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552 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 108 (2013), Heft 8 Dirk Proske, Davide Kurmann, Jan Cervenka FACHTHEMA DOI: 10.1002/best.201200080 Seismische Tragfähigkeit eines Stahlbetongebäudes 1 Einführung Seismische Gefährdungen stellen sowohl in Regionen mit hoher als auch mit moderater Seismizität eine erhebliche Bedrohung für die gebaute Umwelt und damit für Leib und Leben von Menschen dar. Bauwerke müssen deshalb für diese Gefährdung bemessen werden [1]. Die Bemes- sung gegen Erdbeben ist integriert in das aktuelle semi- probabilistische Sicherheitskonzept im Bauwesen. Die 475-jährliche Wiederkehrperiode der Erdbeben, die dabei berücksichtigt wird, entspricht einer 10%-Überschrei- tungswahrscheinlichkeit in 50 Jahren [1]. Für Bauwerke mit einem besonderen Gefährdungspoten- zial sind Erdbebenereignisse bis zu einer Wiederkehr- periode von 10 000 Jahren zu berücksichtigen. Hier bie- ten sich Lösungen an, die über den Rahmen des semi-pro- babilistischen Sicherheitskonzeptes hinausgehen. Dieser Weg wird im vorliegenden Aufsatz beschrieben. Dazu wird für eine bestehende Stahlbetonstruktur eine seismi- Die Forschung in den Disziplinen der Seismologie und des Erd- bebeningenieurwesens hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Die neuen Erkenntnisse sind heute in mo- dernen Normenwerken für die Auslegung von Neubauwerken vollumfänglich implementiert und nutzbar. Für bestehende Bau- werke, die nach älteren Normengenerationen ausgelegt wor- den sind, ist dies nicht der Fall. Gerade für solche Bauwerke, insbesondere in Regionen mit hoher Seismizität und/oder ho- hem Risikopotenzial, besteht aber der Bedarf einer möglichst realistischen Ermittlung der seismischen Tragfähigkeit. Der vor- liegende Aufsatz erläutert die Berechnung der seismischen Tragfähigkeit eines bestehenden Stahlbetontragwerks basie- rend auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik. Dazu wird zunächst mittels einer Pushover-Analyse das nichtli- neare Kraft-Verformungs-Verhalten der Struktur relativ auf- wendig modelliert. Die daraus ermittelte Kraft-Verformungs-Li- nie wird auf einen charakteristischen Einmassenschwinger ap- pliziert. Für die Umwandlung der Tragstruktur in einen äquiva- lenten Einmassenschwinger mit identischen dynamischen Eigenschaften werden die weiteren modalen Parameter mithil- fe von Boden-Bauwerk-Interaktionsberechnungen bestimmt. Zusätzlich wird der Einmassenschwinger auch mit einem Hys- terese-Modell ausgestattet. Anschließend wird der Einmassen- schwinger mit verschiedenen seismischen Beschleunigungs- Zeitverläufen beaufschlagt. Dabei wird ein Duktilitätsbedarf er- mittelt. Die Beaufschlagung des Einmassenschwingers erfolgt für verschiedene skalierte Beschleunigungs-Zeitverläufe, so- dass verschiedene Erdbebenintensitäten berücksichtigt wer- den. Da die strukturmechanischen Berechnungen auf der Widerstandsseite sowohl mit charakteristischen Werten als auch mit Mittelwerten durchgeführt wurden, eine Streuung verschiedener modaler Parameter angenommen wurde und die Streuung der seismischen Einwirkung über die verschiedenen Zeitverläufe berücksichtigt wird, kann eine Streuung der Trag- fähigkeit des Bauwerkes für seismische Einwirkungen angege- ben werden. Als Ergebnis werden die Parameter einer Fragili- ty-Kurve für seismische Einwirkungen und die seismische Trag- fähigkeit als ein Punkt auf der Fragility-Kurve präsentiert. Seismic robustness of a reinforced concrete structure Seismology and earthquake engineering have experienced ma- jor progress in the last decades. This progress is implemented in current modern codes of practice for the design of new structures. However for existing structures, mainly designed according to former codes of practice, a realistic estimation of the seismic robustness and ultimate load is also necessary. Of- ten in such cases ambitious analyses are carried out. This pa- per describes the steps of such an analysis for a reinforced concrete structure, which is part of the critical infrastructure. In a first step the nonlinear force-deformation-curve is investi- gated by a pushover-curve. This curve is applied to an equiva- lent oscillator. Further dynamic properties of the oscillator are obtained from a soil-structure-interaction analysis. The oscilla- tor is then exposed to various time-acceleration-sequences. This computation yields to a ductility demand. The ductility de- mand can be related to different earthquake intensities by scal- ing the time-acceleration-sequences. Finally the investigation was carried out twice, using characteristic and mean material properties. An overall deviation of the structural resistance can be provided by these parallel computations in combination with the deviation of the various time-acceleration-sequences. The results are used to construct a fragility curve and hence the ultimate seismic load bearing capacity.

