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Schriftstellerin, Ausdruckstänzerin und Pazifistin 9 Jo Mihaly (1902 – 1989) Eigentlich hieß die zierliche alte Dame, so wie sie ältere Neufahrner Bürger in Erinnerung haben, Elfriede Alice Kuhr. Geboren wurde sie am 25. April 1902 im westpreußischen Schneidemühl (heute Pila in Polen). Die kleine „Piete“, so ihr Kosename, wuchs dort im Hause ihrer Großeltern, Bertha und Eduard Golz, in bürgerlichen Verhältnissen auf. Den späteren Künstler- namen Jo Mihaly, ein ungarischer Sinti-Name, hatte sie sich schon als Kind beim Spiel zugelegt. Wohl inspiriert durch die Bekanntschaft mit Zigeunern, die mit Wagen und Zelt Halt gemacht hatten in ihrer Heimatstadt Schneidemühl. Dem „Bürgerfleiß“ ergeben soll sie gewesen sein, die preußische Kleinstadt ganz in der Nähe der Grenze zum früheren Zarenreich. Als das deutsche Kaiserreich am 1. August 1914 Russland den Krieg erklärt hatte und in den folgenden Tagen und Wochen deutsche Truppen an den Fronten im Osten und Westen aufmar- schierten, begleitete dies ganz Deutschland in einem Freudentaumel. „In unserer Stadt sind alle Häuser beflaggt, als feierten wir ein Fest“, schrieb die damals 12jährige Piete auf das erste Blatt eines Tagebuchs, das sie auf Anraten ihrer Mutter eingerichtet hatte und das sie über vier lange Kriegsjahre hinweg mit erstaunlicher Genauigkeit geführt hat. Sie erzählte und kommen- tierte darin, wie sie als Kind die Kriegszeiten in Schneidemühl erlebte. Bemerkenswert an diesem ein- zigartigen geschichtlichen Dokument ist das Schwan- ken zwischen Kriegsbegeisterung und Sehnsucht nach Frieden. Die Mutter betrieb in Berlin eine „Meister- schule für Bühne und Konzert“. Nur gelegentlich kam „Muttchen“ zu Besuch. Für Piete und den drei Jahre älteren Bruder Willi-Gunther, den sie liebevoll „Gil“ nannte, jedes Mal ein großer Festtag. Der Vater lebte in Jo Mihaly im Alter in Neufahrn Neufahrn im Jahr 1969. Die bäuerlich geprägte Gemeinde im Süden des Landkreises Freising entwickelt sich zu einem aufstrebenden Industriestandort. Mit dem Zuzug von Neubürgern fand hier eine vielseitige Künstlerin neue Heimat: die Schriftstellerin, Ausdruckstänzerin und Pazifistin Jo Mihaly. Mit allen Mitteln ihrer Kunst, mit Ausdruckstanz und Lite- ratur, kämpfte sie gegen Nationalsozialismus, Fremdenhass und Diskriminierung von Rassen und Religionen. Die Künstlerin, die von der Wochenzeitung „Die Zeit“ einmal als „eine der großen Frauen des 20. Jahrhunderts“ betitelt wurde, lebte in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in Neufahrn, weil ihre Tochter Anja hier wohnte. Aktiv engagierte sie sich für das kulturelle Leben in der Gemeinde. Jo Mihaly war Mitbegründerin der Neufahrner Ortszeitschrift „Der Monat“. Viele Jahre lang hat sie das Blatt ganz entscheidend mitgeprägt. Den meisten Landkreisbürgern ist Jo Mihaly heute leider unbekannt. Zu Unrecht: ihre wundervollen literarischen Werke – Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten und Kinderbücher – sind es wert, gelesen zu werden.

Schriftstellerin, Ausdruckstänzerin und Pazifistin Jo Mihaly · 2016. 5. 2. · Peter Huchel, Ernst Bloch, Arthur Koestler oder Johan-nes R. Becher. Auch der Psychoanalytiker Wilhelm

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  • S c h r i f t s t e l l e r i n , A u s d r u c k s t ä n z e r i n u n d P a z i f i s t i n

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    Jo Mihaly(1902 – 1989)

    Eigentlich hieß die zierliche alte Dame, so wie sieältere Neufahrner Bürger in Erinnerung haben, ElfriedeAlice Kuhr. Geboren wurde sie am 25. April 1902 imwestpreußischen Schneidemühl (heute Pila in Polen).Die kleine „Piete“, so ihr Kosename, wuchs dort imHause ihrer Großeltern, Bertha und Eduard Golz, inbürgerlichen Verhältnissen auf. Den späteren Künstler-namen Jo Mihaly, ein ungarischer Sinti-Name, hatte siesich schon als Kind beim Spiel zugelegt. Wohl inspiriertdurch die Bekanntschaft mit Zigeunern, die mit Wagenund Zelt Halt gemacht hatten in ihrer HeimatstadtSchneidemühl.Dem „Bürgerfleiß“ ergeben soll sie gewesen sein, die

    preußische Kleinstadt ganz in der Nähe der Grenzezum früheren Zarenreich. Als das deutsche Kaiserreicham 1. August 1914 Russland den Krieg erklärt hatteund in den folgenden Tagen und Wochen deutsche

    Truppen an den Fronten im Osten und Westen aufmar-schierten, begleitete dies ganz Deutschland in einemFreudentaumel. „In unserer Stadt sind alle Häuserbeflaggt, als feierten wir ein Fest“, schrieb die damals12jährige Piete auf das erste Blatt eines Tagebuchs, dassie auf Anraten ihrer Mutter eingerichtet hatte und dassie über vier lange Kriegsjahre hinweg mit erstaunlicherGenauigkeit geführt hat. Sie erzählte und kommen-tierte darin, wie sie als Kind die Kriegszeiten inSchneidemühl erlebte. Bemerkenswert an diesem ein-zigartigen geschichtlichen Dokument ist das Schwan-ken zwischen Kriegsbegeisterung und Sehnsucht nachFrieden. Die Mutter betrieb in Berlin eine „Meister-schule für Bühne und Konzert“. Nur gelegentlich kam„Muttchen“ zu Besuch. Für Piete und den drei Jahreälteren Bruder Willi-Gunther, den sie liebevoll „Gil“nannte, jedes Mal ein großer Festtag. Der Vater lebte inJo Mihaly im Alter in Neufahrn

    Neufahrn im Jahr 1969. Die bäuerlich geprägte Gemeinde im Süden des Landkreises Freising entwickelt sich zu einemaufstrebenden Industriestandort. Mit dem Zuzug von Neubürgern fand hier eine vielseitige Künstlerin neue Heimat: dieSchriftstellerin, Ausdruckstänzerin und Pazifistin Jo Mihaly. Mit allen Mitteln ihrer Kunst, mit Ausdruckstanz und Lite-ratur, kämpfte sie gegen Nationalsozialismus, Fremdenhass und Diskriminierung von Rassen und Religionen. DieKünstlerin, die von der Wochenzeitung „Die Zeit“ einmal als „eine der großen Frauen des 20. Jahrhunderts“ betiteltwurde, lebte in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in Neufahrn, weil ihre Tochter Anja hier wohnte. Aktiv engagiertesie sich für das kulturelle Leben in der Gemeinde. Jo Mihaly war Mitbegründerin der Neufahrner Ortszeitschrift „DerMonat“. Viele Jahre lang hat sie das Blatt ganz entscheidend mitgeprägt. Den meisten Landkreisbürgern ist Jo Mihalyheute leider unbekannt. Zu Unrecht: ihre wundervollen literarischen Werke – Romane, Erzählungen, Kurzgeschichtenund Kinderbücher – sind es wert, gelesen zu werden.

