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SED CONTRA: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft 1. Folge Interpretation oder Präsenz? An welchem Aufgabenverständnis sollte sich die Literaturwissenschaft orientieren? CARSTEN DUTT Werkzentrierte Interpretation: Zur Kritik kontextualistischer Orientierungen in der Literaturwissenschaft “daß gepfleget werde Der veste Buchstab und Bestehendes gut Gedeutet” Die Literaturwissenschaft der Gegenwart ist eine gebeutelte, von mittlerweile etlichen turns und (wissenschaftstheoretisch zu Unrecht so genannten) Paradig- menwechseln heimgesuchte Disziplin. Ihre immer wieder einmal thematisch wer- dende “Krise” besteht freilich nicht schon in der Abundanz der in den letzten Jahr- zehnten akkumulierten Fragestellungen und Untersuchungshinsichten, sondern in einem unkritischen Pluralismus, der diese Abundanz vielerorts verwaltet, und einer Neuerungssucht, die sie gedankenlos und vokabelverliebt vermehrt. “Mich inte- ressiert, was sich aus Benn für den iconic turn herausholen lässt,” so ließ mich vor knapp zwei Jahren eine Kollegin wörtlich auf die Frage hin wissen, welche wissen- schaftlichen Pläne sie derzeit verfolge. “Mich interessiert, was sich aus Benn für den iconic turn herausholen lässt”—es geht mir nicht um die Ironisierung der hier anonym bleibenden Kollegin, sondern um ein prägnantes (und hoffentlich aufrüttelndes) Beispiel für die innerhalb der Literaturwissenschaft (und wohl nicht nur innerhalb ihres germanistischen Zweiges) anzutreffende Unart, Methoden und The German Quarterly 86.3 (Summer 2013) 235 ©2013, American Association of Teachers of German

Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

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SED CONTRA:

Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

1. Folge

Interpretation oder Präsenz?

An welchem Aufgabenverständnis sollte sich die Literaturwissenschaft

orientieren?

CARSTEN DUTT

Werkzentrierte Interpretation:

Zur Kritik kontextualistischer Orientierungen

in der Literaturwissenschaft

“daß gepfleget werde

Der veste Buchstab und Bestehendes gut

Gedeutet”

Die Literaturwissenschaft der Gegenwart ist eine gebeutelte, von mittlerweile

etlichen turns und (wissenschaftstheoretisch zu Unrecht so genannten) Paradig-

menwechseln heimgesuchte Disziplin. Ihre immer wieder einmal thematisch wer-

dende “Krise” besteht freilich nicht schon in der Abundanz der in den letzten Jahr-

zehnten akkumulierten Fragestellungen und Untersuchungshinsichten, sondern in

einem unkritischen Pluralismus, der diese Abundanz vielerorts verwaltet, und einer

Neuerungssucht, die sie gedankenlos und vokabelverliebt vermehrt. “Mich inte-

ressiert, was sich aus Benn für den iconic turn herausholen lässt,” so ließ mich vor

knapp zwei Jahren eine Kollegin wörtlich auf die Frage hin wissen, welche wissen-

schaftlichen Pläne sie derzeit verfolge. “Mich interessiert, was sich aus Benn für den

iconic turn herausholen lässt”—es geht mir nicht um die Ironisierung der hier

anonym bleibenden Kollegin, sondern um ein prägnantes (und hoffentlich

aufrüttelndes) Beispiel für die innerhalb der Literaturwissenschaft (und wohl nicht

nur innerhalb ihres germanistischen Zweiges) anzutreffende Unart, Methoden und

The German Quarterly 86.3 (Summer 2013) 235

©2013, American Association of Teachers of German

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quasi-methodische Begrifflichkeiten um ihrer selbst willen zu pflegen und mit

Gespür fürs Modische und Aktuelle gegenüber nüchternen Fragen nach ihrer

Sachangemessenheit und Ergiebigkeit abzuschirmen. Prüfen zu wollen, inwiefern

der heuristische Einsatz der bildtheoretischen und—wenn es sie denn geben

sollte—texttheoretischen Vorschläge der Propagatoren des iconic turn an Benns

Gedichten, Prosatexten oder Szenen etwas wahrzunehmen erlaube, das bislang

noch nicht wahrgenommen wurde und in der Benn-Forschung zu Unrecht un-

notiert blieb—: dies wäre eine seriöse, Einsicht in den Vorrang der Erkenntnis-

gegenstände vor den Erkenntnismitteln bekundende Auskunft auf meine arglose

Frage gewesen.

Ich habe übrigens den Eindruck, dass ein gewisses Unbehagen an den sich

mehrenden Anzeichen von Beliebigkeitsstimmung innerhalb der Literaturwissen-

schaft eines der Motive dafür bildet, sich verstärkt in ihre Historie zu vertiefen, statt

des Fachs also Fachgeschichte zu treiben. In der Tat erleben wir seit längerem einen

wahren Boom disziplinhistorischer Publikationen in den neueren Philologien und

zumal in der Neugermanistik. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist inzwischen

in weiten Teilen aufgearbeitet, und so wendet man sich denn verstärkt den

Nachkriegsjahrzehnten zu, um u.a. die Aktivitäten und Ergebnisse der Arbeits-

gruppe Poetik und Hermeneutik zu historisieren: personengeschichtlich, institu-

tionsgeschichtlich, theorie- und methodengeschichtlich.1

Soweit ich die neuerdings entstandene Literatur zur Geschichte der deutsch-

sprachigen Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts kenne, dominieren in ihr

erstaunlicherweise rein historische Interessen. Man versucht zu beschreiben, wie es

fachgeschichtlich gewesen ist, und selbstverständlich auch zu erklären, warum es

fachgeschichtlich so kam, wie es kam. Hier und da spielen überdies—Stichwort

“Literaturwissenschaft und Nationalsozialismus”—kritische, nämlich ideologie-

und opportunismuskritische Aspekte eine Rolle. Die für die theoretisch-metho-

dologische Orientierung gegenwärtiger literaturwissenschaftlicher Arbeit vor-

rangig relevante Frage hingegen, ob es denn richtig und daher epistemisch ergiebig

oder falsch und daher unergiebig war, dass literaturwissenschaftliche Unter-

suchungen von X oder Y ehedem so betrieben wurden, wie sie betrieben wurden, die

Frage also, in welchem Maße ältere Begriffsbildungen und Forschungsprogramme

der Literaturwissenschaft noch immer als brauchbar oder gar wegweisend gelten

können, bleibt im Gros der Rekonstruktionsliteratur außer Betracht. Methoden-

geschichte und normativ gehaltvolle Methodenkritik treten auseinander, und es

wäre im Hinblick auf das eingangs zur Lage des Fachs Gesagte wohl einmal zu

überlegen, warum das so ist.

Hin und wieder allerdings verbindet sich die gelehrte Beschäftigung mit einem

bestimmten Strang der jüngeren Fachgeschichte anstatt mit antiquarischer

Abstinenz gegenüber der Prüfung von Geltungsansprüchen mit der Emphase

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methodologischer Wiederentdeckung und Wiedererweckung, um der Gegenwart

eine Paradigma-Restauration zu bescheren. In letzter Zeit galten entsprechende

Vorstöße—nein, nicht schon der Konstanzer Schule, nicht Hans Robert Jauß’

Rezeptionsästhetik, die darauf vorerst noch warten muss, sondern einem deutlich

älteren Bestand des literaturwissenschaftlichen Theorie- und Methodenarsenals:

der in die deutschen 1920er Jahre zurückreichenden und vor allem mit dem Wirken

des Göttinger Germanisten Rudolf Unger verbundenen literaturwissenschaft-

lichen Problemgeschichte.2

Karl Eibl zunächst und in ausdrücklicher Anknüpfung an ihn Dirk Werle haben

nachdrücklich für eine Erneuerung der literaturwissenschaftlichen Problem-

geschichte plädiert, und zwar mit dem Anspruch, in ihrem Zeichen Literatur-

wissenschaft und Ideenhistorie zu verbinden: “Die […] Konzeption einer

literaturwissenschaftlichen Problemgeschichte ermöglicht die literaturhistorische

Rekonstruktion ideenhistorischer Zusammenhänge in ihrer Reichhaltigkeit und

Komplexität” (497). DasZitathatden Vorzug, die epistemischen Ziele der visierten

Restauration klar zu benennen: Es geht um ideenhistorische Zusammenhänge—

selbstverständlich “in ihrer Reichhaltigkeit und Komplexität”—und damit um eine

der vielen Strukturdynamiken, die sich als geschichtlich bewegte und, sofern ihnen

in mindestens einer Hinsicht Faktorenstatus zukommt, ihrerseits bewegende

Kontexte der Literatur identifizieren, voneinander abheben und aufeinander

beziehen lassen. Geistesgeschichtliche, sozialgeschichtliche, mentalitätsgeschicht-

liche, diskursgeschichtliche, mediengeschichtliche Zusammenhänge—: all dies

sind Erkenntnisobjekte bzw. Komplexe von Erkenntnisobjekten, auf die sich die

Literaturwissenschaft in kontextualistischer Orientierung bezieht, um sie anhand

ihrer immediaten Gegenstände, anhand literarischer Werke nämlich, dingfest,

diachron übersichtlich und in dieseroder jenerHinsicht aussagekräftigzumachen.

