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Forschungsarbeit Scher- und Dehndeformationen von Kunststoff- schmelzen im Keilspalt Kalman Geiger 1, *, Eberhard Grünschloß 2 , Gerhard A. Martin 3 und Evelyn Platz 4 DOI: 10.1002/cite.201300103 Die Strömungsanalyse für den Keilspalt mit ebenen Begrenzungsflächen für strukturviskose Flüssigkeiten soll numerisch durchgeführt werden. Ergänzend zu dieser Analyse wird die Strömung im kombinierten Keilspalt/Flachspalt-System berechnet. Scherung, Verstreckung und Gesamtdeformation am Keilspaltaustritt werden durch spezifische Maßzahlen quantifiziert. Die berechnete mittlere Verweilzeit im Keilspalt gestattet die Berechnung vorliegender Dehngeschwindigkei- ten und der Deborah-Zahl zur Charakterisierung des entropieelastischen Zustandes der Schmelzeteilchen. Schlagwörter: Dispersives Mischen, Gesamtdeformation, Keilspalt, Planare Verstreckung und Dehnung, Scherung Eingegangen: 29. Januar 2013; revidiert: 12. August 2013; akzeptiert: 07. Oktober 2013 Shear and Elongational Deformation of Polymer Melts in a Wedge Slit The numerical analysis of the flow in a wedge slit with plane walls is presented for fluids with pseudo plastic flow behavior. Additionally to this analysis the flow in a combined wedge-rectangular-slit system is calculated. Shear, elongation and resulting total deformation at the wedge slit exit are quantified with specific numbers. The calculated residential time in the wedge slit allows the determination of the elongational rate and the Deborah number in order to characterize the entro- py elastic state of melt particles. Keywords: Dispersive mixing, Planar elongation, Shear, Total deformation, Wedge slit 1 Deformation von Kunststoffschmelzen, Verstreckung und Scherung in der Strömung Die mischtechnische Homogenität von Schmelzevorlagen ist das wichtigste Kriterium für die Schmelzequalität in Kunststoffaufbereitungs- und -verarbeitungsprozessen. Zur Erzielung dieser Homogenität müssen die Komponenten der Mischung ineinander gleichmäßig verteilt werden. Mit- einander verträgliche, mischbare Komponenten können bei niedrigen Schubspannungen durch die scherinduzierte Grenzflächenvergrößerung (Strecken) und die Umlagerung der dabei entstehenden Schmelzeschichten (Falten) in distri- butiven Mischelementen gleichmäßig verteilt werden [1 – 3]. Das Mischen untereinander nicht verträglicher Komponen- ten erfordert vor dem distributiven Mischvorgang eine Zer- teilung (Dispergierung) der in die Schmelze einzuarbeiten- den, nicht mischbaren Komponente(n). Dispersive Mischelemente sollen zum Zerteilen von Feststoffpartikeln in der Scherströmung eine Mindestspannung erzeugen, die den Bruch der Partikel einleitet. Hierbei sind die Span- nungsspitzen an den Feststoffpartikeln und die Verweilzeit der Partikel in der Scherströmung entscheidend [2]. Das Einarbeiten von Tropfen in die Schmelze erfordert die Zer- teilung dieser in kleinere Tropfen. Die dispersiven Mischele- mente sollen hierbei in einer überlagerten Dehn- und Scherströmung das Zerteilen dieser durch Bruch in der Dehnströmung und das Ausstreichen der Tropfen durch Scherung gewährleisten. Die Höhe der Dehn- und Scherde- formationen und die Verweilzeit der mit der Schmelze nicht mischbaren Tropfen spielen eine entscheidende Rolle für das Ergebnis des dispersiven Mischvorgangs [4]. Nur eine feinfühlige Abstimmung der in der Dehnströmung induzier- ten Verstreckung und derVerweilzeit der Tropfen kann den gewünschten Tropfenzerkleinerungseffekt gewährleisten. www.cit-journal.com © 2013 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chemie Ingenieur Technik 2013, 85, No. 12, 1904–1913 1 Dr. Kalman Geiger ([email protected]), Universi- tät Stuttgart, Institut für Kunststofftechnik, Böblinger Straße 70, 70199 Stuttgart, Deutschland; 2 Eberhard Grünschloß, Schweitzer Straße 38, 70169 Stuttgart, Deutschland; 3 Dr.-Ing. Gerhard A. Mar- tin, Kunststoff Prozess Technik Dr.-Ing. Martin GmbH, Ludtring- straße 5, 90491 Nürnberg, Deutschland; 4 Evelyn Platz, Erbstetter Straße 28, 71397 Leutenbach, Deutschland. 1904 K. Geiger et al.

Scher- und Dehndeformationen von Kunststoffschmelzen im Keilspalt

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Page 1: Scher- und Dehndeformationen von Kunststoffschmelzen im Keilspalt

Forschungsarbeit

Scher- und Dehndeformationen von Kunststoff-schmelzen im KeilspaltKalman Geiger1,*, Eberhard Grünschloß2, Gerhard A. Martin3 und Evelyn Platz4

DOI: 10.1002/cite.201300103

Die Strömungsanalyse für den Keilspalt mit ebenen Begrenzungsflächen für strukturviskose Flüssigkeiten soll numerisch

durchgeführt werden. Ergänzend zu dieser Analyse wird die Strömung im kombinierten Keilspalt/Flachspalt-System

berechnet. Scherung, Verstreckung und Gesamtdeformation am Keilspaltaustritt werden durch spezifische Maßzahlen

quantifiziert. Die berechnete mittlere Verweilzeit im Keilspalt gestattet die Berechnung vorliegender Dehngeschwindigkei-

ten und der Deborah-Zahl zur Charakterisierung des entropieelastischen Zustandes der Schmelzeteilchen.

