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Seminararbeit im Bereich Geldpolitik · Seminararbeit im Bereich Geldpolitik Prof. Dr. Peter Bo nger WS 2012/13 Strukturelle Reformen und Wirtschaftsleistung Christian Groÿ venAue

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Page 1: Seminararbeit im Bereich Geldpolitik · Seminararbeit im Bereich Geldpolitik Prof. Dr. Peter Bo nger WS 2012/13 Strukturelle Reformen und Wirtschaftsleistung Christian Groÿ venAue

Julius�Maximilians�Universität Würzburg

Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät

Seminararbeit im Bereich Geldpolitik

Prof. Dr. Peter Bo�nger

WS 2012/13

Strukturelle Reformen und Wirtschaftsleistung

Christian Groÿ

Avenue de Miremont 46

1206 Genève

Email: [email protected]

Master of Economics

Fachsemester: 3

Matrikelnummer: 1606545

Abgabetermin: 17. Dezember 2012

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis ii

Tabellenverzeichnis iii

1 Einleitung 1

2 Transmissionskanäle struktureller Reformen 2

2.1 Gütermärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

2.2 Arbeitsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

2.3 Interaktion und dynamische Wirkung von Reformen . . . . . . . . . . . . 8

3 Trends und Muster von Reformprozessen in OECD-Ländern 9

3.1 Gütermärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

3.2 Arbeitsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

4 Strukturelle Reformen und Wirtschaftsleistung: Überblick empirischer

Befunde 16

4.1 Methodische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

4.2 Ergebnisse von Langzeitstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

4.2.1 Gütermarktreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

4.2.2 Arbeitsmarktreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

4.2.3 Interaktionse�ekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

4.3 Kurzfristige E�ekte: Strukturelle Reformen als Konjunkturmotor? . . . . 27

4.4 Die Hartz-Reformen: Eine Fallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

5 Schlussfolgerungen 34

Literaturverzeichnis 35

i

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Abbildungsverzeichnis

1 E�ekte von Gütermarktreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2 Veränderung und aktueller Wert des Indikators für allgemeine Güter-

marktregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

3 Veränderung und aktueller Wert des OECD-Indikators für Gütermarktre-

gulierung in sieben Netzindustrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

4 Veränderung und aktueller Wert des Indikators für Kündigungsschutz . . 12

5 Veränderung des Gesamtindikators für Höhe und Dauer der Arbeitslosen-

hilfe in OECD-Ländern, 1961-2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

6 Höhe und Veränderung des Steuerkeils in OECD-Ländern . . . . . . . . . 14

7 Höhe und Veränderung der Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik . . . 15

8 Höhe und Veränderung der Tarifbindungsrate . . . . . . . . . . . . . . . 15

9 Der E�ekt struktureller Gütermarktreformen auf die Erwerbsquote . . . . 29

10 Der E�ekt struktureller Arbeitsmarktreformen auf die Beschäftigungsrate 31

11 Die Folgen der Hartz-Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

12 Die Beveridge-Kurve für Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

ii

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Tabellenverzeichnis

1 Der langfristige Ein�uss struktureller Gütermarktreformen auf Wirtschafts-

leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2 Der langfristige Ein�uss struktureller Arbeitsmarktreformen und Institu-

tionen auf Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

iii

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1 Einleitung

Um eine Lösung der aktuellen europäischen Wirtschaftskrise zu erreichen, wird derzeit

von politischen Handlungsträgern eine zweigleisige Strategie verfolgt: Erstens soll mit

Hilfe von Sparprogrammen die Haushaltslage in den Problemstaaten stabilisiert werden,

zweitens wird in der Umsetzung tiefgreifender Strukturreformen ein Weg zu mehr Wachs-

tum und Beschäftigung gesehen (vgl. Economist, 2012).1

Insbesondere die am stärksten von der Krise betro�enen Länder Griechenland, Irland

und Portugal haben seit 2010 eine Reihe von Reformmaÿnahmen eingeleitet, viele davon

verknüpft mit der Bewilligung von Hilfszahlungen des Internationalen Währungsfonds

und der Europäischen Union. Ein Groÿteil der Bemühungen konzentrierte sich dabei

auf eine Veränderung der Rahmenbedingungen in Güter- und Arbeitsmärkten. Konkrete

strukturelle Reformen auf den Gütermärkten umfassten in allen drei Ländern etwa die

Liberalisierung geschützter Wirtschaftssektoren, darunter Energie und Logistikdienst-

leistungen und bestimmte akademische Berufsgruppen (z.B. Juristen und Notare), sowie

in Griechenland und Portugal die Reduzierung von bürokratischem Aufwand für Firmen-

neugründungen. Zu den Reformen auf den Arbeitsmärkten zählten u.a. (i) die Lockerung

gesetzlicher Kündigungsvoraussetzungen (Griechenland, Portugal), (ii) die Verringerung

steuerlicher Belastungen auf Arbeit (Griechenland), (iii) die Kürzung der Höhe oder

Dauer von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld (Griechenland, Irland, Portugal), (iv) eine

Stärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik (Irland) durch z.B. Verbesserungen bei den

Weiterbildungsangeboten für Arbeitslose und (v) eine Absenkung des Mindestlohns für

Jugendliche (Griechenland). Einige weitere Reforminitiativen zielten auÿerdem auf eine

Schwächung der Rolle von Gewerkschaften und eine Veränderung der institutionellen

Ausgestaltung von Lohnverhandlungen in den genannten Ländern ab, indem etwa in

Griechenland und Irland für Unternehmen durch sog. opt-out-Klauseln vermehrt Mög-

lichkeiten zum Ausstieg aus �ächendeckenden Tarifverträgen gescha�en wurden (vgl.

OECD, 2012a, S. 27 �.).2

Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, auf Grundlage des derzeitigen For-

schungsstandes eine allgemeine Einschätzung vorzunehmen, inwieweit die oben genann-

ten strukturellen Reformen auf Güter- und Arbeitsmärkten die Wirtschaftsleistung in

1Gemäÿ IMF (2004, S. 104 f.) lassen sich unter dem Begri� strukturelle Reformen im Allgemeinenalle politischen Maÿnahmen verstehen, die auf eine Stärkung der Marktkräfte, insbesondere Preis�exibi-lität und Wettbewerb, hinwirken. Der Begri� wird daher häu�g mit einer Reduzierung von staatlichemEin�uss auf die Privatwirtschaft gleichgesetzt.

2Daneben wurden noch weitere Strukturreformen in anderen Bereichen vorgenommen, z.B. eine Reihevon Steuer- und Rentenreformen in Griechenland. Deren Umsetzung ist jedoch hauptsächlich vor demHintergrund der schlechten ö�entlichen Haushaltssituation zu sehen (vgl. OECD, 2012a, S. 28).

1

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den Ländern steigern können.3 Hierzu erfolgt in Abschnitt 2 zunächst ein knapper theore-

tischer Überblick zu den möglichen Transmissionskanälen von Reformen auf verschiedene

makroökonomische Gröÿen. Der dritte Abschnitt diskutiert und deutet vergangene Re-

formprozesse in OECD-Ländern. Der vierte Abschnitt bildet schlieÿlich den Kern dieser

Arbeit: Er erörtert einige empirische Befunde zu den E�ekten struktureller Güter- und

Arbeitsmarktreformen. Ein besonderer Fokus liegt dabei, um den Bezug zur aktuellen

Krise zu wahren, auf den kurzfristigen Folgen von Reformen. Der fünfte Abschnitt nimmt

schlieÿlich eine Zusammenfassung der Ergebnisse vor.

2 Transmissionskanäle struktureller Reformen

Wie können Strukturreformen die Wirtschaftsleistung eines Landes verbessern? Der fol-

gende Abschnitt fasst einige theoretische Argumente in einer knappen Darstellung zu-

sammen, um die Grundlage für die darauf folgende empirische Betrachtung zu legen.

2.1 Gütermärkte

Einen einfachen modelltheoretischen Rahmen für den Zusammenhang zwischen Deregu-

lierung auf Gütermärkten und Wirtschaftswachstum liefern De Bandt und Vigna (2008,

S. 9 f.). Sie vergleichen in stilisierter Form die Situation eines Monopols, welches z.B.

aufgrund einer starken staatlichen Regulierung existiert, mit der von vollkommenem

Wettbewerb. Abbildung 1 stellt dies gra�sch dar. In der Ausgangssituation, d.h. vor der

Durchführung von Reformen, wählt der Monopolist diejenige Produktionsmenge, die sei-

nen Gewinn maximiert. Dies ist genau dort, wo sich Grenzumsatz (MR) und Grenzkosten

(MC) entsprechen. Bei einer gegebenen Nachfragekurve, welche dem Durchschnittsum-

satz AR entspricht, stellt sich ein Gleichgewicht in Punkt A ein, in dem die Menge QM

produziert und zu einem Preis von pM angeboten wird.

Wird nun eine Deregulierungsmaÿnahme eingeleitet, z.B. die Au�ösung eines Staatsmo-

nopols oder der Abbau von Bürokratie, so senkt dies die Eintrittshürden im betrachteten

Sektor. Als Folge treten neue Unternehmen in den Markt ein. Da dies den Wettbewerb

erhöht, verschiebt sich das Marktgleichgewicht von Punkt A zu Punkt B. Die neue Pro-

duktionsmenge bestimmt sich langfristig nach dem Schnittpunkt von Durchschnittsum-

satz (AR) und Grenzkosten (MC). In der neuen Situation mit Wettbewerb sinkt der

Preis auf pC und die nachgefragte Menge steigt auf QC . Die Di�erenz zwischen dem

Monopolpreis pM und dem Preis, der sich bei Wettbewerb ergibt, also pC , wird als der

sogenannte Mark-up bezeichnet. Er fällt umso gröÿer aus, je höher die Monopolmacht

eines Anbieters in einem gegebenen Markt.

3Dabei wird angesichts des beschränkten Umfangs auf eine Diskussion der Rolle von Mindestlöhnenverzichtet.

2

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Abbildung 1: E�ekte von Gütermarktreformen

MC

MR AR

P, MC, MR, AR

Q

A

B pC

pM

QM QC

Quelle: De Bandt und Vigna (2008, S. 10). Eigene Darstellung.

Wie wirken sich Gütermarktreformen auf das Beschäftigungsniveau aus? De Bandt

und Vigna (2008, S. 12) zeigen, dass sich nach einer wettbewerbssteigernden Gütermark-

treform die Arbeitsnachfragekurve nach auÿen verschiebt, weil die Produktionstätigkeit

der Unternehmen und damit der Bedarf am Faktor Arbeit zunimmt. Das Beschäfti-

gungsniveau steigt folglich. Somit legt die ökonomische Theorie nahe, dass strukturelle

Gütermarktreformen aufgrund ihrer wettbewerbssteigernden Wirkung einen insgesamt

positiven Ein�uss sowohl auf Wirtschaftswachstum als auch auf Beschäftigung haben.

Gleichzeitig können Gütermarktreformen auch zu einer Steigerung der Produktivität bei-

tragen. Ein möglicher Ansatzpunkt für die Transmission von gestiegenem Wettbewerb

auf die Produktivität ist der Arbeitseinsatz von Managern. So zeigt die theoretische

Analyse von Schmidt (1997, S. 199-202), wie die gestiegene Wahrscheinlichkeit einer In-

solvenz als Folge stärkeren Wettbewerbs förderlich für die Managerleistung sein kann.

Demnach veranlasst die Angst vor der Insolvenz die Manager zu gröÿerem Arbeitseinsatz,

weil sie andernfalls ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Um den Verlust an Marktan-

teilen gegenüber den neu in den Markt eingetreten Konkurrenten klein zu halten, sind

sie daher bemüht, die Kosten möglichst niedrig zu halten sowie die Innovationstätigkeit

der eigenen Firma zu steigern. Beide Strategien wirken sich positiv auf die Produktivtät

aus. Allerdings könnte stärkerer Wettbewerb auch zu geringerem Arbeitseinsatz von Ma-

3

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nagern führen, da dieser die Gewinne von Unternehmen reduziert, was die Renten der

leitenden Manager schmälert. Dadurch sinken die Anreize für einen hohen Arbeitseinsatz.

Das Gesamtergebnis hinsichtlich der Produktivität hängt somit also von der relativen

Gröÿe der beiden gegensätzlichen E�ekte ab.

Nickell (1996, S. 727 f.) liefert zudem theoretische Argumente für eine positive Anreiz-

wirkung von wettbewerbssteigernden Reformen auf den Einsatz von Arbeitern. Diese

leiten sich aus der Überlegung ab, dass Monopolrenten aufgrund von Marktmacht in Ta-

rifverhandlungen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern aufgeteilt werden. Neben

einem Lohn über Gleichgewichtsniveau können die Renten jedoch auch in Form eines

geringeren Arbeitseinsatzes abgeschöpft werden. In diesem Rahmen wirkt sich höherer

Wettbewerb, der die Monopolrenten senkt, positiv auf die Arbeitsleistung von Arbeitern

aus.

