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SENECA gegen SOL

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Nr. 610

SENECA gegen SOL von Horst Hoffmann

Hidden-X ist nicht mehr! Und somit haben Atlan und die fast hunderttausend Bewohner der SOL die bislang gefährlichste Situation auf dem an Gefahren reichen Weg des Gene-rationenschiffs fast unbeschadet überstanden. Doch was ist mit dem weiteren Weg der SOL? Die Verwirklichung von Atlans Ziel, das schon viele Strapazen und Opfer gekostet hat – das Ziel nämlich, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen –, scheint nun außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bemühen, sich die verlorenen Koordinaten wieder zu besor-gen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Randgebiete der Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in neue, erbitterte Kämpfe verwickelt wird, die, wie man inzwi-schen weiß, auf das unheilvolle Wirken der sogenannten Mental-Relais zurückzuführen sind. Nach Ausschaltung solcher Relais ist denn auch Ruhe im Umfeld der SOL eingetreten. An Bord selbst aber spitzt sich die Lage zu. Das Manifest C beginnt zu agieren, und es ent-brennt der Konflikt SENECA GEGEN SOL ...

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Die Hauptpersonen des Romans: SENECA – Die Biopositronik spielt ver-rückt. Erfrin – Das Manifest C an Bord der SOL. Atlan, Bjo Breiskoll und Breckcrown Hayes – Drei Männer in einem unwirkli-chen Kampf. Cpt’Carch – Der Extra verläßt die SOL. Barleona und Tyari – Zwei Rivalinnen um Atlans Gunst.

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1. Atlans neue Schiffe

Vorlan Brick stieß Atlan mit dem Ellbogen

an, als sie nebeneinander hinter dem High Sideryt hergingen, der mit keinem Wort er-wähnte, wohin der ungewöhnliche Ausflug führte.

»Hast du eine Ahnung, Atlan?« flüsterte der Pilot. »Breck benimmt sich jetzt schon seit zwei Tagen so seltsam. Er spaziert in der Zentrale herum und kriegt glänzende Augen, wenn er Uster oder mich ansieht.«

»Vielleicht ist das ansteckend«, kam es von Uster, der den Abschluß der kleinen Gruppe bildete.

Vorlan drehte sich halb zu ihm um und kniff die Brauen zusammen.

»Was steckt wen an, Kleiner?« »Das mit den glänzenden Augen. Atlan hat

sie, wenn Barleona oder Tyari ihm ihre Auf-wartung machen, und Breck bekommt sie eben, wenn ihm unser Anblick vergönnt ist.«

»Uster Brick! Ich möchte das weder gehört haben noch eine beabsichtigte oder unbeab-sichtigte Anspielung aus deinem Geschwätz entnehmen!«

»Hast du eine Phantasie, Langer!« konterte Uster.

Vorlan winkte nur ab. Atlan verstand die Anspielung auf ihn sehr wohl. Die Gemüter hatten sich immer noch nicht beruhigt. Barle-ona und Tyari, die beide auf geheimnisvolle Weise aufgetaucht und an Bord der SOL ge-kommen waren, waren den meisten Mitglie-dern des Teams und von Hayes’ Stab nach wie vor ein Dorn im Auge. Hayes machte keinen Hehl daraus, daß er sie für eine Gefahr hielt, die sich in ihrer wahren Natur erst noch offenbaren würde. Außerdem gefiel ihm nicht, wie sehr Atlan sich von den Frauen einnehmen ließ.

Der Arkonide war nicht bereit, mit ihm darüber zu diskutieren. Er ignorierte die War-nungen seines Extrasinns ebenso wie die Ap-pelle der Freunde, endlich wieder zu sich zu finden.

Hayes ließ sich nicht anmerken, ob er das Getuschel hinter sich hörte. Er schritt weiter voran, durch die Korridore des SOL-Mittelteils und in Richtung Peripherie.

»Das ist der Weg zum Haupthangar«,

staunte Uster, als die letzte Gabelung hinter ihnen lag. »Will er mit uns einen Einsatz flie-gen?«

»Hinter dem Rücken der Stabsspezialis-ten?« Uster lachte. Laut nun fügte er hinzu: »Die wissen ja selbst nicht, woran sie mit ihm sind. Außerdem würde er dann keine zwei Piloten mitnehmen, sondern nur einen. Und diese eine ist Cara. Weißt du, was sie mir vorhin sagte?«

»Oha! Du hast Geheimnisse mit ihr, Klei-ner?«

»Du kennst meine Wirkung auf Frauen, Vorlan. Cara jedenfalls sagte, daß unser hochverehrter High Sideryt ihr seit einer Stunde noch komischer vorkommt. Er grinst vor sich hin wie einer, der seinen Kindern ein ganz besonderes Geschenk gekauft hat und sich nun vorzustellen versucht, wie sie sich darüber freuen werden.«

Hayes ließ sich nicht provozieren. Atlan, bisher nur wenig interessiert, wurde nun doch neugierig. Wenn Hayes in einer Situation wie dieser Zeit für Spaziergänge oder irgendwel-che Späße hatte, dann mußte schon einiges dahinterstecken.

Die Situation der SOL und ihrer Besatzung sah so aus, daß man zwei Tage nach der Ver-nichtung des Manifests D nach wie vor in der kampflosen Zone stand. Die Entfernung zum Rand der Dunkelzone von Xiinx-Markant betrug nun 52 Lichttage. Die SOL war also ein Stück näher an die Staubmassen herange-rückt.

Um diese Zone herum aber tobten die Raumschlachten und der Kampf jeder gegen jeden auf den Planeten dieser Galaxis weiter. Man wußte jetzt, daß die Völker von Xiinx-Markant über eine Strahlung zum Kriegführen gezwungen wurden, die von Millionen Men-tal-Relais ausging. Die Urquelle der Manipu-lationsstrahlung lag aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Innern der geheimnisvollen Dunkelzone.

Um wirksam gegen das Chaos vorzugehen, schien man vor die Alternative gestellt, ent-weder alle Mental-Relais auszuschalten oder die Urquelle. Beides erschien zum jetzigen Zeitpunkt unerreichbar.

Dazu kam die bange Frage nach dem Mani-fest C. Nach Manifest A (Janvrin) und Mani-

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fest B (Pervrin) war nicht etwa ein Manifest C auf die SOL angesetzt worden, sondern Mani-fest D, die energetische Kugelhülle Tremtrin. War also C ganz einfach übersprungen wor-den? Existierte es überhaupt nicht oder wirkte es bereits im verborgenen gegen die Men-schen?

Viele wollten wissen, daß Barleona oder Tyari mit ihm identisch seien – oder beide zusammen.

Atlan wollte nichts davon wissen. Sicher umgab die beiden Frauen ein Geheimnis. Er würde es zu lösen versuchen, doch auf seine Weise.

»Der Hangar«, sagte Vorlan. »Jetzt muß Breck Farbe bekennen.«

Hayes blieb vor dem Schott stehen und wartete, bis es sich vor ihm öffnete. Noch immer sagte er kein Wort, Atlan, nun neben ihm, sah nur sein Grinsen.

Hayes ging weiter, zwischen den Lande-stützen der zehn Kreuzer des Mittelteils, die hier auf künftige Einsätze warteten.

»Will er uns etwa vor Augen führen, über welche Streitmacht wir verfügen?« wunderte sich Vorlan.

Hayes reagierte nicht. »Unsinn, Bruder«, stichelte Uster weiter.

»Dann hätte er uns in der SZ-1 oder der SZ-2 viel eher beeindrucken können. Jede der bei-den Zellen verfügt über fünfzig Kreuzer, fünfzig Korvetten, hundert Space-Jets und dreihundert Lightning-Jets.«

»Was du nicht sagst.« Atlan wurde das Getue zu dumm. Er legte

Hayes eine Hand auf die Schulter und drehte ihn sanft zu sich um.

»Also was soll das Ganze, Breck?« Hayes grinste immer noch. Dann aber deu-

tete er nur auf einen Kreuzer und eine Korvet-te. Sie standen etwas abseits, nahe dem Au-ßenschott. Auf ihre Hüllen war in großen Buchstaben und Zahlen MT-1 und MT-K-20 gemalt.

»Mein Geschenk an meine Kinder«, sagte der High Sideryt mit einem gespielt strengen Blick auf Uster. »Ich dachte mir, es wird Zeit, daß das Atlan-Team als besondere Truppe auch zwei besondere Schiffe bekommt. Das sind sie.«

* Äußerlich unterschieden die Schiffe sich

kaum von den anderen im Hangar. Hayes hielt sich lächelnd im Hintergrund, als Atlan und vor allem die Bricks die Zentrale der MT-1 in Augenschein nahmen. Auch hier waren keine besonderen Neuerungen feststellbar.

»Ich verstehe noch immer nicht, Breck«, sagte Atlan. »Es ist ja sicher nett gemeint von dir – aber was ist so besonders an den Neu-bauten?«

»Es sind Spezialschiffe«, erklärte Hayes. »Die zurückliegenden Abenteuer haben deut-licher denn je gezeigt, daß du und dein Team zunehmend selbständiger werdet. Das ist kein Vorwurf! Es ergibt sich vielmehr einfach aus unserer ganzen Lage. Und dieser Selbständig-keit wurde durch eine vollkommene Unab-hängigkeit von SENECA Rechnung getra-gen.« Hayes deutete auf die Konsolen. »So-wohl die MT-1 als auch die MT-K-20 besit-zen eine eigene Hauptpositronik, die völlig unbeeinflußt und ohne Hilfe von SENECA arbeiten kann.«

»Inklusive Plasmazusatz?« fragte Atlan, nun doch beeindruckt.

»Inklusive Plasmazusatz«, bestätigte Hay-es. »Und da die Spezialschiffe des Atlan-Teams auch je einen Piloten brauchen, habe ich mich dazu entschlossen, dir diese beiden Nörgler künftig anzuvertrauen. Chefpilotin der SOL ist von heute an Cara Doz.«

Vorlan pfiff durch die Zähne. Uster bekam schmale Augen.

