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Seidel Juliane - Die lebenden Träume - Assjah 1 - LESEPROBE · Für Tanja, ohne die es weder Kim noch die Traumwelten von »Assjah« geben würde

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Juliane SeidelDie lebenden Träume

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Das Buch:

Als Kim den magischen Traumspiegel fi ndet, geht für den quirligen, fantasievollen Jungen ein Herzenswunsch in Er-füllung. Schlagartig kann er all seine Fantasiefi guren in die Realität holen, um mit ihnen Abenteuer zu erleben. Doch die Freude währt nur kurz. Nachdem er sich die Feen Silberfünk-chen und Goldlöckchen, den Drachen Fineas und den Magier Annatar herbeigewünscht hat, tauchen düstere Schatt enwesen auf und bedrohen seine Traumwelten Assjah und Adaan. Sie verschlingen seine Fantasiewesen und verfolgen ihn bis in die Realität.

Doch nicht nur die Schatt en bereiten Kim Probleme. Finn will unbedingt in seine Heimat zurück und setz t Kim immer stärker unter Druck, während Annatar Schwierigkeiten hat, sich in der realen Welt zurechtz ufi nden. Als Kim endlich einen Weg entdeckt, seine Fantasiegeschöpfe zurück in seine Träume zu schicken, erwarten ihn bereits die schatt enhaften Namaren. Ein Wett lauf gegen die Zeit beginnt, bei dem Kim erkennt, dass Wünsche nicht immer in Erfüllung gehen sollten …

Die Autorin:

Juliane Seidel wurde 1983 in Suhl/Thüringen geboren und lebt seit mehreren Jahren in Wiesbaden. Neben ihrer Arbeit als Dokumenta-tions-Assistentin in Off enbach pro-grammiert sie nebenberufl ich Inter-netseiten, zeichnet leidenschaftlich gern und schreibt seit knapp 10 Jah-ren vorwiegend fantastische Kinder- und Jugendbücher. Bisher sind zwei Kinderbücher fertiggestellt, an ei-nem Jugendbuch arbeitet sie gerade.

www.assjah.de

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Assjah 1

Juliane Seidel

Roman

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Die lebenden TräumeAssjah 1

Juliane Seidel

Copyright © 2013 at Bookshouse Ltd.,Villa Niki, 8722 Pano Akourdaleia, CyprusUmschlaggestaltung: © at Bookshouse Ltd.

Coverfotos: www.shutt erstock.comIllustrationen: Tanja Meurer (www.tanja-meurer.de)

Karin Baum (Proofreading)Satz : at Bookshouse Ltd.

Druck und Bindung: CPI booksGedruckt in Deutschland

ISBN: 978-9963-722-25-9 (Paperback)978-9963-722-26-6 (E-Book .mobi)978-9963-722-27-3 (E-Book .pdf)

978-9963-722-28-0 (E-Book .epub)978-9963-722-29-7 (E-Book .prc)

www.bookshouse.de

Urheberrechtlich geschütz tes Material

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Für Tanja,ohne die es weder Kim

noch die Traumwelten von »Assjah«geben würde.

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Charaktere

Prolog

Kapitel 1 – Drache gesichtet!Kapitel 2 – Dunkle Schatt enKapitel 3 – Seltsame TräumeKapitel 4 – PortalKapitel 5 – Streit und AusspracheKapitel 6 – WellentänzerKapitel 7 – Kapitän Sinans FrachtKapitel 8 – Angriff der Schatt en Kapitel 9 – Erste ErfolgeKapitel 10 – Annatars ZweifelKapitel 11 – Angriff auf AlmazKapitel 12 – Kims Fantasie

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Charaktere

Der zehnjährige Kim hat braune Augen und wilde

braune Locken, in die er sich bunte Strähn-

chen färbt. Er liebt farbenfrohe, punkige

Klamott en, Süßig-keiten und Fantasy-

Rollenspiele. Mit seiner Mutt er und

seinen Schwes-tern lebt er in der

Wiesbadener Innen-stadt. Dank seiner

fröhlichen und off enen Art fi ndet Kim schnell Freunde, neigt jedoch

dazu, hitz ig und unbedacht voran-zustürmen. Mithilfe seiner grenzenlosen

Fantasie denkt er sich Welten aus und besuchtdiese in seinen Träumen, um Abenteuer zu erleben.

