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Freitag, 29. Januar 2010 REPORTAGE UND HINTERGRUND 7 r Koschyk: Einsparungsbedarf von jährlich zehn Milliarden „Alle Parteien haben einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz im Hotelgewerbe gefordert“ – Exklusiv-Interview mit dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Hartmut Koschyk, MdB Herr Koschyk, Sie sind jetzt gut 100 Tage in Ihrem neuen Amt als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Zu- vor, als Parlamentarischer Ge- schäftsführer der CSU-Landesgrup- pe im Bundestag, verkündeten Sie Frohbotschaften für die Wähler, nun als quasi rechte Hand von Finanz- minister Wolfgang Schäuble werden Sie eher dazu da sein, geplante Grausamkeiten als Notwendigkei- ten schönzureden. Vergnügungs- steuerpflichtig ist Ihr neuer Job si- cher nicht, oder? Koschyk: Auch als Parlamenta- rischer Geschäftsführer war ich ge- fordert, verantwortungsbewusste Politik für Deutschland durch die CSU-Landesgruppe in Berlin mit- zugestalten. Insofern ging es nie nur um Wohltaten, sondern es ging auch um das Bewältigen der größten Fi- nanz- und Wirtschaftskrise, die Deutschland nach dem Krieg erleb- te. Wie Sie wissen, stand die CSU mit in der Regierungsverantwor- tung und leistete ihren Beitrag zur Überwindung der Krise. Jetzt geht es darum, dass wir durch eine kluge Haushalts- und Finanzpolitik dafür sorgen, dass auch in den nächsten Jahren Deutschland erfolgreich aus der Krise herauskommt, dass wir die Rahmenbedingungen für die kommenden Herausforderungen schaffen, um so wieder stärkeres Wachstum und damit einen stabilen Arbeitsmarkt zu bekommen – alles Voraussetzungen für die Sicherung unserer Sozialsysteme. Mit den Steuererleichterungen dürfte aber vorerst einmal Schluss sein. Bundeskanzlerin Angela Mer- kel und Ihr Minister haben ja schon dunkle Andeutungen gemacht, dass der Gürtel künftig enger geschnallt werden muss. Auf was müssen wir uns einstellen? Und wann werden wir Näheres dazu erfahren? Koschyk: Wir haben ja auch für dieses Jahr umfangreiche Entlas- tungen für Unternehmen, Familien, aber auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf den Weg ge- bracht. Insgesamt greifen in diesem Jahr mit den Maßnahmen der alten Regierung, aber auch mit den So- fortmaßnahmen der jetzigen Koali- tion Entlastungen in einem Umfang von 20 Milliarden; der größte Bro- cken mit 4,6 Milliarden ist für die Familien. Wir korrigieren Schiefla- gen bei der Erbschaftsteuer, wir stützen die Bauern, das Handwerk und den Mittelstand, wir stabilisie- ren die Agentur für Arbeit und die gesetzliche Krankenversicherung. Und dann? Geht es dann flott wei- ter mit dem Schuldenmachen? Koschyk: Wir haben die Krise noch nicht endgültig überwunden. Deshalb werden wir auch in diesem Jahr eine sehr hohe Nettokreditauf- nahme haben, die jetzt im Haus- haltsentwurf mit 85,8 Milliarden angelegt ist, die wir aber noch im Haushaltsberatungsverfahren ab- senken werden. Mut macht uns da- bei, dass zum Beispiel im letzten Jahr die Nettokreditaufnahme mit 49,1 Milliarden veranschlagt war, aber wir zum Jahresende 2009 tat- sächlich nur 34,1 Milliarden an neu- en Schulden aufnehmen mussten. Das zeigt uns, dass der Schlüssel für die notwendige Konsolidierung des Haushalts Wachstum und Beschäf- tigung sind. Wenn wir wieder zu mehr Wachstum kommen, dann be- deutet das mehr Steueraufkommen und weniger Einnahmenverluste für die Sozialsysteme. Nach der nächs- ten Steuerschätzung im Mai werden wir uns darüber verständigen, wie der Haushalt 2011 und die mittel- fristige Finanzplanung zu gestalten sein werden. Erst dann werden wir überlegen, ob und wann weitere Steuererleichterungen möglich sein werden. Dann werden wir auch ent- scheiden, welche Maßnahmen für die Konsolidierung notwendig sind. Eins ist klar: Wir müssen im Etat des Jahres 2011 anfangen, das strukturelle Haushaltsdefizit abzu- bauen. Und da geht es um einen Einsparungsbedarf von jährlich et- wa zehn Milliarden. Allen ist klar, dass die Staatsver- schuldung ein unerträgliches Aus- maß angenommen hat. Es ist höchs- te