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Freitag, 29. Januar 2010 REPORTAGE UND HINTERGRUND 7
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Koschyk: Einsparungsbedarf von jährlich zehn Milliarden„Alle Parteien haben einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz im Hotelgewerbe gefordert“ – Exklusiv-Interview
mit dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Hartmut Koschyk, MdBHerr Koschyk, Sie sind jetzt gut
100 Tage in Ihrem neuen Amt alsParlamentarischer Staatssekretärim Bundesfinanzministerium. Zu-vor, als Parlamentarischer Ge-schäftsführer der CSU-Landesgrup-pe im Bundestag, verkündeten SieFrohbotschaften für die Wähler, nunals quasi rechte Hand von Finanz-minister Wolfgang Schäuble werdenSie eher dazu da sein, geplanteGrausamkeiten als Notwendigkei-ten schönzureden. Vergnügungs-steuerpflichtig ist Ihr neuer Job si-cher nicht, oder?
Koschyk: Auch als Parlamenta-rischer Geschäftsführer war ich ge-fordert, verantwortungsbewusstePolitik für Deutschland durch dieCSU-Landesgruppe in Berlin mit-zugestalten. Insofern ging es nie nurum Wohltaten, sondern es ging auchum das Bewältigen der größten Fi-nanz- und Wirtschaftskrise, dieDeutschland nach dem Krieg erleb-te. Wie Sie wissen, stand die CSUmit in der Regierungsverantwor-tung und leistete ihren Beitrag zurÜberwindung der Krise. Jetzt gehtes darum, dass wir durch eine klugeHaushalts- und Finanzpolitik dafürsorgen, dass auch in den nächstenJahren Deutschland erfolgreich ausder Krise herauskommt, dass wirdie Rahmenbedingungen für diekommenden Herausforderungenschaffen, um so wieder stärkeresWachstum und damit einen stabilenArbeitsmarkt zu bekommen – allesVoraussetzungen für die Sicherungunserer Sozialsysteme.
Mit den Steuererleichterungendürfte aber vorerst einmal Schlusssein. Bundeskanzlerin Angela Mer-kel und Ihr Minister haben ja schondunkle Andeutungen gemacht, dassder Gürtel künftig enger geschnalltwerden muss. Auf was müssen wiruns einstellen? Und wann werdenwir Näheres dazu erfahren?
Koschyk: Wir haben ja auch fürdieses Jahr umfangreiche Entlas-tungen für Unternehmen, Familien,aber auch Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer auf den Weg ge-bracht. Insgesamt greifen in diesemJahr mit den Maßnahmen der altenRegierung, aber auch mit den So-fortmaßnahmen der jetzigen Koali-tion Entlastungen in einem Umfangvon 20 Milliarden; der größte Bro-cken mit 4,6 Milliarden ist für die
Familien. Wir korrigieren Schiefla-gen bei der Erbschaftsteuer, wirstützen die Bauern, das Handwerkund den Mittelstand, wir stabilisie-ren die Agentur für Arbeit und diegesetzliche Krankenversicherung.
Und dann? Geht es dann flott wei-ter mit dem Schuldenmachen?
Koschyk: Wir haben die Krisenoch nicht endgültig überwunden.Deshalb werden wir auch in diesemJahr eine sehr hohe Nettokreditauf-nahme haben, die jetzt im Haus-haltsentwurf mit 85,8 Milliardenangelegt ist, die wir aber noch imHaushaltsberatungsverfahren ab-senken werden. Mut macht uns da-bei, dass zum Beispiel im letztenJahr die Nettokreditaufnahme mit49,1 Milliarden veranschlagt war,aber wir zum Jahresende 2009 tat-sächlich nur 34,1 Milliarden an neu-en Schulden aufnehmen mussten.Das zeigt uns, dass der Schlüssel fürdie notwendige Konsolidierung desHaushalts Wachstum und Beschäf-tigung sind. Wenn wir wieder zu
mehr Wachstum kommen, dann be-deutet das mehr Steueraufkommenund weniger Einnahmenverluste fürdie Sozialsysteme. Nach der nächs-ten Steuerschätzung im Mai werdenwir uns darüber verständigen, wieder Haushalt 2011 und die mittel-fristige Finanzplanung zu gestaltensein werden. Erst dann werden wirüberlegen, ob und wann weitereSteuererleichterungen möglich seinwerden. Dann werden wir auch ent-scheiden, welche Maßnahmen fürdie Konsolidierung notwendig sind.Eins ist klar: Wir müssen im Etatdes Jahres 2011 anfangen, dasstrukturelle Haushaltsdefizit abzu-bauen. Und da geht es um einenEinsparungsbedarf von jährlich et-wa zehn Milliarden.
