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04 // 2012 Seiten 193–232 . ISSN 2224-6819 Herausgeber: Univ.-Prof. Dr. Andreas Hauer Schriftleiter: Ass.-Prof. Dr. Michael Mayrhofer 1 // AUFSÄTZE » Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen Widerstreitverfahren Wolfram Schachinger / Thomas Neger » Der Netzanschluss von Erzeugern erneuerbarer Energien Elisabeth Poltschak 2 // KURZBEITRÄGE » Die Vor-Ort-Besichtigung nach der Industrieemissionsrichtlinie Wilhelm Bergthaler / Andreas Hauer 3 // RECHTSVORSCHRIFTEN UND NORMEN 4 // RECHTSPRECHUNG » Ausklammerung der Dienstleistungsbetriebe von der Energieabgabenvergütung verfassungskonform Thomas Bieber 5 // LITERATUR Aus dem Inhalt: ZTR PEDELL

Seiten 193–232 . ISSN 2224-6819 : Univ.-Prof. Dr. …neger-ulm.at/dokumente/publ_th/10.pdf · ZTR 04/2012 INHALTSVERZEICHNIS // 193 Inhaltsverzeichnis Wissenschaftlicher Beirat

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04 // 2012Seiten 193–232 . ISSN 2224-6819Herausgeber: Univ.-Prof. Dr. Andreas HauerSchriftleiter: Ass.-Prof. Dr. Michael Mayrhofer

1 // AUFSÄTZE

» Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen WiderstreitverfahrenWolfram Schachinger / Thomas Neger

» Der Netzanschluss von Erzeugern erneuerbarer EnergienElisabeth Poltschak

2 // KURZBEITRÄGE

» Die Vor-Ort-Besichtigung nach der IndustrieemissionsrichtlinieWilhelm Bergthaler / Andreas Hauer

3 // RECHTSVORSCHRIFTEN UND NORMEN

4 // RECHTSpRECHUNG

» Ausklammerung der Dienstleistungsbetriebe von der Energieabgabenvergütung verfassungskonformThomas Bieber

5 // LITERATUR

Aus dem Inhalt:

ZTR

pEDELL

04/2012 ZTR

Die zweite Seite

Die Verabschiedung einer neuen EU-Verordnung (Nr. 1025/2012) zur Normung, die mit 1. Jänner 2013 in Kraft tritt, gibt Anlass das Normenschaffen auf europäischer Ebe-ne durch die Normungsinstitutionen CEN, Cenelec und ETSI ins Licht zu rücken. Normen spielen unter anderem im eu-ropäischen Produktrecht und damit für den Binnenmarkt eine ganz wesentliche Rolle. Vor allem das mittlerweile gar nicht mehr so neue „Neue Konzept“ hat mit der Konformi-tätsvermutung einen Wirkungsmodus für derartige Nor-men etabliert, der es dem Unionsgesetzgeber immer mehr erlaubt, sich aus der Regelungsverantwortung zurückzuzie-hen. Und das obwohl oder gerade weil dieses Konzept ohne eine Verbindlicherklärung von Normen auskommt, sondern es den Produzenten lediglich ermöglicht, die Einhaltung des rechtlich fixierten Sicherheitsniveaus durch die Einhaltung einer harmonisierten Norm zu belegen. Damit erlangt je-doch die von Karl Korinek mit guten Gründen geforderte de-mokratische Legitimation des Normenschaffens (ÖZW 2009, 40) besondere Relevanz. Denn, so Korinek, die Europäische Normung ist nur demokratisch legitimiert, wenn die inte-ressierten Kreise aller Länder eine reale Beteiligungsmög-lichkeit haben. Diese kann gleichwohl nur im Zusammen-spiel von europäischen und nationalen Akteuren, nicht aber

durch einzelne Ak-teure allein er-reicht werden. Hier setzt die neue Ver-ordnung an, die „eine flexible und transparente Plattform für die Konsens-findung unter allen Beteiligten“ schaffen soll und dazu Vor-schriften „für die Zusammenarbeit zwischen europäischen Normungsorganisationen, nationalen Normungsorganisa-tionen, den Mitgliedstaaten und der Kommission“ (Art 1) enthält. Ganz im Sinne der von Korinek benannten Legitima-tionsbausteine wird dadurch die Beteiligung von allen In-teressenträgern einschließlich von nationalen Behörden am Prozess des Normenschaffens sowie die Transparenz dieses Prozesses angestrebt. Jedenfalls das Konzept der Verord-nung zeigt, dass die Etablierung von Netzwerken unionaler und nationaler Akteure im europäischen Mehrebenensys-tem demokratische Legitimation vermitteln bzw diese in bestimmten Konstellationen überhaupt erst ermöglichen kann. Ob das Konzept im konkreten Fall funktioniert, wird seine praktische Handhabung erweisen.

Andreas Hauer Michael Mayrhofer

// II EDITORIAL

04/2012 // 193ZTR INHALTSVERZEICHNIS

Inhaltsverzeichnis

Wissenschaftlicher Beirat der Zeitschrift für Energie- und Technikrecht

Univ.-Prof. Dr. Markus AchatzUniv.-Prof. Dr. Ulrich EhrickeHon.-Prof. Dr. Helmut HörtenhuberUniv.-Prof. Dr. Erich Peter Klement

Univ.-Prof. Dr. Barbara Leitl-Staudingero.Univ.-Prof. Dr. Jörg MühlbacherEm.o.Univ.-Prof. Dr. Peter OberndorferUniv.-Prof. Dr. Katharina Pabel

Univ.-Prof. Dr. Martin SchulteAssoz. Univ.-Prof. Dr. Michael Sonntag

1 // AUFSÄTZE

» Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen Widerstreitverfahren 194Wolfram Schachinger / Thomas Neger

» Der Netzanschluss von Erzeugern erneuerbarer Energien 201Elisabeth Poltschak

2 // KURZBEITRÄGE

» Die Vor-Ort-Besichtigung nach der Industrieemissionsrichtlinie 207Wilhelm Bergthaler / Andreas Hauer