Ich bin damit bei meiner Absicht, durch einige Bemerkungen zur Kritik

kontextualistischer, z.B. ideengeschichtlicher Orientierungen in der Literatur-

wissenschaft zur (hoffentlich praxistauglichen) Definition ihres gegenwärtigen

Aufgabenverständnisses beizutragen. Einen weiteren turn habe ich insoweit nicht

vorzuschlagen.Nicht um die Anpreisung von Neuem geht es, sondern im Gegenteil

um die Erinnerung an Altes, dabei Unaufgebliches. Wenn man so will, handelt es

sich bei meinem Votum um eine methodologisch normative Gegenerinnerung zur

Erinnerung an die Erkenntnisziele der werk- und epochenübergreifend verfahren-

den Problemgeschichte innerhalb der von Dilthey her geisteshistorischen Aus-

richtung unseres Fachs. Die Rede ist von der im Bereich germanistischer

Literaturwissenschaft vor allem mit den Namen Wolfgang Kayser, Emil Staiger,

Peter Szondi und Gerhard Kaiser verbundenen Paradigma werkzentrierter Interpre-

tation, das—von der politisch korrekten Germanistik der späten sechziger und

siebziger Jahre sachlich zu Unrecht, aber diskreditierungseffektiv zur sogenannten

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Werkimmanenz stilisiert3—als ästhetisches und mikrohistorisches Korrektiv

geistesgeschichtlicher Zuordnungshermeneutik auf den Plan trat. Wie immer die

Praxis werkzentrierter Interpretation in den zurückliegenden Jahrzehnten durch

andere Priorisierungen literaturwissenschaftlicher Arbeit ergänzt oder auch

polemisch verabschiedet worden sein mag: ihre Errungenschaften bilden einen in

wohlbestimmter Hinsicht paradigmenübergreifenden Genauigkeitsstandard lite-

raturwissenschaftlicher Arbeit, an den heute zu erinnern nicht nur aus Gleich-

gewichtsgründen am Platze ist. Die in literaturwissenschaftlichen Texten um sich

greifende Beschreibungsarmut etwa—lyrische Gedichte werden in einschlägigen

Qualifikationsschriften zwar selbstverständlich noch immer zitiert, allzu oft aber

statt mit eindringlichen Analysen mit Paraphrasen saisonal “angesagter” Theo-

retiker oder Pseudotheoretiker bedacht—fände ein heilsames Korrektiv in den

analytischen und deskriptiven Subtilitäten der Kunst werkzentrierter Interpreta-

tion.

In Sachen Kontextorientierung nun aber das Positive und Selbstverständliche

vorab: Solide literaturwissenschaftliche Arbeit setzt solide Kontextstudien voraus;

sie sind in Gestalt des Gewinns sprachgeschichtlicher, sozialgeschichtlicher, poli-

tikgeschichtlicher, ideengeschichtlicher, kunstgeschichtlicher, mediengeschicht-

licher und vieler weiterer Kenntnisse ein unabdingbares Hilfsmittel literatur-

wissenschaftlicher Arbeit; der Einzelwerkerschließung ebenso dienstbar wie der

Erschließung einzelwerkübergreifender Einheiten der Literaturgeschichte. Wer

etwa—um ein Beispiel aus dem Bezugsfeld von Literaturwissenschaft und Ideen-

geschichte zu bemühen—Justus Lipsius nicht gelesen und daher keine hinrei-

chenden Kenntnisse der Anthropologie und Moralphilosophie des frühneuzeit-

lichen Stoizismus hat, wer daher nicht um die Zentralstellung der Idee der

constantia in der neostoischen Lebenslehre weiß, der läuft in der Beschäftigung mit

AndreasGryphius und anderenAutoren des schlesischenLiteraturbarock auf Sand.

Schon den Doppeltitel von Gryphius’ zweitem, um 1648/49 entstandenem

Trauerspiel Catharina von Georgien. Oder Bewehrete Beständigkeit wird der

ideengeschichtliche Unterinformierte nicht richtig lesen. Er wird den Bezug und a

fortiori den Signalwert des Bezugs auf die Idee einer—so die Definition in der 1599

erschienenen deutschen Übersetzung von Lipsius’ Traktat De Constantia (1584)

—“rechtmeßige[n] und unbewegliche[n] stercke des gemüts / die von keinem

eusserlichen oder zufelligen dinge erhebt oder untergedrückt wird” (10), übersehen.

Andererseits gilt, dass das einschlägige ideengeschichtliche Wissen zwar eine

unabdingbare Voraussetzung, nicht aber auch schon die Garantie einer

angemessenen Interpretation des Gryph’schen Trauerspiels bildet, das sich nicht in

der szenischen Illustration neostoischer Ideenvorgaben erschöpft, diese Vorgaben

vielmehr auf seine Weise transformiert, indem es die constantia-Lehre in die Form

eines christlichen Märtyrerdramas übersetzt und zu den Bedingungen dieser Form

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providenz- und gnadentheologisch wendet (vgl. dazu Schings). Das Beispiel, das

sich mutatis mutandis auch auf diskursgeschichtliche oder gattungsgeschichtliche

Kontextualisierungen übertragen ließe, soll sagen: Die literaturwissenschaftliche

Arbeit an Texten hat diese nicht einfach auf ihre konstitutiven oder regulativen

Kontexte zurückzuführen; vielmehr hat sie die Aufgabe, die produktive

Verarbeitung der Kontexte durch die Texte, die insoweit intentional verantwortete

Werke sind, zu erhellen.4 Nur insoweit ist kontextualistisch orientierte Arbeit an

Literatur literaturwissenschaftlich hinreichend ergiebig.

Es versteht sich, dass ich in diesem Punkt normativ argumentiere. Und das

Losungswort dieser theoretisch-methodologischen Normativität ist das Wort von

der Werkzentrierung literaturwissenschaftlicher Arbeit, die als Arbeit an intentional

verantworteten (und typischerweise hochkomplexen) Textgebilden eine Form

individualisierender, nicht lediglich typisierender Erkenntnis ist. Gewiss:

Literarische Werke sind in mannigfacher Hinsicht Vorkommnisse von Typen; sie

sind Exemplare von Gattungen, ideenhistorischen Formationen, mentalitäts-

geschichtlichen Lagen, diskursiven Strategien etc., dies jedoch—so die Geschäfts-

grundlage werkzentrierter Interpretation—auf je und je einzigartige, unver-

wechselbare und eben deshalb den Bemühungen individualisierender Erkenntnis

aufgegebene Weise. Werkzentrierte Interpretation erschließt die Individualität der

Werke, indem sie die individuelle Verarbeitung nichtindividueller (z.B.generischer

oder ideengeschichtlicher) Kontextvorgaben erschließt.

Wohlgemerkt: Ich möchte mich insoweit keineswegs gegen kontextualistische

Orientierungen aussprechen, und schon gar nicht gegen die Einspeisung spezifisch

kontextbezogenen Wissens in die werkzentrierte Erkenntnistätigkeit der Litera-

turwissenschaft—dort, wo dies geraten ist. Wohl aber möchte ich vor einem

unterkomplexen Gebrauch dieses Wissens warnen und in dieser Absicht die

begriffliche Weichenstellung zugunsten kontextualistischer Reduktionismen im litera-

turwissenschaftlichen Umgang mit Literatur bezeichnen. Sie erfolgt, so meine ich,

überall dort, wo der Begriff des literarischen Werks und seine Spezifikationen keine

oder eine nurmehr marginale Rolle im Begriffsnetz der Untersuchungen spielen,

die sich in kontextualistischer Orientierung auf Literatur beziehen. Wo exklusiv

von Ideen und Ideenentwicklungen, wo exklusiv von Diskursen und Dispositiven,

wo exklusiv von kulturellen Energien und kulturellen Ökonomien, nicht aber auch

von literarischen Werken die Rede ist, dort geht mit der Kategorie für den primären

Erkenntnisgegenstand der Literaturwissenschaft der kategoriale Anhalt für die

Untersuchung der semantischen, pragmatischen und nicht zuletzt ästhetischen

Produktivität verloren, die die hochkomplexen Textindividuen der Literatur in und

zu ihren (so oder so definierten) Kontexten entfalten. Wie Wittgenstein—

PhilosophischeUntersuchungen § 570—sagt: “Begriffe leiten uns zu Untersuchungen.

