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Schreibmaschine Ein kleiner Abschnitt der Schreibgeschichte wird hier angesprochen, da er viel mehr mit der Ent- wicklung der Typografie zu tun hat, als man ahnt. Schreibmaschinen, wie man sie kennt, haben fast ein Jahrhundert das Aussehen von Dokumenten geprägt. Ihre Typografie bekam eine eigene Ästhe- tik. Die alte mechanische Typenhebelmaschine hatte einen ganz entscheidenden Nachteil für die Lesbarkeit ihrer Schriften; alle Buchstaben muss- ten die gleiche Raumbreite benutzen. So konnte es sein, dass das große M etwas bedrängt wirkte, das i aber zu viel Platz hatte. Dieser Mangel wurde mit einem Trick vermindert : Durch Serifen (den kleinen Füßchen an den Buchstaben) konnte die Wirkung einer Zeile etwas gleichmäßiger gestaltet werden. Mit der IBM-Kugelkopfmaschine kam dann ein neuer und höherer Qualitätsstandard in die Büros (Abb. unten). Die Schrift wurde den Möglich- keiten entsprechend optimiert. Aber das grund- sätzliche Problem der gleichen Buchstabenbreiten blieb, besonders wenn man serifenlose Schriften verwendete. Trotzdem gab es auch hier bereits durchaus Möglichkeiten, um gut gestaltete Dokumente zu erstellen. Die Typografie der Schreibmaschine und später des Schreibsatzes (IBM-Composer) ließ dies zu. Wenn ich Schreibmaschinentypografie hier erläutere, dann deshalb, weil diese Zusammenhän- ge eine wichtige Basis typografischer Gestaltung bilden. Im Beispiel wird sogar eine Überschriften- hierarchie auf vier Ebenen demonstriert. Wie sie funktioniert, erklärt das Beispiel selbst. Schrift und Charakter Wie wir bereits in den ersten Kapiteln gesehen haben, hat jede Schrift einen Charakter, also einen »Ausdruck«. Die Wahl der Schrift erfolgt bei Gestaltern nach der Lesbarkeit, d. h. der Funktion, und nach dem individuellen Ausdruck. Fast alle verbreiteten Textschriften sind gut lesbar. Je individueller eine Schriftform aber ist, desto mehr nimmt meist die gute Lesbarkeit ab. Wie wählt man nun aber Schriften aus? Welche Hilfen gibt es hierzu? Zur Übersicht und zu einer guten Wahl der Schrift hilft uns eine Einteilung der Druckschriften nach DIN 16518. Diese bei Schrift- experten sehr umstrittene Regelung wird neu sor- tiert. Eine Einigung ist aber noch nicht absehbar. Von den vielen tausend Schriften, die es heute auf dem Markt gibt, werden einige hervorgeho- ben, die auf den gängigen Laserdruckern zu benut- zen sind, für die einfachste Typografie also. Um mit Schrift umzugehen, sollten aber die nebenstehen- den Begriffe bekannt sein. Schrift soll zum Inhalt des Textes passen und kann den Ausdruck verstärken. Die Stimmung einer Drucksache kann damit bewusst beeinflusst werden. Das reicht von sachlich bis neutral, romantisch, elegant, schrill etc. Im Kapitel über die Schriftwahl werden auch solche Stimmungen oder deren Erwartungen angesprochen. Eine ein- gehendere Analyse der Anatomie von Schriften befasst sich im Einzelnen mit Proportion der Grundform Laufweite Proportion innerhalb der Schriftbildhöhe Strichfette, Strichkontrast Serifen Lage der Schattenachsen Vorbilder Schriftkünstler Wiedergabequalität Diese Betrachtung hat sich vom Blei- über den Fotosatz zum heutigen digitalen Satz nicht geän- dert, der Hintergrund der Techniken allerdings radikal. 42 Grundlagen der Typografie 43 Schrift Schrift Welche Schrift verwendet wird, ist mit ausschlag- gebend für den Eindruck, der von einer Drucksache oder einem Screen ausgeht. Welche Schrift also und warum? Geschichte, Charakter und digitale Technik als notwendiges Hintergrundwissen. Charakter, Artenvielfalt und Wahl Albert Kapr, Schriftkunst. Geschichte, Anatomie und Schönheit lateini- scher Buch- staben. Saur, München 1995 (Neuauflage) Vergleich der ein- heitengleichen (monospaced) Schreibmaschi- nenschrift mit der proportionalen Druckschrift Palatino Überschriften- hierarchie auf einer IBM- Kugelkopf- Schreibmaschine geschrieben Schriftwahl und Inhalt Römische Initialen Humanis- tische Minuskel Arabische Ziffern Renaissance Antiqua Kursive Barock- Antiqua Klassizistische Antiqua Reklame- Schriften Serifenlose Schriften Serifen- Schriften 20. Jhd. Klassi- fikation Charakter Stimmung Lesbarkeit Laufweiten- probleme bei Monospace- Schriften (IBM) Schreibmaschinenbild aus den 30er Jahren

Schrift Schrift und Charakter - Cloud Object Storage · Schrift und Charakter Wie wir bereits in den ersten Kapiteln gesehen haben, hat jede Schrift einen Charakter, ... fast wie

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SchreibmaschineEin kleiner Abschnitt der Schreibgeschichte wirdhier angesprochen, da er viel mehr mit der Ent-wicklung der Typografie zu tun hat, als man ahnt.Schreibmaschinen, wie man sie kennt, haben fastein Jahrhundert das Aussehen von Dokumentengeprägt. Ihre Typografie bekam eine eigene Ästhe-tik.

Die alte mechanische Typenhebelmaschinehatte einen ganz entscheidenden Nachteil für dieLesbarkeit ihrer Schriften; alle Buchstaben muss-ten die gleiche Raumbreite benutzen. So konnte essein, dass das große M etwas bedrängt wirkte, dasi aber zu viel Platz hatte. Dieser Mangel wurde miteinem Trick vermindert :

Durch Serifen (den kleinen Füßchen an denBuchstaben) konnte die Wirkung einer Zeile etwasgleichmäßiger gestaltet werden.

Mit der IBM-Kugelkopfmaschine kam dann einneuer und höherer Qualitätsstandard in die Büros(Abb. unten). Die Schrift wurde den Möglich-keiten entsprechend optimiert. Aber das grund-sätzliche Problem der gleichen Buchstabenbreitenblieb, besonders wenn man serifenlose Schriftenverwendete.

Trotzdem gab es auch hier bereits durchausMöglichkeiten, um gut gestaltete Dokumente zuerstellen. Die Typografie der Schreibmaschine undspäter des Schreibsatzes (IBM-Composer) ließ dies zu.

Wenn ich Schreibmaschinentypografie hiererläutere, dann deshalb, weil diese Zusammenhän-ge eine wichtige Basis typografischer Gestaltungbilden. Im Beispiel wird sogar eine Überschriften-hierarchie auf vier Ebenen demonstriert. Wie siefunktioniert, erklärt das Beispiel selbst.

Schrift und Charakter

Wie wir bereits in den ersten Kapiteln gesehenhaben, hat jede Schrift einen Charakter, also einen»Ausdruck«. Die Wahl der Schrift erfolgt beiGestaltern nach der Lesbarkeit, d.h. der Funktion,und nach dem individuellen Ausdruck. Fast alleverbreiteten Textschriften sind gut lesbar. Jeindividueller eine Schriftform aber ist, desto mehrnimmt meist die gute Lesbarkeit ab.

Wie wählt man nun aber Schriften aus? WelcheHilfen gibt es hierzu? Zur Übersicht und zu einerguten Wahl der Schrift hilft uns eine Einteilung derDruckschriften nach DIN 16518. Diese bei Schrift-experten sehr umstrittene Regelung wird neu sor-tiert. Eine Einigung ist aber noch nicht absehbar.

Von den vielen tausend Schriften, die es heuteauf dem Markt gibt, werden einige hervorgeho-ben, die auf den gängigen Laserdruckern zu benut-zen sind, für die einfachste Typografie also. Um mitSchrift umzugehen, sollten aber die nebenstehen-den Begriffe bekannt sein.