Zeit, dass die Schuldenbremse zu greifen beginnt. Doch es ist halt leider auch so, dass jede Interessen- gruppe glaubt, das Sparen müsse zunächst bei den anderen beginnen. Wie wird Ihr Haus bei Kürzungen vorgehen? Mit der Rasenmäher-Me- thode oder unter Berücksichtigung von speziellen Notwendigkeiten? Koschyk: Die Union hat in der Regierungsverantwortung bereits mehrfach bewiesen, dass Konsoli- dierung und wachstumsorientierte Haushalts- und Finanzpolitik sich nicht widersprechen. Als wir im Jahr 1982 die Regierung übernom- men haben, haben wir durch eine kluge Steuerreform und Haushalts- konsolidierungspolitik erst durch Stoltenberg, dann durch Waigel dafür gesorgt, dass eine ununter- brochene Wachstumsphase uns ohne die Wiedervereinigung schon 1990 einen ausgeglichenen Haus- halt beschert hätte. Auch 2005 hat die unionsgeführte Regierung dafür gesorgt, dass wir 2006, 2007 und bis ins Jahr 2008 Wachstumsraten und einen starken Rückgang der Ar- beitslosigkeit auf teilweise unter drei Millionen hatten. Ohne das He- reinbrechen der Krise hätten wir schon für die Jahre 2010, 2011 die Chance auf einen ausgeglichenen Etat gehabt. Die Krise hat uns zu- rückgeworfen. In der Krise muss man Maßnahmen treffen, um die Auswirkungen abzufedern, um schnell wieder zu Wachstum zu kommen. Der eingeschlagene Weg zahlt sich aus. Aber jetzt müssen wir darüber sprechen, wo notwen- dige Konsolidierungsbeiträge aller Ressorts in allen Bereichen zu leis- ten sind. Das wissen die Ressort- chefs. Daher gehen wir davon aus, dass sie von sich aus bei der Aufstel- lung des Etats 2011 Einsparungs- notwendigkeiten bei sich sehen. Allenthalben wird die Forderung nach mehr Steuergerechtigkeit er- hoben. Wenn man die negativen Auswirkungen unseres derzeitigen Steuersystems sieht, dann ist das sehr wohl nachvollziehbar. Bei je- der Lohn- und Gehaltserhöhung schlägt der Fiskus voll zu. Vor allem die unteren und mittleren Einkom- mensgruppen sind von der Steuer- progression besonders stark betrof- fen. Gedenken Sie das im Rahmen einer Reform zu ändern und wenn ja, wie wollen Sie das ändern? Koschyk: Dem muss das Haupt- augenmerk aller Reformbemühun- gen gelten. Einen ersten Einstieg dazu haben wir ja schon im Kon- junkturprogramm II der alten Re- gierung geleistet. Das heißt: Bereits in diesem Jahr wird die kalte Pro- gression ein Stück weit abgebaut. Das wird zur Entlastung der unte- ren und mittleren Einkommen füh- ren. Es kann nicht sein, dass ein Vorarbeiter den Spitzensteuersatz zahlt. Hier werden wir bei zukünfti- gen Entlastungen ansetzen. Herr Koschyk, noch ein Wort zu der umstrittenen Mehrwersteuer- Erleichterung für das Hotelgewer- be. Die einen sehen darin einen ord- nungspolitischen Sündenfall, ande- re sprechen von reiner Klientelpoli- tik und nur wenige von Anpassung an getroffene EU-Beschlüsse. Wie stehen Sie dazu? Koschyk: Gerhard Schröder hat als Kanzler den Weg freigemacht für differenzierte Mehrwertsteuer- sätze gerade auch im Hotel- und Gastronomiebereich in Europa. Alle politischen Parteien haben dies in den letzten Jahren gefordert. CSU und FDP standen dabei an der Spit- ze, aber auch SPD und Grüne in Bayern, selbst die Linke haben ei- nen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Hotels und die Gastronomie ge- fordert. Das geschah im Hinblick auf die scharfe Wettbewerbssituati- on, da wir in 21 der 27 EU-Mit- gliedstaaten ermäßigte Mehrwertst- euersätze in diesem Bereich haben. Wir haben jetzt einen ersten Akzent gesetzt. Eine große Lösung für Ho- tels und Gastronomie war nicht fi- nanzierbar. Für Hotels haben wir die Absenkung auf sieben Prozent gemacht. Das ist verantwortbar. Und das ist notwendig, denn in al- len Staaten um uns herum haben wir niedrigere Mehrwertsteuersät- ze. Wir wollen, dass auch Urlaub in Deutschland gemacht wird, dass Kongresse und Tagungen nicht jen- seits der deutschen Grenzen, son- dern bei uns stattfinden. Und wir haben durch Rückmeldungen aus der Branche erfahren, dass die Ho- tels die Chance nutzen möchten, um mit attraktiverer Preisgestaltung und Modernisierungsmaßnahmen