Sind der Ausdruck unseres Interesses, und lenken unser Interesse” (239). Mit der

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untersuchungsprogrammatischen Preisgabe oder Marginalisierung der Kategorie

des literarischen Werks verkümmert untersuchungspraktisch die Aufmerksamkeit

auf die der Literatur relativ zu ihren Kontexten individuell eigentümlichen

Aussage- und Ausdruckspotentiale.

Selbst dort, wo ein Werk eher ein Werkchen und zum Beispiel nicht viel mehr

als die Versifikation eines theologisch oder philosophisch vorgedachten Gedankens

ist, selbst dort also, wo Literatur Wissens- und Ideenordnungen lediglich in die

komplexe Prägnanz verssprachlicher Verdichtung hebt, ist es der werkhaft

generierte Mehrwert dieser Verdichtung, der Literaturwissenschaftler spezifisch

beschäftigen sollte. In keinem Fall geht die Produktivität literarischer Werke

nämlich im bloßen Transport, in der restlos transparenten, sich selbst zum

Verschwinden bringenden Repräsentation oder Exemplifikation jener Kontexte

auf, die ihnen, den Werken, geschichtlich vorausliegen und in dieser oder jener

Weise auch einbeschrieben sind.

Ich sagte schon, dasswerkzentriertes Interpretieren ehedem als ästhetischesund

mikrohistorisches Korrektiv geistesgeschichtlicher Zuordnungshermeneutik zu

Bestand gekommen sei. Das dabei leitende Interesse war (und ist) das Interesse an

individualisierender, nicht lediglich typisierender Erkenntnis im Umgang mit

Werken der Literatur. Das theoretische Fundament dieses Individualisierungs-

interesses besteht in der Einsicht in die Bedeutung der Form, d.h. in der

Anerkennung der semantischen, pragmatischen und ästhetischen Produktivität der

in keinem ihrer Details substituierbaren (weil in keinem ihrer Details insigni-

fikanten) Gestalt eines Werkes. Unübertrefflich genau hat Gerhard Kaiser diesen

Grundsatz formuliert: “Interpretation sagt nicht, was die Werke sagen, noch

einmal. Sie sagt vielmehr, daß es nichts am Werk gibt, das nicht spricht” (33f.).

Werkzentriertes Interpretieren stößt insoweit von allen Interpretationsmodellen

ab, die literarische Texte programmatisch oder per accidens auf den Status von

Containern, sekundären und inerten Behältnissen, kontextuell vordefinierter

Größen und damit auf den Status bloßer Belegfälle für die Macht und Streuweite

des Primären herabstufen; wobei es wenig verschlägt, ob die als primär und wirksam

angesetzten Größen nun Ideen oder Diskurse oder kulturell flottierende Energien

sein sollen. Zu Erkenntnisgegenständen mit dem Anspruch auf Individualisie-

rungsgenauigkeit rücken literarische Werke in keiner Version des Container-

Modells auf.

Im Aufgabenverständnis und Arbeitsmodus werkzentrierter Interpretation

hingegen gibt die Literaturwissenschaft diesem Anspruch statt. Unter den

Aussagepotentialen der Literatur, die sie dabei entdeckt, ist auch jenes, das ich als

Interrogativität der Werke bezeichnen möchte und das wohl am eindringlichsten auf

die Leistungsgrenzen kontextualistischer Orientierungen im Umgang mit

Literatur verweist: Vollends seit ihrer Autonomisierung und Ästhetisierung im 18.

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Page 7: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

Jahrhunderts beziehen sich literarische Werke nicht mehr vorwiegend im Modus

der Affirmation, sondern im Modus der Interrogation auf Ideen, Diskurse und

andere Kontextvorgaben. Werkzentrierte Interpretation lässt es sich dement-

sprechend angelegen sein, die individuelle Form der Interrogation, die ein

literarisches Werk als dieses eine Werk leistet, herauszuarbeiten. Dass sich

Literaturwissenschaftler dabei nicht auf das explizit Gesagte beschränken können,

dass sie gerade auch das zu berücksichtigen und verstehend auszulegen haben, was

man Formsprache nennt, also etwa die spezifisch literarischen Aussage- und

Ausdrucksmöglichkeiten der Bildlichkeit, der Lautlichkeit, des Metrums, des

Rhythmus, der narrativen oder szenischen Situationsbildung eines Werkes, dürfte

ohne weitere Exemplifikation und Begründung einleuchten; ebenso, dass man in

interdisziplinären Foren, die ausdrücklich an übergreifenden Kontextfragen, an

Diskurs- oder Ideengeschichten zum Beispiel, interessiert sind, die Expertise der

Literaturwissenschaftlerin gerade dann besonders schätzen wird, wenn sie vor dem

Hintergrund bestimmter Kontexte aus einem literarischen Werk nicht wiederum

nur jene Kontexte und ihre Merkmale herausfiltert, also nicht nur das, was

innerhalb eines bestimmten Kontextes auch hier zur Sprache kommt, vielmehr das,

was so nur dieses eine Werk artikuliert und erfahrbar macht—in Differenz zu den

Daten, die ihm vorausliegen und von denen es bis zu einem bestimmten

Punkt—dem springenden Punkt seiner Interpretation—durchdrungen sein mag.

Gewiss ist, um abschließend nochmals ein Beispiel zu bemühen, die Lyrik

Gottfried Benns auf Ideen bezogen, die Friedrich Nietzsche philosophisch promi-

nent und weltanschaulich wirksam gemacht hat; so insbesondere auf Nietzsches

Diagnose der Heraufkunft des Nihilismus und die von ihm in bestimmten Phasen

seinesDenkens zur Überwindung desNihilismus stilisierte Idee desKunstschaffens

als letzter metaphysischer Tätigkeit, der “Artistenmetaphysik,” des “Olymps des

Scheins.”5 Kein Zweifel: Benn dichtet von dieser Idee her, aber er dichtet auch

gegen sie an; jedenfalls übersetzt er sie nicht einfach in Verse, aus denen sie sich als

dieselbe wiedergewinnen ließe. Nein, Benns Lyrik verlangt einen anderen,

genaueren, einen werkzentrierten Blick, der ihre differentielle Identität gewahrt:

Ein Wort—, ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,

ein Flammenwurf, ein Sternenstrich—,

und wieder Dunkel, ungeheuer,

im leeren Raum um Welt und Ich. (303)

Das hier nur mit seiner zweiten Strophe zitierte Gedicht Ein Wort (vollendet 1941)

bezieht sich fraglos auf Nietzsches “Olymp des Scheins;” aber es ist nicht diese Idee,

die das Gedicht präsentiert. In der dramatisch bewegten Inszenierung des

Transitorischen, der Flüchtigkeit ästhetischen Glanzes präsentiert es vielmehr sich

selbst: das literarische Werk vergänglichen Scheins im Abstand zu jener

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hochgemuten und selbstgewissen Idee. Benn lässt Nietzsches Olymp als

wortinduziertes Sehnsuchtsprodukt aufscheinen und im Dunkel existentieller

Ratlosigkeit, einer von aller Metaphysik, auch der Artistenmetaphysik, verlassenen

Ratlosigkeit, untergehen. Was das Gedicht seinen Lesern im Vollzug dieser

Bewegung zumutet—die klimaktisch organisierte Evokation der Evokation eines

Sternenstrichs kippt buchstäblich zurück in die Fläche: ins Schwarz eines

Gedankenstrichs—, ist die poetische Konsumtion einer kunstphilosophischen Idee;

was es leistet, ist die Transformation einer ideengeschichtlich vorgegebenen

Antwort auf das Sinnvakuum des Nihilismus in die Offenheit und Ungewissheit

einer dichterischen Frage. Mit einer Formulierung aus Benns Problemen der Lyrik,

die nicht von ungefähr das letzte,dasGrenz-und Sprengwort des zitierten Gedichts

aufnimmt, lässt sich diese Frage näher bezeichnen. Es ist “die Frage nach dem Ich”

(511).

