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28. März 2019 532 Berliner Gropius Bau renoviert MEHR LICHT SCHATTEN DER VERGANGENHEIT ROGER EL AKOURY, YOUSSEF TOHME UND DAS MARE IN BUKAREST Das Querformat für Architekten

SCHATTEN DER R - BauNetz Stefano Graziani, der seit vielen Jahren mit Emanuel Christ und Christoph Gantenbein zusammenarbeitet. Bis 20. April Seit den 1990er-Jahren sind in Berlin-

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28. März 2019

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Berliner Gropius Bau

renoviert

MEHR

LICHTSCHATTEN DER VERGANGENHEITROGER EL AKOURY, YOUSSEF TOHME UND DAS MARE IN BUKAREST

Das Querformat für Architekten

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6 Schatten der Vergangenheit Roger El Akoury, Youssef Tohme und das MARe in Bukarest

Von Florian Heilmeyer

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Die Geschichte des privaten Kunstmuseums MARe in Bukarest erzählt von Bürgerkrieg, Globalisie-rung, vergangenen Diktaturen und zeitgenössischer Kunst. All das hat zu einem seltsamen, schwar-zen Gebäude voller verwinkelter Räume geführt. Eine wunderbare Architektur also, denn in ihr wird eine Geschichte sichtbar, wie sie nur unsere Gegenwart zu schreiben vermag.

28 Bild der Woche

3 Architekturwoche

4 News

Titel: Das MARe in Bukarest, Foto: Toufic Dagher

oben: Kunstwerk aus der MARe-Sammlung: Happy Dogs

von Suzana Dan (2006)

BauNetz Media GmbH

Geschäftsführer: Dirk Schöning

Chefredaktion: Friederike Meyer

Gestaltung / Artdirektion : Natascha Schuler

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Die Debatte um das vom Vandalismus gezeichnete ostmoderne Terrassenrestau-rant Minsk auf dem Potsdamer Brauhausberg währt seit Jahren. Noch vor einem Jahr schien der Abriss unmittelbar bevor zu stehen. Jetzt kommt eine sensationelle Nachricht aus der Stadt, die mit Nachkriegsbauten alles andere als zimperlich umgeht: Die Stiftung des Software-Unternehmers Hasso Plattner, die auch den Bau des Barberini am Alten Markt in Potsdam finanzierte, will den Bau kaufen, sanieren und darin ein Museum für DDR-Kunst einrichten. 20 Millionen habe die Stiftung der Stadt geboten, hieß es im Kreis der Potsdamer Stadtverordneten. fm

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Foto: (re)vive Minsk

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NEWS

Für die Ausstellung „Atlas of Utopias“ im Frac Centre-Val de Loire in Orléans hat die Institution ihre Sammlung unter dem Schlagwort „radikale Architektur“ durchforstet. So sind ab 2. April urbane Visionen von über 25 Künstlern und Architekten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sehen, die die moderne Stadt kritisch untersuchen. Mit dabei sind unter anderem Arbeiten von Raimund Abraham, Günter Feuer-stein, Walter Pichler, Paolo Soleri und Madelon Vriesendorp. Zeitweise weit entfernt von der Realität versuchen sie, die Gewissheit der klassischen Moderne zu erschüttern und das Verständnis von Städten und Wohnraum neu zu denken. Bis 11. September

http://www.frac-centre.fr

ATLAS OF UTOPIAS AUSSTELLUNG IN ORLÉANS

Auf Einladung der Japan Swiss Ar-chitectural Association - JSAA und in Zusammenarbeit mit der Schweizeri-schen Botschaft stellt das Schweizer Büro Christ & Gantenbein erstmals in Japan aus. Die Schau unter dem Titel „The Last Act of Design“, die bereits zuvor in Tokio zu sehen war und am 4. April im Museum and Archives, Kyoto Institute of Technology eröffnet wird, zeigt ausgewählte Projekte des Büros in Modellen, eigens bearbeiteten Projektzeichnungen und Fotos. Letztere stammen vom italienischen Künstler Stefano Graziani, der seit vielen Jahren mit Emanuel Christ und Christoph Gantenbein zusammenarbeitet. Bis 20. April

