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Seite 1 Rudolf Benario und Ernst Goldmann am 12. April 1933 in Dachau ermordet Am 12. April 1933 wurden die Fürther Rudolf Benario und Ernst Goldmann nach bestialischen Misshandlungen von den Nazis ermordet. Mit ihnen starben Arthur Kahn aus Würzburg und Erwin Kahn aus München. Sie waren die er- sten von 41.500 in Dachau ermordeten Häftlingen. Bürgermeister Heinrich Stranka wandte sich am 3. März 1983 an das Fürther Stadtarchiv: Er wünschte genauere In- formationen über das Schicksal der beiden ermordeten Fürther. 1 Anlaß waren der bevorstehende 50. Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten und die wiederholten Initiativen des DKP-Stadtrates Werner Riedel, sich die- ser beiden Antifaschisten endlich in würdiger Form zu erinnern. Die Antwort des Stadtarchivs war kurz und bündig: „…es ist praktisch aussichtslos aufgrund unseres Materials Näheres über Dr. Rudolf Benario und Ernst Goldmann, die 1933 in KZ Dachau ‚auf der Flucht erschossen wurden’ herauszufinden.“ 2 Doch zahlreiche Quellen, Dokumente und Publikationen belegten da schon lange die Morde. Erste Hinweise wur- den bereits 1933/34 in der Exilliteratur publiziert. 3 Im Archiv des Konzentrationslagers Dachau befanden sich Ver- nehmungsprotokolle von Zeugen der Morde. 1933 und 1948 legten die bayerischen Justizbehörden umfangreiche Ermittlungsakten an, die 1983 zugänglich waren. Es gab Hinweise im Standardwerk des Münchner Instituts für Zeit- geschichte „Bayern in der NS Zeit“ und im Staatsarchiv Nürnberg waren die Auswanderungsakten der Angehörigen und Akten über die politische Tätigkeit der beiden Opfer zu finden. Dennoch stießen die zahlreichen Initiativen und Bemühungen von Freunden Rudolf Benarios und Ernst Goldmanns, der Kommunistischen Partei und ehemaliger Widerstandskämpfer um eine angemessene Erinnerung bei den Offiziellen der Stadt Fürth lange Jahre auf taube Ohren. Das widerspiegelt die gesamte Rezeptionsgeschichte des Gedenkens an die beiden ersten von den Nazis ermordeten Fürther. Weil sie Kommunisten waren, hat man versucht, sie bis weit in die 80er Jahre zu verschweigen. Das wurde von der Auskunft des Leiters des Fürther Stadtarchivs, Dr. Richter, noch überboten. Auf die Anfrage eines Verwand- ten Ernst Goldmanns schrieb er noch am 7.12.1993: „…Heute können wir Ihnen mitteilen, daß Ernst Jakob Goldmann am 20.12.1908 in Fürth geboren wurde und am 23.06.1927 in Bad Kissingen verstorben ist….“ 4 Am 12. April 1983, dem 50. Jahrestag der Ermordung, erschien in den Fürther Nachrichten unter dem Titel „Da hörten wir Gewehrschüsse“, eine erste große öffentliche Würdigung Rudolf Benarios und Ernst Goldmanns. 5 Eine zuneh- mende öffentliche Diskussion führte am 5. Oktober 2007 zu einer Gedenktafel an der Uferpromenade. Schließlich benannte der Fürther Stadtrat im Jahr 2013, zwei Strassen nach den ersten Opfern der Nazis in einem Konzentrati- onslager. 6 Es gibt aber auch Versuche, die Opfer – wenn sie schon nicht mehr zu verschweigen sind – zu vereinnahmen: Auf einer Gedenkstele der Nürnberger SPD vor dem Karl Bröger Haus werden Rudolf Benario seit 2011 wie auch der Nürnberger Kommunist Erich Ganss, zu Sozialdemokraten umgedeutet: „Es sind Menschen wie Dr. Rudolf Benario, der als jüdisches SPD-Mitglied schon im März in Dachau erschlagen wurde…“ schreibt der ,SPD Historiker’ Bruno Heinlein ungeniert und in völliger Unkenntnis der eigenen Parteigeschichte. 7 Nach jahrzehntelanger Verleugnung der kom- munistischen Widerstandskämpfer, ein infamer Versuch, sie für die „Ergänzung“ der SPD Widerstandsgeschichte zu instrumentalisieren. Rudolf Benario Am 20. September 1908 kam Rudolf Benario in Frankfurt/ Main zur Welt. Seine Eltern, der Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Zeitung, Leo Benario und Maria Benario, geb. Bing, gehörten zum gehobenen, in die Gesellschaft inte- grierten jüdischen Bürgertum. Mit der Übernahme der Leitung des Instituts für Zeitungskunde durch den Vater zog die Familie nach Nürnberg. Leo Benario war auch Dozent an der Handelsschule. 1912 wurde Rudolfs Schwester Irene in Nürnberg geboren. Im Dezember 1930 zog die Familie nach Fürth in die Moststr. 35. Zunächst besuchte Rudolf das „Alte Gymnasium“ in Nürnberg, im Mai 1923 wechselte er an das „Gymnasium Carolinum“ in Ansbach. Nach dem Abitur 1927 studierte er Sozialwissenschaften und Jura an den Universitäten Würzburg, Berlin und Erlangen. Im Wintersemester 1929/30 legte er in Erlangen sein Examen zum Diplom-Volkswirt ab. Er promovierte in Erlangen über „Wirtschaftsräte in der deutschen Literatur und Gesetzgebung der Jahre 1840 bis 1849“. Zwei Tage vor der Macht- übergabe Hindenburgs an die Nazis, am 28. Januar 1933, wurde ihm der Doktortitel für Staatswissenschaften mit der Note ‚sehr gut’ verliehen. 8 An der Universität Erlangen arbeitete er ab 1927 in der ‚Arbeitsgemeinschaft Republika- nischer Studenten’ als Schriftführer mit. Am 15. Januar 1930 kommt es in einer Sitzung des Allgemeinen Studenten Ausschußes (ASTA) zu einem Eklat. Die Vertreter der NS-Studenten verlassen die Sitzung, weil Rudolf Benario „…ein schädigendes Verhalten an den Tag legt …“. 9 Bereits vorher waren Aushänge der ‚Republikanischen Studenten’ mit