»Ausbooten nennt man das!« »Ach?« machte Vorlan. »Du bist eifersüch-

tig auf Cara, mit der du dich angeblich doch so gut verstehst?«

»Eifersüchtig bist du!« »Schlagt euch später um Cara«, lachte

Hayes. »Eure Versetzung zum Atlan-Team erfolgt natürlich nur im Fall eurer Zustim-mung – und der von Atlan, versteht sich.«

»Ich bin einverstanden«, sagte der Arkoni-de.

»Natürlich nehmen wir an«, sagte Vorlan mit einem grimmigen Seitenblick auf Uster. »Der Kleine kann sich in die Korvette setzen. Die ist schon wegen seiner fehlenden 22 Zen-timeter besser für ihn geeignet.«

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Der Streit brach von neuem los, diesmal um

die Qualitäten, die sich nicht in Körpergrößen ausdrücken ließen. Atlan und Hayes zogen sich zum Zentrallift zurück.

»Ich habe es dir überlassen, deine Schiffe zu taufen«, sagte der High Sideryt. »Sind dir schon Namen eingefallen?«

»Ich werde sie mir gut überlegen«, ver-sprach Atlan. »Sehen wir uns noch die Kor-vette an, und dann möchte ich zu meinen Leu-ten zurück. Und – danke, Breck.«

»Wofür?« Hayes zögerte. »Es gibt da viel-leicht noch eine kleine Schwierigkeit.«

»Und die wäre?« »SENECA.« Etwas in Atlan schlug Alarm. SENECAS

mehr als merkwürdige Reaktionen der letzten Tage waren nicht vergessen. Unter anderem hatte sich die Hyperinpotronik auf die Frage nach einer möglichen Erklärung über Barleo-nas und Tyaris Auftauchen etwa so geäußert, daß man sie doch mit derart Banalem gefäl-ligst in Ruhe lassen solle.

»Was ist mit ihm?« fragte Atlan. »Die Schiffe wurden unter SENECAS An-

leitung gebaut. Er hätte es nicht geschehen lassen, wenn er da schon etwas dagegen ge-habt hätte.«

»Und jetzt?« Jeglicher Übermut verschwand aus Hayes’

zerfressenem Gesicht. Er sagte zerknirscht: »Jetzt weigert sich SENECA plötzlich, ihre Existenz auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Sie sind nicht in die Inventarspeicher aufge-nommen worden. Für SENECA gibt es sie überhaupt nicht. Und auf alle Fragen nach dem Warum gibt er nur widersinnige und dumme Antworten. Vielleicht ist es besser, du sprichst selbst mit ihm darüber.«

Irgend etwas beginnt! dachte der Arkonide. Irgend etwas nimmt hier und jetzt seinen An-fang.

Es war mehr als eine Ahnung. Atlan konnte fast spüren, wie sich das Unheil über der SOL zusammenbraute.

Oder in ihr? »Ich werde mit SENECA reden«, sagte At-

lan.

*

Auf dem Weg in die Hauptzentrale wurden sich die Bricks endlich darüber einig, wer welchen Raumer bekommen sollte. Sie kno-belten es aus. Uster »gewann« die MT-1.

Atlan seinerseits glaubte, nun die passen-den Namen für die neuen Schiffe gefunden zu haben.

In der Zentrale angekommen, waren diese Eigennamen das erste, das er SENECA mit-teilte. Die Stabsspezialisten und andere Sola-ner, die sich gerade hier aufhielten, warfen ihm die mittlerweile gewohnten Blicke zu. Einige schienen zu erwarten, daß er Barleona und Tyari wie an einer unsichtbaren Schnur hinter sich herzog. Er achtete weder auf sie noch auf die Szene, die sich beim Hauptpilo-tenstand abspielte. Uster und Vorlan versuch-ten sich darin zu übertreffen, der neuen Chef-pilotin überschwenglich zu gratulieren.

»Du hörst mich, SENECA?« »Ich verstehe die Frage nicht«, lautete die

Antwort. »Du weißt, daß ich dich höre, wo immer du zu mir sprichst.«

Atlan nickte grimmig. »Fein. Dann wirst du nun die Eigennamen

der beiden neuen Spezialschiffe registrieren und auch speichern. Sie lauten CHYBRAIN für die MT-1 und FARTULOON für die MT-K-20.«

Es dauerte ungewöhnlich lange, bis die Po-sitronik antwortete:

»Negativ. Es kann keine Registrierung von etwas erfolgen, das nicht existiert.«

Atlan wechselte einen schnellen Blick mit Hayes.

»SENECA, die beiden Schiffe stehen im Haupthangar des SOL-Mittelteils.«

»Davon wüßte ich aber!« »Es ist sinnlos«, seufzte Hayes. »SENECA«, machte der Arkonide einen

neuen Versuch. »Gib uns ein Bild vom Haupthangar auf die Schirme.«

Der Befehl wurde augenblicklich befolgt. Auf fünf Monitoren verschwand das Abbild des Sternengefunkels an der Grenze der Dun-kelzone. Dafür waren die Beiboote aus dem Hangar zu sehen.

»Und jetzt eine Ausschnittsvergrößerung von E 8!«

Sogleich füllte der so bezeichnete Aus-schnitt des Gesamtbilds die Schirme aus.

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»Was sehen wir, SENECA? Was zeigst du

uns da?« »Nichts.« Atlan war nahe daran, die Kontrolle über

sich zu verlieren. Er ballte die Fäuste und schrie: »Die MT-1 und die MT-K-20! Wir sehen sie alle! Also haben wir alle Halluzina-tionen?«

»Die MT-1 und die MT-K-20 nichtssa-gend«, erklärte SENECA. »Ich bitte um Zu-ordnung realer Objekte, falls ...!«

»SENECA!« Die Positronik schwieg. Dafür verschwan-

den die beiden Schiffsneubauten von den Schirmen. Da, wo sie stehen sollten, war nichts mehr.

»Der ... spielt mit uns!« entfuhr es Hayes. Er glaubte selbst nicht daran. Atlan ließ

Joscan Hellmut in die Zentrale rufen und war-tete, bis der Kybernetiker neben ihm stand. Kurz klärte er ihn über SENECAS neuerli-ches Fehlverhalten auf.

»Du kennst ihn doch wie kein anderer, Jos. Was könnte dahinterstecken?«

Hellmut verzog keine Miene. »Die beiden Schiffe besitzen eigene Po-

sitroniken, auf die SENECA also keinen di-rekten Einfluß ausüben kann?« fragte er und wartete erst gar nicht auf eine Antwort. »Dar-in könnte das Problem liegen. Eifersucht und Trotz.«

»Das ist lächerlich!« kam es von Hayes. Atlan winkte schnell ab. »Du hast es gehört, SENECA. Ist dies der

Grund?« Hayes begriff. Er zog anerkennend eine

Braue in die Höhe. Wenn SENECA nun zu-gab, sich durch die autarken Positroniken be-einflussen zu lassen, war er quasi überführt.

»Die Frage entbehrt jeder Grundlage«, er-füllte die Kunststimme die Zentrale. »Wenn es keine MT-1 und MT-K-20 gibt, kann es auch keine unabhängigen Bordpositroniken geben.«

»Aber wenn es sie gäbe!« »Es würde mir in diesem Fall nichts aus-

machen. Aber die Schiffe existierten nicht, oder siehst du sie noch auf den Bildschirmen? Ich habe einfach keine Lust mehr, mich mit solchen dummen Behauptungen auseinander-zusetzen, Atlan. Laßt mich damit zufrieden!«

»Die ... die Schiffe erscheinen wieder!« rief Curie van Herling.

Atlan setzte sich hin und sah Hellmut ab-wartend an.

»Ich will nicht der erste sein, der es aus-spricht«, sagte der Kybernetiker. Er war krei-debleich geworden.

2. Geburtswehen

Cpt’Carch hätte die Antwort geben können,

doch er besaß keine Möglichkeit mehr, sich irgend jemandem in der SOL mitzuteilen – nicht einmal Sternfeuer oder Federspiel; nicht einmal Bjo.

Es hatte begonnen, diesmal wirklich und endgültig. Carch befand sich auf einer Straße ins Nirgendwo. Es gab keine Umkehr mehr.

Der ein Meter lange, bananenförmige Kör-per lag seit Wochen reglos auf dem Boden einer Kabine in SOL-City. Die beiden Insek-tenbeine waren mehrfach geknickt und mit den Enden fest an den Leib gezogen. Die bei-den zwanzig Zentimeter langen Fühler hingen schlaff herab. Der Glanz der Knopfaugen vorn auf dem dreieckigen Kopf war längst schon erloschen.

Dieser Körper war eine Puppe. Die Ober-fläche wirkte wie ausgetrocknet. Dort, wo früher das gelbe Sekret ausgetreten war, hat-ten sich Furchen und kleine Geschwüre gebil-det.

Doch in ihm keimte das Neue heran. Er war die Hülle, die Fruchthülse.

In ihm pulsierte das Leben, das vor der Verwandlung stand. Carch empfand keine Schmerzen, keinen Hunger und keinen Durst. Seine Sinne waren weit geöffnet. Auch ohne seine Augen benutzen zu können, nahm der Erstarrte wahr, daß Atlan und viele andere der Freunde in regelmäßigen Abständen kamen, um nach ihm zu sehen. Sie sorgten sich, aber begriffen auch, daß sie nun nichts für ihn tun durften. Jeder Einfluß von außen konnte nega-tive Auswirkungen auf Carch haben.

Die meiste Zeit über wachte Federspiel bei ihm und wartete darauf, daß er ihm ein Zei-chen gäbe. Die Telepathen konnten ihn nicht mehr mit ihren paranormalen Sinnen errei-chen.

Carch war nur zu einem Teil noch in der

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SOL. Der andere Teil eilte voraus. Immer mehr von seiner Lebenskraft floß auf ihn ü-ber. Doch wohin, das wußte der Cpt’Cpt nicht.