3 // RECHTSVORSCHRIFTEN UND NORMEN

» Energierecht 210 » Technikrecht 211 » Normen 215

4 // RECHTSpRECHUNG

» Ausklammerung der Dienstleistungsbetriebe von der Energieabgabenvergütung verfassungskonform 218Thomas Bieber

» Rechtsprechung Energierecht 222 » Rechtsprechung Technikrecht 227

5 // LITERATUR

» Vielschichtiges Medizinrecht 230Reinhard Resch

» IG-L–Immissionsschutzgesetz-Luft 230Elisabeth Poltschak

» Neue Impulse für die Energiewirtschaft. Reform des Energierechts 231Andreas Hauer

» NZR - Neue Zitierregeln 232Elisabeth Huemer

// 194 04/2012 ZTRAUFSÄTZE

WOLfRAM SCHACHINGER / THOMAS NEGER: Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen Widerstreitverfahren

> WOLfrAM ScHAcHingEr / THOMAS nEgEr

Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen WiderstreitverfahrenAufgrund des – sinnvollerweise – geforderten und geförderten Ausbaus erneuerbarer Energiequellen und der schon relativ starken Verbauung der österreichischen flüsse besteht in letzter Zeit ein regelrechter „Kampf“ um noch freie gewässerstrecken zur Errichtung von Wasserkraftwerken. in diesem Zusammenhang werden in zunehmendem Maße einander ausschließende und somit in einem Widerstreit stehende genehmigungsanträge bei den zuständigen Behörden (sowohl Wasserrechtsbehörden als auch UVP-Behörden) eingebracht, was zu erheblichen – vom Wrg 1959 bislang noch nicht geregelten – Abgrenzungsschwierigkeiten und Herausforderungen sowohl für die gesetzgebung als auch für die Vollziehung führt. Der gegenständliche Beitrag setzt sich mit diesen aktuellen Entwicklungen auseinander und zeigt gesetzliche novellierungserfordernisse und Lösungsansätze auf.

I. Ausgangspunkt der Untersuchung

In den letzten Jahren ist aufgrund des Ausbaus er-neuerbarer Energiequellen ein wahrhafter „Ausbau-boom“ betreffend Wasserkraftanlagen (insbesondere Kleinwasserkraftanlagen) im Gange. Vielfach wollen mehrere Projektwerber einen energiewirtschaftlich attraktiven Flussabschnitt nutzen, was zur Folge hat, dass für gleichartige Projekte mehrere wasserrecht-liche Genehmigungsanträge eingereicht werden. § 109 WRG 19591 sieht zur Lösung dieses Konfliktes die Durchführung eines sogenannten Widerstreit-verfahrens vor. Dieses bereits im Wasserrechtsge-setz 19342 (§ 91 WRG 1934) enthaltene Instrumentari-um entspricht aber in mehrerer Hinsicht nicht mehr den aktuellen Rahmenbedingungen und Herausfor-derungen.

II. Rechtlicher Hintergrund

A. Vorliegen eines WiderstreitsVoraussetzung für die Durchführung eines Wider-streitverfahrens ist gemäß § 109 Abs 1 WRG 1959, dass widerstreitende (§ 17 WRG 1959), auf entsprechende Entwürfe (§ 103 WRG 1959) gestützte Ansuchen um Bewilligung einer Wasserbenutzung vorliegen.

Das Widerstreitverfahren ist ein selbständiges, vom Bewilligungsverfahren getrenntes Verfahren, in welchem über die Frage des Vorzugs von konkurrie-

1 Wasserrechtsgesetz 1959 – WRG 1959, BGBl 215/1959 idF BGBl I 14/2011.2 Bundesgesetz vom 19. Oktober 1934 betreffend das Wasserrecht, BGBl 316/1934.

renden Bewerbungen entschieden wird und welches daher der Beurteilung einer Vorfrage für ein nachfol-gendes Bewilligungsverfahren dient.3

Ein Widerstreitverhältnis liegt vor, wenn einander widerstreitende Bewerbungen um eine wasserrecht-liche Bewilligung in der Gestalt bestehen, dass ein Projekt nicht ausgeführt werden kann, ohne dass dadurch die Ausführung eines anderen Projektes behindert oder vereitelt wird.4 Für das Bewilligungs-verfahren gibt es somit im Falle eines Antrages5 auf Durchführung eines Widerstreitverfahrens zwei Vor-fragen: Zunächst die, ob überhaupt ein Widerstreit-verhältnis vorliegt und, wenn dies zu bejahen ist, welcher der einander widerstreitenden Bewerbungen der Vorzug gebührt.6 Im Hinblick auf die „Wider-streitfähigkeit“ ist anzumerken, dass widerstreiten-de Bewerbungen nicht bereits allen Erfordernissen eines finalisierten Einreichprojektes im Sinne des § 103 WRG 1959 zu entsprechen haben, sondern es vielmehr ausreicht, dass aus den Projektunterlagen die Projektabsicht klar erkennbar ist.7

3 Vgl etwa VwGH 07.12.2006, 2006/07/0031; VwGH 11.09.1997, 97/07/0061; Bumberger/Hinterwirth, WRG Wasserrechtsgesetz, Kom-mentar (2008) § 109 K2; Oberleitner/Berger, Kommentar zum Wasser-rechtsgesetz 19593 (2011) § 109 Rz 4.4 Vgl auch VwGH 27.05.2004, 2000/07/0264; Oberleitner/Berger, Was-serrechtsgesetz (FN 3) § 17 Rz 2.5 Diesbezüglich ist anzumerken, dass – entgegen dem Gesetzeswortlaut – die Behörde ein Widerstreitverfahren auch von Amts wegen einleiten kann (vgl auch Bumberger/Hinterwirth, WRG [FN 3] § 109 K3).6 VwGH 07.12.2006, 2006/07/0031.7 VwGH 26.02.1991, 90/07/0112; vgl ausführlich zu den Voraussetzun-gen und zur Einleitung eines Widerstreitverfahrens Bumberger, Rechts-probleme des Widerstreitverfahrens, ecolex 2010, 424 (424 ff).