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    mit dem fahrenden Volk eine Schlägerei. Piete, diegerade zu diesem Zeitpunkt geschickt worden war, einekaputte Bratpfanne zum Löten zu bringen, ergriff sofortPartei für die Schwächeren: Einem Beamten der Stadt-verwaltung biss sie kurzerhand kräftig in die Hand, alsdieser die Zigeuner der Stadt verweisen wollte. Mit derBratpfanne zog sie dem Mann zudem eins über denKopf. „Ich blieb doch den Zigeunern treu und nichtdiesen Herrchen“, echauffierte sich die alte Dame spä-ter. An diese Episode erinnerte sich die 85jährige JoMihaly in einem Beitrag, den das Zweite DeutscheFernsehen im Jahr 1987 in der Reihe „Zeugen des Jahr-hunderts“ aufgezeichnet hat. Im Juni 1918 verließ Piete nach der zehnten Klasse

    das Gymnasium, die Kaiserin Auguste-Viktoria-Schulein Schneidemühl. In der Schule hatte sie sich nie beson-ders wohl gefühlt. Ich kann die Schule nicht recht leiden,weil mir soviel Unrecht darin geschah, schrieb sie imOktober 1914. Bis zum Kriegsende kümmerte sich dasjunge Mädchen dann im städtischen Kinder- und Säug-lingsheim in Schneidemühl um die schwer krankenBabys der Soldatenfamilien. Mir ist, als sei ich schonlange für alles verantwortlich. Oh, diese Babys! Haut undKnochen. Kleine Hungerleichen. Und die Augen sind sogroß. Wenn sie weinen, klingt es wie leises Quäken(28. Juli 1918).Das Tagebuch endet im November 1918. Von da an

    durchlebte Piete eine unstete Zeit, in der sie das Land-

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    Danzig und wird in ihren Aufzeichnungen nur einmalerwähnt: „Gil und ich haben keine Sehnsucht nachunserem Vater“, heißt es darin. Vom Haus der Familie Golz aus konnte man direkt

    auf den Bahnhof sehen. Ein zweckmäßiger Bau war es,der von Großvater Golz, einem Architekten und Mit-glied des Stadtrates, ganz im Stil der Jahrhundertwendegeplant und konzipiert worden war: ein wichtiger Kno-tenpunkt für die „Preußische Ostbahn“, an der Streckevon Posen nach Neustettin. Mit Ausbruch des ErstenWeltkrieges wurde hier ein Truppenumschlagplatz ein-gerichtet. Mit Pauken, Trompeten und Jubelgeschreiwurden die Soldaten an die Front geschickt. Der Tage-bucheintrag vom 4. August1914 erinnert daran: Abendshörten wir das dumpfe Geräusch von Trommeln und Pau-ken. „Militärmusik“, schrie ich. Wir hielten es nicht mehraus im Zimmer und rannten auf die Straße. „Zum Bahn-hof!“ rief Willi. Die Bogenlampen brannten, das Laub derKastanienbäume sah in dem weißen Licht wie Papier aus.Ich kletterte auf den eisernen Zaun; von hier aus konnteman alles überblicken. Links das gelbe Bahnhofsgebäude,auf dessen vier Türmchen Posten mit geschultertem Ge-wehr standen, vor mir die Geleise und hinter mir der Platzmit den Menschen, die Kopf an Kopf standen. Auf demdritten Geleise hielt ein Güterzug, der mit Reservisten vollgestopft war. Sie lehnten in den offenen Waggontüren undwinkten und lachten. Die Soldaten trugen um den Halslange Gewinde aus Sommerblumen. Selbst in den Gewehr-

    läufen steckten Sträuße von Astern, Levkojen und Rosen,als wollten sie den Feind mit Blumen beschießen... Dem anfänglich so bejubelten Waffengang folgte

    bald Ernüchterung. Es war wie mit allen Kriegen: denSiegesnachrichten folgten die Totenlisten. Jetzt kamendie Flüchtlingsfamilien am Bahnhof von Schneidemühlan: Frauen und Kinder, von den schrecklichen Strapa-zen der Flucht oft schon vom Irrsinn gezeichnet.Kolonnen russischer Kriegsgefangener und deutscherVerwundeter, die nach vergeblichem Einsatz für daspreußisch-deutsche Kaiserreich in Erntewagen blutendüber das holprige Kopfsteinpflaster der Stadt gezogenwurden. Bis zu den Lazaretten lief Piete oft hinter denwimmernden Wehklagenden her. Eindrücke, die indem sensiblen Mädchen ein frühes leidenschaftlichesBekenntnis zu Pazifismus, Menschenliebe, Verständi-gung und Gerechtigkeit geweckt haben. Immer wieder,so ist es den ausdrucksstarken Zeilen ihres Kriegstage-buchs zu entnehmen, setzte sie sich auch schon alsKind für diese Minderheiten ein. Heute habe ich michmit einem Jungen geprügelt, weil er hinter Sybilla Löwen-thal „Judensau“ her schrie, schrieb sie am 7. September1914 in ihr Tagebuch. Auch ein anderes Engagementzugunsten der Zigeuner hatte schmerzhafte Früchtegetragen. Damals, als ihr Großvater den Zigeunern dieErlaubnis erteilt hatte, das Lager vor den Stallungen derFamilie Golz aufzuschlagen. Den Bürgern von Schnei-demühl war dies ein Dorn im Auge: man lieferte sich

    Kindheit in Schneidemühl: v.l. Pietes Mutter MargaretheKuhr-Golz, Bruder Willi-Gunther, Großmutter BertaGolz, vorne sitzend: Elfriede Alice „Piete“ Kuhr, später Jo Mihaly

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    straßendasein lieben lernte. „Ich nahm meine Gitarre,wollte nichts mehr wissen von der Gesellschaft und zoglos.“ Mit ihrer schönen dunklen Stimme sang die jungeFrau vor Bauernhäusern. Ein Butterbrot, eine Schlaf-stelle in der Scheune oder ein Becher Milch warenwillkommener Lohn dafür. Diese Zeit inspirierte sie zueinem ihrer bekanntesten Werke „Michael Arpad undsein Kind“(1930), eine Novelle, die ein Kinderschick-sal auf der Straße skizziert, sowie „Gesucht StepanVarescu“. Darin wird das Schicksal eines politisch Ver-folgten erzählt, der in der ungarischen Steppe Zufluchtbei einem Zigeunervolk findet. Da der intelligenten jungen Frau jedoch oft das