Seismische Tragfähigkeit eines Stahlbetongebäudes

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552 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 108 (2013), Heft 8

Dirk Proske, Davide Kurmann, Jan Cervenka FACHTHEMA

DOI: 10.1002/best.201200080

Seismische Tragfähigkeit eines Stahlbetongebäudes

1 Einführung

Seismische Gefährdungen stellen sowohl in Regionen mithoher als auch mit moderater Seismizität eine erheblicheBedrohung für die gebaute Umwelt und damit für Leibund Leben von Menschen dar. Bauwerke müssen deshalbfür diese Gefährdung bemessen werden [1]. Die Bemes-sung gegen Erdbeben ist integriert in das aktuelle semi-probabilistische Sicherheitskonzept im Bauwesen. Die475-jährliche Wiederkehrperiode der Erdbeben, die dabei

berücksichtigt wird, entspricht einer 10 %-Überschrei-tungswahrscheinlichkeit in 50 Jahren [1].

Für Bauwerke mit einem besonderen Gefährdungspoten-zial sind Erdbebenereignisse bis zu einer Wiederkehr -periode von 10 000 Jahren zu berücksichtigen. Hier bie-ten sich Lösungen an, die über den Rahmen des semi-pro-babilistischen Sicherheitskonzeptes hinausgehen. DieserWeg wird im vorliegenden Aufsatz beschrieben. Dazuwird für eine bestehende Stahlbetonstruktur eine seismi-

Die Forschung in den Disziplinen der Seismologie und des Erd-bebeningenieurwesens hat in den letzten Jahrzehnten enormeFortschritte gemacht. Die neuen Erkenntnisse sind heute in mo-dernen Normenwerken für die Auslegung von Neubauwerkenvollumfänglich implementiert und nutzbar. Für bestehende Bau-werke, die nach älteren Normengenerationen ausgelegt wor-den sind, ist dies nicht der Fall. Gerade für solche Bauwerke,ins besondere in Regionen mit hoher Seismizität und/oder ho-hem Risikopotenzial, besteht aber der Bedarf einer möglichstrealistischen Ermittlung der seismischen Tragfähigkeit. Der vor-liegende Aufsatz erläutert die Berechnung der seismischenTragfähigkeit eines bestehenden Stahlbetontragwerks basie-rend auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik.Dazu wird zunächst mittels einer Pushover-Analyse das nichtli-neare Kraft-Verformungs-Verhalten der Struktur relativ auf-wendig modelliert. Die daraus ermittelte Kraft-Verformungs-Li-nie wird auf einen charakteristischen Einmassenschwinger ap-pliziert. Für die Umwandlung der Tragstruktur in einen äquiva-lenten Einmassenschwinger mit identischen dynamischenEigenschaften werden die weiteren modalen Parameter mithil-fe von Boden-Bauwerk-Interaktionsberechnungen bestimmt.Zusätzlich wird der Einmassenschwinger auch mit einem Hys-terese-Modell ausgestattet. Anschließend wird der Einmassen-schwinger mit verschiedenen seismischen Beschleunigungs-Zeitverläufen beaufschlagt. Dabei wird ein Duktilitätsbedarf er-mittelt. Die Beaufschlagung des Einmassenschwingers erfolgtfür verschiedene skalierte Beschleunigungs-Zeitverläufe, so-dass verschiedene Erdbebenintensitäten berücksichtigt wer-den. Da die strukturmechanischen Berechnungen auf derWiderstands seite sowohl mit charakteristischen Werten alsauch mit Mittelwerten durchgeführt wurden, eine Streuungverschiedener modaler Parameter angenommen wurde und dieStreuung der seismischen Einwirkung über die verschiedenenZeitverläufe berücksichtigt wird, kann eine Streuung der Trag-fähigkeit des Bauwerkes für seismische Einwirkungen angege-ben werden. Als Ergebnis werden die Parameter einer Fragili-ty-Kurve für seismische Einwirkungen und die seismische Trag-fähigkeit als ein Punkt auf der Fragility-Kurve präsentiert.

Seismic robustness of a reinforced concrete structureSeismology and earthquake engineering have experienced ma-jor progress in the last decades. This progress is implementedin current modern codes of practice for the design of newstructures. However for existing structures, mainly designedaccording to former codes of practice, a realistic estimation ofthe seismic robustness and ultimate load is also necessary. Of-ten in such cases ambitious analyses are carried out. This pa-per describes the steps of such an analysis for a reinforcedconcrete structure, which is part of the critical infrastructure.In a first step the nonlinear force-deformation-curve is investi-gated by a pushover-curve. This curve is applied to an equiva-lent oscillator. Further dynamic properties of the oscillator areobtained from a soil-structure-interaction analysis. The oscilla-tor is then exposed to various time-acceleration-sequences.This computation yields to a ductility demand. The ductility de-mand can be related to different earthquake intensities by scal-ing the time-acceleration-sequences. Finally the investigationwas carried out twice, using characteristic and mean materialproperties. An overall deviation of the structural resistance canbe provided by these parallel computations in combination withthe deviation of the various time-acceleration-sequences. Theresults are used to construct a fragility curve and hence the ultimate seismic load bearing capacity.

