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Schwerpunkte psychologisch-p idagogischer Patientenfiihrung D. Eismann, Erfurt Poliklinik fiir Orthop~idische Stomatologie (Direktor: MR Prof. Dr. sc. med. D. Eismann) der Sektion Sto- matologie an der Medizinischen Akademie Erfurt Der Effekt kieferorthop/idischer Behandlung wird durch zwei Elemente entschei- dend gepr~igt: Zum einen durch die sachgerechte Ausfiihrung der speziellen diagno- stischen und therapeutischen Mal3nahmen und zum anderen durch die lenkende und kontrollierende, bis zu einem gewissen Grad erzieherische Einflul3nahme auf den Patienten zur Sicherung der Mitarbeit. Fiir letztere spielt das Arzt-Patienten-Ver- h/iltnis eine wichtige Rolle. Im Mittelpunkt stehen dabei die Wechselwirkungen zweier Individuen, von denen der Kieferorthop/ide die Ziigel fiir das Geschehen in der Hand behalten mug. Im Rahmen des Studiums und w~ihrend der Fachzahnarztausbildung wird daf/Jr in gezielter Form relativ wenig Wissen vermittelt. Dabei liegen umfangreiche Erkennt- nisse vor auf den Gebieten der Entwicklungs-, Ausdrucks- und Sozialpsychologie wie auch zu psychologisch-p/idagogischen und psychopathologischen Problemen. Jede Psyche ist durch die subjektive Widerspiegelung einer objektiven Realit/it charakterisiert, wodurch die sachlichen Wissenschaftsinformationen bei ihrer geisti- gen Verarbeitung und praktischen Umsetzung durch den Therapeuten eine individu- elle Note erhalten. In ihrer Auswirkung trifft dessen Handlung wiederum auf eine Psyche, die subjektgebunden reagiert und auf den Zahnarzt zur/Jckwirkt. So entste- hen in jedem Fall ganz pers6nliche Interaktionen, die im strengen Sinn ein einmali- ges Gepr/ige besitzen. Dabei gibt es einen wissenschaftlich nur schwer belegbaren Anteil, der die individuellen Eigenheiten betrifft, die jedoch nicht selten fiir das Re- sultat von wesentlicher Bedeutung sind. So ist es auch gerechtfertigt, aus pers6nli- cher Sicht verdichtete klinische Erfahrungen darzustellen, um Anregungen fiir die Praxis zu vermitteln. Auf der Grundlage meiner mehr als 30j~ihrigen Berufserfahrung mug ich an mir selbst feststellen, dab die Verhaltenstendenzen sowie die ihnen zugrunde liegenden Motive vielfach verflochten und eng mit charakterlichen Eigenschaften und anderen ausgepr/igten Eigenarten verbunden sind. In ihren Grundziigen sind sie gleich ge- blieben und beziehen sich auf meine PersOnlichkeit. Die Arztpers6nlichkeit stellt das Fundament dar, auf denen die speziellen F~ihig- keiten zur Patientenfiihrung aufbauen. Dabei ist bedeutsam, dab der Therapeut Au- torit/it ausstrahlt. Sie erw/ichst aus anerkannter Leistung und Entscheidungsbefugnis und ist grunds/itzlich nicht an ein bestimmtes Alter gebunden. So bat mich als junger Assistent die Mutter eines unauff/~lligen Patienten: ,,Bitte sagen sie Robert, er soil 190 Fortschr. Kieferorthop. 47 (1986), 190---193 (Nr. 3)

Schwerpunkte psychologisch-pädagogischer Patientenführung

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Schwerpunkte psychologisch-p idagogischer Patientenfiihrung

D. Eismann, Erfurt

Poliklinik fiir Orthop~idische Stomatologie (Direktor: MR Prof. Dr. sc. med. D. Eismann) der Sektion Sto- matologie an der Medizinischen Akademie Erfurt

