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418 | © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 418 – 432 Sekt, Champagner & Co. K LAUS ROTH So prickelnd kann Chemie sein DOI: 10.1002/ciuz.200900520 Bild: Verband Deutscher Sekt- kellereien

Sekt, Champagner & Co. So prickelnd kann Chemie sein

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418 | © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 418 – 432

Sekt,Champagner& Co.KLAUS ROTH

So prickelnd kannChemie sein

DOI: 10.1002/ciuz.200900520

Bild: VerbandDeutscher Sekt-kellereien

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Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 418 – 432 www.chiuz.de © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 419

S E K T | K U R I OS , S PA N N E N D, A L LT Ä G L I C H …

Wie in jeder Silvesternacht werden wir auchdiesmal das Neue Jahr mit guten Vorsätzenund einem Glas Sekt oder Champagner be-grüßen. Wohl jeder von uns hat schon einmalverzückt das perlende Getränk im Glas beob-achtet, wie die Gasbläschen scheinbar ausdem Nichts kommend aufsteigen undschließlich an der Oberfläche zerplatzen.Wenn Sie aber glauben, chemisch-physika-lisch sei dabei nicht viel los, dann irren Sie ge-waltig. Sekt & Co sind weit mehr als nur einKorkenknall und ein bisschen Prickeln auf derZunge. Lassen Sie sich überraschen!

Die alkoholische Gärung ist der älteste von Menschengenutzte biotechnologische Prozess [1]. Nach der in

Gleichung (1) zusammengefassten Reaktionssequenz bauenHefezellen Zucker bei Sauerstoffausschluss zu Ethanol undKohlendioxid ab. Maximal können Ethanolgehalte bis zu14 Vol% erreicht werden, denn bei diesen hohen Ethanol-konzentrationen sterben Hefezellen durch ihr eigenes Stoff-wechselprodukt ab. Nach Abfiltrieren der Hefezellen ist derWein im Prinzip trinkfertig [2].

Gleichung (1) drängt die Herstellung eines sprudeln-den (moussierenden) Weines geradezu auf. Das bei der Gä-rung entstehende CO2 muss einfach nur im entstehendenWein verbleiben. Was läge näher, als Traubenmost und He-fe einfach in eine Flasche abzufüllen und fest zu verkorken?Eine auf den ersten Blick brillante Idee, die in der Praxis lei-der völlig fehlschlägt, denn bei der Gärung entstünde sovielCO2, dass der Druck in der verschlossenen Flasche auf fast50 atm ansteigen und sie unweigerlich explodieren würde(Abbildung 1). So einfach kann man Sekt leider nicht her-stellen!

Die Anfänge der schäumenden Weine [3]Moussierende Weine sind schon seit dem Altertum bekannt,aber galten und gelten noch heute meist als minderwertig,denn der Wein wurde offensichtlich zu früh, also vor Endeder Gärung, auf Flaschen gezogen, in denen es zu einer un-beabsichtigten Zweitgärung kam [4]. Es lag nahe, dass ir-gendwann einmal ein pfiffiger Kellermeister aus der Not ei-ne Tugend machte und durch eine gut kontrollierte Zweit-gärung ein geschmacklich ansprechendes Getränk entwi-ckelte. Wann dies geschah und wer die zündende Idee hat-te, ist unklar und darüber lässt sich vortrefflich streiten. DieEngländer reklamieren die Entdeckung der Flaschengärungfür sich, denn Christopher Merret berichtete erstmals 1662vor der Royal Society über dieses Verfahren als Methode, umimportierte französische Weine (vor allem die aus der Cham-pagne!) geschmacklich zu verbessern [5].

Für die Franzosen ist selbstverständlich ein Franzose derErfinder des Champagners: der Benediktinermönch DomPierre Pérignon (1638–1715). Als Kellermeister der AbteiSaint-Pierre d’Hautviller in der Champagne hat er die mé-thode champenoise maßgeblich mitentwickelt und per-fektioniert. Dies war ein langjähriger Prozess, so dass dieFestlegung des Geburtsjahres des Champagners auf das Jahr

A B B . 1 | S T Ö C H I O M E T R I E E I N E R TOTA L E N F L A S C H E N G Ä R U N G

Für die einfachste Sektherstellung (Achtung, Gedankenexperiment!!) bräuchte man nurMost und Hefe direkt in eine Flasche abzufüllen und fest zu verschließen. Glücklicherwei-se bewahrt uns eine kleine stöchiometrische Überschlagsrechnung vor dieser Dummheit.

Ein Liter eines typischen Traubenmosts enthält etwa 200 g Zu-cker, aus dem nach Gleichung (1) bei vollständiger Gärung 102 gEthanol (etwa 13 Vol%) und 98 g Kohlendioxid gebildet werden. Ineiner üblichen 0,75 L-Flasche wären dies 74 g CO2 entsprechend38 Liter bei einer Atmosphäre und 0 °C.

Bei 10 °C und 1 atm Druck lösen sich in 0,75 L Wasser 1,6 gCO2. Da nach dem Gesetz von William Henry die gelöste Menge ei-nes Gases proportional zum Gasdruck ist, würde sich nach voll-ständigem Lösen von 74 g Kohlendioxid in 0,75 L Wein ein Druckvon 46 atm aufbauen. Mit anderen Worten: Bei einer direkten Fla-schenvergärung von Traubenmost würde uns jede Glasflasche umdie Ohren fliegen. Der übliche CO2-Druck in einer Sektflasche von4–6 atm kann nur erreicht werden, wenn die Gärung in zwei ge-trennten Stufen abläuft, die Hauptgärung zunächst drucklos undanschließend eine druckerzeugende Zweitgärung.

William Henry(1775–1836)[Foto: wikimediacommons]

ABB . 2 | DER UR SPRUNG DES CHAMPAG NER S: BRITISH ODER FRANÇAIS ?

Durch Zucker- und Hefezugabe zu einem durchgegorenenleichten Wein kann eine zweite Gärung eingeleitet werden.Über dieses heute als méthode champenoise bezeichneteVerfahren berichtete erstmals 1662 nicht ein Franzose, son-dern der Engländer Christopher Merret (1614 –1695) vor derRoyal Society in London. RidgeView Estate, ein führenderenglischer Sekthersteller, bezeichnet seine aus südengli-schen Weinen durch Flaschengärung hergestellten Schaum-weine nicht als „sparkling wine“, sondern voller National-stolz als „Merret“. [Foto: The Royal College of Physicians,London]

Aus französischer Sicht ist der Benediktinermönch DomPierre Pérignon (1638–1715) Vater des Champagners. AlsKellermeister entwickelte und vervollkommnete er die Fla-schengärung und machte den in der Champagne produzier-ten Schaumwein zu einem Spitzenprodukt. Ihm verdankenwir auch die Flaschengröße von 0,75 Liter, die nach seinerAuffassung genau der Menge entsprach, die damals einMann von Welt zum Abendessen trank. Nach Dom Pérignonwird heute eine hochwertige Champagnermarke der FirmaMoët & Chandon benannt. [Foto: wikimedia commons]

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1695 willkürlich erscheint. Dass Dom Pérignon nach derEntdeckung seinen Klosterbrüdern zugerufen haben soll:„Brüder, kommt geschwind. Ich trinke Sterne!“, ist wohleher eine hübsche Anekdote. Sicher ist aber, dass Dom Pé-rignon die Zweitgärung auf der Basis von Mischungen ver-schiedener Weine und die zusätzliche Sicherung des Fla-schenverschlusses durch eine Kordel um den Flaschenhalseinführte (Abbildung 2).

Ob nun der Erfinder des hochwertigen Schaumweinsbeim Öffnen der ersten Flasche „Heureka!“ mit französi-schem oder englischen Akzent ausrief, bleibt ein Geheim-nis [6]. Eins steht allerdings fest: Die Mönche und Winzerder Champagne haben die Flaschengärung über Jahrhun-derte durch strenge Produktionsvorschriften so perfektio-niert, dass heute eine Flasche guter Champagner das Ge-tränk für die besonderen Anlässe im Leben ist. Verfolgen wirden Herstellungsweg vom Weinberg über die Flasche bis inunser Glas und ergründen dabei, welche prominente undso erfreulich schmackhafte Rolle die Chemie dabei spielt[7, 8].

Vom Weinberg in die Sektkellerei Ausgangspunkt aller Sekte ist ein stiller Grundwein (Abbil-dung 3). Bei dessen Herstellung werden relativ früh geern-tete, also nicht vollreife Trauben verarbeitet, die wegen ih-res geringen Zuckergehalts nach der Vergärung leichte Wei-ne mit Alkoholgehalten um 9–10 Vol% ergeben.

Bei den meisten Sekten geht man nicht von einem ein-zigen Wein aus, sondern aus bis zu 80 Weinen verschiede-ner Traubensorten, Jahrgänge und Lagen wird eine Cuvéekomponiert. Die hohe Kunst des Mischens (assemblage)wurde besonders von Dom Pérignon kultiviert, um in denverschiedenen Jahren eine gleichbleibend gute Qualität zuerreichen. Keineswegs gilt das Mischen verschiedener Wei-ne zur Sektherstellung als etwas Anrüchiges, im Gegenteil,viele der besten und teuersten Champagner entstanden auseiner meisterlichen Cuvée.

Dem stillen Grundwein wird eine Fülldosage (liqueurde tirage) zugegeben, eine Mischung von Hefe und Zucker.Nach Überführen in ein Druckgefäß (Drucktank oder Fla-sche) setzt die zweite Gärung ein. Die zugegebene Zu-ckermenge führt nach der Vergärung zur Erhöhung des Al-koholgehalts um etwa 1,5 Vol% und zum Druckaufbaudurch das entstandene Kohlendioxid. Am Ende der Gärungund nach einer längeren Reifezeit wird die Hefe abgetrennt.Zum Abschluss wird der Sekt mit einer Versanddosage ver-setzt, einer Mischung aus Zucker, Most und Wein, mit derdie Süße entsprechend den Kundenwünschen eingestelltwird (Abbildung 4).

Sekt wird heute nach drei Verfahren hergestellt: Groß-raum- und Flaschengärung sowie das Transvasierverfahren.

Großraumgärung: Der Grundwein wird in riesigedruckfeste Edelstahlbehälter (Fassungsvermögen von200 000 l und mehr) gefüllt und mit Hefe und Zucker ver-setzt. Während der einsetzenden Gärung und der an-schließenden Reifung von mehreren Monaten liegt derSekt auf der Hefe und verbessert dabei seine sensorischenEigenschaften erheblich. Nach Abfiltrieren der Hefe wirdder Sekt auf Flaschen gezogen. Mit diesem Verfahren ar-beiten die meisten Sektkellereien, da so große Mengenqualitativ guter und dabei preiswerter Sekte hergestelltwerden können.