Während einer Mutprobe fi ndet er einen magischen Gegenstand (Traumspiegel), mit dem er in der Lage ist, seine Fantasiefi guren in die Realität zu holen. Da-mit beginnt ein aufregendes Abenteuer …

Der zebraun

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fröhlichen undKim schnell Fre

dazu, hitz ig undzustürmen. Mithilfe s

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Silberfünkchen ist eine Fee mit

silbernen Haaren und hellgrauen Au-gen. Sie ist Kims äl-

testes Fantasiegeschöpf, das er bereits als kleiner Junge

erfunden hat. Sie trägt das Herz auf der Zunge und

geigt Kim mehr als einmal die Meinung, wenn er einen

Fehler begeht. Gleichzeitig ist sie loyal und nahezu immer an

Kims Seite. Sie kann teil-weise das Wett er

kontrollieren, insbesondere die Windgeister gehorchen ihr. Silber-fünkchen lebt normalerweise mit ihrer besten Freun-din Goldlöckchen auf der Feenwiese in Kims Traumwelt Assjah.

Goldlöckchen ist eine stumme Fee, die be-sonders durch die langen gol-denen Locken und ihre win-zigen Flügel auff ällt. Sie ist sehr scheu und zurückhaltend. Silberfünkchenkann sich überGedanken mit ihr

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verständigen und übernimmt das Reden für sie. Goldlöckchen beherrscht das Wett er und den Wind und bildet mit Silberfünkchen ein starkes Team. Am liebsten badet Goldlöckchen in Regenbögen, die es im Kristallwald, nahe der Feenwiese, in Hülle und Fülle gibt. Wie Silberfünkchen ist sie ein Geschöpf Assjahs.

Fineas (Finn) ist ein junger Feuerdrache, der aus Kims mitt el-

alterlicher Traum-welt Adaan stammt.

Er lebt mit seinem Clan in den Höhlen des Schatt engebirges

im Norden und ist für seine spitz e Zunge und seine

zynischen Bemer-kungen bekannt. Als Kim ihn aus

Versehen nach Wiesbaden holt,

wird er von Annatar in einen Ratt endrachen verwandelt und nennt sich fortan Finn. Wie

alle Drachen besitz t er magische Fähigkeiten,

die sich zumeist jedoch auf Flüche und Bannmagie

beschränken.

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Annatar ist ein jun-ger Magier aus Almaz, der Stadt der Magier in Adaan. Er ist auf der Suchenach seiner wahren Magie, die tief in ihm schlum-mert. Weil er sehr unsicher ist, gelingen ihm seine Zauber nur selten. Annatar hat lange schwarze Haa-re und eine weiße Strähne, die von einem fehlge-schlagenen Zauber herrührt. Meistens singt er seine Zauber. Seit Finn ihm die Verwandlungsmagie bei-gebracht hat, ist er in der Lage, sich in eine schwarze Maus mit einem weißen Streifen auf dem Rücken zu verwandeln.

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Prolog

ie ein dunkler Riese ragte die Spukvilla zwischen den mäch-

tigen Bäumen auf.Kim schlich zum Eingang und blieb

nur mit einer Taschenlampe bewaff net im Türrahmen stehen. Es roch muffi g, nach Staub und abgestande-ner Luft.

Aus allen Ecken hörte er leises Schaben, und plötz lich huschte etwas über seinen Turnschuh. Vor Schreck ließ Kim fast die Taschenlampe fallen.

Eine Spinne! Eine verfl ucht große. Sie fl üchtete sich unter ein Stück Pappe. Kim versuchte, sein wild klop-fendes Herz zu beruhigen, doch das Gefühl blieb, aus der Dunkelheit heraus beobachtet zu werden.