www.js-aa.org

Seit den 1990er-Jahren sind in Berlin-Adlershof zahlreiche Bauten für Wis-senschaft und Technologie entstanden. Nun kommen vermehrt Wohnhäuser hinzu. Für Studierende auf Zimmer-suche bietet der Stadtteil ein Studen-tendorf und jetzt das Medienfenster Adlershof. Das von Thomas Müller Ivan Reinmann Architekten entworfene Gebäude setzt sich aus zwei Baukörpern zusammen: einem Turm und einem Riegel. Hinter seiner Klinkerfassade beherbergt es 153 Apartments. Einst befand sich hier das Sendezentrum des DDR-Fernsehens – erhalten blieb das ehemalige Film- und TV-Studio S5, heute ein Theater und über einen Durchgang im Neubau sichtbar.

www.baunetzwissen.de/gesund-bauen

THE LAST ACT OF DESIGN AUSSTELLUNG IN TOKIO

BAUNETZ WISSEN ADLERSHOF ZUM WOHNEN

Mario Bottas Gesamtwerk ist inzwi-schen so umfangreich, da fällt es nicht schwer eine Ausstellung zu einem eigenen Thema zusammen zu tragen. So sind es 22 Sakralbauten des 1943 in Mendrisio geborenen Tessiner Archi-tekten, die derzeit im Wiener Ausstel-lungszentrum am Ringturm zu sehen sind. Sie reichen von der kleinen Kapelle im Schweizer Tessin aus dem Jahr 1966 über die Cymbalista-Synagoge und das jüdische Kulturzentrum in Tel Aviv, die 1998 fertig wurde, bis hin zur Kapelle des Heiligen Franziskus in Sorgeno-Lu-gano, die erst kürzlich eröffnet wurde. Zudem erscheint ein Katalog, herausge-geben von Adolph Stiller.Bis 31. Mai

www.wst-versicherungsverein.at

SAKRALE RÄUME AUSSTELLUNG IN WIEN

Angela Hareiter, Ansicht, 1965Coll. Frac Centre-Val de Loire

Foto: Stefano Graziani Foto: Stefan MüllerGranatkapelle, Penkenjoch, Zillertal, Österreich (2011 – 2013), Foto: Mario Krupik

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VON FLORIAN HEILMEYER

Ende 2018 wurde in Bukarest ein kleines Privatmuseum eröffnet, das MARe. Es steht für Muzeul de Arta Recenta, Museum der jüngsten Kunst, und es möchte sich genau dem widmen: der jüngeren Kunst Rumäniens. Wobei die Definition ziemlich lose ist. Es ist die private Sammlung des libanesischen Geschäftsmannes Roger Akoury, von ihm wird später noch die Rede sein, er besitzt über 500 Werke rumänischer Künstler seit 1945, ein Schwerpunkt liegt aber auf rumänischer Kunst nach 1965, dem Jahr, in dem ein kurzer politischer Frühling Nicolae Ceaușescu an die Macht brachte. Akourys Sammlung zeigt Strömungen, die in Vergessenheit geraten sind und in den aktuellen Debatten in Rumänien eine geringe und im Ausland gar keine Rolle spielen. So beschreibt es der neue Museumsdirektor, der rumänische Kunsthistoriker und Philosoph Erwin Kessler. Er sagt auch, das MARe sei das erste private Kunstmuseum Rumäniens seit über 100 Jahren. 1910 wur-de zuletzt das Simu Museum des Sammlers Anastase Simu in Form eines griechischen Tempels eröffnet. Das kommunistische Regime ließ es 1964 abreißen, seine Sammlung wurde verstaatlicht.