Der Effekt kieferorthop/idischer Behandlung wird durch zwei Elemente entschei- dend gepr~igt: Zum einen durch die sachgerechte Ausfiihrung der speziellen diagno- stischen und therapeutischen Mal3nahmen und zum anderen durch die lenkende und kontrollierende, bis zu einem gewissen Grad erzieherische Einflul3nahme auf den Patienten zur Sicherung der Mitarbeit. Fiir letztere spielt das Arzt-Patienten-Ver- h/iltnis eine wichtige Rolle. Im Mittelpunkt stehen dabei die Wechselwirkungen zweier Individuen, von denen der Kieferorthop/ide die Ziigel fiir das Geschehen in der Hand behalten mug.

Im Rahmen des Studiums und w~ihrend der Fachzahnarztausbildung wird daf/Jr in gezielter Form relativ wenig Wissen vermittelt. Dabei liegen umfangreiche Erkennt- nisse vor auf den Gebieten der Entwicklungs-, Ausdrucks- und Sozialpsychologie wie auch zu psychologisch-p/idagogischen und psychopathologischen Problemen.

Jede Psyche ist durch die subjektive Widerspiegelung einer objektiven Realit/it charakterisiert, wodurch die sachlichen Wissenschaftsinformationen bei ihrer geisti- gen Verarbeitung und praktischen Umsetzung durch den Therapeuten eine individu- elle Note erhalten. In ihrer Auswirkung trifft dessen Handlung wiederum auf eine Psyche, die subjektgebunden reagiert und auf den Zahnarzt zur/Jckwirkt. So entste- hen in jedem Fall ganz pers6nliche Interaktionen, die im strengen Sinn ein einmali- ges Gepr/ige besitzen. Dabei gibt es einen wissenschaftlich nur schwer belegbaren Anteil, der die individuellen Eigenheiten betrifft, die jedoch nicht selten fiir das Re- sultat von wesentlicher Bedeutung sind. So ist es auch gerechtfertigt, aus pers6nli- cher Sicht verdichtete klinische Erfahrungen darzustellen, um Anregungen fiir die Praxis zu vermitteln.

Auf der Grundlage meiner mehr als 30j~ihrigen Berufserfahrung mug ich an mir selbst feststellen, dab die Verhaltenstendenzen sowie die ihnen zugrunde liegenden Motive vielfach verflochten und eng mit charakterlichen Eigenschaften und anderen ausgepr/igten Eigenarten verbunden sind. In ihren Grundziigen sind sie gleich ge- blieben und beziehen sich auf meine PersOnlichkeit.

Die Arztpers6nlichkeit stellt das Fundament dar, auf denen die speziellen F~ihig- keiten zur Patientenfiihrung aufbauen. Dabei ist bedeutsam, dab der Therapeut Au- torit/it ausstrahlt. Sie erw/ichst aus anerkannter Leistung und Entscheidungsbefugnis und ist grunds/itzlich nicht an ein bestimmtes Alter gebunden. So bat mich als junger Assistent die Mutter eines unauff/~lligen Patienten: ,,Bitte sagen sie Robert, er soil

190 Fortschr. Kieferorthop. 47 (1986), 190---193 (Nr. 3)

Pa6en~nf~hrung

seine Schulhefte korrekter fiihren und sauberer schreiben. Sie sind der einzige, auf den er h6rt!"

Worauf griindet sich Prestige und weiche Schwerpunkte bestimmen das Vorgehen bei der Patientenf0hrung? Ich glaube, daB Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit und Ge- radlinigkeit bedeutsame Wesensziige im Umgang mit Patienten sind.

Aufrichtigkeit beziehe ich besonders auf das gesprochene Wort zu fachspezifi- schen Themen, aber auch auf Unterhaltungen zu pers6nlichen Fragen. Bagatellisie- ren, Besch6nigen oder nach dem Munde reden zahlt sich nicht aus. Erkl/irende Of- fenheit beugt Entt/iuschungen vor, f6rdert die positive Auseinandersetzung mit un- umg/inglichen Belastungen. Dabei vermittele ich meinem Partner Hinweise, wie er mit der Anforderung fertig werden kann und welche Erfahrungen bei anderen damit bestehen. Das schlieBt auch ein, klare Worte zu sagen, wenn der Eindruck besteht, dab der Patient zu wenig Engagement bei der Bew~iltigung seiner Pflichten zeigt.