Allen ist klar, dass die Staatsver-schuldung ein unerträgliches Aus-maß angenommen hat. Es ist höchs-te Zeit, dass die Schuldenbremse zugreifen beginnt. Doch es ist haltleider auch so, dass jede Interessen-gruppe glaubt, das Sparen müssezunächst bei den anderen beginnen.Wie wird Ihr Haus bei Kürzungen
vorgehen? Mit der Rasenmäher-Me-thode oder unter Berücksichtigungvon speziellen Notwendigkeiten?
Koschyk: Die Union hat in derRegierungsverantwortung bereitsmehrfach bewiesen, dass Konsoli-dierung und wachstumsorientierteHaushalts- und Finanzpolitik sichnicht widersprechen. Als wir imJahr 1982 die Regierung übernom-men haben, haben wir durch einekluge Steuerreform und Haushalts-konsolidierungspolitik – erst durchStoltenberg, dann durch Waigel –dafür gesorgt, dass eine ununter-brochene Wachstumsphase uns –ohne die Wiedervereinigung – schon1990 einen ausgeglichenen Haus-halt beschert hätte. Auch 2005 hatdie unionsgeführte Regierung dafürgesorgt, dass wir 2006, 2007 und bisins Jahr 2008 Wachstumsraten undeinen starken Rückgang der Ar-beitslosigkeit auf teilweise unterdrei Millionen hatten. Ohne das He-reinbrechen der Krise hätten wirschon für die Jahre 2010, 2011 dieChance auf einen ausgeglichenenEtat gehabt. Die Krise hat uns zu-rückgeworfen. In der Krise mussman Maßnahmen treffen, um dieAuswirkungen abzufedern, umschnell wieder zu Wachstum zukommen. Der eingeschlagene Wegzahlt sich aus. Aber jetzt müssenwir darüber sprechen, wo notwen-dige Konsolidierungsbeiträge allerRessorts in allen Bereichen zu leis-ten sind. Das wissen die Ressort-chefs. Daher gehen wir davon aus,dass sie von sich aus bei der Aufstel-lung des Etats 2011 Einsparungs-notwendigkeiten bei sich sehen.
Allenthalben wird die Forderungnach mehr Steuergerechtigkeit er-hoben. Wenn man die negativenAuswirkungen unseres derzeitigenSteuersystems sieht, dann ist dassehr wohl nachvollziehbar. Bei je-der Lohn- und Gehaltserhöhungschlägt der Fiskus voll zu. Vor allemdie unteren und mittleren Einkom-mensgruppen sind von der Steuer-progression besonders stark betrof-fen. Gedenken Sie das im Rahmeneiner Reform zu ändern und wennja, wie wollen Sie das ändern?
Koschyk: Dem muss das Haupt-augenmerk aller Reformbemühun-gen gelten. Einen ersten Einstiegdazu haben wir ja schon im Kon-junkturprogramm II der alten Re-
gierung geleistet. Das heißt: Bereitsin diesem Jahr wird die kalte Pro-gression ein Stück weit abgebaut.Das wird zur Entlastung der unte-ren und mittleren Einkommen füh-ren. Es kann nicht sein, dass einVorarbeiter den Spitzensteuersatzzahlt. Hier werden wir bei zukünfti-gen Entlastungen ansetzen.
Herr Koschyk, noch ein Wort zuder umstrittenen Mehrwersteuer-Erleichterung für das Hotelgewer-be. Die einen sehen darin einen ord-nungspolitischen Sündenfall, ande-re sprechen von reiner Klientelpoli-tik und nur wenige von Anpassungan getroffene EU-Beschlüsse. Wiestehen Sie dazu?
Koschyk: Gerhard Schröder hatals Kanzler den Weg freigemachtfür differenzierte Mehrwertsteuer-sätze gerade auch im Hotel- undGastronomiebereich in Europa. Allepolitischen Parteien haben dies inden letzten Jahren gefordert. CSUund FDP standen dabei an der Spit-ze, aber auch SPD und Grüne inBayern, selbst die Linke haben ei-nen ermäßigten Mehrwertsteuersatzfür Hotels und die Gastronomie ge-fordert. Das geschah im Hinblickauf die scharfe Wettbewerbssituati-on, da wir in 21 der 27 EU-Mit-gliedstaaten ermäßigte Mehrwertst-euersätze in diesem Bereich haben.Wir haben jetzt einen ersten Akzentgesetzt. Eine große Lösung für Ho-tels und Gastronomie war nicht fi-nanzierbar. Für Hotels haben wirdie Absenkung auf sieben Prozentgemacht. Das ist verantwortbar.Und das ist notwendig, denn in al-len Staaten um uns herum habenwir niedrigere Mehrwertsteuersät-ze. Wir wollen, dass auch Urlaub inDeutschland gemacht wird, dassKongresse und Tagungen nicht jen-seits der deutschen Grenzen, son-dern bei uns stattfinden. Und wirhaben durch Rückmeldungen ausder Branche erfahren, dass die Ho-tels die Chance nutzen möchten, ummit attraktiverer Preisgestaltungund Modernisierungsmaßnahmeneine bessere Auslastung ihrer Häu-ser zu erzielen. Deshalb war dieserSchritt richtig. Alle haben ihn ge-fordert, wir haben ihn umgesetzt. Esist scheinheilig, wenn die, die ihnfrüher gefordert haben, sich jetztdavon distanzieren.