04/2012 // 195ZTRAUFSÄTZE

WOLfRAM SCHACHINGER / THOMAS NEGER: Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen Widerstreitverfahren

B. Bewertung des „öffentlichen Interesses“ als Entscheidungskriterium in Judikatur und Literatur

§ 17 WRG 1959, welcher die inhaltliche Regelung des Widerstreits enthält,8 normiert in Abs 1, dass – sofern verschiedene Bewerbungen um geplante Wasserbenutzungen im Widerstreit stehen – jener Bewerbung der Vorzug gebührt, die dem öffentli-chen Interesse besser dient. Der Gesetzgeber selbst regelt allerdings in keiner Weise, wie die Behörde dies festzustellen hat. Es handelt sich vielmehr um eine Ermessensentscheidung.9 Zwar findet sich in § 17 Abs 1 WRG 1959 in einem Klammerausdruck ein Hinweis auf § 105 WRG 1959, welcher gewisse öffentli-che Interessen als Bewilligungshindernisse normiert. Dieser Hinweis ist jedoch insofern missverständlich, als die in § 105 WRG 1959 aufgezählten öffentlichen Interessen nicht unreflektiert als Grundlage einer Widerstreitentscheidung herangezogen werden kön-nen (siehe dazu unten III.B.).10

Subsidiär wird in § 17 Abs 3 erster Satz WRG 1959 festgehalten, dass, wenn eine derartige (Ermessens-)Entscheidung iSd Abs 1 nicht gefällt werden kann, das „vorhandene Wasser“ dermaßen zu verteilen ist, dass alle, sich als gleichwertig darstellenden Ansprü-che soweit als möglich und zweckmäßig befriedigt werden.

§ 17 Abs 3 letzter Satz WRG 1959 sieht – wiederum subsidiär zum ersten Satz dieser Bestimmung – vor, dass, sofern eine derartige Verteilung nicht möglich ist, vorzugsweise jene Bewerbungen zu berücksich-tigen sind, welche die bessere Erreichung des an-gestrebten Zweckes oder eine geringere Rückwir-kung auf Dritte erwarten lassen. Aus dem Wortlaut des § 17 Abs 3 letzter Satz WRG 1959 lässt sich daher ableiten, dass bei gleichwertigen Projekten die Ver-fügungsbefugnis bzw das Grundeigentum an den be-troffenen Liegenschaften ausschlaggebend ist. In der Regel kommt § 17 Abs 3 WRG 1959 aufgrund der Sub-sidiarität bei widerstreitenden Wasserkraftprojek-ten jedoch nicht zur Anwendung. Die Behörde muss daher unter Anwendung des § 17 Abs 1 WRG 1959 im Detail prüfen, welches Projekt dem öffentlichen Interesse besser dient. Auf die Berührung frem-der Rechte kommt es bei einer Entscheidung nach § 17 Abs 1 WRG 1959 nicht an. Grundsätzlich ist auch

8 Bei §  109  WRG  1959 handelt es sich um die verfahrensrechtliche Regelung des Widerstreits (vgl Bumberger/Hinterwirth, WRG [FN 3] § 109 K1).9 Bumberger/Hinterwirth, WRG (FN 3) § 17 K5; der VwGH (Erkennt-nis vom 27.6.2002, 98/07/0194) sowie Oberleitner/Berger, Wasserrechts-gesetz (FN 3) § 17 Rz 9, sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Wertentscheidung“. 10 Vgl auch Oberleitner/Berger, Wasserrechtsgesetz (FN 3) § 17 Rz 8; VwGH 27.10.1966, 204/66.

der Zeitpunkt der Antragstellung im Sinne einer früheren Antragstellung um eine wasserrechtliche Bewilligung nicht – zumindest nicht allein – aus-schlaggebend. Sie begründet per se kein Vorrecht gegenüber späteren Ansuchen und ist grundsätzlich kein Entscheidungskriterium.11 Unseres Erachtens ist dieser – auch vom VwGH vertretenen12 – Ansicht zu folgen. Die frühere Antragstellung begründet daher im Widerstreitverfahren zwar keine Vorrechtsstel-lung und sie ist auch nicht als Entscheidungskriteri-um heranzuziehen, ihr kann jedoch sehr wohl eine gewisse Relevanz zukommen; etwa aus der Erwägung, dass damit zumindest die Ernsthaftigkeit der Projek-trealisierungsabsicht manifestiert wird und sie auch Garant dafür ist, dass nicht ein bereits eingereichtes Projekt „geklont“ wurde, um einen finanziellen Vor-teil zu erzielen.

Oberleitner/Berger geben – der Judikatur entsprechend – als relevant und widerstreitentscheidend unter an-derem die folgenden Parameter an:

> „ob widerstreitende Unternehmen einem unmit-telbar gegebenen oder einem erst künftig auf-tretenden Bedarf dienen sollen,

> Ausmaß, Grad und Struktur der Energieausnüt-zung von Wasserkraftwerken,

> Effizienz der Wasserbenutzung, > negativer Einfluss auf das Grundwasser oder die Umwelt,

> ob ein Kraftwerksvorhaben zur Gänze der Ein-speisung in das öffentliche Netz oder bloß der Deckung des Eigenbedarfs dienen soll.“13

In einigen Bundesländern haben sich darüber hinaus auf Seiten der Behörden sogenannte „Kriterienka-taloge“ etabliert. In diesem Zusammenhang besteht jedoch die immanente Gefahr, dass eine geradezu formalistische Abarbeitung von fix vorgegebenen Entscheidungsparametern erfolgt, ohne auf die spe-ziellen Besonderheiten der im Einzelfall widerstrei-tenden Projekte einzugehen.