In angemessener Weise sollten auch .AuBerungen und Meinungen von Eltern be- richtigt werden, denen wir uns als Kieferorthop~iden nicht anschlieBen k6nnen. Dabei darf nicht der Eindruck entstehen, daB die Autorit~it der Erzieher untergraben werden soil. Das Kind soil jedoch merken, dab sein Zahnarzt aus fachlicher Sicht eine andere Stellung bezieht. Wenn die Argumentation/Jberzeugend ist, lassen sich meist Eltern und Kinder gemeinsam in die gewiinschte Richtung lenken.

Wahrhaftigkeit m6chte ich vornehmlich in Verbindung bringen mit emotionalem Verhalten. Wenn ich einen Patienten bedauere, dann muB dieses Gefiihl echt sein. Leere Worte und gespielte Anteilnahme werden leicht durchschaut. Kinder haben ein besonders feines Gespiir dafiir, wer voll fiir sie da ist. Aiteren muB man sich in dieser Beziehung gar nicht so selten verdeutlichen.

Um dies zu erreichen, freue ich mich beispielsweise sichtlich fiber einen erzielten Behandlungserfolg, unter Umst/inden auch k6rperlich sp/Jrbar, mit einem impulsi- ven, wohlwollenden Klaps oder einer anderen expressiven Geste. Damit wird eine unmittelbare K6rper-zu-KOrper-Wirkung erzielt. Natiirlich mul3 man seinen Partner zuvor eingesch/itzt haben, ob er auf eine soiche Aktion positiv reagiert. Dazu verhel- fen Kenntnisse aus der Ausdruckspsychologie.

Die Hand des Arztes kann ein direkter Mittler fiir Informationen sein, die sich schwer ansprechen und formulieren lassen. Durch den H~indedruck beispielsweise lassen sich Worte nachdriicklich unterstreichen; durch Ruhe ausstrahlendes Hand- auflegen wird Aufgeregtheit ged~impft und Angst beseitigt; das Streichen fiber den Scheitel als wohlwollende Geste wirkt mehr als bloBe Lobesworte, sanftes Streicheln nach chirurgischen Eingriffen 16st den StreB.

Geradlinigkeit m6chte ich auch als Best/indigkeit verstanden wissen, als berechen- bares verl/iBliches Verhalten des Kieferorthop/iden, der damit eine Richtschnur vor- gibt. Unter Hinweis auf das gemeinsame kieferorthop~idische Ziel muB eine Kon- stanz der Forderungen aufrechterhalten werden. Insofern besitzt auch in Erzie- hungsfragen in Obertragung das Wort ,,Repetitio est mater studiorum" seine Be- rechtigung. Der erzieherische EinfluB soil sich nicht nur auf ein einziges Ziel konzen- trieren, sondern auf ein komplexes Spektrum richten. Dazu z~ihlen fiir mich piinktli- che Einhaltung der Bestelltermine, Sauberkeit an H/inden und Kleidung, korrektes

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D. Eismann

Befolgen des Mundhygiene-Regimes, Beachtung der Instruktionen zur Ger/itehand- habung, verl/iBliche Ausffihrung von Auftr/igen und lJbungen wie z.B. zur Sicherung der gewohnheitsmiiBigen Nasenatmung.

