SEELE 2016: Sigmund Freud - Start - DLA Marbach · PDF fileIm Sommer 1900 schreibt Arthur Schnitzler, wie Freud Mediziner, die erste Erz hlung, die zeigt, dass unser Bewusstsein niemals

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  • Am 4. November 1899 erschien, vordatiert auf das Jahr 1900, eines der wichtigsten Bcher des Jahrhunderts: Die Traumdeutung von Sigmund Freud.

    Auf einen Schlag war damit der Traum lesbar wie ein literarischer Text, mit rhetorischen Finessen und knstlerischen Verfahren, und die Literatur deutbar wie ein Traum: als Ausdruck einer tieferen Wahrheit, verdichtet zu Zeichen und verhllt in Geschichten. Fr Freud waren es die Lust und die Angst vor dem Tod, die uns der Phantasie in die Arme trieben, mit der wir bewltigten, was uns sonst berwltigen wrde.

    117 Jahre nach der Erstverffentlichung der Traumdeutung folgt diese aus dem Archiv geholte und in die Luft gezeichnete Objekt-Spur Freud durch das 20. Jahrhundert.

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  • Im Sommer 1900 schreibt Arthur Schnitzler, wie Freud Mediziner, die erste Erzhlung, die zeigt, dass unser Bewusstsein niemals still steht: Lieutnant Gustl. Sie beginnt mit dem Unterschied zwischen gefhlter und realer Zeit, Ich und ber-Ich: Wie lange wird denn das noch dauern? Ich mu auf die Uhr schauen schickt sich wahrscheinlich nicht in einem so ernsten Konzert. Aber wer siehts denn? Wenns einer sieht, so pat er gerade so wenig auf, wie ich, und vor dem brauch ich mich nicht zu genieren .

    G Henne oder Ei: Ob Freud die Literatur verndert hat oder aber aus der Literatur gelernt hat das hat er selbst fr sich und Arthur Schnitzler so beantwortet: B

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  • Sigmund Freud an Arthur Schnitzler (Abschrift).

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  • Im Sptherbst 1907 verwendet Franz Kafka in seinem Brief an die Freundin Hedwig Weiler dreierlei Aufschreibesysteme, um die Schrift als Stimmungs-, Klang-, Farb- und vor allem auch als Sprechbild in Erscheinung treten zu lassen Schreibmaschine, Fller, Bleistift: Mag jetzt die dritte Schrift anfangen, eine von dreien wird doch viel-leicht das aufgeregte berreizte Kind beruhigen knnen. Nicht wahr, jetzt setzen wir uns unter diese Dreischriftfahne blau braun schwarz und sagen zusammen dieses auf und geben acht, da jedes Wort sich deckt: Das Leben ist ekelhaft Gut, es ist ekelhaft, aber es ist nicht mehr so arg, wenn man es zu zweien sagt, denn das Gefhl, das einen zersprengt, stt an den andern, wird durch ihn gehindert, sich aus-zubreiten.

    G Simuliertes Ferngesprch zweier Apparate: So bezeichnet Friedrich Kittler in seinen Aufschreibesystemen 1800/1900 (1985) die psychoanalytische Ursituation: einer liegt und redet, einer sitzt und hrt zu. B

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  • Als Franz Kafka am 20. September 1912 den ersten Brief an Felice Bauer tippt, nutzt er die Schreibmaschine als Enthemmungsapparat und Ich-berlister und vertippt sich auch gleich beim Wrtchen ich: ... die Fingerspitzen sind immer noch zum Schreiben da. Reicht einmal und meistens die Laune nicht ganz aus, die Fingerspitzen sind immer da. ... es ist der einzige Nachteil des Schreibmaschinenschreibens, dass man sich so verluft.