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Rudolf Benario und Ernst Goldmann am 12. April 1933 in Dachau ermordet

Am 12. April 1933 wurden die Fürther Rudolf Benario und Ernst Goldmann nach bestialischen Misshandlungen von den Nazis ermordet. Mit ihnen starben Arthur Kahn aus Würzburg und Erwin Kahn aus München. Sie waren die er-sten von 41.500 in Dachau ermordeten Häftlingen.

Bürgermeister Heinrich Stranka wandte sich am 3. März 1983 an das Fürther Stadtarchiv: Er wünschte genauere In-formationen über das Schicksal der beiden ermordeten Fürther.1 Anlaß waren der bevorstehende 50. Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten und die wiederholten Initiativen des DKP-Stadtrates Werner Riedel, sich die-ser beiden Antifaschisten endlich in würdiger Form zu erinnern. Die Antwort des Stadtarchivs war kurz und bündig: „…es ist praktisch aussichtslos aufgrund unseres Materials Näheres über Dr. Rudolf Benario und Ernst Goldmann, die 1933 in KZ Dachau ‚auf der Flucht erschossen wurden’ herauszufinden.“2

Doch zahlreiche Quellen, Dokumente und Publikationen belegten da schon lange die Morde. Erste Hinweise wur-den bereits 1933/34 in der Exilliteratur publiziert.3 Im Archiv des Konzentrationslagers Dachau befanden sich Ver-nehmungsprotokolle von Zeugen der Morde. 1933 und 1948 legten die bayerischen Justizbehörden umfangreiche Ermittlungsakten an, die 1983 zugänglich waren. Es gab Hinweise im Standardwerk des Münchner Instituts für Zeit-geschichte „Bayern in der NS Zeit“ und im Staatsarchiv Nürnberg waren die Auswanderungsakten der Angehörigen und Akten über die politische Tätigkeit der beiden Opfer zu finden. Dennoch stießen die zahlreichen Initiativen und Bemühungen von Freunden Rudolf Benarios und Ernst Goldmanns, der Kommunistischen Partei und ehemaliger Widerstandskämpfer um eine angemessene Erinnerung bei den Offiziellen der Stadt Fürth lange Jahre auf taube Ohren.