Er hätte so gerne geholfen, denn er wußte wahrscheinlich als einziger, in welcher schrecklichen Gefahr sich das Schiff und alle seine Bewohner bereits wieder befanden.

Carchs Entwicklung war zu einem guten Teil von ihm selbst gesteuert. Er hatte noch auf dem Planeten Skuzavar den Anstoß gege-ben, nachdem ihm der Skuzavarer Eilender kurz vor dem Tod sein gesamtes Wissen über die Bemühungen seiner eigenen Art übermit-telte, die Evolution gezielt zu beeinflussen. Seither trieb es ihn fort. Es war wie ein Sog, doch nicht stark genug, ihn in seiner Gesamt-heit zu erfassen.

Carch durchlebte furchtbare Augenblicke, in denen er glaubte, gegen die Natur gehan-delt zu haben. Denn mit seinen geistigen Be-mühungen, vor der Geburt mit seinen erwa-chenden neuen Sinnen Licht in das Dunkel seiner Herkunft zu bringen, erreichte er Schritt für Schritt wenigstens winzige Teiler-folge. So wußte er nun, daß es mehrere Sta-dien der Metamorphose für einen Cpt’Cpt gab, von der jedes eine bestimmte Reifezeit beanspruchte. Erst wenn ein Wesen wie er lange genug in einem bestimmten Zustand gelebt hatte, erfolgte der nächste Schritt ganz von selbst.

Was er als Geburt ansah, war nichts ande-res als der Übergang in das nächste Stadium. Carch wußte nicht, ob es bereits das letzte sein würde. Alles, was er sich bislang dazu überlegt hatte, erschien ihm nun zweifelhaft.

Und es konnte geschehen, daß er den Au-genblick, nach dem sich alles in ihm so sehr sehnte, nun gar nicht mehr erlebte.

Wieder kam Panik auf. Wieder versuchte Carch nach jedem Teil von ihm zu tasten, der bereits ausgeströmt war. Irgendwo ballte sich diese Lebensessenz zusammen. Dies war nicht unbedingt räumlich zu verstehen. Es konnte in einem anderen Kontinuum sein, zu dem eine unsichtbare Brücke bestand.

Was bewirkte die endgültige Trennung von seinem bisherigen Körper? Es mußte einen solchen Katalysator geben. Carch spürte es und glaubte sogar zu wissen, daß das, was

immer den entscheidenden Anstoß geben würde, nicht sehr fern war. Doch auch dies war ein relativer Begriff.

Die Voraussetzung für seine Geburt war das Wissen um seine Herkunft. Gut, er hatte erkannt, daß es Reifezeiten gab. Aber für wie viele Metamorphosestadien?

Wie viele verschiedene Leben lebte ein Cpt’Cpt, bevor er den Endzustand erreichte, den Carch über dem Planeten Dynur für ganz kurze Zeit hatte erleben dürfen.

Inzwischen glaubte er auch nicht mehr so recht daran, daß er wirklich bei den vergeis-tigten Cpt’Cpts gewesen war. Eher schien ihm eine Vision einleuchtend.

Von ihnen geschickt? Hatten sie ihn dann auch in das verwandelt, was er über Dynur gewesen war? Und war dies wirklich die nächste Stufe gewesen?

Carchs Gedanken drehten sich wieder im Kreis. Er suchte nach Informationen, doch er fand nichts außer dem, was von der SOL auf ihn einströmte.

Wenn ich die Menschen nur warnen könn-te! Sie sehen die Gefahr überall dort, wo sie nicht ist!

Ich muß alles ordnen! dachte er verzweifelt. Ich weiß nicht, wie ich überhaupt auf die

SOL kam. Vielleicht haben mich Pyrriden auf meiner Heimatwelt an Bord eines ihrer Bei-boote genommen. Aber ich kann immer we-niger daran glauben.

Ich weiß, daß mein derzeitiger Existenzzu-stand kein endgültiger ist.

Ich sehne mich nach der Geburt in die nächste Stufe meiner Entwicklung, über die ich nichts weiß. Aber bedeutet dieses Sehnen nicht auch, daß ich am Ende meiner Reifezeit in diesem absterbenden Körper angelangt bin? Daß der meditative Anstoß ganz überflüssig war und ich nicht gegen die Natur handelte?

Ich sehe meine Erfüllung in der Geburt. Doch was werde ich danach sein? Kann ich dann überhaupt noch Glück empfinden? Habe ich mich durch den langen Aufenthalt auf der SOL nicht schon viel zu weit von meinen Artgenossen entfernt?

Ich möchte die Freunde nicht verlieren! Hält das mich zurück?

Ich spüre dich bei mir, Federspiel! Wenn ich mich dir nur öffnen könnte!

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Die Gefahr für euch geht von SENECA

aus! In diesen Augenblicken beginnen Atlan und Hellmut es zu ahnen. Aber sie wissen nicht, was das Manifest C mit ihnen vorhat!

Barleona und Tyari – ich nehme ihre geisti-ge Ausstrahlung auf, seitdem sie an Bord ge-kommen sind. Sie haben nichts mit dem Ma-nifest zu tun!

Was sie gefährlich macht, ist allein ihr Inte-resse an Atlan. Jede von ihnen versucht, die andere auszuschalten, wobei Barleona die hilflosere Frau ist. Tyari aber kennt keine Skrupel. Achtet auf sie, aber sie sind nicht identisch mit dem Manifest C.

Dieses wirkt in SENECA. Es soll die SOL zerstören und die Rache des Hidden-X erfül-len. Noch experimentiert es, doch das Böse zieht sich mehr und mehr zusammen.

Es ist alles so chaotisch. Es darf nicht zur Katastrophe kommen, bevor ich den Schritt getan habe!

Vielleicht könnte ich euch helfen, wenn ich schon geboren wäre.

Vielleicht könnte ich mir dann sogar selbst helfen!

Und jetzt, Federspiel, jetzt geschieht etwas! Etwas in mir erwacht! Ich habe Angst davor! Hilf mir!

3. Die Frauen

Barleona – über ihr bisheriges Leben war

nur bekannt, daß sie von den Barleonern, ei-nem raumfahrenden Volk aus Xiinx-Markant, als »Totem« in einem Flaggschiff gehalten worden war. Sie hatte in einem hermetisch abgeschlossenen Raum gelebt und war von einer Roboteinheit mit allem versorgt worden, was sie zum Leben brauchte. Wie lange dieser Zustand gedauert hatte, was vorher gewesen war und wie Barleona die Einsamkeit über-haupt ertragen konnte, das lag hinter dunklen Schleiern verborgen. Man vermutete an Bord der SOL aber, daß sie sich nur durch besonde-re Medomaßnahmen entwickeln und am Le-ben erhalten konnte, vor allem aber bei geisti-ger Gesundheit.

Barleona war in hohem Maß intelligent, hatte sich aber zuerst sprachlich noch durch Zeichen irgendwie verständlich machen kön-nen. Dem war inzwischen durch Hypnoschu-

lungen abgeholfen. Die junge und schöne Frau sah nicht nur aus wie eine Terranerin oder Solanerin. Auch in biologischer Hinsicht war sie einwandfrei ein Mensch. Sie wirkte wie eine normale Erwachsene. Sie war schüchtern, freundlich, neugierig und bemüh-te sich eifrig, Anschluß an das normale Leben auf der SOL zu gewinnen.

Tyari – sie war als Tiefschläferin in einer strahlenden Kugel aus reiner Energie zwi-schen den Sternen von Xiinx-Markant aufge-taucht. Nach ihrem Erwachen hatte sie sofort Verbindung mit den verblüfften Solanern auf-genommen. Die Konfusion war perfekt gewe-sen, als sie als erstes danach fragte, wo sie Atlan finden könne. Als sie dem Arkoniden dann gegenüberstand, erklärte sie unverblümt, daß sie nur seinetwegen gekommen sei. Auf die Frage nach dem Woher antwortete sie schlicht und einfach, ihre Heimat sei jene Ga-laxis, die die Solaner als Bars-2-Bars kannten – die Nachbargalaxis von Xiinx-Markant.

Über ihr Erscheinen und dessen Hinter-gründe befragt, schwieg sie beharrlich. Die Telepathen konnten ihre Gedanken nicht aus-forschen, sie waren unergründlich. Doch wie Barleona war sie zweifelsfrei ein Mensch, dazu äußerlich fast ein weibliches Ebenbild von Atlan. Ansonsten jedoch hatte sie mit der Rivalin offenbar nichts gemeinsam, abgese-hen vom Ziel, Atlan für sich zu gewinnen. Tyari war selbstbewußt, sicher und zielstrebig in allem, was sie tat. Manchmal wirkte sie fast allwissend. Sie hatte keinerlei Anpassungs-schwierigkeiten gehabt und verstand die Technik der SOL auf Anhieb. Sie war ener-gisch, listig und unerbittlich, wenn es um ihre Interessen ging.

Barleona hatte etwa das Aussehen einer Fünfundzwanzigjährigen, war 1,65 Meter groß und schlank. Ihre hellbraune Haut bekam in künstlichem Licht einen bronzefarbenen Schimmer. Trotz der zierlichen Gestalt waren alle weiblichen Reize voll ausgebildet. Ihre Haare waren dunkelbraun und gepflegt, die Augen wirkten durch den stets neugierigen Blick etwas zu groß. Sie strahlten Gelassen-heit und Wärme aus.

Tyari wurde auf etwa dreißig Jahre ge-schätzt. 1,76 Meter groß, wirkte sie trotz ihrer durch hautenge Kleidung betonten Figur kräf-

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tig und durchtrainiert. Sie zeigte sogar leichte Ansätze einer starken Muskulatur. Ihr Gesicht war voll und straff, das Haar schlohweiß wie das einer Arkonidin. Es reichte gelockt und gewellt bis fast zu den Hüften hinab. Auch die Augen zeigten die albinotische Röte der Ar-koniden, wenngleich nur relativ schwach aus-geprägt. Tyari trennte sich nie von einigen Teilen der Ausrüstung, die sie mit auf die SOL gebracht hatte. Dazu gehörten ein dau-mengroßer, in einer kleinen Schleife am lin-ken Ohr getragener Translator und ein Kom-bistrahler unter der linken Achsel.