Um meine Argumentation zusammenzufassen: Für die im Wissen um die

eigensinnige Intentionalität und Komplexität ihrer Gegenstände um Individuali-

sierungsgenauigkeit bemühte Literaturwissenschaft können kontextualistische

Orientierungen allenfalls subsidiäre Funktion, nicht aber den Status von Inte-

grationsdisziplinen haben, in die sich die Literaturwissenschaft als einer unter

mehreren Anwendungsbereichen könnte eingliedern lassen. Werkzentrierte

Literaturwissenschaft nutzt die Resultate kontextualistischer Zugriffe: die

Resultate der Ideengeschichte, der Sozialgeschichte, der historischen Diskurs-

forschung etc.; sie nutzt sie indessen nicht als Subsumtionsschemata, sondern als

Reflexionsmedien individualisierender Erkenntnisarbeit.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Individualisierung heißt

nicht Punktualisierung oder Isolierung der Werke; Werkzentrierung heißt nicht

Entkoppelung deskriptiver—Wie-Fragen beantwortender—und explanatorischer

—Warum-Fragen beantwortender—Zugriffe; Werkzentrierung bedeutet nicht

Dekontextualisierung und schon gar nicht Enthistorisierung. Im Gegenteil: Die

Erkenntnis (oder hermeneutisch gesprochen: das Verstehen) des Einzelwerks

bedarf der Erkenntnis nicht nur seiner intrinsischen, sondern auch seiner relationalen

Eigenschaften, also der komplexen Verhältnisse, in die es eingelassen ist und die es

kraft seiner Individualität auch wieder überragt. Umgekehrt bedarf die

Untersuchung begrifflich höher aggregierter Einheiten, die Untersuchung von

Epochen, Gattungsentwicklungen, Stilen etc., der vergleichenden Untersuchung

des einzelnen, alsoder Werke innerhalb ihrer. Die Erkenntnis desAllgemeinen und

die Erkenntnis des Individuellen entwickeln sich nach dem hier in Erinnerung

gerufenen Programm werkzentrierter Interpretation in wechselseitiger Fundierung

und Ergänzung. Besser als ich es könnte, hat diese produktive Verschränkung vor

über einem halben Jahrhundert Emil Staiger beschrieben und dabei auf den

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spezifisch begriffsbildungskritischen Nutzen werkzentrierter Interpretation für die

Literaturgeschichtsschreibung aufmerksam gemacht:

Wie die Kunst der Interpretation auf geschichtlicher und sprachlicher Forschung

beruht, so soll sie ihrerseits wieder bestrebt sein, diesen Zweigen der Forschung zu

dienen. Ich bin überzeugt, gerade so, mit den Mitteln der Interpretation, mit ihrer Art,

sich restlos ihren jeweiligen Gegenständen zu widmen, gelingt es am besten, jene

schematischen Aufteilungen zu überwinden, die soviel Vorurteile erzeugen und uns

verhindern, in eines Dichters Worten zu lesen, was eigentlich dasteht. Niemand, der

Werke des späteren Lessing oder des jüngeren Goethe in allen Einzelheiten

interpretiert hat, wird mehr so rasch die Begriffe ‘Sturm und Drang’ und ‘Aufklärung’

anwenden. Dennoch bleibt die Geschichtswissenschaft auf solche Begriffe

angewiesen, wenn sie sich äußern und wenn sie sich ihren gewaltigen Stoff aneignen

will. Sie dürfen indes nicht einfach übernommen, sie müssen von Zeit zu Zeit gereinigt

und erneuert werden. Soll eine solche Erneuerung literaturwissenschaftlich gültig sein,

so darf sie nicht aufgrund von geschichtsphilosophischen Spekulationen oder anderen

fragwürdigen Künsten erfolgen, sondern allein auf Grund einer neuen gründlichen

Überprüfung der Texte. Diese leistet die Interpretation. (25f.)

Es wäre gewinnbringend, wenn solche Überprüfung demnächst wieder zu den

Hauptgeschäften der Literaturwissenschaft zählen würde.

HANS ULRICH GUMBRECHT

Verkrampft, zerstreut—präsent:

Für einen anderen Ernst beim Lesen von Literatur

Wovon ich mich am weitesten entfernt fühle im Text meines Freunds Carsten

Dutt, ist ein bestimmter Ton des Ernstes. Nicht dass es ihm so ernst ist mit der

Literatur, irritiert mich (im Gegenteil!) —und kaum eines der Ziele oder Kriterien,

an denen ihm liegt. Wie er bin ich ja sehr für “Individualisierungsgenauigkeit” und

gegen “Beschreibungsarmut” (oder genauer: gegen das, was er mit dem einen, und

für das, was er mit dem anderen Begriff meint), aber seit langem schon verwende ich

solche Wörter nicht mehr. Denn sie fühlen sich an wie Produkte aus dem

Schraubstock einer ebenso ehrgeizigen wie unnachgiebigen “Wissenschaftlich-

keit,” die den Flügen des Geistes und der Heiterkeit der Sinne vor gut hundert

Jahren auferlegt wurden—kleine Bleikugeln, viel gewichtiger als man ohnehin

SED CONTRA 243

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denkt. Tatsächlich, und weil wir beide hier vor allem für Leser in den Vereinigten

Staaten schreiben: ich bin heilfroh, dass ich in den vergangenen vierundzwanzig

Jahren, seit ich in Stanford ankam, nicht mehr verpflichtet gewesen bin, meinen

beruflichen Alltag und seine Ergebnisse durch das Anlegen einer Messlatte von

“Wissenschaftlichkeit” rechtfertigen und mit der Arbeit von Nuklear-Physikern,

Zell-Biologen oder Wirtschafts-Juristen (zum Beispiel) vergleichen zu müssen. I

enjoy being a humanist—obwohl mir dieses Wort nun wieder zu “humanitär” klingt.

Dabei war der Ernstder Literaturwissenschaft viel, fast alles für mich, als ich 1967 in

München das Studium anfing. Ich komme für einen Moment zu diesem Beginn

zurück, um zu beschreiben, was sich seither verändert hat.

Es war im ersten oder zweiten Semester, als vor einer Germanistik-Vorlesung

(Walter Müller-Seidel—und solche Vorlesungen hatten damals zweimal pro

Woche Hunderte von Hörern), als ein Kommilitone mit schwerem Schweizer

Akzent, den ich aus dem SDS-“Kapitel” kannte, an einen bevorstehenden

Gastvortrag von Peter Szondi erinnerte, weil dies “politisch wichtig” sei. Natürlich

folgte ich Studienanfänger und SDS-Fußsoldat der Anweisung und war

beeindruckt von der in Peter Szondis Anzug, Krawatte und Diktion sich

materialisierenden Eleganz. Er sprach über philologische und stilistische Details in

einem Text von Friedrich Schlegel, viel zu voraussetzungsreich und subtil für

meinen Erstsemester-Verstand, aber ich glaubte, dass alles, was Szondi sagte,

wichtig war.Ganzanders als in derGoethe-VorlesungvonFriedrich Sengle, die mit

dem oberlehrerhaften Satz angefangen hatte: “Bei Goethe ist kein Satz unwichtig,”

war uns der ernste Szondi politisch wichtig. Seine Politisches keinesfalls

erwähnenden Textkommentare, unterstellten wir, und unsere revolutionären Pläne

zur Befreiung des deutschen Proletariats wie der “Dritten Welt” (so sagte man

damals noch mit gutem Gewissen) sollten sich im endlichen Ziel eines zu

verwirklichenden Ideals treffen. Und deswegen, wegen des Ideals (an das zu

glauben, ich nur wenige Monate später aufhörte), erinnere ich mich bis heute an

Szondis Vortrag als einen Moment von schönem Ernst. Ähnlich geht es mir—in

der Emphase deutlich gedämpfter und einer entsprechend noch vageren Vision des

Ideals—mit dem Ernst der Diskussionen zwischen solid-sozialdemokratischen

Verteidigern der Moderne und bohemischen Illuminaten der Postmoderne seit

dem Ende der siebziger Jahre, und selbst mit der darauf folgenden deutsch-

heroischen Abwehrschlacht gegen die angeblich “irrationale” Dekonstruktion,

deren Ernst allerdings schon die feuchten Luft eines allzu akademischen

Grabenkriegs durchzog.