Flaschengärung: Dies ist das klassische Verfahren zurHerstellung hochwertiger Sekte und des Champagners. Die

A B B . 3 | S C H AU M W E I N E – E I N E K L E I N E WA R E N KU N D E

Schaumweine sind wein- und kohlensäu-rehaltige Getränke, die unter einem durchGärung entstandenen Kohlensäure-Druckvon mindestens 3 atm bei 20 °C stehen[42]. Je nach Ursprung, Herstellung undEigenschaften werden die Schaumweineunterteilt und entsprechend deklariert.Hier nur ein kleiner Ausschnitt aus demkomplexen EU-Gesetzeswerk:

Schaumweine mit zugesetzter Kohlen-säure sind Weine, in die gasförmiges CO2

unter Druck eingepresst wurde (Impräg-nierverfahren).

Schaumweine aus einmaliger Gärungentstehen aus Trauben von Bukettsorten,die durch Unterbrechung der Gärung süßgehalten werden, dann in Flaschen abge-füllt und verschlossen werden und an-schließend in der Flasche durchgegorenwerden. Typische Vertreter sind Asti spu-mante und Blanquette de Limoux [43].

Schaumweine aus zweimaliger Gärungwerden nach Zucker- und Hefezugabe ausdurchgegorenen Grundweinen durch er-

neute Gärung nach einem der folgendenVerfahren hergestellt: Flaschen-, Transva-sier- und Großraumgärung.

Schaumweine werden in folgende Quali-tätsklassen unterteilt:Bei Alkoholgehalten < 10 Vol% sprichtman von Schaumwein, bei Alkoholgehal-ten > 10 Vol% und einem Flaschendruck> 3,5 atm bei 20 °C von Qualitätsschaum-wein. Zusätzlich muss bei Qualitäts-schaumwein die Herstellzeit im Groß-raumverfahren mindestens 6 Monate (da-von 60 Tage auf der Hefe) und bei der Fla-schengärung 9 Monate (davon 90 Tageauf der Hefe) betragen.

Ein Qualitätsschaumwein darf nurdann als Champagner bezeichnet werden,wenn die Grundweine aus der Champagnestammen und auch dort versektet wur-den. Außerhalb der Champagne werdenQualitätsschaumweine in Frankreich alsCrémant, in Deutschland als Sekt, in Spa-nien als Cava, in Italien als Spumante undin der Ukraine als Krimskoje (Krimsekt)bezeichnet.

A B B . 4 | D I E S Ü ß E VO N S E K T U N D C H A M PAG N E R

Vor der Flaschenabfüllung wird Sekt mit einer Versanddosage versetzt. Mit dieserMischung aus Wein, Most und Zucker wird die gewünschte Süße eingestellt. Die ent-sprechenden Attribute sind mit denen von Weinen nicht direkt vergleichbar, da infolgedes höheren Säuregehalts ein Sekt bei gleichem Restzuckergehalt weniger süß schmecktals der entsprechende Wein.

Attribute Zuckergehalt [g/l]brut nature/naturherb 0– 3

Extra brut 3–6

brut bis 15

extra trocken 11–20

sec(co)/trocken 17–35

demi sec/halbtrocken 33–50

doux/mild über 50

Bild: Verband DeutscherSektkellereien e. V.

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Zweitgärung erfolgt in flach liegenden, mit einem Kron-korken verschlossenen Flaschen. Die Hefe liegt zunächstam Boden und muss nach der Vergärung und mehrmonati-ger Reifung abgetrennt werden. Dies ist bei einer unterDruck stehen Flasche nicht einfach. Folgendes trickreicheVerfahren hat sich bewährt: Die Flaschen werden in ein sogenanntes Rüttelpult schräg gelegt, wobei der Flaschenhalsnach unten zeigt. Nun wird die Flasche vielfach „gerüttelt“,um die am Boden liegende Hefe von der Glaswand abzulö-sen. Gleichzeitig wird die Flasche nach jedem „Rütteln“ um1/8 Umdrehung gedreht und ein wenig steiler aufgestellt.Nach etwa 21 Tagen steht die Flasche schließlich senkrechtund die gesamte Hefe hat sich im Flaschenhals gesammelt(Abbildung 5). Heute übernimmt in vielen Kellereien eineRüttelmaschine diese zeitaufwendige Handarbeit, allerdingsbeschäftigen namhafte Sektkellereien noch immer speziali-sierte Fachkräfte für diese Handarbeit.

Zur Enthefung wird der Flaschenhals in ein Kältebadvon –20 °C eingetaucht, bis die Flüssigkeit um die Hefe imFlaschenhals gefroren ist. Die Flasche wird kurz geöffnet(degorgiert), so dass durch den Druck der Eispfropfen incl.Hefereste herausschießt. Danach wird die Versanddosagezugesetzt, mit der die Süße des Schaumweins eingestelltwird. Schließlich wird die Flasche mit einem Korken aus Ei-chenkork oder Kunststoff verschlossen und der Verschlussmit einem zusätzlichen Draht (agraffe) gesichert.

Das sehr arbeitsaufwendige Verfahren der Flaschengä-rung nach traditioneller Art (méthode traditionelle) [9]macht die Herstellung sehr teuer und wird deswegen nurbei höherwertigen Produkten angewandt.

Transvasierverfahren: In diesem Verfahren wird dieGroßraum- mit der Flaschenvergärung kombiniert. DieZweitgärung selbst erfolgt zwar in Flaschen, die aber nichtdegorgiert, sondern in große Edelstahltanks unter Druckentleert werden. Die aufwendige Abtrennung der Hefedurch Filtration erfolgt aus dem Edelstahltank und schließ-lich werden die Flaschen abgefüllt. Die mit diesem Verfah-ren hergestellten Sekte dürfen mit dem Hinweis „im Fla-schengärverfahren hergestellt“ deklariert werden.

Sekt oder Champagner, das ist hier die Frage! Der Champagner ist der unbestrittene König aller schäu-

menden Weine. Der Wein darf nach den strengen Regelnder „Appelation d’Origine Contrôlée“ nur aus der Cham-pagne rund um Reims stammen und „Champagner“ mussdort nach einem festgelegten Verfahren hergestellt wordensein. Der Begriff ist streng geschützt (Abbildung 6).

Um die hohe Qualität aller Champagner zu gewähr-leisten, muss jeder Hersteller einer Vielzahl von detaillier-ten Herstellungsvorschriften folgen, so dass Champagnerdas wohl am strengsten kontrollierte Getränk überhauptist. Hier eine kleine Auswahl dieser Vorschriften: – Das genau abgegrenzte Anbaugebiet umfasst seit 1927

nur 36.000 Hektar. – Dem Prinzip „Qualität vor Quantität“ folgend wird jedes

Jahr die maximale Traubenmenge je Hektar festgelegt.

A B B . 5 | D I E T R A D I T I O N E L L E F L A S C H E N G Ä R U N G

(a) In einer dickwandi-gen Flasche wird einleichter Grundwein bzw.Verschnitt verschiedenerWeine (Cuvée) mit einerMischung aus Zuckerund Hefe (liqueur des ti-rage) versetzt. (b) DieFlaschen werden mit ei-nem provisorischenKronkorken verschlos-sen. (c) Die verschlossenen Flaschen werden zur Vergärung waagerecht gelegt, da-mit die Flüssigkeit guten Kontakt zur Hefe hat. (d) Am Ende der Vergärung bleibtder Sekt während einer mehrmonatigen Reifezeit „auf der Hefe stehen“. Der dabeierfolgende Abbau der Hefereste führt zu einer wesentlichen Aromaverbesserungdes Sekts. (e) Nach mindestens sechsmonatiger Alterung werden die Flaschen mitdem Hals nach unten in ein Rüttelbrett gestellt und immer wieder über einige Zeitgerüttelt und jeweils um etwa eine Achtel Umdrehung gedreht. (f) Beim Rütteln lö-sen sich die Hefereste von der Innenwand der Flaschen und setzen sich im Flaschen-hals ab. Während der Rüttelung wird die Flasche schrittweise immer steiler aufge-stellt, so dass sich am Ende die gesamte Hefe im Flaschenhals als Bodensatz ange-sammelt hat. (g) Nach dem Eintauchen des Flaschenhalses in ein –20 °C Kältebadwird die Flüssigkeit um die Hefereste eingefroren und beim Öffnen des Kronkor-kens schießt der Eispfropfen mitsamt der Hefe aus der Flasche (degorgieren).(h) Zum Abschluss wird die Versanddosage zugesetzt, eine Mischung aus Zucker,Most und Wein, mit der die Süße des Endprodukts eingestellt wird. Zu guter Letztwird die Flasche mit einem Korken verschlossen.[Fotos: wikimedia commons (d), Sektkellerei Dirk Kessler, Wintrich, Mosel (a–c, e–h)]

a)

c)

e)

g) h)

f)

d)

b)

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– Nur mit Hand geerntete, in der Champagne gewachse-ne Trauben der Sorten Chardonnay, Pinot Noir (Spät-burgunder) und Pinot Meunier (Schwarzriesling) dürfenfür den Grundwein verwendet werden [10].

– Aus 160 kg Trauben dürfen maximal 100 L Most ausge-presst werden. Die Pressung muss schnell und scho-nend erfolgen, damit die in der Schale befindlichen ro-ten Farbstoffe der beiden Pinots nicht in den Most dif-fundieren.

– Nach der dreiwöchigen Vergärung muss der Champag-ner mindestens 15 Monate auf der Hefe stehen, bei Jahr-gangs-Champagnern sogar drei Jahre.

Kein Wunder, dass dieser große Aufwand seinen Preis hat.Da die jährliche Traubenernte gesetzlich begrenzt wird,können maximal 350 Millionen Champagner-Flaschen imJahr hergestellt werden. Wegen der langen Reifungszeitenlagern in den Kellern der Champagner-Häuser schätzungs-weise 1,5 Milliarden Flaschen. Zwischen den verschiede-nen Champagnern gibt es große Qualitätsunterschiede, diesich in einer nach oben recht offenen Preisskala ausdrü-cken. Neben Champagner-Raritäten, die auf Auktionen vier-bis fünfstellige Eurobeträge erreichen (pro Flasche!), be-kommt man aber schon für 150 1 etwas Ordentliches, z.B.eine Flasche Champagne Krug Grande Cuvée, der 6 Jah-re auf der Hefe gestanden hat und den der Wein-Guru Ro-bert Parker mit „kraftvoll, ausdruckstark, verwegen undüberbordend“ beschreibt und von den „kräftigen, fruchti-gen, würzigen Aromen und der immensen Tiefe“schwärmt. Und die besonders feine und beständige perla-ge soll „grandios“ sein!