In unregelmäßigen Abständen bat sie dar-um, allein sein zu dürfen, um zu meditieren. Jedenfalls gab sie dies als Grund vor, und man gewährte ihr den Wunsch.

Dies also waren die beiden Frauen, die so kurz hintereinander an Bord der SOL ge-kommen waren und für soviel Aufsehen, Mißtrauen und Streit sorgten; die jede für sich ein noch rätselhafteres Interesse an Atlan und Atlans Zielen hatten.

Jede von ihnen hatte es fertiggebracht, ein gleichstarkes Interesse im Arkoniden selbst hervorzurufen. Atlan fühlte sich zwischen ihnen beiden hin und her gerissen. Er, der Zwölftausendjährige, schien auf einmal alle Bedenken vergessen zu haben, die es für ihn hinsichtlich der Liebe zu einer Frau geben mußte.

*

Atlan und Joscan Hellmut zogen sich in ei-

nen Kontaktraum zu SENECA zurück, nach-dem der Kybernetiker zu verstehen gegeben hatte, daß er in der Zentrale nicht den geeig-neten Ort sähe, über das Verhalten der Po-sitronik zu reden.

Warum das so war, erklärte er nun. Die beiden Männer waren allein – wenigstens glaubten sie das. SENECA betraf dies nicht, und Hellmut meinte, daß er ruhig mitanhören sollte, was zwischen ihnen gesprochen wurde.

»Gehen wir davon aus«, sagte er nun, »daß die ganz offensichtlich schon seit Tagen be-stehende Störung von außen an ihn herange-tragen oder in ihm verursacht wird, dann kön-nen wir nur noch hoffen, daß SENECA noch die Mittel und Wege kennt, sich selbst zu be-

freien und sich vor einer weiteren Einfluß-nahme zu schützen.«

Atlan schien sich nach Hellmuts Äußerung in der Zentrale etwas anderes von ihm erwar-tet zu haben. Er fragte frei heraus:

»Rede doch nicht um den heißen Brei her-um, Joscan. Du glaubst, daß das Manifest C ...«

»Nein!« Hellmut sprang auf. »Vor lauter Manifesten verlieren wir am Ende noch den Blick für das Wirkliche! Hätte das Manifest C die SOL bereits erreicht, dann würden sich ihm bei einer Einflußnahme auf SENECA ganz andere Mittel bieten. Ohne SENECA funktioniert auf der SOL überhaupt nichts – nicht gegen seinen Willen.«

»Es könnte alles an Bord lahmlegen, die Sauerstoffversorgung, den Antrieb, die Kraft-stationen – das meinst du doch?«

»Genau das!« ereiferte sich der Kyberneti-ker. »Deshalb schließe ich diese Möglichkeit ganz einfach aus! Etwas beeinflußt SENECA, das steht fest. Wir wissen nicht, was es ist. Vielleicht ein Rückfall. Die Tage, in denen von SENECA so gut wie nichts Vernünftiges zu erwarten war, sind uns allen noch zu gut in Erinnerung.«

Atlan schüttelte den Kopf. »Ich nehme dir das nicht ab, Joscan. Be-

steht denn nicht die Möglichkeit, daß C seine Fühler schon einmal ganz vorsichtig nach uns und nach SENECA ausstreckt, um die Mög-lichkeiten zu testen, die sich ihm dadurch bie-ten?«

Hellmut setzte sich wieder. Er nickte trot-zig.

»Das vielleicht, obwohl ich dabei bleibe, daß wir Xiinx-Markant vor lauter Manifesten nicht mehr sehen. Halten wir uns an die Tat-sachen. SENECA ist gestört. Wir erleben vielleicht den Anfang einer verheerenden Entwicklung. Aber kann dies nicht noch ganz andere Gründe haben?«

Atlan antwortete nicht. Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte, sich mit Hellmut zu strei-ten. Das Warten auf etwas, das sich nicht zeigte, zehrte mehr an den Nerven der Besat-zung als manche vorangegangenen Abenteu-er. Hellmut widersprach sich fast mit jedem Wort. Einerseits glaubte er an einen Einfluß von außen, dann aber wollte er diesen in der

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einzigen, denkbaren Konsequenz nicht wahr-haben.

»Geh in die Zentrale zurück, Joscan«, bat Atlan den Freund. »Breck wird dich dort brauchen. Ich versuche inzwischen, an SE-NECA heranzukommen.«

Hellmut kam der Aufforderung nach, ohne noch ein Wort zu sagen. Atlan starrte ihm nach. Der Kybernetiker wirkte wie ein Häuf-chen Elend.

»SENECA!« rief Atlan. »Ja?« »Du hast alles mitangehört. Deine Stel-

lungnahme dazu?« »Es ist mir zu dumm.« Atlan fiel es immer schwerer, sich zu be-

herrschen. »Begründung!« forderte er. »Ich verlange

eine Begründung, SENECA!« »Für Dummheiten gibt es keine Erklärung,

nur gute Ratschläge.« »Wirkt etwas Fremdes in dir, SENECA?« »Davon wüßte ich aber!« »Verdammt, verschone mich mit diesen

Uralt-Sprüchen!« »Ich werde nicht beeinflußt. Bist du nun

zufrieden?« »Aber du bist gestört!« »Davon wüßte ich aber.« Der Arkonide schäumte vor Wut. Plötzlich

war ihm alles egal. Er wollte sich nicht länger hinhalten lassen. Barleona – oder Tyari? – wartete auf ihn. Er spürte es, als streckte sich ihm eine verlangende Hand entgehen. Und SENECA ...

»Du bist vom Manifest C beeinflußt!« schrie er der Positronik entgegen. »Joscan weiß es wie ich, nur wagte er es nicht auszu-sprechen und sucht nach allen möglichen an-deren Gründen für deine ... deine Verrückthei-ten! Du arbeitest gegen uns!«

Wie vorhin schon, ließ die Antwort auf sich warten. Doch das eine Wort, das aus den Lautsprechern des Kontaktraums kam, jagte Atlan einen Schauder über den Rücken.

»Ja.« Er hatte es geahnt und konnte es nun doch

nicht glauben. Als er endlich die Fassung zu-rückerlangte, war es bereits zu spät. »Du wirst das vor Breck und den anderen wiederholen, SENECA!« Ein unnatürliches Kichern ant-

wortete ihm. »Das werde ich nicht tun, Atlan. Und auch

du wirst dein Wissen mit niemandem teilen, sondern meine Befehle befolgen.«

Atlan starrte den Bildschirm mit dem Sym-bol der Hyperinpotronik an. Für Augenblicke war er wie gelähmt.

Wenn SENECA sich nun offenbarte, mußte er bereits seine Vorkehrungen getroffen ha-ben.

Dann aber ging es um Sekunden. Atlan fühlte sich in der Falle. Er war unbe-

waffnet, sah sich wie gehetzt um und riß Wandschränke auf. In einem fand er einen einfachen Thermostrahler. Er nahm ihn heraus und versuchte, die Tür von Hand zu öffnen.

Sie war positronisch verriegelt. Er hatte nichts anderes mehr erwarten dürfen.

Der Interkom-Kontakt zur Zentrale und al-len anderen Abteilungen des Schiffes war blockiert.

»Es ist sinnlos, Atlan!« hörte er. »Gib es auf. Befolge die Befehle, die ich dir geben werde, und ich gebe dich frei.«

Atlan zerstrahlte den Bildschirm mit dem Symbol. SENECA schwieg. Der Arkonide trat zurück und zielte auf das Türschloß.

Er kam nicht zum Schuß. Ein energetisches Fesselfeld legte sich über ihn. Er war bewe-gungsunfähig.

Die Tür öffnete sich. Sechs Kampfroboter marschierten durch den Eingang und stellten sich in einem Kreis um Atlan herum auf.

*

Tyari unterdrückte den Aufschrei. Ungläu-

big blickte sie auf den winzigen Sichtschirm des handtellergroßen, rechteckigen Geräts in ihrer Faust. Sie sah Atlan darauf – und die Roboter.

Das Gerät entstammte ihrer Ausrüstung. Eine winzige Haftscheibe wenige Zentimeter unterhalb eines ganz normalen Interkom-Anschlusses war durch einen dünnen Draht mit ihm verbunden. Ihre positronischen, mik-roskopisch kleinen Sensoren »fühlten« in das Kommunikationsnetz der SOL und gestatteten es ihrer Besitzerin, jeden Kontakt zu belau-schen, der in diesem Schiff hergestellt wurde.

Tyari befand sich nicht weit von der Szene

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

entfernt, die sich so ihren Augen bot. Als die Roboter Atlan auf ein Antigravpolster bette-ten und aus dem Kontaktraum bugsierten, löste sie die Scheibe rasch von der Wand und ließ sie mitsamt dem Videogerät in einer Ta-sche der hautengen, blaßblauen Kombination verschwinden.

Sie blickte sich um. Der Korridor war verlassen. Es war schwer

genug gefallen, aus SOL-City zu verschwin-den, ohne Mißtrauen zu erregen. Man ließ sie keine Minute aus den Augen. Dieser Arg-wohn hätte Tyari nur belustigen können, wüß-te sie nicht um die ernsten Hintergründe.

Doch sie wußten überhaupt nichts – nichts über sie. Das ließ sie nicht ruhen. Sternfeuer und Breiskoll verzweifelten an ihr. Federspiel als der dritte Telepath an Bord interessierte sich momentan nur für das merkwürdige We-sen, das die Solaner Carch nannten. Alle drei ahnten nicht im entferntesten, daß auch sie über ihre paranormale Fähigkeit verfügte. Sie war Telepathin wie sie, doch hütete sich, dies zu zeigen.

Wie dem auch sein mochte, Tyari hatte die Verfolger abgeschüttelt. Sie durfte sich vor einer Entdeckung sicher fühlen. Was nun al-lein zählte, war Atlan.