Schlieÿlich lassen sich abschlieÿend noch theoretische Gründe ins Feld führen, welche

einen positiven E�ekt von Deregulierungs- und Liberalisierungsmaÿnahmen auf die Inves-

titionstätigkeit von Unternehmen nahelegen. So stellen Alesina et al. (2005, S. 794-797)

analytisch dar, dass der Eintritt neuer Unternehmen in einen Markt die Investitionsan-

reize von etablierten Unternehmen erhöht. Ursächlich dafür sind im Wesentlichen zwei

Faktoren. Erstens führen niedrigere Monopolrenten (Mark-ups), wie bereits gezeigt, zu

einer Ausweitung der Produktion. Um diese realisieren zu können, benötigen Unterneh-

men einen gröÿeren Kapitalstock (d.h. Maschinen), was nur durch Investitionen erreicht

werden kann. Ein zweiter Kanal steht in Verbindung mit den Anpassungskosten des

Kapitalstocks. Starke Regulierung, z.B. in Form von übermäÿiger Bürokratie, erhöht

die Anpassungskosten für Unternehmen und vermindert daher die Rentabilität von In-

vestitionen. Reformen, die auf eine Reduzierung von Bürokratie abzielen, senken die

Anpassungskosten und steigern folglich die Investitionsrate.

2.2 Arbeitsmärkte

Strukturelle Arbeitsmarktreformen können sowohl angebots- als auch nachfrageseitig

wirken. In diesem Abschnitt werden einige theoretische Zusammenhänge zwischen Ar-

beitsmarktreformen und Beschäftigung skizziert. Dabei konzentriert sich die Diskussion

auf die folgenden Politikinstrumente: (i) Ausgestaltung des gesetzlichen Kündigungs-

schutzes, (ii) Höhe und Dauer der Ansprüche auf Arbeitslosengeld, (iii) Steuerliche Be-

lastung von Arbeit, (iv) aktive Arbeitsmarktpolitik sowie (v) der Ein�uss von Gewerk-

schaften und die Ebene von Tarifverhandlungen.

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Kündigungsschutz:

Die ökonomische Theorie liefert sowohl Argumente für eine förderliche als auch schädliche

Wirkung des gesetzlichen Kündigungsschutzes auf Beschäftigung. Zunächst verhindert

ein rigider Kündigungsschutz in konjunkturell schwierigen Zeiten, dass Unternehmen

Mitarbeiter aufgrund fehlender Produktionsauslastung entlassen. Ein Anstieg der Ar-

beitslosigkeit wird somit gedämpft. Andererseits kann der Kündigungsschutz auch eine

zusätzliche Kostenbelastung für Unternehmen darstellen. Mögliche Gründe dafür sind

etwa die Weiterbeschäftigung unproduktiver Mitarbeiter, Ab�ndungszahlungen im Fall

von Entlassungen sowie Unsicherheiten in Bezug auf die Rechtmäÿigkeit von Kündigun-

gen. Die erhöhten Kosten könnten Unternehmen in der Folge von der Einstellung neuer

Mitarbeiter abhalten. Die Jobchancen von Arbeitslosen vermindern sich daraufhin, der

E�ekt des Kündigungsschutzes auf den Arbeitsmarkt ist daher negativ. Wie groÿ dieser

negative Beschäftigungse�ekt ausfällt, hängt auch entscheidend von der Möglichkeit der

Arbeitgeber ab, die Kosten des Kündigungsschutzes in Form von niedrigeren Löhnen an

die Arbeitnehmer weiterzugeben. Insgesamt lässt sich aus der Theorie somit keine ein-

deutige Aussage über die allgemeinen Auswirkungen einer Lockerung des Kündigungs-

schutzes auf die Beschäftigungssituation am Arbeitsmarkt ableiten (vgl. Bonin, 2004, S.

11).

Arbeitslosengeld:

Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Arbeitslosengeld und Beschäftigung wird häu�g

argumentiert, dass eine groÿzügige Ausgestaltung der staatlichen Lohnersatzzahlungen

zu einem Anreizproblem bei Erwerbsfähigen führt. So zeigen Burda und Wyplosz (2009,

S. 427) im Rahmen einer mikroökonomischen Betrachtung, wie eine erwerbsfähige Person

in der Situation ohne jegliche staatliche Transfers zunächst die Entscheidung tri�t, einer

Beschäftigung nachzugehen. Nach Einführung eines staatlichen Systems der Arbeitslo-

senunterstützung in das Modell ändert sich jedoch die Entscheidung des Erwerbsfähigen

dahingehend, nun auf die Aufnahme von Arbeit zu verzichten, da mit den staatlichen

Arbeitslosentransfers ein höheres Nutzenniveau erreicht werden kann als bei Erwerbstä-

tigkeit.

Darüber hinaus kann die Gewährung von Arbeitslosengeld auch als �faktischer� Mindest-

lohn betrachtet werden. Unterhalb des sogenannten �Anspruchslohns�, d.h. desjenigen

Lohnsatzes, den jeder Erwerbsfähige durch Transferzahlungen sicher hat, wird das Ar-

beitsangebot Null sein. Falls der Anspruchslohn über dem Gleichgewichtslohnsatz liegt,

entsteht freiwillige Arbeitslosigkeit (vgl. Breyer und Buchholz, 2009, S. 266).

Reformen bei der Ausgestaltung staatlicher Leistungen für Erwerbslose können nun in

der Theorie dazu beitragen, das Anreizproblem bei der Arbeitsangebotsentscheidung zu

5

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verringern, um damit die (freiwillige) Arbeitslosigkeit in einer Volkswirtschaft zu vermin-

dern: Durch eine Senkung des Niveaus und/oder der Bezugsdauer von Transferzahlungen

könnte die Arbeitsaufnahme von Seiten des Erwerbsfähigen wieder lohnenswert sein, da

sich ein höheres Einkommen erzielen lieÿe als ohne Arbeit. Ein ähnlicher E�ekt könnte

auch durch eine Abscha�ung der Vollanrechnung von Erwerbseinkommen auf das Ar-

beitslosengeld erzielt werden, wodurch sich eine erwerbsfähige Person mit der Aufnahme

von Teilzeitarbeit bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Transferleistungen besser stellt

als ohne Arbeit.

Besteuerung von Arbeit:

Zu den Steuerbelastungen im Zusammenhang mit Beschäftigung gehören neben der Ein-

kommenssteuer auch Sozialabgaben, wie Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversiche-

rung. Da Sozialabgaben in der Regel nicht allein vom Arbeitnehmer, sondern auch antei-

lig vom Arbeitgeber getragen werden, wirken sich Steuern und Sozialabgaben nicht nur

auf die Angebots-, sondern auch auf die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes aus. Durch

die steuerlichen Belastungen reduziert sich der Lohnsatz, den ein Arbeitnehmer letzt-

endlich netto erhält um Einkommenssteuer und Lohnnebenkosten. Damit liegt auf der

Hand, dass eine hohe steuerliche Belastung das Arbeitsangebot reduzieren dürfte, da es

für Erwerbspersonen unattraktiver wird, einer Beschäftigung nachzugehen. Die negativen

E�ekte auf der Nachfrageseite ergeben sich durch die zusätzlichen Lohnkosten, die für

Arbeitgeber entstehen. Neben dem üblichen Lohnsatz müssen sie zusätzlich noch einen

Aufschlag in Höhe der anteiligen Lohnnebenkosten tragen, wodurch sich der Produkti-

onsfaktor Arbeit verteuert und die Nachfrage danach entsprechend zurückgeht. Somit ist

eine hohe steuerliche Abgabenbelastung schädlich für das allgemeine Beschäftigungsni-

veau. Reformmaÿnahmen, die auf eine Reduzierung der Steuerlast für Arbeit hinwirken,

können im Umkehrschluss beschäftigungsfördernd sein (vgl. Burda und Wyplosz, 2009,

S. 426-429).

Aktive Arbeitsmarktpolitik:

Zu den Aufgabenbereichen aktiver Arbeitsmarktpolitik gehören u.a. Beratung und Ver-

mittlung von Arbeitslosen, Weiterbildungsmaÿnahmen für Arbeitslose und Subventionie-

rung von Beschäftigung. Boone und Van Ours (2004, S. 16-24) unterscheiden zwischen

mehreren möglichen Kanälen, durch die aktive Arbeitsmarktpolitik zu einer geringeren

Arbeitslosigkeit beiträgt. Erstens könnte sie die Vermittlungsgeschwindigkeit erhöhen,

sodass Erwerbslose schneller zurück in den Arbeitsmarkt �nden. Zweitens können insbe-

sondere Weiterbildungsmaÿnahmen die Quali�kation von Arbeitslosen verbessern, was

einen Aufstieg in höherwertige Beschäftigungsverhältnisse ermöglicht. Diese bieten nicht

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nur bessere Löhne, sondern sind in der Regel auch mit einer geringeren Entlassungs-

wahrscheinlichkeit verbunden, was sich letztlich in einer niedrigeren Fluktuationsrate

zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit niederschlägt. Drittens können staatliche

Subventionsmaÿnahmen vor allem geringquali�zierten Erwerbspersonen den Weg aus der

Arbeitslosigkeit ermöglichen, indem private Unternehmen, z.B. durch Lohnzuschüsse, zu

Neueinstellungen motiviert werden. Allerdings könnten private Unternehmen auch staat-

liche Lohnzuschüsse für Stellen annehmen, die sie ohnehin (also auch ohne Subventio-

nen) gescha�en hätten. Es ergäbe sich in diesem Fall kein positiver Beschäftigungse�ekt,

es würden lediglich staatliche Gelder verschwendet. Zudem können Subventionen auch

dazu führen, dass Geringquali�zierte in schlecht bezahlten und unsicheren Arbeitsver-

hältnissen gehalten werden, statt durch Weiterbildung für bessere und stabilere Stellen

quali�ziert zu werden.

Ein�uss der Gewerkschaften und Ebene der Tarifverhandlungen:

Die Theorie sagt für den Fall starker Gewerkschaften eine höhere Verhandlungsmacht

von Arbeitnehmern bei Lohnverhandlungen voraus. Dies kann schlieÿlich zu Lohnab-

schlüssen führen, die über dem Gleichgewichtsniveau liegen, weil die Gewerkschaften

gemäÿ der Insidertheorie nur die eigenen Renten (Löhne) zu maximieren versuchen, oh-

ne die makroökonomischen Auswirkungen der Lohnpolitik in Betracht zu ziehen. In der

Konsequenz sinkt die Beschäftigung in einer Volkswirtschaft. Dabei kann der negative

Beschäftigungse�ekt besonders groÿ für Arbeitnehmergruppen mit niedrigerer Produk-

tivität, wie Jugendliche oder ältere Beschäftigte, ausfallen.

Allerdings spielt neben der Verhandlungsmacht von Gewerkschaften auch die Struk-

tur der Tarifverhandlungen eine Rolle bei Lohnabschlüssen. So wird etwa argumentiert,

dass dezentrale Tarifverhandlungen auf Firmenebene am förderlichsten für Beschäftigung

sind, da diese in der Tendenz zu niedrigeren Lohnabschlüssen führen, weil alle Beteiligten

an den Verhandlungen die möglichen nachteiligen Auswirkungen hoher Lohnabschlüsse

für die eigene Firma und die Arbeitsplätze im Blick haben. Ein weiteres Argument für

die Vorteile dezentraler Tarifverhandlungen wird zudem in dem Umstand gesehen, dass

die Löhne stärker an die regional- und �rmenspezi�schen Gegebenheiten, etwa in Be-

zug auf Produktivität und lokale Marktstrukturen, angepasst werden können. Anderer-

seits werden auch theoretische Überlegungen für die Vorteilhaftigkeit von zentralisierten

oder koordinierten Systemen der Tarifverhandlung vorgebracht. So kann ein hoher Grad

an Zentralisierung/Koordinierung zu moderateren Löhnen beitragen, da Gewerkschaften

die möglichen beschäftigungsschädlichen E�ekte übermäÿiger Lohnabschlüsse in ihre Be-

trachtung miteinbeziehen (vgl. Layard et al., 2003, S. 86-95).

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2.3 Interaktion und dynamische Wirkung von Reformen

Bereits in der obigen Diskussion zu den Auswirkungen von Gütermarktreformen wurde

deutlich, dass eine Deregulierungsmaÿnahme in einem Gütermarkt unmittelbare Aus-

wirkungen auf das gleichgewichtige Beschäftigungsniveau auf dem Arbeitsmarkt hat, da

durch verstärkten Wettbewerb der Mark-up sinkt und die Produktionsmenge steigt. Die

Frage, die sich aus diesem Zusammenhang ergibt, ist, inwiefern die Gröÿe des positiven

Beschäftigungse�ekts, der von Gütermarktreformen ausgeht, von der Regulierungsdichte

auf dem Arbeitsmarkt abhängt. Gri�th et al. (2007, S. 144 f.) zeigen in einem analy-

tischen Rahmen, dass eine Gütermarktreform einen gröÿeren positiven Beschäftigungs-

e�ekt generiert, wenn die Rigidität des Arbeitsmarktes hoch ist. Die Begründung liegt

in der Höhe der Verhandlungsmacht der Arbeiter. Ist diese stark ausgeprägt, so führt

dies zu relativ hohen Löhnen und folglich zu einem Arbeitsmarktgleichgewicht unterhalb

von Vollbeschäftigung. Unter diesen Rahmenbedingungen kann eine Gütermarktreform

einen gröÿeren Beschäftigungse�ekt erzielen, als in einer Situation, in der sich der Ar-

beitsmarkt bereits nahe am Vollbeschäftigungsniveau be�ndet.4

Zum Abschluss des theoretischen Überblicks wird im Folgenden noch kurz auf die dyna-

mische Wirkung von strukturellen Reformen eingegangen. Die Diskussion der ökonomi-

schen Theorie hat bisher viele Begründungen für positive E�ekte von Strukturreformen

geliefert. Allerdings besteht aus theoretischer Sicht auch Anlass zur Annahme, dass sich

diese positiven E�ekte eher langfristig einstellen. Ein Grund wäre etwa in der verzögerten

Reallokation von Produktionsfaktoren zu sehen, insbesondere von immobilen Arbeits-

kräften. Zudem benötigt die Realisierung von Produktivitätsfortschritten Zeit, weil etwa

Unternehmen erst langsam neue Technologien einführen. Gleichzeitig gibt es aber auch

Argumente für kurzfristige Kosten in Verbindung mit Reformen. Mögliche negative Fol-

gen von Gütermarktliberalisierungen betre�en z.B. die etablierten Firmen. Diese könn-

ten wegen des starken Wettbewerbs aus dem Markt gedrängt werden, wodurch Kapital

vernichtet und Arbeitsplätze verloren gehen. Eine weitere Erklärung wäre ein negativer

Nachfrageschock als Folge bestimmter Reformen, weil die zunehmende Verunsicherung

der Haushalte über die zukünftige Einkommenssituation zu höheren vorsorglichen Er-

sparnissen führt (vgl. Bouis et al, 2012, S. 7-10).