SCHATTEN DER VERGANGENHEIT

ROGER EL AKOURY, YOUSSEF TOHME UND DAS MARE IN BU-KAREST

Foto: Cosmin Dragomir

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WOHNHAUS DER MÄCHTIGSTEN FRAU DER WELT

Es ist ein seltsames Haus, in dem das MARe eröffnet wurde. Wie ein schwarzer Schatten sitzt ein verwinkeltes Backsteingebilde auf einem Erdgeschoss aus Glas. Es steht auf einem Eckgrundstück, wo die Strada Helesteului den breiten Bulevardul Primāverii trifft. Ein paar hundert Meter weiter liegt der Palatul Primāverii, die luxuriöse Villa des 1989 hingerichteten Ceaușescu, seit 2016 ebenfalls ein Museum. Primāverii, das heißt auf Rumänisch Frühling und es ist ebenso bezeichnend wie bizarr, dass

Foto: Cosmin Dragomir, Rechts: MARe Archiv

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gerade dieser Stadtteil so heißt. Natürlich, hier ist es grün und luftig, eine sehr gute Gegend in der rumänischen Hauptstadt mit vielen freistehenden Villen auf großen Grundstücken und nahe am See Floreasca. Als es der Ceaușescu-Diktatur besonders gut ging allerdings, war „Frühling“ das für normale Bürger nicht zugängliche Villen- und Diplomatenviertel.

Foto: Cosmin Dragomir

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Foto: Cosmin Dragomir

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An der Stelle also, an der nun das MARe rumänische Kunst zeigt, stand seit 1939 ein unscheinbares Wohnhaus, entworfen vom Architekten Oktav Doicescu. 1948 wur-de es von der kommunistischen Partei konfisziert und an Ana Pauker vergeben, eine Hardlinerin im „Moskauer Flügel“ der Kommunistischen Partei Rumäniens. Sie war eine treue Stalinistin und ab 1947 rumänische Außenministerin. Das TIME Magazin nannte sie 1948 „the most powerful woman alive“, nur sollte das nicht lange halten. Schon 1952 fiel sie in Ungnade und wurde wohl auf Stalins Geheiß entmachtet. Ins Gefängnis musste sie allerdings nur sehr kurz, danach stand sie bis zu ihrem Tod 1960 in ihrem eigenen Haus unter Arrest. Anschließend ist niemand mehr so richtig heimisch geworden in dem Haus, trotz der begehrten Lage stand es oft leer, verfiel zusehends und verschwand zugleich hinter den dicht gewachsenen Bäumen an der Straße. Als ob ein Schatten auf ihm liege.

Fotos: Cosmin Dragomir

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Bis Roger El Akoury kam, ein gebürtiger Libanese und umtriebiger Geschäftsmann. 1995 war er erstmals in Bukarest, eine private Reise erzählt er, aus der dann eine Geschäftsbeziehung wurde. Im bürgerkriegszerstörten und ständig kriegsbedrohten Libanon war es schwer, Geschäfte zu machen. Akoury fand neue Möglichkeiten im post-totalitären Bukarest, das sich gerade ganz nach Westen öffnete. Gemeinsam mit drei Partnern gründete er eine Apothekenkette und führte das Medikament Paraceta-mol ein, was ihnen schnellen Erfolg sicherte. Die Kette hat heute über 700 Filialen im ganzen Land, als Akoury 2016 seine Anteile verkaufte, hatte er sich längst anderen In-teressen gewidmet: der jüngeren Kunst Rumäniens. 2012 kaufte er sein erstes Werk, den Plan einer Sammlung gab es da noch nicht, aber er hatte auch schon in Libanon die zeitgenössische Kunst gesammelt und war ein Mitgründer des „KA – Modern and Contemporary Art Space“ in Beirut. Nun wollte er in Bukarest etwas Ähnliches auf-bauen. Die leerstehende Pauker-Villa hatte er schon fünf Jahre zuvor erworben, ohne eine konkrete Idee damit zu verfolgen. Nun kam beides zusammen.