eine bessere Auslastung ihrer Häu- ser zu erzielen. Deshalb war dieser Schritt richtig. Alle haben ihn ge- fordert, wir haben ihn umgesetzt. Es ist scheinheilig, wenn die, die ihn früher gefordert haben, sich jetzt davon distanzieren. Mit Hartmut Koschyk sprach Fridolin M. Rüb. Sarkozy erwächst neuer Gegner: Freispruch stärkt Villepin Wende im Duell der beiden neogaullistischen Super-Egos – Ehemaliger Premier rüstet sich für Wahlkampf 2012 Von Hans-Hermann Nikolei, dpa N icolas Sarkozy wollte ihn „am Fleischerhaken aufhän- gen. Hartnäckig zerrte der französische Präsident seinen lang- jährigen Rivalen Dominique de Villepin vor Gericht, um ihn als An- stifter eines Verleumdungskom- plotts hinter Gitter zu bringen. Doch die Richter waren nicht bereit, Sar- kozy mit einem Schuldspruch zu sei- nem 55. Geburtstag ein Geschenk zu machen. Im Gegenteil: Sie sprachen Villepin in allen Punkten frei und ebneten ihm damit den Weg für sei- ne Kandidatur gegen Sarkozy bei der Präsidentenwahl 2012. Jetzt muss Sarkozy um seine Wie- derwahl bangen. Denn Villepin könnte ihm entscheidende Stimmen nehmen. Mit Grauen erinnert man sich im Élyséepalast an die Wahl 2002, als die Spaltung des linken Lagers dem Rechtsradikalen Jean- Marie Le Pen in die Stichwahl gegen Präsident Jacques Chirac verhalf. Nach Sarkozys Wahl zum Staats- chef 2007 schien Villepin politisch am Ende. Jetzt hat der Prozess, der ihn endgültig von der politischen Bühne schieben sollte, ihn ins Ren- nen zurückgebracht. Sarkozy ver- zichtete auf eine Berufung und sorg- te für mediales Gegenfeuer, indem er eine Konferenz über die ausufern- den Staatsdefizite eröffnete. Er habe bei dem Prozess nur ge- winnen können, sagte Villepin in ei- nem „imaginären Interviewder Sa- tirezeitung „Le Canard enchaî. „Werde ich verurteilt, bin ich ein Märtyrer. Werde ich reingewaschen, bin ich ein Held.Und er jubelt: „Bei der Präsidentenwahl 2012 rei- chen kleine zwei Prozent, um Sarko- zy zu versenken.Villepin soll diese ihm untergeschobenen Sätze privat tatsächlich geäußert haben. Der Rechtsgaullist Nicolas Du- pont-Aignan meint, der Prozess ha- be den Franzosen die Stärke und den Mut Villepins gezeigt. Villepin selbst jubelt: „Sarkozy wollte aus mir einen Unberührbaren machen. Das Gegenteil ist geschehen.Denn jetzt steht im ewigen Duell der bei- den neogaullistischen Super-Egos nicht mehr Sarkozy als Opfer des Verleumders Villepin dar, sondern der frühere Außen- und Premiermi- nister als Opfer der Verbissenheit Sarkozys. Villepin ist schon im Wahlkampf für 2012. Er organisiert Treffen und hat angeblich schon 8 000 Mitstrei- ter und mehr als 20 Abgeordnete hinter sich geschart. Als Organisatorin hat er die Ex- Ministerin Brigitte Girardin gewon- nen, die einst für Chirac Wahlkampf machte. Die Leute kämen „für den Kampf für mehr soziale Gerechtig- keit oder für ein unabhängiges Frankreich, das von Villepin bei sei- ner UN-Rede gegen den Irakkrieg verkörpert wurde, sagte Girardin der Nachrichtensite mediapart. Villepins feuriges Plädoyer in New York gegen die US-Kriegspläne ist den Franzosen als mutig und histo- risch im Gedächtnis geblieben. Der eigentliche „Clearstream- Skandalging in dem Prozess völlig unter. Am Anfang waren mit einer gefälschten Kontoliste Manager an- geschwärzt worden. Sarkozys Name kam erst später auf die Liste und machte sie für die Medien „sexy. Doch am Ende schaute alles nur auf Sarkozy. Und von den Angeklagten interessierte nur Villepin. Das könn- te sich mit einem Berufungsprozess ändern. Und der ist schon sicher. Der als Haupttäter zu drei Jahren Haft verurteilte Jean-Louis Gergo- rin will die Schmach nicht auf sich sitzen lassen. Er sei nicht so, wie im Urteil unterstellt, sagte der frühere Vizepräsident des Airbus-Konzerns EADS. „Ich habe meinem Land 34 Jahre gedient.Sarkozy äußerte sich am Ende verwundert über die Ver- schwörung. Er kenne „keinen der Verurteilten, erklärte er. „Und ich frage mich immer noch, was sie an- getrieben hat.Staatssekretär Koschyk. Ein Bild aus der Zeit, in der Sarkozy Innenminister unter Premier Villepin (l.) war.

