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ORIGINALI N DerSchmer_j Konzepte, Klinik und Forschung Schmerztherapie in der Finalphase maligner Erkrankungen S. Grond, D. Zech, G. Horrichs-Haermeyer und K.A. Lehmann lnstitut ffir Anaesthesiologie der Universit~itK61n Pain relief in the final stage of cancer Abstract. Most patients with very advanced cancer suffer from severe pain, and many studies have demonstrated how this pain can be sufficiently controlled. It is of great importance to find out if the findings are also true during the final stage of cancer and how the treatment must be adapted. We therefore examined the methods and efficacy of providing pain relief for dying cancer pa- tients. This study included 160 patients with cancer in different sites. The pain treatment and pain severity du- ring the last few days and hours of their lives are descri- bed and discussed. Analgesic drugs administered orally in 53% and parenterally in 39% of the patients were the mainstay of therapy. Non-opioid analgesics alone were effective in 10% and in combination with weak opioids in 15% of the patients. In 68% strong opioids were necessary to achieve sufficient pain reduction. Mor- phine was the most frequently used opioid for 96 pa- tients. Oral doses of morphine were 86___60 mg/day (15-240 mg/day), and parenteral doses 89___ 74 mg/day (15-360 mg/d). Additional adjuvant drugs to treat speci- fic types of pain or other symptoms of cancer disease were described for 80% of the patients. Non-pharmaco- logical measures, such as radiation, nerve blocks or neu- rosurgery, were of no real importance. Only 4% of the patients treated in the way described experienced severe pain during the final stage of cancer. Systemic admini- stration of drugs is very effective in relieving pain in dying patients. No signs of tolerance to opioids could be observed, even in patients who had been taking opioids for a longer period of time (average 39 days). Zusammenfassung. Starke Schmerzen sind ffir viele Pa- tienten mit fortgeschrittenen malignen Erkrankungen das am meisten belastende Symptom. In vielen Publika- tionen ist gezeigt worden, wie diese Schmerzen effektiv behandelt werden k6nnen. Es ist von groBer Bedeutung herauszufinden, ob dies auch ffir die finale Phase der Erkrankung gilt, und welche Anpassungen erforderlich sind. Deshalb wurde retrospektiv untersucht, mit wel- chen Methoden und welcher Wirksamkeit tumorbe- dingte Schmerzen bei sterbenden Patienten behandelt werden k6nnen. Ffir 160 Patienten mit malignen Erkrankungen der ver- schiedenen Organsysteme werden die w/ihrend der Stun- den und Tage vor dem Tod durchgeffihrte Schmerzthe- rapie und die darunter gemessene Schmerzintensit/it dar- gestellt und diskutiert. Im Vordergrund der Therapie stand die systemische Gabe von Analgetika, welche 53% der Patienten oral und 39% parenteral erhielten. Nicht- opiathaltige Analgetika alleine waren bei 10% und in Kombination mit schwachen Opiaten bei weiteren 15% der Patienten ausreichend. Ober zwei Drittel ben6tigten jedoch in der Finalphase starke Opiate. Das Opiat unse- rer Wahl war bei 96 Patienten Morphin. Der t/igliche Morphinbedarf lag oral bei 86 + 60 mg (15-240 mg) und parenteral bei 89___ 74 mg (15-360 mg). 80% der Patien- ten erhielten zus/itzlich adjuvante Medikamente zur Be- handlung spezieller Schmerzformen oder zur Linderung anderer Krankheitssymptome. Verfahren, wie Bestrah- lungen, Blockaden oder neurochirurgische Operationen, spielten in der Finalphase keine groBe Rolle. Unter die- ser Therapie litten nur 4% unserer Patienten pr/ifinal unter starken Schmerzen. Die systemische Pharmakothe- rapie erm6glichte also eine gute Schmerzreduktion beim Sterbenden. Auch nach 1/ingerer Anwendung (durch- schnittlich 39 Tage) hochpotenter Opiate wurden keine Anzeichen ffir eine Toleranz beobachtet. Nach Zusammenstellungen von Foley [8] und Bonica [4] leiden 55-95% aller Patienten mit einem fortgeschrit- tenen Tumor unter starken Schmerzen. Diese sind ffir die meisten das belastendste Symptom ihrer Erkran- kung. Viele Patienten, aber auch Arzte, glauben, dab Tumorschmerzen in der Finalphase nur schwer oder gar Der Schmerz (1990) 4:22-28 Springer-Verlag1990

Schmerztherapie in der Finalphase maligner Erkrankungen

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ORIGINALI N DerSchmer_j Konzepte, Klinik und Forschung

Schmerztherapie in der Finalphase maligner Erkrankungen S. Grond, D. Zech, G. Horrichs-Haermeyer und K.A. Lehmann lnstitut ffir Anaesthesiologie der Universit~it K61n