Es muss aber nicht immer Champagner sein. Auch au-ßerhalb der Champagne werden hervorragende Produktenach dem gleichen Verfahren hergestellt, nur sie müssen an-ders benannt werden: Crémant in Frankreich, Sekt inDeutschland, Cava in Spanien, Spumante in Italien undKrimskoje (Krimsekt) in der Ukraine. Letztlich entscheidetnicht das Flaschenetikett über die Qualität, sondern die Zun-ge und Nase des Verbrauchers. Eine von der Zeitschrift„Stern“ 2007 durchgeführte große Blindverkostung von über300 internationalen Sekten und Champagnern (Flaschen-preise < 60 1) ergab ein interessantes Bild. Zwar waren esvier Champagner (Flaschenpreis um die 50 1), die mit mehrals 88 von 100 möglichen Punkten mit Gold ausgezeichnetwurden, jedoch tauchten unter den mit Silber bewertetenProdukten auch einige deutsche Erzeugnisse auf, u.a. einSekt Cabinet extra trocken der Sektkellerei Kessler in Ess-lingen, der mit einem Flaschenpreis von 7,20 1 viele, we-sentlich teurere Champagner mit klangvollen Namen hintersich ließ [11]. Für den Novizen gilt wie bei allen Genüssen:Probieren geht über Studieren. Aber Achtung! Auch in größ-ter Sektlaune kann kritische Aufmerksamkeit nicht schaden:Bei einer Schaumweinsteuer von 1,02 1 je Flasche freut sichder Finanzminister über jede getrunkene Flasche. WievielQualität kann aber ein Verbraucher von einer Flasche er-warten, die beim Discounter für 2,29 1 inkl. Mehrwert- undSektsteuer über den Ladentisch geht?

Die beiden Artikel 274 und 275 des Vertrages von Versailleswerden als Champagner-Paragraphen bezeichnet. Darin „[...]verpflichtet sich Deutschland zur Beachtung der Gesetze [...],die in einem alliierten oder assoziierten Lande in Kraft sind[...] und die das Recht einer örtlichen Herkunftsbezeichnungfür Weine oder Spirituosen festsetzen [...].“ Mit anderen Wor-ten: Die in Frankreich seit 1883 geltenden gesetzlich ge-schützten Herkunftsbezeichnungen für „Champagner“ und„Cognac“ galten auch in Deutschland. Seitdem werden ver-gleichbare Produkte in Deutschland als „Sekt“ bzw. „Wein-brand“ bezeichnet werden. [Gemälde von William Orpen, Bild-quelle: wikimedia commons]

Das Schütteln und Öffnen einer lauwarmen Magnum-FlascheSekt oder Champagner und das anschließende Duschbadscheint ein unverzichtbares Ritual nach Autorennen zu sein.Am 19. April 2009 zelebrierten die beiden Bestplatziertennach dem Grand Prix von China in Shanghai diese aus Sichteines Genießers unsinnige Barbarei. Aus physikalisch-chemi-scher Sicht ist dieses Ritual jedoch hochinteressant, denndurch das kräftige Schütteln wird nicht etwa der Druck in derFlasche von etwa 7–8 atm erhöht, sondern es bilden sich beimSchütteln unzählige kleine Gasbläschen in der Flüssigkeit,über deren Grenzfläche nach Öffnen der Flasche das CO2 ra-sant in die Gasphase übertritt und für das beeindruckendeSprudelbad sorgt. [Foto: redbull technology]

Abb. 6 Cham-pagner und derVersailler Vertragvon 1919

Abb. 7 SebastianVettel und MarkWebber im Cham-pagner-Moment

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Öffnen einer Flasche Sekt – Eine Frage vonKultur und Thermodynamik

Sekte verlassen die Kellerei ausgereift, ihre Qualität ver-bessert sich also nicht mit der Lagerzeit, da der CO2-Druckunweigerlich abnehmen muss. Flaschen mit Naturkorkenkönnen liegend 8–10 Jahre, mit Kunststoffkorken etwa 2Jahre stehend zwischen 10–15 °C und unbedingt dunkelaufbewahrt werden.

Zum richtigen Öffnen einer Flasche Sekt oder Cham-pagner braucht man nur ein paar Regeln zu beachten undseinen gesunden Menschenverstand zu benutzen. Sekte soll-ten mit 6–8 °C serviert werden, bei zu tiefen Temperaturenentwickelt sich kein Aroma und in der Wärme verliert je-der eingeschenkte Sekt schnell an Frische und wird schal.Die Flasche kommt in aller Regel aus dem Kühlschrank undsollte dort bereits einige Stunden ruhig gestanden haben.Beim und nach dem Herausnehmen sollte die Flasche mög-lichst wenig bewegt und schon gar nicht geschüttelt wer-den, denn das Ziel ist ja nicht ein gewaltiger Knall oder dasÜberschäumen des halben Flascheninhalts, sondern nur einleises „Plopp“, damit möglichst viel des herrlichen Getränksim Glas und nicht auf dem Teppich landet. Wie alles falschgemacht werden kann, demonstrieren uns die Sieger jedesFormel-1-Rennens (Abbildung 7). Ein perfekter Gastgebermacht es so:– Die gekühlte Flasche vorsichtig aus dem Eiskübel neh-

men und mit einer Serviette abtrocknen und dem (in-teressierten) Gast das Etikett zeigen.

– Die Flasche mit einer Hand etwa um 45° neigen unddann mit der anderen Hand zunächst die Stanniolkap-pe öffnen und die Schleife des Drahtkorbes aufdrehen.Dabei den Korken nie in Richtung von Personen rich-ten.

– Den Drahtkorb aufweiten und mitsamt der Stanniol-kappe entfernen. Häufig löst sich schon jetzt der Kor-ken und muss beim Herauskommen mit dem Daumenfixiert werden. Meist aber muss der Korken durch Dre-hen gelöst werden, im Notfall hilft eine Korkenzangeoder ein Nussknacker. Ziel ist nur ein sanftes, kaum hör-bares Seufzen beim Öffnen der Flasche, niemals ein lau-tes „Plopp“, denn: Was das Ohr gewinnt, geht demGaumen verloren [12].

Die thermodynamische Ausgangslage einer geschlossenenund gekühlten Sektflasche scheint übersichtlich: Durch denInnendruck von etwa 5,5 atm (bei 10 °C) ist der größte Teildes bei der Zweitgärung entstandenen Kohlendioxids imSekt gelöst. Für die Verteilung des CO2 zwischen dem etwa15 mL großen Gasraum und der Flüssigkeit gilt das Henry-Daltonsche Gesetz (2). Danach ist die Löslichkeit eines Ga-ses in einer Flüssigkeit proportional zum äußeren Druckdes Gases:

csekt = kH · pext (2)

In der gekühlten Sektflasche (V = 0,75 L) sind bei 10 °C und5,6 atm etwa 9,5 g Kohlendioxid gelöst (Abbildung 8) [8,13].

M A DA M E L I LY B O L L I N G E R |Madame Lily Bollinger, die damalige Besitzerin desgleichnamigen Sekthauses, stellte am 17.Oktober1961 in London den 1955er Jahrgang vor. Auf die Fra-ge eines Reporters vom Daily Mail, zu welchen Gele-genheiten sie denn Champagner trinke, antwortetesie: „Ich trinke ihn, wenn ich fröhlich bin und wenn ichtraurig bin. Manchmal trinke ich davon, wenn ich al-lein bin, und er darf nicht fehlen, wenn ich in Gesell-schaft bin. Wenn ich keinen Hunger habe, mache ichmir mit ihm Appetit, und wenn ich hungrig bin, lasseich ihn mir schmecken. Sonst aber rühre ich ihn nichtan, außer wenn ich Durst habe.“

A B B . 8 | D R U C K U N D L Ö S L I C H K E I T VO N CO 2 I N E I N E M M O D E L L- S E K T( 1 2 , 5 % E T H A N O L , 1 0 G / L Z U C K E R )

In einer handelsüblichen Flasche (0,75 L) Sekt oder Champagner herrscht bei10 °C ein CO2-Druck von etwa 5,6 atm, was einer gelösten CO2-Gesamtmenge vonetwa 9,5 g je Flasche entspricht. Nach dem Öffnen der Flasche sinkt der CO2-Druck auf 1 atm und die Löslichkeit beträgt nur noch 1,7 g (bei 10 °C), d.h. esmüssten knapp 8 g CO2 schlagartig freiwerden. Diese CO2-Menge entsprichteinem Volumen von 4 L, immerhin das Fünffache des Flaschenvolumens.

T °C Henrys Konstante kH Druck in einer Sektflasche[kgm–3atm–1] P [bar] P [atm]

0 2,98 4,0 4,1

5 2,49 4,7 4,8

10 2,07 5,6 5,7

15 1,73 6,7 6,8

20 1,44 8,0 8,1

25 1,21 9,5 9,6

A B B . 9 | T H E R M O DY N A M I K D E SÖ F F N E N S E I N E R S E K T F L A S C H E

Beim Öffnen expandiert das gasförmige CO2 imFlaschenhals schlagartig und der Druck sacktvon 5 auf 1 atm ab. Dies führt zur Abkühlung desausströmenden CO2. Eine Kurzzeitaufnahmezeigt eindrucksvoll, wie dadurch die in der Um-gebungsluft enthaltene Feuchtigkeit zu einemweißen Rauch aus Eiskristallen gefriert. Wer hät-te gedacht, dass uns das Öffnen einer Sektflaschesolch tiefe Einblicke in die Thermodynamik er-möglicht. [Foto: Hinnerk Rümenapf, Hamburg,http://ruemenapf.de]

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Nach Öffnen der Flasche müssten aus thermodynamischerSicht schlagartig 8 g CO2 entsprechend gut 4 L gasförmi-ges Kohlendioxid aus der Flüssigkeit freigesetzt werden,immerhin das Fünfeinhalbfache des Flaschenvolumens.Glücklicherweise passiert dies nicht, denn dabei würde dergesamte Sekt herausschießen.

Gehen wir bei unserer Analyse schrittweise vor. Be-trachten wir zunächst nur die ca. 15 mL gasförmiges Koh-lendioxid, die bei 10 °C unter einem Druck von 5,5 atm imFlaschenhals stehen. Ein thermodynamisch übersichtlichesFlaschenöffnen sähe so aus, dass der Korken entlang einessehr langen Flaschenhalses rutschen kann. Der Korken sollsich dabei reibungslos solange nach oben bewegen, bis derDruck im Flascheninneren so groß ist wie der Außendruckvon 1 atm. In diesem Fall leistet das sich von 5,5 auf 1 atmausdehnende Kohlendioxid gegen den Außendruck P1 eineVolumenarbeit. Von w = P1(V2 – V1), wobei V2 das Volumennach der Expansion und V1 = 15 mL das Volumen vor derExpansion bedeutet. Für eine dicke Sektflasche können wirmit ruhigem Gewissen annehmen, dass sie so gut isoliert,dass zwischen dem inneren Gas und der Außenwelt keinWärmeaustausch stattfindet. Für diesen als adiabatische Ex-pansion bezeichneten Vorgang gilt nach den Gesetzen derThermodynamik [14]:

P1/P2 = (V2/V1)m (3)

wobei m = Cp/Cv der Quotient aus den molaren Molwär-men bei konstantem Druck und konstantem Volumen(mCO2 = 1,30) ist. Bei einer Druckänderung von 5,5 auf1 atm dehnt sich das CO2-Volumen nach Gleichung (3) vonV1 = 15 mL auf V2 = 52 mL aus. Die dabei nach außen ge-leistete Volumenarbeit geht dem System verloren und führtzu einer Abkühlung des CO2. Es gilt:

T1/T2 = (P 1/P2)(m–1)/m

In unserem Fall gilt (T1/T2) = (5,5)0,23 = 1,48. Somit würdedie CO2-Temperatur nach dem Expandieren theoretischauf T2 = 191 K absinken, was einer Temperaturerniedri-gung auf –82 °C entspricht. Dieses Ergebnis wurde unterstark idealisierten Vereinfachungen abgeleitet, so dass dieAbkühlung viel zu groß ausfällt [15]. Der deutlich erkenn-bare weiße Nebel bzw. Rauch zeigt aber, dass die Abküh-lung ausreicht, das in der Umgebungsluft enthaltene Was-ser zum Kondensieren bzw. Gefrieren zu bringen (Abbil-dung 9).