4Darüber hinaus liefern Bassanini und Duval (2006, S. 19 f.) noch einige Argumente für Interak-tionse�ekte zwischen einzelnen Reformmaÿnahmen auf dem Arbeitsmarkt. Einige dieser theoretischenZusammenhänge werden in Abschnitt 4 bei der Darlegung der empirischen Befunde aufgegri�en.

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3 Trends und Muster von Reformprozessen in OECD-Ländern

Dieser Abschnitt hat zwei Ziele. Erstens präsentiert er einige stilisierte empirische Fakten

zu den Reformbemühungen von OECD-Ländern in den vergangenen Jahrzehnten. Zwei-

tens stellt er eine Reihe von Reformindikatoren der OECD vor, welche als Datengrundlage

in zahlreichen empirischen Studien herangezogen werden. Einige grundsätzliche Hinwei-

se zu deren Konstruktion und Eigenschaften können daher für die Interpretation der

empirischen Befunde in Abschnitt 4 hilfreich sein.

3.1 Gütermärkte

Seit 1998 erstellt die OECD regelmäÿig einen allgemeinen Indikator für die Regulierungs-

dichte auf Gütermärkten: der sogenannte Product Market Regulation (PMR)-Indikator.

Er nimmt je nach Regulierungsgrad des betrachteten Landes einenWert zwischen 0 (keine

Regulierung) und 6 (sehr starke Regulierung) an. Als Basis für die Erstellung des Indi-

kators dienen wettbewerbsrelevante Kriterien aus drei Bereichen: (i) Ausmaÿ staatlicher

Kontrolle auf private Geschäftstätigkeit, (ii) bürokratische Hürden für Unternehmertum

und (iii) Hemmnisse in Bezug auf internationalen Handel und Investitionen (vgl. Wöl�

et al., 2009, S. 9 �.).

Abbildung 2 zeigt den aktuellsten Wert (Jahr 2008) des PMR-Indikators sowie dessen

Veränderung seit 1998 für eine Auswahl von OECD-Ländern. Mit Blick auf den Wert des

Indikators im Jahr 2008 (blaue Balken) wird deutlich, dass Griechenlands Gütermärkte

von allen betrachteten Ländern am stärksten den Wettbewerb einschränken. Andere der-

zeitige Krisenländer wie Portugal und Italien rangieren ebenso wie Deutschland eher im

Mittelfeld der Statistik (nahe am OECD-Durchschnitt). Der Liberalisierungsgrad der Gü-

termärkte von Spanien und Irland ist hingegen sehr nahe am Niveau von Groÿbritannien

und den USA, deren Indikator-Wert relativ gesehen am niedrigsten ist. Die Veränderung

des Indikators im Zeitraum zwischen 1998 und 2008 (roter Balken) ist bei allen Ländern

durchweg negativ, also gleichbedeutend mit einer Abnahme der Regulierungsdichte. Die

weitreichendsten Reformen unternahmen dabei augenscheinlich Spanien und Italien.

Der allgemeine Trend einer zunehmenden Liberalisierung von Gütermärkten in OECD-

Ländern wird auch durch einen weiteren Indikator unterstützt: der sogenannten ETCR-

Index (ETCR: Energie-Transport-Communications Regulation), welcher die Regulie-

rungsstrenge in sieben nicht-produzierenden Sektoren misst. Zu diesen Sektoren zählen

Strom, Gas, Flug-, Bahn- und Straÿenverkehr, Post und Telekommunikation (vgl. Con-

way und Nicoletti, 2006, S. 8.). Der ETCR-Index nimmt ebenfalls Werte auf einer Skala

zwischen 0 und 6 an, wobei ein höherer Wert eine strengere Regulierung andeutet. Er

9

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Abbildung 2: Veränderung und aktueller Wert des Indikators für allgemeine Gütermarkt-regulierung

-2 -1,5 -1 -0,5 0 0,5 1 1,5 2 2,5

Großbritannien

USA

Irland

Niederlande

Spanien

Finnland

Schweden

Deutschland

OECD-Durchschnitt

Italien

Portugal

Frankreich

Griechenland

Veränderung (1998-2008) 2008

Quelle: OECD. Eigene Darstellung

ist als (jährliche) Zeitreihe konstruiert und reicht bis ins Jahr 1975 zurück, wodurch im

Vergleich zum PMR-Index auch längerfristige Deregulierungstendenzen o�engelegt wer-

den können. In Abbildung 3 ist die Veränderung des ETCR-Index im Zeitraum von 1975

bis 2008 dargestellt. Ausnahmslos hat sich der Index bei allen betrachteten Ländern

deutlich verringert. Somit lässt sich festhalten, dass in den vergangenen Jahrzehnten

intensive Reformbemühungen in OECD-Ländern unternommen wurden, was zu einem

nennenswerten Rückgang des Regulierungsniveaus von Gütermärkten geführt hat.

3.2 Arbeitsmärkte

Die Rigidität von Arbeitsmärkten kann an einer Reihe verschiedener Indikatoren abge-

lesen werden. Einige der wichtigsten werden im Folgenden diskutiert.

Kündigungsschutz:

Der OECD-Indikator für die Rigidität des Kündigungsschutzes bildet die Kosten für Ar-

beitgeber (in monetärer und bürokratischer Hinsicht) bei Einstellung und Kündigung

von Mitarbeitern ab. Dabei werden für die Quanti�zierung des Indikators Kriterien aus

drei Bereichen herangezogen: (i) Kündigungsschutz von Arbeitnehmern in unbefristeten

Beschäftigungsverhältnissen, (ii) Vorschriften für Massenentlassungen, (iii) Kündigungs-

schutz für befristete Arbeitsverhältnisse (vgl. Venn, 2009, S. 6). Abbildung 4 zeigt den

Indikator für einige OECD-Länder im Jahr 2008 sowie dessen jeweilige Veränderung seit

10

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Abbildung 3: Veränderung und aktueller Wert des OECD-Indikators für Gütermarktre-gulierung in sieben Netzindustrien

-5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4

Großbritannien

Deutschland

Spanien

Niederlande

USA

OECD-Durchschnitt

Italien

Frankreich

Finnland

Portugal

Irland

Griechenland

Veränderung (1975-2007) 2007

Quelle: OECD. Eigene Darstellung.

1985 (das Jahr, in dem der Indikator zum ersten Mal erstellt wurde). Über den strengsten

Kündigungsschutz verfügen demnach Portugal, Frankreich, Spanien und Griechenland.

Am laxesten ist er hingegen in den USA, Groÿbritannien und Irland. Der Kündigungs-

schutz Deutschlands be�ndet sich über dem OECD-Durchschnitt.

Die Veränderung des Indikators seit 1985 zeigt mit einigen Ausnahmen (Frankreich, Ir-

land und Groÿbritannien) einen rückläu�gen allgemeinen Trend. Der OECD-Durchschnitt

für den Indikatorwert sank um knapp 0,5 Punkte in dem betrachteten Zeitraum. Ins-

besondere Italien, Schweden, Deutschland und Portugal reduzierten ihren Kündigungs-

schutz durch tiefgreifende Arbeitsmarktreformen. Eine weit verbreitete Reformstrategie

bestand dabei in vielen Ländern in einer Lockerung des Kündigungsschutzes für befris-

tete Beschäftigung, indem z.B. die Anstellung von Leiharbeitern vereinfacht wurde (vgl.

OECD, 2004, S. 73).

Arbeitslosengeld:

Wie bereits im Theorieabschnitt besprochen, kann die Ausgestaltung staatlicher Trans-

fers im Fall von Arbeitslosigkeit Auswirkungen auf die Arbeitsanreize haben. Mit Hil-

fe des OECD-Gesamtindikators für die Groÿzügigkeit staatlicher Arbeitslosenunterstüt-

zung lässt sich die Situation in verschiedenen Ländern international vergleichen. Er misst

die durchschnittlichen Bruttolohnersatzquoten für mehrere Bezugsdauern, Familien- und

Einkommenssituationen. Die Betrachtung dieses Indikators für das Jahr 2005 (vgl. Ab-

11

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Abbildung 4: Veränderung und aktueller Wert des Indikators für Kündigungsschutz

-2 -1 0 1 2 3 4

USA

Großbritannien

Irland

OECD-Durchschnitt

Schweden

Italien

Niederlande

Finnland

Deutschland

Griechenland

Spanien

Frankreich

Portugal

Veränderung (1985-2008) Kündigungsschutz 2008

Quelle: OECD. Eigene Darstellung

bildung 5) o�enbart ein sehr heterogenes Bild innerhalb der OECD. In Norwegen ist die

Gewährung von Arbeitslosenunterstützung mit durchschnittlich mehr als 50 Prozent des

vorherigen Bruttolohns am groÿzügigsten. Dahinter folgen Dänemark, Portugal, Frank-

reich und Schweden mit durchschnittlich rund 40 Prozent an staatlichen Lohnersatzzah-

lungen. Deutschland liegt mit einer Rate von etwas über 20 Prozent knapp unter dem

OECD-Durchschnitt. Am geringsten fällt die staatliche Arbeitslosenhilfe unter den be-

trachteten Ländern in Griechenland aus, mit einem Niveau noch unterhalb der USA.

Blickt man auf die Entwicklung der Arbeitslosenhilfe seit Anfang der Sechziger Jahre,

so lässt sich ein Trend zu groÿzügigeren staatlichen Transfers ausmachen. Im OECD-

Durchschnitt stieg der Gesamtindikator um knapp 15 Prozent. Zu den wenigen Ländern,

in denen die Arbeitslosenleistungen im Vergleich zu 1961 reduziert wurden, zählt unter

anderem auch Deutschland. Ursächlich für den gröÿten Teil der Leistungskürzung waren

dabei die Hartz-Reformen. Im Jahr 2003 war der Wert des Indikators mit 29 Prozent

lediglich ein Prozent unter dem Wert von 1960. Infolge der Arbeitsmarktreformen un-

ter Gerhard Schröder sank dieser dann bis 2005 auf 24 Prozent (vgl. auch Abschnitt 4.4).

Besteuerung von Arbeit:

Ein Indikator, welcher die gesamte steuerliche Abgabenbelastung von Arbeitnehmern

und -gebern abbildet, ist der sogenannte Steuerkeil. Er setzt die Steuerbelastung zu den

Lohnkosten ins Verhältnis:

12

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Abbildung 5: Veränderung des Gesamtindikators für Höhe und Dauer der Arbeitslosen-hilfe in OECD-Ländern, 1961-2005

-20 -10 0 10 20 30 40 50 60 70

Griechenland

USA

Großbritannien

Deutschland

OECD-Mittelwert

Italien

Irland

Spanien

Niederlande

Schweden

Frankreich

Portugal

Dänemark

Norwegen

Veränderung (1961-2005) 2005

Quelle: Bene�ts and Wages: OECD Indicators. Eigene Darstellung

Steuerkeil =Steuerbelastung

Lohnkosten(1)

Die Steuerbelastung ist de�niert als die Summe aus Einkommensteuer, Sozialbeiträgen

von Arbeitnehmern und -gebern, abzüglich staatlicher Transfers. In die Lohnkosten ge-

hen Bruttolohn und Sozialbeiträge der Arbeitgeber ein. Somit erlaubt der Steuerkeil

eine Quanti�zierung des Anteils der gesamten Lohnkosten, welcher auf Steuern und So-

zialabgaben entfällt (vgl. OECD, 2012c, S. 12). Abbildung 6 zeigt, dass der Steuerkeil

in Schweden (über 40 Prozent) am höchsten ist, gefolgt von Finnland, Italien und Grie-

chenland mit jeweils deutlich über 30 Prozent. Die angelsächsischen Länder be�nden sich

abermals am Ende der Statistik. Die Veränderung im Zeitraum 1979-2004 lässt keinen

allgemeinen Trend erkennen. Erwähnenswert ist der auÿerordentlich starke Anstieg der

Steuerbelastung in Griechenland (mehr als 25 Prozent).

Aktive Arbeitsmarktpolitik:

Wie bereits im Theorieteil dargelegt, kann aktive Arbeitsmarktpolitik ein bedeutendes

Instrument zur Scha�ung von Arbeitsplätzen sein. Abbildung 7 o�enbart, dass insbeson-

dere kontinentaleuropäische Länder beträchtliche ö�entliche Mittel dafür bereitstellen.