Querschnitt und Grundriss 1. Obergeschoss: Youssef Tohme Architects and Associates

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Foto: Cosmin Dragomir

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Foto: Cosmin Dragomir

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RUMÄNIENS VERGANGENHEIT ALS SCHWARZES LABYRINTH

Nach einem Architekten musste Akoury nicht lange suchen; 2008 hatte er seinem alten Schulfreund Youssef Tohme geholfen, ein eigenes Architekturbüro in Beirut zu gründen. Tohme ist in den letzten zehn Jahren zu einem der wichtigsten Architekten in Libanon geworden. 2013 sitzen Akoury und Tohme erstmals zusammen, um über das MARe nachzudenken. Ursprünglich soll das alte Eckhaus dafür umgebaut wer-den, aber nach einer gründlichen Untersuchung der Bausubstanz war klar, dass es einen Neubau brauchen würde. Um aber die Vergangenheit mit ihren Schatten nicht auszuradieren, wie es in Bukarest gerade mit Hinterlassenschaften der Ceauscescu-Zeit so häufig geschieht, entschieden sich der Architekt und der Unternehmer für eine

Kunstwerk aus der Sammlung des MARe: Dumitru Gorzo: The Third Sex (2004), Links: Toufic Dagher

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originalgetreue Kopie des alten Hauses. Sie sollte nach einem genauen Aufmaß in schwarzem Beton entstehen, ein Plan, der ein bisschen an die abstrakten Skulpturen von Rachel Whiteread erinnert. Jedoch stellte sich nach ein paar Versuchen heraus, dass Sichtbeton in der gewünschten Qualität in Bukarest nicht zu bekommen war. Also wechselte der Architekt das Material: aus Beton wurde Backstein, damit kann-ten sich die Arbeiter aus. Die schwarze Skulptur wirkt so vielleicht sogar noch etwas schwerer und eigenartiger.

Eine weitere Idee entstand: Das Haus hätte sowieso um eine Etage erhöht werden sollen, der Abriss öffnete nun eine neue Möglichkeit. Anstatt die neue Etage auf das schwarze Haus zu setzen, wurde sie als vollverglastes Erdgeschoss darunter gescho-ben. So bekam das schwarze Gespenst eine einladend offene Eingangszone, einseh-bar und hell mit vier Metern lichter Höhe. Das schwarze Haus hingegen entstand als vollständig geschlossener Körper, die alten Fensteröffnungen wurden zugemauert. Es ist eine Architektur, deren Symbolik wenig subtil daherkommt: die schwere, schwarze Vergangenheit Rumäniens zu stemmen, das ist ganz offensichtlich ein enormer Kraft-akt.

Kunstwerk: Self-Portrait at 30 von Mircea Roman (1988), Foto: Alexandru Paul, Foto links: Cosmin Dragomir

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Dieses Gewicht, das beim Betreten über den Besuchern hängt, wird auch im weite-ren Rundgang nicht leichter. Denn wer erwartet, dass die zwei einläufigen Treppen, die aus dem Foyer nach oben führen, in leichte, helle Ausstellungsetagen münden würden, sieht sich getäuscht. Das äußere Schwarz setzt sich in den Treppenhäusern und im Atrium fort, lediglich die Ausstellungsräume sind teilweise in einem cremigen Weiß gestrichen. Das hilft beim Gang durch das verwinkelte, fensterlose Innere wenig. Nur der Blick ins Atrium gibt ein wenig Orientierung, auch, weil man so immer wieder ausschnittsweise andere Besucher beim Rundgang zu sehen bekommt. Unwillkür-lich kommen einem Fluchtgedanken. Wie viele Menschen passen hier wohl hinein? Kontrolliert das jemand irgend jemand am Eingang? Wie weit ist es bis zum nächsten Ausgang? Ein Aufatmen folgt erst am Ende, wenn man, hinter dem Bereich für die Wechselausstellung im dritten Stock, hinaus auf die Dachterrasse tritt und über die Nachbarschaft auf die Stadt blickt. Hier ist Platz und Luft und wer jetzt will oder muss, der kann beim Blick über Bukarest an die jüngste Vergangenheit des Landes denken. Oder an die Kunst. Oder einfach nur in den Himmel schauen. Wenn man dann jedoch wieder ins Gebäude zurück geht, hält man fast unwillkürlich die Luft an.