    „Wort zu hart“ und der „Bleistift zu spitz“ war, reifteimmer mehr der Wunsch heran, dem Krieg – ein„Gespenst in Lumpen“ – wie sie ihn selber nannte, mitden Mitteln des Tanzes die Stirn zu bieten. In den 20erJahren studierte sie in Berlin klassisches Ballett undmodernen Ausdruckstanz. In Kabaretts und Variétés, imZirkus und auf großen Konzertbühnen setzte sie dasErlernte in leidenschaftlich verkörperte Pantomimenum. Allmählich entwickelte sie einen ganz eigenenexpressiven Stil. Sie tanzte Geschichten mit starker Aus-sage: Appelle an die Menschlichkeit. Ihre Tänze wurdenauch so verstanden und berührten zutiefst. Sie trugenTitel wie „Die Verfolgung der Juden“, „Mütter“, „DerKnecht, als er einen Acker bekam“, „Blume im Hinter-hof “ oder „Vision eines Krieges“. Unterstrichen wurde

    die pazifistische sozialkritische Botschaft durch entspre-chende selbst entworfene Kostüme. Als erste Frautanzte sie in Soldatenstiefeln, Uniform und Stahlhelm:eine Anklage an das beispiellose Blutvergießen auf denSchlachtfeldern des Ersten Weltkrieges. Dazu sammeltesie bereits als Kind ungewöhnliche Requisiten. Der Ein-trag vom 15. Oktober 1916 in ihr Kindertagebuch er-innert daran. Onkel Bruno hat in seinem Gepäck einenflachen, blaugrauen Stahlhelm mitgebracht, den er auf demSchlachtfeld vor Verdun gefunden hat. Es ist ein belgischerStahlhelm; er hat vorne zwei glatte, tiefe Einstiche wie voneinem Bajonett, was aber bei der Härte des Stahls unmög-lich ist. Außerdem hat er neben den Einstichen eine tiefeEinbuchtung. Das Innenleder ist Blut verkrustet, ebenso daslederne Sturmband. Es ist steif und hart. Ich nahm denStahlhelm vorsichtig in die Hände und sah Onkel an. Onkelsagte: „Er lag umgekehrt am Boden wie eine Schüssel, vollBlut. Ich fragte: „Und der Soldat?“ Onkel antwortete: „Derwar nicht mehr da. Die Sanitäter hatten ihn wohl schongeholt.“ Als ich den Helm innen näher betrachtete, sah ich,daß im Genickrand mit einem spitzen Gegenstand einName eingeritzt war. Der Name lautete: van Glabeke,Cesar. Ein Flame also.... Ich stellte mir seine Mutter vor.Es stand sofort bei mir fest, dass ich an sie schreiben würde.Vielleicht kommt ein Brief an, den man an eine Madamevan Glabeke, Flandern, Belgien adressiert…Nach mehreren Tanztourneen durch Deutschland

    bekam Jo Mihaly eine Anstellung im Dreistädtetheater

    Königshütte-Beuthen-Gleiwitz. Einige Jahre lang warsie Mitglied des bekannten Haas-Heye-Balletts in Ber-lin. Im Juni 1927 trat sie an der Berliner Volksbühne in„Der Sommernachtstraum“ von William Shakespeareauf. Während der Proben zu den Aufführungen, indenen sie als „Oberelfe“ die vielen „Lichtlein“ (Zitat auso. g. Fernsehaufzeichnung) auf der noch dunklen Bühneanzünden musste, lernte sie den jüdischen Schauspielerund Regisseur, Leonard Steckel kennen, den sie nochim selben Jahr heiratete und mit ihm in die BerlinerKünstlerkolonie am Breitenbachplatz zog. Tür an Türwohnten hier Schauspieler, Maler und Schriftsteller:Peter Huchel, Ernst Bloch, Arthur Koestler oder Johan-nes R. Becher. Auch der Psychoanalytiker WilhelmReich, der damals offen gegen die Nationalsozialistenauftrat. 1927 begann das Ehepaar Steckel, beide begeis-terte Hobbyfotografen, eine Fotochronik anzulegen.Die Fotos, die das Paar in gemeinsamer Arbeit bis 1953sammelte und kommentierte, sind heute ein einmaligesZeitdokument zur Geschichte des Theaters im Schwei-zer Exil. Heute befinden sie sich im Archiv der Akade-mie der Künste in Berlin. Als die braunen GardenAnfang der 30er Jahre an Einfluss gewannen, etabliertesich die Künstlerkolonie immer mehr als Ort desWiderstands gegen den Nationalsozialismus. Die Be-wohner verstanden sich als eine Art „Schicksals-gemeinschaft“ und organisierten sich im „KampfbundKünstlerkolonie“. Kein Wunder, dass der Berliner

    Studien zu ihrem Ausdruckstanz „Der junge Herr“, Berlin 1931

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    Gauleiter, Joseph Goebbels, dieses Gebäude besondersim Visier hatte. Leonard Steckel war damals an fast allenBerliner Bühnen vertreten. Unter anderem gehörte erauch zu den Darstellern, die der einflussreiche Theater-intendant und Regisseur Erwin Piscator an seinerBühne am Nollendorfplatz beschäftigte.Bis zum 28. Februar 1933 bereicherte dieses Experi-

    mentiertheater das öffentliche Leben Berlins. Andiesem historischen Datum, dem Brand des deutschenReichstages, sollte jedoch alles anders werden. Bereitsam Morgen des 29. Februar 1933 begann der Terror.Jo Mihaly hat die Ereignisse vom Fenster ihrer Woh-nung aus beobachtet und aufgeschrieben: Ein Konvoivon mehr als hundert Fahrzeugen ist am frühen Morgendes 29. Februar vor dem Künstlerblock vorgefahren. Ausden eleganten Wägen stiegen SS-Offiziere. Lautsprecherwurden aufgestellt, aus denen ununterbrochen Naziliederdröhnten. Wie Schlachtvieh wurden die vielen prominentenKollegen auf dem Hof zusammengetrieben. SS- und SA-Leute zertrümmerten gerahmte Bilder auf den Köpfen derFestgenommenen, so daß das Blut an ihnen herunterlief. Ich erkannte einige unserer Nachbarn. Es war grauen-haft. Ich sah Männer auf den Lastwagen, die mit zumHitlergruß erhobener Hand stramm stehen mussten. Wennein Mann die Hand herunter sinken ließ, bekam er mit demKnüppel einen Schlag auf den Kopf.Angst und Ahnung eines kommenden Unheils brei-

    tete sich unter den Bewohnern der Künstlerkolonie

    aus. Als Piscator-Schauspieler und Jude war auch Leo-nard Steckel bedroht. Im Frühjahr 1933 erhielt er einFilmangebot aus Österreich, das ihn für kurze Zeitaußer Landes brachte. Seine Frau und die vor wenigenMonaten geborene Tochter Anja waren zur Sicherheitschon in eine andere Wohnung umgezogen. Nach derÖsterreich-Tournee plante Steckel – nur kurz illegal inBerlin – den Umzug ohne Aufsehen nach Österreich.Allerdings traf genau zu diesem Zeitpunkt ein rettendesTelegramm aus Zürich ein. Ferdinand Rieser, damalsDirektor am Schauspielhaus in Zürich, bot LeonardSteckel ein Engagement an. Von den Nazis hatte JoMihaly das Angebot erhalten, eine „Nationaltänzerin“zu werden und in Deutschland bleiben zu können. Sielehnte allerdings ab, wohl nicht nur, weil sie ihren jüdi-schen Mann hätte verlassen müssen. Sie war eine durchund durch politische Frau und als solche auch eine lei-denschaftliche Antifaschistin. Dies hatte sie immerauch in ihrer Tanzkunst ausgedrückt. So nahm die Familie den Weg in die Schweiz. Eine

    schwere, künstlerisch jedoch großartige Zeit waren dieJahre in der Emigration, als das Schauspielhaus inZürich durch den Zustrom deutscher und österreichi-scher Spitzendarsteller zu internationalem Rang auf-stieg. Etwa dreißig Inszenierungen wurden pro Saisonvon September bis Mai produziert, zahlreiche Urauf-führungen waren darunter. Stücke von Bertolt Brecht,Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. „Das Leben des