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Freitag, 29. Januar 2010 REPORTAGE UND HINTERGRUND 7

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Koschyk: Einsparungsbedarf von jährlich zehn Milliarden„Alle Parteien haben einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz im Hotelgewerbe gefordert“ – Exklusiv-Interview

mit dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Hartmut Koschyk, MdBHerr Koschyk, Sie sind jetzt gut

100 Tage in Ihrem neuen Amt alsParlamentarischer Staatssekretärim Bundesfinanzministerium. Zu-vor, als Parlamentarischer Ge-schäftsführer der CSU-Landesgrup-pe im Bundestag, verkündeten SieFrohbotschaften für die Wähler, nunals quasi rechte Hand von Finanz-minister Wolfgang Schäuble werdenSie eher dazu da sein, geplanteGrausamkeiten als Notwendigkei-ten schönzureden. Vergnügungs-steuerpflichtig ist Ihr neuer Job si-cher nicht, oder?

Koschyk: Auch als Parlamenta-rischer Geschäftsführer war ich ge-fordert, verantwortungsbewusstePolitik für Deutschland durch dieCSU-Landesgruppe in Berlin mit-zugestalten. Insofern ging es nie nurum Wohltaten, sondern es ging auchum das Bewältigen der größten Fi-nanz- und Wirtschaftskrise, dieDeutschland nach dem Krieg erleb-te. Wie Sie wissen, stand die CSUmit in der Regierungsverantwor-tung und leistete ihren Beitrag zurÜberwindung der Krise. Jetzt gehtes darum, dass wir durch eine klugeHaushalts- und Finanzpolitik dafürsorgen, dass auch in den nächstenJahren Deutschland erfolgreich ausder Krise herauskommt, dass wirdie Rahmenbedingungen für diekommenden Herausforderungenschaffen, um so wieder stärkeresWachstum und damit einen stabilenArbeitsmarkt zu bekommen – allesVoraussetzungen für die Sicherungunserer Sozialsysteme.

Mit den Steuererleichterungendürfte aber vorerst einmal Schlusssein. Bundeskanzlerin Angela Mer-kel und Ihr Minister haben ja schondunkle Andeutungen gemacht, dassder Gürtel künftig enger geschnalltwerden muss. Auf was müssen wiruns einstellen? Und wann werdenwir Näheres dazu erfahren?