Allen voran Dänemark, dessen Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik im Jahr 2010

13

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Abbildung 6: Höhe und Veränderung des Steuerkeils in OECD-Ländern

-20 -10 0 10 20 30 40 50

Irland

USA

Großbritannien

Portugal

OECD-Durchschnitt

Dänemark

Spanien

Deutschland

Niederlande

Griechenland

Italien

Finnland

Schweden

Veränderung (1979-2004) Steuerkeil 2004

Quelle: OECD Taxing Wages Database. Eigene Darstellung

beinahe 2 Prozent seines BIP betrugen. In einigen Ländern, z.B. Spanien und Portugal,

haben sich die Ausgaben seit 1985 mehr als verdoppelt.

Tarifbindungsrate:

Die Tarifbindungsrate ist ein möglicher Indikator, um die Verhandlungsmacht von Arbei-

tern und das Ausmaÿ an kollektiven Tarifverhandlungen abzubilden.5 Abbildung 8 zeigt,

dass die Tarifbindung in Ländern wie Österreich und Belgien nahezu bei 100 Prozent

liegt. In Griechenland und Deutschland entspricht sie in etwa dem OECD-Durchschnitt.

Die angelsächsischen Länder (Irland, Groÿbritannien, USA) weisen hingegen die gerings-

te Tarifbindung auf. Die Veränderung der Tarifbindung seit 1990 deutet eine abnehmende

Tendenz in OECD-Ländern an, besonders stark �el der Rückgang dabei in Portugal aus

(mehr als 30 Prozent). Eine weitere historische Entwicklung lässt sich in Bezug auf die

Struktur von Tarifverhandlungen beobachten. So hat in den meisten OECD-Ländern seit

1990 eine zunehmende Dezentralisierung von Tarifverhandlungen stattgefunden, d.h. die

Bedeutung von Tarifverträgen auf Firmen- oder Sektorebene ist stark gestiegen (vgl.

OECD, 2012b, S. 139 f.).

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass auf den Arbeitsmärkten in OECD-

Ländern in den vergangenen Jahrzehnten ausgeprägte Reformaktivitäten stattgefunden

haben. Anders als auf den Gütermärkten ist die Reformrichtung jedoch nicht eindeu-

5Ein alternativer Indikator, welcher auch in zahlreichen empirischen Studien verwendet wird, ist diesog. Gewerkschaftsdichte, die als Prozentsatz von Gewerkschaftsmitliedern unter der gesamten Arbeiter-schaft de�niert ist(vgl. OECD, 2012b, S. 135 f.).

14

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Abbildung 7: Höhe und Veränderung der Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik

-1 -0,5 0 0,5 1 1,5 2

USAGroßbritannien

ItalienOECD-Durchschnitt

PortugalSpanien

DeutschlandIrland

FinnlandFrankreichSchweden

NiederlandeBelgien

Dänemark

Öff. Ausgaben für AAMP in % des BIP

Veränderung (1985-2010) AAMP 2010

Quelle: OECD. Eigene DarstellungAnmerkungen: Für Italien sind die Daten erst ab 2004 verfügbar, daher wurde keine Veränderungseit 1985 berechnet. Für Griechenland sind überhaupt keine Daten verfügbar.

Abbildung 8: Höhe und Veränderung der Tarifbindungsrate

-60,0 -40,0 -20,0 0,0 20,0 40,0 60,0 80,0 100,0

USAGroßbritannien

IrlandPortugal

OECD-DurchschnittDeutschland

GriechenlandDänemark

ItalienNiederlande

SpanienFrankreichSchweden

BelgienÖsterreich

Veränderung der Tarifbindungsrate, 1990-2008 (in %)

Rate der Tarifbindung (in %) 2008

Quelle: OECD (2012b, S. 136). Eigene Darstellung

15

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tig. Während der Kündigungsschutz und die Bedeutung von Gewerkschaften tendenziell

durch eine Reihe von Politikmaÿnahmen reduziert wurden, stiegen die Ansprüche auf

Arbeitslosenunterstützung in vielen Ländern teilweise sehr stark an.

4 Strukturelle Reformen undWirtschaftsleistung: Über-blick empirischer Befunde

Das Ziel dieses Abschnitts besteht darin, eine Antwort auf die Frage zu liefern, ob in

OECD-Ländern empirisch ein Zusammenhang zwischen Strukturreformen und Wirt-

schaftsleistung feststellbar ist. Hierzu werden nachfolgend einige Resultate empirischer

Studien diskutiert, die sich mittels ökonometrischer Untersuchungen mit dieser Fra-

gestellung auseinander setzen. Dabei werden zuerst die langfristigen, anschlieÿend die

kurzfristigen Reforme�ekte dargestellt. Den Abschluss bildet eine kurze Fallstudie der

Hartz-Reformen in Deutschland.

4.1 Methodische Überlegungen

Bevor die einzelnen Ergebnisse verschiedener Studien dargelegt werden, ist es zunächst

hilfreich, einige methodische Hinweise zu erörtern. Um die E�ekte von Reformen auf

Wirtschaftsleistung zu untersuchen, wenden alle empirischen Studien, welche in diesem

Abschnitt zitiert werden, die Methodik länderübergreifender Regressionsanalysen an. Die

grundsätzliche Modellkonstruktion sieht dabei folgendermaÿen aus (vgl. z.B. Bassanini

und Duval, 2006, S. 12):

Yit =∑j

βjREGjit + χGit + αi + λt + εit (2)

,

wobei t für Zeit und i für das Land steht. Yit ist die abhängige Variable. Je nach Stu-

die werden dabei BIP-Wachstum, Arbeitslosigkeit, Beschäftigung, Investitionsrate oder

Produktivität verwendet. REGjit ist schlieÿlich die Variable von Interesse. Sie beinhaltet

die verschiedenen Reformindikatoren (z.B. OECD-Indikator für Gütermarktregulierung,

Kündigungsschutzindex, Steuerkeil etc.). Anhand der Schätzergebnisse für den Koe�zi-

enten βj kann der Ein�uss der Reformindikatoren auf die jeweilige abhängige Variable

festgestellt werden. Üblicherweise werden noch einige Kontrollvariablen in die Modells-

pezi�kation mitaufgenommen, um andere bedeutende Faktoren sowie länderspezi�sche

Entwicklungen zu berücksichtigen. Im obigen Fall sind dies die Outputlücke χGit sowie

country �xed e�ects, αi und time �xed e�ects, λt.

Somit besteht die Strategie der länderübergreifenden Regression zusammenfassend darin,

auf Grundlage historischer Daten abweichende Entwicklungen in der Wirtschaftsleistung

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zwischen OECD-Ländern durch Unterschiede in Verlauf und Niveau der Variablen für

Gütermarkt- und Arbeitsmarktregulierung zu erklären. Mit Hilfe der Schätzergebnisse

für die einzelnen Koe�zienten der Politikvariablen kann schlieÿlich der wahrscheinliche

E�ekt struktureller Reformen auf die makroökonomische Gröÿe von Interesse (z.B. Ar-

beitslosigkeit) bestimmt werden.

Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese Methodik nicht ganz unproblema-

tisch ist. Insbesondere die Verwendung der OECD-Indikatoren für Gütermarktregulie-

rung ist mit einigen methodischen Schwierigkeiten verbunden. So bietet der in Abschnitt

3.1 besprochen PMR-Indikator (vgl. Abbildung 2) keine Zeitreihendaten, da er lediglich

die Regulierung für einige wenige Jahre (1998, 2003, 2008) abbildet. Als Alternative wird

daher in vielen Studien der ETCR-Indikator (vgl. Abbildung 3) verwendet, der zwar als

Zeitreihe (jährliche Daten seit 1975) konzipiert ist, allerdings nur die Regulierung in

sieben Netzindustrien abbildet. Bei ihm stellt sich daher die Frage, ob die Reformpro-

zesse in den sieben Industrien repräsentativ für die Gesamtökonomie in den jeweiligen

Ländern sind. Wegen der besonderen Eigenschaften der sieben Netzindustrien (z.B. ge-

ringe Verwicklung in internationalen Handel) ist dies wohl nicht immer gewährleistet

(vgl.Gri�th et al., 2007, S. 143 f.). Diese methodischen Unzulänglichkeiten sollten daher

bei der Interpretation der nun folgenden Diskussion berücksichtigt werden.

4.2 Ergebnisse von Langzeitstudien

4.2.1 Gütermarktreformen

In Tabelle 1 sind einige empirische Studien aufgelistet, welche den langfristigen Ein�uss

struktureller Gütermarktreformen auf unterschiedliche makrökonomische Variablen, wie

BIP-Wachstum, Beschäftigung, Produktivität und Investitionen, untersuchen. Die über-

wiegende Mehrheit der Studien kommt zu dem Ergebnis, dass sich Gütermarktreformen

signi�kant positiv auf die Wirtschaftsleistung eines Landes auswirken. Die einzige Aus-

nahme bilden Kerdrain et al. (2010), die lediglich einen kurzfristigen positiven Ein�uss

von Gütermarktliberalisierungen auf Investitionen �nden, die langfristigen E�ekte stellen

sich hingegen als unbedeutend heraus. Das Thema dynamischer Wirkungen von Struk-

turreformen ist Gegenstand von Abschnitt 4.2.

Die Mehrheit der zitierten Studien greift als Variable für Strukturreformen in Güter-

märkten auf die bereits diskutierten OECD-Indikatoren zurück, die, wie eben erläutert,

aufgrund ihrer Konstruktion mit Schwächen verbunden sind. Um dieser Problematik

Rechnung zu tragen und ein insgesamt repräsentatives empirisches Bild zu liefern, ist

es daher ratsam, auch Studien in die Analyse mitaufzunehmen, die sich in ihren Re-

gressionsanalysen nicht auf OECD-Indikatoren stützen. Ein Beispiel hierfür sind etwa

Koedijk et al. (1996, S. 448-454), welche einen eigenen Indikator erstellen, der auf Ba-

17

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Tabelle1:

Der

langfristige

Ein�u

ssstrukturellerGütermarktreform

enaufWirtschaftsleistung

VariableundStudie

DatengrundlageundZeitraum

Geschätzter

Reforme�ekt

BIP-W

achstum

IMF(2004)

15OECD-Länder,1984-1998;OECD-Reform

indikatoren

positiv

KoedijkundKremers(1996)

11EU-Länder,1981-1993;EigeneReform

indikatoren

positiv

Beschäftigung

NicolettiundScarpetta

(2005)

20OECD

Länder,1980-2002;OECD-Reform

indikatoren

positiv

BassaniniundDuval(2006)

20OECD

Länder,1982-2003;OECD

Reform

indikatoren

positiv

Berger

undDanninger

(2006)

27OECD-Länder,1990-2004;OECD-Reform

indikatoren

positiv

Gri�th

etal.(2007)

14OECD-Länder,1986-2000;EigeneReform

indikatorenaufBasisverschiedener

Da-

tenquellen(u.a.FraserInstiute

undWeltbank)

positiv

Produktivität

Arnold

etal.(2011)

10EU-Länder,1998-2004;OECD-Reform

indikatoren

positiv

NicolettiundScarpetta

(2003)

18OECD-Länder,1984-1998;OECD-Reform

indikatoren

positiv

Salgado(2002)

20OECD-Länder,1965-98;OECD-Reform

indikatoren

positiv

KoedijkundKremers(1996)

11EU-Länder,1980-1994;EigeneReform

indikatoren

positiv

Investitionen

Nicolettiet

al.(2003)

28OECD-Länder,1980-2000;OECD-Reform

indikatoren

positiv

Gri�th

undHarrison(2004)

15EU-Länder,1985-2000;EigeneReform

indikatorenaufBasisverschiedener

Daten-

quellen(u.a.FraserInstiute

undWeltbank)

positiv

Alesinaet

al.(2005)

21OECD-Länder,1975-1998;OECD-Reform

indikatoren

positiv

Kerdrain

etal.(2010)

30OECD-Länder,1965-2008;OECD-Reform

indikatoren

nurkurzfristig

Anmerkungen:1.UmdieE�ektevonstrukturellenGütermarktreform

enaufBeschäftigung

zuuntersuchen,nutzen

mancheStudieninihrerRegressionsanalyse

dieBeschäftigungsquote

bzw.derenWachstumsratealsabhängigeVariable(N

icolettiundScarpetta,2005;BergerundDanninger,2006),andere

verwenden

Arbeitslosenrate(Bassanini

undDuval,2006;Gri�th

etal.,2007).Beiletzterenisteinpositiver

E�ektaufBeschäftigung

somitgleichbedeutend

miteinem

negativenVorzeichendesRegressionskoe�

zientenfürGütermarktreform

en.

2.Der

Ein�uss

vonGütermarktreform

enaufProduktivitätswachstum

wirdüblicherweise

anhand

derTotalen

Faktorproduktivität/M

ultifaktorproduktvität

(Koedijk

undKremers,1996;NicolettiundScarpetta,2003;Arnoldet

al.,2011)geschätzt.Alesina

etal.(2002)

verwendenWachstumsraten

vonTotaler

Faktorproduktivität,Arbeitsproduktvität

undKapitalproduktivitätalsabhängigeVariable.3.