Diet Sayler: Constructions for Tomorrow, (1969), Blick in die Ausstellung: Cosmin Dragomir

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MUSEUM UND MAHNMAL

Noch etwas dramatischer wird es im Keller. Dort lag der private Bunker, den sich wohl Ana Pauker hatte einbauen lassen, sowie ein begonnener Tunnel, der im Nichts endet. In die dicken Bunkerwände wurde nun das Auditorium gefügt, den Rest der Kellerräu-me füllen Technik- und Nebenräume, Toiletten und Schließfächer. Man kann diesen Neubau also durchaus etwas zu pädagogisch finden: Achtung, sie sehen rumänische Kunst aus einer dunklen Zeit der allseitigen Bedrohung und Verunsicherung, der Überwachung und der Fluchtgedanken. Die Mischung aus Museum und historischem

Foto oben: Das alte Haus vor dem Abriss: MARe Archiv; Rechts und nächste Seite: Cos-min Dragomir

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Mahnmal mag Berliner an Christian Boros’ privates Bunker-Museum in Berlin-Mitte er-innern – oder an das Jüdische Museum mit Libeskinds etwas zu pathetischen „Voids“ und der unterirdischen Achse des Holocaust, die im leeren „Voided Void“ endet. Es sind Gebäude, in denen sich die Besucherführung mit der Bedeutung ihrer architek-tonischen Konzeption arrangieren muss. Andererseits: Muss immer alles einfach und glatt sein? Das ist irgendwie auch keine Lösung.

Die Architektur des MARe darf also gerne polarisieren und zur Diskussion anregen: Kann das Licht der Kunst die Schatten der düsteren Vergangenheit vertreiben? Ist vielleicht genau diese Debatte das Beste, was dem Diskurs in Rumänien passieren kann; dass er offen und lebendig bleibt, damit sich die heutige Gesellschaft ihrer Herkunft bewusst wird, oder bleibt. Dass es in Bukarest nun einen privat geschaffe-nen Ort gibt, der zu diesen Gedanken anregt und mit einer attraktiven Sammlung und

internationalen Wechselausstellungen viel und vor allem junges Publikum anlockt (alleine am Eröffnungswochenende kamen 2.000 Besucher), verweist nicht zuletzt auf ein offensichtliches Versäumnis der staatlichen Museen. Dass es außerdem noch ein Libanese war, der aufgrund des Bürgerkrieges nach Rumänien ausweichen musste, dort nicht nur Geld verdiente sondern auch eine neue Heimat fand, worauf er sich durch die junge Kunst mit der Kultur seiner Wahlheimat zu beschäftigen begann, um diese dann als „Geschenk“ (Akoury) zusammen mit einem waghalsig gestalteten Kunstmuseum der rumänischen Öffentlichkeit zurück zu geben – das ist eine so waghalsige Geschichte von Krieg, Globalisierung, vergangenen Diktaturen und zeitgenössischer Kunst, wie sie nur unsere Gegenwart zu schreiben vermag. Die Architektur ist letztlich nur der Kondensator, der gleich mehre-re unglaubliche Geschichten sichtbar macht. Über die formale Qualität der Architektur mag man unterschiedlicher Ansicht sein. Aber wenn in ihr eine solche Gegenwartskomplexität greifbar wird, dann hat sie sich selbst mehr als gerechtfertigt. Insofern ist das MARe in Bukarest eine ausgesprochen intelligente Heraus-forderung.