Schrift soll zum Inhalt des Textes passen undkann den Ausdruck verstärken. Die Stimmungeiner Drucksache kann damit bewusst beeinflusstwerden. Das reicht von sachlich bis neutral,romantisch, elegant, schrill etc. Im Kapitel überdie Schriftwahl werden auch solche Stimmungenoder deren Erwartungen angesprochen. Eine ein-gehendere Analyse der Anatomie von Schriftenbefasst sich im Einzelnen mit� Proportion der Grundform� Laufweite� Proportion innerhalb der Schriftbildhöhe� Strichfette, Strichkontrast� Serifen� Lage der Schattenachsen� Vorbilder� Schriftkünstler� Wiedergabequalität

Diese Betrachtung hat sich vom Blei- über denFotosatz zum heutigen digitalen Satz nicht geän-dert, der Hintergrund der Techniken allerdingsradikal.

42 Grundlagen der Typografie 43Schrift

Schrift

Welche Schrift verwendet wird, ist mit ausschlag-gebend für den Eindruck, der von einer Drucksacheoder einem Screen ausgeht. Welche Schrift also und warum? Geschichte, Charakter und digitale Technik als notwendiges Hintergrundwissen.

Charakter, Artenvielfalt und Wahl

Albert Kapr,Schriftkunst.Geschichte, Anatomie undSchönheit lateini-scher Buch-staben. Saur,München 1995(Neuauflage)

�Vergleich der ein-heitengleichen(monospaced)Schreibmaschi-nenschrift mit derproportionalenDruckschrift Palatino

�Überschriften-hierarchie aufeiner IBM-Kugelkopf-Schreibmaschinegeschrieben

Schriftwahl und Inhalt

RömischeInitialen

Humanis-tischeMinuskel

ArabischeZiffern

RenaissanceAntiqua

Kursive

Barock-Antiqua

KlassizistischeAntiqua

Reklame-Schriften

SerifenloseSchriften

Serifen-Schriften20. Jhd.

Klassi-fikation

Charakter

Stimmung

Lesbarkeit

�Laufweiten-probleme beiMonospace-Schriften (IBM)

Schreibmaschinenbild aus den 30er Jahren�

42-73_Galileo_190x227 10.08.2001 15:42 Uhr Seite 42

Klassifikation der Schrift

Die Klassifizierung nach DIN orientiert sich nach: 1. der historischen Entstehung der Schriften, 2. nach grafischen Merkmalen, 3. der Form der Serifen, 4. den Strichgegensätzen und 5. der Stellung der Schattenachse.

Gruppe I: Venezianische Renaissance-AntiquaDie älteste Gruppe der in Gebrauch befindlichenLeseschriften, die in der frühen Druckzeit (Inkuna-beln 1450 bis 1530) entstanden. Während für dieGroßbuchstaben die Römische Kapitalis übernom-men wurde, stammen die Kleinbuchstaben vonder Humanistischen Minuskel ab, die auf eineSchriftreform um 800 durch Karl den Großenzurückging.

Kräftige Serifen, geringe Unterschiede in denStrichstärken, nach links neigende Achsstellung,relativ große Ober- und Unterlängen sind einigeder Merkmale. In der Strichführung ist der Einflussder Breitfeder im Wechselzug fett-fein zu sehen.Der Querstrich des e liegt meistens schräg.

g

44 Grundlagen der Typografie 45Schrift

�Schriftbegriffe

�Anmutung und

unterschiedlicheLesbarkeit

SchleifeAchse derRundung

Auslauf

S-KurveSchulter

Steg

Serife

Querstrich

Grundstrich

Bogen Innenraum(Punze)

Strichmodulation

Palatino

Avant Garde

Bernhard Modern

Garamond

HelveticaNeue

Rockwell

Das Figuren-verzeichnis der

Syntax, dieSchrift, die inallen Büchern

von GalileoPress verwen-

det wird�

II III IV V VI

�Serifenformen inden verschiede-nen Schrift-klassifikationen

�Strichgegensätzebei der Barock-Antiqua, klassizis-tische Antiqua,der serifenbeton-ten und der seri-fenlosen Linear-Antiqua

�Stellung derSchattenachse beider Garamondund der Bodoni

A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Za b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y za b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y zÄ Ö Ü Œ Æ Ø ä ö ü œ æ ø ßé è ê á à â å ã ç ó ò ô õ ø ú ù û î í ì ï ñ ÿÉ È Ê Á À Â Å Ã Ç Ó Ò Ô Õ Ø Ú Ù Û Î Í Ì Ï Ñ Ÿ1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0. , ; : - – ! ? » « „ “ ' ‘ ’ / ( ) [ ] < > _ { | } †Ø √ ƒ ≈ ∞ ± ≤ ≥ µ ∂ π ∫ ÷ ∆ … ÷ ‹ ›§ £ $ € ¢ £ ¥ % ‰ & * ® © @ fi fl

�Gruppe I: Stempel Schneidler

�Trajanus

�Cetaur

�Guardi

�Berkeley OldStyle

Schrift von Nicolas Jenson, 1470�

42-73_Galileo_190x227 10.08.2001 15:42 Uhr Seite 44

Gruppe II: Französische Renaissance-AntiquaEntstanden im 16. Jahrhundert, heute ist die Grup-pe mit den meisten Schrifttypen. Der Unterschiedder Strichstärken ist noch gering, die Achse derRundungen neigt sich nach links, und die Serifensind ausgerundet. Durch die ruhige Zeilenführungdieser Zeichen ist die Renaissance-Antiqua sehrgut lesbar. Keilförmige Ansatzstriche finden sich ansenkrechten Strichen. Die Großbuchstaben sindetwas kürzer als die Oberlängen der Kleinbuch-staben, womit die Versalien nicht zu kräftighervortreten.

Gruppe III: Barock-AntiquaDie Strichdicke ist jetzt unterschiedlicher, dieWerkzeuge des Kupferstichs haben sich auf dieseSchriftepoche ausgewirkt. Fast senkrecht steht nundie Achse der Rundungen, und die Serifen sindweniger ausgerundet. Meist sind die Serifen derKleinbuchstaben oben schräg und unten waage-recht. Die Wirkung der Schrift ist statischer als beider Renaissance-Antiqua.

Gruppe IV: Klassizistische AntiquaStarke Unterschiede in den Haar- und Grundstri-chen sowie die waagerechten Serifen machendiese Gruppe gut erkennbar. Eine gute Lesbarkeitist nicht bei allen Typen dieser Gruppe gegeben.Die Achse der Rundungen steht waagerecht. DerStichel als Werkzeug ermöglichte eine so strengeund klare Form.

Gruppe V: Serifenbetonte Linear-AntiquaHaar- und Grundstriche dieser Schriften unter-scheiden sich kaum. Selbst die Serifen entsprechenoptisch der gleichen Strichstärke, sind dadurchsogar betont. Bei einigen Charakteren dieser Grup-pe ist die Herkunft aus der klassizistischen Schriftsichtbar. Generell ist diese Schriftgruppe eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts, als die aufkom-mende Reklame neue und auffälligere Schriftenbrauchte. Innerhalb dieser Schriftgruppe gibt esdeutliche Unterschiede zwischen Schriften, dievon der Klassizistischen Antiqua abgeleitet sind,den Zeitungsschriften, einer mehr konstruiertenForm und neuere Schriften, die von der Renaissan-ce-Antiqua abgeleitet sind.

g

46 Grundlagen der Typografie 47Schrift

�Gruppe II: Garamond

��Aldus Manutius,

Venedig 1498

�Gruppe III:

Caslon

�Gruppe IV: Bodoni

��historisch Walbaum

�Walbaum

�Centennial

�Clarendon

�Serifa

�Rotation

�Candida

�City

�LinoLetter

�Gruppe V:Rockwell

�Palatino

�Bembo

�Perpetua

�Meridien

�Baskerville

�Times Ten

�Concorde

42-73_Galileo_190x227 10.08.2001 15:42 Uhr Seite 46

Gruppe VI: Serifenlose Linear-AntiquaGenerell hat diese Antiqua-Form keine Serifen. DieStrichstärke ist nahezu gleich. Diese Schriftgruppehat drei Untergruppen:� 1. Ableitung aus der klassizistischen Antiqua

(gleichzeitig typisch für Schriften des 20. Jahr-hunderts, obwohl die Entwicklung schon im 19. Jahrhundert begann)

� 2. konstruierte Schriften� 3. modulierte Schriften, die aus der Renaissan-

ce-Antiqua abgeleitet sind Während die erste Untergruppe Schriften wie

die »Helvetica«, die im 20. Jahrhundert am häufig-sten verwendete serifenlose Schrift, verkörpert,finden sich in der zweiten Gruppe Schriften, diefast wie konstruiert aussehen. Die Lesbarkeitdieser Schriften ist für längere Texte etwas beein-trächtigt. Ihre formale Wirkung bei der Verwen-dung in Überschriften ist jedoch gut.