Schlagwörter: Dispersives Mischen, Gesamtdeformation, Keilspalt, Planare Verstreckung und Dehnung, Scherung

Eingegangen: 29. Januar 2013; revidiert: 12. August 2013; akzeptiert: 07. Oktober 2013

Shear and Elongational Deformation of Polymer Melts in a Wedge Slit

The numerical analysis of the flow in a wedge slit with plane walls is presented for fluids with pseudo plastic flow behavior.

Additionally to this analysis the flow in a combined wedge-rectangular-slit system is calculated. Shear, elongation and

resulting total deformation at the wedge slit exit are quantified with specific numbers. The calculated residential time in

the wedge slit allows the determination of the elongational rate and the Deborah number in order to characterize the entro-

py elastic state of melt particles.

Keywords: Dispersive mixing, Planar elongation, Shear, Total deformation, Wedge slit

1 Deformation von Kunststoffschmelzen,Verstreckung und Scherung in derStrömung

Die mischtechnische Homogenität von Schmelzevorlagenist das wichtigste Kriterium für die Schmelzequalität inKunststoffaufbereitungs- und -verarbeitungsprozessen. ZurErzielung dieser Homogenität müssen die Komponentender Mischung ineinander gleichmäßig verteilt werden. Mit-einander verträgliche, mischbare Komponenten können beiniedrigen Schubspannungen durch die scherinduzierteGrenzflächenvergrößerung (Strecken) und die Umlagerungder dabei entstehenden Schmelzeschichten (Falten) in distri-

butiven Mischelementen gleichmäßig verteilt werden [1 – 3].Das Mischen untereinander nicht verträglicher Komponen-ten erfordert vor dem distributiven Mischvorgang eine Zer-teilung (Dispergierung) der in die Schmelze einzuarbeiten-den, nicht mischbaren Komponente(n). DispersiveMischelemente sollen zum Zerteilen von Feststoffpartikelnin der Scherströmung eine Mindestspannung erzeugen, dieden Bruch der Partikel einleitet. Hierbei sind die Span-nungsspitzen an den Feststoffpartikeln und die Verweilzeitder Partikel in der Scherströmung entscheidend [2]. DasEinarbeiten von Tropfen in die Schmelze erfordert die Zer-teilung dieser in kleinere Tropfen. Die dispersiven Mischele-mente sollen hierbei in einer überlagerten Dehn- undScherströmung das Zerteilen dieser durch Bruch in derDehnströmung und das Ausstreichen der Tropfen durchScherung gewährleisten. Die Höhe der Dehn- und Scherde-formationen und die Verweilzeit der mit der Schmelze nichtmischbaren Tropfen spielen eine entscheidende Rolle fürdas Ergebnis des dispersiven Mischvorgangs [4]. Nur einefeinfühlige Abstimmung der in der Dehnströmung induzier-ten Verstreckung und der Verweilzeit der Tropfen kann dengewünschten Tropfenzerkleinerungseffekt gewährleisten.

www.cit-journal.com © 2013 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chemie Ingenieur Technik 2013, 85, No. 12, 1904–1913

–1Dr. Kalman Geiger ([email protected]), Universi-tät Stuttgart, Institut für Kunststofftechnik, Böblinger Straße 70,70199 Stuttgart, Deutschland; 2Eberhard Grünschloß, SchweitzerStraße 38, 70169 Stuttgart, Deutschland; 3Dr.-Ing. Gerhard A. Mar-tin, Kunststoff Prozess Technik Dr.-Ing. Martin GmbH, Ludtring-straße 5, 90491 Nürnberg, Deutschland; 4Evelyn Platz, ErbstetterStraße 28, 71397 Leutenbach, Deutschland.

1904 K. Geiger et al.

Page 2: Scher- und Dehndeformationen von Kunststoffschmelzen im Keilspalt

Das in dynamischen Mischelementen bereits seit lan-gem eingesetzte kombinierte Keilspalt/Flachspalt-System(Abb. 1) gestattet die geeignete Abstimmung der Dehn- undScherströmung in dem keilförmigen (x = [0, lK]) und demnachfolgenden parallelen Spalt (x = [lK, le]) bei vorgegebenerGeschwindigkeit der oberen Platte. Durch kaskadenartigeAnordnung mehrerer Keilspalte kann die Verweilzeit der zuzerteilenden Tropfen in dem dispersiven Mischteil den Er-fordernissen einer effizienten Tropfenzerteilung angepasstwerden. Hierbei erfahren die entropieelastischen Polymer-tropfen in der Schmelze beim Übergang von einem zumnächsten Keilspalt eine elastische Rückdeformation, wo-durch der Tropfenbruch im Scherelement begünstigt wird.

Abb. 2a zeigt einen aus zwei Zahnmischteilen und einemScherteil bestehenden dynamischen Mischer, wie er bereitsin Hochleistungs-Einwellenextrudern beim Aufbereitenund Verarbeiten von Polymerblends und von mit Additivenversetzten Kunststoffcompounds erfolgreich eingesetzt wird[20, 21]. Die Dispergierung flüssiger Komponenten und un-erwünschter Agglomerate von Additiven in der Schmelzeerfolgt im Scherteil des dynamischen Mischers.

Abb. 2b zeigt eine Vergrößerung des mittleren markier-ten Bereichs des Scherstegs vom Scherteil aus Abb. 2a. Dieim Einlaufkanal aus dem ersten Zahnmischteil ankom-

mende Schmelze wird durch den engen Spalt (Spaltweite:0,5 – 1,2 mm) zwischen dem breiten Schersteg und derZylinderwand gefördert. Der Schersteg besteht aus einerkurzen schrägen Fase und einer breiteren, zur Zylinder-wand parallelen Fläche (Breite: 4 – 24 mm). Der Sperrstegtrennt den Auslaufkanal vom Einlaufkanal. Der dispersiveMischvorgang im Sinne von Tropfendeformation und-bruch spielt sich im durch Schersteg und Zylinderwandbegrenzten engen Spalt ab. In der Ebene abgewickelt ent-spricht die Geometrie dieses Spaltes exakt der Geometriedes in Abb. 1 dargestellten Keilspalt/Flachspalt-Systems(die bewegte Platte ist mit der Zylinderwand des Extrudersidentifiziert).