Heute stoße ich in Deutschland nicht nur allenthalben (ebenso wie Carsten

Dutt) auf Kolleginnen, die daran “interessiert sind, was sich aus Benn für den iconic

turn herausholen lässt”—so etwas ist ja nicht mal der Schlimmstfall, denn mit

244 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2013

Page 11: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

einigem guten Willen lässt sich da Sehnsucht nach intellektueller Lebhaftigkeit

ausmachen. Unvergesslich wird mir hingegen das Arbeitsessen mit einem Dekan

bleiben, dem es um Themen für die Gründung eines Sonderforschungsbereichs

ging—zum Zweck der Allokation von aus dem Exzellenzstatus seiner Universität

fließenden Finanzmitteln. Warum sollte man “forschen,” wenn es keine Fragen

gibt? Die Antwort heißt, dass zum wichtigsten Fluchtpunkt des geisteswissen-

schaftlichen Ernstes in Deutschland mittlerweile die Allokation der reichlich

fließenden, aus Steuern geschöpften Gelder geworden ist—und (häufiger erwähnt)

die “Einwerbung von Drittmitteln.” Vielleicht erklärt diese Verlegung des

wissenschaftlichen Wettspiels in die Arena wirtschaftlicher Konkurrenz, warum es

heute üblich geworden ist, beim ersten Anzeichen von Meinungsverschiedenheit

über die Position des Kontrahenten das tödliche Anathem des “Unwissen-

schaftlichen” zu verhängen. Wie eine permanente Muskelverhärtung wirkt das auf

mich, wie eine Verkrampfung ohne Massage oder Entmüdungsbecken. Und

jedenfalls führt zu solcher Verkrampfung und Verhärtung wohl wieder mal ein

“deutscher Sonderweg” (der Motivation), denn es gibt Grund zur Vermutung,

dass—trotz des basso continuo der üblich einschlägigen Klagen—nirgends und noch

nie soviel Geld in die Geisteswissenschaften gepumpt worden ist wie heute von der

deutschen Gesellschaft. Zugleich wachsen das Gerede und die Zahl von Work-

shops über “Strategien des Karrieremanagements” ins absurd Uferlose. Natürlich

behaupte ich nicht, dass Carsten Dutts wissenschaftlicher Ernst solche—vor allem

finanzielle—Fluchtpunkte anvisiert (er arbeitet ja auch mittlerweile an der Univer-

sity of Notre Dame). Aber sein Ernst, der Ernst der “Individualisierungs-

genauigkeit” und der “semantischen Komplexität,” kommt mir eigenartig

intransitiv vor. “Werkzentrierte Interpretation,” dazu ließe ich mich spät im Leben

ganz gerne verführen—aber wem soll damit gedient sein (außer den Vertretern

einer wissenschaftlichen “Strenge,” die ich nicht mit “Ernst” verwechselt wissen

möchte)?

In den Vereinigten Staaten—und auf Deutschland und die Vereinigten Staaten

möchte ich mich konzentrieren—liegt der Fluchtpunkt der Humanities and Arts in

einer ganz anderen, nicht unbedingt besseren Zone des Horizonts akademischer

Disziplinen. Unseren institutionell-intellektuellen Vorvätern, den bis tief in die

zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf den britischen Inseln und in

Nordamerika dominierenden New Critics, ging es im Sinn ihrer von Matthew

Arnold begründeten Tradition um “höhere” ethische Wahrheiten für ihre

Studenten und Leser, die in einen engmaschigen Code für den Alltags-Benimm

umzuschreiben, ihnen nur selten in den Sinn kam. Rückblickend kann man dem

Kampf ihrer Erben gegen die als “Nihilismus” identifizierte Dekonstruktion eine

gewisse, götterdämmernde Größe zusprechen. “Götterdämmernd,” weil—für eine

kurze Spanne der frühen achtziger Jahre wenigstens—die Dekonstruktion Tsu-

SED CONTRA 245

Page 12: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

nami-artige Kräfte zu entfalten schien. Diese Kräfte sind dann sehr schnell und

unversehens—in einer eigentümlichen Transsubstantiation der Werte, deren

Herkunft und Vektor ich nie recht verstanden habe—zur engmaschigen und

engstirnigen Polizeimentalität der political correctness geworden, zu einer neuen und

oft in ihrer Konsequenz brutalen Welle aus der nationalen Genealogie moralischer

“Vigilanz.” Dies, befürchte ich nicht allein, ist der bei uns dominante Fluchtpunkt

im akademisch lizensierten Umgang mit Literatur, zu dem natürlich eine

spezifische Symptomatologie von Verkrampfungen gehört. Längst sind unter

ihrem institutionellen Einfluss unsere Freshmen schon vor ihrem ersten Humani-

ties-Seminar im College darauf abgerichtet, jeden literarischen Text als Allegorie

politisch-korrekter Werte zu lesen—und viele von ihnen genügen der

Verschreibung durch eine sympathisch jugendfrische Mischung aus Zynismus und

Nonchalance. Mit fast allen jener Werte kann ich mich natürlich bis zum Überdruss

identifizieren, das Problem liegt in ihrer Banalisierung und in der schneidenden

Schärfe des dogmatischen Tons.

Ich weiß, “man sollte differenzieren,” denn natürlich gibt es auch heute nicht

wenige junge Kollegen und sogar Kollegen meines hohen Alters, deren Text-

Konzentration, philosophische Klarheit, Bildung, Heiterkeit und Ernst ich

bewundere (das vergaß ich zu erwähnen, als ich meinem Kollegen Karl Ellerbrock

am 25. Mai diesen Jahres mit einem grauen Pessimismus auf die Nerven ging). Aber

ich nehme solche Zeichen von Kompetenz und Talent mittlerweile als Ausnahmen

wahr in einem Beruf, der an seinen historischen Anfängen auf Inspiration und

Intensität ausgerichtet war—und solche Ideale vor lauter versorgungsorientierter

Finanzverwaltung und moralischer Disziplinierung aus dem Blick verloren hat.

Dass dieser Beruf überhaupt je entstanden ist und dass weltweit ein paar

Zehntausende von uns gar nicht so schlecht davon leben, über Literatur zu reden

und zu schreiben, ist ja (wie Niklas Luhmann gesagt hätte) ein durchaus

“unwahrscheinliches” Phänomen oder (wie sich mit un-Luhmannischem Pathos

formulieren ließe) eine “erstaunliche Kulturleistung.” Deshalb kommt mir

manchmal die Vorstellung in den Sinn—wenn ich wieder einmal bemerkt habe, wie

durchaus kultivierte Zeitgenossen heute keine Ahnung von der Existenz dieses

Berufs mehr haben oder wie die Zahl der an unseren Fächern interessierten

Studenten weiter gesunken ist—dass das historische Ende der “Literatur-

wissenschaft” und des akademischen Literary Criticism nahe sein könnte, und dass

die Öffentlichkeit ihr Verschwinden vielleicht gar nicht wahrnähme (so wie ja auch

der Tod des letzten Exemplars einer Gattung im Normalfall keine Schlagzeilen

246 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2013

Page 13: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

macht). Wie würde der “kritische” Typ des deutschen Steuerzahlers wohl reagieren,

wenn ihm klar wäre, dass viele Millionen Euro in geisteswissenschaftliche

Sonderforschungsbereiche fließen, deren ausschließliche Funktionen und Ziele

Mittel-Allokation und Mitarbeiter-Versorgung sind? Zur Bestätigung meines

privaten “Millenarismus” gibt es allerdings keine überzeugenden Anzeichen, was

den selbstkritischen Gedanken unabweisbar macht, dass meine Sicht der Dinge

Produkt einer milden Altersdepression sein könnte. Doch solch dunkle Visionen

deprimieren mich ja nicht einmal. Im Gegenteil: wenn es meinen Beruf nicht mehr

gäbe, dann müsste er mir auch nicht mehr peinlich sein.

Glücklicherweise eher hängt die Zukunft dieses Berufs weder von meinen

Prognosen noch von meinen Gefühlen der Peinlichkeit ab. Bis zur Emeritierung

wenigstens sollte ich mich also fragen, was denn für meine Studenten, vor allem für

die Undergraduates (die meisten Graduate Students haben ja eine individuelle und oft

allzu konturierte Motivation), was für meine Undergraduates dabei herauskommt

und was ich “vermitteln” möchte, wenn ich mit ihnen Balzac oder García Lorca,

Kleist oder Chrétien de Troyes, Clarice Lispector oder Dante lese. Ernsthaft

überzeugende Antworten zu finden, fällt mir viel schwerer als den meisten

Kollegen—schwerer auch, als die tuition-zahlenden Eltern unserer Studenten wohl

annehmen. Da ich diesen Text in einem Trimester schreibe, das ich mit neunzehn

besonders intelligenten, hochmotivierten und mir ans Herz gewachsenen Stanford

Undergraduates (keine[r] von ihnen hat einen geisteswissenschaftlichen Schwer-

punkt als major gewählt) an unserem Overseas Campus in Santiago de Chile

verbringe, bin ich auf die Frage gekommen, ob es einen spezifischen Wunsch für sie

gibt, den ich—jenseits aller pädagogischen Standard-Rhetorik—mit meinen

beiden Seminaren hier verbinden kann. Die eine Antwort, an der mir liegt, lässt sich

am besten im Blick auf die Lyrik beschreiben—und Lyrik unterrichte ich gar nicht

in diesem Santiago Trimester. Aber andererseits passt sie gut ins Argument, weil

sich ja auch Carsten Dutt in seinem Text auf ein Gedicht (von Gottfried Benn)

konzentriert.