C. Österreichischer Wasserkatalog als Grundlage für Widerstreitentscheidungen

Das Bundesministerium für Land- und Forstwirt-schaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) hat dieses Jahr den sogenannten „Österreichischen Was-

11 Vgl Bumberger/Hinterwirth, WRG (FN 3) § 17 K7; Oberleitner/Ber-ger, Wasserrechtsgesetz (FN 3) § 17 Rz 6 und E 1.12 Dahingehend führte der VwGH aus, dass die frühere Antragstellung kein Vorrecht gegenüber späteren Ansuchen begründet und diese jeden-falls allein nicht entscheidend ist (VwSlg 6937 A/1909; VwSlg 12.502 A/1919).13 Oberleitner/Berger, Wasserrechtsgesetz (FN 3) § 17 Rz 10 (Hervorhe-bungen durch die Autoren dieser Untersuchung).

// 196 04/2012 ZTRAUFSÄTZE

WOLfRAM SCHACHINGER / THOMAS NEGER: Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen Widerstreitverfahren

serkatalog“ veröffentlicht.14 Zwar ist dieser – als Leit-faden einzustufende – Erlass an die Vollzugsbehörden nicht primär für Widerstreitverfahren konzipiert, da er vorrangig im Zusammenhang mit Vorhaben für die eine Ausnahme vom Verschlechterungsverbot in Anspruch genommen werden soll, herausgegeben wurde. Aus dem Leitfaden ergibt sich aber ganz klar, dass die darin enthaltenen Kriterien und Indikatoren auch im Zusammenhang mit Widerstreitverfahren höchst relevant sind. So heißt es wortwörtlich: „Wei-ters kann der Leitfaden (die Kriterien) den Wasser-rechtsbehörden als Instrument für die Beurteilung der Vor- und Nachteile eines Projekts […] im Rahmen der Beurteilung der Beeinträchtigung öffentlicher Interessen in ‚gewöhnlichen‘ Verfahren (im Regelfall) sowie bei der Entscheidung von im Widerstreit stehenden Wasserbenutzungen dienen.“15 Der Ös-terreichische Wasserkatalog enthält ferner unter Ka-pitel 8 „Widerstreitverfahren“ folgende Aussage: „Bei der in Anwendung der Bestimmung des § 17 Abs 1 zu treffenden Beurteilung, welche von mehreren Be-werbungen um geplante Wasserbenutzungen dem öffentlichen Interesse besser dient, handelt es sich im Umfang der unvermeidlichen Gewichtung der zu prüfenden öffentlichen Interessen letztlich um eine Wertentscheidung. Dabei kann die Indikatorenlis-te des Kriterienkatalogs der Behörde bei der Dar-stellung und Prüfung der Entscheidungsgrundla-gen hilfreich sein.“16

Der Leitfaden unterscheidet zwischen drei Kriterien-kategorien:

> energiewirtschaftliche und wasserkraftbezo-gene wasserwirtschaftliche Kriterien (Kapitel 10);

> ökologische Kriterien (Kapitel 11); > sonstige wasserwirtschaftliche Kriterien (Kapi-tel 12).

Aus dieser Unterteilung und der Reihenfolge in der Auflistung ist unseres Erachtens eine Rangordnung ableitbar, wonach den energiewirtschaftlichen und wasserkraftbezogenen wasserwirtschaftlichen Kriterien besonderes Gewicht beizumessen ist. Bei der Interessenabwägung kommt den energiewirt-schaftlichen und wasserkraftbezogenen wasserwirt-schaftlichen Kriterien unseres Erachtens (zumindest in Summe) höhere Relevanz zu, als den ökologischen

14 BMLFUW 30.01.2012, BMLFUW-UW.4.1.2/0004-I/4/2012, Ös-terreichischer Wasserkatalog. Wasser schützen – Wasser nutzen. Kriteri-en zur Beurteilung einer nachhaltigen Wasserkraftnutzung.15 BMLFUW, Österreichischer Wasserkatalog (FN 14) 6 (Hervorhe-bung durch die Autoren dieser Untersuchung).16 BMLFUW, Österreichischer Wasserkatalog (FN 14) 22 (Hervorhe-bung im letzten Satz durch die Autoren dieser Untersuchung).

Kriterien bzw den sonstigen wasserwirtschaftlichen Kriterien.

III. Anwendungs- und Vollzugsschwierigkeiten

A. Wasserrechtliches Widerstreitverfahren und Verfahren nach dem UVP-G 2000

1. Zur UVP-rechtlichen „Sperrwirkung“§ 3 Abs 6 UVP-G 200017 sieht die sogenannte „Sperr-wirkung“ vor. Diese besagt, dass vor Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung oder der Einzel-fallprüfung18 für derartige Vorhaben Genehmi-gungen nicht erteilt werden dürfen und dass nach Verwaltungsvorschriften getroffenen Anzeigen vor Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung keine rechtliche Wirkung zukommt.19 Hieraus wird in der Praxis mitunter abgeleitet, dass für zwingend UVP-pflichtige / einzelfallprüfungspflichtige Projekte die UVP-rechtliche „Sperrwirkung“ die Durchführung eines Widerstreitverfahrens verhindere.