    G Tippfehler als Ausdruck des Unbewussten: Sigmund Freuds Brieffreund Eugen Bleuler schreibt seit 1905 seine Trume mit einer Schreibmaschine auf, weil sie durch ihre mechanische Widerstndigkeit die Fehlleistungen geradezu hervortreibt, die Freud ein Jahr vorher in seiner Psychopathologie des Alltagslebens. ber Vergessen, Verspre-chen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum beschrieben hat. B

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  • Aus einem Brief von E

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  • Seit dem Frhjahr 1916 ist der von Ehestreitigkeiten, Kriegs-

    ngsten und Schreibblockaden geplagte Hermann Hesse bei dem Luzerner Psychiater Josef Bernhard Lang in Therapie, der ihm rt, seine Trume aufzuzeichnen und (anders als es Freud praktiziert) auch zu malen. Die Aufgabe, die nur uerst dnnen, zerflieenden Reste von Bildern und flchtigen Bilderreihen festzuhalten, zeigt ihre Wirkung: Hesse schreibt wieder und entdeckt seine Liebe zu einer Maltechnik, die selbst dnne und zerflieende Bilder hervor-bringt Aquarellmalen.

    G Ausdrcklich nicht als Feldpost wird Hesse Sigmund Freuds Karte vom 23. August 1918 in die Schweiz nachgeschickt: Einer Ihrer Leser der Ihrem Schaffen seit dem Peter Camenzind mit Genu gefolgt ist, mchte Ihnen gerne zum Dank fr Ihren Aufsatz in der Frankf. Zeitg. Knstler und Psychoanalyse die Hand drcken. Freud. B

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  • Das Es gilt als eine der berhmtesten Wortschpfungen von Freud. Erfunden hat es allerdings sein Baden-Badener Brief- und Gesprchs -partner Georg Walther Groddeck, dem Freud am 17. April 1921 skizziert, wie er sich Es vorstellt:

    Denn das Unbewutsein ist doch nur etwas Phnomenales, ein Kenn-zeichen in Ermanglung einer besseren Bekanntschaft, wie wenn ich sagen wrde: der Herr im Havelock [pelerinenartiger Mantel], dessen Gesicht ich nicht deutlich sehen kann. Was mache ich, wenn er einmal ohne dieses Kleidungsstck auftritt? ... Die richtigere Vorstellung scheint also zu sein, da die von uns beobachteten Gliederungen und Sonderungen nur in relativ oberflchlichen Schichten Geltung haben, nicht in der Tiefe, fr die Ihr Es die richtige Bezeichnung wre.

    G Entsprechend gratuliert Freud Groddeck sechs Jahre spter zum Geburtstag: B

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  • Sigmund Freud an

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  • 1899 stellt Freud der Traumdeutung ein Motto von Vergil voran: Wenn ich die Oberen nicht beugen kann, werde ich die Unterwelt bewegen. Als geflgeltes Wort eingedeutscht: Wenn mich der Himmel nicht hrt, dann ruf ich die Hlle zur Hilfe.

    Auch die Freud-Schlerin Lou Andreas-Salom und ihr Lebensfreund Rainer Maria Rilke loten mit der Metapher der Hlle das individuelle Unbewusste aus. Nicht eine Hlle voll Schwefelgeschwele / harrt meines Todes mit Schrecken und Pein / Eine Hlle wrs meiner fiebernden Seele, / jemals von dir vergessen zu sein, reimt Rilke und Lou schreibt ihm nach der Begegnung mit neurotisch Kranken: Himmel und Hlle sind gar nicht zwei rter.

    G Ungetrstet sei er gestorben, erinnert sich Lou an Rilkes Tod. Im allerletzten Brief, den Rilke vor seinem Tod im Dezember 1926 an sie schreibt, steht die Hlle im Plural allein als beinahe letztes Wort: B

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  • Ich, Es, ber-Ich. In uns reden viele durcheinander. Alfred Dblin baut 1928 die Freudsche Einsicht in seinem Roman Berlin Alexander-platz zur Methode aus und montiert die Stimmen sichtbar ineinander. Zuvor hat er in Gleiswechsel im Hirnkasten erlutert: Ich habe einen Bahnhof in mir; von dem gehen viele Zge aus. Manchmal fhrt blo einer, manchmal mehrere zugleich. Ich schicke mal den, mal den vor. Manchmal, wenn der eine luft, kann der andere sich nicht halten und luft auch.

    G Eine weibliche Seite entdeckt ebenfalls 1928 eine Graphologin in Freuds Handschrift. Der nchterne Freud verweist in einem Brief an den Psychosomatiker Victor von Weizscker die Deutung ins Reich der Gemeinpltze: B

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