Was ich zu sagenhabe, soll einsetzenmit RichardRorty,dernicht nur ein großer

Philosoph und ein Meister der Worte war, sondern auch der erfolgreichste und am

meisten charismatische Lehrer junger Studenten, mit dem als Kollegen

zusammenzuarbeiten ich je die Ehre und die Freude hatte. Als Richard Rorty in

einem Gespräch wenige Wochen vor seinem Tod Texte benennen sollte, die er

gernegelesenhätte, abernun nicht mehr lesenwürde (gemeint waren wohl vor allem

philosophische, theologische und religiöse Texte), sprach er von seinem Bedauern

SED CONTRA 247

Page 14: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

darüber, nicht viel mehr Gedichte auswendig gelernt zu haben. Und auf die etwas

irritierte Nachfrage, warum ihm denn so sehr an auswendig gelernten Gedichten

läge, reagierte er mit dem für ihn typischen Gesprächs-Minimalismus: “weil sie so

gut klingen.” Ich bin—wegen dieses Satzes—zuversichtlich, dass Richard Rorty zu

überzeugen gewesen wäre, mit mir der (von Carsten Dutt zitierten) Meinung

Gerhard Kaisers zu widersprechen, “dass es nichts am Werk gibt, das nicht spricht.”

Vieles lässt uns annehmen, dass Kaiser sagen wollte, alle Elemente eines “Werks”

(also auch eines Gedichts) trügen zur Konstitution seiner Bedeutung bei—und

seien deshalb durch Kommentar und Interpretation in nichts als Bedeutung zu

überführen. Dass man versuchen kann, den prosodischen Elementen eines

Gedichts Bedeutung zuzurechnen, steht außer Frage—aber auch, dass man dabei

nie über einen hohen Grad an Beliebigkeit hinauskommt. Dies ist ein Grund,

warum ich mich daran gewöhnt habe, Versform, Reim und die verschiedenen

Dimensionen des Rhythmus in einem Gedicht als das Andere seiner Bedeutung

hervorzuheben, statt sie der Bedeutung unterzuordnen (oder funktional mit der

Bedeutung zu verbinden). Hans-Georg Gadamer hat sich auf genau diese

Heteronomie—übrigens in einem mit Carsten Dutt geführten Gespräch—als

“Volumen” des Gedichts bezogen (62f.).

Wer ein Gedicht rezitiert (und ich denke, wir sollten zur Praxis kompetenter

Rezitation in unseren Seminaren zurückkehren), der berührt mit den durch seine

Prosodie hervorgebrachten Formen der Stimme den eigenen Körper und vor allem

die Körper der Zuhörer. Zugleich verkörpert er die vom Autor erfundene Form und

nimmt so an der ihn umgebenden Welt in einer ontologischen—und

existentiellen—Modalität teil, die über Bedeutung nicht zu haben ist (man kann sie

“Stimmung” nennen). Was immer wir als “Rhythmus” wahrnehmen, ist aber auch

eine Lösung des Problems, wie ein Husserl’sches “Zeitobjekt im speziellen Sinn”

(23), zum Beispiel Sprache, eine Form haben kann—und als zur Form gewordene

Sprache bilden Gedichte Enklaven in der endlos verlaufenden Zeit des Alltags,

Enklaven, welche die Zeit anhalten für solche Hörer oder Leser, die sich durch die

weiterlaufende Zeit nicht von der Konzentration auf die Formen der Gedichte

ablenken lassen. Es ist dieser Status von “Enklaven in der laufenden Zeit,” vermute

ich, aus dem die pragmatische Verbindung von Prosodie, gebundener Sprache und

Magie hervorging. Weil Gedichte suggerieren, sie könnten die laufende Zeit

anhalten, traut man ihnen zu, das gegenwärtig zu machen, was vergangen oder

entfernt ist.

Seit einiger Zeit habe ich mich daran gewöhnt, in Bezug auf all diese (und viele

andere) Effekte von Texten (und anderen Gegenständen) das Wort “Präsenz” zu

verwenden. Präsenzeffekte stellen sich selbstredend nur für den ein, der seine

Aufmerksamkeit einem einzelnen Gegenstand widmet (der “werkzentiert” ist,

248 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2013

Page 15: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

würde Carsten Dutt sagen). Mit “Interpretation” als Zuschreibung von Bedeutung

allerdings ist der Fokus auf Prosodie nicht synonym—ohne andererseits zu so etwas

wie einem “Gegenprinzip” von Bedeutung zu werden. Vielmehr oszillieren

“Präsenzeffekte” und “Bedeutungseffekte”—grundsätzlich und besonders deutlich

beim Rezitieren und beim Lesen von Gedichten. Aber was hat dies alles mit meinen

Undergraduates in Santiago zu tun?

Ich sehe nun schon seit mehr als zwei Monaten, wie kompetent sie—als Kinder

von Silicon Valley—mit allen Kanälen und Möglichkeiten elektronischer Kommu-

nikation umgehen, wie viel Zeit sie Tag für Tag vor Computerbildschirmen

verbringen, und wie ihre Existenz immer mehr in einem endlosen, nach vielen

Richtungen strebenden Fluss von Kommunikation aufgeht. So laufen sie Gefahr,

“Opfer der Zerstreuung” zu werden—wie man wohl früher gesagt hätte. Vielleicht

sind sie ja auch, ohne es zu wissen, für ein Trimester ausgerechnet nach Chile

gekommen (statt nach Paris, Berlin oder Bejing), um vor solcher Zerstreuung als

Existenzform zu fliehen—und setzen aus demselben Grund soviel dafür ein, ihre

Wochenenden in Feuerland, Patagonien, der Osterinsel oder der Atacama-Wüste

zu verbringen. Zwar tragen unsere Studenten Sorge, dass die elektronische

Kommunikation ihnen auf all diesen Wegen folgt, aber ich stelle mir vor, dass sie

auch Sehnsucht haben nach Momenten des Einhaltens, des Überwältigtwerdens,

der Plötzlichkeit und der Präsenz (akademisch gesagt: nach Modalitäten

“ästhetischer Erfahrung”). Solche Momente, wissen wir, kann ein Gedicht seinen

Lesern geben, wenn sie ihm Ruhe und Konzentration widmen—aber ein Roman,

ein Konzert oder ein Film tut es auch. Sich diese Zeit und diese Konzentration zu

nehmen, fällt meinen Studenten über die Woche nicht leicht—und es ist wohl

tatsächlich schwieriger geworden als früher in der Welt, die wir für sie erfunden

haben. Einige von ihnen wollten unbedingt den großartigen brasilianisch-

französischen Film Orfeo Negro sehen, aber seit ich ihn besorgt habe, zirkuliert die

DVD, ohne dass sie je die neunzig Minuten finden, welche man braucht, um mit

diesem Film den Karneval der fünfziger Jahre in Rio, die Musik von Orpheus und

die Schönheit von Eurydike heraufzubeschwören.

“Kulturkritik” war nie meine Sache, aber ich vermute mittlerweile, dass es

weniger eine “innerwissenschaftliche Logik” war als eine wachsende Sehnsucht

nach starken Momenten der Bildung in einer immer elektronischeren und

zerstreuteren Welt, die mich auf den Ernst der “Präsenz” gebracht hat.

SED CONTRA 249

Page 16: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

CARSTEN DUTT

Im Ernst

Eine Duplik

Hans Ulrich Gumbrechts freundliche Erwiderung wirft wichtige Fragen auf.

Zwei davon möchte ich in der gebotenen Kürze diskutieren.

Zunächst die Frage nach dem Nutzen werkzentrierter Interpretation. H.U.G.

stellt diese Frage ausdrücklich, ja er erklärt ihre Beantwortung geradezu zum

Prüfstein der Richtigkeit meiner Vorschläge, wobei er freilich nicht objektivierend

von Richtigkeit, sondern lustvoll subjektiv und mit einnehmender Eleganz von

seiner Bereitschaft spricht, sich “spät im Leben” zu werkzentriertem Interpretieren

“verführen” zu lassen—“aber wem soll damit gedient sein (außer den Vertretern

einer wissenschaftlichen ‘Strenge,’ die ich nicht mit ‘Ernst’ verwechselt wissen

möchte)?”

Nun habe ich mich in meinem Statement ja einigermaßen ausführlich über den

spezifischen Erkenntnisertrag werkzentrierten Interpretierens geäußert, dabei aber

offenbar nur den wissenschaftsinternen Nutzen des Verfahrens (das allerdings mehr

als ein Verfahren, nämlich eine Haltung, ein epistemisches Ethos im Umgang mit

literarischen Werken ist) deutlich machen können. H.U.G. scheint diesen Nutzen

zu konzedieren. Erfreulicherweise stimmen wir ja darin überein, dass kaum etwas

langweiliger, kaum etwas weniger erkenntnisproduktiv ist als das subsumtive

Einerlei dogmatisierter Kontextualisierungs- und Dechiffrierungsinteressen—

ganz gleich ob dieses Einerlei nun von “der Polizeimentalität der political correct-

ness,” von verholzten Marxisten, essentialistischen Dekonstruktivisten oder

Medientheoretikern, die sich in den Redundanzschleifen ihrer weiträumigen

Thesen verloren haben, generiert wird. Wer über ein literarisches Werk nur das zu

sagen weiß, was er auch über zehn oder zwanzig andere Werke zu sagen hat, sagt

zwar nicht notwendigerweise Falsches, wohl aber zu wenig Differenziertes. Die

Individualisierungsgenauigkeit werkzentrierter Interpretation, die ihrerseits

selbstverständlich nicht ohne Kontextualisierungsoperationen, Methoden der

Vergleichung und einschlägige (in unterschiedlichen Graden theoriebeladene)

Beobachtungstermini auskommt, ist das Korrektiv solchen Differenzierungs-

mangels—und überdies das Nadelöhr, durch welches die Begriffsbildungen und

Befunde der Literaturgeschichte hindurchgehen müssen, wenn sie wirklich Befunde

und Begriffsbildungen der Literaturgeschichte sein sollen.