Die dritte Gruppe enthält vor allem serifenloseSchriften unserer Zeit, die wegen der besserenLesbarkeit sehr bedeutend geworden sind. DieStrichführung ist dabei unterschiedlich, wie wir esvon Leseschriften der Renaissance-Antiqua ge-wöhnt sind.

Gruppe VII: Antiqua-VariantenHier ist versammelt, was in die einzelnen Gruppennicht einzuordnen ist, weil die Beurteilungskrite-rien nicht übereinstimmen. Man findet dorthauptsächlich Auszeichnungsschriften, das sindSchriften zur Hervorhebung oder zur Dekoration,oft auch mit besonderem Charakter, kaumTextschriften.

Gruppe VIII: SchreibschriftenDiese Schriften basieren auf Handschriften, diejetzt zu Druckschriften geworden sind.

Gruppe IX: Handschriftliche AntiquaDie Nähe dieser Schriftgruppe zur Gruppe VII istbezeichnend für Antiqua-Formen, sie besitzenaber durchaus »handgemachten« Charakter.

g

48 Grundlagen der Typografie 49Schrift

�Gruppe VI:

Syntax

��Standard 1898,

die später zurAkzidenz Groteskwurde. Berthold

�Helvetica

�Univers

�Imago

�Frutiger

�Meta

�Franklin Gothic

�Avenir

�Kabel

�Neuland

�Bernhard modern

���Gruppe VII:Souvenir

�Gruppe VIII:Zapf Chancery

�KünstlerScript

�Forte

�Gruppe VIII:Post Antiqua

�Mistral

�Pepita

42-73_Galileo_190x227 10.08.2001 15:42 Uhr Seite 48

Gruppe X: Gebrochene SchriftenKaum mehr in Gebrauch, aber da diese Schriftfor-men bis 1940 eine parallele Schriftkultur zu denAntiquaformen verkörperten, werden die einzel-nen Untergruppen gezeigt.

GotischDas ist die Schriftform, die Gutenberg für seineersten Drucke verwendet hat. Sie stammt eben-falls von der humanistischen Minuskel ab. Diespätgotische Gitterform (Textura) wird von denkräftigen senkrechten Strichen bestimmt. Die Run-dungen sind »gebrochen«.

Rundgotisch (Rotunda)Das ist die populäre und besser lesbare Schwesterder Gotischen, weiter und offener im Bild.

SchwabacherSchwungvolle Großbuchstaben, breit laufend undkleinere Mittellängen; diese Form findet sich nurim deutschen Sprachraum.

Fraktur»Elefantenrüssel« in den Versalformen und auf-gespaltene Oberlängen: Es ist die am meisten verwendete Schrift in der deutschen Literatur. Im 18. Jahrhundert war sie mit ein Anlass einesbedeutenden Schriftenstreits zwischen Autorenund Verlegern.

Fremde SchriftenDiese seltsame Rubrik enthält sozusagen den»Rest«, nämlich Griechisch, Kyrillisch, Hebräisch,Arabisch und sonstige.

Schriftfamilien

Für ein einheitliches typografisches und gutwirkendes ästhetisches Schriftbild ist es ambesten, Schriften nicht zu mischen, sondern sie nurinnerhalb einer Schriftfamilie zu kombinieren.Eine gute Satzschrift verfügt im Allgemeinen überfolgende Schnitte:� normal� kursiv� halbfett� halbfett kursiv� fett� fett kursiv

In einer erweiterten Form kommen diverseschmale, breite, magere und extrafette Schnittehinzu.

g

50 Grundlagen der Typografie 51Schrift

�Gotische Schrif-

ten: 42-zeiligeBibel von Johan-

nes Gutenberg1455; Caslon

Gotisch ca. 1760;Fleischmann

Gotisch, Mitte 18.Jhrh.

�Rotunda Erhard

Ratdolt 1486;Wallau, Von Hein-

rich Wallau 1885geschrieben, 1925

bei Stempel AG;Alte Schwa-bacher, 1650

�Luthersche

Fraktur 1708 Ege-nolffsche Gieße-

rei, Frankfurt;Unger Fraktur,

Johann FriedrichUnger 1793

Die Stone, eine schöne Schrift?

Die Stone, eine schöne Schrift?

Die Stone, eine schöne Schrift?

Die Stone, eine schöne Schrift?

Die Stone, eine schöne Schrift?

Die Stone, eine schöne Schrift?

� Eine normale Schriftfamlie

�Die Univers mit 21Schriftschnittenin der Familie

� Die 144 Schriftschnitte der Thesis

�Vergleich der Wirkung: Obeneine Schriftfamlie(Stone serif),unten eineMischung (Stone serif undHelvetica)

Manche dieserSchriften wurden

im wohl letztenBleisatz-Schrift-

musterbuchgefunden:

Schriftproben fürden Bleisatz;

Offizin AndersenNexö, Leipzig

1988

Albert Kapr, Fraktur. Hermann

Schmidt, Mainz1993

42-73_Galileo_190x227 10.08.2001 15:43 Uhr Seite 50

Schrift mischen

Die Stilreinheit einer Gestaltung ist von der Wahlder Schrift ganz stark mitgeprägt. Meistens beziehtsich dies auf einen bestimmten Schriftcharakteroder auf eine Schriftfamilie. Dagegen kann eineSchriftmischung einen besonderen Akzent odereinen individuellen Kontrast in der Gestaltung her-vorrufen. Im neben stehenden Beispiel wird dieWirkung von konsequenter Verwendung einerSchriftfamilie und der Mischung von zwei Schriftendemonstriert. Zur Auswahl von Schriftmischungengehört viel Erfahrung in der Gestaltung. Deshalbsollte ein Anfänger in der typografischen Gestal-tung besser darauf verzichten.

Verschiedene Schriften miteinander zu mischenund dies noch als ein Element der typografischenGestaltung zu betrachten, ist generell als diezweitbeste Lösung zu wählen. Stilreinheit sollteabsolutes Gebot klaren Designs sein. Falls trotz-dem Schriften gemischt werden sollen, ist zubeachten, dass immer genügend Kontrast zwi-schen den Schriften geschaffen wird. So entstehtzwischen den beiden verwendeten Schriften eineoptische Spannung.

Ein einfaches Beispiel und leider eine in Fach-zeitschriften und Fachbüchern bis zum Überdrusspraktizierte Kombination ist folgende Mischung:Als Grundschrift wird die Times, also eine Serifen-schrift verwendet. Dazu kommt als Überschrift

eine Helvetica halbfett als serifenlose Linear-Anti-qua. Man muss sich allerdings fragen, warum dieseMischung so populär ist, da ja die Times einedurchaus gut ausgebaute Schriftfamilie ist.

Nicht mischen sollte man Schriften aus der glei-chen Charaktergruppe einer Schriftklassifikations-gruppe. Auch eine klassizistische Antiqua passtnicht zur Barockschrift, zur französischen oder zurvenezianischen Renaissance-Antiqua. Schrifteneines Schriftkünstlers können unter Umständenzusammenpassen, da der Schriftduktus und die»Handschrift« des Künstlers oft einheitlich sind.

Eine kräftige Egyptienne könnte zu einerRenaissance- oder Barock-Antiqua passen, da siemit ihren rechtwinkligen Serifen einen starkenKontrast zur Renaissance-Antiqua bildet.

Klassizistische Schriften passen bisweilen zuSchreibschriften. Der Kontrast entsteht schon inder Form, und die Verwandtschaft resultiert oftaus ähnlich starken Kontrasten zwischen Haar- undSchattenstrichen. Zu einer zurückhaltenden Gro-teskschrift lassen sich relativ viele Schriftmischun-gen zusammenstellen, vor allem dann, wenn essich um auch in der Größe kontrastierende Über-schriften handelt.

Schriftmanipulation

Zunächst: Lassen Sie Finger und Maus davon.Schrift ist in ihren Formen ein äußerst empfindli-ches Gebilde und verträgt kaum eine Veränderung.Da auf dem Rechner so viel möglich ist, kann manleider auch Schriften breiter ziehen, verschmälernoder nach allen Richtungen schief ziehen. Es könn-te zwar für einen geübten Typografen die Ausnah-me geben, dass für eine Headline mit äußersterVorsicht etwas verändert wird. Aber im Allgemei-nen doch bitte, bitte nicht.