Schon als er über die moosbedeckte Steinmauer geklett ert war und das zugewucherte Grundstück betreten hatt e, glaubte er, jemand würde ihn ständig beobachten. Manchmal schienen im fahlen Mondlicht Schatt en hinter den Bäumen aufzutauchen, die ver-schwanden, wenn er sich traute, genauer hinzuse-hen. Jede Erscheinung jagte ihm eiskalte Schauder über den Rücken.

Auf dem Weg von der Wiesbadener Innenstadt bis zu der verfallenen Villa war er zu einem vor Angst schlott ernden Bündel geworden.

Wenn Florian ihn jetz t sehen könnte, würde er ihn einen Feigling nennen. Aber der wartete mit Chris

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vor der hohen Mauer, in Sicherheit, außerhalb des verlassenen Grundstücks.

Wieso nur hatt e er sich zu dieser idiotischen Mutprobe hinreißen lassen, mitt en in der Nacht in ein als Geisterhaus verschrienes und einsturzgefährdetes Gebäude einzusteigen und etwas zu stehlen, nur um zu beweisen, dass er tief im Inneren gewesen war? Das war absurd. Und alles nur, weil er Florian zeigen wollte, dass er kein Feigling war.

Sein Freund hatt e sich letz te Woche in ein verlasse-nes Mietshaus im Wiesbadener Westend geschlichen. Dort hatt e er eine verrostete Kett e gefunden, die er am nächsten Tag wie eine Trophäe herumzeigte. Für Kim stand fest, er wollte es ihm gleichtun. Energisch schütt elte er den Kopf. Er würde diese Mutprobe bestehen und etwas viel Beeindruckenderes als das blöde Schmuckstück fi nden. Florian würde gelb vor Neid werden.

Kim trat über die Schwelle und ließ den Lichtschein der Taschenlampe über den Boden huschen. Seine Hand zitt erte.

Die alten Dielen sahen größtenteils zerstört aus. Ein tragender Pfeiler war irgendwann umgefallen und hatt e einen großen Teil des Fußbodens weggerissen. Durch das Loch konnte Kim bis hinab in den Keller leuchten.

Plötz lich knarrte es in der Nähe.Er schwang den Lichtstrahl nach rechts, direkt

in das pelzige Gesicht einer Ratt e. Sie fauchte ihn an und fl oh durch einen Riss in der Wand.

»Nur die Ruhe. Alles in Ordnung«, fl üsterte er sich Mut zu. Seine Hände waren schweißnass. Ob

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die Dielen stabil genug waren? Er musste es riskie-ren. Mit weichen Knien ging er weiter, prüfte den Untergrund bei jedem Schritt .

Immer mehr krabbelnde Insekten fl ohen vor dem Schein der Taschenlampe in die Nischen und Ritz en der Wände. Ein Schauder kroch erneut über seinen Rücken, als er an die vielen Beinchen dachte.

Er erreichte das Ende der düsteren Eingangshalle und richtete das Licht auf die steile Treppe, die ins obere Stockwerk führte. Sie sah mitgenommen aus. Ob sie ihn tragen würde? Hier unten gab es nichts, was an Florians Beute heranreichte. Schließlich musste Kim beweisen, dass er nicht nur starr vor Angst in einer Ecke am Eingang ausgeharrt hatt e. Das Erdgeschoss war zu sehr zerstört. Vielleicht ließ sich im ersten Stock ein besticktes Tuch oder irgend-ein Gegenstand fi nden, den er mitnehmen konnte.

Ehe die aufk eimende Furcht ihn vom Gegenteil überzeugte, betrat er behutsam die Stufen. Das Holz knarrte und Staub wirbelte auf, als er die Treppe erklomm.

Plötz lich brach der Boden unter ihm weg. Er fi el, griff nach einem Brett und klammerte sich mit aller Kraft fest. Die Staubwolken drohten, ihn zu ersti-cken, während er schweißgebadet auspendelte. Zum Glück hielt das Dielenbrett sein Gewicht. Kim schwang ein Bein über den Rand und rutschte auf die höher liegende Stufe.

