arboretum“ diese filigraneMalweise: Baumgerippe verweben sichzu Gebäuden, Toren, Gebirgsmassiven.In ihrer zweiten künstlerischen Phasegeht die Freisingerin einen Schritt wei-ter, sie verfremdet Gesichter, die mal ausWurzeln bestehen oder denen Muschelnentwachsen. Wie Karikaturen wirken diephantastisch-unwirklichen Kreaturen.

Hauptwerk der Ausstellung bilden al-lerdings die Exponate, in denen sie zuFarben greift und ihre Freude an Bewe-gung in Szene setzt. „Ich male auch oftPorträts und Menschen in Bewegung –beim Gehen, beim Besuch eines Lokals.Bewegung fasziniert mich. Das wollte

ich zeichnerisch ausdrücken“, erklärtMcIlheran selber ihr Faible. Tatsächlichhaben ihre Autokolonnen nichts stati-sches, dank raffinierter Schattierungenscheint man einen Stummfilm zu sehen.„Diese dichten Darstellungen bergengleichzeitig Poesie, sind subtile Balladender Bewegung, vom Woher und Wohin,vom Wo und Warum“, bemerkt Heinz P.Adamek treffend.

Die farbintensiven, manchmal pastelli-gen Bilder von Gestalten auf Fahrrädernerzählen von der Leichtigkeit des Dahin-eilens, von flüchtigen Begegnungen. Die-se Augenblicke, die McIlheran so virtuoseinfängt, zeigen indes nicht den Höhe-punkt, den entscheidenden Moment: Ihr„Asphalt Cowboy“ kreuzt den Weg einesTaxis, doch ob es zum Zusammenstoßkommt, bleibt offen. Der Betrachtermuss – in seiner Phantasie – also den letz-ten Schritt gehen und wird dabei zu ei-nem Teil der Kunstwerke von Sallie McIl-heran.

Deren künstlerische Reise führte inden vergangenen Jahren in alle Welt – inTexas hat sie sich seit 2006 in jedem Jahrpräsentiert. Und nun Wien. Warum istsie in ihrer Wahlheimat seit 2003 mit kei-ner Ausstellung mehr vertreten gewesen?Trifft auf sie der Spruch zu, der Prophetgelte nichts im eigenen Land? „Meineletzte Ausstellung in Freising war tollund hat mir Kraft gegeben, meinen eige-nen Weg zu gehen und mich woanders zuzeigen“, erklärt sie ihre Abstinenz. Nunhat sie aber durchaus wieder Lust, ihreBilder den Freisingern zu zeigen. Wer so-lange nicht warten möchte: Die Ausstel-lung in Wien ist noch bis Samstag, 13. No-vember zu sehen, weitere Informationenim Internet (www.base-level.com).

Stummfilm auf LeinwandDie Freisinger Malerin Sallie McIlheran-Wunner präsentiert ihre kraftvollen Werke in Wien

Bewegung fasziniert Sallie McIlheran-Wunner – auch auf der Autobahn. Die Frei-singer Künstlerin zeigt ihre Werke momentan in Wien. sda/Foto: Dannoura

SZ-Landkreisausgaben - Süddeutsche Zeitung Donnerstag, 28. Oktober 2010