Hier bot sich ihr nun endlich die Chance, Barleona als Konkurrentin ein für allemal auszuschalten. Sie kannte die Richtung, in die die Roboter Atlan verschleppten. Über den Grund machte sie sich in diesem Moment nicht viele Gedanken. Wichtiger war, daß sie dem Arkoniden folgte.

Ihre Finger mit den überlangen Nägeln be-rührten flüchtig die Kombiwaffe unter der Achsel. Tyari gab sich keinen Illusionen über die Gefährlichkeit von SENECAS Robotern und die der Hyperinpotronik selbst hin. Doch früher oder später sollte sich eine Gelegenheit bieten, Atlan blitzschnell zu befreien.

Dann gehörte er ihr. Die Geheimnisvolle machte sich an die

Verfolgung.

* Barleona mochte im Kampf um Atlans

Gunst die Schwächere sein, was Handlungen und Worte betraf. Jeder jedoch, der den noch

relativ sanft ausgetragenen Kampf der beiden Frauen mit wachen Augen verfolgte, wußte um die Wirkung ihrer hilflos und mitleiderre-gend wirkenden Gesten auf den Arkoniden. So grundverschieden die beiden Rivalinnen waren, jede von ihnen beeindruckte Atlan auf ihre Weise in gleichem Maß.

Barleona machte sich indessen nichts vor. Sie war sich darüber im klaren, daß sie mit Tyari an Tatkraft und Aufdringlichkeit nicht mithalten konnte. Sie ahnte auch, mit welchen Mitteln Tyari gegen sie vorging.

Sie hatte wie die andere nur auf eine Gele-genheit gewartet, sich selbständig zu machen. Atlans langes Ausbleiben beunruhigte sie zutiefst. Selten war er so lange fortgewesen.

Sie riskierte keinen Anruf in der Zentrale, wagte es nicht, Bjo Breiskoll oder ein anderes Mitglied des Teams nach Atlans Verbleib zu befragen. Das Mißtrauen, das ihr von allen Seiten entgegenschlug, schmerzte.

So hatte sie darauf gewartet, daß Tyari SOL-City verließ. Tyari schien immer mehr zu wissen als andere. Als sie ging, wußte Bar-leona, daß sie ihr Ziel genau kannte.

Barleona nützte die nächstbeste Gelegen-heit. Bjo Breiskoll und der seltsame Roboter Blödel, die sie auf Schritt und Tritt verfolgten, wurden durch einen Solaner abgelenkt, der in Hayes’ Auftrag kam und fragte, ob Atlan oder Joscan Hellmut sich inzwischen in SOL-City sehen gelassen habe.

Sie schlich sich wie eine Verbrecherin aus SOL-City heraus. Sie besaß nicht das Wissen und die technischen Möglichkeiten von Tyari. Ihr blieb nur der einfache Weg.

Atlan war also mit Joscan Hellmut zusam-mengewesen.

Barleona nahm Kontakt mit SENECA auf und befragte die Positronik nach Atlans und Hellmuts letztem Aufenthaltsort. Auf die Fra-ge nach dem Arkoniden schwieg SENECA. Hellmut aber, so erklärte er, befände sich von einer der Kontaktzentralen auf dem Weg zu Hayes.

Die Koordinaten der Kontaktstelle wurden eingeblendet.

Barleona gab sich damit nicht zufrieden. Abermals fragte sie nach Atlan. Und dann las sie auf ihrem Monitor:

Es liegen keine Informationen zur Person

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Atlan vor.

Barleona verstand inzwischen soviel von der Bedeutung der Positronik, um sofort zu wissen, daß diese Auskunft ein Ding der Un-möglichkeit war.

Warum hatte SENECA nicht akustisch ge-antwortet wie zuvor?

Barleona spürte plötzlich instinktiv, daß der Mann, der ihr alles bedeutete, sich in einer furchtbaren Gefahr befand.

Sie war unsicher, faßte Entschlüsse und verwarf sie wieder. Am Ende sah sie nur noch einen einzigen Weg.

Wenn Hellmut unterwegs zur Zentrale war, konnte sie ihn vielleicht noch abfangen. Er war als letzter mit Atlan zusammengewesen. Er mußte ihr mehr sagen können. Die Sorge und Ungewißheit ließen sie die Angst vor den Freunden des Arkoniden vergessen. Sie muß-te Joscan Hellmut finden, bevor er wieder unter Solanern war.

Der Zufall kam ihr zu Hilfe. Barleona hatte die Verbindung zu SENECA gerade abgebro-chen, als aus einer Abzweigung des Korridors einer der einfachen, kleinen Wagen hervorge-schossen kam, die im Grunde nur aus einem schalenförmigen Chassis zwischen vier gro-ßen und breiten Reifen bestanden. Sie paßten eigentlich nicht in ein Schiff, in dem sich auch kleine Entfernungen durch Transmitter, Antigravlifte und Laufbänder viel bequemer zurücklegen ließen.

Zu allem Überfluß wurde der Wagen nicht durch einen Menschen gesteuert, sondern durch einen Roboter. Auch er war eine ver-gleichsweise primitive Konstruktion. Barleo-na hatte an Bord der SOL schon ganz andere gesehen.

Mit quietschenden Bremsen kam der Wa-gen zum Halten, und das unmittelbar vor der Nische, in die Barleona sich schutzsuchend gedrückt hatte. Der Robot sprang heraus und stöpselte sich an einem Anschluß ein. Für einen Moment wirkte er wie desaktiviert.

Er erhält Befehle! durchfuhr es Barleona. Sie stieß sich von der Wand ab und warf

sich hinter den Wagen. Flach auf dem Boden liegend, nur die Augen über einer der hinteren Reifen, sah sie, wie der Roboter den Kontakt wieder löste.

Er konnte sich nur Informationen oder Be-

fehle von SENECA geholt haben. Er bewegte sich wieder genau auf die Stelle

zu, an der Barleona noch vor einer Minute gestanden und die Bordpositronik befragt hatte. Er bewegte sich auf Laufketten und wirkte wie ein Vehikel aus längst vergangener Zeit.

Einer seiner Waffenarme hob sich. Ener-giestrahlen zerschmolzen die Kommunikati-onseinheit, die Barleona benutzt hatte. Dann richtete das Maschinenwesen den Arm auf den hinteren Teil des Korridors und begann, diesen mit breit gefächertem Strahl zu bestrei-chen.

Barleona erfaßte die Gefahr. Sie wartete nicht darauf, daß sie in den Bereich der To-desstrahlen geriet.

Sie sprang in den einzigen Sitz des Wagens und startete das Fahrzeug. Wie sie das zu be-werkstelligen hatte, das schien ihr von ir-gendwoher einfach zuzufliegen. Der Andruck preßte sie fest ins Rückenpolster. Hinter ihr fauchten die Schüsse. Barleona stieß den Ge-schwindigkeitsregler voll durch. Sie riß sich die Hände vor die Augen, als der Wagen in einen abzweigenden Gang einbog und sich dabei in einem Winkel von 45 Grad auf die Seite legte. Für Sekundenbruchteile zischten die Energiestrahlen vorbei, glaubte sie, gegen die nächste Wand geschmettert zu werden.

Erst als die rasende Fahrt sich wieder ver-langsamte, merkte Barleona, daß sich ein Gurt selbsttätig um sie gelegt hatte. Das Fauchen der Schüsse war noch von fern zu hören. Dann erstarb es.

Das Fahrzeug rollte langsam weiter. Barle-ona hatte gerade noch Zeit, sich darüber klar-zuwerden, daß der Roboter eindeutig auf sie angesetzt worden war, als eine rote Leuchte in den Bedienungselementen des Wagens auf-leuchtete und eine seelenlose Stimme ihr sag-te:

»Du willst zu Joscan Hellmut. Ich bringe dich zu ihm.«

Ohne ihr Zutun erfolgte eine erneute Be-schleunigung. Barleona schrie auf und zerrte an ihrem Gurt. Sie konnte ihn nicht lösen, sie war gefangen und diesem technischen Monst-rum bedingungslos ausgeliefert.

*

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Hellmut versuchte alles. Er befand sich

zwischen zwei Energiegittern im zur Zentrale führenden Korridor. Sein Bewegungsspiel-raum belief sich auf gerade noch fünf Meter in jede Richtung.

Der Kybernetiker hatte alle Illusionen fallengelassen, seine Selbsttäuschungen als solche erkannt. Er hatte es einfach nicht wahrhaben wollen, daß ausgerechnet SENE-CA das Opfer des Manifests C geworden war – und dies doch die ganze Zeit über gewußt.

Es bedeutete, daß die SOL unrettbar verlo-ren war.

Er mußte zu Hayes! »SENECA!« schrie der Kybernetiker in

seiner Verzweiflung. »Was ist es? Du mußt noch die Kraft haben, es abzustoßen!«

Er erhielt keine Antwort und kam sich dumm vor. Etwas wie SENECA war der menschlichen Intelligenz tausendfach überle-gen. Wenn es je eine Möglichkeit gegeben hatte, den Fremdeinfluß abzuwehren, so hatte SENECA sie ergriffen und war gescheitert.

»Was ist das Manifest C? Wie wirkt es auf dich?«

Hellmut hatte keine Möglichkeit, sich von hier aus mit der Zentrale oder mit SOL-City in Verbindung zu setzen. SENECA hatte ganz genau gewußt, wo er ihn festnageln konnte.

»SENECA!« Panik griff nach dem Solaner. Alles in ihm

sträubte sich gegen die Erkenntnis, daß SE-NECA die Macht besaß, ihn hier regelrecht elendig zugrunde gehen zu lassen, ohne daß auch nur eine Person an Bord davon erfuhr.

Ausgerechnet SENECA, dem kein Mensch auf der ganzen SOL näherstand als er, Joscan Hellmut.