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sche Tragfähigkeit basierend auf einer Fragility, also einerVerletzlichkeit, berechnet. Die Anwendung dieses Verfah-rens bietet sich nicht nur für Bauwerke mit einem beson-deren Gefährdungspotenzial an, sondern kann auch fürhistorische Bauwerke verwendet werden, bei denen derNachweis nach aktueller Normenlage nicht oder nurschwer gelingt.

Der Beitrag gliedert sich wie folgt: Zunächst erfolgt eineEinführung in das Konzept der seismischen Fragilities(Abschn. 2). Dort werden die wichtigsten Begriffe diesesKonzeptes erläutert. Anschließend wird die strukturme-chanische Modellierung des Bauwerkes vorgestellt. Dabeiwird im Rahmen einer nicht-linearen Modellierung einesogenannte Horizontalkraft-Verschiebungs-Kurve (Push -over-Kurve) erstellt (Abschn. 3). Im Abschn. 4 wird dieErstellung eines dynamischen Ersatzmodelles beschrie-ben. Dazu wird das Bauwerk in ein repräsentatives Ein-massenschwingermodell überführt. Dieses berücksichtigtnicht nur die Ergebnisse der Pushover-Kurve, sondern in-tegriert verschiedenste modale Parameter. Die Parameterkommen überwiegend aus einer Boden-Bauwerk-Interak-tionsberechnung. Außerdem berücksichtigt der Einmas-senschwinger auch das Hysterese-Verhalten der Stahlbe-tonstruktur. Der Einmassenschwinger wird mit seismi-schen Beschleunigungszeitverläufen beaufschlagt. Die Er-gebnisse dieser dynamischen Berechnung werden amEnde des Abschn. 4 in Form einer erforderlichen Duktili-tät angegeben. Zum Abschluss werden die Ergebnisse fürdie ausgewählte Stahlbetonstruktur in Form von Fragili-ty-Kennwerten präsentiert und die seismische Trag -fähigkeit angegeben (Abschn. 5).

2 Seismische Fragilities

Das heutige Sicherheitskonzept im Bauwesen basiert aufeiner probabilistischen Beschreibung der Unsicherheitder Eingangsgrößen. In den Baunormen wird die Unsi-cherheit in Form von Sicherheitselementen vereinfacht,also semi-probabilistisch, abgedeckt. Bei voll-probabilisti-schen Berechnungen, die seit längerem möglich sind,kann die Versagenswahrscheinlichkeit von Baustruktu-ren mit streuenden Widerständen und Einwirkungen di-

rekt berechnet werden [2]. Diese Berechnungen sind je-doch sehr aufwendig, wenn sie mit realistischen determi-nistischen Modellen verknüpft werden. Unter Umständenbenötigen die Berechnungen selbst auf modernen Com-putern mehrere Tage. Auch wenn in den letzten Jahrensowohl auf methodischer wie auf rechentechnischer Seiteerhebliche Fortschritte erzielt wurden, so ist eine Berech-nung dieser Dauer nicht praktikabel. Um die Rechenzeitzu verringern, kann man die voll-probabilistischen Be-rechnungen vereinfachen, indem bestimmte Annahmenüber das statistische Verhalten der Baustruktur unter einer Einwirkung getroffen werden. Zu dieser Klasse dervereinfachten probabilistischen Berechnungen gehörenFragilities.

Eine Fragility ist die Funktion der Versagenswahrschein-lichkeit eines Bauwerkes in Abhängigkeit von der Intensi-tät einer Einwirkung (Bild 1). Dadurch wird die Einwir-kung aus der probabilistischen Berechnung selbst heraus-genommen. Außerdem wird der Funktionstyp der Ver -sagenswahrscheinlichkeit des Bauwerkes vorab festgelegtund muss nicht aufwendig bestimmt werden. Als Funk -tionstypen stehen in der Regel nur wenige einfache Wahr-scheinlichkeitsfunktionen zur Auswahl, meistens wird dieLognormalverteilung verwendet [3]. Die Wahrscheinlich-keitsfunktion der Lognormalverteilung kann mit zweiStützwerten vollständig bestimmt werden. Da diese Stütz-stellen nicht im Bereich der extrem kleinen Versagens-wahrscheinlichkeiten liegen müssen, führt dies zu einererheblichen Verringerung des Rechenaufwandes, wennstichprobenbasierte Integrationsverfahren verwendetwerden.

Aktuelle Studien, bei denen die Fragility-Funktion durchvoll-probabilistische Berechnungen stufenweise abgetas-tet wurde (z. B. ZENTNER et al. [4]), bestätigen die ausrei-chende Genauigkeit der seismischen Fragilities bei An-nahme einer Lognormalverteilung.