Koschyk: Wir haben ja auch fürdieses Jahr umfangreiche Entlas-tungen für Unternehmen, Familien,aber auch Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer auf den Weg ge-bracht. Insgesamt greifen in diesemJahr mit den Maßnahmen der altenRegierung, aber auch mit den So-fortmaßnahmen der jetzigen Koali-tion Entlastungen in einem Umfangvon 20 Milliarden; der größte Bro-cken mit 4,6 Milliarden ist für die

Familien. Wir korrigieren Schiefla-gen bei der Erbschaftsteuer, wirstützen die Bauern, das Handwerkund den Mittelstand, wir stabilisie-ren die Agentur für Arbeit und diegesetzliche Krankenversicherung.

Und dann? Geht es dann flott wei-ter mit dem Schuldenmachen?

Koschyk: Wir haben die Krisenoch nicht endgültig überwunden.Deshalb werden wir auch in diesemJahr eine sehr hohe Nettokreditauf-nahme haben, die jetzt im Haus-haltsentwurf mit 85,8 Milliardenangelegt ist, die wir aber noch imHaushaltsberatungsverfahren ab-senken werden. Mut macht uns da-bei, dass zum Beispiel im letztenJahr die Nettokreditaufnahme mit49,1 Milliarden veranschlagt war,aber wir zum Jahresende 2009 tat-sächlich nur 34,1 Milliarden an neu-en Schulden aufnehmen mussten.Das zeigt uns, dass der Schlüssel fürdie notwendige Konsolidierung desHaushalts Wachstum und Beschäf-tigung sind. Wenn wir wieder zu

mehr Wachstum kommen, dann be-deutet das mehr Steueraufkommenund weniger Einnahmenverluste fürdie Sozialsysteme. Nach der nächs-ten Steuerschätzung im Mai werdenwir uns darüber verständigen, wieder Haushalt 2011 und die mittel-fristige Finanzplanung zu gestaltensein werden. Erst dann werden wirüberlegen, ob und wann weitereSteuererleichterungen möglich seinwerden. Dann werden wir auch ent-scheiden, welche Maßnahmen fürdie Konsolidierung notwendig sind.Eins ist klar: Wir müssen im Etatdes Jahres 2011 anfangen, dasstrukturelle Haushaltsdefizit abzu-bauen. Und da geht es um einenEinsparungsbedarf von jährlich et-wa zehn Milliarden.

Allen ist klar, dass die Staatsver-schuldung ein unerträgliches Aus-maß angenommen hat. Es ist höchs-te Zeit, dass die Schuldenbremse zugreifen beginnt. Doch es ist haltleider auch so, dass jede Interessen-gruppe glaubt, das Sparen müssezunächst bei den anderen beginnen.Wie wird Ihr Haus bei Kürzungen

vorgehen? Mit der Rasenmäher-Me-thode oder unter Berücksichtigungvon speziellen Notwendigkeiten?

Koschyk: Die Union hat in derRegierungsverantwortung bereitsmehrfach bewiesen, dass Konsoli-dierung und wachstumsorientierteHaushalts- und Finanzpolitik sichnicht widersprechen. Als wir imJahr 1982 die Regierung übernom-men haben, haben wir durch einekluge Steuerreform und Haushalts-konsolidierungspolitik – erst durchStoltenberg, dann durch Waigel –dafür gesorgt, dass eine ununter-brochene Wachstumsphase uns –ohne die Wiedervereinigung – schon1990 einen ausgeglichenen Haus-halt beschert hätte. Auch 2005 hatdie unionsgeführte Regierung dafürgesorgt, dass wir 2006, 2007 und bisins Jahr 2008 Wachstumsraten undeinen starken Rückgang der Ar-beitslosigkeit auf teilweise unterdrei Millionen hatten. Ohne das He-reinbrechen der Krise hätten wirschon für die Jahre 2010, 2011 dieChance auf einen ausgeglichenenEtat gehabt. Die Krise hat uns zu-rückgeworfen. In der Krise mussman Maßnahmen treffen, um dieAuswirkungen abzufedern, umschnell wieder zu Wachstum zukommen. Der eingeschlagene Wegzahlt sich aus. Aber jetzt müssenwir darüber sprechen, wo notwen-dige Konsolidierungsbeiträge allerRessorts in allen Bereichen zu leis-ten sind. Das wissen die Ressort-chefs. Daher gehen wir davon aus,dass sie von sich aus bei der Aufstel-lung des Etats 2011 Einsparungs-notwendigkeiten bei sich sehen.