„Ich will Champagner Wein, Und recht moussierend soll er sein!“ [16]

Nach dem Öffnen riecht der aufmerksame Gastgeber un-auffällig an der Unterseite des Korkens, um sich zu verge-wissern, dass ihm kein verdorbener Geruch anhaftet. Dannwird der 6–8 °C kalte Sekt in zwei, drei Schritten in die Glä-ser eingegossen, die jedoch höchstens zu 2/3 gefüllt wer-den dürfen, damit noch genügend Raum zur Aromaentfal-

E I N E F L A S C H E C H A M PAG N E R |Die chemische Natur und relative Menge der Hauptbestand-teile in einer Flasche Champagner sagen nur wenig über denzu erwartenden Hochgenuss. Den Unterschied zwischen ei-nem Billig- und einem Spitzensekt machen eben nur geringeKonzentrationsunterschiede von bestimmten erwünschtenoder gerade nicht erwünschten Aromastoffen einerseits undeiner gelungenen Balance zwischen Süße und Säurespiel an-derseits aus. Um diese aus chemisch-analytischer Sicht nurscheinbar geringen Nuancen mühen sich Winzer und Keller-meister Monate und Jahre ab, beginnend mit der sorgfältigenAuswahl der Trauben, der Vergärung und Auswahl und Mi-schung der Grundweine und die anschließende Zweitgärung.Vor allem eine lange Standzeit auf der Hefe hat großen Ein-fluss auf das Aroma, denn bei der langsamen Zersetzung derHefe entstehen hochgeschätzte Aromakomponenten [38].

Welcher Sekt oder Champagner der Beste ist, darüber strei-ten sich die Fachleute seit Jahrhunderten. Für viele Kenner gel-ten Champagner von Krug als das Beste vom Besten, vor al-lem die sorgfältig hergestellten und viele Jahre auf Hefe lie-genden Jahrgangs-Champagner und die Krug-Collection. DerBeste unter den Besten ist der 1928er Krug Collection Cham-pagner. Nach Kennermeinung besticht er durch seine tiefgol-dene Farbe und sein andauerndes Perlenspiel. Sein komplexesAroma mit starken Karamel-, Biskuit- und Honignoten ist ein-zigartig und mündet in einem mehrere Minuten andauerndenAbgang. Kein Wunder, dass der teuerste auf Weinauktionenversteigerte Champagner ein 1928er Krug war. Am 28. März2009 erzielte eine einzige(!) Flasche den Rekordpreis von15.900 2.

Verbindung Menge [g] je 0,75 l Flasche [8]

Ethanol 75

CO2 7,5–9,0

Glycerin 3,8

Weinsäure 1,9–3,0

Milchsäure 3,0

Zucker 7,5–38

Proteine 0,004–0,008

Polysaccharide 0,15

Polyphenole 0,08

Aminosäuren 0,0006–0,0015

flüchtige organische Verbindungen 0,53

Lipide 0,08

Kalium 0,15–0,3

Calcium 0,05–0,1

Magnesium 0,04–0,08

Sulfat 0,15

Chlorid 0,008

pH-Wert 3,5

Viskosität [18] 1,5x10–3 [kg m–1s–1]

Oberflächenspannung 50 [mN m–1]

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tung bleibt. Hierbei stellt sich die Frage, in welcher Glas-form der Sekt oder Champagner sein Aroma am besten ent-falten kann (Abbildung 10). Ziel ist es einerseits, dass derSekt lange seine Frische im Glas behält, d.h. nicht schnellwarm oder schal wird und andererseits wollen wir das Aro-ma so vollständig wie möglich mit unserem Geruchssinn er-fassen. Wägen wir die beiden gebräuchlichsten Glasformen,Tulpe und Glas, in Hinblick auf ihre Eignung gegeneinan-der ab. Die Sektschale ist wegen ihrer Eleganz seit Jahr-hunderten eng mit Champagner verbunden und die Formsoll angeblich den Brüsten von Marie-Antoinette nachge-bildet worden sein, der Frau von Louis XVI [17]. Die Sekt-schale hat eine Oberfläche von ungefähr 60 cm2 und dieFüllhöhe im Glas liegt bei etwa 2,9 cm (Abbildung 10). DieSekttulpe hat eine kleinere Flüssigkeitsoberfläche von nur20 cm2 bei einer Füllhöhe von etwa 7,4 cm. Wie wirkt sichdas aus?

Zunächst fördert eine größere Oberfläche den für unsunsichtbaren direkten Übergang des CO2 in die Atmosphä-re. Für die Netto-Geschwindigkeit vT des CO2-Stofftrans-ports über die Grenzfläche gilt:

vT = kT · O · (σ–1) (4)

wobei O die Größe der Flüssigkeits-Gas-Grenzfläche und σ= (cübersätt/cgesätt) der Übersättigungsquotient und kT der cha-rakteristische Transportkoeffizient ist. Gleichung (4) offen-bart, dass der CO2-Verlust aus einer Sektschale etwa dreimalso groß sein sollte wie der aus einer Sekttulpe.

Auf der anderen Seite steigen die Bläschen in einer Sekt-schale maximal 3,0 cm, in einer Tulpe aber 7,5 cm. Der hö-here Aufstieg der Bläschen führt zu einem linearen Zuwachsdes Radius, so dass die in einer Sekttulpe länger nach obensteigenden Bläschen mehr CO2 in die Umgebung transpor-tieren als in der Sektschale. Messungen von Liger-Belair ha-ben gezeigt [18], dass der CO2-Verlust tatsächlich in derSektschale höher ist als in der Tulpe, allerdings nicht umden Faktor drei, sondern zwischen 1,6–2,5.

Auch sensorische Überlegungen sprechen für denKelch. Durch die größere Oberfläche der Schale könnendort Aromastoffe unbemerkt, also an der Nase vorbei in dieUmgebungsluft gelangen. In der Tulpe sammeln sich dieabdampfenden Bukettstoffe in dem Glas und erlauben es,den Sekt gleichzeitig(!) auf der Zunge und in der Nase sen-sorisch zu erfassen. Mit anderen Worten: Sektschalen eig-nen sich hervorragend zum Anrichten von Krabbencocktailsoder Desserts, vielleicht auch für üppig dekorierte Cock-tails, aber nicht für Sekt oder Champagner.

Entgegen jeder Vernunft rühren manche Banausen miteinem meist aus Silber gefertigten und entsprechend teuren,schneebesenähnlichen Sektquirl tatsächlich die Kohlen-säure heraus, die die Sektkellereien mit unendlich viel Auf-wand und Liebe über Jahre hineingezaubert haben. Wiebeim Sektbad von Formel-1-Siegern (Abbildung 7) müsstesolch grober Unfug mit Sekt- und Champagnerverbot nichtunter fünf Jahren ohne Bewährung bestraft werden.

Die schwere Geburt einer Sektperle Nach dem Abklingen der Turbulenzen beim Eingießen stehtnun das gut halbgefüllte Glas vor uns. Zwar verlässt vonuns unbemerkt ein Teil des CO2 die übersättigte Lösungdurch den direkten Übergang über die Flüssigkeitsoberflä-che in die Gasphase, aber ein anderer Teil beschert unsbeim Phasenübergang ein von uns hochgeschätztes Schau-spiel. An einigen Stellen, sowohl an der Glaswand als auchmittendrin im Sekt, bilden sich scheinbar aus dem Nichtsin regelmäßigen Abständen winzige Bläschen, die langsam

Abb. 10 Tulpe oder Schale, das ist beim Sekt die Frage!Einen großen Teil des CO2 verliert der Sekt im Glas durchdirekten Übergang aus der Flüssigkeit in die Gasphase. DieserGasverlust nimmt mit der Größe der Oberfläche zu. Sekt-liebhaber bevorzugen daher die Sekttulpe, in der sich auchdas Aroma besser entfalten kann.

Das Schalwerden eines mit CO2 übersättigten Sekts gibt dieThermodynamik gnadenlos vor: Das CO2 muss praktisch voll-ständig in die Umgebungsluft übergehen. Glücklicherweisewird Sekt nicht schlagartig schal, da die Blasenbildung durcheine Aktivierungsenergie in ihrer Geschwindigkeit stark ge-bremst wird. Ein Bläschen kann nur wachsen und aufsteigen,wenn es eine kritische Mindestgröße erreicht hat, die etwabei etwa 1 μμm liegt. Es ist die energieaufwendige Bildung die-ser kritischen Blasengröße, die uns erlaubt, das Glas Sekt inRuhe zu schlürfen. Hoch lebe die Aktivierungsenergie!

G

G*

G

übersättigte Lösung

G = RT lnσ

gesättigte Lösung

ddkrit

kritische Bläschengröße

A B B . 1 1 | T H E R M O DY N A M I K U N D K I N E T I KD E R B L A S E N B I L D U N G

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aufsteigen, dabei größer werden und die dann an der Ober-fläche schließlich zerplatzen. Ein immer wieder faszinie-rendes Perlenspiel, dessen naturwissenschaftliche Basis wirim Folgenden ergründen wollen.

Die Triebkraft der Blasenbildung ist der Energieunter-schied ΔG zwischen einer mit CO2 über- und einer gesät-

tigten Lösung [19]. Das System strebt grundsätzlich einemGleichgewichtszustand zu und gibt aus der übersättigtenLösung solange CO2 ab, bis eine gesättigte Lösung vorliegt[20]. Es gilt:

ΔG = Ggesätt – Gübersätt = – RT lnσ (5)

wobei R die Gaskonstante, T die absolute Temperatur undσ = (cübersätt/cgesätt) der Übersättigungsfaktor ist. Der Über-sättigungsfaktor einer üblichen Sektflasche beträgt direktnach dem Öffnen etwa 5,5.