Pain relief in the final stage of cancer

Abstract. Most patients with very advanced cancer suffer from severe pain, and many studies have demonstrated how this pain can be sufficiently controlled. It is of great importance to find out if the findings are also true during the final stage of cancer and how the treatment must be adapted. We therefore examined the methods and efficacy of providing pain relief for dying cancer pa- tients. This study included 160 patients with cancer in different sites. The pain treatment and pain severity du- ring the last few days and hours of their lives are descri- bed and discussed. Analgesic drugs administered orally in 53% and parenterally in 39% of the patients were the mainstay of therapy. Non-opioid analgesics alone were effective in 10% and in combination with weak opioids in 15% of the patients. In 68% strong opioids were necessary to achieve sufficient pain reduction. Mor- phine was the most frequently used opioid for 96 pa- tients. Oral doses of morphine were 86___60 mg/day (15-240 mg/day), and parenteral doses 89___ 74 mg/day (15-360 mg/d). Additional adjuvant drugs to treat speci- fic types of pain or other symptoms of cancer disease were described for 80% of the patients. Non-pharmaco- logical measures, such as radiation, nerve blocks or neu- rosurgery, were of no real importance. Only 4% of the patients treated in the way described experienced severe pain during the final stage of cancer. Systemic admini- stration of drugs is very effective in relieving pain in dying patients. No signs of tolerance to opioids could be observed, even in patients who had been taking opioids for a longer period of time (average 39 days).

Zusammenfassung. Starke Schmerzen sind ffir viele Pa- tienten mit fortgeschrittenen malignen Erkrankungen das am meisten belastende Symptom. In vielen Publika- tionen ist gezeigt worden, wie diese Schmerzen effektiv behandelt werden k6nnen. Es ist von groBer Bedeutung herauszufinden, ob dies auch ffir die finale Phase der Erkrankung gilt, und welche Anpassungen erforderlich

sind. Deshalb wurde retrospektiv untersucht, mit wel- chen Methoden und welcher Wirksamkeit tumorbe- dingte Schmerzen bei sterbenden Patienten behandelt werden k6nnen.

Ffir 160 Patienten mit malignen Erkrankungen der ver- schiedenen Organsysteme werden die w/ihrend der Stun- den und Tage vor dem Tod durchgeffihrte Schmerzthe- rapie und die darunter gemessene Schmerzintensit/it dar- gestellt und diskutiert. Im Vordergrund der Therapie stand die systemische Gabe von Analgetika, welche 53% der Patienten oral und 39% parenteral erhielten. Nicht- opiathaltige Analgetika alleine waren bei 10% und in Kombination mit schwachen Opiaten bei weiteren 15% der Patienten ausreichend. Ober zwei Drittel ben6tigten jedoch in der Finalphase starke Opiate. Das Opiat unse- rer Wahl war bei 96 Patienten Morphin. Der t/igliche Morphinbedarf lag oral bei 86 + 60 mg (15-240 mg) und parenteral bei 89___ 74 mg (15-360 mg). 80% der Patien- ten erhielten zus/itzlich adjuvante Medikamente zur Be- handlung spezieller Schmerzformen oder zur Linderung anderer Krankheitssymptome. Verfahren, wie Bestrah- lungen, Blockaden oder neurochirurgische Operationen, spielten in der Finalphase keine groBe Rolle. Unter die- ser Therapie litten nur 4% unserer Patienten pr/ifinal unter starken Schmerzen. Die systemische Pharmakothe- rapie erm6glichte also eine gute Schmerzreduktion beim Sterbenden. Auch nach 1/ingerer Anwendung (durch- schnittlich 39 Tage) hochpotenter Opiate wurden keine Anzeichen ffir eine Toleranz beobachtet.

Nach Zusammenstellungen von Foley [8] und Bonica [4] leiden 55-95% aller Patienten mit einem fortgeschrit- tenen Tumor unter starken Schmerzen. Diese sind ffir die meisten das belastendste Symptom ihrer Erkran- kung. Viele Patienten, aber auch Arzte, glauben, dab Tumorschmerzen in der Finalphase nur schwer oder gar

Der Schmerz (1990) 4:22-28 �9 Springer-Verlag 1990

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Originalien 23

nicht zu beeinflussen seien. Die Angst vor unertr~iglichen Schmerzen in der terminalen Krankhei tsphase begleitet viele Patienten mit malignen Erkrankungen bis zu ihrem Tod [3, 16]. Nach einer Schfitzung von Twycross sterben weltweit 25% aller Tumorpat ienten unter starken, nicht therapierten Schmerzen [28]. Eine Befragung von Parkes bei den Ehepartnern verstorbener Patienten bestgtigt die hohe Inzidenz von Schmerzen in der Finalphase [17].

Nach unserer Erfahrung lehnen viele Patienten wiihrend friiher Krankhei tsphasen eine regelmiiBige Schmerzthe- rapie ab, selbst wenn bereits starke Schmerzen bestehen. Sie haben die Sorge, dab Wirkungsverlust oder Unver- triiglichkeitsreaktionen, als Folge eines ,,zu friihen" Ein- satzes von Analgetika, einer sp/iteren suffizienten Schmerzlinderung entgegenstehen. Viele behandelnde )krzte setzen hochpotente Opiate erst spat ein, weil sie die Entwicklung von Toleranz und Abh~ingigkeit be- fiirchten und gesetzliche Anwendungsbeschr~inkungen die Verordnung erschweren [4, 15, 22, 23, 32]. Weit ver- breitet ist die Ansicht, daB Morphin und andere starke Opiate nur bei kurzer Lebenserwartung indiziert sind.