Konkret lautet die Funktion der lognormalverteilten Fra-gility:

mit:P Funktion der Versagenswahrscheinlichkeit in Ab-

hängigkeit von aa hier die Intensität in Form einer spektralen Be-

schleunigungΦ GAUSS-StandardverteilungAm Beschleunigungswert der Median-Tragfähigkeitβ Unsicherheitsparameter (Standardabweichung).

In der Regel wird beim Unsicherheitsparameter noch ineine aleatorische und eine epistemische Unsicherheit unterschieden. Die aleatorische Unsicherheit ist die demMaterial oder der Einwirkung innewohnende Unsicher-heit. Die epistemische Unsicherheit beschreibt die Gren-zen des Wissens. Diese Unsicherheit kann im Gegensatz

ln(a/A )mPf/a = Φβ

Bild 1 Seismische Fragility: Begriffe, vgl. Text, Abschn. 2Seismic Fragility: Terms, see text, chapter 2

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zur aleatorischen Unsicherheit durch Wissenszuwachsverringert werden, z. B. durch die Gewinnung weitererStichproben. In der Statistik wird die aleatorische Un -sicherheit als Zufallsvariable berücksichtigt, während dieepistemische Unsicherheit als Unsicherheit der statisti-schen Parameter interpretiert wird (Vertrauensbereich).Dies führt zu dem in Bild 1 dargestellten Funktions-korridor. Die vollständige Funktion der Fragility bei diffe-renzierter Berücksichtigung der Unsicherheiten lautetdann:

mit:βR aleatorische Unsicherheit (Standardabweichung)βU epistemische Unsicherheit (Standardabweichung)Φ–1 inverse GAUSS-Normalverteilung Q Vertrauensbereich

Aus Gründen der Rechenvereinfachung wird häufig auchnoch eine sogenannte Verbundunsicherheit definiert:

Ein wichtiger Ankerpunkt bei der Auswertung von Fragi-lity-Berechnungen ist der HCLPF-Wert (High Confidenceof Low Probabilitiy of Failure). Dieser Wert lässt sich di-rekt mit den aktuellen semi-probabilistischen Baunormenin Verbindung setzen, denn er ist nichts weiter als eincharakteristischer Wert der Bauwerkstragfähigkeit (5 %-Fraktil) unter Berücksichtigung eines Vertrauensberei-ches (95 %-Vertrauensbereich). Eine Berücksichtigungdes Vertrauensbereiches kann vereinfacht erfolgen, in-dem für den HCLPF-Wert anstelle des 5 %-Fraktilwertesder Fragility-Funktion der 1 %-Fraktilwert verwendetwird. Dann ergibt sich der HCLPF-Wert als

Dieser HCLPF-Wert wird auch als seismische Grenztrag-festigkeit des Bauwerkes bzw. als seismische Tragfähig-keit bezeichnet. Die Einheit dieses Wertes hängt vom In-tensitätsparameter der Einwirkung ab, im vorliegendenFall von seismischen Einwirkungen sind das Beschleuni-gungen, also Vielfache der Erdbeschleunigung g.

Für die Berechnung der Fragility-Funktion muss auf eingeeignetes strukturmechanisches Modell des Bauwerkeszurückgegriffen werden.

3 Deterministisches strukturmechanisches Modell

Bei dem zu untersuchenden Objekt handelt es sich umein Stahlbetonbauwerk in Ortbeton, das Ende der1960er-Jahre erstellt wurde. Das statisch nicht-lineareKraft-Verformungs-Verhalten des Tragwerks wird anhandeiner Pushover-Analyse bewertet. Eine Pushover-Kurve

C2 2U Rβ ββ = +

exp(2 33 )HCLPF

A.m

cβ=

ln(a/A (Q)m u1

RPf/a = Φ

+ β Φβ

ist eine Kraft-Verformungs-Funktion eines Bauwerkes unter einer einseitig eingetragenen horizontalen Last (FEMA [5], MESKOURIS et al. [6]). Mit einer solchen struk-turmechanischen Analyse werden das gesamte Kraft-Ver-formungs-Vermögen und das Energiedissipationsvermö-gen des Tragwerks ermittelt. Das globale Tragwerksver-halten wird durch das nicht-lineare Bauteilverhalten dereinzelnen Elemente bestimmt. Auf diese Weise könnendie Auswirkungen von lokalen Schwachstellen, z. B. vonStützen, auf das globale Verhalten beurteilt werden.

Im Gegensatz zu einer dynamischen Tragwerksanalysewerden bei der Belastungsverteilung der statischen nicht-linearen Analyse vereinfachte Annahmen getroffen. DieBelastungsverteilung (Load Shape) kann in hohem Maßedie Ergebnisse einer Pushover-Analyse bestimmen. Des-wegen ist deren Wahl besondere Beachtung zu schenken.Im vorliegenden Fall wurden zur Bestimmung der Belas-tungsverteilung die Ergebnisse von Boden-Bauwerk-Inter-aktionsberechnungen berücksichtigt.