Nehmen wir an, wir hätten schon eine kleine Mikro-blase des Volumens VMb = (4/3)πr3 vorzuliegen, dann hät-te sich die Übersättigung des Sekts verringert, d.h. die freieEnthalpie des Systems (Sekt + Mikrobläschen) nimmt ab;dabei ist Vmol das Molvolumen (22,4 L unter Normalbe-dingungen).

ΔgMb = – (4πr3/3Vm) RT lnσ

Auf der anderen Seite musste zur Erzeugung des Mikro-bläschens eine neue Oberfläche gebildet werden, ein ener-gieverbrauchender Vorgang, die freie Enthalpie des Sys-tems (Sekt + Mikrobläschen) nimmt zu. Die aufzubrin-gende Oberflächenenergie entspricht dem Produkt ausOberfläche Ok = 4πr2 und Oberflächenspannung γ. Ins-gesamt ergibt sich bei der Bildung einer einzigen Mikro-blase:

ΔgMb = – (VMb/Vmol) RT lnσ + Ok γ= – (4πr3/3Vmol) RT lnσ + 4πr2γ (6)

Der erste, negative Term begünstigt, der zweite, positive be-hindert die Blasenbildung. Bei kleinem Blasenradius steigtΔgMb zunächst an, da die Menge des gasförmigen CO2 rela-tiv klein, die Oberfläche aber relativ groß ist. Mit zuneh-mender Blasengröße wächst der erste, negative r3-Termschneller, bis schließlich ΔgMB wieder abnimmt. Das Maxi-mum wird bei der kritischen Blasengröße rk durchlaufen[21] (Abbildung 11).

rk = 2 γ Vmol/(RT lnσ) (7)

Aus Gleichung (7) ergibt sich der kritische Radius für einSektbläschen bei einem Überdruck von 5,5 atm und γsekt =0,05 N/m zu rk = 0,6 μm. Es konnte gezeigt werden, dassdie spontane Bildung solcher kritischen CO2-Bläschen einenCO2-Druck von über 1000 atm voraussetzen würde [22]. Mitanderen Worten: Es gibt keine spontane homogene Bla-senbildung in Sekt oder Champagner.

Eine Bläschenbildung kann nur an festen Oberflächen,also heterogen stattfinden. Experimentell konnte gezeigtwerden, dass an glatten hydrophoben oder hydrophilenOberflächen auch bei hohen Übersättigungen keine Bläs-chenbildungen stattfinden [23]. Dies überrascht nicht, dennes ist lange bekannt, dass sich Blasen im Sekt bevorzugt an

A B B . 1 2 | H E T E RO G E N E B L A S E N B I L D U N G I M S E K TG L A S

Eine für uns sichtbare CO2-Blase kann inübersättigtem Sekt nur aus einer Mikrobla-se mit einer kritischen Größe entstehen,mit einem Radius von etwa 1 μm. Nur Bla-sen dieser Größe können durch Aufnahmevon CO2 weiter wachsen. In Sekt könnensich solche Mikroblasen nicht spontan,sondern nur mit Hilfe einer geeignetenOberfläche bilden. Im Sektglas geschiehtdies auf zweierlei Wegen.

oben: In kleinen Vertiefungen (Kratzern)in der Glasinnenwand sind kleine Luftbla-sen eingeklemmt, die durch die nur leichteKrümmung an der Grenzfläche einen Radi-us oberhalb der kritischen Größe besitzen.Unter diesen Umständen kann CO2 in dieBlase eindiffundieren, diese wächst undlöst sich schließlich ab, wobei ein Gasrestin der Vertiefung verbleibt und das Schau-spiel erneut beginnen kann.

unten links: Durch Staub oder durchkräftiges Abtrocknen mit einem Handtuchgelangen kleine Baumwollfasern in das

Glas. Diese Fasern sind zylindrische, etwa100 μm lange Röhrchen mit einem Durch-messer von 10–20 μm. Chemisch bestehendiese Röhrchen aus Cellulose, einer Polyglu-cose. Der Sekt dringt infolge der Kapillar-kräfte in die Röhrchen ein und benetzt diehydrophile Innenfläche. Da der Sekt vonbeiden Seiten eindringt, werden kleine Luft-bläschen eingeschlossen. In diese Luftbläs-chen kann nun aus dem übersättigten SektCO2 eindiffundieren und es kommt zu einerVolumenzunahme bis sich schließlich an ei-nem Ende ein Bläschen abtrennt und auf-steigt. Der zeitliche Abstand zwischen denBildern beträgt 200 ms, zwischen Bild 5und 6 liegt nur 1 ms. Der Balken markierteine Länge von 50 μm [44].

unten rechts: Bei gegebenen Geometriendes Celluloseröhrchens und konstantemDruck lösen sich Blasen uhrwerkähnlich, inkonstantem zeitlichen Abstand ab und esentstehen die geschätzten Perlenschnüre.Der Balken markiert eine Länge von 50 μm.

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Kratzern in der inneren Glasoberfläche von Trinkgläsernbilden. Glashersteller nutzen dies gestalterisch und erzeu-gen durch Aufrauhung (Laser und Einritzen) der Glasober-fläche so genannte Moussierpunkte, durch die sich ein äs-thetisch besonders ansprechendes Perlenspiel erzeugenlässt. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass die Blasenbil-dung nicht an Spitzen und Graten, sondern nur an Ein-schnitten und kleinen Vertiefungen in der festen Oberflä-che beginnt (Abbildung 12).

Besonders häufig beobachtet man aber in einem Sekt-glas, dass irgendwo inmitten der Flüssigkeit Bläschen„quel-len“ zu existieren scheinen, aus denen uhrwerkgleich stän-dig kleine Bläschen auftauchen, nach oben aufsteigen unddabei größer werden. Auch hier findet eine heterogene Bla-senbildung statt, jedoch sind dabei in Cellulosefasern ein-geschlossene Luftblasen Ausgangspunkte der Bläschenbil-dung. Die Cellulosefasern können ein Staubbestandteil sein,aber vor allem stammen sie aus Geschirrhandtüchern, mitdenen die Gläser abgetrocknet werden [24].

Der unaufhaltsame Aufstieg einer Sektperle In Wasser (Dichte: ρw =1,00 g/mL) wirkt auf ein Gasbläs-chen (Durchmesser d) die Auftriebskraft [25]

FA = m · g = (π/6) · ρw · g · d3

wobei g = 9,81 m · s–2 die Erdbeschleunigung ist. Beim Auf-stieg wird das Gasbläschen vom umgebenden Wasser ge-bremst, da die über dem Bläschen liegenden Wassermole-küle beim Aufstieg vom Bläschen auseinander gedrückt wer-den müssen. Das ist nichts anderes als Reibung, und die ent-sprechende Reibungskraft FR ergibt sich aus dem Stoke-Ge-setz:

FR = 3π · η · d · vA

wobei η die Viskosität des Wassers und v die Aufstiegsge-schwindigkeit des Gasbläschens ist. Nach kurzer Zeit stelltsich eine konstante Aufstiegsgeschwindigkeit vA ein, dadann die Auftriebskraft und die entgegengerichtete Rei-bungskraft gleich groß sind. Dann gilt:

vA = g · ρw · d2/(18 ηw) (8)

Das Einsetzen der Zahlenwerte für g, ρw, ηw (ηw = 1,5 · 10–3 kgm–1s–1) in Gleichung (8) ergibt:

va = 3630 · d2 cm/s (9)

Für ein Gasbläschen mit dem Durchmesser von 0,1 mm er-gibt sich nach Gleichung (9) eine Aufstiegsgeschwindigkeitvon vA = 3,6 mm/s.

Bisher hatten wir nur ein Bläschen mit konstantemDurchmesser betrachtet. Wenn sich im Sekt ein kritischesBläschen gebildet hat, steigt es auf und wird aber währenddes Aufstiegs stetig größer, da CO2 aus dem übersättigten

Sekt in das Bläschen eindiffundiert (Abbildung 13). Die zeit-liche Zunahme der CO2-Moleküle (dN/dt) im Bläschenin-neren hängt vom CO2-Sättigungsfaktor ab und ist propor-tional zum Diffusionskoeffizienten D und zur Blasenober-fläche A [26], wobei w von einer Reihe von den Strö-mungsparametern abhängt [27].

dN/dt = w D (σ – 1) A (10)

Durch die Zunahme der Teilchenzahl N vergrößert sich dasVolumen und aus dem allgemeinen Gasgesetz pV = N kT er-gibt sich (k = Boltzmann Konstante):

dN/dt = (P/kT) (dV/dt) = (P/kT) 4πr2 (dr/dt) (11)

Aus den Gleichungen (10) und (11) folgt für die zeitlicheÄnderung des Radius des wachsenden Bläschens insgesamt:

(dr/dt) = w D (σ – 1) (kT/P)

A B B . 1 3 | I M G L A S AU F S T E I G E N D E S E K T PE R L E N

Im Sektglas steigen die Gasperlen aus einer für uns un-sichtbaren „Quelle“, meist einem kleinen Stück einerCellulosefaser, in konstanten Zeitabständen empor(oben). Auf dem Weg zur Oberfläche nimmt der Radiusder Sektperlen linear zu (unten links), da aus der über-sättigten Lösung CO2 in das Bläscheninnere übergeht.Dadurch nimmt die Aufstiegsgeschwindigkeit der Bläs-chen näherungsweise quadratisch mit dem Radius zuund dementsprechend nimmt auch der Abstand zwi-schen zwei aufeinanderfolgenden Bläschen quadratischzu. Eine solche Abhängigkeit scheint eine innere Schön-heit auszustrahlen, denn das minutenlange Betrachtender aufsteigenden Perlenkette ist Teil des Genusses.

Trotz dieser beruhigenden Ästhetik muss nüchtern festgestellt werden, dass sowohl beimlinearen Zusammenhang zwischen Radius und Zeit, als auch beim quadratischen Zusam-menhang zwischen Radius und Aufstiegsgeschwindigkeit deutliche Abweichungen zu be-obachten sind [8]. Wir müssen wohl noch viel tiefer ins Sektglas gucken, um unserenWissensdurst zu stillen.

Bläschenradiusr (μm)

Aufstiegsgeschwindigkeitv (cm/s)

300

r (μm) v (cm/s)250

10

200200

1501

100

50 BläschenradiusZeit t (s)

50 Bläschenradiusr (μm)

0 10 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 30 50 70 100 200 400 0

0,1

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Diese Differentialgleichung hat die Lösung

r = r0 + w D (σ – 1) (kT/P) t (12)

Der Radius einer aufsteigenden Sektblase nimmt in einerübersättigten Lösung linear mit der Zeit zu, mit typischenWerten von 350–400 μm/s.

Nach Gleichung (9) wird zwischen der Aufstiegsge-schwindigkeit und dem Radius (bzw. Durchmesser) desBläschens ein quadratischer Zusammenhang erwartet. Da-raus folgt unmittelbar, dass der Abstand zwischen zwei auf-einander folgenden Bläschen in einer Perlenkette währenddes Aufstiegs zunimmt.