Das war knapp. Er ertastete die Ränder des klaf-fenden Loches und die raue Holzfl äche. Kim fand die Taschenlampe, hob sie auf und leuchtete die Stufen

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hinauf. Das würde er nie schaff en. Seine Beine fühl-ten sich an wie Gummi und das dumpfe Pochen sei-nes Herzens dröhnte in den Ohren.

Um sich zu beruhigen, rief er sich Silberfünkchen in Erinnerung. Die kleine Fee hatt e er vor vielen Jahren erfunden, um nicht allein zu sein. Damals, als sein Vater die Familie verließ und seine Mutt er viel zu sehr mit den Problemen beschäftigt war, die eine Scheidung mit sich brachte.

Silberfünkchen war mutig, frech, und nie um eine Antwort verlegen. Er versuchte sich vorzustellen, sie wäre bei ihm. Dieser Gedanke ließ ihn entspannen.

Mit neuem Mut überwand er das letz te Stück. Kim leuchtete durch den schmalen Flur, der noch

düsterer erschien als der Eingangsbereich. Staub und Dreck lagen in einer dicken Schicht auf dem Holzboden. Der Schmutz von Jahren bedeckte einge-rissene Lampenschirmchen an den fl eckigen Wänden. Kim schauderte, als würden eisige Fingerknochen nach ihm greifen. Nie und nimmer würde er auch nur einen Schritt in den unheimlichen Gang setz en, der sich nach rechts und links erstreckte. Hatt e er eben noch die Gegenwart von Ratt en, Insekten und anderen Lebewesen eklig und unerträglich gefunden, so ver-misste er sie hier. Dem Korridor haftete ein gespensti-scher Hauch an, der ihm durch die Kleidung fuhr und seine Fantasie anstachelte. Gestalten wanderten wie Schatt enrisse den Flur entlang. Kim kniff die Augen zusammen und schütt elte das Schreckensbild ab.

Der Lichtkreis der Taschenlampe zitt erte, als er sich genauer umsah. Gleich gegenüber dem

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Treppenabsatz erfasste er eine Tür, die halb aus den Angeln gerissen war. Spärliches Dämmerlicht fi el in den Raum dahinter und ein kühler Windhauch strich über Kims Wangen. Sofort überzog eine Gänsehaut seine Arme. Er streckte sich, um an der Tür vorbei weitere Einzelheiten zu erkennen. Mondlicht fi el durch die Ritz en der zugenagelten Fenster. Ein Brett baumelte halb abgerissen herunter und die Reste einer Gardine bewegten sich im Nachtwind.

Wie ein Gespenst.Gruselig! Diesem Haus haftete etwas Unheimliches

an. Kim schlüpfte über den Gang, kroch unter den Resten des Türblatt es hindurch und richtete sich auf. Das Zimmer war kleiner, als er vermutet hatt e. Mit weißen Tüchern abgedeckte Möbelriesen standen an den Wänden und nahmen einen Großteil des Platz es ein. Der Raum wirkte vollgestopft. Hier würde er bestimmt etwas fi nden, das er mitnehmen konnte. Einige Umrisse deutete er als ein niedriges Sofa, einen Rundtisch und mehrere Schränke. Unter dem Fenster stand eine Kommode, bei der das Tuch zu Boden gefallen war. Der Staub der Jahrzehnte und das fahle Licht verliehen ihr ein gräuliches Aussehen, als wäre sie wie ein Mensch gealtert. Die Risse glichen tiefen Falten, die Knöpfe Augen …

Kim schütt elte den Kopf, um das Bild des leben-digen Möbelstücks loszuwerden. Seine Fantasie ging wieder mit ihm durch.