Das widerspiegelt die gesamte Rezeptionsgeschichte des Gedenkens an die beiden ersten von den Nazis ermordeten Fürther. Weil sie Kommunisten waren, hat man versucht, sie bis weit in die 80er Jahre zu verschweigen. Das wurde von der Auskunft des Leiters des Fürther Stadtarchivs, Dr. Richter, noch überboten. Auf die Anfrage eines Verwand-ten Ernst Goldmanns schrieb er noch am 7.12.1993: „…Heute können wir Ihnen mitteilen, daß Ernst Jakob Goldmann am 20.12.1908 in Fürth geboren wurde und am 23.06.1927 in Bad Kissingen verstorben ist….“4

Am 12. April 1983, dem 50. Jahrestag der Ermordung, erschien in den Fürther Nachrichten unter dem Titel „Da hörten wir Gewehrschüsse“, eine erste große öffentliche Würdigung Rudolf Benarios und Ernst Goldmanns.5 Eine zuneh-mende öffentliche Diskussion führte am 5. Oktober 2007 zu einer Gedenktafel an der Uferpromenade. Schließlich benannte der Fürther Stadtrat im Jahr 2013, zwei Strassen nach den ersten Opfern der Nazis in einem Konzentrati-onslager.6

Es gibt aber auch Versuche, die Opfer – wenn sie schon nicht mehr zu verschweigen sind – zu vereinnahmen: Auf einer Gedenkstele der Nürnberger SPD vor dem Karl Bröger Haus werden Rudolf Benario seit 2011 wie auch der Nürnberger Kommunist Erich Ganss, zu Sozialdemokraten umgedeutet: „Es sind Menschen wie Dr. Rudolf Benario, der als jüdisches SPD-Mitglied schon im März in Dachau erschlagen wurde…“ schreibt der ,SPD Historiker’ Bruno Heinlein ungeniert und in völliger Unkenntnis der eigenen Parteigeschichte.7 Nach jahrzehntelanger Verleugnung der kom-munistischen Widerstandskämpfer, ein infamer Versuch, sie für die „Ergänzung“ der SPD Widerstandsgeschichte zu instrumentalisieren.

Rudolf Benario

Am 20. September 1908 kam Rudolf Benario in Frankfurt/ Main zur Welt. Seine Eltern, der Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Zeitung, Leo Benario und Maria Benario, geb. Bing, gehörten zum gehobenen, in die Gesellschaft inte-grierten jüdischen Bürgertum. Mit der Übernahme der Leitung des Instituts für Zeitungskunde durch den Vater zog die Familie nach Nürnberg. Leo Benario war auch Dozent an der Handelsschule. 1912 wurde Rudolfs Schwester Irene in Nürnberg geboren. Im Dezember 1930 zog die Familie nach Fürth in die Moststr. 35. Zunächst besuchte Rudolf das „Alte Gymnasium“ in Nürnberg, im Mai 1923 wechselte er an das „Gymnasium Carolinum“ in Ansbach. Nach dem Abitur 1927 studierte er Sozialwissenschaften und Jura an den Universitäten Würzburg, Berlin und Erlangen. Im Wintersemester 1929/30 legte er in Erlangen sein Examen zum Diplom-Volkswirt ab. Er promovierte in Erlangen über „Wirtschaftsräte in der deutschen Literatur und Gesetzgebung der Jahre 1840 bis 1849“. Zwei Tage vor der Macht-übergabe Hindenburgs an die Nazis, am 28. Januar 1933, wurde ihm der Doktortitel für Staatswissenschaften mit der Note ‚sehr gut’ verliehen.8 An der Universität Erlangen arbeitete er ab 1927 in der ‚Arbeitsgemeinschaft Republika-nischer Studenten’ als Schriftführer mit. Am 15. Januar 1930 kommt es in einer Sitzung des Allgemeinen Studenten Ausschußes (ASTA) zu einem Eklat. Die Vertreter der NS-Studenten verlassen die Sitzung, weil Rudolf Benario „…ein schädigendes Verhalten an den Tag legt…“.9 Bereits vorher waren Aushänge der ‚Republikanischen Studenten’ mit