250 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2013

Page 17: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

H.U.G. stimmt zu, nennt aber den Ernst, in dem ich das vorgetragen habe,

“eigentümlich intransitiv.” Ich höre daraus den Vorwurf: “That’s literary criticism

for literary criticism’s sake!”Eigentlich ist mir dieser Vorwurf angenehm, erinnert er

doch an den intrinsischen Wert, den literaturwissenschaftliche Erkenntnis ebenso

hat wie geschichtswissenschaftliche, philosophische oder astrophysikalische. Hätte

sie diesen intrinsischen Wert nicht, welchen Grund sollten Universitäten und

andere Institutionen haben, Personalkosten für Forschung im Bereich der

Literaturwissenschaft zu finanzieren? Andererseits sollten Literaturwissen-

schaftlerinnen in der Lage sein, auch über den wissenschaftsexternen Nutzen ihrer

Arbeit Auskunft zu geben. In der Tat forschen und schreiben sie ja nicht nur

könnerschaftlich für Kollegen, sondern auch kennerschaftlich für Leser und

Liebhaber der Literatur. Deren Freude am Verstehen literarischer Werke zu

bereichern, sie durch augenöffnende Interpretationen zu steigern, ist ein

wesentliches Ziel und im Erfolgsfall der schönste Legitimationstitel werk-

zentrierter Arbeit. Wer wie H.U.G. das Glück hatte, von Peter Szondi durch einen

Text Friedrich Schlegels geführt zu werden, oder—um an unsere ortsgemeinsame,

wenn auch um 20 Jahre zeitversetzte Konstanzer Vergangenheit zu erinnern—das

Glück, Gedichte Heinrich Heines unter der Anleitung von Wolfgang Preisendanz

zu lesen, weiß, was ich meine. Erhöhter Genuss der Werke ist der Lohn für die

Mühen ihrer Erschließung, die insoweit freilich typischerweise andere Mühen sind

als die, sich bei Gelegenheit eines Heine-Gedichts in länglichen Lukács-,

Luhmann- oder Lacan-Referaten zu ergehen.

Womit ich bei der zweiten Frage wäre, die zu bedenken H.U.G.s Statement mir

aufgibt—in diesem Fall ohne sie ausdrücklich zu stellen. Es ist die Frage nach dem

Verhältnis von literarischer Interpretation und Präsenz. H.U.G. konstruiert es

dichotomisch, als ein quasi beziehungsloses, von Feedback-Strukturen freies

Oszillieren zwischen “Bedeutungseffekten” einerseits und “Präsenzeffekten”

andererseits, wobei er eine seltsam verengte Auffassung von Interpretation “als

Zuschreibung von Bedeutung” zugrunde legt. Als ob nicht gerade die

Wahrnehmung und Würdigung von Formalem (Sinnlichem), das sich nicht in

Bedeutung “überführen” lässt, wohl aber in der Erfahrungsganzheit eines

literarischen Werks auf Bedeutung bezogen ist, ein zentraler Bestandteil des

literaturwissenschaftlichen Interpretationsgeschäfts wäre! Gumbrecht missver-

steht denn auch das von mir als Parole werkzentrierter Interpretation zitierte

Diktum Gerhard Kaisers, dass es an einem literarischen Werk nichts gebe, das nicht

“spricht.” Kaiser meint damit nicht, dass alles an einem Werk “der Bedeutung

unterzuordnen” wäre. Er meint, dass literarische Werke noch auf andere als nur

semantische Weise sprechen: Sie sprechen nicht nur durch paraphrasierbare (und

insoweit durch approximative Äquivalente substituierbare) Wortbedeutungen,

Satzbedeutungen, suprasyntaktische Bedeutungen—die Kategorie der Bedeutung

SED CONTRA 251

Page 18: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

ist freilich notorisch vage und bedürfte einer differenzierteren Diskussion—,

literarische Werke sprechen auch durch nicht substituierbare Formeigenschaften:

durch ein helles oder dunkles Klangbild, einen hüpfenden oder schleppenden

Rhythmus, arabeskenhaft spiralige Hypotaxen oder geradlinig voranschreitende

Parataxen. Nicht von ungefähr hat Kaiser im unmittelbaren Kontext des von mir

angeführten Satzes formuliert: “Etwas anders zu sagen, bedeutet, etwas anderes zu

sagen” (32). Damit wird der Begriff des Sagens über den kommunen Begriff

diskursiver Mitteilung hinaus literaturadäquat erweitert—und gerade nicht auf

semantische Funktionalität hin verkürzt. Treffend nennt H.U.G. seinerseits die

verschiedenen Dimensionen des Rhythmus in einem Gedicht “das Andere seiner

Bedeutung.” Es selbst ist dieses Andere jedoch nur in seiner Bezogenheit auf die

werkhaft individualisierte Bedeutung, deren Anderes es ist—andernfalls wäre es ja

nicht ihr Anderes, sondern einfach irgendetwas anderes, x-beliebig Rhythmisches.

Wenn etwa bei Heine traurigste Liebes-, Lebens- und Sterbensklagen in

aufdringlich schwungvollem Rhythmus einherkommen, so hören wir diesen

Rhythmus nur, wenn wir verstehen, womit er kontrastiert. Anders (und mit den

Begriffen H.U.G.s) gesagt: Literarische Präsenzeffekte sind, was sie sind, und

wirken, wie sie wirken, nur im Horizont werkindividueller Bedeutungseffekte

—und umgekehrt. Dem Erlebnis und Verständnis dieses wechselseitigen Fundie-

rungsverhältnisses von Bedeutung und Präsenz, Präsenz und Bedeutung dient die

Kunst der Interpretation.

Mit Notre Dames Undergraduates, die sich fantastischerweise auch als majors in

Economics, Classics oder Science für deutsche Literatur begeistern lassen, pflege ich

diese Kunst in Seminaren, in denen wir uns vor allem Zeit lassen. Auf ein Gedicht

Hölderlins, Eichendoffs, Benns oder Celans verwenden wir wenigstens zwei,

idealerweise aber drei Sitzungen, in denen wir zunächst philologische

Erläuterungsarbeit leisten und dann zeilenweise vorrücken—zeigend, beschrei-

bend, fragend, behauptend, zustimmend, einander widersprechend, ergänzend,

modifizierend, nuancierend: der zwischen uns erreichbaren Übereinstimmung über

das Ganze, seine Details und Kontexte entgegen. Nachdem wir ein Gedicht für uns

interpretiert haben, stellen wir üblicherweise zwei literaturwissenschaftliche

Interpretationen vergleichend auf den Prüfstand der Konfrontation mit dem

genauen Text selbst. Dabei zeigt sich, dass es eben nicht nur andere, sondern gute

und weniger gute, abstoßend oberflächliche und hinreißend genaue Inter-

pretationen gibt. Die Momente, in denen meine Studenten und ich solche

Unterschiede einsehen, sind—mit meiner Lieblingsformulierung aus H.U.G.s

Reflexionen—“Momente schönen Ernstes.” Es wird sie immer dann geben, wenn

man sich seinerseits mit Ernst, Umsicht und Genauigkeit auf die Interpretation

literarischer Werke einlässt.