Diese Ansicht ist unserer Meinung nach jedoch ver-fehlt. Das Widerstreitverfahren ist – wie ausgeführt – ein vom Bewilligungsverfahren getrenntes Verfah-ren. Es dient der Beurteilung einer Vorfrage für ein nachfolgendes Bewilligungsverfahren. Der VwGH hat beispielsweise im Hinblick auf die Genehmigung eines Gewinnungsbetriebsplanes nach § 116 MinroG20 und die Verleihung einer Bergwerksberechtigung (die der Bewilligung von Bergbauanlagen nach § 119 MinroG vorgelagert ist), ausgesprochen, dass es sich hier-bei um „keine ‚Genehmigung‘ [handelt], die gemäß § 3 Abs 6 UVP-G nicht auch vor Abschluss der Um-weltverträglichkeitsprüfung erteilt werden darf“.21 Da auch das Obsiegen in einem Widerstreitverfahren noch keinen Anspruch auf eine spätere Bewilligung des obsiegenden Vorhabens nach den Bestimmun-gen des WRG 1959 begründet (und damit weder eine wasserrechtliche Bewilligung als erteilt gilt, noch ein Recht auf Realisierung eines Vorhabens verbunden ist), betrifft die Sperrwirkung des § 3 Abs 6 UVP-G 2000 eine Bescheiderlassung in einem Widerstreit-verfahren unserer Meinung nach nicht.22

17 Bundesgesetz über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (Umwelt-verträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 – UVP-G 2000), BGBl 697/1993 idF BGBl I 77/2012.18 Hierbei handelt es sich um eine zwingend durchzuführende Prü-fung, ob ein Vorhaben einer Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht unterliegt (fachliche Prognoseentscheidung).19 Entgegen dieser Bestimmung erteilte Genehmigungen können in-nerhalb einer Frist von 3 Jahren als nichtig erklärt werden.20 Bundesgesetz über mineralische Rohstoffe (Mineralrohstoffgesetz – MinroG), BGBl I 38/1999 idF BGBl I 144/2011.21 Vgl VwGH 24.02.2006, 2005/04/0044; zur sinngemäßen Anwen-dung dieser Rechtsprechung auf wasserrechtliche Tatbestände siehe Oberleitner/Berger, Wasserrechtsgesetz (FN 3) § 109 Rz 3.22 Vgl idS auch Bumberger, Rechtsprobleme (FN 7) 426.

04/2012 // 197ZTRAUFSÄTZE

WOLfRAM SCHACHINGER / THOMAS NEGER: Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen Widerstreitverfahren

2. Wasserrechtsbehörde als WiderstreitbehördeSelbst wenn ein Vorhaben UVP-pflichtig und die Was-serrechtsbehörde somit für die Genehmigung unzu-ständig ist, ist zur Durchführung des Widerstreitver-fahrens dennoch die Wasserrechtsbehörde berufen. Auch wenn in der Praxis mitunter das Gegenteil be-hauptet wird, ergibt sich diese Behördenzuständig-keit klar aus dem Wortlaut des § 109 Abs 1 WRG 1959, der expressis verbis bestimmt: „Sind für die Bewil-ligung der widerstreitenden Vorhaben sachlich ver-schiedene Behörden zuständig, so obliegt die Ent-scheidung über die Frage des Vorzuges der Behörde (§§ 98, 99 und 100).“23

3. WiderstreitzwischenUVP-pflichtigenundnichtUVP-pflichtigenVorhaben

Sofern sich ein UVP-pflichtiges und ein nicht UVP-pflichtiges Projekt im Widerstreit gegenüberstehen, besteht das Problem, dass für das UVP-pflichtige Projekt nicht nur ein wasserrechtliches Einreich-operat bzw lediglich ein auf entsprechende Entwür-fe gestütztes Ansuchen, sondern eine umfassende Umweltverträglichkeitserklärung gemäß § 6 UVP-G 2000 mit einer umfassenden Beschreibung des Vor-habens und sämtlicher Umweltauswirkungen sowie Ausgleichsmaßnahmen etc beizubringen ist.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass der Vergleich die-ses umfassenden Einreichoperates mit einem „nor-malen“ wasserrechtlichen Einreichprojekt zu zahl-reichen Schwierigkeiten führt. Unseres Erachtens müssten bei richtiger Betrachtung die lediglich für ein Wasserrechtsverfahren relevanten Einreichun-terlagen „herausgefiltert“ werden und die sonstigen Einreichunterlagen (etwa für ein Naturschutzver-fahren, das im UVP-Verfahren mitkonzentriert ist)24 dürften diesfalls nicht berücksichtigt werden. Die Praxis ist freilich eine gänzlich unterschiedliche. Die Sachverständigen (oft mangels Anleitung der Wasser-rechtsbehörde) vergleichen das gesamte UVP-recht-liche Einreichoperat samt der Umweltverträglich-keitserklärung (UVE) in derartigen Fällen mit einem relativ „simplen“ wasserrechtlichen Einreichprojekt. Dies führt oft – da in der UVE die Umweltauswirkun-gen umfassend dargestellt werden müssen – zum Ergebnis, dass dem UVP-pflichtigen Projekt deshalb der Vorrang eingeräumt wird, da es sich umfassen-der mit diesen Auswirkungen auseinandersetzt. So-fern dieser Vorrang nicht schon aus diesem Grund eingeräumt wird, besteht auch die immanente Ten-denz, dass die Sachverständigen – um die Vorhaben

23 Diese Behördenzuständigkeit wird auch in den ErläutRV zur WRG-Nov 2001 explizit zum Ausdruck gebracht (vgl ErlRV 642 BlgNR 21. GP 29); vgl weiters Bumberger/Hinterwirth, WRG (FN 3) §  109  K4; Oberleitner/Berger, Wasserrechtsgesetz (FN 3) § 109 Rz 3.24 Siehe § 3 Abs 3 UVP-G 2000.

vergleichen zu können – umfassende Nachforderun-gen an den Projektwerber des nicht UVP-pflichtigen Projektes stellen und dieser kostenintensive bzw für ein wasserrechtliches Verfahren gar nicht erforderli-che und für ein Widerstreitverfahren umso weniger gebotene Einreichunterlagen vorlegen muss. Dahin-gehend ist sicherlich der Gesetzgeber gefordert bzw sollten zumindest die Behörden den Sachverständi-gen klarer vorgeben, wie in derartigen Fällen vorzu-gehen ist. Unseres Erachtens ist es weder recht noch billig, dass die Widerstreitentscheidung lediglich da-von abhängig ist, welcher Projektwerber mehr Geld in die Planung bzw ins Widerstreitverfahren inves-tiert und umfassendere Einreichunterlagen als im Widerstreitverfahren geboten vorlegt.