BeiInvestitionenwirdentweder

diegesamte

Investitionsrate

(Gri�th

undHarrison,

2004;Gri�th

etal.,2007;Kerdrainet

al.,2010)oder

derZu�ussan

ausländischenDirektinvestitionen

(Nicolettiet

al.,2003)als

abhängigeVariablegenutzt.

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sis amtlicher Informationen aus sechs verschiedenen Bereichen die Regulierungsdichte

eines Gütermarktes abbildet.6 Eine Regression der durchschnittlichen Wachstumsrate

des pro-Kopf-BIP von elf europäischen Ländern im Zeitraum 1981-93 auf den Indika-

tor für Gütermarktregulierung liefert einen negativen und signi�kanten Koe�zienten,

welcher somit statistisch nahe legt, dass sich eine hohe Regulierungsdichte negativ auf

Wirtschaftswachstum auswirkt. Strukturelle Gütermarktreformen, die eine Deregulie-

rung vorantreiben, können somit einen wachstumsfördernden E�ekt erzeugen. Denselben

Zusammenhang, ebenfalls mit Hilfe einer Regression, �nden die Autoren auch in Bezug

auf Totale Faktorproduktivität.

Ein weiteres Beispiel für eine empirische Studie, welche keine OECD-Indikatoren in

ihrer Regressionsanalyse nutzt, ist Gri�th et al. (2007, 147 �.). Ihre empirische Analyse

zu Gütermarktreformen in 14 OECD-Ländern zwischen 1986 und 2000 nutzt eigene Re-

formindikatoren auf Basis verschiedener Datenquellen (z.B. Weltbank, World Economic

Forum). Diese haben nach Meinung der Autoren gegenüber den OECD-Indikatoren den

Vorteil, dass sie sowohl als Zeitreihe konzipiert sind, als auch handelbare Sektoren darin

berücksichtigt werden. Das Ergebnis ihrer Schätzung deckt sich mit den anderen Stu-

dien: es wird ein negativer Zusammenhang zwischen Regulierung und Arbeitslosigkeit

gefunden.

Diese vorläu�gen empirischen Erkenntnisse erlauben ein erstes Zwischenfazit: Die Er-

gebnisse mehrerer empirischer Studien kommen auf Basis unterschiedlicher Datenquellen

und unabhängig von der in den jeweiligen Regressionen verwendeten abhängigen Varia-

ble zum Ergebnis, dass strukturelle Wirtschaftsreformen, die auf eine Deregulierung von

Gütermärkten abzielen, tendenziell eine vorteilhafte Wirkung auf die Wirtschaftsleistung

eines Landes nach sich ziehen.

Das positive Vorzeichen des Zusammenhangs zwischen Reformen und Wirtschaftsleis-

tung allein ist jedoch wenig aussagekräftig. Fällt der positive E�ekt von Reformen eher

gering aus, stellt sich die Frage, ob die oftmals hohen Kosten, die mit Reformen ver-

bunden sein können, den eher kleinen Ertrag rechtfertigen. Diejenigen Studien, welche

Hinweise auf die quantitative Gröÿe der positiven E�ekte liefern, deuten jedoch an, dass

diese durchaus nennenswert ausfallen. Laut Schätzungen von IMF (2004, S. 126) füh-

ren Liberalisierungsmaÿnahmen, die eine Veränderung des Reformindikators um eine

Standardabweichung zur Folge haben, zu einer Erhöhung des Wirtschaftswachstum von

insgesamt etwa 3 Prozent nach 9 Jahren und 7 Prozent nach 15 Jahren.

6Diese sechs Bereiche sind: Regulierung in Bezug auf Firmengründungen, Wettbewerbspolitik, staatli-che Unternehmen, Begünstigung bestimmter Industrieunternehmen oder Sektoren, Ladenschlussgesetzesowie die nationale Umsetzung der Regelungen zum europäischen Binnenmarkt. Ähnlich wie die OECD-Indikatoren, ergibt ein Ranking unter den Ländern, dass Griechenland in Europa über die strengsteGütermarktregulierung verfügt, Irland und Groÿbritannien hingegen über die geringste. Deutschlandrangiert auch hier im Mittelfeld.

19

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Auch der Ein�uss von Gütermarktreformen auf Beschäftigung scheint erheblich zu sein.

So schätzen Gri�th et al. (2007, S. 156), dass die in Portugal zwischen 1988 und 1998

durgeführten Gütermarktreformen, viele davon in Verbindung mit der Einführung des

Gemeinsamen Europäischen Marktes, für eine Reduktion der Arbeitslosenrate von insge-

samt 2,6 Prozent verantwortlich waren. Der durchschnittliche Gesamte�ekt aller europäi-

schen Länder im Datensatz über denselben Zeitabschnitt wird auf -1,7 Prozent kalkuliert,

wovon etwa -0,9 Prozent auf die Liberalisierungsmaÿnahmen im Zuge der Etablierung

des Gemeinsamen Europäischen Marktes zurückgeführt werden. Gemäÿ der Analyse von

Nicoletti und Scarpetta (2005, S. 31) waren die Gütermarktreformen in Groÿbritannien

seit den 1980er Jahren für einen Beschäftigungsanstieg zwischen 2 und 4 Prozent verant-

wortlich. Auf Basis ihrer Ergebnisse folgern sie auÿerdem, dass in einem Land mit relativ

rigidem Gütermarkt, wie etwa Frankreich, ein umfassender Abbau von Regulierungen auf

das Niveau der liberalsten OECD-Länder (z.B. Groÿbritannien), einen langfristigen Be-

schäftigungse�ekt von bis zu zwei Prozent nach sich zöge. Bassanini und Duval (2006, S.

16) stellen eine ähnliche Rechnung für das durchschnittliche OECD-Land auf. Demnach

brächte eine Absenkung der Regulierunsstandards auf das Niveau des liberalsten Landes

Groÿbritannien langfristig einen durchschnittlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit von

0,7 Prozent ein.

Die Schätzung von Salgado (2002, S. 9) besagt, dass die langfristige förderliche Wirkung

von strukturellen Gütermarktreformen auf das Wachstum der Totalen Faktorprodukti-

vität in 20 OECD-Ländern im Zeitraum zwischen 1985 und 1995 zwischen 0,2 und 0,3

Prozent lag. Nicoletti und Scarpetta (2003, S. 50) illustrieren das Potential von Refor-

men für die Produktivität anhand eines konkreten Länderbeispiels: Basierend auf den

Daten für 2003, rechnen sie für den hypothetischen Fall, dass Griechenland seinen Anteil

an staatlichen Unternehmen auf den OECD-Durchschnitt senkt, mit einer Steigerung

der jährlichen Wachstumsrate der Multifaktorproduktivität um 0,7 Prozent über einen

Zeitraum von zehn Jahren.

Schlieÿlich zeigen Alesina et al. (2005, S. 810) anhand von Groÿbritannien, dass die po-

sitiven E�ekte von Liberalisierungen und Privatisierungen auch auf die Investitionsrate

erheblich sein können. Zwischen 1984 und 1998 sank der Indikatorwert für Groÿbritan-

nien aufgrund einer Reihe von Deregulierungsmaÿnahmen im Transport- und Kommu-

nikationssektor von 3,8 auf 0,8. Gleichzeitig stieg im selben Zeitraum die britische In-

vestitionsrate um 3 Prozent. Die Schätzergebnisse des Regressionsmodells schreiben den

Gütermarktreformen allein 2,5 Prozentpunkte der insgesamt 3 Prozent Gesamtanstieg

zu. Auch das quantitative Ausmaÿ der potentiellen E�ekte struktureller Gütermark-

treformen auf ausländische Direktinvestitionen ist gemäÿ Nicoletti et al. (2003, S. 65)

nennenswert. So könnte eine Senkung der Regulierungsstandards aller OECD-Länder

20

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auf das Niveau von Groÿbritannien die Zu�üsse an ausländischen Direktinvestitionen in

allen OECD-Ländern um beinahe 20 Prozent steigern.

Einige weitere stilisierte empirische Befunde der zitierten Studien werden nachfolgend

aufgelistet:

• Die Senkung von bürokratischen Hürden für Unternehmertum und die Beseitigung

von Hemmnissen in Bezug auf internationalen Handel und Investitionen verspre-

chen die gröÿten positiven E�ekte für die Wirtschaftsleistung. Die Auswirkungen

von Privatisierungen staatlicher Unternehmen sind hingegen weniger bedeutsam.

Diese Beobachtung legt nahe, dass sich übermäÿige Regulierung insbesondere durch

die Verhinderung von Firmengründungen negativ auf die Wirtschaftsbilanz eines

Landes auswirken, da diese besonders sensibel auf Eintrittshürden reagieren(vgl.

Alesina et al., 2005, S. 812; Berger und Danninger, 2006, S. 10).7

• Länder, die weiter vom Technologieführer entfernt sind, können am meisten von

strukturellen Reformen pro�tieren (vgl. Nicoletti und Scarpetta, 2003, S. 47).

• Das Potential für Gewinne durch Strukturreformen ist für Unternehmen mit über-

durchschnittlichem Produktivitätswachstum gröÿer als bei Unternehmen mit un-

terdurchschnittlichem Produktivitätszuwachs (vgl. Arnold et al., 2011, S. 9).

• Länder mit hoher Regulierungsdichte auf dem Gütermarkt benötigen länger, um

sich vom einem makroökonomischen Schock, z.B. Produktivitätsschock, zu erholen

als Länder mit laxerer Regulierung (Bassanini und Duval, 2006, S. 35-39).

4.2.2 Arbeitsmarktreformen

Können strukturelle Reformen auf dem Arbeitsmarkt zu einer Senkung der Arbeitslosig-

keit beitragen? Um diese Frage zu beantworten, werden in diesem Abschnitt empirische

Befunde aus mehreren Studien zur Wirksamkeit von vier Reforminstrumenten (Kündi-

gungsschutz, Arbeitslosengeld, Besteuerung von Arbeit und aktive Arbeitsmarktpolitik)

erörtert. Auÿerdem wird zusätzlich noch der Ein�uss zweier bedeutender institutionel-

ler Arbeitsmarktfaktoren beleuchtet, welche durch die Politik stark beein�usst werden

können: die Verhandlungsmacht von Gewerkschften sowie die Ebene der Tarifverhand-

lungen.

In 2 werden die Ergebnisse einiger der aktuellsten ökonometrischen Studien zu den lang-

fristigen E�ekten der einzelnen Reformmaÿnahmen auf Beschäftigung zusammengefasst.8

7Zu diesen Ergebnissen kommen die Studien, indem jeweils Teilindikatoren für Gütermarktregulie-rung in der Regressionsanalyse verwendet werden.

8Dabei gilt es zu beachten, dass einige Studien die Beschäftigungsquote, andere wiederum die Ar-beitslosenrate als abhängige Variable verwenden. Um Vergleichbarkeit zwischen den Studien herzustellen

21

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Tabelle2:

Der

langfristige

Ein�u

ssstrukturellerArbeitsmarktreform

enun

dInstitutionenaufBeschäftigung

VariableundStudie

DatengrundlageundZeitraum

Geschätzter

Reforme�ekt

LockerungKündigungsschutz

IMF(2003)

20OECD-Länder,1960-1998;IndikatorenvonLabourMarketInstitutions

Database

positiv

NicolettiundScarpetta

(2005)

20OECDLänder,1980-2002;OECD-Indikatoren

kein

E�ekt

Nickellet

al.(2005)

20OECD-Länder,1961-1995;Eigener

Indikator

positiv

Bassanini

undDuval(2006)

20OECD-Länder,1982-2003;OECD-Indikatoren

teilw

eise

positiv

BergerundDanninger

(2006)

27OECD-Länder,1990-2004;OECD-Indikatoren

positiv

MinderungArbeitslosengeld

IMF(2003)

20OECD-Länder,1960-1998;Daten

vonLabourMarketInstitutions

Database

positiv

Nickellet

al.(2005

20OECD-Länder,1961-1995;OECD-Daten

positiv

NicolettiundScarpetta

(2005)

20OECDLänder,1980-2002;OECD-Indikator

positiv

Bassanini

undDuval(2006)

20OECDLänder,1982-2003;OECD-Indikator

positiv

OECD(2012b)

20OECD-Länder,1982-2007;OECD-Indikator

positiv

SenkungArbeitssteuern

IMF(2003)

20OECD-Länder,1960-1998;Daten

vonLabourMarketInstitutions

Database

positiv

NicolettiundScarpetta

(2005)

20OECDLänder,1980-2002;OECD-Daten

positiv

Bassanini

undDuval(2006)

20OECDLänder,1982-2003;OECDSteuerdaten

positiv

OECD(2012b)

20OECD-Länder,1982-2007;OECD-Daten

positiv

Verstärkte

AktiveAM-Politik

Elmeskovet

al.(1998)

19OECD-Länder,1983-1995;OECD-Daten

positiv

Boone

undvanOurs(2004)

20OECD-Länder,1985-1999;OECD-Daten

teilw

eise

positiv

Bassanini

undDuval(2006)

20OECDLänder,1982-2003;OECDDaten

teilw

eise

positiv

ReduzierungGewerkschaftsm

acht

IMF(2003)

20OECD-Länder,1960-1998;Daten

vonLabourMarketInstitutions

Database

positiv

NicolettiundScarpetta

(2005)

20OECDLänder,1980-2002;OECD-Daten

positiv

Nickellet

al.(2005)

20OECD-Länder,1961-1995;EigeneDaten

kein

E�ekt

Bassanini

undDuval(2006)

20OECDLänder,1982-2003;OECDDaten

nichteindeutig

OECD(2012b)

20OECD-Länder,1982-2007;OECDDaten

positiv

DezentralereTarifverhandlungen

IMF(2003)

20OECD-Länder,1960-1998;IndexvonLabourMarketInstitutions

Database

nichteindeutig

Bassanini

undDuval(2006)

20OECDLänder,1982-2003;OECD-Indikator

negativ

Nickellet

al.(2005)

20OECD-Länder,1961-1995;Eigener

Indikator

negativ

NicolettiundScarpetta

(2005)

20OECDLänder,1980-2002;Eigener

Indikator

negativ

OECD(2012b)

20OECD-Länder,1982-2007;OECD-Indikator

negativ

Anmerkungen:Das

Ausmaÿ

derGew

erkschaftsmacht

wirdentweder

durchdieTarifbindungsrate

(OECD2012b)

oder

dieZahlderGew

erkschaftsmitglieder

(IMF,2003;NicolettiundScarpetta,2005;Bassanini

undDuval,2006;Nickellet

al.,2005)in

einem

Landabgebildet.