Die Strömung im Keilspalt wurde bei der Entwicklungund Analyse der Schmierung von Gleitlagern untersucht.Schlichting zeigt in [5] den analytischen Berechnungswegfür die Ermittlung der Druckverteilung der im Keilspaltüberlagerten Schlepp- und Druckströmung. Die Strö-mungsanalyse ist auf newtonsche Medien beschränkt undgestattet nur die Darstellung der Geschwindigkeitsvertei-lung in Fließrichtung und des Druckprofils an der Keilspalt-wand. Rautenbach und Werner präsentieren in [6] dieBerechnung von ebenen Gleitlagern unter der Vorausset-zung einer nichtnewtonschen Flüssigkeit als Schmiermit-tel. Das nichtnewtonsche Fließverhalten des Schmierfilmswird mit dem Ansatz nach Prandtl [7] beschrieben. Nur dieDruckverteilung längs der Platte, die Geschwindigkeitsver-teilung und die Lagerkraft werden berechnet.

Die Bewertung und Optimierung der mischtechnischenWirkungsweise des Keilspaltes erfordern die Analyse derVerteilung der Verstreckung bzw. der Dehnung, der Sche-rung und der daraus resultierenden Gesamtdeformationin Fließ- und Gradientenrichtung der Keilspaltströmung.Das Ziel dieses Beitrages ist es, die Strömungsanalyse fürden Keilspalt unter Zugrundelegung eines Fließgesetzesfür strukturviskose Flüssigkeiten numerisch durchzufüh-ren. Ergänzend wird die Strömung im kombinierten Keil-spalt/Flachspalt-System berechnet. Planare Verstreckung,Scherung und Gesamtdeformation am Keilspaltaustrittwerden durch spezifische Maßzahlen quantifiziert. Dieberechnete mittlere Verweilzeit im Keilspalt gestattet dieBerechnung vorliegender Dehngeschwindigkeiten und derDeborah-Zahl [16, 17] zur Charakterisierung des entropie-elastischen Zustandes der Schmelzeteilchen in der Strö-mung.

2 Grundlagen der Berechnung der Keilspalt-strömung für hochviskose Medien

Abb. 3 zeigt den Keilspalt mit den wichtigsten Geometrie-parametern und drei charakteristischen Geschwindigkeits-profilen vx(x,y). Das Koordinatensystem für den Keilspalt istkartesisch. Die Geometrieparameter des Keilspaltes sind:Spalthöhe am Eintritt h(x = 0) = h1, Spalthöhe am Austritth(x = lK) = h2, Länge lK und Breite b. Die Spalthöhe mit

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Abbildung 1. Schematische Darstellung des kombinierten Keil-spalt/Flachspalt-Systems.

a)

b)

Abbildung 2. a) Dynamischer Mischer für Einschneckenextruder(Werkbild Ematic [20], Martin [21]); b) vergrößerter Bereich.

Dispersives Mischen 1905

Page 3: Scher- und Dehndeformationen von Kunststoffschmelzen im Keilspalt

geraden Begrenzungsflächen ist eine Funktion der Orts-koordinate x und lässt sich mit Gl. (1) beschreiben:

h�x� � h1 � ax mit a � h1 � h2

lK(1)

Die Plattengeschwindigkeit vh und die Parameter desCarreau-Ansatzes für die Viskositätsfunktion werden für dienumerische Strömungsberechnung vorgegeben.

Die folgenden Annahmen werden der Strömungsberech-nung zugrunde gelegt:– Re << 1, d. h. die Trägheitskräfte sind gegenüber den Zä-

higkeitskräften vernachlässigbar, schleichende laminareStrömung;

– bei dem Medium handelt es sich um eine strukturviskoseFlüssigkeit, deren Fließverhalten mit dem Carreau-An-satz [8] beschrieben wird;

– die Strömung ist isotherm, d. h. T = konst.;– das Medium ist inkompressibel, d. h. q = konst.

Eine eindimensionale Strömung wird mit v = (vx, 0, 0) an-genommen (Abb. 4). Die Geschwindigkeitskomponente vy

ist kleiner als 0,1vx. Die Geschwindigkeitskomponentenin Gradientenrichtung können demnach gegenüberdenen in Fließrichtung vernachlässigt werden. Der Strö-mungsberechnung, der Berechnung der planaren Ver-streckung und der Scherung werden gerade Stromlinienzugrunde gelegt. Der Keilspalt wird in z-Richtung alsunendlich ausgedehnt betrachtet.

Die Zustandsgrößen der Keilspaltströmung sindDruck an der bewegten Platte p(x), Geschwindigkeitvx(x, y), und daraus abgeleitete Schergeschwindigkeit�cyx(x, y), Scherung cyx(x, y) und planare Verstreckungex(x, y) in der überlagerten Dehn- und Scherströmung.Die x-Komponente der Impulsgleichung lautet

∂syx

∂y� ∂p

∂x� px (2)

Mit der Definitionsgleichung der Scherviskosität giltdann:

g∂vx

∂y

� �∂vx

∂y� pxy (3)

Für die Viskositätsfunktion in Gl. (3) wird der Carreau-Ansatz [8] gemäß Gl. (4) verwendet.

g∂vx

∂y

� �� A

1 � B∂vx

∂y

��������

� �C (4)

Für die Lösung der nicht-linearen Differentialgleichung(3) werden die Randbedingungen an der bewegten Platteund an der feststehenden geneigten Wand formuliert:

vx�x� y � 0� � vh (5)

vx�x� y � h�x�� � 0 (6)

Die Lösung des aus Gln. (2) – (6) bestehenden Glei-chungssystems kann nur auf numerischem Wege mithilfeder Finite-Differenzen-Methode (FDM) erfolgen. Nur imFalle konstanter Viskosität bei newtonschen Flüssigkeitenist eine analytische Lösung dieses Gleichungssystems mög-lich [10].