4. Gebotene Interessenabwägung eher zugunsten desnichtUVP-pflichtigenProjektes

Wie unter Punkt III.A.3. geschildert, führt bei einem Widerstreit zwischen einem nicht UVP-pflichtigen Projekt und einem UVP-pflichtigen Projekt die un-terschiedliche Tiefe der Einreichunterlagen oft dazu, dass das UVP-pflichtige Projekt im Widerstreitver-fahren „obsiegt“. Dies, da das UVP-pflichtige Projekt eine umfassendere Darstellung der Umweltauswir-kungen aufweist.

Dieses Ergebnis widerspricht jedoch dem Grundge-danken des UVP-Regimes: Sofern nämlich ein Vor-haben (zwingend) UVP-pflichtig ist, ist – aufgrund der Tatsache, dass ein UVP-Tatbestand erfüllt ist – gesetzlich gewissermaßen dokumentiert, dass das Vorhaben besonders umweltrelevante Auswirkungen aufweist und es – e contrario – somit dem öffentli-chen Interesse, zumindest betreffend Umweltschutz, nicht in einem gleich hohen Ausmaß entsprechen kann, wie ein von Vornherein nicht UVP-relevantes Vorhaben.

Der Bundesgesetzgeber (des UVP-G 2000) hat somit ex lege bereits selbst eine „Interessenabwägung“ vor-genommen. Sofern widerstreitende Projekte im glei-chen Gewässerabschnitt vorliegen, von denen eines nicht UVP-pflichtig ist, besteht somit ein gewisses Indiz dafür, dass es weniger umweltrelevant ist, als jenes Vorhaben, das UVP-pflichtig ist.

5. Kritische Aspekte der Parteistellung der Gemein-de im UVP-Verfahren

Sowohl in reinen UVP-Feststellungsverfahren (Ver-fahren in welchen die UVP-Behörde feststellen muss, ob ein Vorhaben UVP-pflichtig ist)25 als auch in UVP-Genehmigungsverfahren (Verfahren zur Erlangung einer UVP-rechtlichen Genehmigung) kommt un-

25 Siehe § 3 Abs 7 UVP-G 2000.

// 198 04/2012 ZTRAUFSÄTZE

WOLfRAM SCHACHINGER / THOMAS NEGER: Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen Widerstreitverfahren

ter anderem bestimmten Gemeinden Parteistellung zu, welche auch das Recht auf Akteneinsicht um-fasst.26 Dies bedeutet, dass Gemeinden Zugang zu umfassenden Informationen betreffend ein einem UVP-Feststellungsverfahren bzw einem UVP-Ge-nehmigungsverfahren unterzogenen Wasserkraft-projekt erlangen können. Anders als in reinen was-serrechtlichen Verfahren können die Gemeinden im UVP-Verfahren generell die Einhaltung von Rechts-vorschriften, die dem Schutz der Umwelt dienen, als subjektives Recht im Verfahren geltend machen und sogar Beschwerde an den Verwaltungsgerichts-hof erheben. Sie können somit ihnen – aus welchen Motiven auch immer – nicht genehme bzw allenfalls in einem Widerstreitverhältnis zu eigenen Vorhaben stehende Projekte de facto „torpedieren“.

In der Praxis besteht darüber hinaus – wie angedeu-tet – die immanente Gefahr, dass der dargestellte umfassende Informationsvorsprung der Gemeinden dazu missbraucht wird, dass – Parteistellung nach dem UVP-G 2000 genießende – Gemeinden selbst ein (dann widerstreitendes) Wasserkraftwerksprojekt, das auf den Unterlagen zum anhängigen Projekt auf-baut, einreichen. Aber auch bereits die Parteistellung der Gemeinde in Bewilligungsverfahren nach dem WRG 195927 selbst (wie wohl sie bei weitem nicht so umfangreich ist) steht in einem gewissen Spannungs-verhältnis damit, dass die Gemeinde als Träger von Privatrechten selbst die Bewilligung für ein wider-streitendes Wasserkraftwerksprojekt beantragen kann.

B. Abgrenzung zwischen wasserrechtlichem Widerstreitverfahren und naturschutzrechtli-chem Bewilligungsverfahren

Wie oben (II.B.) dargestellt, enthält § 17 Abs 1 WRG 1959 in einem Klammerausdruck einen Hinweis auf § 105 WRG 1959, welcher gewisse öffentliche Interessen (als Bewilligungshindernisse) auflistet. § 105 WRG 1959 normiert unter den aufge-zählten öffentlichen Interessen auch naturschutz-rechtliche Aspekte.28 In der Praxis werden daher seitens der Widerstreitbehörden oft Fragen an die Sachverständigen gestellt, die sich mitunter sehr

26 Gemäß § 3 Abs 7 UVP-G 2000 hat im Verfahren zur Feststellung, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzu-führen ist, unter anderem die Standortgemeinde Parteistellung. Laut § 19 Abs 1 Z 5 iVm Abs 3 UVP-G 2000 haben die Standortgemeinde und die an diese unmittelbar angrenzenden österreichischen Gemein-den, die von wesentlichen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt betroffen sein können, im Genehmigungsverfahren Parteistellung.27 Siehe § 102 Abs 1 lit d WRG 1959.28 So sieht etwa § 105 Abs 1 lit f WRG 1959 vor, dass ein Vorhaben dann als unzulässig angesehen werden kann, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung oder Gefährdung „eines Naturdenkmales, der ästhe-tischen Wirkung eines Ortsbilds oder der Naturschönheit oder des Tier- und Pflanzenbestandes entstehen kann“.