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dem Schimpfwort „Judenknechte“ beschmiert worden. Das Verhalten der Nationalsozialisten wurde von den Vertretern al-ler anderen Studentengruppen „…vollkommen gebilligt“.10

Bei der Reichstagswahl 1930 gewann die NSDAP 95, die SPD verlor 10 und die KPD gewann 23 Mandate. Der SPD-Partei-vorstand sah in den Jungsozialisten, die den Panzerkreuzerbau und den Schmusekurs mit der Brüning-Regierung scharf verur-teilt hatten, die Schuldigen am Wahldebakel. Deshalb löste er im Juni 1931 die Organisation der Jusos auf.11

Im gleichen Monat, während einer Veranstaltung der Fürther KPD mit Jakob Boulanger und Anton Hausladen im Geis-mannsaal, gab Rudolf Benario öffentlich seinen Übertritt von den Jungsozialisten zur KPD bekannt.12 Als Vorsitzender der Fürther Jusos hatte er zu den Gruppenabenden Kommunisten eingeladen, um gegen den Opportunismus der SPD gemein-sam vorzugehen. Die Fürther SPD-Spitze reagierte äußerst ge-reizt und drohte mit dem Parteiausschluß.13 Dem kam Rudolf Benario zuvor. Er wurde zusammen mit drei anderen Jungso-zialisten Mitglied der KPD. In einem Artikel ihres Hausblattes, der „Fränkischen Tagespost“, beschimpfte die SPD-Spitze Ben-ario auf äußerst rüde Art, die sich nur wenig von den späteren Hasstiraden der Nazis unterschied.14 Der Grund: So viele Jung-sozialisten waren zur KPD übergetreten, daß das sogar die po-litische Polizei registrierte. Unter ihnen war auch der Journalist des SPD-Blattes Heinrich Heilbrunn15, ein Sohn des Fürther Arztes, Bertold Heilbrunn.

Der Rektor der Erlanger Universität denunzierte Rudolf Benario am 12. Dezember 1932 beim Bayerischen Staatsmi-nisterium für Unterricht und Kultus als ‚kommunistischen Agitator’: „…von einzelnen Studierenden ist ein früherer stud. rer. pol. Benario zu erwähnen, der nach einer kürzlich mir zur vertraulichen Kenntnisnahme zugegangenen Feststellung der politischen Polizei zeitweilig mit kommunistischer Agitation sich befasst hat…“.16 Die ‚vertraulichen Informationen’ des Rektors stammten nicht nur von der Fürther Polizei. Schon im Oktober 1931 war Rudolf Benario vom Fürther Amtsgericht wegen Verstoßes gegen den §3 der Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen zu einer

Geldstrafe von 80 RM verurteilt worden, weil er am 17. Juli 1931 an einer Erwerbs-losendemonstration der KPD teilgenom-men hatte. Ihm wurde vorgeworfen, die Demonstration geleitet und Sprechchö-re organisiert zu haben. Als erschwerend sah das Gericht, daß sich der Student zur kommunistischen Partei bekannte.17

Aktives Mitglied war Rudolf Benario auch im 1927 von Kommunisten gegründeten Fürther Kanuklub. Der Klub, Mitglied im „Arbeiter Turn- und Sportbund“ (ATB), verstand sich als Gegenbewegung zur nationalistischen „Deutschen Turner-schaft“, die keine Arbeiter und Juden in ihren Reihen duldete, lange vor dem 30. Januar 1933.

Ernst Goldmann

Ernst Goldmann wurde am 20. Dezem-ber 1908 in Fürth geboren. Seine Eltern

Siegfried und Meta Goldmann geb. Seliger besaßen ein Schuhgeschäft in der Schwabacher Straße. 1910 kamen die Schwester Ida und 1912 der Bruder Carl zur Welt. Bereits im Jahr 1907 war Anny Dietz, eine uneheliche Tochter von Siegfried Goldmanns und Berta Dietz, in Bamberg geboren.