Denn verbreitert man die Schrift, wird sie meis-tens hässlich, derb bis brutal. Stellt man sie enger,wird sie krank, rachitisch. Nimmt man sie schräg,als Konkurrenz zur kursiven, hat sie keinen Haltmehr, ihre Modulation ist gekippt.

g

52 Grundlagen der Typografie 53Schrift

�Verschiedene

Schrift-mischungen

�Schrift manipuliert:Hier wurde dieBuchstabenbreiteelektronisch verschmälert

�Hier wurde dieBuchstabenbreiteelektronisch breiter gestellt

Eva wehrt sich auf Sylt gegenWhisky trinkende Boxkämpfer mitihren schnellen braunen Hunden.Eva wehrt sich auf Sylt

Eva wehrt sich auf Sylt gegen Whiskytrinkende Boxkämpfer mit ihrenschnellen braunen Hunden. Eva wehrtsich auf Sylt gegen Whisky trinkende

Eva wehrt sich auf Sylt gegen Whisky trin-kende Boxkämpfer mit ihren schnellenbraunen Hunden. Eva wehrt sich auf Syltgegen Whisky trinkende Boxkämpfer mit

Eva wehrt sich auf Sylt gegen Whisky trinkendeBoxkämpfer mit ihren schnellen braunen Hun-den. Eva wehrt sich auf Sylt gegen Whisky trin-kende Boxkämpfer mit ihren schnellen braunen

Eva wehrt sich auf Sylt gegenWhisky trinkende Boxkämpfer mitihren schnellen braunen Hunden.Eva wehrt sich auf Sylt

Eva wehrt sich auf Sylt gegenWhisky trinkende Boxkämpfermit ihren schnellen braunenHunden. Eva wehrt sich auf Sylt

Eva wehrt sich auf Sylt gegenWhisky trinkende Boxkämp-fer mit ihren schnellen brau-nen Hunden. Eva wehrt sichauf Sylt gegen Whisky trin

Eva wehrt sich auf Syltgegen Whisky trinkendeBoxkämpfer mit ihrenschnellen braunen Hund

�Weit verbreiteteSchriftmischung

aus Helveticaund Garamond

��Schriftmischung

aus Franklin-Gothic und

Utopia

42-73_Galileo_190x227 10.08.2001 15:43 Uhr Seite 52

Digitalisierung und Schrift

Die Basis für eine Schriftentwicklung ist der Ent-wurf, der fast immer – wenigstens in Zeichen-Pro-totypen – manuell gezeichnet wird. Dies ist einesehr spezielle Designarbeit und der Gestalterbraucht umfangreiches Wissen und Können überdie Schriftgeschichte und die Lesbarkeit vonSchriften. Häufig wird der Entwurf in einer Höhevon 192,5 mm angelegt oder vergrößert. Auf derReinzeichnung wird der seitliche Buchstaben-abstand grundsätzlich schon festgelegt.

Die weitere elektronische Verarbeitunggeschieht mit den Programmen Ikarus oder Fonto-grapher. Beim Ikarus wird der Spline-definierteBuchstabenumriss (Outline) auf einen elektro-nischen Raster projeziert. Die Knotenpositionenwerden mit der Maus in den Rechner eingespeist.Grundstriche und Serifen werden erfasst. Aus demSplineumriss können alle erdenklichen Form-varianten berechnet werden. Der Schriftkünstlermarkiert jede einzelne Konturform, die dann dar-gestellt wird. Durch Verschiebung der Markie-rungspunkte können Formkorrekturen angebrachtwerden. Dann werden die Ikarusdaten in Scan-daten umgewandelt, so dass sie dann nicht mehraus Koordinatenpunkten, sondern aus Bildpunktenbestehen. Qualitätsverluste können wiederumdurch Veränderung der einzelnen Bildpunkte aus-geglichen werden.

Oft wird die Brauchbarkeit einer Schrift mit nurganz wenigen Buchstaben, die zum Text zusam-mengesetzt wurden, getestet. Das erspart beigleichbleibenden Formelementen später nötigeKorrekturen. Die einzelnen Punkte zur Digitalisie-rung sind Startpunkt, Eck-, Tangenten- und Kur-venpunkte. Eine Schrift hat im Schnitt 100 Zeichenmit jeweils 50 Punkten. Das bedeutet, dass dieBearbeitung einer Schrift an ca. 5000 Punktenstattfindet.

Die Präzision und damit die Qualität derSchriftwiedergabe hängt zum Teil von der Auflö-sung der Schrift ab. Die Auflösung wird in Dots perinch gemessen. Je höher die Auflösung gewählt

wurde, desto feiner ist die Schriftwiedergabe.Während Druckdaten, bei denen Bilder vorhandensind, mit 2500 dpi absolute Präzision bilden, rei-chen für pure Textdrucke 1250 dpi. Laserdruckerliegen bei 625 dpi, wobei auch die Leistung fürProofs bei nur 300 dpi erstaunlich ist. Bildschirmehaben aber in der Regel nur eine Auflösung von 72 dpi; ein Grund, warum es unmöglich ist, Mikro-typografie-Abstimmungen am Bildschirm vor-zunehmen. Faxgeräte haben eine noch geringereAuflösung und liegen bei 200 dpi. Aus diesemGrund muss beim Corporate Design sorgfältiggeprüft werden, ob die Größe der Schrift für dengroben Ausdruck ausreicht, damit Ziffern im Textnicht fehlinterpretiert werden.

Eine zu niedrige Auflösung verändert das Bildder Schrift. Feine Partien werden zu fett oder zuwenig Rasterpunkte werden erreicht. Zufällig-keiten ähnlicher Art werden mit so genanntenHints ausgeglichen, die dafür sorgen, dass immerwiederkehrende Formelemente immer gleich dar-gestellt werden.

Einrichtung einer neuen SchriftLeider sind Schriften von den Herstellern nichtmehr optimal eingerichtet. Aus diesem Grund sindfür eine gute Lesefunktion Tests nötig. Eine Text-spalte wird hierzu formatiert, Schritt für Schrittkann dann die Veränderung des Buchstaben-abstands und des Zeilenabstands untersucht wer-

den. Berthold hatte mit seinen Schriften Empfeh-lungen für die Spationierung mitgeliefert, die wirfür QuarkXPress umgerechnet haben. Mit dieserTabelle kann man sich auch bei anderen Schrifther-stellern vorsichtig an Schriften annähern. DerenSchriften reagieren vielleicht anders: die Tabelle isteine Möglichkeit aber kein Gesetz.

Vorteilhaft ist auch, dass man sich den gesam-ten möglichen Zeichensatz erst einmal ansieht, sodass die Entscheidung für Sonderzeichen oder vorallem auch Ligaturen geklärt werden kann.

Zu beachten ist auch, dass der Toner des Dru-ckers nicht zu stark eingestellt ist, damit normaleSchriften nicht fett aussehen.

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Über-prüfung der individuellen Zeichenabstände (Ker-ning), die sowohl in Schriftprogrammen als auch inQuarkXPress verändert werden können. So brau-chen Kombinationen, die großen Weißraum verur-sachen, weniger Abstand. Stoßen zwei senkrechteElemente aufeinander, wird weniger Abstanderforderlich sein.

Wenn die Fließtextschrift »steht« kann dasselbe Spiel mit Konsultationsgrößen und den nöti-gen Schaugrößen begonnen werden. Als Faust-regel: Große Schriftgrade brauchen weniger, kleinebrauchen mehr Buchstabenabstand.

Selbstverständlich wird die Wirkung auch vonder Zeilenbreite, aber auch von der gesamtenMenge auf der Seite beeinflusst.

g

54 Grundlagen der Typografie 55Schrift

�Ikarus-Format

mit den verschiedenen

Punkten zurDigitalisierung

�Bitmap

bei einem Raster100 � 120 für

das Geviert

HintsHints in den Schriftprogrammen sorgen dafür, dass immer wiederkehrende gleiche Elemente ( z. B. Balken, Rundungen, Serifen u.a.) auch gleicherscheinen.