»Wie hält der Boden das nur aus, ohne zusammen-zubrechen?«, fragte er laut, um sein Unbehagen zu übertönen. Er suchte die Dielen nach Löchern oder

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Zerstörung ab, doch alles schien einigermaßen intakt zu sein. Von einer Staubwolke begleitet durchquerte er den Raum. Vielleicht lag es an den Möbeln, die dem Zimmer den Anschein gaben, dass hier jemand gelebt haben könnte, vielleicht auch am Mondlicht, das der Dunkelheit den Schrecken nahm. Kim fühlte sich ruhiger und sicherer. Beinahe meinte er, von irgendetwas geleitet zu werden. Hatt e er vorhin an der Treppe nicht schon so ein Gefühl gehabt?

Er betrachtete die verstaubte Kommode, die weder lebendig noch gefährlich wirkte, und zog die oberste Lade auf. Erwartungsvoll leuchtete er hinein, doch sie war leer. Kein Schatz verbarg sich darin. Auch in den anderen Schubladen fand er nichts.

»So ein Mist«, fl uchte er und ließ den Lichtkegel wieder durch den Raum gleiten. Er musste etwas fi nden, denn tiefer würde er sich nicht in den Gang hineinwagen.

Er lief zu den hohen, verdeckten Möbeln und riss den Stoff herunter. Vor einem alten Schrank mit geschnitz ten Figuren hielt er inne. Die hölzernen Türen waren verschlossen und der Schlüssel fehlte.

»Verfl ucht!«Kim ging in die Knie. In der Hoff nung, den

Schlüssel irgendwo zu entdecken, suchte er im Taschenlampenstrahl den Holzboden ab. Als er unter den Schrank leuchtete, fi el sein Blick auf eine kleine Kiste aus Holz. Er rutschte näher, quetschte sich halb unter das Möbelstück und ertastete seinen Fund. Vorsichtig zog er die mit Schnitz ereien und seltsamen Ranken verzierte Schatulle hervor. Eine Schatz kiste.

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Vergessen waren das verlassene, einsturzge-fährdete Haus und die Mutprobe. Statt dessen machten sich Neugierde und Anspannung breit. Kim musste herausfi nden, was sich in der Kiste befand. Er klemmte sich die Taschenlampe unter den Arm. Zweimal polterte sie zu Boden, erst dann gelang es ihm, den Deckel zu öff nen.

Im Licht der Taschenlampe, eingebett et in dunklen Samt, funkelte etwas Goldenes. Kim schlug den Stoff zur Seite. Vor Aufregung japste er nach Atem. Er hatt e tatsächlich einen echten Schatz gefunden. Unfassbar!

Der seltsame Gegenstand glich einer Lupe, der das Vergrößerungsglas fehlte. Er war halb so groß wie sein Unterarm, bestand aus einem langen Griff und einem runden Rahmen, in den drei rote Edelsteine eingelassen waren. Rubine?

Fast wirkte es, als hätt e er ein magisches Artefakt gefunden wie die Helden in seinen Lieblingsbüchern. Wer ließ so etwas Kostbares zurück? Oder hatt e es irgendjemand hier versteckt? Nachdenklich strich er über seinen Fund.

Ein elektrischer Schlag traf ihn und sandte ein unangenehmes Prickeln durch seinen Körper. Zeitgleich glomm der Gegenstand für wenige Augenblicke rötlich auf.

Kim zuckte zurück. Die Taschenlampe entglitt ihm, fi el polternd auf den Dielenboden, und blieb neben ihm liegen. Seine Gedanken wirbelten durch-einander. Was war das?

In seinem Magen kribbelte es, als er erneut die Hand nach der kaputt en Lupe ausstreckte. Hatt e er

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sich diese seltsame Reaktion eingebildet? Er musste es wissen. Vielleicht war es ein normaler elektrischer Schlag gewesen. Aber dieses Leuchten … handelte es sich bei seinem Fund womöglich doch um ein Artefakt?

Mit geschlossenen Augen berührte er den Gegenstand. Dieses Mal durchlief nur ein sanftes Pulsieren seinen Körper. Kim fühlte sich nicht in der Lage, das Gefühl zu beschreiben, das ihn ergriff . Irgendwie kam es ihm sogar bekannt vor.