Fränkische Tagespost“ vom 13.6.1931 (StAF)

Dr. Rudolf Benario 1930 (Foto: Sammlung Michael Schneeberger)

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Laut Jahresbericht der „Israelitischen Realschule Fürth“ für das Schuljahr 1916/17 war Ernst Goldmann Schüler der 2.Klasse der Vorschule.18 Anschließend besuchte er zwei Jahre lang das humanistische Gymnasium (heute Heinrich Schliemann Gymnasium). Es kam zu einem Zerwürfnis mit den Eltern, dessen Ursache nicht bekannt ist.19 Er wurde Kaufmann und wohnte in der Schwabacher Straße 31. Auch er war seit 1927 im Fürther Kanuklub aktiv.

Am 19. Oktober 1931 verhaftete die Polizei Ernst Goldmann bei einer Versammlung der KPD gegen den § 218 in der Wirtschaft „Goldenes Lamm“ mit dem Vorwurf der Teilnahme an einer verbotenen politischen Versammlung. Er und 29 weitere Teilnehmer wurden beschuldigt, gegen die Verordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6. Oktober 1931 verstoßen zu haben. Im Vernehmungsprotokoll notierte die Polizei zur Person: „ledig, bayerischer Staatsbürger, israelitisch, vermögens- und erwerbslos, kein Einkommen“.20. Ernst Goldmann: „Ich habe durch kommunistische Genossen erfahren, daß die fragliche Versammlung statt findet. Nachdem ich Mitglied der KPD bin und mich für den § 218 interessiere, habe ich an der Versammlung teilgenommen, um so mehr dies den kommunistischen Ideen entspricht.“.21 Im Prozeß am 23. Mai 1932 vor dem Amtsgericht Fürth versuchte er, die in einem anderen Verfah-ren zu 3 Monaten Gefängnis verurteilte Hedwig Laufer zu entlasten und beschuldigte die Polizei der Beweismittel-manipulation.22 Am 28. Mai 1932 wurden alle Angeklagten mangels Beweises freigesprochen. Allerdings waren sie jetzt in den Dossiers der Polizei als „politische Unruhestifter und kommunistische Aufwiegler“ erfaßt.

Auszug aus dem Urteil über Rudolf Benario des Amtsgerichts Fürth vom 12.10.1931 (Sammlung Schneeberger)

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Strafbefehl für Ernst Goldmann 1931 (STANU Ref. 935/I/V Strafverfahren Amtsgericht Fürth Nr. 20)

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Regelmäßig publizierte er Artikel in der kommunistischen Stadtzeitung „Rotes Signal“, Unter der Überschrift „Fa-schistische Erziehungsmethoden“ deckte er 1932 die Prügel-Exzesse von vier Fürther Hauptschullehrern auf, die der Nazi-Partei angehörten. Der Fürther Amtsrichter Bub sah darin: „…Die vergiftende Hetze gegen die Jugendbildner und der staatsfeindliche Versuch, die Autorität der Schule, der Pflanzstätte eines echten Deutschtums, zu untergraben…“.23

SA und Polizei nutzten die vom demokratischen Staat in Auftrag gegebenen Listen für die Verhaftungswellen, die wenige Monate später folgten. Rudolf Benario und Ernst Goldmann wurden am 10. März 1933 verhaftet und am 11. April aus dem Fürther Notgefängnis in der Turnstraße nach Dachau gebracht.

Am 13. April 1933 schickt der Vater Rudolf Benarios ein Paket nach Dachau. Er ahnt nicht, daß man den Sohn schon ermordet hat. (Sammlung Michael Schneeberger)

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Die Misshandlungen und die Morde in Dachau

Über die folgenden Ereignisse in Dachau existieren eine Reihe von Zeugenaussagen, mit denen sich die Misshandlun-gen und Morde rekonstruieren lassen. Sofort nach ihrer Ankunft wurden die Häftlinge von der SS, die am gleichen Tag das Kommando über das Lager von der Landespolizei übernommen hatte, schwer misshandelt. Der SS-Mann Hans Steinbrenner sagte dazu 1948 aus, daß schon bei der Ankunft im Lager die Häftlinge 25 Schläge mit dem Ochsenziemer bekamen.24 In der darauf folgenden Nacht stürmten vier betrunkene SS-Männer unter der Führung Steinbrenners ge-gen 3 Uhr in die Unterkunft, schossen wahllos in die Stube und ließen die Gefangenen unter wüsten Beschimpfungen zum Zählappell antreten. Am Morgen des 12. April 1933 wurden die jüdischen Häftlinge Rudolf Benario und Ernst Gold-

mann aus Fürth, Arthur Kahn und der KPD-Funktionär Willi Gesell aus Nürn-berg von Steinbrenner unter ständigen Prügeln mit 30 anderen Häftlingen zu körperlich schwerer Arbeit gezwungen. Am Nachmittag kam noch Erwin Kahn aus München dazu.25