In mehreren Untersuchungen konnte gezeigt werden, daB die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) [32] zur Behandlung tumorbedingter Schmerzen, insbesondere der Zeit- und Stufenplan fiir die Gabe von Analgetika, den meisten Patienten zu einer guten Schmerzlinderung verhelfen k6nnen [22, 26, 30, 31]. Unter der Voraussetzung einer regelmiigigen und ausrei- chend hoch dosierten Opiat therapie stellen Abh~ingigkeit und Toleranzentwicklung kein klinisches Problem dar [10, 21, 27, 28, 31-33]. In der Literatur finden sich unse- res Wissens bisher keine Berichte darfiber, ob diese giin- stige Wirkung bis in die Finalphase hinein anhfilt und aus weichen Komponen ten die Schmerztherapie besteht.

Aus diesem Grund untersuchten wir in einer retrospekti- ven Auswertung die Schmerztherapie in der finalen Krankheitsphase, also w/ihrend der letzten Stunden und Tage vor dem Tod. Die bei 160 Tumorpat ienten in die- sem Zei t raum durchgeffihrte Therapie und deren Wirk- samkeit wird dargestellt und diskutiert. Vor allem wird untersucht, ob Hinweise auf Unvertrfiglichkeit oder To- leranz der Analgetika zu erkennen sind.

Patienten und Methodik In die Untersuchung wurden Patienten mit malignen Erkrankun- gen aufgenommen, die unser Institut bis zu ihrem Tod regelm/iBig schmerztherapeutisch betreute, nicht dagegen solche, die w/ihrend der Finalphase in ausw/irtigen Krankenh/iusern oder von Haus- /irzten schmerztherapeutisch weiterversorgt wurden.

Von 475 im Beobachtungszeitraum behandelten Tumorpatienten konnten wir 160 bis in die Finalphase betreuen. Es handelte sich um 79 Frauen und 81 M/inner im Alter von 16 bis 88 Jahren (Durchschnitt 57_+ 14 Jahre). Die zu Grunde liegenden Malignome verteilten sich auf alle Organsysteme, wobei gastrointestinale und urogenitale Tumoren besonders h/iufig waren (Tabelle 1).

Alle Patienten befanden sich in haus- oder fach/irztlicher Behand- lung und wurden von unserer Schmerzambulanz fiber einen Zeit- raum von 1-572 Tagen (Durchschnitt 49 + 63 Tage) konsiliarisch betreut. Die w/ihrend dieser Zeit durchgefiihrte Schmerztherapie

Tabelle 1. Tumorlokalisation. Die absolute und relative Anzahl der jeweiligen Patienten sind angegeben

Kopf-Hals-Region 14 9% Gastrointestinaltrakt 44 28 % Respirationstrakt 23 !4% Brustdrfise 13 8 % Urogenitaltrakt 36 23 % Lymphat. o. h/imatopet. System 14 9% Sonstige 16 10 %

bestand, in Anlehnung an die Empfehlungen der WHO, aus folgen- den Komponenten [8, 10, 28, 32]:

a) Analgetika in regelm/iBigen Abst/inden (Zeitplan), individuell angepaBter Dosierung und Applikation nach Stufenplan:

WHO-Stufe 1 : Nichtopiate WHO-Stufe 2: Nichtopiate + schwache Opiate WHO-Stufe 3: Nichtopiate + starke Opiate.

b) Adjuvante Medikamente, wie Steroide, Antidepressiva oder Anti- konvulsiva, zur Behandlung spezifischer Schmerzformen (Koanal- getika) oder adjuvante Medikamente, wie Antiemetika oder Laxan- tien, zur Prophylaxe von Nebenwirkungen oder zur Linderung an- derer Symptome, die hfiufig bei Tumorpatienten auftreten (Begleit- medikation).

c) Tumorreduzierende Verfahren, wie Bestrahlung, Chemotherapie oder palliative Operationen, zur Beseitigung der Schmerzursache.

d) Unterbrechung der Schmerzleitung durch Blockaden, Neurolysen oder neurochirurgische Verfahren.

e) Weitere Maflnahmen, wie begleitende Gespr~iche oder physikali- sche Verfahren.

Diese Therapie wurde his zum Tod fortgesetzt, regelm/iBig kontrol- liert und dem Verlauf der Erkrankung angepaBt. F fir die vorlie- gende Untersuchung wurden die Daten der letzten Behandlungs- phase ausgewertet, also der letzten Stunden und Tage vor dem Tod. Dargestellt werden die verabreichten Analgetika, sowie deren Applikation und Dosierung, auBerdem die Gabe adjuvanter Medi- kamente und die Durchffihrung weiterer schmerztherapeutischer MaBnahmen. Die Schmerzintensit/it w/ihrend der regelm/iBigen Therapie wurde yon den Patienten mit Hilfe einer 6-stufigen de- skriptiven Skala (verbal rating scale) angegeben; die letzte Ein- sch/itzung vor dem Tod wird dargestellt. Dariiberhinaus wird die Hfiufigkeit anderer Symptome in dieser Phase untersucht.

Ergebnisse

Mehr als zwei Drittel, also 114 Patienten (71%), verstar- ben im Krankenhaus, davon 52 (33%) auf der chirurgi- schen Palliativstation, einer speziellen Station fiir die Versorgung terminaler Krebspatienten. Die iibrigen 46 (29%) befanden sich zum Zei tpunkt ihres Todes zu Hause und waren ambulant , unter Beteiligung des Haus- arztes oder unseres ambulanten Pflegedienstes, von uns behandelt worden.