2.1 Berechnung der Deformationszuständeim Keilspalt

Die Keilspaltströmung ist eine überlagerte planare Dehn-und Scherströmung. Die Entwicklung der Verstreckungund der Scherung sowie die daraus resultierende Gesamt-deformation sollen im Keilspalt betrachtet werden. DieDeformationsanteile und die Gesamtdeformation werdenauf ein Maß beschränkt, das der Verschiebung der beweg-ten horizontalen Platte um den Betrag der Keilspaltlänge lKentspricht. Hierbei gilt für jedes Schmelzeteilchen:

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Abbildung 3. Schematische Darstellung des Keilspaltes.

Abbildung 4. Stromlinien und Zirkulationsgebiet im Keilspalt.

1906 K. Geiger et al.

Page 4: Scher- und Dehndeformationen von Kunststoffschmelzen im Keilspalt

vx�x� y� � dxdt′

(7)

wobei t′ die Deformationszeit im Längenintervall [0, lK] istund gemäß Gl. (7) der Ortskoordinate x äquivalent ist. Un-ter der Voraussetzung einer rheologisch vollentwickeltenStrömung werden die im Keilspalt an der Stelle x = 0 eintre-tenden Schmelzeteilchen längs ihrer Stromlinien der plana-ren Verstreckung und der Scherung unterworfen. Sie tretendann am Keilspaltaustritt bei x = lK mit der bis zu dieserStelle aufgeprägten Gesamtdeformation aus. Unter Zugrun-delegung des Cauchyschen Deformationstensors C [9] undunter Beachtung der Gl. (7) erhält man den Formtensor fürein Schmelzeteilchen im Keilspalt an einer Stelle y im Inter-vall y= [0, h(x)] und x = [0, lK]:

C �exp��2ex�x� y�� � cyx�x� y� 0

�cyx�x� y� exp�2ex�x� y���1 � c2yx�x� y�� 0

0 0 1

��

�� �8�

wobei ex für die Hencky-Dehnung und cyx für die Scherungstehen. Die lokale Gesamtdeformation cges(x, y) in den In-tervallen x = [0, x] und y= [0, h(x)] kann mit der zweiten Inva-rianten des Cauchy-Tensors aus Gl. (8) gemäß Gl. (9)

cges�x� y� ���������������������������������������������������������������������������������������������������������exp��2ex�x� y�� � exp�2ex�x� y���1 � c2

yx�x� y�� � 2 (9)

berechnet werden. Nimmt man größere Hencky-Dehnun-gen ex(x, y) und größere Scherdeformationen cyx(x, y) imKeilspalt an, so werden cyx(x, y) >> 1 und ex(x, y) >> 1. DieGesamtdeformation cges(x, y) ergibt sich dann aus Gl. (9)näherungsweise zu

cges�x� y� ≈ ex�x� y�cyx�x� y� (9)

Der Dehnströmungsanteil wirkt sich demnach in disper-siven Mischelementen sehr effizient (multiplikativ) auf dieSteigerung der Gesamtdeformation aus und leistet einenwesentlichen Beitrag zur Verbesserung des Mischergebnis-ses von dispersiven Mischelementen, insbesondere bei derTropfenzerkleinerung in Flüssigkeitsgemischen.

2.2 FDM-Berechnung der Keilspaltströmungfür strukturviskose Medien

Die Berechnung der Keilspaltströmung kann nur nume-risch erfolgen, wenn man beliebig vorgegebene, stetigdifferenzierbare Fließgesetze berücksichtigen will. DieAnnahme einer Strömung mit v = (vx, 0, 0) gestattet die Be-rechnung der Keilspaltströmung mit der FDM-Methode.

Die Aufgabenstellung für die numerische Berechnungwird auf den Fall der Keilspaltströmung mit Dp= 0 zwi-

schen Keilspalteintritt und -austritt (neutraler Keilspalt) be-schränkt. Die Strömung kommt in diesem Fall ausschließ-lich durch die Schleppwirkung der mit vh bewegten oberenPlatte (Abb. 3) geometrieinduziert zustande. Die Stelle derreinen Schleppströmung x0 liegt im Keilspalt in Fließrich-tung genau dort, wo der Druckgradient verschwindet.

Die Lösung der impliziten nicht-linearen Differentialglei-chung (3) mit dem Fließgesetz (Gl. (4)) erfolgt mithilfe derFDM-Methode. Für die Ermittlung der Geschwindigkeits-verteilung in Fließ- und Gradientenrichtung und desDruckprofils in Fließrichtung an diskreten Stützstellen wirddas implizite Differenzenverfahren angewendet [11].