Er packte den Griff und betrachtete die Lupe von allen Seiten.

Sanftes rotes Licht fl immerte ihm entgegen. Es malte weiche Schatt en auf die Wände und die hellen Tücher.

»Wem du wohl gehörst?«, fragte Kim, als würde er eine Antwort erwarten. Er strich über den Ring und die Edelsteine. Das alte Vergrößerungsglas sah so seltsam aus, dass Kims Fantasie bereits wie-der Purzelbäume schlug. In einigen Büchern gab es Brillen, mit denen man die Wahrheit erkennen konnte. Vielleicht würde etwas Geheimnisvolles geschehen, wenn er etwas durch den Ring betrach-tete. Er hielt sich den schimmernden Kreis vors Gesicht und starrte hindurch.

Nichts tat sich. Der Schrank veränderte sich nicht. Verärgert schütt elte er den Gegenstand und wedelte ihn durch die Luft. »Komm schon!« Einem Impuls folgend steckte er die Finger durch den Ring.

Ein Geräusch erklang, das Kim an das Platz en von Seifenblasen erinnerte. Er blinzelte, zog die

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Hand zurück und versuchte es erneut. Wesentlich langsamer schob er einen Finger durch den Ring und lauschte. Einen Wimpernschlag lang spürte er einen Widerstand, dann erklang wieder das Platz en. Irgendetwas musste sich in diesem Ring spannen, etwas, das er nicht sehen konnte. Kim rutschte hin und her und musterte den Kreisrand genauer. Er hatt e es gespürt und gehört, aber da war einfach nichts in der Lupe. Ohne zu zögern, hielt er sie vor seine Lippen und blies hindurch.

Tatsächlich bildete sich etwas, das einer Seifenblase ähnelte. Es wölbte sich, zerplatz te jedoch, bevor es sich von dem Ring löste. Zusätz lich vernahm er ein unheimliches Seufzen. Kims Herz machte einen entsetz ten Hüpfer, um doppelt so schnell weiterzuschlagen.

Er tastete nach der Taschenlampe und leuchtete in die Zimmerecken. Nichts. Er war allein.

Er lauschte. Nur das langsam einsetz ende Prasseln des Regens und das Heulen des Windes drangen an seine Ohren.

Kim unterdrückte das mulmige Gefühl und blies erneut gegen die unsichtbare Membran, die sich innerhalb des Ringes spannte. Eine rötlich schim-mernde Blase bildete sich und schwebte durch den Raum. Darin waberte eine seltsame Wolke. Bevor er erkannte, um was es sich handelte, zerplatz te die »Seifenblase« und ein lang gezogener Schrei erklang, der Kim durch Mark und Bein fuhr.

Angst stieg in ihm auf und lähmte ihn, als hätt e ihm jemand ein Betäubungsmitt el verabreicht. Kim

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wollte nicht länger in diesem spukenden und unheim-lichen Haus bleiben. Ungelenk kam er auf die Beine. Der Lichtschein zitt erte, als er sich erneut umschaute. Fast schon wünschte er sich, seine Freunde würden aus den Schatt en auftauchen und sich über ihn lustig machen. Kim würde sogar Florians Spott ertragen. Doch es blieb still – totenstill.

Als der ferne Ruf einer Eule durch die vernagelten Fenster drang, sank Kim das Herz endgültig in die Hose. Er schaff te es nicht, das unsichere Gefühl abzu-schütt eln. Es schien sich in seiner Brust festz usetz en und ihn zum Aufgeben zu zwingen.

Im nächsten Moment fl ackerte die Taschenlampe auf und erlosch.

Bedrohliche Dunkelheit umfi ng ihn. Ein Krächzen entrang sich seiner Kehle. Er sackte wie ein nasser Sack in sich zusammen, obwohl er doch weglaufen wollte. Mit geschlossenen Augen versuchte er, sich zu beru-higen. In seinen Ohren rauschte das Blut. Zusammen mit dem rasenden Herzschlag übertönte es jedes Geräusch. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals, den er nur mühsam hinunterschlucken konnte. In der Hoff nung, die Taschenlampe wieder zum Leuchten zu bringen, schütt elte er sie. Doch es blieb stockdunkel.