Nur bei zwei Patienten (1%) stand der Tod nicht mit der malignen Erkrankung in Zusammenhang. Bei 104 Patienten (65%) waren allgemeine Schw~iche und Herz- Kreislauf-Versagen im Rahmen der Tumorerkrankung fiir den Tod verantwortlich. Bei 27 Patienten (17%) war ein pulmonales Versagen, bei 21 (13%) eine ausgepr/igte Kachexie und bei sechs (4%) eine starke Blutung als Folge der Tumorerkrankung die direkte Ursache.

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24 Originalien

i

W H O IIh 108 Pa t i en ten 68%

f ] W H O I 1 : 2 4 Pa t i en ten 15%

W H O I : 16 Pa t i en ten 10%

Keine A.: 12 Patienten 8%

Abb. 1. WHO-Stufen fiir Analgetika in der Finalphase (n= 160). WHO I: Nichtopiate; WHO II: Nichtopiate + schwache Opiate; WHO III: Nichtopiate + starke Opiate; Keine A.: Keine syste- mischen Analgetika

Patienten

30 27

20

10

15-60 61-120 121-180 181-240

rng/die

2 1

241-300 301-360

Abb. 2. Tiiglicher Morphinbedarf in der Finalphase. Verteilung der Patienten, die �9 = oral (n = 46) oder [] = parenteral (n = 50) Morphin erhielten, nach der am letzten Tag vor dem Tod ben6tig- ten Morphindosierung

ohne Angabe

keine

leichte

m~iSige

atarke

sehr starke

m a x .

voratell bar

II

~ 65

28

m 15

116

o P a t i e n t e n I I I

0 2o 40 6o 8o

Abb. 3. Schmerzintensifiit in der Finalphase (n= 160). Verteilung der Patienten nach der jeweils letzten Schmerzeinschiitzung vor dem Tod. Diese wurde w~ihrend der kontinuierlichen Schmerzbe- handlung durchgef~hrt, ohne vorher eine optimale Analgesie abzu- warten. Die Patienten bestimmten die Stfirke ihrer Schmerzen de- skriptiv mit den Worten: kein, leichter, mfiBiger, starker, sehr star- ker oder maximal vorstellbarer Schmerz (verbal rating scale)

In der finalen Krankheitsphase stand die Gabe von An- algetika im Vordergrund der Therapie, aul3er bei 4 Pa- tienten (3 %), die nach vorausgegangenen neurolytischen Blockaden oder Bestrahlungen schmerzfrei waren. Am h~iufigsten wurden die Analgetika oral verabreicht (Ta- belle 2). Der Anteil der parenteralen Applikation hatte jedoch gegeniiber fr/iheren Krankheitsphasen deutlich zugenommen. Von der gesamten Zeit, w~ihrend der wir bei diesen Patienten eine Schmerztherapie durchf/ihrten (7840 Tage), erfolgte an 80% aller Behandlungstage eine orale, an nur 9% eine parenterale und an 5% eine peri- durale Analgetikagabe.

Die medikament6se Schmerztherapie erfolgte auch in der Finalphase nach einem regelmfiSigen Zeitplan und in Anlehnung an den Stufenplan der WHO. Entspre- chend der Wirkungsdauer wurden die Analgetika in vier- stiindlichen oder bei Verwendung retardierter Zuberei- tungen, z.B. MST| oder Diclofenac ret | in acht- bis zw6tfstiindlichen Intervallen verabreicht. Nur 10% der Patienten kamen mit nichtopiathaltigen Analgetika al- leine (WHO-Stufe 1) aus (Abb. 1). Die Kombination mit schwachen Opiaten (WHO-Stufe 2) war bei weiteren 15% ausreichend wirksam. Zwei Drittel der Patienten ben6tigten jedoch starke Opiate (WHO-Stufe 3). Bezo- gen auf alle Krankheitsphasen waren letztere an 53%, schwache Opiate an 24% und Nichtopiate alleine an 12% der Behandlungstage gegeben worden.

Insgesamt nahmen 122 Patienten (76%) bis zum Tod ein nichtopiathaltiges Analgetikum ein, davon 16 (10%) ohne Opiat (WHO-Stufe 1) und 106 (66%) in Kombina- tion mit einem Opiat (WHO-Stufen 2 und 3). Nur 27 von 133 Patienten der WHO-Stufen 2 und 3 erhielten demnach das Opiat ohne ein ,,peripher wirksames" An- algetikum.

Das hiiufigste nichtopiathaltige Schmerzmittel war Me- tamizol. Es wurde bei 78 Patienten (49%), oral oder parenteral, in Dosierungen von 2,5-6 g/d (Durchschnitt 4,5+1,1 g/d) eingesetzt. 34 Patienten (21%) erhielten, oral oder rektal, die nichtsteroidalen Antiphlogistika Diclofenac oder Flurbiprofen in Dosierungen von 150-300 mg/d (Durchschnitt 279 ___ 47), die fibrigen zehn (6%) verschiedene andere Priiparate.