Es durfte und konnte nicht sein! »Laß mich dir helfen, SENECA! Gib mir

und uns allen eine Chance!« Bei allen Planeten! durchzuckte es ihn. Was

ist inzwischen aus Atlan geworden? Wenn er SENECA auf den Kopf zusagte, was er dach-te, so mußte er sich in noch viel größerer Ge-fahr befinden – falls eine Steigerung über-haupt noch möglich war.

Deshalb ist das Manifest D vor C erschie-nen, dachte der Kybernetiker. Weil es die wirkliche Gefahr nur vertuschen sollte!

Hellmut spürte, wie ihn die Kraft verließ.

Er sah die flimmernden Energievorhänge und ließ sich zu Boden gleiten, mit dem Rücken an einer Wand.

»Kannst du mich nicht mehr hören, SENE-CA?« kam es wie unbewußt über die Lippen eines Menschen, der sich mit einem unerklär-lichen Schicksal fast abgefunden hatte.

Und es war wie eine böse Ironie des Schicksals, daß er jetzt eine Antwort erhielt.

SENECA sagte nur: »Beeile dich, Joscan. Hilf mir, solange ir-

gend jemand noch dazu fähig ist! Es wird immer stärker in mir. Ich kann nicht alles von mir dagegen abschirmen! Ich ...«

Danach kam nichts Verständliches mehr. Dafür jedoch fielen die Energiegitter in sich zusammen. Hellmut sprang auf, wollte schon in Richtung Zentrale rennen, als er das Quiet-schen von Reifen und Bremsen hinter sich hörte.

Er fuhr herum und sah Barleona, eine der beiden Unausforschbaren, in einem der alt-modischen Wagen heranbrausen, die norma-lerweise nur noch von jungen und erlebnis-hungrigen Solanern zu Wettrennen durch die Korridore benutzt wurden.

Das Fahrzeug hielt keine zwei Meter vor ihm. Hellmut sprang zur Seite. Barleona ver-suchte verzweifelt, sich vom Haltegurt zu befreien. Ihr Körper ruckte nach vorne. Als der Gurt endlich zurückschnellte, fiel sie Jos-can direkt vor die Füße.

»Wo ist Atlan?« schrie sie. »Du mußt es wissen! Wo ist Atlan!«

*

Hellmuts Abwehrhaltung der Fremden ge-

genüber wich ungläubigem Staunen, als Bar-leona mit wenigen Worten erklärte, was sie mit SENECA erlebt hatte.

»Und der Wagen ist in den Nebenkorridor eingebogen, ohne daß du etwas dazu getan hast?« vergewisserte der Kybernetiker sich.

Barleona lachte gequält. »Ich dachte, er überschlägt sich mit mir!

Ich habe nichts getan, auch hinterher nicht mehr. Das Fahrzeug brachte mich hierher – zu dir, wie seine Positronik verkündete.«

Hellmut schüttelte heftig den Kopf. »Nicht die winzige Positronik des Wagens,

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Barleona. Das war SENECA selbst.«

Sie starrte ihn an. »Aber das ergibt doch keinen Sinn! Zuerst

behauptet SENECA, keine Informationen über Atlan zu besitzen. Dann schickt er einen Roboter, der mich umbringen soll – gleichzei-tig aber auch das Fluchtfahrzeug. Er steuert es sogar aus der Gefahrenzone heraus. Joscan, SENECA bringt mich zu dir, und du sagst, er hätte dich hier festgehalten. Ich ... verstehe gar nichts mehr!«

»Aber ich«, knurrte Hellmut. »Genug, um zu wissen, daß SENECA es sich jede Sekunde wieder anders überlegen kann. Komm mit!«

Er nahm ihre Hand. Zum erstenmal behan-delte er sie wie einen Verbündeten, nicht wie einen Gegner. Barleona mußte weite Schritte machen, um mit dem Solaner mitzuhalten.

Unangefochten erreichten sie endlich die Hauptzentrale, wo bereits große Aufregung herrschte.

Hayes stand mit Sternfeuer und Bjo Breiskoll zusammen. Sie verstummten, als Hellmut sie erblickte und rasch auf sie zukam. Sternfeuer wollte etwas sagen, verkniff es sich aber, als sie die Fremde sah.

»Da bist du ja endlich!« stieß Hayes hervor. Die Stabsspezialisten scharten sich um die Ankömmlinge. Hellmut sah Angst und Ratlo-sigkeit in ihren Gesichtern. »Wir haben über-all nach euch suchen lassen, Joscan. Wo ist Atlan?«

»Vermutlich in SENECAS Gewalt, Breck. Jedenfalls muß ich das aus seiner Auskunft schließen, keine Informationen über ihn zu haben.«

»Was redest du da?« fragte Breiskoll hei-ser.

»Erzähle es ihnen«, forderte Hellmut Bar-leona auf. »Alles.«

Sie tat es. Hayes stieß laut die Luft aus. »Dann ist es so wie mit den Schiffen, Jos-

can. Auch Atlan existiert für SENECA nicht mehr.«

»Es kann nur so sein, daß SENECA eine Gefahr für sich in ihm sieht, Breck. Oder vielmehr das, was sich in SENECA breitge-macht hat. Also muß er Atlan auf irgendeine Weise neutralisiert haben, damit er euch nicht ...«

»... das sagt, was du uns jetzt berichtest?« Hayes winkte ab. »Joscan, warum bist du dann noch frei?«

»Ich habe zwei Männer zu diesem Kontakt-raum geschickt!« rief Curie van Herling. »Sie haben ihn verlassen gefunden.«

»Haltet euch nicht damit auf!« schimpfte Hellmut. »SENECA scheint sich noch in ei-nem Zustand der Schizophrenie zu befinden. Das Manifest C greift nach ihm oder hat ihn schon zu einem großen Teil übernommen. Der noch freie Teil von SENECA aber kämpft dagegen an! Deshalb die sich widersprechen-den Aktionen. Breck, alles, was wir tun kön-nen, ist zu versuchen, noch soviel wie mög-lich über den Gegner zu erfahren, bevor ...«

Er sprach nicht zu Ende. Jeder wußte, was er meinte.

»Und ihn zu bewegen, Atlan freizugeben«, knurrte Hayes. »SENECA?«

»Unterhaltet euch ruhig über mich weiter«, antwortete die Positronik. »Es ist sehr belusti-gend, euch zuzuhören.«

»Jetzt platzt mir bald der Kragen!« schrie Hayes. »SENECA, was hast du mit Atlan angestellt!«

»Mir ist keine Person dieses Namens be-kannt.«

»Und du kennst natürlich auch kein Mani-fest C, das in dir wirkt!«

»So ist es. Es gibt keine Gefahr für mich.« Hellmut legte dem High Sideryt eine Hand

auf den Arm. Sie zitterte. »SENECA, du hast mich vorhin noch gebe-

ten, dir zu helfen. Dann sag uns jetzt, wie wir das tun können!«

»Das war vorhin, Joscan. Ich brauche deine Hilfe jetzt nicht mehr.«

»Was beabsichtigt das Manifest C? Was ist es?«

»Das ist mir zu dumm, wißt ihr? Ich melde mich bei euch wieder, wenn die Zeit gekom-men ist.«

Eisiges Schweigen legte sich über die Zent-rale. Niemand wagte, dem anderen in die Au-gen zu sehen. Dann war es Sternfeuer, die den einzig noch möglichen Schluß zog:

»SENECA ist nicht mehr er selbst. Und wir können nicht gegen ihn vorgehen, ohne Atlan zu gefährden.«

»Könnt ihr das Manifest C wahrnehmen?«

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fragte Lyta Kunduran verzweifelt.

Beide Telepathen schüttelten nur den Kopf. »Dann gnade uns Gott«, flüsterte Curie van

Herling. »Was immer zu uns an Bord ge-kommen ist, wir sind ihm ausgeliefert.«

»Noch nicht!« Hayes ballte die Fäuste. »Wir mobilisieren jeden Mann und jede Frau für die Suche nach Atlan. Die Besatzung hat sich zu bewaffnen! Von jetzt an muß jeder von SENECA kontrollierte Roboter als Geg-ner angesehen werden! Verdammt, solange wir noch unsere Bewegungsfreiheit haben, gebe ich mich nicht geschlagen! Sternfeuer, Bjo und Sanny, ihr kommt mit mir!«

»Wohin?« fragte Bjo. »Zur MT-1. Ihre Positronik ist hoffentlich

nicht beeinflußt und soll uns sagen, mit wel-chen Aktionen gegen uns wir zu rechnen ha-ben!«

»Ich kann nicht helfen«, flüsterte Sanny. »Ich kann nichts Fremdes an Bord berechnen. Aber es gehört nicht viel Phantasie dazu, um sich vorzustellen, was SENECA jetzt unter-nehmen wird, falls die Positroniken der neuen Schiffe wirklich noch frei sind.«

Barleona, die sich durch Sannys Bemer-kung ebenfalls angesprochen fühlen mußte – auch sie und Tyari waren nicht berechenbar für die Molaatin – sagte:

»SENECA wird uns gar nicht erst in den Hangar lassen.«

Hayes nahm einen schweren Impulsstrahler aus einer Lade.

»Das werden wir gleich sehen!« knurrte er.

4. Der Auftrag Atlan kannte den Raum nicht, wußte je-

doch, daß er sich in einem Randbereich von SENECA befand. Er bezweifelte kaum noch, daß die Hyperinpotronik sich selbst und einen Teil ihrer Umgebung durch Energieschirme hermetisch von dem Rest der SOL abge-schnitten hatte.

Das Fesselfeld um den Arkoniden war erlo-schen. Die Roboter hatten sich zu den Aus-gängen zurückgezogen. Ihre Waffenarme blieben auf ihn gerichtet. Eine der Maschinen hatte sich den kleinen Thermostrahler magne-tisch an die Seite geheftet.

Atlan verschränkte die Arme vor der Brust.

Er dachte nicht daran, SENECA anzuspre-chen. Die Positronik würde von sich aus den Anfang machen.