Abbildung 13 zeigt, dass bei Messungen von aufstei-genden Bläschen deutliche Abweichungen vom linearen Zu-sammenhang zwischen Radius und Zeit und dem quadrati-schen Zusammenhang zwischen Radius und Aufstiegsge-schwindigkeit zu beobachten sind. Ernüchternd müssenwir feststellen, dass unsere einfachen Ansätze das komple-

xe Verhalten von aufsteigenden und wachsenden Gasbläs-chen nicht vollständig beschreiben. Die Strömungslehrezeigt, dass der Reibungswiderstand von Blasen in einer Flüs-sigkeit stark von der Geschwindigkeit selbst abhängt [28].Weiterhin sind Gasblasen keine starren Kugeln, sondernkönnen beim Aufsteigen ihre Form verändern und tun diesauch teilweise oszillierend [29]. Schließlich ist Sekt keindestilliertes Wasser (ein Glück!) und enthält erheblicheMenge von oberflächenaktiven Molekülen (meist Proteine).Dies kann zu einer Verlangsamung der Aufstiegsgeschwin-digkeit mit steigendem Radius (Höhe) führen (Marangoni-Effekt) [30].

Schaut man dem Perlenspiel längere Zeit verträumt zuund vergisst darüber das Trinken, erkennt man, dass mit derZeit die Bläschendurchmesser insgesamt kleiner werdenund die Perlen langsamer aufsteigen. Genau dies beschreibtGleichung (12), wonach mit abnehmender Übersättigung σder Bläschenradius und damit dessen Volumen beim Auf-stieg langsamer wächst. Die anderen mit CO2 übersättigtenGetränke, wie Mineralwasser und Bier, unterscheiden sichin der mittleren Größe und den Aufstiegsgeschwindigkeitender CO2-Bläschen in charakteristischer Weise (Abbildung14).

Warum schmecken uns Sekt und Champagnerso gut?

Bei allen tiefsinnigen physikalisch-chemischen Betrachtun-gen des perlenden Sekts oder Champagners wollen wir na-türlich nicht den sinnlichen Genuss vergessen, der von derQualität der Ausgangsmaterialien und der guten Verarbei-tung bestimmt wird. Die verschiedenen Grundweine sindrelativ leicht und werden von erfahrener Kennerhand zu-sammengestellt. Die Zweitgärung wird durch Zugabe der li-queur de tirage, einer kleinen Menge von Hefe, Zucker,Wein und Most, in Gang gesetzt und erzeugt nicht nur CO2

und erhöht den Alkoholgehalt um 1–1,5 %, sondern durchdie zugesetzte Hefe (ein Lebewesen!) entstehen neue Aro-mastoffe, bzw. bereits vorhandene werden abgebaut [31].Neben Intensitätsänderungen verschiedener Aromaattribu-te (Abbildung 15) führt die Zweitgärung z.B. zum signifi-kanten Abbau des in vielen früh geernteten Grundweinenenthaltenen 2-Aminoacetophenons, das dem Sekt eine un-erwünschte „Möbelpolitur“-Note verleihen würde [32]. Indiesem Zusammenhang ist von besonderem Interesse, dassdie an der Oberfläche zerplatzenden CO2-Blasen ein Aero-sol in den Gasraum sprühen. Dadurch gelangen nicht nurunpolare Aromastoffe, sondern auch oberflächenaktive Ver-bindungen in die Nase der Genießer. In ersten Studien wur-de eine große Zahl von Verbindungen nachgewiesen, vondenen allerdings erst ein kleiner Teil identifiziert werdenkonnte [33].

Das CO2 im Sekt erfreut nicht nur unseren Geschmacks-und Geruchssinn, sondern auch unseren Tastsinn, denn eserzeugt auch das kribbelnde bis leicht brennende Gefühl aufder Zunge. Es kann nicht allein eine mechanische Reizungder Zungenoberfläche durch die zerplatzenden Bläschen

A B B . 1 4 | S E K T O D E R S E LT E R S – O D E R B I E R ?

Zwischen Selters (links), Sekt (rechts) undBier (unten) kann leicht auf einen Blick unter-schieden werden. In reinem Mineralwassersteigen die CO2-Bläschen am schnellsten aufund sind auch am größten. Sekt enthält na-türliche Tenside, die sich an der Grenzflächezwischen CO2 und Sekt akkumulieren und dieDiffusion von CO2 in die aufsteigenden Bläs-chen und damit deren Wachstum trotz deshöheren Drucks verlangsamen. Sektblasenwachsen etwa mit 350–400 μμm/s bei 20 °C an.Bier enthält besonders viele oberflächenakti-ve Proteine und Hopfeninhaltsstoffe [45] undder CO2-Druck ist geringer als im Sekt, so dassCO2-Blasen im Bier besonders klein sind undim Vergleich zum Sekt deutlich langsamer(100–150 μμm/s) aufsteigen [46].

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sein, denn man spürt das Kribbeln noch, selbst wenn garkeine Blasen mehr auf der Zunge sind. Dies bestätigen Stu-dien in Druckkammern, in denen sich wegen des erhöhtenDrucks keine Bläschen bilden können; Trotzdem kribbelt esauf der Zunge [34]. Es steckt also mehr dahinter: Das CO2

löst sich zunächst in der Schleimhaut und dringt in das Zun-gengewebe ein. Dort wird das gelöste CO2 zu Kohlensäurehydratisiert, die ihrerseits die Neuronen aktiviert und dasKitzeln erzeugt [35]. Die Bildung von Kohlensäure aus CO2

scheint auf den ersten Blick ein einfacher chemischer Pro-zess zu sein (Abbildung 16).

Es mag wundern, aber die in vielen chemischen Lehr-büchern als Gleichgewicht formulierte Reaktion läuft in bei-den Richtungen nur langsam ab. Im menschlichen Körperwird diese Reaktion durch eines der leistungsfähigsten En-zyme beschleunigt, der Carboanhydrase. Ein Molekül Car-boanhydrase wandelt in einer Minute rekordverdächtige 36Millionen CO2-Moleküle in Kohlensäure um [36]. Im Zun-gengewebe katalysiert die Carboanhydrase die Umwand-lung von CO2 in Kohlensäure, die dann dissoziiert und überRezeptoren die Neuronen erregt, die im Gehirn den Sin-neseindruck eines Kitzelns oder leichten Brennens erzeu-gen.

Zwei interessante Experimente beweisen die zentraleRolle der Carboanhydrase beim Genuss von Champagneroder Sekt. Einmal kann eine Hälfte der Zunge mit einem Car-boanhydrase-Inhibitor behandelt werden. In diesem Fallwird auf dieser Zungenhälfte kein Kitzeln mehr empfun-den, während die unbehandelte Zungenhälfte es nach wievor spürt. Zum anderen ist bei hochalpinen Bergsteigernder so genannte Champagner-Blues bekannt, bei dem nacheinem Aufstieg alle Sprudelgetränke incl. Champagner schalund „Bier wie Abwaschwasser“ schmecken. Des Rätsels Lö-sung ist einfach: Viele Bergsteiger nehmen vor dem Auf-stieg einen Carboanhydrase-Inhibitor (Acetazolamid) gegendie Höhenkrankheit ein, spüren dann aber nicht mehr denZungenkitzel von Sprudelgetränken.

Eine Studie von Frad Ridout an der Universität von Sur-rey in Gilford bestätigte jüngst, was wir alle wissen: Sektsteigt uns schnell zu Kopf und auch hier stecken CO2-Bläs-chen dahinter. In dieser Studie mussten, oder besser durf-ten, 12 Freiwillige zwei Gläser Champagner trinken [37].Die genaue Menge wurde so eingestellt, dass alle Testper-sonen die gleiche Alkoholmenge pro kg Körpergewicht zusich nahmen. Die eine Hälfte der Testpersonen bekam Ori-ginal-Champagner und die andere Hälfte bekam einenChampagner, der vorher mit einem Quirl kohlensäurefreigemacht wurde. Nach fünf Minuten führte der sprudelndeChampagner zu 0,54 ‰ Blutalkohol und der schale nur zu0,39 ‰ , nach 40 Minuten zu 0,70 ‰ bzw. 0,59 ‰. Offen-sichtlich reizen die platzenden Kohlensäureperlen die Ma-genwände, so dass deren stärkere Durchblutung zu einerschnelleren Alkoholaufnahme ins Blut führt. Das Resultatbestätigt unsere Erfahrungen: Sekt und Champagner steigenschnell zu Kopf. Der französische Gourmet Jean Brillat-Sa-varin brachte es auf den Punkt:

A B B . 1 5 | Z W E I TG Ä R U N G U N D DA S A RO M A D E S S E K T S

Eine Zweitgärung in der Flasche oder im Drucktank bringt zwei chemische Hauptverän-derungen: die Erhöhung des Alkoholgehalts um etwa 1–1,5 % und die Bildung großerMengen von CO2, die bei einem Innendruck von 5 atm größtenteils gelöst sind. Die fol-genden Ergebnisse stammen aus einer beeindruckenden Studie von Ganß et al. aus demDienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) in Neustadt an der Weinstraße [31, 32].

oben: Um allein den Einfluss des erhöhten Alkoholgehalts und des CO2 auf das Aromazu untersuchen, wurden dem Grundwein (Riesling) 1,5 % reiner Alkohol und CO2 unterDruck zugesetzt. 18 trainierte Prüfer bewerteten zunächst die einzelnen Attribute desGrundweins (sensorische Intensität 100 %) und dann den frisch ausgeschenkten aufge-spriteten und carbonisierten „Sekt“. Deutlich erkennt man eine signifikante Intensivie-rung bei praktisch allen Aromanoten, die dadurch zustande kommen, dass die an derOberfläche zerplatzenden CO2-Bläschen die Aromastoffe in den Gasraum mitreißen undin die Nase kommen. Die CO2-Perlen intensivieren also das Aroma in erheblichem Maße.

unten: Im Vergleich zum Grundwein (sensorische Intensität 100 %) führt eine Versek-tung des Grundweins mit Hefe zu weiteren Änderungen im Aromaprofil. Gegenüber demGrundwein nehmen die grünen Noten (grüne Bohne, grünes Gras) ab, während sich diefruchtigen Noten (Honigmelone und Pfirsich) intensivieren. Diese Veränderungen konn-ten auf eine starke Abnahme der Nonanal-Konzentration (grünes Gras) und eine Zunah-me der für die Fruchtnoten verantwortlichen Ester (Propionsäure-ethylester, 3-Methyl-buttersäure-ethylester und Hexansäure-ethylester) zurückgeführt werden.