2.3 Definition einer Maßzahl für Scherung,planare Verstreckung und Gesamtdeformationam Keilspaltaustritt

Die am Keilspaltaustritt bei x = lK erreichte planare Verstrek-kung ex(x = h2, y), Scherung cyxges(x = h2, y) und Gesamtde-formation cges(x = h2, y) wird durch geeignet gewählte, inte-grale Maßzahlen charakterisiert. Sie werden hierbei mitdem lokalen Volumendurchsatz am Keilspaltaustritt imIntervall y= [0, h2] gewichtet und gemäß folgender Glei-chungen numerisch berechnet:

cyxgesh2 � 2y�h2

y�0

vx�x � h2� y�h�x � x0�vh

cyxges�x � h2� y�dy (10)

exgesh2 � 2y�h2

y�0

vx�x � h2� y�h�x � x0�vh

exges�x � h2� y�dy (11)

cgesh2 � 2y�h2

y�0

vx�x � h2� y�h�x � x0�vh

cges�x � h2� y�dy (12)

2.4 Berechnung der Mittelwerte der Verweilzeit,der Hencky-Dehnung, der Dehngeschwindigkeitund der Dehnspannung am Keilspaltaustritt

Die Strömung im Keilspalt ist eine reine geometrieinduzier-te überlagerte Schlepp- und Druckströmung. Eine Scher-viskosität lässt sich dann definieren, wenn man die an derStelle der reinen Schleppströmung, x = x0, vorliegende kon-stante Schergeschwindigkeit

�c0�x � x0� y� � vh

h�x0�(13)

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Dispersives Mischen 1907

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zugrunde legt und mit dieser die Scherviskosität aus demCarreau-Ansatz (Gl. (4)) berechnet:

gN �c0� � � A

1 � B�c0� �C (14)

Diese Scherviskosität bildet die Basis für die Abschätzungder im Keilspalt induzierten Dehnspannungen in derKunststoffschmelze wie es nachfolgend gezeigt wird.

Die dispersive Wirkungsweise des Mischelements Keil-spalt zur Zerteilung von Tropfen kann beurteilt werden,wenn die mittlere Dehnspannung r, die die bewegte Platteim Keilspalt induziert, ermittelt wird. Dazu benötigt mandie mittlere Verweilzeit der Schmelze tK, die mittlereHencky-Dehnung exgesh2, die daraus abgeleitete mittlereDehngeschwindigkeit �exm und die Dehnviskosität derSchmelze in der planaren Dehnströmung.

Die mittlere Verweilzeit tK im Keilspalt ist der Quotientdes Keilspaltvolumens V und des Durchsatzes G gemäßGl. (15)

tK � VG

� �h1 � h2�lKvhh�x � x0�

(15)

Die Hencky-Dehnung ist der natürliche Logarithmus derVerstreckung. Auf die mit Gl. (11) berechnete Maßzahl derplanaren Verstreckung am Keilspaltende übertragen, erhältman die mittlere Hencky-Dehnung:

exgesh2 � ln�exgesh2� (16)

Die mittlere Dehngeschwindigkeit �exm wird gemäßGl. (17) berechnet:

�exm � exgesh2

tK(17)

Für die Dehnviskosität in der planaren Dehnströmungwird die für newtonsche Flüssigkeiten gültige Beziehung

lN � 4gN (18)

gewählt und für die Scherviskosität wird die mit Gl. (14)berechnete Viskosität gN festgelegt. Mit den Gln. (17) und(18) erhält man dann die mittlere Dehnspannung

r � 4gN �exm (19)

als repräsentativen Wert für die an Schmelzetröpfchen an-liegende Spannung. Erreicht diese Dehnspannung einenfür die Kunststoffschmelze charakteristischen kritischenWert, so kommt es zum Sprödbruch [12] der Schmelze-teilchen. Bei Polymeren mit linearen, unverzweigtenMakromolekülen liegt diese kritische Dehnspannung bei0,5 – 1,5 MPa [13, 14].

2.5 Berechnung der Deborah-Zahl als Maßfür die Elastizität der viskoelastischenKunststoffschmelze im Keilspalt

Das viskoelastische Deformationsverhalten von Kunststoff-schmelzen kann beurteilt werden, wenn man in einerStrömung mit sich stark ändernden Geschwindigkeitskom-ponenten in Fließrichtung die charakteristische Relaxa-tionszeit des Materials (Materialzeit) und die Beobachtungs-zeit während des Deformationsprozesses (Prozesszeit)vergleicht. Die Relation dieser beiden Zeiten wird mit derdimensionslosen Deborah-Zahl beschrieben. Diese ist de-finiert als der Quotient aus dem als charakteristische kri-tische Relaxationszeit definierten B-Wert des Carreau-Ansat-zes (Gl. (4)) [15] und der mittleren Verweilzeit im KeilspalttK [16, 17]:

De � BtK

(20)

Ist die Deborah-Zahl kleiner 1, so ist das Deformations-verhalten der Kunststoffschmelze viskos. Für De= 1 beob-achtet man viskoelastisches Deformationsverhalten derSchmelze. Für De > 1 entspricht das Deformationsverhaltender viskoelastischen Kunststoffschmelze dem eines Festkör-pers. Bei derartigen Bedingungen brechen die viskoelas-tischen Schmelzetropfen spröd.

3 Kunststoffschmelzen mit unterschied-lichem strukturviskosem Fließverhalten

Die numerische Berechnung und Analyse der Keilspalt-strömung wurde für sechs ausgewählte Kunststoffschmel-zen aus der Kunststoffverarbeitungspraxis durchgeführt. InTab. 1 sind die Parameter des Carreau-Ansatzes, der Fließ-exponent m, die praxisrelevante Verarbeitungstemperaturund eine rheologische Klassifizierung dieser Kunststoffezusammengestellt.

Bei der Auswahl wurden Viskositätsniveau (charakte-risiert mit A), Ausprägung des strukturviskosen Fließverhal-tens der Schmelze (charakterisiert mit C bzw. m) und elasti-sche Eigenschaften (quantifiziert mit dem Parameter B)variiert. Abb. 5 zeigt die Viskositätskurven der Kunststoffe.

4 Simulationsergebnisse

Die Simulationsergebnisse werden für die gezielt ausge-wählten Kunststoffe dargestellt und dabei der Einfluss derViskosität, der Ausprägung des strukturviskosen Fließver-haltens und der viskoelastischen Eigenschaften der Kunst-stoffschmelze aufgezeigt. Folgende Geometrieparameterdes in Abb. 3 dargestellten Keilspaltes wurden festgelegt:Keilspaltlänge lK = 4 mm, Spalthöhe am Keilspaltaustritth2 = 0,8 mm. Der Öffnungswinkel des Keilspaltes a wurde

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1908 K. Geiger et al.