Das strukturmechanische Modell bei einer statisch nicht-linearen Analyse umfasst typischerweise die qualitativhochwertige Nachbildung des Bruch- und Nachbruchver-haltens der einzelnen Bauteile. Demgegenüber werdenbei nicht-linearen dynamischen Analysen Modellvereinfa-chungen der Struktur notwendig, um die Berechnungs-zeit zu begrenzen und um die Berechnungsmodelle verifi-zieren zu können. Die verwendete Lösung ist als einKompromiss zwischen einer hochwertigen statischen Mo-dellierung und einer Vereinfachung der dynamischen Mo-dellierung im Vergleich zu einer äußerst kompliziertenModellierung des dynamischen Verhaltens an der Ge-samtstruktur zu verstehen.

Für die Analyse des hochgradig nicht-linearen Tragverhal-tens des Bauwerkes unter großen Horizontallasten wurdeim vorliegenden Fall das Programm ATENA verwendet.ATENA ist in der Lage, alle wesentlichen Versagensartendes Stahlbetons realistisch abzubilden: Rissbildung, Be-tondruckversagen, Fließen der Bewehrung und Beweh-rungsbruch [7, 8]. Das Finite-Elemente-Modell berück-sichtigt vier Etagen oberhalb einer sehr massiven Funda-mentplatte. Es beinhaltet die Bauteile Stützen, Wände,Unterzüge und Decken (Bild 2).

Für das dreidimensionale Finite-Elemente-Modell wur-den über 3 300 dreidimensionale Higher-Order-Volumen-Elemente genutzt. Die Bewehrung wurde in den Stützendirekt als Bewehrungsstäbe modelliert (Bild 2, rechts),während im Rest der Konstruktion das Verfahren der ver-schmierten Bewehrung genutzt wurde. Die Rechenzeitfür eine vollständige Pushover-Kurve betrug bis zu 24Stunden. Sowohl Elementtypen als auch Elementgrößenwurden im Rahmen einer Sensitivitätsstudie an einerStütze des Bauwerkes untersucht. Die Sensitivitätsrech-nungen zeigen, dass selbst in diesem aufwendigen Finite-Elemente-Modell noch rechnerische Reserven existieren,wenn man die Rechenergebnisse mit Versuchen ver-gleicht.

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Bild 3 zeigt ein Verformungsbild des Bauwerkes unter ei-ner Horizontalbelastung im Rahmen der Bestimmung derPushover-Kurven. Bild 4 zeigt eine ermittelte Pushover-Kurve. Deutlich erkennbar ist die Ausprägung einer be-achtlichen Strukturduktilität. Auch sind Unterschiede füreine Tragwerksbelastung in der positiven und negativenRichtung erkennbar. Diese Unterschiede sind auf ein un-symmetrisches Tragwerk zurückzuführen. Die Pushover-Kurven wurden mit den Mittelwerten (Bild 4) und mitden charakteristischen Materialwerten bestimmt. Da-durch wird die Unsicherheit der Materialeigenschaftenberücksichtigt. Man erhält zwei Stützstellen, die man fürdie Erstellung der Fragility-Kurve benötigt. In Abhängig-keit von der Verwendung von Mittelwerten und charakte-ristischen Materialwerten unterscheiden sich die Maxi-malkraft und die maximale Duktilität um ca. 10 %.

4 Dynamisches Berechnungsmodell

Die Pushover-Kurven sind ein wesentlicher Bestandteildes Berechnungsablaufes zur Ermittlung des HCLPF-Wertes bzw. der seismischen Tragfähigkeit. Sie stellen je-doch nur einen Berechnungsschritt dar, der unabhängigvon den folgenden dynamischen Berechnungen erfolgt.Von Vorteil ist dabei, dass die Ergebnisse der statischennicht-linearen Analysen (Pushover) selbst bei einer Ver-änderung der seismischen Eigenschaften ihre Gültigkeitbehalten. Demgegenüber sind die nachfolgenden Bearbei-tungsschritte zur Ermittlung der Tragfähigkeit von der je-weiligen spezifischen seismischen Gefährdung abhängig.

Die seismische Gefährdung wird in der Regel durch Bo-denantwortspektren der spektralen Beschleunigung füreine bestimmte Bodentiefe bzw. die Oberfläche und füreine Wiederkehrperiode definiert (Bild 5, oben). Die ver-tikale Beschleunigung wird dabei aus dem horizontalenSpektrum über einen Proportionalitätsfaktor bestimmt.Solche Bodenantwortspektren für eine definierte Wieder-kehrperiode können auch als Gefährdungskurven für ei-

ne Stützfrequenz dargestellt werden (Bild 5, unten). Wäh-rend das elastische Bodenantwortspektrum die spektraleBeschleunigung über den Frequenzbereich angibt, der füreine bestimmte Wiederkehrperiode gilt, gibt die Gefähr-dungskurve die spektrale Beschleunigung über die Wie-