    Leonard Steckel und Jo Mihalybei der Arbeit an ihren Fotoalben,Berlin, 1932

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    Juliane Maier (1917– 2003)

    M u t t e r d e r B e h i n d e r t e n

    Leicht gehabt hat es Juliane Maier in ihrer eigenenKindheit nicht. Gemeinsam mit 15 Geschwistern wuchssie in Nassenfels, einem kleinen Bauerndorf im Land-kreis Eichstätt, auf. Von Geburt an lebte sie selbst miteiner körperlichen Beeinträchtigung. Der rechte Armwar im Mutterleib in eine Fehlstellung gekommen. Umdies zu korrigieren, musste dieser im Kindesalter mehr-mals gebrochen werden. Dabei sei der Arm kürzergeworden, erinnert sich ihre Tochter, Christina Becher.In der Schule begann ein kleines Martyrium. Weil dasSchreiben mit der linken Hand pädagogisch verpöntwar, musste sie die verkrüppelte rechte Hand einsetzen.Die linke Hand sei ihr kurzerhand auf den Rückengebunden worden, empört sich die Tochter noch heute.Den widrigen Umständen zum Trotz muss es die kleineJuliane doch zu recht ansehnlichen schulischen Ergeb-

    nissen gebracht haben. Die guten Noten erlaubten denBesuch einer Handelsschule. Allerdings verbot der Vatereine weitere höhere Ausbildung. Als Verkäuferin ineiner Samenhandlung wurde sie in Stellung geschickt.Auch zu Hause wartete viel Arbeit in der Bauernfamilie.Einmal die Woche war Juliane verpflichtet, die großeWäsche zu machen. Als sie mit 20 Jahren ihren späterenEhemann Johann kennenlernte, wendete sich ihr Lebenzum Guten. Im Jahre 1941 heiratete das Paar. Im Laufeder Jahre kamen sechs Kinder zur Welt, zuletzt die 1962mit Downsyndrom geborene Tochter Maria. In gewis-ser Weise ist sie wohl der Auslöser, der Moosburg in derFolge zur Stadt mit vorbildlicher Behindertenhilfe wer-den lässt.Kämpferisch und belastbar war die sechsfache Mut-

    ter eigentlich von jeher. Als sie im Jahr 1954 mit ihrem

    Wertschätzung, Achtung und Akzeptanz genießt die „Lebenshilfe Freising“ im gesamten Landkreis. Zu einer regelrechtenHerzensangelegenheit von Bürgern und Kommunalpolitikern ist die Sache der Behinderten jedoch in der Stadt Moosburggeworden. Dass dort das Nebeneinander von behinderten und nicht behinderten Bürgern so gut funktioniert, ist einerengagierten Frau zu verdanken: Juliane Maier. Fast drei Jahrzehnte lang hat sich die „Mutter der Behinderten“, wie sievon den Moosburgern heute noch liebevoll genannt wird, für die Belange dieser Menschen eingesetzt. Mit tatkräftigerUnterstützung ihrer Familie wurden Benefizveranstaltungen organisiert. Der Erlös daraus war finanzieller Grundsteinfür ein Behindertenwohnheim an der Schlesierstraße. Nach dessen offizieller Einweihung im Jahr 1988 war Juliane Maierimmer noch voller Elan. Eine weitere Einrichtung – diesmal ein Wohnheim mit angegliederter Förderstätte für Menschenmit schweren und schwersten Behinderungen – wurde im Jahr 1997 eröffnet. Vorbildcharakter haben die vielen Benefiz-veranstaltungen, die auf ihre Anregung hin ins Leben gerufen wurden. Sie werden auch heute noch organisiert und tragenin Moosburg ganz wesentlich zur Verbesserung der Lebenssituation für Menschen mit Behinderungen bei.

    Juliane Maier mit etwa 20 Jahren

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    war konnte die Öffentlichkeit von der Notwendigkeitihrer Idee überzeugen. Bei vielen Wohltätigkeitsveran-staltungen wurde für das Projekt geworben. Am Anfangstand ein bayerischer Abend in der Stadthalle. Ein Dut-zend Musikgruppen hatte sich bereit erklärt, ohne Gageaufzutreten. Der Andrang der Bevölkerung war enorm.700 Personen hätten eigentlich nur Platz gefunden.Gekommen waren aber mehr als 1000. Auch in dennächsten Jahren wurde der Moosburger „Musikanten-

    stadl“ zum Kassenschlager. Heute ist er eine feste Insti-tution und es ist sowohl für Bürger als auch fürKommunalpolitiker Ehrensache daran teil zu nehmen.Tombolas und Tanzveranstaltungen wurden organi-siert. Bei Basaren und Weihnachtsmärkten war JulianeMaier stets mit einem Stand vertreten. Sogar die SpiderMurphy Gang hatte sich in den Dienst der gutenSache gestellt. Immer wieder klopfte Juliane Maierauch bei Firmen und Geschäftsleuten an, sammelte

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    Mann und vier Kindern vom Landkreis Eichstätt nachMoosburg übersiedelte, musste die Familie zunächstunter sehr beengten Verhältnissen hausen. Im kleinenBauernhaus der Großmutter ihres Mannes war auf 16Quadratmetern Wohnraum kaum ein Auskommen.Kein Bad, kein Waschhaus habe es gegeben, eineZumutung für die Mutter, die eigentlich einen „Sauber-keitsfimmel“ hatte, erinnert sich die Tochter. Mit zähemWillen und langem Atem schuf sich das Ehepaar einEigenheim am Kepplerplatz, dort wo viele Zuzüglereine Bleibe gefunden hatten. Der Drang zu helfen seidamals schon ausgeprägt gewesen, erzählt TochterChristina. Immer wieder habe sie auch bei den Nach-barn mit Hand angelegt. Die Idee zur Gründung eineseigenen Behindertenwohnheimes in Moosburg seiMitte der 70er Jahre entstanden. Nicht wegen der eige-nen Tochter. Diese sei im Familienverbund bestensintegriert gewesen. Alle Geschwister halfen mit, dassMaria gut versorgt war. Das war immer auch einegewisse Ehrensache in der Familie Maier. Sorge berei-teten Juliane Maier vielmehr andere behinderte Kinder,die sie in Moosburg aufwachsen sah. Sollten derenEltern sich aus Altersgründen nicht mehr um die Kin-der kümmern können, was dann? Das Schicksal einesMädchens aus der Nachbarschaft gab schließlich denAusschlag: Beide Eltern waren gestorben, der Brudernicht in der Lage, die Schwester zu pflegen. JulianeMaier fühlte sich in der Pflicht, für das Mädchen Sorge

    zu tragen. Es müsste doch möglich sein, in Moosburgein Heim zu bauen, das geistig oder auch anderenbehinderten Menschen dauerhafte Wohnmöglichkeitund Betreuung bieten könne, ohne sie gleich in einGhetto abzuschieben? Die „Lebenshilfe Freising“, diezur damaligen Zeit bereits Fördereinrichtungen fürbehinderte Kinder in Freising betrieb, war von der Ideebegeistert. Auch der damalige Moosburger Bürgermeis-ter Herbert Franz versprach spontan Unterstützung.Die Stadt Moosburg stellte ein Grundstück an derSchlesierstraße zur Verfügung und verlangte dafüreinen jährlichen Erbbauzins von nur 100 Mark für dieDauer von 99 Jahren. Im Juli 1979 war es soweit. „DasSpendenkonto mit der Nummer 32 700 wurde eröff-net“, verkündete Juliane Maier stolz.