Über die Misshandlungen gibt Ludwig Scharnagel aus Nürnberg zu Protokoll: „Am Tag meiner Einweisung wurden aus dem Block II/1, dem ich zugeteilt war, die Juden Benario, Kahn I, Kahn II und Gold-mann durch den SS-Mann Steinbrenner, der gleichzeitig unser Blockführer war, herausgeholt. Die vier vorgenannten Per-sonen mußten den vor dem Block befindli-chen Müllkasten leeren. Dabei wurden sie von Steinbrenner, der die Aufsicht über die Arbeit führte, fürchterlich mit dem Och-

senziemer geschlagen. Steinbrenner schlug hierbei wahllos auf die Juden ein...Ich arbeitete dann mit den vier vorgenann-ten Personen zusammen und erhielt auch mit ihnen Schläge durch Steinbrenner und andere SS-Leute. Während dieser Zeit habe ich dann beobachtet, wie Steinbrenner die Juden solange schlug, bis sie zusammenbrachen. Die Juden bluteten aus Mund, Nase und anderen Körperteilen...“.26

Ludwig Schmidt aus Nürnberg über die Morde: „Am 12.4.1933 kam abends nach dem Appell Steinbrenner in die Baracke 2, Stube 1 und holte die Häftlinge Benario, Kahn I und II und Goldmann ab. Sie mußten Spaten mitnehmen und ich sah wie Steinbrenner mit den Häftlingen abmarschierte. Die Gruppe marschierte in Richtung Ausgang auf das Jourhaus zu. Nach kurzer Zeit hörte ich mehrere Schüsse aus der Richtung, wo kurz vorher Steinbrenner mit den vorgenannten Häftlingen hingegangen war. Ich vermutete sofort, daß bei diesen Schüssen die vorgenannten Häftlinge das Leben lassen mußten...Die genannten Personen kehrten von diesem Augenblick nicht mehr in ihre Baracke zurück.“27

Die SS-Männer Hans Brunner, Max Schmidt und der SS-Sturmführer Robert Erspenmüller führten die vier Häftlinge tiefer in den Wald und eröffneten aus ihren Pistolen das Feuer. Rudolf Benario, Ernst Goldmann und Arthur Kahn starben an Ort und Stelle. Erwin Kahn überlebte den Anschlag mit lebensgefährlichen Verletzungen. Er starb er vier Tage später unter nie ganz geklärten Umständen in einem Münchner Krankenhaus.

In allen bayerischen Zeitungen wurden die Morde als Fluchtversuch verfälscht: „3 Kommunisten bei einem Fluchtver-such aus dem Dachauer Konzentrationslager erschossen“.28

Noch ermittelte die Münchner Staatsanwaltschaft

In der ersten Phase nach der Gleichschaltung Bayerns am 8. März 1933 durch die Hitler-Faschisten war die bayerische Justiz noch nicht durch normative Vorschriften eingeschränkt.29 Am 13. April 1933 nahmen die Staatsanwälte Carl Wintersberger und Josef Michael Hartinger beim Münchner Landgericht II die Ermittlungen auf und entsandten eine Untersuchungskommission nach Dachau. Der Gerichtsmediziner der Kommission stellte fest, daß der Zustand der Leichen mit den Angaben der Wachposten über den Hergang der Tat übereinstimmte. Angeblich konnte die Tötungsabsicht nicht nachgewiesen werden und die Ermittlungen wurden eingestellt. Später verschwanden diese, wie auch die Ermittlungsakten weiterer Morde in Dachau, auf Weisung Heinrich Himmlers.