�Schriftqualität istvon der Feinheitder Auflösungabhängig. Vergrößerungeiner 13 Punktgroßen Schrift inder Ausgabe vonLaserdruckernund Belichtung

200 dpi 400 dpi 800 dpi 625 dpi 1250 dpi 2500 dpi

Peter Karow,Digitale Schrif-

ten. Springer,Heidelberg 1992

Matthias Hauer,Technische und

typografischeVergleiche digita-ler Satzschriften.Diplomarbeit ander FH München

1997

� 265Laufweiten

Textkorr. unklarSo klingstkomisch

42-73_Galileo_190x227 10.08.2001 15:43 Uhr Seite 54

Schriftwahl und Inhalt

Hier wird über die Recherche und Auseinanderset-zung mit Projekten berichtet, und warum eineSchrift ausgewählt wurde. Prozesshaftes Vorgehenist hierfür nötig. In Ausschnitten oder auch »Stim-mungen« werden die jeweiligen Schriften gezeigt.Die Schriftwahl erfolgte nach den Maximen:� Lesbarkeit und Funktion� Passender Charakter� Historischer oder kultureller Bezug

Lesbarkeit und für die Zwecke funktionierenderSchriftaufbau waren in all diesen Beispielen Vor-aussetzungen. Es konnte kaum eine Schrift genom-men werden, die eher dekorativ und damit nichtso gut lesbar ist. Die Interpretation bezieht sichdeshalb vor allem auf den passenden Charakterder Schrift zum Unternehmen oder zum jeweiligenProjekt und natürlich zu den für den Benutzerzunächst nicht sichtbaren historischen und kultu-rellen Verflechtungen.

Venezianische Renaissance-AntiquaFür ein frühes Corporate Design eines Software-hauses wurde die Seneca von Gustav Jaeger (1977,Fotosatz Berthold) als Hausschrift gewählt. DieZeit um die Einführung der Personal Computerwurde 1984 als eine ähnliche technische Umbruch-situation wie die der Renaissance um 1500 emp-funden. Die Seneca basiert auf Schriften dieserZeit, ist auch im Duktus sehr kräftig. Eine Traditiondes Neuen, spiegelt Erfindungen.

Die Schneidler-Antiqua von F.H. E. Schneidler(1936, Linotype), dem großen Kalligrafen undStuttgarter Lehrer für Typografie und Schrift, wur-de für eine Geschenkbuchreihe eingesetzt. Eineher bibliophiler Anspruch konnte mit dieser rela-tiv leichten Schrift in ihren Inhalten visuell unter-stützt werden. Hier ist auch zu sehen, dass diemeisten Schriftkünstler, die im 20. Jahrhunderteine Venezianische Renaissance-Antiqua schufen,diese viel leichter hielten, als beispielsweise Morrismit seinen Nachbildungen es wollte.

Französische Renaissance-AntiquaDie Weiss-Antiqua (1922, Linotype) stammt vonErnst Rudolf Weiss, einem großen Buchgestalterder ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der auchSchriftentwerfer und Maler war. Die Schrift ist hierfür ein einzelnes Buch eingesetzt, das sich mit demWerk und vor allem der privaten Grafikschule vonElse Marcks-Penzig auseinander setzte. Marcks-Penzig war in den zwanziger Jahren Partnerin vonE.R. Weiss, weswegen diese Schrift, an der sie viel-leicht auch im Entwurf mitgezeichnet hatte, fürdieses Buch absolut kongenial erschien. Zu beach-ten ist auch, dass es hier eine Schriftmischung mitder Gill als der schönsten Serifenlosen derselbenZeit gibt.

Die Garamond ist fast eine Allerweltsschrift unddoch nicht. Für ein Buchprojekt war sie Wunschdes Autors, der sich an eine bereits frühere positi-ve Erfahrung mit einer Garamond erinnerte.

Die Slimbach-Fassung als »neue« Garamond –und nicht so ITC-mäßig (spitz und zu hohe Mittel-längen) – ist eine sehr solide Form einer Gara-mond. Und eine Garamond bezeichnet visuellauch einen wesentlichen Anteil an Lesekultur.

Einen anderen Weg ging schon viel früher JanTschichold mit der Sabon, die gleichzeitig für dreiverschiedene Bleisatztechniken herauskam: Zei-lenguss bei Linotype, Einzelbuchstabenguss beiMonotype und Handsatz, und dies – eine Novitätum 1966 – absolut gleich im Bild. Von vielen wirdsie als die schönste »Garamond« gesehen. Sie bie-tet einen kulturellen Kontrast zu den sehr beweg-ten und »improvisatorischen« Bildern von UlrichLangenbach.

g

56 Grundlagen der Typografie 57Schrift

�Berthold Seneca;

Schriftprobe(Christian Lege)

�Berthold Seneca;

HeimsoethUmschläge 1988

�Schneidler

Antiqua;Anita Geigges,

Vor allem Herz,ECF 1985

�Frühe Antiqua1545, vermutlichGaramond

Sabon, Schrift-probe Stempel (zum Erscheinender Schrift)�

�Weiss Antiqua;letzte Fassungfür den Schnitt,1922

�Weiss Antiquaund Gill;Else Marcks-Penzig, tgm 1995

�Garamond Slimbach;

Kiegeland, Fluganleitungen, Lotus 2000

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Für eine kleine Publikation der BayerischenStaatsgemäldesammlungen, die sich mit einemTriptychon von Hans Memling befasste, schien dieSchrift wie gemacht: Memlings Werk ist 1498 fertig geworden, die Bembo kam 1498 (F. Griffo,Antonio Tagliente) zum Satz. Die Bembo in ihrerNeufassung kam 1929 bei der Monotype heraus.

Zwei weitere Werke, in denen die Bembo ver-wendet wurde: Die künstlerische Dokumentationüber eine Installation in Roccatederighi des BaslerKünstlers Ludwig Stocker, in der er sich mit derGeschichte der Kunsttheorien auseinander setzt,sollte mit einer Schrift »der Mitte« des abendländi-schen Denkens besetzt werden. Zudem war für diezweisprachige Ausgabe in Deutsch und Italienischeine sanfte Kontrastschrift erwünscht.

Im Buch »Zen Wort Zen Schrift« begegnen sichzwei Systeme: Das asiatische Denken des Zen, dasin das europäische Denken interpretiert wird; dieRenaissance mit der Bembo (und auch der Begeg-nung zweier Proportionssysteme, das Handtuch-format zur Buchproportion 1 : 2).

Für die Einladungen eines Vortragszyklus überdie Geschichte der Schrift wurde die Hausschriftdes Veranstalters Literatur Moths (auch Büchergil-de Gutenberg), die Goudy Old Style von FredericW. Goudy, 1992 von Richard Beatty digitalisiert.Diese klassische Renaissance-Antiqua passte gutzur Buchhandlung und auch zu den Themen derVorträge.

Die Galliard ist eine moderne, aber klassischeSchrift der Renaissance mit einer kalligrafisch her-vorstechenden Kursiven. Als Handbuchschrift fürDatenbanken mag das erstaunen und vielleichtetwas experimentell wirken. Sie ist aber kulturelldurchaus passend, lässt große und auch feineKontraste zu. Auch als klassische Textschrift ist siesehr gut lesbar, wobei die hier innerhalb des Sei-tenrandes stehenden Anmerkungen für die Lektü-re wichtig sind.

Die Ellington von Michael Harvey (1990) zeigtmehr Charakter. Sie ist die Schrift eines Steinbild-hauers. Das erweist sich etwas schwieriger in derAnmutung und Lesbarkeit. Sie hat aber ein sehrschönes Gesamtbild und betont den besonderenText.

Manchmal sucht man eine Schrift, die schmalläuft, aber nicht elektronisch gestaucht ist, keinenTelefonbucheindruck macht und trotzdem eineruhige Form bietet. Hier ist sie für ein Veranstal-tungsprogramm der tgm ausgewählt, die Heliconvon David Quay 1989 (Berthold), sehr rationell,gerade für schmale Formate vorteilhaft und trotz-dem gut lesbar.

Die Gesamtausgabe der Werke Arthur Scho-penhauers, die 1964 beim Insel-Verlag fertiggestellt wurde, war aus der Monotype-Schrift VanDijck gesetzt. Mit ihrem eher leichten Duktuseignet sie sich besonders auch für Dünndruckaus-gaben bzw. den Druck auf sehr transparentenPapieren. Sie geht auf Christoffel van Dijck ( 1681)

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58 Grundlagen der Typografie 59Schrift

�Ellingto;Weinreb, Weg,Thauros 1993

�Helicon; tgm-Programm 1991

�Bembo;

Ludwig Stocker,Raum und Zeit,

Suter 2000

�Goudy Old Style;

Einladung Literatur/Moths

1996

�Galliard-Vorbild:Granjon 1742: Cicero RomainGros Oeil

��Galliard; Wein-reb, Schatten,Thauros 1998

�Bembo; Hans

Memling, Bayerische

Staatsgemälde-sammlungen

1995

��Bembo;

Zen Wort Zen Schrift,

1989

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FontShop eine auch für den Druck brauchbareLösung gefunden.