252 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2013

Page 19: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

HANS ULRICH GUMBRECHT

Auseinander-Setzung, trotz Allem

Coda

So geht es ja eigentlich immer bei öffentlichen Diskussionen in der

akademischen Welt, bei Diskussionen, die man unter den vorgestellten Augen

lesenderKollegen führt—und die einen deshalbverpflichten, auf intellektuell starke

Reaktionen des geneigten Kontrahenten mit viel gutem Willen einzugehen, statt

störrisch zu bleiben. Kaum hat man sein blass-buntes Fähnlein gehisst und die

eigene Position markiert, da steht auch schon eine sehr verständnisvolle Replik auf

dem Bildschirm des Laptops, die den ohnehin milden Wind der Polemik aus den

Segeln streicht. Carsten Dutts “Duplik” nimmt “Im Ernst” meinen Begriff vom

“schönen Ernst” bei der gemeinsamen Lektüre literarischer Texte so ernst, dass wir

uns fast schon in die Arme fallen. Doch wem wäre mit so einem rührenden Bild

gedient? Ist der gerade unter Deutschen heute allenthalben mit soviel Zähigkeit

gesuchte Konsens nicht ein Kältetod dessen, was universitäre Debatten her-

vorbringen sollen, nämlich (so sehe ich es wenigstens) ohne Ende sich steigernde

Komplexität der Begriffe und Argumente? Ich setze mich also—zum Zweck der

Komplexitätssteigerung und künstlich fast—am Ende noch einmal ab von den

beiden Konvergenzen, die Dutt identifiziert und zurecht hervorgehoben hat, von

der Konvergenz hinsichtlich des “wissenschaftsexternen” Nutzens “werkzentrierter

Interpretation” und von der Konvergenz im Blick auf das Verhältnis zwischen

“Bedeutungseffekten” und “Präsenzeffekten,” auf die wir—vor allem—in Gedich-

ten stoßen.

“Kennerschaftlich” sollen wir “die Freude von Lesern und Liebhabern der

Literatur” weiter befördern, genau das—und wir könnten weiter fragen, zu welcher

historisch besonderen Modalität von Bildung denn intensivere Freude am Lesen im

frühen einundzwanzigsten Jahrhundert beiträgt. Stattdessen will ausgerechnet ich

zunächst—und hoffentlich zu Carsten Dutts Überraschung—für einen Moment

über “wissenschaftsinterne” Wirkungen nachdenken. Der Rektor (“President”)

meiner Universität, ein Computer-Wissenschaftler und weithin sichtbarer Protag-

onist von Silicon Valley, hat einmal auf die Frage, wie er denn auf weltweit sinkende

Belegzahlen geisteswissenschaftlicher Lehrveranstaltungen reagieren wolle, mit

der Feststellung geantwortet, dass Universitäten ohne Geisteswissenschaften keine

“intellektuellen Orte” sein können. Bewährt sich diese bemerkenswert optimisti-

SED CONTRA 253

Page 20: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

scheÜberzeugung im Licht vonCarstenDuttsAuffassung der “werkzentrierten In-

terpretation?” Das ist der Fall, meine ich, wenn wir erstens den Aspekt der

ausschließlichen Konzentration (“ausschließlich” im Sinn von Husserls “Epoché”)

auf einen Text als—ganz wörtlich genommen—wohl umschriebenen Gegenstand

hervorheben und in unserer Praxis kultivieren. Intellektuelles Leben setzt die

Fähigkeit einer an Ekstase und Besessenheit grenzenden Konzentration voraus.

Zweitens—und hier vermute ich ein Potential zur Auseinander-Setzung—soll

unsere intellektuelle Lebensform (wie einleitend postuliert) Differenzen in

Wahrnehmung wie Erfahrung hervorbringen, registrieren und bewahren. Je mehr

ich die Interpretationen (das Wort geht mir nur schwer aus den Fingern), je mehr

ich die Text-Kommentare und Text-Analysen unserer großen literaturwissen-

schaftlichen Ahnen, wie Leo Spitzer und Erich Auerbach, Peter Szondi und

Wolfgang Preisendanz, bewundere, desto mehr wächst mein Verlangen, anders als

sie auf dieselben Texte zu reagieren. Ein klassischer Fall der “anxiety of influence”

wohl, auf deren Energie Harold Bloom seit langem setzt. Ganz unabhängig aber

vom psychischen Ursprung des Verlangens nach Differenz bringt es—bringt die

Betonung von Dissens—einen Überschuss an Möglichkeiten des Wahrnehmens,

Erfahrens und Denkens hervor, der unsere Existenz in der Welt flexibel hält. Und

auf diesen wesentlichen Beruf des intellektuellen Lebens können wir

Geisteswissenschaftler uns gerade deswegen einlassen, weil—anders als bei

Naturwissenschaftlern, Juristen oder Medizinern—die außerwissenschaftlichen

Erwartungen, unter denen wir stehen, bestenfalls vage sind.

Und dann—zweitens—noch zum Verhältnis zwischen “Bedeutungseffekten”

und “Sinneffekten” (in meinen eigenen Begriffen) oder, anders und gleich

aggressiver formuliert: zum Widerstand der Prosodie gegen die Hermeneutik.

Carsten Dutt besteht darauf, dass “die verschiedenen Dimensionen des Rhythmus

in einem Gedicht” als “das Andere seiner Bedeutung” allein wirken “im Horizont

werkindividueller Bedeutungseffekte” (“—und umgekehrt,” fügt er hinzu). Diese

Position illustriert Dutt mit einem Bezug auf Heinrich Heine: “Wenn etwa bei

Heine traurigste Liebes-, Lebens- und Sterbensklagen in aufdringlich

schwungvollen Rhythmen einherkommen, so hören wir diesen Rhythmus nur,

wenn wir verstehen, womit er kontrastiert.” Wir sind uns einig in der Prämisse, dass

innerhalb eines Gedichts Rhythmus (“als Rhythmus”) und Bedeutung (“als

Bedeutung”) nur erfahren werden dank ihres wechselseitigen—ontologischen—

Kontrasts. Aber der im Blick auf Heine geschriebene Satz scheint zu unterstellen,

dass man auch von einem anderen Kontrast reden kann, nämlich einem Kontrast

zwischen dem “Schwung” der Rhythmen und der “Traurigkeit” der Klagen. Mit

dieser Beobachtung werden die Rhythmen tendenziell in Bedeutung überführt und

einem hermeneutischen Absolutheitsanspruch unterworfen, nolens volens viel-

254 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2013

Page 21: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

leicht—aber jedenfalls möchte ich diesen Schritt nicht mitvollziehen. Ich bleibe bei

meinem Eindruck von der—in einem anderen Sinn “absoluten”—Heteronomieder

prosodischen Elemente im Gedicht.

Folgt aus dieser Weigerung, wie Carsten Dutt unterstellt, dass in meiner Sicht

das Prosodische zu “einfach irgendetwas anderem, x-beliebig Rhythmischen”

verkommt? Mit einer griffigen Alternative zu dem, was ich als Eingehen auf den

hermeneutischen Absolutheitsanspruch kritisiere, kann ich nicht aufwarten.

Immerhin aber gibt es einen Assoziationsansatz,der vielleicht andeutet, warum mir

an jener—absoluten—Heteronomie liegt. Wenn ich über Heideggers Intuition

vom “Wahrheitsereignis” als “Selbstentbergung des Seins” nachdenke, dann stelle

ich mir das Sein als dinglich und individuell vor, zum Beispiel als einen Stein, einen

Körper, einen Klang, und zwar so erlebt, dass die Gegenstände nicht durch [m]eine

subjektive und kulturelle Perspektive gebrochen sind. Dies scheint innerhalb der

Kultur einer Alltagswelt und in [m]einer subjektiven Erfahrung nicht möglich zu

sein. Aber könnte Prosodie—in Momenten ekstatischer Offenheit und Konzen-

tration—wenigstens als Versprechen des sich entbergenden Seins wirken? Ein

solches existentielles Potential will ich mir nicht verstellen durch die Überführung

von Prosodie in Bedeutung.

Und unter anderem deshalb liegt mir daran, mich weiter auseinander zu setzen

mit meinem Freund, dem Gadamer-Schüler Carsten Dutt.

Notes

SED CONTRA 255

1 Ich beziehe mich auf das Forschungsprojekt “‘Poetik und Hermeneutik.’ Eine

historische Epistemologie der Geisteswissenschaften” im Exzellenzcluster EXC 16

(“Kulturelle Grundlagen von Integration”) der Universität Konstanz: http://exc16.de/

cms/275.html (abgerufen am 10 Juni 2013).2Grundlegend war Ungers erstmals 1924 erschienene Abhandlung Literaturgeschichteals

Problemgeschichte.3 Exemplarisch hierfür Klaus W. Berghahn, “Wortkunst ohne Geschichte.”—Eine von

polemischen Verzeichnungen freie und theoretisch-methodologisch ertragreiche Ge-

schichte werkzentrierter Literaturwissenschaft im deutschsprachigen Bereich ist noch zu

schreiben.4 Die entscheidenden Argumente zur kategorialen Differenzierung von Text(en) und

Werk(en) sind innerhalb der analytischen Literaturtheorie erarbeitet worden. Für eine erste

übersicht, siehe Gregory Currie, “Work and Text.”5 Vgl. etwa den Schluss der “Vorrede zur zweiten Ausgabe” der Fröhlichen Wissenschaft

(352).

Page 22: Sed Contra: Dialoge zu Grundfragen der Literaturwissenschaft

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256 THE GERMAN QUARTERLY Summer 2013