Bild 2 Vernetzungsbild des Finite-Elemente-Modells (links) und Darstellung der Bewehrungsstäbe in den Stützen (rechts)Mesh of the Finite-Element-Model used (left) and visualization of the reinforcement modelled in the columns (right)

Bild 3 Verformungsbild während einer Pushover-AnalyseDeformation of the structure during a pushover-Analysis

Bild 4 Pushover-Kurve mit Mittelwerten der BaustoffeigenschaftenPushover-Curve based on mean material properties

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derkehrperiode für eine bestimmte Frequenz wieder. InBild 5 unten wurde als bestimmte Frequenz der PGA-Wert (Peak Ground Acceleration) gewählt. Bild 5 zeigt,wie beide, das elastische Antwortspektrum und die Ge-fährdungskurve, zusammenhängen. Dazu verbindet dieLinie in Bild 5 den gleichen Punkt in beiden Diagram-men. Der PGA-Wert entspricht der Starrkörperbeschleu-nigung im Bodenantwortspektrum [9].

Das elastische Antwortspektrum und die Gefährdungs-kurven werden entweder den jeweiligen Bauvorschriftenentnommen oder durch Experten bauwerksspezifischfestgelegt. Bei Bauwerken mit einem großen Gefähr-dungspotenzial kann sich die Bestimmung der standort-spezifischen Gefährdung über viele Jahre erstrecken undmit erheblichen Kosten verbunden sein.

Auf der Basis von antwortspektrum-kompatiblen Erdbe-benzeitverläufen werden zunächst dynamische Boden-Bauwerks-Interaktionsberechnungen durchgeführt, um dieSteifigkeits- und Dämpfungseigenschaften des gekoppeltenSystems (Boden-Bauwerk) zu bestimmen. Eine Einführungin die Erstellung von Boden-Bauwerks-Interaktionsberech-nungen findet sich bei SADEGH-AZAR & HARTMANN [9].

Die Boden-Bauwerks-Interaktionsberechnung erfolgte hiermit dem Programm SASSI [10]. Eine solche Berechnungliefert in Verbindung mit dem Bauwerksmodell auch Eta-genantwortspektren, die für lokale Nachweise innerhalbdes Bauwerkes verwendet werden können. In Bild 6 sindEtagenantwortspektren jeweils für die drei Richtungenund für zwei verschiedene Antwortspektren (previous undnew) dargestellt. Im vorliegenden Fall aber wurden mit derBoden-Bauwerks-Interaktionsberechnung die Grundfre-quenz des Tragwerks und die damit assoziierten modalenParameter wie Masse und Dämpfung für das eingebetteteBauwerk festgelegt [9]. Die reine Pushover-Kurve basiertedagegen auf einer starren Einspannung.

Die zu ermittelnde elastische Systemdämpfung setzt sichaus verschiedenen Anteilen zusammen, wie der Material-dämpfung der Stahlbetonstruktur, der Materialdämpfungdes Bodens (dehnungsabhängige Dämpfung) und der Ab-strahlungsdämpfung des Bodens (Fundamentsohle undleichte Einbettung). Zur Berücksichtigung der großen Unsicherheiten der Abstrahlungs-, Baugrund- und Struk-turdämpfung wurden diese in der durchgeführten Rech-nung mit Streuungen belegt. Weiterhin wurden aus derBoden-Bauwerks-Interaktionsberechnung die effektiveHöhe und die Partizipationsfaktoren entnommen. Letzte-re dienen der Umrechnung der Horizontalverformungenvom Kopf des Gebäudes, die mit dem Programm ATENAwährend der Erstellung der Pushover-Kurven gewonnenwurden. Die effektive Höhe beschreibt die Höhe des Ein-massenschwingers über der Einspannung.

Mit diesen Angaben ist es jetzt möglich, einen äquivalen-ten Einmassenschwinger zu erstellen, der die dynamischenEigenschaften des gesamten Tragwerks erfasst. Allerdingsist für eine nicht-lineare dynamische Zeitverlaufsanalysezusätzlich zum monotonen noch das zyklische Tragwerks-verhalten nachzubilden. Ein solches Verhalten wird an-hand einer Hysterese definiert. Deshalb muss das Modelldes Einmassenschwingers dahingehend erweitert werden.