Eine in der Textstruktur komplizierte Buchreihe,die Oldenbourg Interpretationen, sollten eineneue und zeitgemäße Gestaltung erhalten. Text-sorten sollten – für motivierte Leser – erkennbarausgezeichnet werden. Die Minion von RobertSlimbach (1990) ist vielleicht die interessantesteneue Schrift für wissenschaftlichen Satz. Sehr gutausgebaut, sehr fein abgestimmt in den einzelnenStärken und den Kursiven, ist sie dieser Aufgabegewachsen. Slimbach bezieht sich dabei auf dieParagon Romain von Henry du Tour, sie ist aberkeine Neufassung. Gute Erfahrungen konnten auchbei der Lexikongestaltung gemacht werden.Schriftbild, Lesbarkeit und Zeichenvorrat genügtenauch für naturwissenschaftliche Lexika.

61Schrift

zurück und wurde von Jan van Krimpen 1935 fürdie Enschede en Zonen in Leiden gezeichnet.Wenn man Schriften kennen lernen will, muss manmit ihnen eine Beziehung eingehen. So geschah esbei dieser Klassikerausgabe im Bleisatz, deren letz-ter Band noch herzustellen war. Die Schriftwahlwar Jahre zuvor, vermutlich durch Gotthard deBeauclaire festgelegt worden.

Barock-AntiquaDie Utopia von Robert Slimbach (1989) ist eineder ersten Schriften für PC und Mac, die gut zuge-richtet war und fast sofort benutzt werden konnte,was nicht allen Schriften nachgesagt werden kann.Sie hat sich sehr rasch einen wichtigen Platz beiden Grundschriften für Zeitschriften erobert. Ihreneutrale Klarheit (nicht zu verwechseln mit aus-druckslos) und ihr großes Schriftbild macht siegerade im Zusammenspiel mit vielen Einzelele-menten einer Zeitschrift interessant. In der Mit-gliederzeitschrift des Bund Naturschutz ist sie als Grundschrift eingesetzt. Als Headline wirdmeistens die Franklin Gothic benutzt, wenn nichtspezifische Themen einen anderen Headline-Charakter erfordern.

Die Times wünschte sich der Kunde für einenGeschäftsbericht. Der Bezug Zeitungsschrift undNormung war dabei sicher reizvoll. Wenn es dennschon sein musste, sollte die recht mäßige Fassungdieser Schrift für den Mac vermieden werden. DieTimes, eine wunderbare Schrift von Stanley Mori-son (1931), für »The Times« entwickelt. Aber wel-che der heutigen Times-Derivate sollte man ver-wenden? Der Vergleich sämtlicher Times-Derivatewar Thema in einer Diplomarbeit. Die beste Timesschien dabei die Times Ten (1988, Linotype) zusein, wobei viele typografische Feinheiten wieKapitälchen und Mediävalziffern verwendet wer-den konnten. Als Headline-Schrift kam die DIN-Schrift hinzu. Das ist ursprünglich fast eine undis-kutable Schrift, die wohl von recht ahnungslosenTechnikern schabloniert wurde. In den letzten Jah-ren ist sie aber in Mode gekommen, und so hat

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60 Grundlagen der Typografie

�Van Dijck; Schopenhauer-Ausgabe,Insel 1964

�Utopia; Schriftprobe

�Utopia; Natur und Umwelt 1999

�Minion;OldenbourgInterpretationen1996

��Schriftschnitteder Minion

�Minion;Spektrum, Physik-Lexikon1998

�Van Dijck; Van Dijck Monotype – Schriftprobe

�Times Ten mitDIN-Schrift DIN-Geschäftsbericht2000

� 207OldenbourgInterpretationen

Bildhöhe72 mmzu hoch

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Als Zeitungsschrift mit ausführlichen Studienvon Dwiggins Versuchen für eine Zeitungsschrifthat Gerard Unger 1985 die Swift herausgebracht.Ihre Sachbucheignung bewies sie in einem Typo-grafiebuch. Eine sehr schöne Version, die Swift 2durfte die tgm für ihr Jahresprogramm 2000 benut-zen. 2001 hat sie sich auch als Corporate Design-Schrift der Stiftung Wissenschaft und Politik inBerlin zu bewähren – und dies auf der Microsoft-Word-Basis, also ohne richtiges Umbruch-programm, jedoch mit enormem Anspruch derwissenschaftlichen Mitarbeiter.

63Schrift

Die Caslon kam 1910 bei Enschede en Zonenheraus und berief sich auf die ursprünglichen For-men von William Caslon von 1725. Ihre Eigenartensind in den großen Graden sehr markant. Sie wardie Hausschrift des Thauros Verlags, bis sie nachJahren in einem sanften Übergang von der JansonText abgelöst wurde.

Die Janson von Nicolas Kiss von 1690 erschienuns für das Werk von Friedrich Weinreb eleganterund klarer. Sie ist die interessanteste Schriftent-wicklung der Barockzeit und liegt heute nahezugleich wie schon 1690 vor. Ihre gute Eignung fürkulturelle Projekte, zurückhaltend, elegant, ließ sieauch für das Erscheinungsbild des Klingler-Wett-bewerbs (Streichquartett) geeignet erscheinen.

Die eleganteste der älteren Barockschriften istjedoch die Baskerville von John Baskerville (1757).Ihr kultureller Bezug machte sie für die CD-Schrifteines Softwarehauses, das auch noch Schriften derMonotype vertrat, geeignet. Ihre Eleganz konntesie auch im Erscheinungsbild einer rheinischenWeinstadt beweisen.

Günter Gerhard Lange entwickelte für Bertholddie Concorde gegen die Landläufigkeit der Times.Universal für Sachtexte, Zeitschriften, aber nichtnur das. Die bessere Times also, mit einem sehrschönen Schriftbild war sie auch schon im Bleisatzverfügbar. Über die Jahrzehnte hat sie sich in sehrverschiedenen Projekten bewährt: in der Zeit-schrift »Natur & Umwelt« in den achtziger Jahren,in einer populären Lehrbuchreihe bei Markt &

Technik, »So geht’s«, und in der Anfangszeit desDTP-Satzes für den Langenscheidt Selbstlernkurs.Auch diese Schrift verfügt über den für die Wis-senschaft notwendigen Zeichenvorrat, und soschien sie für die Neugestaltung der Zeitschrift»Physikalische Blätter« mehr als geeignet.

Gerard Unger hat bereits in der Zeit der digita-len Schriften für Großrechner ganz Wesentlichesgeleistet. Seine Schriften für Digiset/Hell sind Pio-nierleistungen für die Vorahnung einer neuen Epo-che gewesen. Mit der Hollander (1983) entstandeine Barockschrift des ausgehenden 20. Jahrhun-derts mit kräftigen Serifen und sehr interessantenFormen. Für die umfangreichen Publikationen zumfünfundsiebzigjährigen Bestehen des DeutschenInstituts für Normung schien sie als Textschriftbesonders geeignet, da sie in ihrer AnmutungNeues erahnen lässt und gut zum gesamten Hin-tergrund der Normungsgeschichte passt, die Jahr-hunderte vor dem 20. begonnen hatte. Ihr Kon-trast zur eher ausdruckslosen DIN-Schrift machteauch den ganzen Reiz dieser vielfältigen Technik-geschichte aus.

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62 Grundlagen der Typografie

�Concorde; So geht’s, M&T 1990

�Hollander;DIN 75 Jahre,Festschrift 1992

�Baskerville;,Rüdesheim amRhein, 1987

��Baskerville;John Basker-ville Titelei1767

���Janson; Klingler-Wett-bewerb 1998

�Schriftprobe der

Caslon 1910(Enschede en

Zonen)

��Janson Text;

WeinrebZeichen,

Schöpfung,Thauros 1994

� 227Physikalische

Blätter

� 184Textbuch

� 19275 Jahre DIN

� 174SWP

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Klassizistische AntiquaDie Bodoni Old Face (Berthold 1986) ist eine derbesten Adaptionen oder Neuschöpfungen einerSchrift von Giambattista Bodoni von 1791. Für dasCorporate Design eines toskanischen Weingutesim Kulturland Maremma ist sie als Hausschriftkongenial zwischen Wein und Papier. Aber auchbei Sachtexten, wie in dem Druck eines Vortragsvon Bernhard F. Bürdek, der sich kritisch mit demmodernen Produktdesign auseinander setzt, ver-mittelt sie zwischen Tradition und Zeit. Wobei hiersogar noch verschiedene Textsorten und -ebenenzu behandeln waren. Was bei manchen Bodoni-Schnitten auf Kosten der Lesbarkeit geht, hat Günter Gerhard Lange hier vermieden. In der Lauf-weite etwas offener gehalten, kommt sie den ba-rocken Schriften wieder etwas näher.