Mit Hartmut Koschyk sprachFridolin M. Rüb.
Sarkozy erwächst neuer Gegner: Freispruch stärkt VillepinWende im Duell der beiden neogaullistischen Super-Egos – Ehemaliger Premier rüstet sich für Wahlkampf 2012
Von Hans-Hermann Nikolei, dpa
Nicolas Sarkozy wollte ihn„am Fleischerhaken aufhän-gen“. Hartnäckig zerrte der
französische Präsident seinen lang-jährigen Rivalen Dominique deVillepin vor Gericht, um ihn als An-stifter eines Verleumdungskom-plotts hinter Gitter zu bringen. Dochdie Richter waren nicht bereit, Sar-kozy mit einem Schuldspruch zu sei-nem 55. Geburtstag ein Geschenk zumachen. Im Gegenteil: Sie sprachenVillepin in allen Punkten frei undebneten ihm damit den Weg für sei-ne Kandidatur gegen Sarkozy beider Präsidentenwahl 2012.
Jetzt muss Sarkozy um seine Wie-derwahl bangen. Denn Villepinkönnte ihm entscheidende Stimmennehmen. Mit Grauen erinnert mansich im Élyséepalast an die Wahl2002, als die Spaltung des linkenLagers dem Rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl gegenPräsident Jacques Chirac verhalf.Nach Sarkozys Wahl zum Staats-chef 2007 schien Villepin politischam Ende. Jetzt hat der Prozess, derihn endgültig von der politischenBühne schieben sollte, ihn ins Ren-nen zurückgebracht. Sarkozy ver-
zichtete auf eine Berufung und sorg-te für mediales Gegenfeuer, indemer eine Konferenz über die ausufern-den Staatsdefizite eröffnete.
Er habe bei dem Prozess nur ge-winnen können, sagte Villepin in ei-nem „imaginären Interview“ der Sa-tirezeitung „Le Canard enchaîné“.„Werde ich verurteilt, bin ich einMärtyrer. Werde ich reingewaschen,bin ich ein Held.“ Und er jubelt:„Bei der Präsidentenwahl 2012 rei-chen kleine zwei Prozent, um Sarko-zy zu versenken.“ Villepin soll dieseihm untergeschobenen Sätze privattatsächlich geäußert haben.
Der Rechtsgaullist Nicolas Du-pont-Aignan meint, der Prozess ha-be den Franzosen die Stärke undden Mut Villepins gezeigt. Villepinselbst jubelt: „Sarkozy wollte ausmir einen Unberührbaren machen.Das Gegenteil ist geschehen.“ Dennjetzt steht im ewigen Duell der bei-den neogaullistischen Super-Egosnicht mehr Sarkozy als Opfer desVerleumders Villepin dar, sondernder frühere Außen- und Premiermi-nister als Opfer der VerbissenheitSarkozys.
Villepin ist schon im Wahlkampffür 2012. Er organisiert Treffen undhat angeblich schon 8000 Mitstrei-
ter und mehr als 20 Abgeordnetehinter sich geschart.
Als Organisatorin hat er die Ex-Ministerin Brigitte Girardin gewon-
nen, die einst für Chirac Wahlkampfmachte. Die Leute kämen „für denKampf für mehr soziale Gerechtig-keit oder für ein unabhängiges
Frankreich, das von Villepin bei sei-ner UN-Rede gegen den Irakkriegverkörpert wurde“, sagte Girardinder Nachrichtensite mediapart.Villepins feuriges Plädoyer in NewYork gegen die US-Kriegspläne istden Franzosen als mutig und histo-risch im Gedächtnis geblieben.
Der eigentliche „Clearstream-Skandal“ ging in dem Prozess völligunter. Am Anfang waren mit einergefälschten Kontoliste Manager an-geschwärzt worden. Sarkozys Namekam erst später auf die Liste undmachte sie für die Medien „sexy“.Doch am Ende schaute alles nur aufSarkozy. Und von den Angeklagteninteressierte nur Villepin. Das könn-te sich mit einem Berufungsprozessändern. Und der ist schon sicher.Der als Haupttäter zu drei JahrenHaft verurteilte Jean-Louis Gergo-rin will die Schmach nicht auf sichsitzen lassen. Er sei nicht so, wie imUrteil unterstellt, sagte der frühereVizepräsident des Airbus-KonzernsEADS. „Ich habe meinem Land 34Jahre gedient.“ Sarkozy äußerte sicham Ende verwundert über die Ver-schwörung. Er kenne „keinen derVerurteilten“, erklärte er. „Und ichfrage mich immer noch, was sie an-getrieben hat.“
Staatssekretär Koschyk.
Ein Bild aus der Zeit, in der Sarkozy Innenminister unter Premier Villepin (l.) war.