Als schwaches Opiat wurde Tramadol verwendet, bei 14 Patienten (9%) oral in Dosierungen von 100-600 mg/d (Durchschnitt 390__ 139 mg/d) und bei zehn Patienten (6%) parenteral in Dosierungen von 200-500mg/d (Durchschnitt 340 + 111 mg/d). Unter den hochpotenten Opiaten dominierte Morphin. Nur ffinf Patienten (3%) erhielten Buprenorphin sublingual in Dosierungen von 0,4-2,0 mg/d (Durchschnitt 1,1 +0,6 mg/d) und sieben Patienten (4%) Piritramid parenteral in Dosierungen von 30-90 mg/d (Durchschnitt 58 ___ 17 mg/d). 96 Patien- ten (60%) nahmen Morphin ein, davon 46 oral in Dosie- rungen von 15-240 mg/d (Durchschnitt 86___ 60 mg/d) und 50 parenteral in Dosierungen von 15-360 mg/d (Durchschnitt 89-t-74 mg/d). Bei oraler Gabe kamen 80% und bei parenteraler Gabe 82% dieser Patienten mit einer Tagesdosis von maximal 120 mg Morphin aus

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Tabelle 2. Applikationsmodus der Analgetika in der Finalphase. Die absolute und relative Anzahl der jeweiligen Patienten sind an- gegeben

Oral 85 53% Parenteral 63 39% Peridural 8 4% Keine Analgetika 4 3%

Tabelle 3. Adjuvante Medikamente in der Finalphase. Die absolute und relative Anzahl der jeweiligen Patienten sind angegeben, wobei Mehrfachnennungen m6glich sind

1. Koanalgetika zur Behandlung spezieller Schmerzformen Neuroleptika 49 31% Steroide 36 23 % Antikonvulsiva 11 7% Spasmolytika 10 6% Antidepressiva 7 4%

2. Begleitmedikation zur Behandlung anderer Beschwerden: Antiemetika 60 38 % Laxantien 52 33% Hypnotika 49 31% H2-Antagonisten 30 19% Antazida 23 14% Tranquilizer 8 5%

Tabelle 4. Begleitsymptome in der Finalphase. Die absolute und relative Anzahl der jeweiligen Patienten sind angegeben, wobei Mehrfachnennungen mbglich sind

Dyspnoe 20 13 % Neurologisch-psychiatrische St6rungen 7 4% Obstipation 7 4% Erbreehen 6 4% 0belkeit 5 3% Schwitzen 5 3 % Schlafstbrungen 2 1% Miktionsst6rungen 2 1% Gastritis/Ulkus 1 1%

(Abb. 2). 87 Patienten, also fiber 90%, erhielten bereits seit l~ngerer Zeit Morphin, durchschnittlich seit 39 Ta- gen.

130 Patienten (81%) erhielten zusiitzlich adjuvante Medi- kamente, zur Behandlung spezieller Schmerzformen oder anderer Symptome (Tabelle 3). Invasive oder tumorre- duzierende Verfahren geh6ren nicht zum Behand- lungskonzept in der Finalphase und waren nur bei Pa- tienten eingesetzt worden, deren Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Durchffihrung auf mehrere Wochen, also zu hoch, eingesch/itzt wurde, Bestrahlungen bei sieben (4%), eine Chemotherapie bei einem (1%) und Nerven- blockaden bei zwei (1%) Patienten. Chemische Neuroly- sen oder Neuanlagen yon Periduralkathetern wurden bei keinem Patienten in der pr/ifinalen Phase mehr vorge- nommen.

Der Analgetikabedarf finderte sich in der Finalphase nur wenig. Unmittelbar vor dem Tod muBte die Dosis der regelmfiBig verabreichten Medikamente nur bei vier Pa- tienten gesteigert und bei sechs Patienten reduziert, so- wie deren Applikation bei drei Patienten wegen Unver- tr~glichkeit gewechselt werden. Ober die oben beschrie- bene Dauerrnedikation hinaus hatten alle Patienten je- derzeit die M6glichkeit, bei akuten Ereignissen oder Schmerzattacken eine Zusatzmedikation zu erhalten: Morphin (5-10 mg s.c./i.v.) zur Analgesie und Sedie- rung, Scopolamin (0,25-0,5 mg s.c.) zur Parasympathi- kolyse (bei bronchialer Sekretretention) und Sedierung sowie Triflupromazin (10-20 mg i.m./i.v.) zur Sedierung und Anxiolyse. W/ihrend des letzten Tages ben6tigten 31 (19%) Patienten einmal und 15 (9%) mehrmals eine solche Medikation.

Die Analyse der letzten Schmerzeinschfitzung vor dem Tod (Abb. 3) zeigt, dab nur sechs Patienten (4%) unter der regelmdfligen Medikation starke Schmerzen anga- ben, jedoch 46 (28%) wegen Schw/iche oder Bewul3t- seinstrfibung zu einer Selbsteinsch~itzung nicht mehr in der Lage oder bereit waren. Nach Beurteilung durch die betreuenden Arzte und Schwestern litt jedoch keiner dieser Patienten unter starken Schmerzen. In Tabelle 4 ist die H~ufigkeit anderer Beschwerden in der Final- phase aufgelistet. Am h/iufigsten litten die Patienten unter Dyspnoe, gefolgt von neurologisch-psychiatri- schen und gastrointestinalen Symptomen.