Farbealkoholisch

Eisbonbon

Apfel

Pfirsich

Honigmelone

Holunderblüte

grüne Banane

grünes Gras

grüne Bohne

mostig

hefig

fruchtig

sauer

Mundgefühl

bitter

100%

150%

125%

Farbealkoholisch

Eisbonbon

Apfel

Pfirsich

Honigmelone

Holunderblüte

grüne Banane

grünes Gras

grüne Bohne

mostig

hefig

fruchtig

sauer

Mundgefühl

bitter

100%

150%

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„Beim Bordeaux bedenkt,beim Burgunder bespricht,beim Champagner begeht man Torheiten“

Wie unterscheidet sich ein guter Sekt oder Champagnervon besseren? Wie immer bestimmen die Ausgangspro-dukte, nämlich die Trauben, die Qualität des Endprodukts.In der Champagne müssen um die fünf Euro für ein KiloTrauben bezahlt werden, in Grand-Cru-Lagen sogar nochmehr. Die Sorgfalt und Kennerschaft bei der Kompositiondes Grundweins, die optimale dosage für die Zweitgärung,die Führung der Zweitgärung, die lange Standzeit auf derHefe etc., all dies zusammen macht die Sektherstellung zueiner sehr teuren und kapitalintensiven Veredelungsme-thode von Wein. Erst nach einer jahrelangen Standzeit desSekts oder Champagners auf der Hefe bilden sich z.B. ge-ringe Mengen flüchtiger Schwefelverbindungen, wie Ben-zylthiol, 2-Furanmethylthiol und 3-Mercaptopropionsäure-ethylester, die älteren Champagnern die geschätzte Röst-kaffee-Note verleihen [38].

Die Qualität der perlage, also die lang andauernde Bil-dung möglichst kleiner und langsam aufsteigender CO2-Bläs-chen, ist für Kenner ein wichtiges Qualitätskriterium, ob-wohl zwischen Bläschengröße und der Menge und Naturder Aroma- und Geschmackstoffe kein Zusammenhang be-

steht. Allerdings erzeugen die oben aufsteigenden und ander Oberfläche zerplatzenden Bläschen durch Spritzer einAerosol, das die empfindliche Nase einatmet (Abbildung17). Dadurch üben die Bläschen eine Art Paternosterwir-kung aus, in dem über das feine Aerosol auch schwerer ver-dampfbare Duftstoffe den Weg zu den Riechzellen finden.Kein Wunder also, dass Kenner immer wieder von der fei-nen perlage in Krug-Champagnern schwärmen [39].

Was tun mit einer angebrochenenSektflasche?

Angebrochene Flaschen hochpreisiger Sekte und Cham-pagner möchte man manchmal für einen späteren Genussaufbewahren, ohne dass das Getränk schal wird. Hier wirddas Hineinstecken eines Löffels (vorzugsweise aus Silber)mit dem Griff nach unten in den Flaschenhals empfohlen.Ungläubig fragen wir uns, wie ein in der Flasche hängen-der Löffel die Abgabe von Kohlendioxid verzögern kann?

Manche Sommeliers schwören auf den Silberlöffel. Al-le Versuche, dessen Wirkung zu bestätigen, schlugen fehl.Die meisten Tester bestätigten, dass die Sekte offen in denKühlschrank gestellt am nächsten und übernächsten Tagkaum etwas von ihrer Frische eingebüßt hatten, egal ob mitoder ohne Silberlöffel [40].

Richard Zare und eine kleine Gruppe seiner Freunde inStanford haben sich hingebungsvoll und aus eigener Taschefinanziert dieser Frage gewidmet. Insgesamt wurden fünfFlaschen eines hochwertigen kalifornischen sparkling wineblind verkostet und bewertet, die jeweils wie folgt behan-delt worden waren [41]: 1. Flasche: kurz vor der Blindverkostung aus dem Kühl-

schrank genommen, geöffnet, die Menge eines Glasesausgegossen.

2. Flasche: 26 Stunden vorher geöffnet, die Menge einesGlases ausgegossen und dann im Kühlschrank ohne Ver-schluss stehen gelassen.

3. Flasche: 26 Stunden vorher geöffnet, die Menge einesGlases ausgegossen und dann im Kühlschrank ohne Ver-schluss aber mit einem im Flaschenhals steckenden Sil-berlöffel stehen gelassen.

4. Flasche: 26 Stunden vorher geöffnet, die Menge einesGlases ausgegossen und dann im Kühlschrank ohne Ver-schluss aber mit einem im Flaschenhals steckendenEdelstahllöffel stehen gelassen.

5. Flasche: 26 Stunden vorher geöffnet, die Menge einesGlases ausgegossen, wieder verkorkt und dann im Kühl-schrank stehen gelassen.

Trotz der statistischen Unsicherheit und der zusammenge-würfelten, nicht professionell geschulten Testpersonen er-gaben sich klare Aussagen: 1. Die über Nacht im Kühlschrank unverschlossen aufbe-

wahrte Flasche bewahrte am besten die Frische desSekts. Den Testpersonen schmeckte sie besser als diefrisch geöffnete.

2. Die kurz vor der Verkostung geöffnete Flasche kam aufPlatz 2.

A B B . 1 6 | C A R B OA N H Y D R A S E U N D D E R Z U N G E N K I T Z E L

Das Enzym Carboanhydrase gehört zu den effektivsten Enzymen überhaupt, denn es er-höht die Reaktionsgeschwindigkeit der Umwandlung von in Wasser gelöstem CO2 zuKohlensäure um den Faktor 1,4 · 10+8 [47]. Das native Enzym (links) [48] ändert bei derBindung eines Hydrogencarbonat-Anions (rechts) seine Geometrie nur äußerst wenig.

Das beim Trinken von Sekt so geschätzte lang anhaltende Zungenkitzeln beruht nurteilweise auf dem Zerplatzen von CO2-Bläschen auf der rauen Zungenoberfläche. Viel-mehr dringt gelöstes CO2 in die tieferen Gewebeschichten der Zunge ein, wird dort mitHilfe der Carboanhydrase in Kohlensäure und ihre Dissoziationsprodukte umgewandelt,die dann einen Rezeptor aktivieren, der wiederum einen Nervenimpuls auslöst, der zudem Sinneseindruck verarbeitet wird. Hochleistungs-Bergsteiger, die gegen die Höhen-krankheit einen Carboanhydrase-Inhibitor einnehmen, unterbinden damit die Wirksam-keit des Enzyms auch in der Zunge, so dass kohlensäurehaltige Getränke lasch und fadeschmecken (Champagner-Blues). Ganz aktuell dazu: [49].

CO2(gelöst) + H2O H2CO3 H+ + HCO3

-Carboanhydrase

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S E K T | K U R I OS , S PA N N E N D, A L LT Ä G L I C H …

3. Die über Nacht im Kühlschrank unverschlossen, abermit einem im Flaschenhals steckenden Löffel aufbe-wahrten Flaschen kamen auf Platz 3, wobei zwischenbeiden Löffelmaterialien nicht unterschieden werdenkonnte.

4. Die wiederverkorkte Flasche schnitt am schlechtestenab. Nach Meinung der Testpersonen war das Wieder-verkorken die sicherste Methode, um den Sekt schalund weniger schmackhaft zu machen.

Das Ergebnis ist eindeutig: Eine angebrochene Sekt- oderChampagnerflasche sollte man vorsichtig, d.h. ohne Schüt-telbewegungen und unverschlossen in den Kühlschrank zu-rückstellen. Auf ein Verschließen mit dem Korken oder an-deren Verschlüssen sollte man verzichten, da dabei vielekleine Korkteilchen in die Flüssigkeit fallen, so dass man un-beabsichtigt eine kontinuierliche Bläschenbildung über dienächsten Stunden erleichtert. Die einzige narrensichere Me-thode um ein Schalwerden von Sekt zu verhindern, HenrysGesetz, die ganze Thermodynamik und Sektperlenbildunghin oder her, heißt: Einfach Austrinken! Na dann, Prost!

ZusammenfassungEin Glas Sekt oder Champagner ist das bevorzugte Getränk fürdie außergewöhnlichen Momente in unserem Leben. DerKenner zelebriert das Öffnen der Flasche und erfreut sichbeim sorgfältigen Eingießen in das richtige Glas, an der Farbe,dem Aroma, dem Geschmack und vor allem an den auf-steigenden Gasbläschen. Betrachtet man den Sekt im Glas ver-sonnen und nachdenklich, erfasst man, dass auf dem Wegevon Weinberg bis ins Glas eine Menge Chemie nötig war,wodurch unsere Freude am Genuss noch erhöht wird. Was fürein wunderbarer Start ins Neue Jahr! A votre santé!

SummaryA glass of sparkling wine or champagne is the preferred drinkfor the truly extraordinary moments in our lives. The con-noisseur already celebrates and enjoys opening the bottle,carefully pouring it into the proper glass, and then admiringits color, aroma, taste, and, last but not least, the fizz. Look-ing a little bit deeper into the glass we discover that a lot ofchemistry is involved, starting from the vineyard up to drink-ing the sparkling wine or champagne which increases our joyof it even more. What a wonderful start into the New Year! Avotre santé!

DanksagungFür ihre wertvolle Hilfe und Hinweise bei den Recherchen und der Erstellungdes Manuskripts bedanke ich mich bei Dr. P. Konstanczak, Dr. A. Schäfer, Dr.S. Streller, Dr. P. Winchester, Freie Universität Berlin, B. Jeromin, UniversitätBordeaux und Prof. P. Menzel, Universität Hohenheim. Für die kostenfreieÜberlassung von Fotomaterial bedanke ich mich bei dem AuktionshausAcker Merrall & Condit, der Sektkellerei von Dirk Kessler, Wintrich (Mosel),RedBull-technology, The Royal Society of Chemistry, London, Prof. Liger-Belair, Universität Reims, Hinnerk Rümenapf, Hamburg und Prof. Y. Zhang,University of Michigan, Ann Arbor, USA.

Literatur und Anmerkungen[1] Auf der alkoholischen Gärung basiert nicht nur die Wein- und Sekt-

herstellung, sondern auch das Bierbrauen und Brotbacken. [2] Bis zum qualitativ hochwertigen Wein ist natürlich noch ein langer

Weg, hier reduzieren wir den Prozess auf Gleichung (1). Weinliebha-ber mögen dies verzeihen.

[3] Der Oberbegriff „Schaumwein“ findet sich im deutschen Sprachraumnur in Gesetzen und Verordnungen (Abbildung 3). Im Folgenden wol-len wir mit dem Begriff „Sekt“ auch die engen Verwandten wie Cava,Spumante, Crémant, Champagner etc. einschließen. Der Begriff„Champagner“ wird nur dann verwendet, wenn wirklich Champag-ner gemeint ist.

[4] Bereits seit der Antike sind Verletzungen durch explodierende Fla-schen eine Berufserkrankung von Winzern und Kellermeistern.