»Ich wünschte, jemand wäre jetz t bei mir«, mur-melte er mit klappernden Zähnen. Tränen sammel-ten sich in seinen Augen und rollten ihm über die Wangen. Er würde die ganze Nacht hier verbringen müssen, schließlich konnte er schlecht im Dunkeln über die morsche, eingestürzte Treppe nach unten gelangen. »Florian, Chris, Silberfünkchen!«

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Weil ihn die Angst zu überwältigen drohte, rief er sich die kleine Fee erneut in Erinnerung. Vorhin hatt e ihm der Gedanke an Silberfünkchen geholfen, doch seither schienen Stunden vergangen zu sein. Er schielte zu der Lupe in seiner Hand.

Für einen Augenblick kam ihm der Gegenstand bekannt vor, als hätt e er vor langer Zeit schon einmal etwas Ähnliches in der Hand gehalten. Hatt e er ihn womöglich schon einmal benutz t?

Kim biss sich auf die Unterlippe. Jetz t oder nie! Er hielt sich den Ring vor die Lippen und blies kräftig gegen die Membran.

Blausilbernes Licht erhellte den Raum. Kim erkannte im Inneren der Seifenblase deutlich eine zierliche Gestalt mit Libellenfl ügeln. Lange silberne Haare fi elen in das schmale Gesicht des Wesens. Das Kleidchen, das den Körper bedeckte, schien aus Blütenblätt ern gemacht zu sein. Mit einem Knall zer-platz te die Blase und gab die kleine Fee frei.

Kim beobachtete sprachlos, was geschah. Vergessen waren das Geisterhaus, der unheimliche Garten und die Mutprobe. Statt dessen erfüllte ihn ein unbändiges Glücksgefühl.

»Silberfünkchen?«, brachte er fl üsternd hervor.Hatt e er seinen Wunsch wirklich zum Leben

erweckt? Vorsichtig streckte er die Hand nach dem fl iegenden Geschöpf aus. Doch so leicht wollte sich das Feenwesen nicht fangen lassen. Es schlüpfte durch seine Finger hindurch.

»Fass mich ja nicht an!« Die Fee sah sich panisch um. Sie schwirrte entsetz t nach oben, doch als sie die

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niedrige Decke erreichte, machte sie kehrt und fl og zurück. Verunsichert umkreiste sie Kim einige Male.

Er folgte ihr mit den Augen, sodass ihm beinahe schwindlig wurde. Am liebsten hätt e er sie gefangen, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumte. Aber sie hatt e mit ihm gesprochen. Silberfünkchen war real. Nie hatt e er geglaubt, der Fee einmal in seiner Welt zu begegnen.

Er schaff te es nicht, den Blick von ihr zu lösen und betastete den Gegenstand in seinen Händen. Ob er träumte? Er zwickte sich in den Arm, doch außer einem kurzen Schmerz passierte nichts.

»Ich schlafe nicht«, jubilierte er und sprang auf. »Das heißt, du bist wirklich hier. Hier bei mir.«

»Natürlich bin ich echt«, gab Silberfünkchen entrüs-tet zurück. »Und ich kenne dich. Du bist Kim, oder?«, fügte sie nach einem Moment hinzu. »Du kommst immer wieder auf die Feenwiese und besuchst uns.«

Er nickte. Wenn sie sogar seinen Namen kannte, handelte es sich ohne Zweifel um Silberfünkchen.

»Richtig, nur dieses Mal besuchst du mich und erlebst hier mit mir zusammen ein Abenteuer.«

»Tu ich das? Kann mich nicht daran erinnern, das beschlossen zu haben.« Sie fl og näher und mus-terte sein Gesicht. »Du bist es wirklich. Ich hab dich aufgrund des ganzen Drecks fast nicht erkannt«, ergänzte sie spött isch.