Diskussion

Die Analgesie geh6rt gerade in der Finalphase einer Tu- morerkrankung sicherlich zu den wichtigsten Therapie- zielen. Auch bei bewuBtseinsgetrfibten Patienten darf die Schmerztherapie nicht vollstfindig abgesetzt werden, da bei pflegerischen MaBnahmen erhebliche Schmerzen auftreten k6nnen und den sterbenden Patienten die Ent- wicklung eines k6rperlichen Entzugsyndroms erspart werden soil [28]. Ein solches kann nach l/ingerfristiger Gabe starker Opiate vor allem bei abruptem Absetzen auftreten. Eine psychische Abh/ingigkeit nach regelm/iBi- ger Gabe von Opiaten wird dagegen in der Schmerzbe- handlung fast nie beobachtet [19, 32]. Ein Absetzen der Opiate, erforderlich bei verminderter Schmerzintensitfit (z.B. nach Bestrahlung, ist deshalb m6glich, es sollte je- doch schrittweise erfolgen, um die k6rperlichen Ent- zugserscheinungen zu verhindern oder abzuschw/ichen [28, 321.

Sorgffiltige Oberlegungen nach der zugrunde liegenden Schmerzursache sind auch in der Finalphase notwendig [28]. So k6nnen tumorassoziierte Schmerzen bei Dekubi- tus durch Lagerungsmal3nahmen oder Lokalanfistheti- kasalben, bei Harnverhalt durch Katheterisierung und bei Pilzinfektionen durch Antimykotika gelindert wer- den. Alle invasiven und belastenden Verfahren mfissen auf das Notwendigste beschrfinkt werden, somit stellt die systemische Pharmakotherapie die Methode der

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Wahl dar. Die Auswahl und Applikation der Analgetika erfolgte nach den gleichen Kriterien wie in frfiheren Krankheitsphasen in Anlehnung an den Zeit- und Stu- fenplan der WHO.

Die orale Applikation bietet dem Patienten auch in die- ser Phase die gr6Bte Unabh/ingigkeit von medizinischem Personal und dem Funktionieren yon Infusionen, Ka- thetern und Pumpen [10, 28, 32]. Die ambulante Be- treuung wird hierdurch erleichtert und in vielen F/illen erst erm6glicht, weil zu Hause, je nach Versorgungssi- tuation, eine parenterale Therapie oft nicht durchfiihr- bar ist. Uber die H/ilfte unserer Patienten konnte bis zum Tod zufriedenstellend mit einer oralen Behandlung versorgt werden.

Die Indikation zur parenteralen Therapie wurde nut dann gestellt, wenn eine orale Applikation wegen Dys- phagie, therapieresistenter Ubelkeit, Ileus, Schw/iche, Bewugtseinstrfibung oder anderer Symptome nicht mehr m6glich oder zumutbar war. Im Vergleich zu fr/iheren Krankheitsphasen liegt dieser Anteil relativ hoch, weil naturgemfiB die oben genannten Indikationen mit fort- schreitender Tumorerkrankung h/iufiger wurden. Die Analgetika wurden bei gleichzeitig erforderlicher Flfis- sigkeitssubstitution durch eine kontinuierliche intrave- n6se Infusion verabreicht, sonst wurde eine subkutane Gabe bevorzugt [7, 21]. Hierffir wurde eine ,,Butterfly- Kantile" in das Subkutangewebe yon Oberschenkel oder Bauch plaziert. Der Kaniilenwechsel erfolgte meist w6- chentlich. Den Patienten wurde so eine hfiufige Punktion erspart; die Injektionen konnten oft auch von Angeh6ri- gen oder den Patienten selbst vorgenommen werden. Seit 1985 bestand auch die M6glichkeit einer kontinuierli- chen subkutanen Opiatinfusion mittels tragbarer Mini- perfusoren. Die kontinuierliche Zufuhr (i.v. oder s.c.) ist nach unserer Meinung vorteilhaft, da gleichmfiBigere Blutspiegel resultieren. Dies ffihrt zu einem konstanten Analgesieniveau und einer reduzierten Nebenwirkungs- rate [7, 21]. Eine riickenmarksnahe Opiatanalgesie [18] wurde in der Finalphase nicht mehr neu eingeleitet, bei bereits liegendem Katheter und ausreichender Wirksam- keit jedoch weitergeffihrt. Die intraventrikulfire Applika- tion yon Morphin, welche einige Autoren bei sonst the- rapierefraktfiren Schmerzen einsetzen [13], ben6tigte bis- lang keiner unserer Patienten.

Die Auswahl und Dosis der Analgetika richtete sich nach Schmerzintensitfit und Ansprechbarkeit der Schmerzen auf Analgetika. Hochpotente Opiate waren bei den meisten Patienten unverzichtbarer Bestandteil der Therapie. Morphin war das hochpotente Opiat der Wahl. Es hat eine hohe Wirksamkeit, ist vertrfiglich und steht ffir jede ben6tigte Applikationsform (oral, parente- ral oder peridural) zur Verffigung [28, 32]. Buprenorphin wurde eingesetzt, wenn die sublinguale Applikation von Vorteil war, Piritramid nut, wenn die Patienten bereits vor der Finalphase mit dieser Substanz zufriedenstellend eingestellt waren. Das Opiat muB in ausreichender Do- sierung und regelmfiBig verabreicht werden. Durch ein derartiges Regime l/il3t sich, nach Meinung vieler Auto-

ren, eine psychische Abh~ingigkeit vermeiden, auch die Toleranzentwicklung stellt dann kein praktisches Pro- blem dar [10, 19, 21, 27, 28, 31-33]. Eine wfihrend der Erkrankung n6tige Dosissteigerung lfil3t sich meistens durch eine Tumorprogression erklfiren [27]. Die Analyse unserer Daten ergibt keinen Hinweis auf eine ausge- prggte Toleranzentwicklung in der Finalphase, auch nicht nach vorausgegangener Einnahme von hochpoten- ten Opiaten fiber einen lfingeren Zeitraum. Weder waren exzessiv hohe Dosen n6tig, noch kam es final zu einer deutlichen Dosissteigerung. Es besteht somit kein Grund den Einsatz von Morphin hinauszuz6gern. Die Verord- nung sollte in jeder Krankheitsphase in Abh~ingigkeit yon der Schmerzintensitfit erfolgen.