22

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Obwohl sich die Mehrzahl der in der Tabelle 2 aufgelisteten Studien auf Indikatoren

oder Daten der OECD stützt, sind ebenso wie im vorigen Abschnitt auch einige Studien

mit alternativen Datenquellen berücksichtigt worden, um eine ausgewogene Darstellung

der empirischen Befunde zu präsentieren. Ein erster Blick auf die verschiedenen Ergeb-

nisse o�enbart im Gegensatz zu Gütermarktreformen ein deutlich heterogeneres Bild

in Bezug auf die langfristigen Beschäftigunge�ekte von Strukturreformen. Die zentralen

Ergebnisse der Studien zu den einzelen Politikvariablen werden im Folgenden näher be-

leuchtet.

Lockerung des Kündigungsschutzes:

Die Ergebnisse hinsichtlich des Ein�usses von Kündigungsschutz auf Beschäftigung fallen

sehr unterschiedlich aus. Von den fünf betrachteten Studien �nden drei, IMF (2003), Ber-

ger und Danninger (2006) sowie Nickell et al. (2005), einen signi�kant negativen Zusam-

menhang zwischen Beschäftigung und Rigidität des allgemeinen Kündigungsschutzes,

weshalb auf einen positiven Reforme�ekt ausgehend von einer Lockerung des Kündi-

gungsschutzes geschlossen wird. Mittels einer Zerlegung des aggregierten Indikators in

seine drei Teilbereiche stellen Berger und Danninger (2006, S. 9) darüber hinaus fest,

dass der gröÿte negative E�ekt auf Beschäftigung vom Kündigungsschutz für Vollzeitbe-

schäftigte sowie Massenentlassungen ausgeht, wohingegen rechtliche Bestimmungen bei

Teilzeitbeschäftigung weniger bedeutsam sind. Reformen in diesen zwei Teilbereichen

wären folglich mit den gröÿten Beschäftigungsgewinnen verbunden. Ein weiterer grup-

penspezi�scher Befund zu den Auswirkungen des Kündigungsschutzes wird von Bassani-

ni und Duval (2006, S. 50) präsentiert. Zwar liefert ihre Untersuchung kein signi�kantes

Ergebnis für den übergreifenden Kündigungsschutz, eine Di�erenzierung nach Arbeit-

nehmergruppen deutet jedoch an, dass sich strenger Kündigungsschutz negativ auf den

Eintritt von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt auswirkt, wohingegen ältere Arbeitneh-

mer davon zu pro�tieren scheinen. Eine Reduzierung des Kündigungsschutzes für junge

Arbeitnehmer könnte vor diesem empirischen Hintergrund die Jobchancen dieser Gruppe

erhöhen.

Minderung des Arbeitslosengeldes:

Die Ergebnisse bezüglich dieser Politikvariable fallen eindeutig aus: Alle herangezoge-

nen Studien �nden einen signi�kant negativen Zusammenhang zwischen Beschäftigung

und Arbeitslosengeld. Somit können Reformen, die auf eine Verminderung von Höhe

oder Dauer der Ansprüche auf Arbeistlosengeld abzielen, einen positiven Beitrag für Be-

wird daher bei Letzteren die Annahme getro�en, dass ein signi�kant negativer Zusammenhang zwischenReformvariable und Arbeitslosigkeit einen positiven Zusammenhang mit Beschäftigung impliziert.

23

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schäftigung liefern. Dabei wirken sich sowohl Höhe und Dauer der Bezüge negativ auf

Beschäftigung aus (vgl. Nickell et al., 2005, S. 18). Ebenso scheinen alle Arbeitnehmer-

gruppen, unabhänigig vom Alter, gleichermaÿen betro�en zu sein (vgl. Bassanini und

Duval, 2006, S. 13 und S. 52). IMF (2003, S. 134 f.) argumentiert ferner, dass der negati-

ve Beschäftigungse�ekt vorwiegend in einer Verlängerung der Arbeitslosendauer besteht,

wodurch sich der Anteil an Langzeitarbeitslosen erhöht.

Senkung von Steuern auf Arbeit:

Ähnlich einheitlich sind die Resultate hinsichtlich der Rolle von Steuern auf Arbeit. Die

jeweiligen Regressionsanalysen bestätigen die theoretische Annahme, wonach ein hoher

Steuerkeil tendenziell schädlich für die Scha�ung von Arbeitsplätzen ist. Eine Verringe-

rung der steuerlichen Belastung für Unternehmen und Arbeitnehmer - etwa durch eine

Senkung der Einkommensteuer oder der Sozialversicherungsbeiträge - wäre daher mit

einem positiven Beschäftigungse�ekt verbunden. Der Ein�uss von Steuern betri�t dabei

erneut alle Arbeitnehmergruppen gleichermaÿen, unabhängig von Alter oder Geschlecht.

Allerdings sprechen die empirischen Befunde für einen besonders groÿen Beschäftigungs-

e�ekt bestimmter Reformmaÿnahmen für gewisse Arbeitnehmergruppen. Dazu zählen

etwa eine Senkung der Steuerbelastung auf Teilzeitarbeit, wodurch die Berufstätigkeit

von Müttern erhöht werden könnte als auch verbesserte steuerliche Anreize für ältere

Berufstätige, damit diese nicht verfrüht in Rente gehen (vgl. Bassanini und Duval, 2006,

S. 40-53).

Verstärkte aktive Arbeitsmarktpolitik:

Die drei herangezogenen Studien liefern zwar empirische Hinweise für einen positiven Zu-

sammenhang zwischen aktiver Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigung.9 Allerdings zei-

gen sie, dass nicht alle Programme gleich wirksam sind. So liefert eine Unterteilung der

Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik nach verschiedenen Programmen in der Regres-

sionsanalyse von Bassanini und Duval (2006, S. 31 f.) lediglich für Weiterbildung von

Arbeitslosen einen statistisch signi�kanten positiven E�ekt auf Beschäftigung. Der empi-

rische Zusammenhang zwischen anderen Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik,

d.h. Beratung und Vermittlung, Maÿnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit, bezuschusste

Beschäftigung sowie Unterstützung von Arbeitsunfähigen, stellt sich hingegen als eher

schwach heraus. Diese Ergebnisse decken sich mit denen von Boone und van Ours (2004,

9Bei Elmeskov et al. (1998, S. 215 f.) wird der Koe�zient für aktive Arbeitsmarktpolitik erst deutlichsigni�kant, nachdem Schweden als Ausreiÿer aus dem Datensatz entfernt wurde. Schweden gab zwischen1983 und 1995 viermal so viel wie der OECD-Durchschnitt für aktive Arbeitsmarktpolitik aus, währenddie Arbeitslosigkeit ähnlich war wie in Ländern mit deutlich geringeren Ausgaben. Eine Unterteilungnach Programmtypen wird in dieser Studie nicht vorgenommen.

24

Page 29: Seminararbeit im Bereich Geldpolitik · Seminararbeit im Bereich Geldpolitik Prof. Dr. Peter Bo nger WS 2012/13 Strukturelle Reformen und Wirtschaftsleistung Christian Groÿ venAue

S. 12 �.), deren Analyse ebenfalls Weiterbildungsmaÿnahmen als e�ektivstes Instrument

ausweist. Beratung und Vermittlung werden ebenfalls als signi�kant erachtet, wenn auch

der quantitative E�ekt schwächer ausfällt. Die anderen Teilbereiche liefern hingegen kei-

ne statistisch signi�kanten Schätzergebnisse.

Reduzierung der Gewerkschaftsmacht:

Eindeutige Schlüsse lassen sich aus den Studien bezüglich der langfristigen E�ekte von

Reformen, die auf eine Reduzierung der Gewerkschaftsmacht abzielen, nicht ziehen. Wäh-

rend IMF (2003, S. 137), Nicoletti und Scarpetta (2005, S. 30) und OECD (2012b, S.

72 f.) einen allgemein negativen Ein�uss hoher Gewerkschaftsmacht (entweder abgebil-

det durch die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder oder durch die Tarifbindungsrate) auf

Beschäftigung feststellen, kann dieser generelle Zusammenhang von Nickell et al. (2005,

S. 18) und Bassanini und Duval (2006, S. 14) nicht nachgewiesen werden.10 Zwar �nden

Bassanini und Duval (2006, S. 41-48 ) keinen allgemein signi�kanten Ein�uss von Ge-

werkschaften auf Beschäftigung, jedoch bringt eine separate Modellspezi�kation, die den

Ein�uss auf unterschiedliche Arbeitnehmergruppen untersucht, ein sign�kantes Ergebnis

für zwei Gruppen von Beschäftigten. Dieses legt nahe, dass eine gröÿere Gewerkschafts-

macht einen positiven Beschäftigungse�ekt für Arbeitskräfte im besten Alter erzeugen,

wohingegen die Beschäftigunschancen älterer Arbeitnehmer (55-64 Jahre) negativ be-

tro�en sind. Die Autoren führen zwei Erklärungsansätze für diesen Zusammenhang ins

Feld: Erstens sehen sie die Möglichkeit, dass starke Gewerkschaften insbesonders bei we-

niger produktiven Arbeitern, wie ältere Beschäftigte, die Lohnkosten deutlich über die

Grenzproduktivität treiben, wodurch diese Arbeitnehmergruppe weniger Jobchancen auf

dem Arbeitsmarkt hat. Zweitens könnten Gewerkschaften auf Frühverrentung für ältere

Beschäftigte drängen, sodass diese dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen.

Dezentralere Tarifverhandlungen:

Mit Ausnahme von IMF (2003, S. 137 f.) machen alle Studien einen signi�kant po-

sitiven Zusammenhang zwischen zentralen bzw. koordinierten Tarifverhandlungen und

Beschäftigung aus. Die IMF-Studie �ndet hingegen empirische Hinweise für einen bu-

ckelförmigen Zusammenhang zwischen Zentralisierungsgrad der Tarifverhandlungen und

Beschäftigung. Diese besagt, dass sowohl Systeme mit sehr hohem als auch mit sehr

niedrigem Zentralisierungsgrad förderlich für Beschäftigung sind, wohingegen Tarifver-

handlungen auf mittlerer Ebene schädlich sind. Nicoletti und Scarpetta (2005, S. 30)

10Bei OECD (2012b, S. 72 f.) gilt es ferner zu beachten, dass die signi�kante Bedeutung der Gewerk-schaftsvariable von der Modellspezi�kation abhängt. So ist deren Ein�uss auf die abhängige Variable,die Arbeitslosenrate, in einer zweiten Spez�kation nicht mehr signi�kant. Die Autoren weisen deshalbdarauf hin, dass die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden sollten.

25

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testen ebenfalls diese These, sehen sie jedoch von ihren Ergebnissen nicht bestätigt, da

lediglich zentrale Lohnverhandlungen mit signi�kant positiven Beschäftigungse�ekten

verbunden sind. Zusammenfassend deuten diese empirischen Befunde somit darauf hin,

dass Reformvorhaben, welche die Tarifverhandlungen auf eine dezentralere Ebene führen

wollen (z.B. opt-out Klauseln in Griechenland und Portugal) einen tendenziell negativen

Beschäftigungse�ekt erzeugen.

Welche Hinweise geben die Studien hinsichtlich der Gröÿe der Beschäftigungszuwäch-

se, welche durch Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt erzielt werden können? IMF

(2003, S. 141) ziehen einige Länder mit unterschiedlichen Reformmustern heran, um

die quantitativen Auswirkungen zu illustrieren. So trugen gemäÿ ihren Schätzungen die

strukturellen Reformen in Irland, den Niederlanden und Groÿbritannien während der

1980er Jahre, die eine geringere Besteuerung von Arbeit (Niederlande) sowie eine Min-

derung der Ansprüche auf Arbeitslosengeld (Irland und Groÿbritannien) beinhalteten,

bis 1998 zu einer Verringerung der Arbeitslosenrate von jeweils etwa 2,5 Prozent bei.

In Frankreich und Italien hingegen wurden zwischen 1970 und 1998 Reformen in die

andere Richtung unternommen, d.h. die Steuern auf Arbeit stiegen an, die Gewährung

von Arbeitslosengeld wurde groÿzügiger und der Kündigungsschutz rigider. Diese Po-

litikmaÿnahmen waren den Autoren zufolge in diesem Zeitraum für einen Anstieg der

Arbeitslosigkeit um 3,5 Prozentpunkte in Frankreich und 1,8 Prozentpunkte in Italien

zuständig.