Er brauchte nicht lange zu warten. »Ich sehe, du bist vernünftig«, hörte er die

vertraute Stimme, in der nun etwas anderes, Fremdes mitzuschwingen schien. »Du hättest dir die Unannehmlichkeiten ersparen können, wenn du dich sofort einsichtig gezeigt hät-test.«

Es hatte keinen Sinn, noch einmal an SE-NECA zu appellieren. Atlan wußte, daß er keine Gelegenheit bekommen würde, Hayes zu warnen. Er war allein. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zum Schein auf SENECA einzugehen.

»Du sprachst von Befehlen«, sagte er. »So ist es, Atlan. Und du wirst sehen, daß

ich gar nicht so viel von dir verlange. Du brauchst nichts weiter zu tun, als einen be-stimmten Auftrag für mich auszuführen.«

»Und wenn ich es tue, gibst du mich frei?« »Du kannst gehen, wohin du willst und zu

wem du willst.« »Zu Hayes? Ihm sagen, was mit dir los

ist?« »Aber natürlich. Du wirst ihnen ja nur das

verraten können, was sie inzwischen schon selbst wissen.«

SENECA ist verrückt geworden! durchfuhr es den Arkoniden. Vom Manifest C über-nommen und dabei empfindlicher gestört, als Joscan dachte.

Er hütete sich jedoch vor unangebrachtem Optimismus. Daß SENECA zielstrebig dachte und plante, offenbarte sich ihm sogleich:

»Dein Auftrag, Atlan, besteht darin, die beiden Spezialschiffe MT-1 und MT-K-20 von Bord zu schaffen.«

Atlan pfiff durch die Zähne. Voller Sar-kasmus sagte er:

»Du meinst die beiden neuen Schiffe, die nicht existieren.«

»Wir können nun mit dem Versteckspiel aufhören, meinst du nicht auch? Du wirst da-für sorgen, daß sie aus der SOL verschwin-den. Als Besatzung dürfen nur Roboter einge-setzt werden, die ich dir bereits zur Verfügung gestellt habe.«

Atlan sah über die Schulter. »Du meinst diese dort?«

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»Natürlich. Du gehst jetzt mit ihnen und

führst meinen Befehl aus. Danach bist du frei.«

Wir dürfen also wissen, daß SENECA ü-bernommen ist, dachte Atlan. So groß ist also seine Überlegenheit. Nur die Schiffe passen nicht in seine Pläne. Warum nicht?

»Die Positroniken«, sagte er laut. »Ist es so, SENECA? Du willst die gesamte SOL kon-trollieren, aber die Positroniken der CHYBRAIN und der FARTULOON sind unerreichbar für das Manifest C in dir.«

»Willst du schon wieder mit mir diskutie-ren?«

»Wovor hast du Angst? Wie können dir zwei Positroniken gefährlich werden, die im Vergleich zu dir unbedeutend sind?«

»Gib es auf, Atlan. Du verschwendest deine und meine Zeit. Geh jetzt mit den Robotern. Doch ich warne dich! Beim geringsten Ver-such, gegen meine Anweisung zu verstoßen, wirst du unweigerlich getötet werden. Außer-dem hätte es die sofortige Vernichtung der SOL zur Folge!«

SENECA besaß die Macht, das Schiff zu zerstören. Anscheinend aber hatte er andere Pläne.

Wenn es stimmte, daß Hayes und die Stabsspezialisten, dazu das Atlan-Team in-formiert waren, würden sie alles versuchen, um die Gefahr zu beseitigen.

SENECA war empfindlich gestört. Gegen eine einwandfrei funktionierende Positronik dieser ungeheuren Kapazität waren die Sola-ner chancenlos. So aber ...

Es mußte sich eine Möglichkeit finden, eine Blöße zu erkennen und auszunutzen.

Was wir brauchen, ist Zeit! dachte Atlan. Und wenn SENECA – beziehungsweise das Manifest C – sie uns von sich aus gibt, um so besser.

»Ich werde tun, was du verlangst«, sagte der Arkonide. Dabei hatte er nicht im Traum die Absicht, den Auftrag auch wirklich auszu-führen.

Es war bereits ein Fehler SENECAS, indi-rekt die Bedeutung der neuen Schiffe als mögliche Waffe gegen ihn zuzugeben. Ein »normaler« SENECA hätte keinen menschli-chen Helfer gebraucht, um sie aus der SOL zu schaffen.

»Das ist vernünftig, Atlan. Ich werde dafür sorgen, daß du den Hangar ohne Zwischenfall erreichst. Du hast das Kommando über meine Roboter, doch sie überwachen jede deiner Bewegungen.«

Wie war das zu verstehen, ohne Zwischen-fall?

Als Atlan noch überlegte, was damit ge-meint sein könnte, als er sich den Robotern zuwandte und ihnen das Zeichen zum Auf-bruch gab, war der Zwischenfall schon da, den SENECA verhindern wollte.

*

Tyari stand vor dem Türschott, hinter dem

die Roboter mit Atlan verschwunden waren. Entgegen Atlans Vermutung war der Weg hierher nicht durch Energiegitter blockiert. Und auch sonst war Tyari auf keinen Wider-stand gestoßen.

Diesmal brauchte sie ihr Spionagegerät nicht. SENECAS und Atlans Stimme waren laut genug durch die geschlossene Tür zu hö-ren.

Als dann die Schritte zu vernehmen waren und Tyari wußte, daß Atlan die Roboter zum Mitkommen aufforderte, wich sie rasch zu-rück und drückte sich hinter der entstehenden Öffnung eng gegen die Wand. Ihre Rechte berührte die Energiewaffe nur. Der Strahler glitt wie magisch in ihre Finger.

Atlan trat auf den Gang hinaus. Tyari zählte die Roboter. Als genau so viele aus dem Raum gekommen waren, wie sie bei Atlans Gefangennahme beobachtet hatte, sprang sie vor und eröffnete das Feuer auf die am wei-testen vom Arkoniden entfernt marschieren-den Maschinen. Blaue Energiestrahlen fraßen sich in die Rücken der Robots.

»Zur Seite, Atlan!« schrie Tyari. »Bring dich in Sicherheit!« Die Kampfroboter setzten sich auf Tyari zu in Bewegung.

»Lauf!« schrie die Geheimnisvolle. Sie traf weitere Roboter, bis sie in flimmernde Ener-gieschirme gehüllt waren.

»Hör auf, Tyari!« rief Atlan beschwörend. »Du verdirbst alles und hast keine Chance!«

Sie mußte zurückweichen. Ihre Schüsse blieben ohne Wirkung. Die Roboter mar-schierten weiter auf sie zu, ohne von den ei-

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genen Waffen Gebrauch zu machen.

Tyari sah das Ende des toten Ganges hinter sich. Atlan fluchte. Die Maschinen würden sie zerdrücken oder vorher noch mit den Energie-schirmen verbrennen. Er konnte nichts tun. Sie versperrten ihm den Weg. Tyari feuerte in den Boden, von der irrigen Hoffnung beses-sen, die stählernen Ungetüme dadurch fern-halten zu können.

Ihr darf nichts geschehen! Atlan sah nur einen Ausweg, so paradox er

auch war. Er schrie: »Siehst du nicht, was hier geschieht, SE-

NECA! Beende es!« »Ich sehe es und noch viel mehr!« hallte

die Stimme der Positronik im Korridor. »Ich sehe, daß ich fast einen Fehler gemacht hätte, euch zu vertrauen!«

»Vertrauen!« rief Tyari, die nicht daran dachte, sich zu ergeben. »Das ist blanker Hohn! Fliehe, Atlan, solange du es noch kannst! Mach dir um mich keine Sorgen!«

Sie hatte plötzlich ein eiförmiges Gerät in der Hand und schleuderte es den Robotern entgegen. Noch etwa fünf Meter trennte sie von ihnen. Das Ei löste sich zwischen den Maschinen auf und gab dabei einen rötlich schimmernden Nebel frei, der sich auf die Energieschirme legte und sie zum Erlöschen brachte.

In diesem Moment sah der Arkonide wirk-lich eine Chance für sich. Tyari warf ihm über die Köpfe der Kolosse ihren Strahler zu.

Die Waffe erreichte Atlan nicht. Sie prallte noch in der Luft gegen einen ur-

plötzlich aufgebauten Prallschirm. Im glei-chen Augenblick legte sich wieder ein Fessel-feld um den Arkoniden, ein zweites um Tyari.

»Ich bin leider gezwungen, meine Pläne zu ändern, Atlan«, sagte SENECA. »Doch nur geringfügig.«

Zwei Roboter lagen zerschossen am Boden. Die anderen schafften Atlan zurück in den Kontaktraum. Um Tyari kümmerten sie sich nicht.

»Was hast du mit ihr vor!« schrie Atlan, kaum daß das Feld wieder erloschen war. »Ich rühre keinen Finger für dich, wenn ihr auch nur das geringste geschieht!«

»Ich habe kein Interesse an ihr«, erhielt er zur Antwort. »Sie ist frei. Da der Vorfall mir

aber gezeigt hat, daß ich mich nicht auf dich verlassen kann, wirst du nun mit der Haupt-zentrale Verbindung aufnehmen.«

Das ist Wahnsinn! durchfuhr es den Arko-niden. SENECA widerspricht sich mit jedem Wort! Jetzt erlaubt er mir das, was vorhin nicht sein durfte!

Er ist imstande und jagt nur aus einer Lau-ne heraus die SOL in die Luft!

»Du wirst nun mit der Schiffsführung spre-chen können und Hayes sagen, daß er die MT-1 und die MT-K-20 von Bord schaffen soll. Die Bedingungen bleiben die gleichen. Hayes ist inzwischen wieder in der Zentrale, nachdem er einsehen mußte, daß ich ihm nicht gestatten darf, die beiden Schiffe mit anderen Solanern und Waffen zu betreten. Ich habe auch dafür gesorgt, daß er den lächerli-chen Angriff am Bildschirm mitverfolgen konnte. Er weiß also, daß er keinen Fehler machen darf.«

»Sonst sterbe ich, und du vernichtest die SOL«, knurrte Atlan sarkastisch. »Und natür-lich sofort, nicht wahr?«

Falls SENECA die Betonung bemerkte, ließ er sich nicht zu einer verräterischen Re-aktion hinreißen.