Ein Grund fiir das Fehlen extrem hoher Morphindosen ist sicherlich im konsequenten Einsatz nichtopiathaltiger Analgetika und Koanalgetika, auch in Kombination mit hochpotenten Opiaten, bis in die Finalphase zu sehen. So konnte der additiv analgetische Effekt ausgenutzt werden [28, 32], und die Vigilanz wurde weniger be- eintrfichtigt als bei alleinigen, h6her dosierten Opiatga- ben. Auch sprechen einige Schmerzformen auf Opiate weniger gut an als auf Nichtopiate oder Koanalgetika [1, 29]. Bei Nozizeptorschmerzen (vor allem bei Knochen- schmerzen) sind nichtopiathaltige Analgetika besonders wirksam [8, 10, 28, 32]. Deshalb verzichteten wir auf ihre Verwendung nur bei einem Viertel der Patienten, z.B. wenn ein ven6ser Zugang nicht erforderlich und eine orale oder rektale Applikation nicht m6glich war (Therapie erfolgte durch subkutane Opiatinfusion), oder wenn Kontraindikationen vorlagen. Als Substanz der Wahl setzten wir Metamizol ein. Es besitzt eine starke analgetische Wirkung, ist im Gegensatz zu den Antirheu- matika nebenwirkungsarm und steht in den ben6tigten Applikationsformen zur Verfiigung [20]. Eine bereits ein- geleitete Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika ffihrten wir bei guter Vertriiglichkeit weiter, vor allem wenn Weichteil- oder Knochenschmerzen vorlagen. Koanalgetika k6nnen bei bestimmten Indikationen stiir- ker als Analgetika schmerzreduzierend wirken und wur- den deshalb bis in die Finalphase gegeben [9, 32]: Ste- roide [5, 11] bei tumorbedingter Kompression, Antikon- vulsiva [25] und Antidepressiva [14] bei Denervierungs- schmerzen. Steroide haben dariiberhinaus weitere, in dieser Phase erwfinschte euphorisierende und roborisie- rende Wirkungen [5, 1 I]. Neuroleptika, ffir die auch ein analgetischer Effekt diskutiert wird, wurden vor allem niedrigdosiert als Antiemetika gegeben [2, 6, 9]. Andere Pharmaka wurden in dieser Phase nur zur Erzielung wichtiger Therapieziele eingesetzt: Sedativa und die be- reits erwfihnten Neuroleptika zur Anxiolyse und Sedie- rung bei Angstzustfinden .o.der terminaler Unruhe, sowie Antiemetika bei starker Ubelkeit [9]. Psychopharmaka k6nnen jedoch nicht Zeit, Zuwendung, Gespriiche und Sterbebegleitung durch betreuende Personen oder Ange- h6rige ersetzen [3, 6, 12, 16, 28, 32]. Laxantien, H2- Antagonisten und Antazida wurden in der Regel abge- setzt.

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Bei fast 30% unserer Patienten kam es in der finalen Er- krankungsphase zu akuten Situationen, die die Gabe einer Zusatzmedikation erforderlich machten. Ihre Entwick- lung ist oft nicht vorhersehbar, und es kann bei Tumor- patienten jederzeit zu plStzlichen Verschlechterungen kommen. Die Verordnung einer zus/itzlichen Bedarfsme- dikation ffir derartige Notf/ille, die vom Pflegepersonal oder Angeh6rigen gegeben werden k6nnen, ist wichtiger Bestandteil der schmerztherapeutischen Betreuung.

W/ihrend frfiherer Krankheitsphasen gehSren, je nach Situation, auch Bestrahlungen, Neurolysen oder neuro- chirurgische Operationen zu einer effektiven Schmerz- therapie [24]. In der Finalphase sind sie dagegen zum einen wegen der mit ihrer Durchffihrung verbundenen Belastungen der Patienten und zum anderen wegen der Zeit bis zum Wirkungseintritt (bei Bestrahlung) nicht mehr geeignet. Werden diese Verfahren jedoch rechtzei- rig durchgeffihrt, kSnnen sie zu einer Vereinfachung der Yherapie in der Finalphase beitragen.

Die Schmerzen konnten durch die dargestellten MaB- nahmen bei fast allen Patienten zufriedenstellend gelin- dert werden. Die Schmerzeinsch~itzungen wurden regel- m/iBig durchgeffihrt, ohne vorher jeweils eine optimale Analgesie abzuwarten. Deshalb ist es nieht verwunder- lich, dab sechs Patienten w/ihrend des Zeitpunktes der letzten Einsch/itzung unter starken Schmerzen litten. Diese erhielten, wie oben beschrieben, Zusatzmedikatio- nen. Bei einem hohen Anteil der Patienten liegt jedoch keine Schmerzeinschfitzung vor, entweder weil sie auf- grund yon BewuBtseinstrfibung oder Schw/iche hierzu nicht mehr in der Lage waren, oder weil sie in dieser Situation nicht mehr zu einer Selbsteinsch/itzung bereit waren. Nach dem Urteil der betreuenden ,~rzte und Schwestern litt jedoch keiner dieser Patienten unter star- ken Schmerzen.