stark an § 105 WRG 1959 orientierten. Im Bundes-land Steiermark etwa wurde von den Autoren eine Vollzugspraxis dahingehend wahrgenommen, dass die Wasserrechtsbehörde anhand eines „informellen Kriterienkataloges“, welcher sich an § 105 WRG 1959 orientiert, beurteilt, welchem Vorhaben im Wider-streitfalle der Vorzug gebührt. Dieser Kriterienka-talog sieht offenbar unter anderem die Frage an den Sachverständigen vor, ob die widerstreitenden Pro-jekte eine „wesentliche Beeinträchtigung oder Ge-fährdung eines Naturdenkmales, der ästhetischen Wirkung eines Ortsbildes oder der Naturschönheit oder des Tier- und Pflanzenbestandes (Naturschutz – welches der beiden Projekte stellt eine geringere Be-einträchtigung der Natur – Umwelt dar)“ bewirken. Weiters ist in dem Kriterienkatalog auch noch die Frage enthalten, ob eine „Beeinträchtigung gemein-schaftsrechtlicher Zielsetzungen“ im Sinne von „Aus-wirkungen auf Natura 2000 Gebiete“, „Auswirkungen auf Schutzgüter der FFH-Richtlinie“, „Auswirkungen auf Schutzziele Alpenkonvention“ besteht.

Dieses Vorgehen und diese offenbar an § 105 WRG 1959 orientierte Fragestellung an die Sachverständigen ist unseres Erachtens nach unzulässig. Derartige Frage-stellungen sind nicht Aufgabe oder Teil der Überwie-gensprüfung der öffentlichen Interessen im Wider-streitfall. So führen etwa auch Oberleitner/Berger aus: „Die in § 105 Abs 1 als Bewilligungshindernisse for-mulierten öffentl Interessen können nämlich nicht unreflektiert der Widerstreitentscheidung zugrunde gelegt werden. Im Widerstreit kommt es nicht (nur) darauf an, dass öffentl Interessen durch geplante Nutzungen nicht verletzt werden – diesfalls wäre das Vorhaben ja im Grunde des § 105 abzuweisen –, son-dern vielmehr darauf, welches voneinander wider-streitenden Vorhaben öffentl Interessen – darüber hinaus – besonderen Nutzen bringen kann.“29 Weiters halten Oberleitner/Berger Folgendes fest: „§ 105 dient dazu, für die einem Widerstreitverfahren vorausge-hende Überprüfung von vornherein klarzustellen, welchen Interessen ein Vorhaben nicht zuwiderlau-fen darf, um überhaupt als zulässig befunden – und in ein Widerstreitverfahren einbezogen – werden zu können. Für die entgegengesetzte – widerstreitrele-vante – Prüfung, welchen Interessen das Unterneh-men besser dient, ist also mit solchen Gesichtspunk-ten allein nichts gewonnen.“30

Die zitierten Fragestellungen der Wasserrechtsbe-hörde indizieren, dass es sich hierbei um rein na-turschutzrechtliche Themen handelt, die auch in

29 Oberleitner/Berger, Wasserrechtsgesetz (FN 3) § 17 Rz 8.30 Oberleitner/Berger, Wasserrechtsgesetz (FN 3) § 109 Rz 3, mit Hin-weis auf VwSlg 6003 A/1963; VwGH 27.06.2002, 98/07/0194.

04/2012 // 199ZTRAUFSÄTZE

WOLfRAM SCHACHINGER / THOMAS NEGER: Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen Widerstreitverfahren

kompetenzrechtlich und somit verfassungsrechtlich gebotener Weise nicht im Zuge eines wasserrecht-lichen Widerstreitverfahrens zu prüfen sind. Der VwGH hat in diesem Zusammenhang den Schluss ge-zogen, dass sich die wasserrechtliche Entscheidung nur auf solche Bereiche zu erstrecken hat, die nicht ohnedies durch anderweitige gesetzliche Regelungen und auf diesen beruhenden Genehmigungen erfasst sind.31 Der VwGH hat diesbezüglich wortwörtlich festgehalten: „Daraus folgt weiters, daß jene öffent-lichen Rücksichten, deren Wahrung durch solche anderweitige gesetzliche Vorschriften gesichert er-scheint, nicht zu jenen zählen können, die § 105 un-ter dem allgemeinen Begriff ‚öffentliches Interesse‘ zusammenfasst.“32

§ 105 WRG 1959 ist daher in verfassungskonformer Weise zur Vermeidung einer Kompetenzwidrigkeit derart zu interpretieren, dass die Wasserrechtsbe-hörde nicht über in einem naturschutzrechtlichen Verfahren zu behandelnde Themen entscheidet. Dies gilt selbstverständlich auch für die Interessenabwä-gung im Zusammenhang mit einem Widerstreitver-fahren.

C. Sonderfall: Mehr als zwei widerstreitende Bewerbungen

In letzter Zeit tritt vermehrt der Fall auf, dass nicht nur zwei, sondern zumindest drei, manchmal auch wesentlich mehr untereinander in einem Wider-streitverhältnis stehende Projekte bei den Behör-den eingereicht werden. Die Behörden treffen dann eine Entscheidung dahingehend, welchem Projekt (gegenüber den anderen Projekten) der Vorzug ein-zuräumen ist. In der Praxis erfolgt aber durch die Behörde im Bescheid selbst (anders als meist durch die Sachverständigen, wenn auch freilich lediglich ihren Fachbereich betreffend) keine Reihung der übrigen Projekte. Dies ist unseres Erachtens nach höchst problematisch: Gemäß § 109 Abs 3 WRG 1959 treten nämlich Widerstreitentscheidungen außer Kraft, wenn das Vorhaben, dem der Vorzug gebührt, nicht bewilligt wurde oder ein Erlöschenstatbestand gemäß § 27 Abs 1 lit f WRG 195933 vorliegt. Der Was-serrechtsgesetzgeber hatte – zum damaligen Zeit-punkt noch nachvollziehbarerweise – wohl lediglich den Fall vor Augen, dass zwei widerstreitende Bewer-bungen vorliegen. Sofern jedoch zumindest drei wi-