    Was dann kam, klingt wie ein kleines Wunder:Innerhalb von zehn Jahren wurde eine halbe MillionMark gesammelt. Und das gelang nur durch die über-wältigende Spendenbereitschaft der Moosburger Bür-gerinnen und Bürger sowie einsichtiger Geschäftsleute.Juliane Maier, die damals schon weit über 60 Jahre alt

    Bei der Namensgebung „Juliane-Maier-Haus“ 1991.Mit dabei: Juliane Maier (Mitte), Landrat Ludwig Schrittenloher (r.),Moosburgs Bürgermeister Anton Neumaier (2.v.r.), Vizelandrat Gottfried Weiß (2.v.l.), MdL Rita Schweiger (3.v.l.)„Das Spendenkonto mit

    der Nummer 32 700wurde eröffnet.“

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    Klara Goerge (1907 – 1970)

    F l ü c h t l i n g s f r a u

    Es ist Freitag, der 19. Januar 1945. In der ostpreußi-schen Stadt Allenstein im Bistum Ermland bestehe„keinerlei Gefahr“, tönt es aus Lautsprechern. DieTruppen hätten die Russen abgewehrt und über dieReichsgrenzen zurückgedrängt. Mit ernstem Gesichtkommt an diesem Nachmittag Franz Goerge zu seinerFrau Klara und den Kindern nach Hause. Er istSchmied und Obergefreiter in der Heeres-Kraft-ParkMorgenkaserne in Allenstein, in der er an diesem Frei-tag seinen Dienst verrichtet hatte. Die Nachricht, die erseiner Frau Klara eröffnet, lässt diese erblassen. „MeineTruppe ist dabei, sich abzusetzen. Die Russen stehen30 Kilometer vor Allenstein und können uns jederzeitüberrollen.“ Vom Hauptmann der Kaserne habe er dendienstlichen Befehl, die ganze Familie marschbereit zumachen. Für neun Kinder und ein Ungeborenes mussdas Notwendigste gepackt werden. Nachdem die älte-ren Söhne und der Vater die Nacht über im Keller des

    kleinen Häuschens in der Willenberger Str. 21 Kistenaus Sperrholz gezimmert hatten, werden am darauffolgenden Samstag überstürzt die wichtigsten Sachen– warme Kleidung, Schulsachen und Bettwäsche –zusammengerafft. Unsanftes Erwachen gibt es amSonntagmorgen vor allem für die beiden ältesten SöhneKurt und Theo. Der Vater hatte im Morgengrauen dieKaninchen geschlachtet und sie in Reih und Glied inden Schnee gelegt. Theo muss nun die Hühnerschar insJenseits befördern. Mit weit ausholenden Axthieben,wird auch dem Hahn der Garaus gemacht, der noch –ohne Kopf – drei, vier Meter durch die Luft segelt, umdann im Maschendraht des Zaunes hängen zubleiben.Mit klammen Fingern muss Kurt die getöteten undbereits steif gefrorenen Tiere aus dem blutrot gefärbtenSchnee in einer Badewanne aus Zink verstauen. Von daan geht alles recht schnell. Auf der menschenleerenStraße tauchen Schlitten auf, die die kinderreiche Fami-

    Kriegsende 1944/1945. Städte wie Lübeck, Köln oder Hamburg lagen bereits in Schutt und Asche. In der „Kornkammerdes Reiches“, Ostpreußen, bemühte sich die Wehrmacht, die Idylle aufrecht zu erhalten. Keinem britischen Bomber würdees je gelingen, die weite Strecke bis nach Ostpreußen zurück zu legen, das Land sei sicher, versicherte Hitlers Propaganda.Die Menschen glaubten es. Doch die näher rückende Ostfront zerschlug diese Utopie. Am 12. Januar 1945 überrollte dieRote Armee die deutsche Wehrmacht. Der Gauleiter Ostpreußens, Erich Koch, weigerte sich den Befehl zur Evakuierungder Zivilbevölkerung zu erlassen. Wer packte und flüchtete, wurde erschossen. Erst als die russischen Panzer unmittelbarvor der Tür standen, kam der Evakuierungsbefehl. Der Winter war so eisig wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr, alsacht Millionen Deutsche die Flucht nach Westen antraten. Unter ihnen Klara Goerge. Für die zehnfache Mutter aus derostpreußischen Stadt Allenstein gab es kein Zurück mehr.

    Klara Goerge in den 60er Jahren

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    Elisabeth Hörhammer-Giammattei(1920 – 2001)

    B r a u m e i s t e r i n

    Wir schreiben das Jahr 1946. Rund um den Münch-ner Stachus hat sich eine größere Menschenmengeangesammelt. Belustigt beobachten Passanten einejunge Frau, die inmitten von Limousinen und Fuhrwer-ken in Seelenruhe den Vergaser ihres Lastwagensreinigt. Ein paar gezielte Handgriffe und der Schadenwar behoben. Weiter ging die Fahrt mit dem abenteuer-lichen Gefährt, das voll beladen mit Bierfässern, einenkuriosen Anblick bot. In der Regel maß das „FräuleinBraumeister“ aus dem oberbayerischen Haag an derAmper im Landkreis Freising, einem solchen Zwischen-fall keine besondere Bedeutung bei. Unzählige Malezuvor war Elisabeth Hörhammer bei ähnlichen Liefer-fahrten in Bedrängnis geraten. Bereits in jungen Jahrenmit Aufgaben und Pflichten betraut, die in einer patri-

    archalischen Gesellschaft in erster Linie von Männernausgeübt werden, hatte sie gelernt, auch in schwierigenSituationen einen klaren Kopf zu bewahren.