Am 6. Dezember 1933 gab Hans Frank, bayerischer Justizminister und später berüchtigter Gauleiter in Polen, die neue Linie für Justiz und Polizei vor: „Das Lager Dachau ist ein Lager für Schutzhaftgefangene, die aus politischen Grün-den festgenommen wurden. Die in Frage stehenden Vorgänge sind politischer Natur und müssen unter allen Umständen

Fürther Anzeiger vom 13.4.1933 (STAF)

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zunächst von den politischen Stellen entschieden werden. Sie scheinen mir für eine Behandlung durch die Justizbehörden vorerst nicht geeignet. Das ist meine Ansicht als Stabschef und als Reichsminister, der ein Interesse daran hat, daß das Reich nicht politisch durch die in Frage stehenden Verfahren geschädigt wird. Ich werde durch den Reichsführer SS anordnen lassen, daß zunächst irgendwelche Untersuchungsbehörden das Lager nicht betreten dürfen und auch Angehörige des Lagers zunächst nicht einvernommen werden dürfen.“ 30

Anmerkungen

1 StAF: Biographische Sammlung Ernst Goldmann Heinrich Stranka Briefwechsel 2 a.a.O. hier Brief des Stadtarchivs vom 14.3.19833 Heiden Konrad, „Geburt des Dritten Reiches“, Zürich 1934 und „Braunbuch über den Reichstagsbrand und Hitlerterror“, Basel 19334 Brief des Leiters der Fürther Stadtarchivs Dr. Richter an Dr. Friedemann Hebart von 7.12.1993 Privatbesitz5 Bernd Noack, „Da hörten wir Gewehrschüsse“ Fürther Nachrichten 12.4.19836 Dabei hat die Dokumentation der 9. Klasse der Hauptschule Soldnerstrasse und ihres Klassenlehrers über Rudolf Benario eine wichtige Rolle gespielt. Manfred Lehner und 9. Hauptschulklasse Soldnerstrasse „Birken am Rednitzufer“ Fürth 20057 http://www.spd-nuernberg.de/detail/2011-11-12-gedenken-an-verfolgte-durch-das-ns-regime8 Manfred Lehner und 9. Hauptschulklasse Soldnerstrasse „Birken am Rednitzufer“ Fürth 20059 Erlanger Nachrichten 18.1.193010 ebenda 11 Wolfgang R. Krabbe, ‚Kritische Anhänger - Unbequeme Störer: Studien zur Politisierung deutscher Jugendlicher im 20. Jahrhundert’, Berlin 2010 Seite 31912 Fränkische Tagespost 13.6.1931, STAN 218/9 Polizeipräsidium Nbg-Fth Nr. 79113 Nordbayerische Zeitung 15.5.193114 Fränkische Tagespost 13.6.193115 Fränkische Tagespost 28.5.193116 Universität Erlangen Archiv17 Nordbayerische Zeitung 13.10.193118 StAF AR 148 Jahresbericht der Israelitischen Realschule für das Schuljahr 1916/17 Fürth 191719 Sybil Costello (Tochter Ida Goldmanns) an Siegfried Hebart Oktober 200720 STANU Ref. 935/I/V Strafverfahren Amtsgericht Fürth Nr. 2021 a.o. a.O.22 Die KPD durfte zu der Zeit zwar Mitglieder- aber keine öffentlichen Versammlungen durchführen; d. Verf.23 STAN Amtsgericht Fürth Abgabe 1967 Nr.4224 Vernehmungsniederschrift Hans Steinbrenner 19.8.1948 Museum Dachau Archiv 645425 Richardi, Hans-Günter, „Schule der Gewalt- Das Konzentrationslager Dachau“, München 1995 S. 89 ff.26 Zeugenaussage Ludwig Scharnagel Nürnberg 6.8.1948 Museum Dachau 27 Vernehmungsniederschrift Ludwig Schmidt Nürnberg 5.8.1948 Museum Dachau Archiv 12338 s. a. Zeugenaussagen Jakob Lang, Eugen Öhrlein, Anton Hirnickel alle Museum Dachau Archiv28 Richardi, a.o.a.O. S. 90 Richardi, a.o.a.O. S. 90 29 Gruchmann, Lothar, „Die bayerische Justiz im politischen Machtkampf 1933/ 34“. Ihr Scheitern bei der Strafverfolgung von Mordfällen in Dachau in: Brozat, Martin/ Fröhlich Elke, „Bayern in der NS-Zeit“ Band II, München 1979 S.41530 Brozat, Martin/ Fröhlich Elke a.o.a.O S. 429