Allenthalben wird die Forderungnach mehr Steuergerechtigkeit er-hoben. Wenn man die negativenAuswirkungen unseres derzeitigenSteuersystems sieht, dann ist dassehr wohl nachvollziehbar. Bei je-der Lohn- und Gehaltserhöhungschlägt der Fiskus voll zu. Vor allemdie unteren und mittleren Einkom-mensgruppen sind von der Steuer-progression besonders stark betrof-fen. Gedenken Sie das im Rahmeneiner Reform zu ändern und wennja, wie wollen Sie das ändern?

Koschyk: Dem muss das Haupt-augenmerk aller Reformbemühun-gen gelten. Einen ersten Einstiegdazu haben wir ja schon im Kon-junkturprogramm II der alten Re-

gierung geleistet. Das heißt: Bereitsin diesem Jahr wird die kalte Pro-gression ein Stück weit abgebaut.Das wird zur Entlastung der unte-ren und mittleren Einkommen füh-ren. Es kann nicht sein, dass einVorarbeiter den Spitzensteuersatzzahlt. Hier werden wir bei zukünfti-gen Entlastungen ansetzen.

Herr Koschyk, noch ein Wort zuder umstrittenen Mehrwersteuer-Erleichterung für das Hotelgewer-be. Die einen sehen darin einen ord-nungspolitischen Sündenfall, ande-re sprechen von reiner Klientelpoli-tik und nur wenige von Anpassungan getroffene EU-Beschlüsse. Wiestehen Sie dazu?

Koschyk: Gerhard Schröder hatals Kanzler den Weg freigemachtfür differenzierte Mehrwertsteuer-sätze gerade auch im Hotel- undGastronomiebereich in Europa. Allepolitischen Parteien haben dies inden letzten Jahren gefordert. CSUund FDP standen dabei an der Spit-ze, aber auch SPD und Grüne inBayern, selbst die Linke haben ei-nen ermäßigten Mehrwertsteuersatzfür Hotels und die Gastronomie ge-fordert. Das geschah im Hinblickauf die scharfe Wettbewerbssituati-on, da wir in 21 der 27 EU-Mit-gliedstaaten ermäßigte Mehrwertst-euersätze in diesem Bereich haben.Wir haben jetzt einen ersten Akzentgesetzt. Eine große Lösung für Ho-tels und Gastronomie war nicht fi-nanzierbar. Für Hotels haben wirdie Absenkung auf sieben Prozentgemacht. Das ist verantwortbar.Und das ist notwendig, denn in al-len Staaten um uns herum habenwir niedrigere Mehrwertsteuersät-ze. Wir wollen, dass auch Urlaub inDeutschland gemacht wird, dassKongresse und Tagungen nicht jen-seits der deutschen Grenzen, son-dern bei uns stattfinden. Und wirhaben durch Rückmeldungen ausder Branche erfahren, dass die Ho-tels die Chance nutzen möchten, ummit attraktiverer Preisgestaltungund Modernisierungsmaßnahmeneine bessere Auslastung ihrer Häu-ser zu erzielen. Deshalb war dieserSchritt richtig. Alle haben ihn ge-fordert, wir haben ihn umgesetzt. Esist scheinheilig, wenn die, die ihnfrüher gefordert haben, sich jetztdavon distanzieren.

Mit Hartmut Koschyk sprachFridolin M. Rüb.