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im Intervall [0, 45°] variiert. Die Plattengeschwindigkeit vh

wurde zwischen 1200 und 3600 mm s–1 gewählt. Diese Wer-te entsprechen der bei schnell laufenden Extrudern vorlie-genden Umfangsgeschwindigkeit. Die Berechnung derStrömung erfolgte unter der Annahme konstanter Schmel-zetemperatur im Keilspalt.

Die Fließeigenschaften der Kunststoffschmelze beeinflus-sen entscheidend das an der bewegten Platte aufgebauteDruckprofil, die Geschwindigkeitsverteilung in Fließ- undGradientenrichtung und daraus folgend die Ausbildung desZirkulationsgebietes (Abb. 3). Die aus der Geschwindigkeits-verteilung direkt ableitbare Verteilung der Schergeschwindig-keit, der Scherung und der planaren Verstreckung sowie deraus den Scher- und Dehndeformationen berechneten Ge-samtdeformation (Gl. (9)) gestatten eine präzise Beurteilungdispersiver Mischvorgänge in dynamischen Mischelemen-

ten. Durch Scher- und Dehnviskosität der Schmelze erhältman ferner Anhaltspunkte über die Höhe der an Schmelze-tropfen wirkenden Dehnspannungen.

4.1 Geschwindigkeitsverteilung und axialeVerteilung der Gesamtdeformation imKeilspalt ohne und mit Zirkulationsgebiet

Um den Einfluss des strukturviskosen Fließverhaltens aufdie Strömung der Kunststoffschmelze im Keilspalt aufzu-zeigen, werden zunächst Berechnungsergebnisse für dieKunststoffschmelzen PC, PA 6 und PP (Tab. 1 und Abb. 5)jeweils bei den Keilspaltöffnungswinkeln a = 15° und a= 35°präsentiert. In Abb. 6 ist die Geschwindigkeitsverteilung inGradientenrichtung für die drei Kunststoffschmelzen amKeilspalteintritt und -austritt dargestellt.

Abb. 7 zeigt die mit der planaren Verstreckung und derScherung berechnete Gesamtdeformation (Gl. (12)) längsdes Keilspaltes in Fließrichtung für die Kunststoffschmel-zen PP bei a= 15° und PE-HD bei a= 35° in einfachlogarith-mischer Darstellung. Abb. 7b ist zu entnehmen, dass zwardurch die in Gradientenrichtung weisende Komponente derplanaren Verstreckung die Gesamtdeformation im Rück-strömungsgebiet verstärkt, aber die am Keilspaltaustritterreichte Gesamtdeformation der Schmelzeteilchen ersthinter dem Rückströmungsgebiet in Fließrichtung aufge-baut wird.

4.2 Maßzahl der Gesamtdeformationin Abhängigkeit vom Keilspaltöffnungswinkel

Dispersive Mischelemente in dynamischen Mischern in derKunststoffaufbereitung und -verarbeitung sollten hinsicht-lich ihrer Geometrie und Betriebsweise für das jeweiligeEinsatzgebiet optimiert werden. Die Auslegung derartigerMischelemente erfolgt derzeit rein empirisch und die Aus-

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Tabelle 1. Carreau-Parameter von sechs Kunststoffschmelzen [18, 19].

Material A [Pa s] B ≈ kchar [s] C m T [°C] Rheologische Klassifizierung

PC 86,94 0,00128 0,0956 1,0114 340 newtonsch, niederviskos,unelastisch

PA 6 245,2 0,00099 0,5050 2,0202 250 schwach strukturviskos, niederviskos,unelastisch

PE-HD 34550 2,2 0,593 2,4570 160 strukturviskos, hochviskos,hochelastisch

PE-LLD 673 0,0317 0,607 2,5445 160 strukturviskos, niederviskos,unelastisch

PP 3420,4 0,1251 0,7381 3,8183 230 starkstrukturviskos, mittelviskos,elastisch

PS 21610 0,589 0,796 4,9020 160 stark strukturviskos, hochviskos,hochelastisch

Abbildung 5. Viskositätskurve der ausgewählten Kunststoff-schmelzen [18, 19].

Dispersives Mischen 1909

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legungskriterien stützen sich ausschließlich auf Erfah-rungswerte aus der Aufbereitungs- und Verarbeitungs-praxis. Die numerische Analyse der Keilspaltströmung fürstrukturviskose Flüssigkeiten bietet erstmalsMöglichkeiten für eine der dispersiven Misch-aufgabe zugeschnittene Auslegung von Misch-elementen, z. B. bei der Herstellung von Poly-merblends aus nicht-mischbaren Polymeren.Das Deformationsaufbauvermögen des Keilspal-tes soll hierzu bei Variation der Keilspaltgeo-metrie dargestellt werden.

Die numerisch berechnete Maßzahl der Ge-samtdeformation im Keilspalt ist in Abhängig-keit vom Keilspaltöffnungswinkel a für die sechsKunststoffschmelzen in Abb. 8 in einfachloga-rithmischer Darstellung zusammengestellt. DasMaximum der am Keilspaltaustritt erreichbarenGesamtdeformation bzw. die Ausbildung eines(meist unerwünschten) Zirkulationsgebietes imEintrittsbereich des Keilspaltes verschiebt sichmit steigendem Fließexponenten m zu deutlichhöheren Keilspaltwinkeln.