Kim wischte sich mit dem Ärmel über Stirn und Wangen. »Besser?«

»Ein wenig.« Sie zuckte mit den Schultern. Neugierig sauste sie herum und entdeckte die

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Zauberlupe in seinen Händen. »Was ist das?« Sie ver-engte die Augen und musterte Kim.

»Damit bist du hergekommen«, erklärte er. »Ich glaube, es ist so etwas wie ein Portal …« In Gedanken fügte er hinzu: Ein Portal zu meinen Träumen. Erneut schlug sein Herz schneller. Er inspizierte den Ring der Lupe genauer. In dem schwachen Licht, das Silberfünkchen verströmte, entdeckte er schließ-lich die hauchfeine Membran, die sich inner-halb des Ringes spannte. »Ich glaube, ich nenne es Traumspiegel.«

»Irgendwie fühlt es sich seltsam an«, murmelte Silberfünkchen. Sie brachte Abstand zwischen sich und den Traumspiegel. Unsicher sah sie sich wieder um. »Alles hier fühlt sich seltsam an … so stumm und kalt.« Ihr Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an. Sie ließ den Kopf hängen. »Alles wirkt unheimlich, ganz anders als in meiner Heimat. Hier gibt es keine Feen, kein fl üsterndes Gras, keine rollenden Steine. Alles ist dunkel und trostlos. Und es regnet sogar ins Haus.«

Kim musste ihr zustimmen. Dieser Ort war anders als Assjah, die Welt, aus der Silberfünkchen stammte. Dass sie sich hier einsam und unwohl fühlte, ver-stand er, doch er wusste nicht, wie er sie zurückbrin-gen sollte.

Noch bevor Silberfünkchen das verlangte und ihn im Dunkeln zurückließ, hatt e er eine Idee. Er würde eine weitere Fee aus seinen Träumen nach Wiesbaden holen – Silberfünkchens beste Freundin. Ohne zu zögern, hob er den Traumspiegel vor die Lippen

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und blies gegen die Membran. Sofort erschien eine goldene Blase, löste sich von dem Ring und schwebte lautlos durch den Raum. Nur wenige Augenblicke später veränderte sich das Innere. Eine neue Fee erschien. Ihr goldenes Haar und ihre winzigen Libellenfl ügel unterschieden sie von Silberfünkchen. Schließlich zerplatz te die schimmernde Kugel und gab die Fee frei.

»Ich glaub es nicht. Goldlöckchen!«, rief Silberfünkchen. Sie schwirrte zu ihrer Freundin und sie umarmten einander, während sich Goldlöckchen scheu umsah. Kim kannte die stumme Fee von seinen regelmäßigen Besuchen in Assjah, wenn er schlief. Sie war zurückhaltend, gutherzig und liebte es, in Assjahs unwirklichem Licht zu baden.

»Jetz t bist du nicht mehr einsam«, sagte Kim, während er eine Veränderung im Zimmer wahr-nahm. Es wirkte im sanften Licht der Feen überhaupt nicht mehr bedrohlich. Alles Gespenstische war ver-schwunden, ebenso wie seine Angst. Mit den beiden an seiner Seite würde er das marode Haus jederzeit heil verlassen können.

Kim sprang auf. Nichts dämpfte sein Glücksgefühl und seine Euphorie. Er hatt e einen wundersamen Gegenstand gefunden, mit dem er alles in die Realität holen konnte, was er sich vorstellte. Sofort überlegte er, was er als Nächstes rufen könnte.

Vielleicht einen Zwerg? Oder einen der unsicht-baren Drachen, die in der Lage waren, mit ihm zu sprechen? Seine Gedanken überschlugen sich. Egal, was es sein würde, sobald er daheim war, würde er

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seinen neuen Besitz genau untersuchen und anschlie-ßend die Wesen zu sich holen, die er sich am meisten wünschte.

Florian und Chris würden diesen Schatz nicht zu Gesicht bekommen. Er verstaute den Traumspiegel sicher in der Jackentasche. Dann ließ er sich doch lieber einen Feigling nennen …

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