Für die vorliegende Stahlbetonstruktur wurde das zykli-sche Tragwerksverhalten für den Erstbelastungs-, Entlas-

Bild 5 Elastisches Antwortspektrum für eine bestimmte Wiederkehrperiode(oben) und Gefährdungskurve für eine bestimmte Ankerfrequenz, hierdie PGA (PGA: Peak Ground Acceleration) (unten)Uniform Hazard Spectrum for a specific return period (above) and Hazard Curve for a specific frequency (PGA: Peak Ground Accelera-tion) (below)

Bild 6 Etagenantwortspektren im oberen Bereich eines GebäudesFloor Response Spectra in the upper part of the building

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tungs- und Wiederbelastungszyklus mit einer Linearkom-bination aus dem Modified-Takeda- und Origin-Centered-Modell beschrieben (Bild 7). Dank dieser Linearkombina-tion kann man die Hysterese-Energiedissipation des Sys-tems gegenüber einer reinen Modified-Takeda Hystereseabmindern [11]. Obwohl experimentelle Ergebnisse von

quasi-statischen Versuchen an Stahlbetonwände bereitsmit einem Verhältnis von 85 % Modified-Takeda und15 % Origin-Centered erfolgreich nachgebildet werdenkonnten [12], wurde im vorliegenden Fall ein Anteil von55 % Modified Takeda und 45 % Origin-Centered ge-wählt. Das entspricht der bewussten Reduzierung der

Bild 7 Hysterese-Regeln für dynamische AnalysenHysteresis rules for dynamic analysis

Bild 9 Hysterese in der X-Richtung für den 5 %-Fraktilwert der MaterialeigenschaftenHysteresis in X-direction using the 5 % Fractile Value of Material Properties

Bild 8 Modell für duktilitätsabhängigen Steifigkeitsabfall nach RUAUMOKO [13]Model of ductility dependent stiffness according to RUAUMOKO [13]

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rechnerischen Duktilität im Vergleich zu Versuchen.Nach Erreichen der Maximalduktilität im Plateaubereichwurde ebenfalls der duktilitätsabhängige Kraftabfallnachgebildet (Bild 8).

Die zyklische Belastung des Einmassenschwingers fürmonoton steigenden Duktilitätsbedarf ist in Bild 9 zu sehen. Die zugehörige hysteretische Dämpfung aus derquasi-statischen Belastung ist in Bild 10 angegeben.

Mit diesem Modell kann jetzt die Duktilität des Bauwer-kes bei einem vorgegebenen Beschleunigungs-Zeitverlaufberechnet werden. Durch die Verwendung mehrerer, imvorliegenden Fall von 30 Erdbeben, können auch Streu-ungen abgeschätzt werden. Diese 30 Kurven (Bild 11)wurden so ausgewählt und modifiziert, dass sie dem vor-

gegebenen mittleren Gefährdungsspektrum über einengroßen Frequenzbereich entsprechen. Grundlage für dieSpektren sind reale Erdbeben aus dem EuropäischenStarkbebenkatalog (EMEC). Dabei wurden nur Erdbebenmit einer Magnitude zwischen 5,0 und 7,8 mit einer Ent-fernung des Epizentrums von 0 bis 200 Kilometer berück-sichtigt. Die Erdbebendauer betrug ca. 20 Sekunden. [14]

Da sich die 30 Erdbeben-Zeitverläufe aber nur auf einenPGA-Wert beziehen, müssen die Zeitverläufe auch für an-dere Erdbebenintensitäten angepasst werden. Im vorlie-genden Fall wurden die Zeitverläufe hochskaliert und diedynamischen Berechnungen am Einmassenschwingerwiederholt (Bild 12). Als tiefste Erdbebenanregung wurdeein PGA-Wert von 0,05 g gewählt. Anschließend erfolgteinkrementell eine Erhöhung des PGA-Wertes um jeweils

Bild 10 Hysteretische Dämpfung für das Einmassenschwinger-SystemHysteretic damping of the oscillator

Bild 11 Spektren der verschieden Beschleunigungs-ZeitverläufeIndividual Spectra of the different Acceleration-Time-Histories

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0,2 g. Die Berechnung wird deshalb auch als inkrementel-le dynamische Analyse (IDA) bezeichnet.

Mit dieser Analyse kann der Duktilitätsbedarf des Bauwer-kes für die verschiedenen Intensitäten der Erdbeben -

einwirkung bestimmt werden. Das Tragwerksversagenwird dann als maximale akzeptierbare Duktilität bzw. Ver-schiebung festgelegt. Die maximale Duktilität wird angege-ben als Vielfaches der Duktilität, bei der Fließen einsetzt.Die maximale Duktilität wird erreicht, wenn, wie im Bild 9

Bild 13 BerechnungsablaufAnalysis Flow Chart

Bild 12 Inkrementelle dynamische Analyse für den repräsentativen Einmassenschwinger mit charakteristischen MaterialwertenIncremental Dynamic Analysis for representative oscillator with characteristic material values

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erkennbar, die maximale Kraft abfällt. Da die Rechnungensowohl für mittlere und für charakteristische Materialfes-tigkeitswerte als auch unter Berücksichtigung der Streuun-gen der Erdbebenlasten durch die Verwendung der 30Zeitverläufe durchgeführt wurden, können die Unsicher-heitsbeiwerte βR und βU bestimmt werden. Die Streuungender Duktilität sind ebenfalls in Bild 12 dargestellt.

Abschließend sei erwähnt, dass die Gleichzeitigkeit derseismischen Einwirkungen in den drei orthogonalenHauptrichtungen X, Y und Z in der vorliegenden Studieanhand der 100-40-40-Regel berücksichtigt wurde. Dabeiwird angenommen, dass die Erdbebeneinwirkung in einerHauptrichtung 100 % und in den übrigen Richtungen40 % beträgt.

