5
Arthur Schopenhauer Die Kunst, recht zu behalten In achtunddreißig Kunstgriffen dargestellt ANACONDA

schopenhauer recht behalten 04 - anacondaverlag.de · EristischeDialektikN ist die Kunst zu disputieren, und zwar so zu disputieren, daß man recht behält, also per fas et nefas

Embed Size (px)

Citation preview

ArthurSchopenhauer

Die Kunst,recht zu behalten

In achtunddreißigKunstgriffen dargestellt

ANACONDA

schopenhauer_recht_behalten_04.qxp 04.03.2009 10:40 Seite 3

Die vorliegende Ausgabe folgt der kritischen Edition Arthur Schopen-

hauer: Der handschriftliche Nachlaß. Hrsg. von Arthur Hübscher. 5 Bände.

Frankfurt a. M.: Kramer 1966–1975, Band III, S. 666–695. Der Text wurde

unter Wahrung von Lautstand und grammatischen Eigenheiten moder-

nisiert und die geplante Einleitung ans Ende gestellt. Die Ergänzungen

und Nachweise in eckigen Klammern sind Zusätze der Redaktion des

Verlages. Die Übersetzung fremdsprachiger Zitate, Termini und Buchtitel

stammt von Matthias Hackemann.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten

sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2016 Anaconda Verlag GmbH, Köln

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotive: Arthur Schopenhauer (1855), Private Collection /

Avant-Demain / Bridgeman Images. – »Black and gold background«,

© len_pri / Thinkstock

Umschlaggestaltung: Harald Braun, Berlin

Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K.

Printed in Czech Republic 2016

ISBN 978-3-7306-0350-5

www.anacondaverlag.de

[email protected]

schopenhauer_recht_behalten_0350-5_f16_weisheit 13.11.2015 14:09 Seite 4

ERISTISCHE DIALEKTIK

schopenhauer_recht_behalten_04.qxp 04.03.2009 10:40 Seite 5

E ristische DialektikN ist die Kunst zu disputieren, undzwar so zu disputieren, daß man recht behält, also

per fas et nefas [mit fairen sowie unfairen Mitteln].O

7

1 Bei den Alten werden Logik und Dialektik meistens als Syno-nyme gebraucht: bei den Neueren ebenfalls.2 Eristik wäre nur ein härteres Wort für dieselbe Sache. – Ari-stoteles (nach Diog. Laert. V, 28) stellte zusammen Rhetorikund Dialektik, deren Zweck die Überredung, JÎ B4h"<`<, seiXsodann Analytik und Philosophie, deren Zweck die Wahr-heit. – )4"8g6J46¬ *X ¦FJ4 JXP<0 8`(T<s *4z μH •<"F6gLV.@:X<J4 ´ 6"J"F6gLV.@:g<s ¦> ¦DTJZFgTH 6"Â •B@6D\FgTH Jä<

BD@F*4"8g(@:X<T< [Dialektik ist diejenige Redekunst, mitder wir in Gesprächen durch Fragen und Antworten irgend-eine Behauptung aufstellen oder umstoßen.], Diog. Laert. III, 48in vita Platonis. – Aristoteles unterscheidet zwar 1. die Logikoder Analytik, als die Theorie oder Anweisung zu den wah-ren Schlüssen, den apodiktischenX 2. die Dialektik oderAnweisung zu den für wahr geltenden, als wahr kurrenten –§<*@>", probabilia (Topik, I, 1 und 12) – Schlüssen, wobeizwar nicht ausgemacht ist, daß sie falsch sind, aber auch nicht,daß sie wahr (an und für sich) sind, indem es darauf nicht an-kommt. Was ist denn aber dies anders als die Kunst, recht zubehalten, gleichviel ob man es im Grunde habe oder nicht\Also die Kunst, den Schein der Wahrheit zu erlangen unbe-kümmert um die Sache. Daher wie anfangs gesagt. Aristotelesteilt eigentlich die Schlüsse in logische, dialektische, so wieeben gesagt: dann 3. in eristische (Eristik), bei denen dieSchlußform richtig ist, die Sätze selbst aber, die Materie, nichtwahr sind, sondern nur wahr scheinen, und endlich 4. in sophi-stische (Sophistik), bei denen die Schlußform falsch ist, jedochrichtig scheint. Alle drei letzten Arten gehören eigentlich zur eri-stischen Dialektik, da sie alle ausgehn nicht auf die objektiveWahrheit, sondern auf den Schein derselben, unbekümmertum sie selbst, also auf das recht behalten. Auch ist das Buchüber die Sophistischen Schlüsse erst später allein ediert: es wardas letzte Buch der Dialektik.

schopenhauer_recht_behalten_04.qxp 04.03.2009 10:40 Seite 7

Man kann nämlich in der Sache selbst objective rechthaben und doch in den Augen der Beisteher, ja bis-weilen in seinen eignen, unrecht behalten. Wannnämlich der Gegner meinen Beweis widerlegt, unddies als Widerlegung der Behauptung selbst gilt, fürdie es jedoch andre Beweise geben kannX in welchemFall natürlich für den Gegner das Verhältnis umge-kehrt ist: er behält recht, bei objektivem Unrecht.Also die objektive Wahrheit eines Satzes und dieGültigkeit desselben in der Approbation der Streiterund Hörer sind zweierlei. (Auf letztere ist die Dia-lektik gerichtet.)

Woher kommt das\ – Von der natürlichenSchlechtigkeit des menschlichen Geschlechts. Wärediese nicht, wären wir von Grund aus ehrlich, sowürden wir bei jeder Debatte bloß darauf ausgehn,die Wahrheit zu Tage zu fördern, ganz unbeküm-mert ob solche unsrer zuerst aufgestellten Meinungoder der des andern gemäß ausfiele: dies würdegleichgültig, oder wenigstens ganz und gar Neben-sache sein. Aber jetzt ist es Hauptsache. Die ange-borne Eitelkeit, die besonders hinsichtlich der Ver-standeskräfte reizbar ist, will nicht haben, daß waswir zuerst aufgestellt, sich als falsch und das des Geg-ners als recht ergebe. Hienach hätte nun zwar bloßjeder sich zu bemühen, nicht anders als richtig zuurteilen: wozu er erst denken und nachher sprechenmüßte. Aber zur angebornen Eitelkeit gesellt sich beiden Meisten Geschwätzigkeit und angeborne Unred-lichkeit. Sie reden, ehe sie gedacht haben, und wenn

8

schopenhauer_recht_behalten_04.qxp 04.03.2009 10:40 Seite 8