Deutsche Texte wirken aus der Walbaum ge-setzt der Sprache entsprechender, besser als auseiner Bodoni. Das war auch das Anliegen von Jus-tus Erich Walbaum (1803). Für ein Manuskriptüber historische Rechenmaschinen, für eine Buch-reihe, die Themen des 19. Jahrhunderts plante,oder für klassische Buchtitel eignet sie sich gut. Ihrklares und strenges Bild »steht« auch gut auf derSeite.

Klassizistische Schriften werden von Bankenbevorzugt. Aber viele der älteren Schriften eignensich nicht so gut für Formulare und Geschäftspa-piere. Eine eher ausgeglichene Schrift hat AdrianFrutiger 1986 mit der Centennial entworfen. Sie istseitdem die Hausschrift der Bayerischen Vereins-bank und später der HypoVereinsbank. Für kultu-rell ambitionierte Veröffentlichungen der Bank istsie deshalb ideal.

Eigentlich sollte sie ja die Schulbuchschriftschlechthin werden, aber es hat etwas gedauert,bis sie auch in diesen Bereich Einzug haltenkonnte: Die Century Schoolbook (1917 bis 1923)von Morton Fuller Benton. Akzeptiert wurde sieinzwischen als Sachbuchschrift, wie hier in einerinternationalen Koproduktionsreihe kunstgewerb-lichen Inhalts.

65Schrift

Die Trump-Mediäval von Georg Trump (1954)ist eine sehr gute Basisschrift; positive Erfahrungenwaren schon in der Bleisatzzeit gewonnen, wes-wegen sie für eine Sachbuchreihe benutzt wurde.Ihr starker Charakter ist vor allem in großen Gra-den zu sehen. Kräftig im Duktus eignet sie sichauch für ungewöhnliche Themen, die ein eherungewöhnliches Publikum betreffen.

Für eine Erzählung, deren OriginalhandschriftSeite für Seite abgebildet werden sollte, war einemöglichst neutrale Schrift nötig. In der Franklin-Antiqua von G.G. Lange (Berthold 1976) war diesegefunden und auch für das Thema geeignet. Sie istfast so kräftig wie frühere Bleisatzschriften, dabeiuniversal, fast konsumartig.

Zwischen der Barock-Antiqua und der Klassizis-tischen Antiqua bewegt sich die Schneider Libret-to von Werner Schneider (Berthold 1995). Für einesehr moderne Druckerei, aber auch für eine 400Jahre verpflichtende Tradition des Hauses ist sieideal. Sie verkörpert in den großen Graden solideKlassik und ist in den kleinen Graden hervorragendlesbar.

Als die Speicherkapazitäten für Schriften nochbeschränkt waren, wurde darauf geachtet, klareSchriften mit möglichst wenig Kurvenpunkten zuprogrammieren. Matthew Carter hat dies 1987 mit der Bitstream Charter erreicht. Sie wurde fürdie Fachzeitschrift Microsoft System Journal aus-gesucht und damit über acht Jahre gesetzt. Carterberief sich mit dieser Schrift auf eine Schrift vonFournier von 1742.

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64 Grundlagen der Typografie

�Franklin-Antiqua;

Weinreb, Über-schwemmung,

Thauros 1991

�Centennial;Casa Malaparte,HypoVereinsbank1999

�Schriftprobe OldCentury School-book; Monotype

�Trump-Mediäval;

Probe 1959Weber

Trump-Mediäval;Schwarzenegger,

Heyne 1986

Bitstream Char-ter-Vorbild:

Fournier 1742�

�Bodoni; Manuale Tipografico, 1818

�Bodoni Old Face; Bürdek, Designund Qualität, tgm 1996

�Walbaum;Rechenmaschi-nen, Systhema1990

��Walbaum; Probe19. Jh.

�Bitstream

Charter;Microsoft Sys-

tem Journal 1992

� 169Corporate Design

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Eric Gills Joanna (1930) wirkt in den Textgradenunauffällig. Ihre Serifenbetonung kommt aber ingroßen Graden stark hervor. Sie ist hier für dasErscheinungsbild einer ambitionierten Kunstgale-rie eingesetzt.

Für das Standardwerk der Softwaretechnik, daszudem noch didaktisch hervorragend aufbereitetist, wurde die Lucida Serif von Charles Bigelowund Chris Holmes (1984) ausgewählt. Sie ist eineder ersten Schriften des digitalen PC-Zeitalters.Ihre Entwerfer gehören zu den Pionieren digitalerSchriftdarstellung. Eine Fülle an Auszeichnungenund Hervorhebungen war gefordert, weswegeneine hybride Schrift (Serifenschrift und serifenloseSchrift) den Aufgaben sehr entgegen kam.

Mit einer starken technoiden Formbetonungwirkt die Serifa sachlich, erinnert aber gleichzeitigan die Stimmung von Schreibmaschinenschriften.

Obwohl sie als Korrespondenzschrift entworfenwurde, eignet sich die Officina auch sehr gut fürtechnische Texte wie hier in einem Imageprospektvon DIN (Bild Seite 73).

67Schrift

Serifenbetonte Linear-AntiquaDie Thesis Serif von Lucas de Groot (1995), hier ineinem Buch über einen römischen Trödelmarktverwendet, unterstützt die Anmutung des älterenTrödels, ohne »alt« zu wirken. Ihre feinen Stärke-unterschiede lassen sich für mehrsprachige Projek-te zur Differenzierung sehr gut einsetzen.

Korrespondenzschriften wurden ein Thema zudem Zeitpunkt, als es nicht mehr nötig war,Schreibmaschinenschriften wie die Courier zu be-nutzen, die zunächst oft ganz bescheiden weiter-hin gewählt wurde. Für den Bürobereich und vorallem für die noch nicht so hoch auflösendenDrucker wurden dann eigene Schriften für diesenZweck entwickelt, die auch als Druckschrift gutbrauchbar ist. Neben klassischen Schreibmaschi-nenschriften werden hier verglichen: die Pionier-schrift Lucida von Charles Bigelow und Chris Hol-mes, die wegen ihrem stärkeren kalligrafischenCharakter eher für den amerikanischen Marktgeeignete Stone Informal und die Officina von ErikSpiekermann.

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66 Grundlagen der Typografie

�Lucida-Schriftprobe

�Lucida;Balzert,Softwaretechnik,Spektrum 1996

�Serifa;Brillen, Steinheim 1983 (Wolf Schudde)

�Vergleich

Korrespondenz-schriften:

Pica, Courier,Letter-Gothics,

BertholdSchreibmaschi-

ne, xx, xx, xxStone Informal

LucidaLetter Gothic

Courier

�Joanna; Reinzeichnung von Eric Gill, 1939

�Joanna; Einladung Galerie, Josephski-Neukum 1994

�Thesis; Anzeige,

Weisser Lotus1998

�Thesis Serif;Harald Frey,

Porta Portese,Suter 1998

Texte xxxxx

� 172Weisser Lotus

� 209DidaktischeTypografie

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Serifenlose Linear-Antiqua: Renaissance-CharakterVon Eric Gill (1928) stammt eine weit in die Zu-kunft ragende Schrift, die Gill. Edler als die Futura,auch weicher im Bild ist sie dann eine Alternative,wenn es um große Textmengen geht, der Geist desJahrzehnts aber erhalten bleiben soll.

Für einen Gesamtkatalog der Werke LudwigHohlweins schien keine der zeitbegleitendenSchriften geeignet, zudem Hohlwein in seinen Pla-katen die Schriften nach Vorbildern gezeichnetund verändert hatte. Gesucht wurde eine Schrift,die bewusst darüber steht, sich einordnen kann,gut lesbar ist und möglichst keine Serifen hat, aberder Lesequalität der Serifenschriften entspricht.Hans Eduard Meyers Syntax von 1969, die damalsmit einem hervorragenden Konzept vorgestelltund heute in ihrer neuen digitalen Form noch ver-bessert wurde, schien dafür geeignet.

Die Leser dieses Buches kennen diese Schriftschon ganz gut, nachdem alle Bücher der GalileoPress aus dieser Schrift gesetzt sind.