Die einzelnen Schritte zur Ermittlung der seismischenTragfähigkeit sind nochmals im Bild 13 zusammenge-stellt. Zunächst wird eine nicht-lineare Berechnung zurErfassung des realen Tragverhaltens der Stahlbetonstruk-tur durchgeführt. Anschließend wird eine repräsentativerEinmassenschwinger gewählt, der sowohl Informationenaus der statischen Tragwerksberechnung als auch aus derBoden-Bauwerks-Interaktionsberechnung beinhaltet. Ab-schließend werden mit diesem Einmassenschwinger undden Beschleunigungs-Zeitverläufen dynamische Berech-nungen durchgeführt. Für diese Berechnungen werdensowohl zur Berücksichtigung der Unsicherheiten als auchzur Berücksichtigung der Erdbebenintensitäten die Be-schleunigungs-Zeitverläufe variiert.

5 Ergebnisse

Die durchgeführten Berechnungen zeigen, dass für dasvorliegende Beispiel die seismische Tragfähigkeit für bei-de horizontale Hauptrichtungen nahezu gleich ist. Leich-te Unterschiede sind auf das stärkere Torsionsverhaltender Struktur in eine Hauptrichtung zurückzuführen. DerHCLPF-Wert der maximalen Duktilität wird etwa beimdoppelten HCLPF-Wert des Fließzustandes erreicht undliegt bei 0,82 g PGA horizontal, einem beachtlichen Wertfür die seismische Tragfähigkeit.

Die im Rahmen dieser Rechnung erlaubten großen Ver-formungen können natürlich auch zu neuen Schadens-formen führen. So besteht die Möglichkeit eines Zusam-

menstoßes des Bauwerkes mit umliegenden Bauwerken.Im vorliegenden Fall liegt der HCLPF-Wert unter Be-rücksichtigung des Anschlagens des Gebäudes an umlie-gende Gebäude etwas über dem HCLPF-Wert für denFließzustand, aber deutlich unter dem HCLPF-Wert fürdie maximale Duktilität. Der Wert des Zusammensto-ßens mit anderen Gebäuden bezieht sich allerdings aufeine lokale Schädigung und nicht auf ein Versagen derGesamtstruktur. Hier muss entschieden werden, welcherSchädigungsgrad für den Bauwerkeigentümer akzeptabelist.

Da die Unsicherheit durch die zahlreichen Erdbebenzeit-verläufe, durch die Rechnung mit mittleren und charakte-ristischen Materialeigenschaften und durch die Streuungverschiedener modaler Parameter berücksichtigt wurde,können die Unsicherheiten für das Tragwerksversagen ex-plizit angegeben werden und die weiteren Parameter fürdie Erstellung der Fragility-Kurve, wie βR, βU und Am, wurden bestimmt. Diese liegen bei βR = 0,19, βU = 0,34und Am = 1,94 g. Die Fragility-Kurve kann in einer weiter-führenden Risiko- oder Vulnerabilitätsstudie verwendetwerden.

6 Fazit

Durch die Erschließung erheblicher rechnerischer Reser-ven im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchung ge-lang der Nachweis der Tragfähigkeit des Gebäudes auchfür außerordentlich seltene Erdbeben. Das verwendeteBerechnungsverfahren kann in der Klassifizierung vonSADEGH-AZAR & HARTMANN [9] als höchstes Berech-nungsverfahren eingestuft werden. Eine Anwendung derMethodik für andere Bauwerkstypen, wie beispielweiseBrücken, ist möglich [11].

Das Ergebnis der Berechnung, dass sorgfältig geplanteStahlbetonbauwerke erhebliche seismische Einwirkun-gen abtragen können, lässt sich auch an zahlreichen Ge-bäuden sehen, die das Tohoku-Chihou-Taiheiyou-Oki-Erdbeben im März 2011 in Japan mit nur leichten Schä-den überstanden haben [15]. Schadensbilder an solchenTragstrukturen infolge Extremereignisse deuten auf großestrukturelle Sicherheitsmargen hin, die im Rahmen vonprobabilistischen Tragfähigkeitsbewertungen ausgewie-sen werden können.

Literatur

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[15] YANEV, P. I.; YANEV, A. J.: Earthquake Engineering Lessonsfor Nuclear Power Plant Structures, Systems, and Compo-nents from Fukushima and Onagawa. 8th Nuclear Plantscurrent Issues Symposium: Challenges & Opportunities,January 23–25 2013, Orlando, Florida, US.

Autoren

Dr.-Ing. Dirk ProskeAxpo Power AG5312 Döttingen, [email protected]

Dipl.-Ing. Davide KurmannAxpo Power AG5401 Baden, [email protected]

Ing. Jan Cervenka Ph.D.Cervenka ConsultingNa Hrebenkach 55150 00 Praha 5, [email protected]