Eine Steigerung der Gesamtdeformation in dispersivenMischelementen erzielt man mit dem in Abb. 1 darge-stellten kombinierten Keilspalt/Flachspalt-System. Hier

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a)

b)

Abbildung 6. Geschwindigkeitsverteilung in Gradientenrichtungbei a) a = 15° und b) a = 35° für die Kunststoffschmelzen PC, PA 6und PP.

a)

b)

Abbildung 7. Verteilung der Gesamtdeformation längs dem Keil-spalt in Fließrichtung für die beiden Kunststoffschmelzen: a) PPbei a = 15°; b) PE-HD bei a = 35°.

Abbildung 8. Gesamtdeformation als Funktion von a für sechs Kunststoffschmel-zen, vh = 1200 mm s–1.

1910 K. Geiger et al.

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bringt der stromauf angeordnete Keilspalt die für die Tropfen-zerteilvorgänge erforderlichen Dehnungen. Die Tropfen wer-den dann im anschließenden Flachspalt stabilisiert und inder Scherströmung weiter durch Scherung ausgestrichen.Die Ergebnisse der numerischen Analyse des Deforma-tionsvermögens des kombinierten Keilspalt/Flachspalt-Systems in Abhängigkeit vom Keilspaltöffnungswinkel aund Flachspaltlänge le sind für alle sechs Kunststoffschmel-zen in Abb. 9 in einfachlogarithmischer Darstellung zusam-menfasst.

Das Zirkulationsgebiet entsteht bei dem kombiniertenKeilspalt/Flachspalt-System bei deutlich geringeren Keil-spaltöffnungswinkeln als beim Keilspalt. Das Gesamtde-formationsniveau wird aber durch die im Flachspalt erzeug-ten Scherdeformationen deutlich angehoben. Je länger derFlachspalt ist, desto größere Gesamtdeformationen stellensich am Flachspaltaustritt ein.

4.3 Mittlere Verweilzeit im Keilspalt und imkombinierten Keilspalt/Flachspalt-System

Abb. 10 zeigt die für die PP-Schmelze berechnete mittlereVerweilzeit im Keilspalt bzw. im kombinierten Keilspalt/Flachspalt-System für vh= 1200 mm s–1 in Abhängigkeit vonlK + le in einfach logarithmischer Darstellung.

4.4 Hencky-Dehnung, Dehngeschwindigkeitund Dehnspannung in Abhängigkeit von derPlattengeschwindigkeit, dem Keilspalt-öffnungswinkel und der -länge

Die Schmelzetropfen sind im Keilspalt hohen Dehndefor-mationen bei sehr hohen Dehngeschwindigkeiten ausge-setzt. Die mittlere Hencky-Dehnung am Keilspaltaustritt(Gl. (16)), die mittlere Dehngeschwindigkeit (Gl. (17)) unddie mittlere Dehnspannung (Gl. (19)) wurden für alle

ChemieIngenieurTechnik

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a) b)

c) d)

e) f)

Abbildung 9. Gesamtdeformation im Keilspalt/Flachspalt-System als Funktion des Keilspaltöffnungswinkels und Flachspaltlänge für sechsKunststoffschmelzen, Plattengeschwindigkeit vh = 1200 mm s–1.

Dispersives Mischen 1911

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Kunststoffschmelzen jeweils bei jenen Keilspaltöffnungs-winkeln berechnet, bei denen die maximale mittlere planareVerstreckung und somit die maximale Gesamtdeformationerzielt werden. Die Ergebnisse sind für eine Plattenge-schwindigkeit in Tab. 2 zusammengestellt.

Die mittlere Dehnspannung erreicht bei der hochvisko-sen PE-HD-Schmelze die von Hürlimann [14] mit einemKapillarrheometer bestimmten Werte, bei denen Schmelze-bruch am Kapillaraustritt beobachtet wurde, bzw. die vonBernnat [12] in Rheotensversuchen verifizierten kritischenDehnspannungen.

4.5 Deborah-Zahl in Abhängigkeit von derPlattengeschwindigkeit

Die Deborah-Zahl wurde für die sechs Kunststoffschmelzenim Keilspalt (le = 0 mm) bei einer Plattengeschwindigkeitberechnet. Die Ergebnisse sind in Tab. 3 zusammengestellt.Bei den stärker ausgeprägt entropieelastischen Kunststoff-schmelzen (mit dem B-Wert aus Gl. (4)) sind die Deborah-

Zahlen deutlich größer als 1, so dass die viskoelastischenSchmelzetropfen mehr das Deformationsverhalten einesFestkörpers zeigen. Das bedeutet, dass Tropfenbruch durchdie viskoelastischen Eigenschaften der Schmelze begünstigtwird, wenn die charakteristische Relaxationszeit hinrei-chend groß und die Verweilzeit der Schmelze im Keilspalthinreichend kurz ist. Bei niedrigeren Plattengeschwindig-keiten ist die Deborah-Zahl kleiner – korrespondierend zumviskosen Fließen der Schmelze – aber die hierbei erzieltenDehnspannungen sind dann für eine Tropfenzerkleinerungauch zu gering.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Im Keilspalt, der das wichtigste Element dispersiver Mi-scher darstellt, wurden für strukturviskose Flüssigkeitenplanare Verstreckung, Scherung und die daraus resultieren-de Gesamtdeformation in Fließ- und Gradientenrichtungnumerisch mit der FDM berechnet. Das Deformations-vermögen des Keilspaltes bei vorgegebener Plattenge-schwindigkeit kann mit einem aus der am Keilspaltaustrittanliegenden planaren Verstreckung, Scherung und Gesamt-deformation unter Zugrundelegung sinnvoll gewählterMaßzahlen quantifiziert werden. Mit der aus der Strömungberechneten mittleren Verweilzeit, mittleren Hencky-Dehnung und mittleren Dehnspannung konnte gezeigtwerden, dass Schmelzebruch bei einigen Kunststoffen imkurzen Keilspalt induziert und damit günstige Bedingun-

gen für Tropfenzerkleinerung bei der Ge-nerierung von Polymerblends aus nichtmischbaren Komponenten geschaffenwerden können. Auch die bei einigenKunststoffen berechnete sehr hohe De-borah-Zahl in der Keilspaltströmungsignalisiert, dass der Tropfenbruch vonstark ausgeprägt viskoelastischen Kunst-stoffschmelzen durch ihre längeren cha-rakteristischen Relaxationszeiten bei derBlendgenerierung begünstigt wird.