Die Weiterentwicklung der Univers führte zurFrutiger, modulierter und den Anforderungen desendenden 20. Jahrhunderts mehr entsprechend.Sie ist nicht nur eine häufig verwendete Schrift inFachzeitschriften und Fachbüchern, sie hat wohlauch in weiten Bereichen die Helvetica abgelöst.

Inzwischen gibt es sehr viele neue serifenloseSchriften, man kann kaum alle verwenden. DieMeta von Erik Spiekermann (FontShop 1991) hatdie passende Modernität der neunziger Jahre, istaber etwas zurückhaltender im Bild als die Thesis.

69Schrift

Serifenlose Linear-Antiqua: Klassizistischer CharakterDer Klassiker Akzidenz-Grotesk (Berthold 1898)verkörperte auch sehr stark den Aufbruch derneuen Typografie der fünfziger Jahre. Ihre stren-gen, durchaus lebendigen Formen, besonders inder Halbfetten, bezeichneten in dieser ZeitModernität.

Eine Folge aus dieser Zeit ist sicherlich die nunder Zeit entsprechende Berthold Imago, ebenfallsvon Günter Gerhard Lange. Sie war die Schrift derPresseabteilung des Langenscheidt Verlags und istsomit für die Vorstellung eines neuen Geschäfts-zweiges eingesetzt.

Gegen die Schrifttendenzen der Thesis undMeta, gegen die modifizierten Spiele der Gestalterder neunziger Jahre, entwickelte Marco Ganz (Berthold 1994) die Evo.

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68 Grundlagen der Typografie

�Akzidenz-Grotesk;

Meisterbrief 1963

��Akzidenz-Grotesk;

Plakat, HannsReich 1969

���Evo; Vier Seiten,

tgm 1996

�Imago;

TVA( Langenscheidt)

1995

�Erster EntwurfSyntax

�Vergleich Frutiger und Univers

�Meta; Neues Lernen 1997

�Gill; Entwurf von1927 und BuchBrücke-Künstler,1997

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Serifenlose Linear-Antiqua: Amerikanische GroteskIn den fünfziger Jahren war diese Schriftwahl einKompromiss, da keine Akzidenz Grotesk alsWunschschrift vorhanden war. Das sahen andereanders. Die News Gothic von Morris Fuller Benton(Monotype 1908) war in der Schweiz zu dieser Zeitgepflegter Bestand und zeigte sich bei diesem Pro-jekt als durchaus gute Textschrift.

Für »Natur & Umwelt« wurde als Headline-schrift die Franklin Gothic verwendet, eine sehrbeliebte Schriftmischung mit der Utopia. Wesent-lich ist auch die Ausdruckskraft der einzelnen Zeichen.

Serifenlose Linear-Antiqua: KonstruierteDie Futura von Paul Renner (1928) gehört zu denbeliebtesten Schriften bei Grafikdesignern undArchitekten. Das nahezu Konstruierte ist eigen-willig und für große Grade schwierig einzusetzen,denn in den Lesegrößen wirkt die Schrift dankihrer kleinen Mittellängen eher dunkel. Benutztwurde sie hier für ein Werk über American ArtDeco. Die Zeit ist hier genau getroffen, obwohl esdafür auch andere Möglichkeiten gäbe. Im ande-ren Fall ging es um die Einführung eines umfang-reichen Begleitprogramms einer Fernsehserie, umdie Bücher und Hefte für die Sesamstraße.

71Schrift

Eine gewisse Eigenwilligkeit, eine schöneEigensinnigkeit zeigt die Formata von Bernd Möl-lenstädt (Berthold 1988). Vielfältig verwendbar istsie für das Corporate Design einer hochqualifizier-ten Verpackungsdruckerei geeignet. Gut lesbarund in größeren Graden sehr charakteristischunterstützt sie Formulare sowie den werblichenAuftritt.

Die besseren 50er-Jahre lassen grüßen mit derOptima von Hermann Zapf (1958 und 1969). Fastschon eine »Variante« der Serifenlosen soll sie aberauch hier mit eingeordnet bleiben. Schließlich hatsie, lange bevor modulierte serifenlose Schriftenauf dem Markt waren, diese Position besetzt.Durch ihre Präsenz in Druckern und Systemenwurde sie sehr populär. Das Beispiel, das hier ge-zeigt wird, ist ein Buch über eine Sehnsuchtsweltder fünfziger Jahre, die französische Riviera.

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70 Grundlagen der Typografie

�Optima;

Korrektur vonZapf, 1957

�Optima;

Riviera Cocktail,Schuler 1989

(Fritz Lüdtke)

�Futura-Schrift-probe 1927

��News Gothic;Rennreport 1969

�Futura; Sesamstraße,1973

�Futura;American ArtDeco, 1986

�Formata;Berthold

Schriftprobe

��Formata;

European 1996

� 48Serifenlose LinearAntiqua

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Otl Aicher, der Mitbegründer der für die De-signgeschichte so wichtig gewordenen Hochschulefür Gestaltung in Ulm und Gestalter eines derGlanzpunkte der Geschichte des Corporate De-signs, der Olympiade München 1972, brachte 1988eine mehrteilige Schrift, die Rotis, heraus. Sie zeigtsehr viel Charakter, ist aber im Lesetext nicht ein-fach zu handhaben. Es gibt vier Schnitte: sans serif,semi sans, semi serif und serif.

Die Officina von Erik Spiekermann, van Rossumund van Blokland 1991 hat eine Serifen- und eineserifenlose Version. Die Serifenversion ist mehr deralten Schreibmaschine zugewandt, wogegen dieSans Trendschrift wurde.

An dieser Stelle ist auch die zweigliedrige Luci-da zu nennen, aber auch die Scala von MartinMajor (1991), die für einen Symposiumsband dertgm verwendet wurde.

Die Corporate von Kurt Weidemann wurde alsHausschrift des Daimler-Benz-Konzerns kreiert. Indrei Grundformen, A für Antiqua, S für Sans und Efür Egyptienne, also die serifenbetonte Version.

Schließlich gibt es noch Schriften von Entwer-fern, die hervorragend zueinander passen. Zu nen-nen sind hierbei Caspari von Gerard Daniels (1993)und Dokumenta von Frank Blokland (1993) oderdie Argos und die Gulliver von Gerard Unger.

73Schrift

Von einer leider oft benutzten Schrift ist sehrabzuraten, der Avant Garde von Herb Lubalin (ITC1970). Trotz ihres individuellen Charakters (oderwegen?) ist sie als Textschrift fast unbrauchbar.Buchstabenabstand und die großen Binnenräumeverhindern eine gute Lesbarkeit.

Eine besser lesbare Alternative unter den kon-struierten Charakteren ist die Avenir von AdrianFrutiger (1988). Aber auch hier ist von sehr großenTextmengen eher abzuraten.

Die schon erwähnte DIN-Schrift wurde vonAlbert Jan Pool (1995 FontShop) überarbeitet.Hier ist sie sogar als Textschrift eingesetzt, nämlichim »Stammhaus« dieser Schrift, für einen DIN-Geschäftsbericht 1998. Sie hat etwas fast kuriosSimples an sich, weshalb ihre Eignung als Text-schrift nur bedingt vorhanden ist.

GroßfamilienGroßfamilien oder hybride Schriften sind im Kom-men. Ein besonderer Erfolg war mit ihrem Erschei-nen der Stone beschieden, die Sumner Stone 1987bei Adobe herausbrachte. Auch hier gibt es wiedereinen klaren Bezug zur Schrifttradition, ohne dasseine alte Schrift nachgebildet wurde. Wegen ihrervielfältigen Möglichkeiten war sie hier für einCorporate Design von Borland Software 1990 oderfür etwas ganz anderes, für eine Textzeitschriftverwendet worden.

Die Thesis von Lucas de Groot (1995 FontShop)kann als Höhepunkt der Vielfalt innerhalb einerSchriftfamilie gesehen werden. Mit 144 Schnittenbraucht man wirklich keine andere Schrift mehrdazu zu mischen. Mit jeweils sechs Stärkegradensowie einer Serifenform, einer Serifenlosen undeiner Gemixten war sie für ein Corporate Designeines sehr vielfältig tätigen Unternehmens geeignet.

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72 Grundlagen der Typografie

�Rotis; Karl Dall, 1990

��DIN-Schrift im Geschäfts-bericht, 1998

�Officina-Schriftprobe

�Caspari undDocumenta;Stark Verlag 1999

�AvantGarde-

Probe SG

��Avenir-Probe,Janos Fischer,

1991

���DIN-Schrift;

DIN 1998

42-73_Galileo_190x227 10.08.2001 15:43 Uhr Seite 72