Bassanini und Duval (2006, S. 16) kalkulieren die Auswirkungen einer Absenkung des

Steuerkeils um 10 Prozent für ein durchschnittliches OECD-Land mit einem Rückgang

der Arbeitslosenrate um 2,8 Prozent verbunden. Eine Reduzierung des Arbeitslosengel-

des im selben Umfang würde die Arbeitslosenrate um 1,2 Prozent senken. Die Erhöhung

von Ausgaben für Weiterbildungsmaÿnahmen im Rahmen von aktiver Arbeitsmarktpo-

lik um 4 Prozent würde die Arbeitslosigkeit im betre�enden Land um mindestens 0,2

Prozent verringern.

Abschlieÿend soll noch ein letzter empirischer Befund diskutiert werden: Einige Ergeb-

nisse der Studien liefern ebenso wie beim vorherigen Abschnitt zu Gütermarktreformen,

empirische Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktpolitik und Wider-

standsfähigkeit einer Ökonomie gegenüber makroökonomischen Schocks. So werden ei-

nerseits in Ländern mit groÿzügigem Arbeitslosengeld die negativen Auswirkungen von

Schocks auf Beschäftigung leicht verstärkt. Begründet wird dieser Zusammenhang mit

den negativen Auswirkungen von Arbeitslosengeld auf die Anreize von Arbeitslosen,

sich auf die Jobsuche zu begeben. Andererseits federt ein hoher Grad an zentralisierten

Tarifverhandlungen die negativen Auswirkungen von Schocks auf Arbeitslosigkeit in ei-

ner Volkswirtschaft ab. Ein strenger Kündigungsschutz entwickelt ebenfalls eine leicht

26

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dämpfende Wirkung in Bezug auf Schocks in der kurzen Frist, allerdings verlängert er die

Erholungsphase, so dass die Rückkehr zum Beschäftigungsniveau von vor dem Schock

mehr Zeit in Anspruch nimmt (vgl. Bassanini und Duval, 2006, S. 35-39; OECD, 2012b,

S. 78 f.).

4.2.3 Interaktionse�ekte

Die theoretische Diskussion hat bereits einige Argumente für Interaktionse�ekte zwi-

schen Strukturreformen geliefert. Was sagt die Empirie zu den Hypothesen der Theorie?

Hängt der E�ekt von Gütermarktreformen vom Regulierungsgrad auf dem Arbeitsmarkt

ab? Die empirischen Befunde sind nicht eindeutig. So kommen Nicoletti und Scarpetta

(2005, S. 32) und Gri�th et al. (2007, S. 155) zum Ergebnis, dass Gütermarktreformen

einen gröÿeren Beschäftigungse�ekt erzeugen, wenn gleichzeitig die Arbeitsmärkte rigide

sind. Somit versprechen Deregulierungen und Liberalisierungen in Ländern mit relativ

hohen Restriktionen und ein�ussreichen Gewerkschaften einen gröÿeren Reformerfolg.

Bassanini und Duval (2006, S. 24-31) kommen hingegen zum gegenteiligen Ergebnis:

Die Liberalisierung der Gütermärkte verspricht gröÿere Beschäftigungse�ekte wenn die

Arbeitsmärkte �exibler sind. Darüber hinaus präsentieren dieselben Autoren empirische

Evidenz für eine komplementäre Beziehung zwischen aktiver Arbeitsmarktpolitik und

Arbeitslosengeld, d.h. hohe Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik mindern die nega-

tiven Beschäftigungse�ekte einer groÿzügigen Arbeitslosenhilfe. So legt etwa ihre öko-

nometrische Analyse nahe, dass in Ländern mit besonders hohen Ausgaben für aktive

Arbeitsmarktpolitik, wie etwa Dänemark oder die Niederlande, die negativen Beschäf-

tigungse�ekte ausgehend von einer groÿzügigen Gewährung von Arbeitslosengeld ver-

nachlässigbar sind. Als mögliche Begründung für diesen Zusammenhang führen sie die

förderliche Wirkung aktiver Arbeitsmarktpolitik auf die Arbeitsplatzsuche an. Durch

Maÿnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik können folglich die negativen Anreize�ekte

in Bezug auf die Arbeitssuche und -aufnahme, welche von groÿzügigerer Gewährung von

Arbeitslosengeld ausgehen, ausgeglichen werden.

4.3 Kurzfristige E�ekte: Strukturelle Reformen als Konjunktur-motor?

Bisher konzentrierte sich die Diskussion auf die möglichen langfristigen E�ekte von Re-

formen auf die Wirtschaftsleistung. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass Strukturrefor-

men auf dem Gütermarkt tendenziell förderlich für Wachstum und Beschäftigung sind,

hauptsächlich weil sie die Produktivität und Investitionstätigkeit von Firmen erhöhen.

Hinsichtlich von Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt sind die empirischen Befunde

27

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deutlich heterogener. Die Reforme�ekte hängen stark vom jeweiligen Politikinstrument

ab. Dieser Abschnitt erweitert die Diskussion nun um eine dynamische Komponente. Er

geht der Frage nach, ob sich Strukturreformen ausschlieÿlich langfristig auszahlen oder

ob sie möglicherweise auch in der kurzen Frist einen positiven Beitrag zu Wachstum und

Beschäftigung leisten können. Eine Antwort auf diese Fragestellung ist insbesondere vor

dem Hintergrund der aktuellen Reformbemühungen in mehreren europäischen Ländern

hilfreich.

Bouis et al. (2012) sowie OECD (2012a, S. 171-177) untersuchen die dynamische Wirkung

verschiedener Strukturreformen aus den letzten 30 Jahren in 30 OECD-Ländern. Dabei

nutzen sie u.a. die bereits in den vorigen Abschnitten diskutierten OECD-Reformindikatoren

zu Arbeitslosengeld, Besteuerung von Arbeit, Kündigungsschutz, aktiver Arbeitsmarkt-

politik und Gütermarktregulierung (in sieben Netzindustrien). Ein wesentlicher Rück-

gang in einem der Indikatoren wird als groÿe Strukturreform (oder Reformschock) de-

�niert (bei den Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik ist eine Reform hingegen mit

einem Anstieg verbunden).11 Um den Zusammenhang zwischen Reformen und Wirt-

schaftsleistung in der kurzen Frist empirisch zu untersuchen, führen sie eine dynamische

Regressionsanalyse (über einen Zeitraum von 5 Jahren) durch, in der die abhängige Va-

riable (Beschäftigungsquote, Arbeitslosenrate oder jährliches BIP-Wachstum) auf eine

Reform-Dummyvariable sowie einige Kontrollvariablen regressiert wird. Dabei nimmt

der Reformdummy im Fall von Reformschocks den Wert 1 an. Nachfolgend werden die

zentralen Ergebnisse dieser beiden Studien dargelegt und mit anderen empirischen Be-

funden verglichen.

Gütermarktreformen:

In Abbildung 9 ist die Schätzung von Bouis et al. (2012, S. 29 f.) und OECD (2012a,

S. 175 f.) zu den kurz- und mittelfristigen Auswirkungen von Gütermarktreformen in

sieben Netzindustrien auf die Erwerbsquote dargestellt. Demnach sind die E�ekte direkt

nach einer Reform zwar positiv, in den ersten zwei Jahren sind sie jedoch statistisch

nicht signi�kant und fallen darüber hinaus sehr gering aus (unter 0,1 Prozent). Erst ab

dem dritten Jahr wird ein bedeutender und signi�kant positiver Wert erreicht.

Die Schätzungen in Bezug auf Investitionen und BIP-Wachstum haben sogar negative

Werte, d.h. Liberalisierungen und Privatisierungen reduzieren diese beiden Gröÿen in

der kurzen Frist. Als eine mögliche Erklärung für diesen Zusammenhang sehen die Auto-

11Eine groÿe Strukturreform ist den Autoren zufolge gegeben, wenn die Veränderung eines Indika-tors innerhalb eines Jahres mindestens 2 Standardabweichungen beträgt. Dadurch identi�zieren sie fürjedes der 30 OECD-Länder Reformschocks in Bezug auf die untersuchten Reformvariablen. So werdenetwa die Hartz-Reformen in Deutschland als Reformschock bei Dauer und Höhe der Ansprüche aufArbeitslosengeld gewertet (vgl. Bouis et al. 2012, S. 15-19).

28

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Abbildung 9: Der E�ekt struktureller Gütermarktreformen auf die Erwerbsquote

0

0,05

0,1

0,15

0,2

0,25

0,3

0,35

0,4

1 2 3 4 5

Verä

nderu

ng in%

Jahre nach Reform

**

** **

Quelle: OECD (2012a, S. 176) und Bouis et al.(2012, S. 30). Eigene Darstellung.Anmerkungen: Die ** geben ein Signi�kanzniveau von 5 % an. Grundlage für die Schätzung istder OECD-Reformindikator für sieben Netzindustrien.

ren Ausgabenkürzungen von Unternehmen im Zuge von Privatisierungen. Die schwachen

oder sogar negativen kurzfristigen Auswirkungen von Gütermarktreformen auf die Wirt-

schaftsleistung werden auch in anderen empirischen Studien bestätigt. So stellen IMF

(2004, S. 126) einen BIP-Rückgang in den ersten drei Jahren nach Gütermarktreformen

fest, erst danach scheinen sich Reformen positiv auszuwirken. Salgado (2002, S. 8) �n-

det einen schwachen oder negativen Ein�uss auf die Produktivität in den ersten zwei

Jahren nach einer Gütermarktreform. Diesen Zusammenhang sieht er als Hinweis für

Anpassungskosten und Lernprozesse, denen Unternehmen in einem deregulierten Um-

feld ausgesetzt sind. Die ökonometrische Analyse von Alesina et al. (2005, S. 816) liefert

ebenfalls keine empirischen Hinweise für eine kurzfristig förderliche Wirkung von De-

regulierungsmaÿnahmen auf Investitionen. Demgegenüber stehen jedoch die Ergebnisse

von Kerdrain et al. (2010, S. 30), wonach im ersten Jahr nach einer Gütermarktreform

ein durchschnittlicher Anstieg der gesamten Privatinvestitionen um 0,4 Prozent relativ

zum BIP erfolgt. Der E�ekt schwächt sich jedoch in den folgenden Jahren stetig ab, so

dass er in der langen Frist schlieÿlich unbedeutend wird.

Arbeitsmarktreformen:

Wie Abbildung 10, die einige Ergebnisse von OECD (2012a, S. 172 �.) und Bouis et al.

(2012, S. 21-31) zusammenfasst, verdeutlicht, hängen die kurzfristigen Beschäftigungsef-

fekte struktureller Arbeitsmarktreformen stark vom jeweiligen Politikinstrument ab. Als

besonders wirksam erweist sich demnach eine verstärkte aktive Arbeitsmarktpolitik. So

haben historische Reformen in OECD-Ländern, die erhöhte Ausgaben für diesen Bereich

29

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vorsahen, schon im unmittelbaren Folgejahr durchschnittlich die Beschäftigung um 0,4

Prozent erhöht. Drei Jahre später steigert sich der positive E�ekt auf die Scha�ung von

Arbeitsplätzen sogar auf knapp einen Prozent, bevor er dann im 4. und 5. Jahr wieder

schwächer wird.

Als zumindest mittelfristig e�ektiv erscheinen auch Reformen, die eine Senkung der An-

sprüche auf Arbeitslosengeld beinhalten. Eine Reduzierung der Ansprüche auf Arbeits-

losengeld um 8 Prozent, laut Autoren entspricht dieser Umfang etwa der Medianreform

in OECD Ländern in den vergangenen 30 Jahren - kann die Beschäftigung nach 3 Jahren

um durchschnittlich fast 3 Prozent steigern. Allerdings präsentieren die Autoren auch

empirische Hinweise, wonach die kurzfristigen E�ekte einer Reform beim Arbeitslosen-

geld nicht positiv auf alle Arbeitnehmergruppen wirken. So deuten ihre Ergebnisse darauf

hin, dass eine Kürzung der Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld ein nützliches Instru-

ment zur raschen Reduzierung von Jugendarbeitslosigkeit sein kann, gleichzeitig jedoch

verbunden mit tendenziell negativen Beschäftigungse�ekten für ältere Arbeitnehmer.12

Die Analyse liefert zudem noch ein weiteres Ergebnis hinsichtlich von Reformen beim

Arbeitslosengeld, welches vor dem Hintergrund der aktuellen Krise besonders wichtig er-

scheint. So zeigen die Resultate, dass die E�ekte einer Reduzierung des Arbeitslosengel-

des je nach allgemeiner ökonomischer Situation unterschiedlich ausfallen. Demnach kann

eine Reform in guten Zeiten (d.h. während eines Aufschwungs) signi�kante Beschäfti-

gungsgewinne in der kurzen Frist erzeugen, wohingegen dieselbe Reform in schlechten

Zeiten (d.h. während eines Abschwungs oder einer Rezession) keine signi�kanten oder

sogar negative Auswirkungen zur Folge hat. Begründet wird dieser Zusammenhang mit

der fehlenden Arbeitsnachfrage in schlechten Zeiten, so dass die Erhöhung der Arbeits-

anreize für Arbeitslose ins Leere läuft.