Der numerische Berechnungsalgorith-mus soll demnächst für weitere heuristi-sche Fließgesetze, die das Fließverhalten

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Abbildung 10. Mittlere Verweilzeit als Funktion der Länge desKeilspaltes bzw. des kombinierten Keilspalt/Flachspalt-Systemsexemplarisch für die Kunststoffschmelze PP, vh = 1200 mm s–1.

Tabelle 2. Maßzahl der Scherung, der Gesamtdeformation, der planaren Verstreckungund der mittleren Hencky-Dehnung am Keilspaltaustritt sowie mittlere Dehngeschwindig-keit und mittlere Dehnspannung in Abhängigkeit vom Keilspaltöffnungswinkel a fürsechs Kunststoffschmelzen, lK = 4 mm, le = 0 mm, vh = 1200 mm s–1.

Material a [°] cyxgesh2 cgesh2 exgesh2 exgesh2 �exm [s–1] r·105 [Pa]

PC 10 8,3015 34,387 2,4688 0,9038 123,17 0,3929

PA 6 15 7,9850 244,26 5,8108 1,7597 226,46 1,5508

PE-HD 28 7,4098 1537,4 44,616 3,7981 409,02 6,2814

PE-LLD 27 7,2586 892,67 24,479 3,1978 351,48 1,2119

PP 35 6,7504 572,21 31,870 3,4167 340,34 1,4995

PS 40 6,5367 982,75 56,626 4,0365 366,37 2,3547

Tabelle 3. Deborah-Zahl De für sechs Kunststoffschmelzen imKeilspalt mit vh = 1200 mm s–1, a = 15°, lK = 4 mm.

Material tK [ms] De [–]

PC 7,9 0,1617

PA 6 7,8 0,1274

PE-HD 7,7 285,98

PE-LLD 7,7 4,13

PP 7,6 16,41

PS 7,6 77,45

1912 K. Geiger et al.

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von teilvernetzten und hochgefüllten Polymersystemen be-schreiben, erweitert werden. Die dissipative Schmelzeerwär-mung in der überlagerten Dehn- und Scherströmung sollmit dem FDM-Verfahren berechnet und analysiert werden.Ferner soll der Tropfenzerkleinerungsvorgang in Kunststoff-schmelzen experimentell erfasst werden.

Formelzeichen

A [Pa s] Carreau-ParameterB [s] Carreau-ParameterC [–] Carreau-ParameterC [–] Cauchy-TensorDe [–] Deborah-Zahle [–] planare Verstreckung�e [s–1] Dehngeschwindigkeit�c [s–1] SchergeschwindigkeitG [mm3s–1] Volumendurchsatzh [mm] Spalthöhel [mm] Spaltlängem [–] Fließexponentp [bar] DruckT [°C] Temperaturt [s] ZeitV [mm3] Volumenv [mm s–1] Geschwindigkeitx, y, z [mm] Ortskoordinaten

Griechische Symbole

a [°] Winkelc [–] Scherunge [–] Hencky-Dehnungl [Pa s] Dehnviskosität

g [Pa s] Scherviskositätk [s] Relaxationszeitr [Pa] Dehnspannung

Literatur

[1] A. Pfeiffer, in VDI Kunststofftechnik, VDI-Verlag, Düsseldorf1997, 119.

[2] G. A. Martin, in VDI Kunststofftechnik, VDI-Verlag, Düsseldorf1997, 267.

[3] W. Michaeli, T. Wolff, in VDI Kunststofftechnik, VDI-Verlag,Düsseldorf, 1997, 279.

[4] G. A. Martin, in VDI Kunststofftechnik, VDI-Verlag, Düsseldorf1997, 443.

[5] H. Schlichting, Boundry Layer Theory, McGraw-Hill, New York1955, 87.

[6] R. Rautenbach, U. Werner, VDI-Z. 1963, 105, 817.[7] L. Prandtl, Phys. Bl. 1949, 5 (4), 161.[8] P. J. Carreau, Ph.D. Thesis, University of Wisconsin, Madison

1968.[9] M. H. Wagner, Rheol. Acta 1979, 18, 33.

[10] K. Geiger, E. Grünschloß, 19. Stuttgarter Kunststoff-Kolloquium,Stuttgart 2005.

[11] H. H. Winter, persönliche Mitteilung, 1977.[12] A. Bernnat, Dissertation, Universität Stuttgart 2001.[13] S. Kim, J. M. Dealy, Polym. Eng. Sci. 2002, 42 (3), 495.[14] H. P. Hürlimann, W. Knappe, Rheol. Acta 1972, 11, 292.[15] K. Geiger, G. A. Martin, A. Sobotta, Kunststoffe 2011, 6, 44.[16] M. Reiner, Phys. Today 1964, 17 (1), 62.[17] J. S. Vrentas, C. M. Jarzebski, J. L. Dudda, AIChE J. 1975,

21 (5), 894.[18] Kenndaten für die Verarbeitung thermoplastischer Kunststoffe,

Teil 2, Carl-Hanser Verlag, München 1982.[19] Kenndaten für die Verarbeitung thermoplastischer Kunststoffe,

Teil 4, Carl-Hanser Verlag, München 1986.[20] Werkbild, Ematik GmbH, Magdeburg 2012.[21] G. A. Martin, Technische Entwicklung, 2012.

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Chemie Ingenieur Technik 2013, 85, No. 12, 1904–1913 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com

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