Sarkozy erwächst neuer Gegner: Freispruch stärkt VillepinWende im Duell der beiden neogaullistischen Super-Egos – Ehemaliger Premier rüstet sich für Wahlkampf 2012

Von Hans-Hermann Nikolei, dpa

Nicolas Sarkozy wollte ihn„am Fleischerhaken aufhän-gen“. Hartnäckig zerrte der

französische Präsident seinen lang-jährigen Rivalen Dominique deVillepin vor Gericht, um ihn als An-stifter eines Verleumdungskom-plotts hinter Gitter zu bringen. Dochdie Richter waren nicht bereit, Sar-kozy mit einem Schuldspruch zu sei-nem 55. Geburtstag ein Geschenk zumachen. Im Gegenteil: Sie sprachenVillepin in allen Punkten frei undebneten ihm damit den Weg für sei-ne Kandidatur gegen Sarkozy beider Präsidentenwahl 2012.

Jetzt muss Sarkozy um seine Wie-derwahl bangen. Denn Villepinkönnte ihm entscheidende Stimmennehmen. Mit Grauen erinnert mansich im Élyséepalast an die Wahl2002, als die Spaltung des linkenLagers dem Rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl gegenPräsident Jacques Chirac verhalf.Nach Sarkozys Wahl zum Staats-chef 2007 schien Villepin politischam Ende. Jetzt hat der Prozess, derihn endgültig von der politischenBühne schieben sollte, ihn ins Ren-nen zurückgebracht. Sarkozy ver-

zichtete auf eine Berufung und sorg-te für mediales Gegenfeuer, indemer eine Konferenz über die ausufern-den Staatsdefizite eröffnete.

Er habe bei dem Prozess nur ge-winnen können, sagte Villepin in ei-nem „imaginären Interview“ der Sa-tirezeitung „Le Canard enchaîné“.„Werde ich verurteilt, bin ich einMärtyrer. Werde ich reingewaschen,bin ich ein Held.“ Und er jubelt:„Bei der Präsidentenwahl 2012 rei-chen kleine zwei Prozent, um Sarko-zy zu versenken.“ Villepin soll dieseihm untergeschobenen Sätze privattatsächlich geäußert haben.

Der Rechtsgaullist Nicolas Du-pont-Aignan meint, der Prozess ha-be den Franzosen die Stärke undden Mut Villepins gezeigt. Villepinselbst jubelt: „Sarkozy wollte ausmir einen Unberührbaren machen.Das Gegenteil ist geschehen.“ Dennjetzt steht im ewigen Duell der bei-den neogaullistischen Super-Egosnicht mehr Sarkozy als Opfer desVerleumders Villepin dar, sondernder frühere Außen- und Premiermi-nister als Opfer der VerbissenheitSarkozys.

Villepin ist schon im Wahlkampffür 2012. Er organisiert Treffen undhat angeblich schon 8000 Mitstrei-

ter und mehr als 20 Abgeordnetehinter sich geschart.

Als Organisatorin hat er die Ex-Ministerin Brigitte Girardin gewon-

nen, die einst für Chirac Wahlkampfmachte. Die Leute kämen „für denKampf für mehr soziale Gerechtig-keit oder für ein unabhängiges

Frankreich, das von Villepin bei sei-ner UN-Rede gegen den Irakkriegverkörpert wurde“, sagte Girardinder Nachrichtensite mediapart.Villepins feuriges Plädoyer in NewYork gegen die US-Kriegspläne istden Franzosen als mutig und histo-risch im Gedächtnis geblieben.

Der eigentliche „Clearstream-Skandal“ ging in dem Prozess völligunter. Am Anfang waren mit einergefälschten Kontoliste Manager an-geschwärzt worden. Sarkozys Namekam erst später auf die Liste undmachte sie für die Medien „sexy“.Doch am Ende schaute alles nur aufSarkozy. Und von den Angeklagteninteressierte nur Villepin. Das könn-te sich mit einem Berufungsprozessändern. Und der ist schon sicher.Der als Haupttäter zu drei JahrenHaft verurteilte Jean-Louis Gergo-rin will die Schmach nicht auf sichsitzen lassen. Er sei nicht so, wie imUrteil unterstellt, sagte der frühereVizepräsident des Airbus-KonzernsEADS. „Ich habe meinem Land 34Jahre gedient.“ Sarkozy äußerte sicham Ende verwundert über die Ver-schwörung. Er kenne „keinen derVerurteilten“, erklärte er. „Und ichfrage mich immer noch, was sie an-getrieben hat.“

Staatssekretär Koschyk.

Ein Bild aus der Zeit, in der Sarkozy Innenminister unter Premier Villepin (l.) war.