    In Haag geboren, wuchs die kleine Elisabeth gemein-sam mit der älteren Schwester Nora bei den ElternEugen und Apollonia Hörhammer am ehemals gräfli-chen Schloß mit Brauereigebäude auf. Bilderbuchtagemüssen es gewesen sein, welche die beiden Mädchenerleben durften. Dank der weitläufigen Gartenanlageaus dem 18. Jahrhundert war für unbeschwertes Kinder-spiel gesorgt. An Sonntagen traf sich die große Familiezu kleinen Gesellschaften im Schlossgarten. Spezialitä-ten, wie man sie nur aus der „guten alten Zeit“ kennt,standen auf dem Speiseplan. Aus der nahe gelegenenAmper und den gepflegten Fischweihern rund um das

    Wer an sonnigen Sommerwochenenden die „Schlossallee“ in Haag im Landkreis Freising besucht weiß, dass es hier immer„hoch“ hergeht. Ein „Heiliger Berg“ ist sie zwar nicht die Kastanien-Oase mitten im idyllischen Ampertal. Der wertenKundschaft beschert sie trotzdem ein gar seltenes Schmankerl, das gut und gerne dem Andechser „Gebräu“ gleich kommenmag. Anno 1920 wurde hier das „Jägerbier“ erstmals ausgeschenkt. Und kaum einer der Gäste weiß es wohl, dass damitauch der Name einer Frau fest verbunden ist: Elisabeth Hörhammer-Giammattei. Als erste Braumeisterin Bayerns führtesie den Guts- und Brauereibesitz ihrer Familie durch die Nachkriegszeit: sie legte den Grundstein für das beliebte „Gast-haus im Grünen“. 1878 wurde das ehemals gräfliche Schloss der früheren Hofmark Haag von der Familie Hörhammerangekauft. Das Braurecht besteht seit 1784. Zum Schloss und Brauhaus führt die „Allee“, wie der Biergarten heuteliebevoll genannt wird, zwar schon lange nicht mehr. 1997 fielen die letzten Reste des einst herrschaftlichen Gebäudes inder Haager Ortsmitte der Abrissbirne zum Opfer. Geblieben ist die Doppelreihe knorriger Kastanien und breit aus-ladender Buchen, deren Äste gleich drei Bankreihen weit nach links und rechts Schatten spenden. Die Vergangenheitlebt weiter im Namen.

    Elisabeth Hörhammer-Giammatteiim März 1989 vor still gelegtem Sudkessel im früheren Brauhaus

    des Haager Schlosses

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    sie ihre damalige Stellung. Nicht ohne Schmunzeln erin-nerte sie sich an so manch abenteuerliche Fahrt mitihrem Holzgas betriebenen Lastwagen. Als einzigesFahrzeug, das der Gemeinde Haag in den Kriegsjahrenzur Verfügung stand, war die junge Brauereielevin auchzum Transport der Feuerwehr verpflichtet. NächtlicheEinsatzfahrten waren keine Seltenheit. Ging es ans Bier-ausliefern, so mussten die 40-Liter-Fässer zunächst vonFrau Hörhammer eigenhändig verladen werden. ÜberSchotterstraßen ging die Fahrt zur nächsten Ortschaft.„Bergauf hatte ich schon die richtige Technik, dasGefährt rauf zu jagen, bergab half manchmal nur einMisthaufen als Bremsblock, erinnerte sich die Braumei-sterin. Als unvergessliches Erlebnis erzählte sie folgendeBegebenheit. Beim Transport einer hochschwangerenFrau ins Freisinger Krankenhaus, setzte bei dieser derGeburtsvorgang schon während der Fahrt ein. „Soll ichEntbindungshilfe leisten, oder aufs Gas drücken“, fragtesich die besorgte Fahrerin damals. Nachdem sie sich fürletzteres entschieden hatte, kam der Wagen vor demKrankenhaus genau in dem Augenblick zu stehen, alsder neue Erdenbürger das Licht der Welt erblickte.

    Trotz der enormen Belastungen, welche die jungeBrauereihelferin auf sich nehmen musste, drängte sienach Weiterbildung. Die Versuchs- und Lehrbrauerei inWeihenstephan war eine Station ihres Berufsweges.Anfänglich wollte das Institut keine Frau ausbilden. Nurder Vermittlung des Vaters war es zu verdanken, dass die

    Tochter doch eine Chance bekam. Mit Hosen bekleidetsollte die junge Frau – den männlichen Kollegen gleichgestellt – die Verarbeitung der Gerste zu Malz praktizie-ren. Gelegentlich hatte sie an solchen Tagen bis zuhundert Zentner Gerste umgeschaufelt. Allzu gernehätte die Tochter des Brauereibesitzers ihren Abschlussan der Hochschule in Weihenstephan gemacht. Aber dieKriegsverhältnisse erlaubten kein langes Studium. Zu

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    Brauereigebäude wurden Hechte, Brachsen, Weißfischeund Rotaugen geholt. Hausangestellte verstanden es,das „grätige Zeug“ zu schmackhaften Fischwürsten zuverarbeiten. An Kulinarischem mangelte es nicht. Wild-bret stammte aus der eigenen Jagd im Haager Revier.Auch Elisabeth wurde von Kindesbeinen an mit auf dieJagd genommen. Praktisch und zupackend muss siegewesen sein, so schildern sie Zeitzeugen. Ein „echtesNaturkind“. Fische habe sie mit „bloßen Händen“ ausder Amper geholt. Während Ausritten sei sie manchmalvom Pferd gesprungen. „Auge in Auge“ mit einemHecht. Einen „Vierpfünder“ habe sie aus dem Wassergeholt, abgeschlagen und im Reitstiefel mit nach Hausetransportiert. An diese Episode kann sich ein Neffe erin-nern. Immer soll sie aber auch einen gewissen Sinn fürÄsthetik gezeigt haben. Dies war wohl auf die Familieder Mutter zurück zu führen, eine Tochter der HaagerKunstmalerfamilie Schneidt.

    Das Braurecht ist in Haag seit 1784 überliefert undgeht zurück auf die früheren Besitzer des Haager Schlos-ses, das Grafengeschlecht Lodron. Auch die Garten-anlage, die heutige „Allee“ stammt aus dieser Zeit.Belegt ist dies durch einen Kupferstich von MichaelWening und einem Gemälde aus dem Jahre 1783.Baumpflanzungen im westlichen Bereich des Schlossessind darauf zu sehen: Kastanien und Buchen, welchevon Biergartenbesuchern heute zu Recht als „narrischoid“ bezeichnet werden. 1874 ging das Haager Schloss

    samt Gutsbetrieb, Brauereigebäude und Außenanlage indie Hände der Familie Hörhammer. Damit trat zumersten mal in der langen Geschichte des Schlosses einebürgerliche Familie als Eigentümer auf. Der Mediziner,Dr. Paul Hörhammer und dessen Bruder Matthiashatten das Areal von Baron Carl von Beck aus Au erwor-ben. Für den begeisterten Freizeitgärtner und Natur-liebhaber, Dr. Paul Hörhammer, waren die weitläufigenWiesen, Fischweiher und Gemüsegärten Liebhabereiund Verpflichtung zugleich. Ökonomie und auch dieJagd wurden gepflegt. Neben den heimischen Gewäch-sen sollen immer auch exotische Pflanzen ihren Platzgehabt haben. Erst in Ökonomierat Eugen Hörhammer,dem zehnten Kind aus der Ehe von Dr. Paul und The-rese Hörhammer, fand die ebenfalls in den Besitz derFamilie Hörhammer übergegangene Brauerei einenkompetenten Fachmann. Von ihm erlernte die 1920geborene Tochter Elisabeth die Grundbegriffe derBraukunst.

    Nach dem Besuch des Gymnasiums begann sie mit18 Jahren im elterlichen Betrieb die Ausbildung alsBraulehrling. Der fehlende männliche Nachwuchs musses wohl gewesen sein, der Elisabeth in die Fußstapfendes Vaters treten ließ. Infolge der Einberufungen zurWehrmacht in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrie-ges fehlte es bald an männlichen Brauereihelfern.Elisabeth übernahm alle anfallenden Arbeiten. „Ich warBräubursch, Knecht und Ausfahrer in einem“, beschrieb

    Wintersemester 1941/42 an der Lehr- und Versuchs- anstalt für Brauer Dr. Doemen in München. ElisabethHörhammer (oberste Reihe) inmitten der männlichenKommilitonen.