[5] B. Malpass, Chem.Brit. 22000011, Dezember, 26. Voller Stolz bezeichnetRidgeview Estate, ein führender englischer Sekthersteller, seit

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links: Durch vorsichtiges Einspritzen einer Fluores-zein-Lösung kurz nach Eingießen von Champagnerin eine Tulpe können die Strömungsbewegungen in-nerhalb einer Ebene mit Hilfe eines Lasers sichtbargemacht werden. Dies zeigt, dass im Glas ein stän-diger Austausch zwischen oberen und unteren Flüs-sigkeitsschichten erfolgt, so dass die Konzentratio-nen der für den Genuss entscheidenden Aromastof-fe an der Oberfläche gleich bleibt.

rechts: Diese Aufnahme mit einer Belichtungszeitvon 1s zeigt die Spuren von vielen Mikrotröpfchen,die beim Platzen der CO2-Bläschen an der Oberflä-che in die Luft geschleudert werden. Diese Mikro-tröpfchen wirken wie ein Paternoster für Aroma-stoffe des Sekts, vor allem für schwerer flüchtige,die sonst die Nase des Genießers aufgrund des ge-ringen Dampfdrucks überhaupt nicht erreichenkönnten. Beim Sekt trinkt die Nase eben mit. (Fotos:G. Liger-Belair et al. [8,33])

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einiger Zeit seine durch Flaschengärung hergestellten Sekte als„Merret“.

[6] Sowohl der Engländer Merret als auch der Franzose Dom Pérignonstanden auf den Schultern von Giganten, denn schon 1561 stelltendie Mönche des Klosters von Saint-Hilaire im Langedoc einenschäumenden Wein her. In diesem noch heute praktiziertenVerfahren wird bei tiefen Temperaturen sehr langsam vergoren,nach einiger Zeit die Gärung unterbrochen, der junge Wein filtriertund auf Flaschen gezogen. Durch Hefespuren setzt in der geschlos-senen Flasche die Gärung wieder ein und das gebildete Kohlen-dioxid löst sich unter Druck im Wein auf. Dieser mit nur 6–7 Vol. %Alkohol recht leichte und sich durch eine kräftige Muskatnoteauszeichnende Blanquette de Limoux ist noch heute eine geschätz-te regionale Spezialität.

[7] Zum Einstieg: Uncorked – The Science of Champagne, G. Liger-Belair, 22000044, Princeton University Press, G. Liger-Belair und G. Poli-dori, Spektrum Wissenschaft, 22000088, Oktober, 24.

[8] Fundierte Übersicht: G. Liger-Belair et al., Chem Soc Rev. 22000088, 37,2490.

[9] Nur in der Champagne darf die méthode traditionelle als méthodechampenoise bezeichnet werden.

[10] Zwar sind beide Pinots rote Trauben, die aber ihre in den Schalenenthaltenen Farbstoffe beim vorsichtigen Abpressen nicht an denMost abgeben, so dass der daraus entstehende Wein praktischfarblos ist.

[11] www.stern.de/lifestyle/lebensart/getraenke/schaumwein-test-schampus-schlaegt-sie-einfach-alle-605600.html

[12] Bei nicht sachgerechter Handhabung werden Korkengeschwindig-keiten bis zu 50 km/h erreicht. Deswegen Vorsicht, denn herumflie-gende Sektkorken sind gefährlich: 17 % der in der 1. WienerUniversitäts-Augenklinik stationär behandelten, schweren Augen-verletzungen wurden durch Sektkorken verursacht. H.Freyler et al.,Spektrum Augenheilkunde, 11999911, 5, 1. Ein anderer, aber besondersbizarrer Zwischenfall ereignete sich im Auktionshaus David CrossGallery in Bristol, als ein Champagner-Korken die Leinwand einesviktorianischen Gemäldes im Wert von über 1 12 000 durchschlug.K.M. Reese, Chem.Engin.News, 11999966, Nov. 4, 68.

[13] Die Henry-Konstante kommt in vielerlei physikalischen Dimensio-nen daher, am häufigsten in mol · l–1 · atm–1. Weitere Details überdie Temperaturabhängigkeit und Umrechnungen: www.mpch-mainz.mpg.de/∼sander/res/henry.html.

[14] Wir nehmen weiterhin an, dass Kohlendioxid ein ideales Gas wäreund dass die Molwärmen Cp und Cv temperaturunabhängig sind.

[15] Bei der Ableitung wurde vorausgesetzt, dass CO2 ein ideales Gasund das System abgeschlossen ist. Die tatsächliche Abkühlungdürfte bei einer Sektflasche deswegen deutlich geringer sein.Weiterhin bewegt sich der Korken nicht reibungsfrei und besitzterhebliche kinetische Energie. Bei –82°C wäre CO2 im übrigenschon fest, also alles andere als ein ideales Gas.

[16] Mit diesen Worten erbittet Brander, einer der Zecher in AuerbachsKeller, von Mephisto Champagner (aus J.W. von Goethes FaustTeil 1).

[17] Universal Foam, S. Perkowitz, 22000000, Walker Publishing Company,USA.

[18] G. Liger-Belair et al., J.Agric.Food.Chem.. 22000099, 57, 4939.[19] Die Thermodynamik und Kinetik der Phasenbildung aus übersättig-

ten Lösungen von Gasen und vor allem von Feststoffen gehen aufdie richtungsweisenden Untersuchungen von Max Vollmer (1885–1965) zurück. K. Meyer, Wiss. Fortschritt, 11998855, 35, 136.

[20] Hier und bei allen folgenden Betrachtungen setzen wir vereinfa-chend voraus, dass die Gasphase über dem Sekt nach dem Öffnenaus reinem CO2 bei Normaldruck besteht.

[21] Die Formeln erscheinen schwieriger als sie sind. Man muss nurGleichung (6) nach r ableiten und die erste Ableitung Null setzen(Bestimmung eines Hochpunkts) und danach nach r auflösen.

[22] Dieser Wert stimmt mit umfangreicheren Berechnung überein,siehe P.M. Wilt, J.Coll.Interf.Sci. 11998866, 112, 530.

[23] W. L. Ryan et al., J. Coll. Interf. Sci. 11999933, 157, 312. Diese Studienwurden mit Stickstoff/Wasser bei Drücken bis zu 150 atm durchge-führt.

[24] Auch nach Zugabe fester Partikel z.B. feinem Sand kann diePerlenbildung beschleunigt werden. Auf der großen Oberfläche derSandkörner haften in Einschnitten kleine Gasbläschen, die alseffektive Keime für die Blasenbildung dienen.

[25] Genau genommen hängt der Auftrieb von der Dichtedifferenz (rw –rg) zwischen Gas und Wasser ab. Die Dichte von Gasen (z.B.Kohlendioxid = 0,00022) kann jedoch gegenüber der Dichte vonWasser vernachlässigt werden.

[26] H.-J. Schlichting und C. Ucke, Physik Unserer Zeit, 11999933, 24, 231.[27] w kann bei vorgegebenen Bedingungen über die drei dimensionslo-

sen Sherwood-, Peclet- und Reynolds-Zahlen berechnet werden. ZurBerechnung am Beispiel von (amerikanischem!) Budweiser-Bier: Y.Zhang und Z. Xu, Elements, 22000088, 4, 47.

[28] N.E. Shafer und R.N. Zare Physics Today, 11999911 (10), 48; Y. Zhangund Z. Xu, Elements, 22000088, 4, 47.

[29] G. Liger-Belair et al., Langmuir, 22000022, 18, 1294.[30] G. Liger-Belair et al. J.Agric.Food Chem. 22000055, 53, 2788.[31] S. Ganß, S. Wolz, H.-G. Schmarr und U. Fischer, DLR Rheinpfalz

Aktuell, 22000066, 39.[32] H.-G. Schmarr et al., J.Chromatogr. A, 22000077, 1150, 78.[33] G. Liger-Belair et al., Proc. Nat. Acad. Sci. USA, 22000099, 106, 16545.[34] Dass es nicht die Bläschen selbst sind, beweist ein Schluck Guinness-

Bier. Dabei empfindet man nämlich kein Zungenkitzeln, sondern eineher weiches, sahniges vom Kenner geschätztes Mundgefühl. DieErklärung ist einfach: In Guinness wird nicht CO2, sondern Stickstoffunter Druck hineingepresst.

[35] E. Carstens et al., Food Qual. Pref. 22000022, 13, 431; J.-M. Dessirier etal. Chem. Senses, 22000000, 25, 277.

[36] R.Ludwig und A. Kornrath, Angew. Chem. 22000000, 112, 1479; D.N.Silverman und S. Lindskog, Acc.Chem.Res. 11998888, 21, 30.

[37] A. Coghlan, New Scientist, 22000011, Dec. 22, 7 siehewww.surrey.ac.uk/news/releases/archive.html.

[38] T. Tominaga et al., J. Agric.Food Chem. 22000033, 51, 1016.[39] Die experimentelle Bestätigung war dem Autor leider nicht

möglich, da die Landeshaushaltsordung des Landes Berlin nichteinmal die Anschaffung, geschweige denn eine Verkostung einereinzigen Flasche Charles Krug Grand Cuvée zu 1 150 erlaubt.

[40] H. Speer, Suffolk food & drink , 22000099, January, 88 siehe www.cham-pers.net/suffolklifechampers.pdf.

[41] www.stanford.edu/dept/news/pr/94/941221Arc4008.html.[42] Liegt der Kohlensäuredruck nur zwischen 1–2,5 bar spricht man

Perlweinen, z.B. Prosecco frizzante. Aber Achtung: Prosecco ist eineTraubensorte und Prosecco spumante ist ein Schaumwein.

[43] Der Blanquette de Limoux wurde bereits 1561 von Mönchen desKlosters von Saint-Hilaire im Langedoc (Südfrankreich) hergestellt.Nach diesem noch heute praktizierten einstufigen Gärverfahrenwird nur Most der Mauzac-Traube verarbeitet. Der mit 6–7Vol%Alkohol recht leichte und sich durch eine starke Muskatnoteauszeichnende Blanquette de Limoux ist heute eine geschätzteregionale Spezialität.

[44] G. Liger-Belair et al., Langmuir, 22000044, 20, 4132; G. Liger-Belair et al.,J.Phys.Chem B, 22000055, 109, 14573; ibid. 22000066, 110, 21151.

[45] K. Roth, Chemie Unserer Zeit, 22000066,, 40, 338.[46] R.N. Zare, J.Chem.Educ. 22000055, 82, 673.[47] D. N. Silverman und S. Lindskog, Acc.Chem.Res., 11998888, 21, 30.[48] K.K. Kannan et al., Ann.N.Y.Acad.Sci., 11998844, 429, 49; K.K. Kannan et

al., J.Mol. Biol. 11999944, 241, 226.[49] Zucker et al. (Science 22000099, 326, 443) konnten den sensorischen

Wirkmechanismus von CO2 auf die Geschmackszellen bei Mäusenaufklären. Sie wiesen nach, dass in der Membran von auf Säurereagierenden Rezeptorzellen eine Carboanhydrase 4 eingebaut ist.Diese katalysiert die Umwandlung von CO2 in Kohlensäure, durchderen Acidität der saure Geschmackseindruck hervorgerufen wird.

Professor Klaus Rothvon der Freien Univer-sität Berlin ist ständi-ger Autor dieser Rubrik.E-Mail: [email protected]

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