31 Vgl Mayer, Wasserkraftwerke im Verwaltungsrecht. Sechs verwal-tungsrechtliche Gutachten (1991) 68, mit Verweis auf VwSlg  5719 A/1962.32 VwSlg 5719 A/1962.33 Gemäß dieser Bestimmung erlöschen Wasserbenutzungsrechte „durch Unterlassung der Inangriffnahme des Baues oder der Fertigstel-lung der bewilligten Anlagen binnen der im Bewilligungsbescheide hie-zu bestimmten oder nachträglich verlängerten Frist“.

derstreitende Bewerbungen vorliegen, reicht allein die Entscheidung, welcher von den widerstreitenden Bewerbungen der Vorzug gebührt, nicht mehr aus. Vielmehr müsste die Behörde eine Reihung der Pro-jekte vornehmen. Dies ist gesetzlich zwar nicht ge-regelt, ergibt sich aber unseres Erachtens ganz klar aus dem Telos des § 109 Abs 3 WRG 1959. Sofern le-diglich einem Projekt der Vorzug eingeräumt wird und dieses – aus welchem Grund auch immer – nicht bewilligt wird (oder ein Erlöschenstatbestand gemäß § 27 Abs 1 lit f WRG 1959 vorliegt) wäre ansonsten, obwohl ein Widerstreitverfahren durchgeführt wur-de, nicht ersichtlich, welchem der übrigen Projekte nunmehr der Vorzug einzuräumen ist. In einem sol-chen Fall müsste – was jedoch nicht dem Telos des Gesetzes und auch nicht dem Prinzip der Verfahren-sökomonie entspricht – ein neuerliches Widerstreit-verfahren zwischen den übrigen Projekten durch-geführt werden. Die Durchführung eines weiteren Widerstreitverfahrens würde zwar vom Wortlaut des § 109 Abs 3 WRG 1959 gedeckt sein, ein derartiges (sinnloses) Wiederholen des Verfahrens kann dem Gesetzgeber unseres Erachtens jedoch keinesfalls unterstellt werden und würde darüber hinaus dazu führen, dass das zu wiederholende Widerstreitver-fahren auch neuen widerstreitenden Projekten offen stünde. Daher ist der Gesetzgeber de lege ferenda ge-fordert, für derartige nunmehr gehäuft auftretende Fälle, auch hinreichende gesetzliche Rahmenbedin-gungen zu schaffen.

Eine weitere häufiger auftretende Problematik ist, dass – aufgrund der Rechtslage zulässigerweise34 – Ansuchen, die mit einer bereits in Behandlung befindlichen Bewerbung widerstreiten, zu berück-sichtigen sind, wenn sie noch vor Abschluss der mündlichen Widerstreitverhandlung erster Instanz bei der Behörde eingebracht werden. Mit anderen Worten: Wenn das Verfahren zunächst auf die Frage des Vorzugs beschränkt ist, sind derartige Ansuchen im Widerstreitverfahren zu berücksichtigen, wenn sie noch vor Abschluss der mündlichen Widerstreit-verhandlung behördenanhängig werden.

Dies führt in der Praxis dazu, dass, sofern sich etwa zwei Projektwerber in einem Widerstreitverhältnis gegenüberstehen, die betroffenen Projektwerber Akteneinsicht betreffend das jeweils andere Projekt nehmen können und zwischen Akteneinsicht und Verhandlung – sofern sich abzeichnet, dass das wi-derstreitende Projekt den öffentlichen Interessen besser dient, als das eigene Projekt – ein, dem wider-streitenden Projekt ähnliches bzw diesem gegenüber sogar etwas verbessertes Projekt etwa durch einen

34 Siehe § 109 Abs 2 WRG 1959.

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WOLfRAM SCHACHINGER / THOMAS NEGER: Aktuelle Entwicklungen und gesetzlicher Handlungsbedarf bei wasserrechtlichen Widerstreitverfahren

„Strohmann“ einreichen können. Die geschilderte Vorgehensweise ist zwar rechtlich grundsätzlich zu-lässig, entspricht aber wohl nicht der Intention des Gesetzgebers. Auch dahingehend sollten de lege fe-renda Überlegungen angestellt werden, wie man die-ser faktischen Tendenz entgegenwirken kann.

Mindestens genauso problematisch ist, dass, sofern kein Widerstreitverfahren geführt wurde, bis zum Schluss der mündlichen Genehmigungsverhandlung erster Instanz ein („geklontes“ bzw meist sogar ver-bessertes) widerstreitendes Projekt bei der Behörde eingereicht werden kann. Dies ist umso bedenklicher, wenn dieses Projekt durch einen Antragsteller ein-gereicht wird, der im wasserrechtlichen Verfahren betreffend das ursprüngliche Projekt Parteistellung und Zugang zu Projektdetails hatte, die anderen po-tenziellen Projektwerbern nicht zugänglich sind (sie-he dazu bereits III.A.5.). Auch dahingehend besteht unseres Erachtens dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

IV. RESUMEE

Wiewohl zahlreiche – auch höchstgerichtliche – Rechtsprechung und auch diverse Aufbereitungen in der Literatur zu wasserrechtlichen Widerstreitver-fahren vorliegen, wurden zahlreiche praxisrelevan-te und aktuelle Themen bis dato weder in Literatur noch Judikatur behandelt. Dahingehend bestehen umfassende Vollzugsschwierigkeiten, sodass unseres Erachtens ein dringender Handlungsbedarf des Ge-setzgebers besteht.

> MAg. WOLfrAM ScHAcHingEr

rechtsanwalt in der Kanzlei fellner Wratzfeld & Partner

rechtsanwälte in 1010 Wien, Schottenring 12. E-Mail:

[email protected]; Web: www.fwp.at

> Dr. THOMAS nEgEr

rechtsanwaltsanwärter in der Kanzlei fellner Wratzfeld

& Partner rechtsanwälte in 1010 Wien, Schottenring 12.

E-Mail: [email protected]; Web: www.fwp.at

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