Auch andere Beschwerden konnten unter symptoma- tischer Behandlung weitestgehend reduziert werden. Die Schmerztherapie war zudem nicht mit einer hohen Ne- benwirkungsrate verbunden. Die bestehenden Sympto- me, wie etwa Dyspnoe, wurden zum gr613eren Teil durch den Tumor verursacht. Es ist von Bedeutung, Dyspnoe (Atemnot, erschwerte Atmung) und Atemdepression (Abnahme der Atemfrequenz) zu trennen. Wfihrend die Dyspnoe durch Opiate zu behandeln ist, stellt die Atem- depression einen Hinweis auf eine Opiatfiberdosierung dar und veranlaBt zur Opiatreduktion. Nach unseren Erfahrungen entsteht bei der Behandlung von Tumor- schmerzen eine Atemdepression nur nach Oberdosierun- gen und kann dutch sorgf'~iltige Titration vermieden wer- den. Die Patienten, die an pulmonaler Insuffizienz ver- starben, litten unter tumorbedingter Dyspnoe und zeig- ten keine klinischen Zeichen einer opiatbedingten Atem- depression. Auf den Kreislauf haben Opiate nur geringe Wirkungen, v.a. schwfichen sie schmerzbedingte An- stiege von Blutdruck und Herzfrequenz ab und schfitzen dadurch den kranken Organismus vor StreBreaktionen.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dab bei fast allen Tumorpatienten eine zufriedenstellende Schmerzreduk-

tion bis zum Tod mSglich war. Es besteht demnach kein Grund, den Beginn einer wirkungsvollen Schmerzthera- pie oder den Einsatz hochpotenter Opiate w/ihrend frfi- her Krankheitsphasen hinauszuz6gern unter der An- nahme, nur so in der Finalphase potente Analgetika zur Verffigung zu haben. Nach unseren Erfahrungen wird die Schmerztherapie in der Finalphase durch eine l~in- gere Betreuung eher erleichtert, weil diese nicht neu be- gonnen, sondern lediglich an die aktuelle Situation ange- paBt werden muB. Die verantwortlichen Schmerzmecha- nismen sowie die individuelle Vertr/iglichkeit der Anal- getika sind bekannt und die Therapie darauf abge- stimmt. Der Arzt kennt PersSnlichkeit und psychoso- ziale Situation seines Patienten und kann diese Faktoren bei der Behandlung berficksichtigen. Eine konsequente Schmerzreduktion erleichtert zudem den Aufbau des in der Finalphase so wichtigen Vertrauensverh/iltnisses zwischen Arzt, Patient und Angeh6rigen.

Die Prim~rtumoren der in diese Untersuchung aufge- nommenen Patienten verteilen sich auf alle Organsy- sterne. In der Regel wurden uns gerade die Patienten vorgestellt, die durch die auf Station oder in der Praxis fiblichen Verfahren keine zufriedenstellende Schmerzlin- derung erfuhren. Uusere g/instigen Ergebnisse fiber die Therapierbarkeit von Tumorschmerzen in der Final- phase mit einfachen Methoden und verbreiteten Medika- menten gelten daher sicherlich ffir die meisten Tumorpa- tienten. Die folgenden Empfehlungen sind ffir einen Be- handlungserfolg von besonderer Bedeutung [11, 28]:

1. Eine klinische Analyse der Schmerzmechanismen, so- weit ohne Belastung des Patienten mSglich, sollte auch in der Finalphase angestrebt werden. Diagnostische Ver- fahren sind jedoch auf das Allernotwendigste zu be- schr/inken und verbieten sich somit in der Regel.

2. Die Analgesie gehSrt bis zum Tod zu den wichtigsten Therapiezielen. Verfahren der Wahl ist die regelmfiBige orale oder kontinuierliche parenterale Gabe yon Analge- tika. Ihre Auswahl sollte in Anlehnung an den Stufen- plan der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erfolgen, die Dosierung ausreichend hoch gewfihlt werden. Bei speziellen Schmerzformen (z.B. Denervierungsschmer- zen) sind Koanalgetika erforderlich.

3. Die Schmerzbehandlung ist regelm/iBig und in kurzen Zeitabst/inden zu tiberwachen und gegebenenfalls anzu- passen.

4. Bei jedem Patienten mul3 eine zus~itzliche Medikation (Morphin, Scopolamin und/oder Triflupromazin) f/ir den Bedarfsfall verordnet werden, die eine schnelle Hilfe durch Pflegepersonal oder Angeh6rige ermSglicht.

5. Darfiberhinaus sollte sich die Behandlung auf im Vor- dergrund stehende Beschwerden, wie terminale Unruhe, Angstzust/inde, starkes Erbrechen oder Dyspnoe be- schr/inken. Weniger wichtige Pharmaka sollten abgesetzt werden.

6. Invasive oder belastende Therapieverfahren sind in dieser Phase nicht mehr notwendig und sinnvoll.

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Dr. S. Grond Institut ffir Anaesthesiologie der Universitfit Joseph-Stelzmann-StraBe 9, D-5000 K61n 41