Wechselausstellung bis 2. Mai 2019: „Martin Creed in Bucharest: Thinking/Not Thinking“MARe Muzeul de Arta Recenta, Primaverii Boulevard No. 15, Bukarest, www.mare.ro

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Youssef Tohme Architects wurde 2008 von Youssef Tohme und Roger El Akoury gegründet. Akourys Rolle im Büro wird als „stiller Partner“ beschrieben; das MARe ist das erste Projekt, in das er sich selbst als „aktiver Bauherr“ einge-bracht hat. Tohme ist ein Absolvent der École d’architecture in Paris-Villemin, nach seinem Abschluss 1997 arbeitete er bis 2006 in mehreren Pariser Büros, darunter auch bei Jean Nouvel. Für die Gründung seines eigenen Büros zieht es ihn zurück nach Beirut, von wo er Projekte vor allem in Libanon und Frankreich entwirft. Sein bis dato bekanntester Entwurf ist der Teil-Campus für die Fachbereiche Sport und Wirtschaft der Université de Saint-Joseph in Beirut. Es ist eine von Jesuiten gegründete Hochschule, deren Unterricht auf Französisch und Arabisch stattfindet und die mit 12.000 Student-en eine der wichtigsten Hochschulen im Nahen Osten geworden ist. Das Projekt entwickelte Tohme gemeinsam mit 109 architectes schon seit 2005, es war der Startschuss für sein eigenes Büro. Seitdem hat er vor allem einige der schön-sten und aufwändigsten Villen in die Steilhänge rings um Beirut gegossen. Zum Glück zeichnet sich aber mit aktuellen Projekten wie dem Disaster Center der Banque Libano-Française, dem Kalani Beach Resort oder dem Apartmenthaus 599 in Beirut bereits wieder eine deutliche Ausweitung seiner architektonischen Themen an. www.ytaa.co

Links: geplantes Wohngebäude in Beirut, Mitte: Architekt Youssef Tohme, Rechts: Das Sicher-heitsgebäude der BLF-Bank entsteht derzeit in Ghazir, einem Bergdorf 30 Kilometer nördlich von Beitrut. Alle Fotos: Youssef Tohme Architects

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In dem Wohngebäude in Beirut sind 16 Wohneinheiten und ein Geschäft im Erdgeschoss geplant. Rechts: Villa T liegt versteckt in den Felsen oberhalb von Beitrut. Foto: Iwan Baan; Unten: Der Campus für Innovation, Wirtschaft und Sport entstand in der Nähe der Demarkationslinie (Grüne Linie), die Beirut während des Krieges spaltete. Foto: Youssef Tohme Architects

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T Villa von Youssef Tohme oberhalb von Beirut. Foto: Ieva Saudargaité

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BildunterschriftBildunterschriftBildunterschriftDas SC Haus wurde als Volumen entwickelt, das Raum und Klang vergrößert. Es scheint, als ob es aus dem Berg selbst hervorgeht. Foto: Ieva Saudargaité

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Die Betonschalen des Resorthotels sollen an eine Segelregatta erinnern. Foto: Ieva Saudargaité

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Der Campus für Innovation, Wirtschaft und Sport in Beirut. Foto: YTAA

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Das Sicherheitszentrum der BLF-Bank in Ghazir. Foto: YTAA

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MEHR LICHT

Dunkel erschien der Berliner Gropius-Bau, die Fenster und Glasflächen waren bisher mit dunklen Folien verklebt. Doch die neue Direktorin Stephanie Rosenthal wollte ein Museum, das zum Diskutieren einlädt. Dafür hat sie nach Plänen von Andreas Lechthaler Architecture umbauen lassen. Seit vergangenem Wochenende ist das Haus nun wie-dereröffnet – mit durchsichtigen Fenstern, freiem Zugang zum jetzt hellen Lichthof, umgebautem Restaurant und renovierter Buchhandlung. fm // Foto: Mathias Völzke