Die Analyse der in den vergangenen 30 Jahren in OECD-Ländern durchgeführten Refor-

men liefert keine signi�kante Evidenz für einen kurzfristigen Beschäftigungse�ekt aus-

gehend von einer Lockerung des Kündigungsschutzes für reguläre Arbeitssverhältnisse.

Wie jedoch deutlich erkennbar in Abbildung 10, tragen Flexibilisierungen beim Kün-

digungsschutz für befristete Arbeitsverhältnisse (z.B. Leiharbeit) im Durchschnitt zu

einem Rückgang der Beschäftigung bei. Der negative E�ekt ist hoch signi�kant nach 5

Jahren und beträgt mehr als -2 Prozent. Dieses Resultat führen Bouis et al. (2012, S. 24)

im Wesentlichen auf eine erhöhte Arbeitsplatz�uktuation als Konsequenz des gelockerten

Kündigungsschutzes für befristete Beschäftigungsverhältnisse zurück.

Welche Hinweise geben die Reformerfahrungen der OECD-Länder auf die Wirksamkeit

anderer Arbeitsmarktinstrumente? Obwohl die langfristigen Beschäftigungse�ekte einer

12Eine Reduzierung der Bezugsdauer um 8 Prozent, eine Reformmaÿnahme, wie sie Dänemark 2001umgesetzt hat, führte den Schätzungen zufolge durchschnittlich zu einem Rückgang der Jugendarbeits-losigkeit von mehr als 1,5 Prozent nach drei Jahren (vgl. OECD, 2012a, S. 172).

30

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Abbildung 10: Der E�ekt struktureller Arbeitsmarktreformen auf die Beschäftigungsrate

-2,5

-2

-1,5

-1

-0,5

0

0,5

1

1,5

2

2,5

1 2 3 4 5

Verä

nderu

ng

in %

Jahre nach Reform

Verstärkte aktive Arbeitsmarktpolitik

Lockerung des Kündigungsschutzes für befristete Beschäftigung

Senkung der Ansprüche auf Arbeitslosengeld

** **

**

*

*

***

**

*** ***

***

Quelle: OECD (2012a, S. 172 �.) und Bouis et al.(2012, S. 21-26). Eigene Darstellung.Anmerkungen: *, ** und *** geben ein Signi�kanzniveau von 1 %, 5 % beziehungweise 10 % an.

Senkung der Besteuerung von Arbeit, wie bereits diskutiert, empirisch gesehen eindeu-

tig positiv ausfallen, sind die kurzfristigen Erträge einer derartigen Reformmaÿnahme

lediglich für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer signi�kant positiv, nicht jedoch für

die allgemeine Beschäftigung (vgl. Bouis et al., 2012, S. 27 �.; OECD, 2012a, S. 175).

Somit kommt die Analyse von Bouis et al. (2012) und OECD (2012a) zu dem Schluss,

dass Arbeitsmarktreformen in der kurzen Frist überwiegend positive oder neutrale Wir-

kung haben, d.h. im Allgemeinen sind die Reformen nicht mit kurzfristigen Kosten ver-

bunden. Allerdings benötigen die meisten Reformen mehrere Jahre, um nennenswerte

Wirkungen zu zeigen. Im allgemeinen pessimistischer sind hingegen die Ergebnisse ei-

ner Studie vom IMF (2004, S. 127-133), welche mit Daten von 15 OECD-Ländern im

Zeitraum von 1984 bis 1994 ebenfalls eine dynamische Regressionsanalyse der kurzfristi-

gen Auswirkungen von Arbeitsmarktreformen durchführt. Die Resultate deuten generell

auf eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit in der kurzen Frist (3 Jahre nach Reform) hin.

Aufgrund der Verwendung eines aggregierten Indikators für Arbeitsmarktreformen las-

sen sich jedoch keine Hinweise auf die kurzfristigen E�ekte einzelner Reformmaÿnahmen

ableiten.

Welche Handlungsempfehlungen lassen sich aus der obigen Diskussion für die Politik in

der aktuellen Eurokrise ableiten? Zwar scheinen die jüngsten empirischen Untersuchun-

31

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gen der OECD die weit verbreitete Sorge vor hohen kurzfristigen Anpassungskosten als

Konsequenz von Reformen tendenziell zu entkräften. Gleichwohl zeigen die Ergebnis-

se aber auch, dass die meisten Reformen Zeit brauchen bis sie ihre Wirkung entfalten.

Unter den verschiedenen Reformtypen versprechen am ehesten Maÿnahmen der aktiven

Arbeitsmarktpolitik kurzfristige positive Beschäftigungse�ekte (vgl. OECD, 2012a, S.

5).

4.4 Die Hartz-Reformen: Eine Fallstudie

Zum Abschluss der empirischen Diskussion der Reformerfahrungen von OECD-Ländern

wird in diesem Abschnitt noch eine knappe Fallstudie zu den Maÿnahmen und Aus-

wirkungen der Hartz-Reformen in Deutschland präsentiert. Die Arbeitsmarktreformen

wurden im Zeitraum zwischen 2003 und 2005 in mehreren Schritten (Hartz I-IV) um-

gesetzt (vgl. Wunsch, 2005, S. 12). Sie waren der zweite Teil eines groÿen Reformpro-

gramms, welches bereits 2002 mit dem Job-AQTIV begann.13 Zu einer der wichtigsten

Maÿnahmen des gesamten Programms (Hartz und Job-AQTIV) zählte dabei u.a. die

Liberalisierung der Zeitarbeit. Dieser Reformschritt lässt sich auch in der Entwicklung

des Kündigungsschutzindikators für befristete Beschäftigung in Abbildung 11(a) able-

sen. So sank dieser zwischen 2001 und 2004 von seinem ursprünglichen Wert von 2,0

auf 1,25, während der allgemeine Kündigungsschutzindex im selben Zeitraum deutlich

weniger zurück ging, von etwa 2,3 auf 2,1.

Ein weiteres zentrales Element der Hartz-Reformen war die Umstrukturierung der

Ansprüche auf Arbeitslosengeld durch eine Zusammenlegung von Arbeitslosen- und So-

zialhilfe zum sogenannten Arbeitslosengeld II (ALG II). Diese Maÿnahme war für die

meisten Bezieher von Arbeitslosengeld de facto mit einer Kürzung der Leistungsansprü-

che verbunden. Eine Senkung des allgemeinen Leistungsniveaus re�ektiert auch der Ver-

lauf des OECD-Arbeitslosengeldindikators in Abbildung 11(b), welcher zwischen 2003

und 2005 von 32 auf einen Wert von 23 sank.

Weitere Maÿnahmen im Zuge der Hartz-Reformen zielten ferner auf eine e�zientere

Arbeitsvermittlung ab, indem z.B. eine groÿ angelegte Umstrukturierung der Bundesan-

stalt für Arbeit durchgeführt und einige der Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik

vereinfacht wurden.

Wie wirkten sich die Hartz-Reformen auf den deutschen Arbeitsmarkt aus? Ist es über-

haupt möglich eine direkte Verbindung zwischen den Reformen und dem Aufschwung am

deutschen Arbeitsmarktes herzustellen? Abbildung 12, welche die Beveridge-Kurve für

Deutschland darstellt, zeigt zwei Entwicklungen. Erstens verringerte sich die Arbeitslo-

13Die Abkürzung AQTIV steht für Aktivieren, Quali�zieren, Training, Investieren und Vermittlung.Obwohl das Job-AQTIV-Programm strenggenommen nicht zu den Hartz-Gesetzen zählte, wird es den-noch in die Diskussion dieses Abschnitts mitaufgenommen.

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Abbildung 11: Die Folgen der Hartz-Reformen

(a) Kündigungsschutzindikatoren

0

0,5

1

1,5

2

2,5

2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

Kündigungsschutz (allgemein)

Kündigungsschutz (befristete Beschäftigung)

(b) Arbeitslosengeld

0

5

10

15

20

25

30

35

2001 2003 2005 2007

Quellen:OECD Statistics. Eigene Darstellung.Anmerkungen:Der abgebildete summierte Arbeitslosengeldindikator der OECD misst die durch-schnittlichen Bruttolohnersatzquoten für mehrere Familien- und Einkommenssituationen und Be-zugsdauern. Er ist lediglich für ungerade Jahre verfügbar.

sigkeit in Deutschland (horizontale Achse) zwischen 2005 (knapp 11 Prozent) und dem

3. Quartal 2011 (knapp 6 Prozent) deutlich. Zweitens hat sich die Beveridge-Kurve nach

innen verschoben. Auf Basis dieser Beobachtung folgern Gartner und Klinger (2010, S.

733 f.) sowie OECD (2012d, S. 50), dass sich die Matching-E�zienz auf dem deutschen

Arbeitsmarkt, vor allem wegen der verbesserten Organisation der Arbeitsagentur, ent-

scheidend verbessert habe. Arbeitssuchende �nden daher jetzt schneller und einfacher

eine neue Beschäftigung. Zusätzlich sehen die Autoren dies auch als einen möglichen

Faktor an, warum der deutsche Arbeitsmarkt bisher so wenig von der Krise betro�en

war.

Ein anderer Ansatz, um die möglichen E�ekte der Reformmaÿnahmen für den deutschen

Arbeitsmarkt zu untersuchen, wird in OECD (2008, S. 81) unternommen. Auf Basis der

empirischen Ergebnisse der bereits in Abschnitt 4.2 diskutierten Studie von Bassanini

und Duval (2006), nehmen die Autoren eine quantitative Schätzung der möglichen lang-

fristigen Beschäftigungse�ekte vor, die von der mit Hartz-IV verbundenen Senkung der

Ansprüche auf Arbeitslosengeld ausgehen. Ihre Resultate zeigen, dass diese Reformmaÿ-

nahme in der Lage ist, zu einer Reduzierung der strukturellen Arbeitslosigkeit von rund

0,5 Prozent beizutragen. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass es sich dabei

lediglich um Schätzungen handelt. Der tatsächliche E�ekt ausgehend von den Hartz-

Reformen lässt sich nur schwer isolieren.

Ferner ist zusätzliche Vorsicht bei der Interpretation der obigen empirischen Befunde

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Abbildung 12: Die Beveridge-Kurve für Deutschland

2005

2006

2007

2008

2009

10Q2

10Q4

11Q1

11Q3

0,5

0,6

0,7

0,8

0,9

1

1,1

5 6 7 8 9 10 11

Off

en

e S

telle

n in

%

Arbeitslosigkeit in %

Quellen: OECD (2012d, S. 50). Eigene Darstellung.

insofern notwendig, als die aggregierte Zahl der Arbeitslosigkeit wenig über die Qualität

der neu gescha�enen Arbeitsplätze aussagt. So argumentieren etwa Carlin und Soskice

(2009, S. 70 f.), dass die zurückliegenden Reformen in Deutschland zu einer zunehmenden

Segmentierung des Arbeitsmarktes geführt haben, was einen �exiblen Arbeitsmarkt am

unteren Ende gescha�en hat, dem hauptsächlich geringquali�zierte Arbeitnehmer ange-

hören. Dies hat darüber hinaus in den vergangenen Jahren zu einer steigenden Zahl von

Arbeitnehmern in befristeten Beschäftigungsverhältnissen geführt. So zitieren sie eine

OECD-Statistik, wonach in Deutschland der Anteil an Arbeitnehmern mit befristeten

Verträgen zwischen 1995 und 2005 von 9,9% auf 14,3% gestiegen ist. Gleichzeitig habe

auch die Häu�gkeit von Niedriglohnjobs in Deutschland zugenommen, was zu negativen

Auswirkungen auf die Einkommensverteilung geführt habe.

5 Schlussfolgerungen

Die derzeitige Schuldenkrise hat zu starken Reformbemühungen in zahlreichen europäi-

schen Ländern geführt. Politische Entscheidungsträger erho�en sich davon Impulse für

Wachstum und Beschäftigung. Die empirische Evidenz zu den E�ekten von Strukturre-

formen �ndet grundsätzlich Unterstützung für diese Ho�nung. Insbesondere Gütermarkt-

reformen haben das Potential, zu einer deutlichen Verbesserung der Wirtschaftsleis-

tung beizutragen. Auch von Reformen, die auf eine Senkung der steuerlichen Belastung

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von Arbeit abzielen, können nennenswerte Beschäftigungse�ekte ausgehen. Gleichzeitig

macht die Empirie aber auch deutlich, dass nicht alle Reformtypen notwendigerwei-

se förderlich für Wachstum und Beschäftigung sind. So gibt es etwa Hinweise, wonach

sich eine Lockerung des Kündigungsschutzes für befristete Arbeitsverträge kurzfristig

sogar negativ auf Beschäftigung auswirkt. Auch Reformmaÿnahmen, die auf eine De-

zentralisierung von Tarifverhandlungen hinwirken, wie z.B. die Einführung sogenannter

Opt-Out-Klauseln in Griechenland und Portugal, ist der Empirie zufolge schädlich für

Beschäftigung. Dies wäre ein Grund, die aktuelle Reformstrategie zu überprüfen.

Eine weitere Erkenntnis, die sich aus der historischen Erfahrung ziehen lässt, ist, dass

Strukturreformen allgemein einige Jahre benötigen, um ihre positive Wirkung zu entfal-

ten. Kurzfristige Konjunkture�ekte sind daher nicht von ihnen zu erwarten. Letztendlich

wird die Zukunft über den Erfolg der Reformsschritte entscheiden.

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