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    Lichtanlage sorgte für abendliche Aufenthaltsmöglich-keit an diesem lauschigen Fleckchen Erde. Es mögedem Besitzer der Allee, Herrn Ökonomierat Eugen Hör-hammer, nun die öffentlicheBitte unterbreitet sein, diesenschönen Park auch an einigenkünftigen Sonntagen, die vongutem Wetter begünstigt sind,der Öffentlichkeit zugänglichzu machen“. Nach dem Zwei-ten Weltkrieg wurde die „Allee“ wie sie von da an nurnoch genannt wurde, im gesamten Landkreis bekannt.Mit zunehmender Motorisierung kamen Gäste aus ganzBayern. Tische und Bänke wurden fest montiert. Anverschiedenen Ständen gab es bayerische Brotzeiten zukaufen. Modellcharakter hatte das grüne Kleinod an derAmper auch an der Isar. Kein geringerer als Prinz Luit-pold von Bayern stattete die Münchner Biergärten nachdem in Haag praktizierten Modell der Selbstbedienungaus.

    Zu Beginn der 60er Jahre veranstalteten Gruppen inFreising stationierter Amerikaner Grillfeste in der Allee.Als Liebhaber urig bayerischen Brauchtums hatte derOrganisator der Veranstaltungen, Anthony Giammatteibereits des Öfteren mit Braumeisterin Hörhammer ver-handelt. Die Amerikaner, einst Besetzer der kleinenOrtschaft im Ampertal, galten in Haag inzwischen alsgern gesehene Gäste. Schon nach kurzer Zeit wurde

    eine bayerisch-amerikanische Hochzeit gefeiert. Rau-schende Feste waren zur damaligen Zeit keine Selten-heit. Neugierig lugten die Ortsbewohner an den

    Wochenenden über die hohenMauern der Schlossallee. Arg-wöhnisch beobachtete manden ausschweifenden und ver-schwenderisch-luxuriösen Le-bensstil der „Bräulies“. VomSchaumbaden im Sekt wurde

    gemunkelt, das Geld sei „mit Schaufeln“ raus geworfenworden. So schildern heute viele Haager Bürger die„wilden“ 60er Jahre in der Schlossallee. „Und wenn keinGeld mehr da war, dann wurde Grund verkauft“, vermu-tete man. Frau Hörhammer-Giammattei liebte denBesitz der Familie. Allerdings war sie mit Instandhal-tung und Bewirtschaftung der Brauerei überfordert.Mehr und mehr gab Elisabeth Hörhammer-Giammatteivom Familienbesitz ab, der in Form von wertvollemBauland auch außerhalb von Haag in den umliegendenGemeinden zur Verfügung stand. Trotz der Beliebtheitdes Haager Bieres und der tausenden von Ausflüglern,die alljährlich zu den Haager Sommerfesten pilgerten,war die Existenz der kleinen Landbrauereien zur dama-ligen Zeit gefährdet. Dem Siegeszug der städtischenGroßbrauereien konnte nicht mehr länger getrotzt wer-den. Schweren Herzens stellte Frau Hörhammer-Giammattei im Jahr 1968, drei Jahre nach der Geburt

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    Hause wartete der Vater auf tätige Mithilfe. So ging Eli-sabeth Hörhammer zur Dr. Doemenschen Brauer-schule nach München und legte dort 1944 ihre Brau-meisterprüfung ab. Unter dem Bombenhagel derAmerikaner war die Absolventin damals von der Prü-fungsstätte in der Sonnenstraße zum Justizpalastgelaufen. Dort suchte sie in einem LuftschutzkellerUnterschlupf. Bestanden hatte in diesem Jahr die Prü-fung jeder Abgänger. Als frischgebackene Braumeisterin – übri-gens die erste in Bayern – kehrteFrau Hörhammer nach Haagzurück, wo sie gemeinsam mitihrem Vater den Betrieb leitete.Das letzte Kriegsjahr bescherte derFamilie noch einige Wirrnisse.Nach dem Einmarsch der amerika-nischen Truppen in Haag am 29.April 1945, wurde das Kriegsgefan-genenlager im nahe gelegenenMoosburg aufgelöst. Viele der ehe-maligen Häftlinge kamen nach Haag. In den Kellern derBrauerei lagerten damals große Bestände an Alkohol,Benzin, Druckerschwärze und Säften. Die Plünderungder Keller war nicht mehr aufzuhalten. Einige der ehe-maligen russischen Soldaten glaubten in der dunklenFlüssigkeit Alkohol zu erkennen und tranken von derDruckerschwärze. Ihr Leben war nicht mehr zu retten.

    Die Amerikaner vermuteten hinter dem Vorfall einenSabotageakt und verhängten kurzerhand das Todesur-teil über den Brauereibesitzer. Nur durch das diplo-matische Eintreten der Umstehenden wurde ElisabethsVater vor dem Erschießen gerettet.

    Die Jahre von Ökonomierat Eugen Hörhammerwaren indes aus gesundheitlichen Gründen gezählt.Nach seinem Tod im Jahre 1948 leitete die Tochter den

    Betrieb alleine. Immerhin wurdenin Haag damals bis zu 7.000 Hek-toliter Bier jährlich gebraut. Regel-mäßig haben sich hier die Jägergetroffen. Da die Schlossbrauereider Familie Hörhammer über keineigenes Bräustüberl verfügte, stellteman Tische und Bänke unter diemächtigen Bäume des Schlossgar-tens um dort das Bier zu genießen.In den Sommermonaten wurde anSonntagen das eigens zu diesemAnlass gebraute „Jägerbier“ ausge-

    schenkt. Auch die Öffentlichkeit kam gelegentlich zudem Genuss. Wie einem Bericht des „Freisinger Tag-blatt“ vom 29. Juli 1926 zu entnehmen ist: „Unter demSchatten spendenden Blätterdach der Kastanienalleehatten am vergangenen Sonntag emsige Hände für dasgeplante Nachmittagskonzert zahlreiche Bänke undTische aufgestellt. Selbst eine provisorische elektrische

    „Ich war Bräubursch,Knecht und Ausfahrerin einem“

    Das süffige Jägerbier wird auch heute nochin der Schlossallee Haag ausgeschenkt.