Um in dieser Beziehung Erfolg zu haben, muB aber eine gegenseitige Verstiindi- gung gewiihrleistet sein. Das setzt voraus, dab vom Behandler, abgestimmt auf den jeweiligen Partner, nicht nur die richtigen Worte gebraucht, sondern Sachverhalte unter Umstiinden in geeigneter Weise veranschaulicht werden. Der Handspiegel zur Konfrontation des Patienten mit seiner eigenen GebiBsituation ist mir dabei ein un- entbehrliches Hilfsmittel, das durch GebiBmodelle, Anschauungsobjekte, Abbil- dungen und erforderlichenfalls Faustskizzen erg/inzt wird.

Der Patient wird mit diesen Gespr~ichen von mir in eine gewisse Mitverantwortung zum Wohle seiner Gesundheit einbezogen. Bedeutsam ist es deshalb, anfangs das Wesen der GebiBanomalie und die Grundzfige der Therapie zu erOrtern und sp~iter den Behandlungsfortschritt, gegebenenfalls aber auch eine Stagnation oder die ver- lorengegangene PaBf/ihigkeit eines Ger/ites aufzuzeigen. So kommt dem kontinu- ierlichen Dialog eine spezielle Rolle zu. Hier sollte man nicht zu sehr mit der Zeit gei- zen.

Es erscheint mir wichtig, darauf hinzuweisen, dab der Dialog nicht nur verbal statt- findet. Viel informativer ist oft die Sprache des KOrpers, die durch die Mimik, Ge- stik, das Gehabe oder die Haltung verr/it, was nicht fiber die Lippen geht. Wenn, ab- geleitet vonder ausdruckspsychologischen Beobachtung, vom Therapeuten Proble- me aufgestochen werden, ist der Effekt seiner Einflul3nahme besonders hoch. In F/il- len mit negativem Hintergrund kann vielfach Hilfe gegeben werden, wenn man - bei gegebenen Voraussetzungen - der l~Iberzeugung Ausdruck verleiht, dab der Patient die Situation bew/iltigen wird. Man mul3 ihm Mut zur Meisterung geben.

Lassen Sie mich den letzten Schwerpunkt, den ich aufzeigen will, mit einem Zitat des Denkers und Arztes Paracelsus einleiten. Er sagte: ,,Der h6chste Grad der Arz- nei ist die Liebe. Die Liebe ist es, die die Kunst uns lehret, und auBerhalb derselben wird kein Arzt g e b o r e n . . . "

Herzlichkeit, Verstiindnis, EinfiihlungsvermOgen, Mitgeffihl als ihre Attribute verstiirken die Zfigel der Patientenfiihrung. Ich habe immer wieder bei groB und klein erfahren, dab sittlich saubere und wohlgemeinte/irztliche Zuneigung die Ko- operationsbereitschaft st/irkte. Wer in der Lage ist, aus iirztlicher Berufung dem Pa- tienten das Gefiihl zu vermitteln, um seiner selbst willen behandelt zu werden und nicht aus Profession, der gewinnt nicht nur einen guten Partner, sondern tr/igt aus der Riickkoppelung eigenen reichen Gewinn davon.

Zusammenfassung

Die Beeinflussung des Patienten zu guter Mitarbeit wird durch psychische Interaktionen zwischen Zahn- arzt und Patient bewirkt und besitzt pers6nlichen Charakter. Aus eigener klinischer Erfahrung werden 12 Schwerpunkte angeschnitten, die dabei besondere Bedeutung besitzen.

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Patientenfiihrung

Summary

Influencing patients to improve co-operation results from psychic interactions between the dentist and the patient, and has a character of its own. From personal cxpericnce 12 important points are mentioned.

R~sum~

Amener le patient fi une bonne collaboration d6pend de I'influence que le dentistc exerce psychiquemcnt ct individuellcment sur son patient. D'apr~s I'cxp6rience clinique, on rel6ve particuli6remcnt 12 aspects importants dans ce domaine.

Anschr, d. Verf.: MR Prof. Dr. sc. med. D. Eismann, Poliklinik fiir Orthopfidische Stomatologie der Sek- tion Stomatologic an der Mcdizinischen Akademie Erfurt, Nordh~iuser StraBe 74, DDR-5010 Erfurt.

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