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    Anna Mayerthaler (1900 – 1984)

    F a b r i k a r b e i t e r i n

    Die Nähe zu München und die vorhandene Wasser-kraft der Moosach haben Carl Feller zu Beginn desvergangenen Jahrhunderts die Wahl des Standorts fürseine Tuchfabrik leicht gemacht. Nicht minder wichtigscheint die Frage der Arbeitskräfte gewesen zu sein, dieim damals Struktur schwachen Stadtteil rasch gelöstwar. Der „hohen Motivation“ der Belegschaft – Füh-rungskräften und Arbeiterschaft – war es zu verdanken,dass sich die Tuchfabrik Carl Feller&Sohn bald zueinem qualitativ hochwertigen Lieferanten für Loden-stoffe etablieren konnte. Mitgewirkt am Erfolg derFirmengeschichte hat sicherlich auch Anna Mayer-thaler. 52 Jahre lang blieb sie dem Unternehmen treu.Von der Wolle bis zum fertigen Tuch waren ihr alle Pro-duktionsschritte vertraut. Mit 20 Jahren ist die Neu-stifterin in die Tuchfabrik eingetreten. Ihre Tätigkeitführte zunächst über die Spinnerei und Weberei bis hinzur Ausnäherei. Hier war sie zuletzt als Abteilungslei-terin tätig. Erst mit 72 Jahren schied sie aus der Fabrikaus. Zwei Jahre bevor die Familie Feller 1974 ihre

    Fabriktore in Freising für immer schließen musste. Aufgewachsen ist Anna Mayerthaler, eine geborene

    Steiger, im früheren Lazarett und späteren medizini-schen Krankenhaus an der Kölblstraße. Nach demBesuch der Grundschule ging sie zunächst in Stellungals Haushaltshilfe. Mit 20 Jahren legten ihr die Elternnahe, in die Tuchfabrik Feller einzutreten. Dort lerntesie die Produktionsabläufe des Tuchmacherhandwerksvon Grund auf kennen. Nicht nur aus Deutschland undEngland kamen die Rohstoffe. Auch aus Überseewurde die Wolle in riesigen Säcken geliefert – aus Süd-afrika, Australien, Neuseeland und Südamerika. In derWolferei wurde die Rohwolle mittels Reißwolf undeiner milchig weißen Flüssigkeit geschmeidig gemacht.Krempelmaschinen spannen die Ware zu grobem Garn,das in der Feinspinnerei und Zettelei für die Webstühleweiter bearbeitet wurde. Über Kette und Schuss ent-stand dort die Rohware, die in Walkerei und Appreturzu hochwertigen Stoffen veredelt wurde. VielfältigeStoffsorten gingen von der Tuchfabrik Feller in die

    Der lang anhaltende Pfeifton war den Neustifter Bürgern vertraut. Wer im Umkreis der Tuchfabrik Feller wohnte, wusste,was er bedeutete. Wenn die Werkssirene kurz vor sieben Uhr den Gang zur Arbeit forderte, wurde es geschäftig in denengen Gassen des Freisinger Stadtteils. Früher hatten hier Handwerker und Tagelöhner gewohnt, denen die Äbte undMönche des Prämonstratenserklosters noch bis 1803 Arbeit und Lohn gegeben hatten. Nach der Säkularisation bezogenSoldaten Quartier. 1906 ging die Cavallerie Kaserne in Neustift in den Besitz des Münchner Kaufmanns und Fabri-kanten Carl Feller über. Gute und qualifizierte Arbeitskräfte waren für den Tuchmacher mit Tradition im Ortsteil Neustiftschnell gefunden. Anna Mayerthaler war eine von ihnen. 52 Jahre lang war sie in der Tuchfabrik tätig.

    Anna Mayerthaler, Jugendbild etwa 1916/1917

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    Feller war ein sozialer, großzügiger und in der Beleg-schaft hoch geschätzter Arbeitgeber. 1949/50 wurdedas „Wendelin-Haus“, westlich des Fabrikgebäudes mitWerkswohnungen für Mitarbeiter gebaut. Die „Feller-Hütte“ auf der Kampenwand im Chiemgau stand nichtnur der Familie Feller sondern auch den Betriebsange-hörigen für erholsame Tage in den Bergen zur Ver-fügung. Ausflüge führten die Mitarbeiter der Fabrikzum Chiemsee, Königssee oder Bodensee, nach Zellam See, Innsbruck oder Schloss Linderhof. Zu einemgroßartigen Fest für die gesamte Tuchfabrik gestalteten

    sich die Feierlichkeiten zum 50jährigen Firmenjubi-läum im Oktober 1956. Ein festlich geschmückterSonderzug mit Tanzwagen brachte die Belegschafteinen unvergesslichen Tag lang nach Salzburg. „Aus-flüge und Feiern hatten damals noch einen anderenWert“, weiß die Enkelin von Anna Mayerthaler, RitaSchwaiger. Ein Auto habe man sich damals nicht leistenkönnen. So war die „große, weite Welt“ begrenzt auf diewenigen wertvollen Tage der gemeinsamen Ausflügedes Betriebs.

    Streng organisiert sei der Alltag der Großmuttergewesen. Wenn am Montagmorgen die Fabriksirenekurz vor sieben Uhr tutete, begann eine lange Arbeits-woche. Die schweren Maschinen in Krempelei, Spinne-rei, Weberei und Färberei ratterten bis um 11.30 Uhr.Ein Großteil der Belegschaft, insbesondere die Frauen,eilte jetzt in die umliegenden Häuser, um für die Fa-milien das Mittagessen zu bereiten. „Es gab jeden Tagein komplettes, warmes Essen“, erinnert sich RitaSchwaiger. Die Großeltern hatten es gerne deftig.Suppe, Rindfleisch und Blaukraut sei auch unter derWoche häufig auf dem Speiseplan gestanden. Punkt einUhr habe man wieder das Tor zur Tuchfabrik passierenmüssen. Der lang anhaltende Pfeifton der Sirene warauch jetzt wieder zu hören. Und wehe, man habe sichnur wenige Minuten verspätet. Dann habe der Pförtnerdas Tor nachträglich öffnen müssen. Bis 17.30 Uhrdauert die Produktion an Nachmittag.

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    Welt – die Schweiz, nach Holland, Belgien, Luxem-burg, in die skandinavischen Länder und die Vereinig-ten Staaten von Amerika. Die Arbeit wurde im Stehenverrichtet. Knapp 40 Zentimeter waren die „Schiffe“lang, mit denen die „Schussfäden“ jeweils von einerSeite zur anderen zwischen den Kettfäden der Web-stühle „geschossen“ wurden. Diese Arbeit wurde imAkkord ausgeführt. Rund 20 Pfennig betrug der Lohnfür 1000 „Schuss“ kräftezehrender Arbeit. Nicht ver-gleichbar mit heutigem Verdienst, aber für viele Frauenein unverzichtbarer Beitrag zur Sicherung des Lebens-

    unterhaltes. Auch für Anna Mayerthaler. Gemeinsammit ihrer Tochter Anna, die 1921 geboren wurde undden beiden Kindern ihres Mannes Kastulus, einemWitwer, bewohnte die fünfköpfige Familie eine kleineWohnung im Verwaltungsgebäude der Tuchfabrik. DasGetöse der Maschinen belastete die Nerven der Fabrik-arbeiter. Doch der Lärm und die Schwere der Arbeitwaren kaum jemandem zu viel. Ausgleich von denAnstrengungen während des langen Arbeitstages fanddas Fabrikpersonal bei Ausflügen, Betriebsfeiern undsportlichen Veranstaltungen. Kommerzienrat Carl

    Freisinger Wochenmarkt um 1916 in der „Oberen Altstadt“, Anna Mayerthaler als 16jährige (Bildmitte, leicht links, mit zugewandtem Gesicht)

    Anna Mayerthaler mit Ehemann Kastulus und EnkelinRita in den 50er Jahren auf der „Feller-Hütte“ auf derKampenwand.