»So ist es, Atlan. Und bis der Ballast von Bord ist, bleibst du hier mein Gefangener.«

Welcher Art sein Gefangenenstatus war, das wurde dem Arkoniden klar, als sich die Waffenarme der Kampfroboter abermals auf ihn richteten.

Diesmal flimmerte es um die Abstrahlmün-dungen.

*

Breckcrown Hayes verzog keine Miene. Er

ließ Atlan ausreden. Die drohenden Roboter waren von SENECA überaus wirkungsvoll ins Bild gerückt.

Hayes wartete auf einen Wink des Arkoni-den – irgendeinen Hinweis, und er erhielt ihn:

»Es ist wichtig, daß du allein zum Haupt-hangar gehst, Breck!« sagte Atlan mit sehr übertriebener Betonung. »Wichtig für SENE-CA, verstehst du? Auf jeden Fall muß ein Mensch die Roboter führen, die vor dem Hangar warten. Vielleicht läßt SENECA auch noch mit sich darüber reden, daß nicht du

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selbst gehst, sondern ...« Atlan verzog das Gesicht zu einem Grinsen, das weder zur Si-tuation noch zu ihm paßte. »Tyari!« sagte er. »Dann wärt ihr sie los, falls SENECA falsch spielt und ...«

Der Ton fiel aus. Offenbar war SENECA der Ansicht, daß Atlan bereits zuviel gesagt hatte. Hayes sah, wie der Arkonide ver-stummte und sich wie unter Stromstößen krümmte.

»Ihr habt es alle gehört!« ertönte dafür die Stimme der Biopositronik. »Der unsinnige Vorschlag ist abgelehnt. Du wirst die Roboter führen, High Sideryt!«

»Seit wann spricht er dich mit deinem Titel an, Breck?« flüsterte Sternfeuer.

»Seit jetzt. Seitdem er übergeschnappt ist.« »Nun?« fragte SENECA. »Ich warte noch

auf eine Bestätigung.« »Warum zwingt er dich nicht, Breck? Er

kann es doch?« Tyari! dachte Hayes. Atlan würde sich in

seinem jetzigen Zustand eher selbst opfern als zulassen, daß diese Fremde in Gefahr gerät!

Aber was will er uns sagen? »Ich kann eine so wichtige Frage nicht al-

lein entscheiden, SENECA!« pokerte Hayes. »Wir brauchen Bedenkzeit, um uns zu bera-ten!«

»Du wirst jetzt gehen.« »Nein!« Hayes sah Atlan leicht nicken und im glei-

chen Augenblick wieder zusammenzucken. Doch die Botschaft war verstanden.

»Du gehst sofort, oder – Atlan stirbt!« »Nein!« »Sag ja, Breck!« appellierte Bjo Breiskoll

an Hayes. »Er bringt ihn sonst wirklich um!« »Eine Stunde Bedenkzeit!« sagte der High

Sideryt unerbittlich. Die Zentralbesatzung hielt den Atem an, als keine Antwort erfolgte. Plötzlich warf sich Barleona, bisher starr vor Entsetzen, auf Hayes, stieß ihn fort und schrie:

»Ja, SENECA! Er wird deinen Befehl be-folgen! Aber tue Atlan nichts!«

Breiskoll riß sie zurück. »Du Närrin! Atlan ist so oder so verloren,

wenn wir nicht ...!« Hayes brachte ihn schnell zum Schweigen. »Eine Stunde Bedenkzeit bekommt ihr!«

verkündete SENECA so überraschend, daß Hayes sich unwillkürlich fragte, wer denn nun wen überrumpelt hatte.

Das Symbol verschwand mit dem Blick von Atlan, in das es eingeblendet war. Der Bildschirm war dunkel.

»Und jetzt?« fragte Bjo, der Barleona von hinten die Hand auf den Mund gelegt hatte.

»Du hast es doch gehört. Wir halten Kriegsrat, und zwar in SOL-City. Ich will, daß alle Mitglieder des Atlan-Teams dabei sind – und Lyta, Curie und du, Wajsto.«

»SENECA hört jedes Wort!« sagte Kolsch betroffen.

Hayes zuckte die Schultern. »Na und? Soll er doch. Wir halten Kriegs-

rat gegen ihn, was ihn nicht zu stören braucht, wenn er sich für unschlagbar hält. Und außer-dem ist dies ohnehin die verrückteste Situati-on, in der ich mich je befunden habe. Ein Dutzend Zwerge flüstern im Ohr des Riesen darüber, wie sie ihn wohl bezwingen könnten. Ich will jetzt nicht mehr darüber reden.«

Die angesprochenen Stabsspezialisten folg-ten Hayes aus der Zentrale. Ihre Gesichter waren von Entsetzen und vollkommener Hilf-losigkeit gezeichnet. In ihren Augen stand die unausgesprochene Frage:

Was geschieht? Was bereitet das Manifest C mit SENECAS Unterstützung gegen uns vor?

Und die grausame Erkenntnis: Wir können nicht das geringste dagegen tun!

Nur Hayes und die Telepathen, die seine Gedanken kannten, waren anderer Ansicht.

Der Wink mit Tyari war verstanden wor-den.

*

Der Raum befand sich an der Peripherie

von SOL-City, am gegenüberliegenden Ende des langen Zentralkorridors, der in der Ver-bindung zur Hauptzentrale der SOL endete. Hayes wartete, bis – mit Ausnahme von Fe-derspiel – das letzte Mitglied des Atlan-Teams sich eingefunden hatte, und gab Bjo zu verstehen, daß er die Tür schließen sollte.

Inzwischen wußten alle, was er vorhatte. Als der High Sideryt zur Schaltplatte in einer der Wände ging, und die Finger auf verschie-

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dene Kontakte legte, sagte er halblaut:

»Bis jetzt habe ich recht behalten. SENE-CA hat nichts unternommen, obwohl er genau wissen muß, was jetzt passiert. Entweder tötet er mich jetzt, oder er ist schwächer, als wir alle angenommen haben.«

»Oder größenwahnsinniger«, stellte Stern-feuer fest. »Oder ganz einfach wirklich so überlegen, daß ...«

Hayes drückte die Tasten. Die Raumfahrer hielten den Atem an. Nichts geschah, bis die rote Leuchte über den Kontakten hell wurde.

Hayes atmete erleichtert aus. »SENECA selbst hat uns diesen Raum zu-

gestanden«, sagte er. »Das war allerdings schon vor einiger Zeit. Hier kann er uns we-der beobachten noch hören.«

Nockemann, wie alle anderen schnell über den neuesten Stand der Dinge informiert, schüttelte ungläubig den Kopf.

»Und dann läßt er es geschehen? Einfach so?«

»Ich will jetzt keine Diskussionen über sei-nen Geisteszustand, Hage. Wir haben über-haupt schon viel zuviel geredet. Atlan spielte uns den Ball zu, indem er diesen Scheinvor-schlag mit Tyari machte.«

Barleona, inzwischen ruhig, zuckte bei der Erwähnung des Namens zusammen.

»Erstens«, fuhr der High Sideryt fort. »At-lan würde Tyari nie in Gefahr bringen. Schickt sie zu den Schiffen heißt, wir sollen niemanden schicken. Keiner soll auf SENE-CAS Forderung eingehen, natürlich auch ich nicht.«

»Und zweitens?« fragte Hellmut. »Zweitens bedeutete Tyari diesen Raum

hier. Sie ist unausforschbar für euch, Stern-feuer und Bjo. Ihr könnt sie nicht belauschen, so wie SENECA uns hier nicht belauschen kann.«

»Hoffen wir’s«, meldete Bjo Zweifel an. »Breck hat vollkommen recht!« rief Uster

Brick. »Atlan hat uns also nichts anderes zu verstehen gegeben, als daß wir SENECA hin-halten und angreifen müssen. Ich werde ihm helfen, mein neues Schiff aus der SOL schaf-fen zu lassen!«

»Ausnahmsweise vollkommen einverstan-den, Kleiner«, knurrte Vorlan. »Warum SE-NECA dies tut und jenes nicht, warum er un-

bedingt einen Menschen dazu braucht, die Spezialschiffe auszuschleusen, ist mir egal. Breck – wo schlagen wir zu?«

»An zwei Stellen gleichzeitig«, verkündete Hayes. »Wir versuchen, in den Haupthangar einzudringen, die MT-1 und MT-K-20 zu besetzen und zugleich Atlan zu befreien.

Noch einmal geben wir uns durch die Ener-giesperren beim Hangar nicht so leicht ge-schlagen – und wo Atlan gefangengehalten wird, das wissen wir auch.«

»Nein!« schrie Barleona. »SENECA bringt ihn um! Ihr seid ... kaltblütige Mörder!«

In Hayes’ Gesicht zuckte es. Er sah die Frau lange an.

»Wenn wir nichts tun, bringt er uns alle um. Und jetzt Schluß mit der Rederei. Vorlan und Uster, ihr führt die eine Gruppe an und ich die andere. Ihr nehmt die hundert Solaner mit, die von mir bereits als Standardbesatzung für eure neuen Schiffe ausgewählt wurden und sich auf Abruf befinden. Wir brauchen Federspiel.«

Die Tür öffnete sich. Die beiden Bricks fuhren herum und richteten ihre Waffen auf den Eingang. Sie erwarteten SENECAS Ro-boter, denn kein Besatzungsmitglied ver-mochte die Verriegelung von außen zu lösen.

Tyari war kein Besatzungsmitglied wie die anderen.

Sie steckte ein winziges Gerät in eine Ta-sche ihrer neuen Kombination und trat ein. Ohne die anderen anzusehen, ging sie auf Barleona zu. Erst unmittelbar vor ihr blieb sie stehen.

Sie blickten sich in die Augen wie zwei Raubtiere, die sich jeden Moment gegenseitig anfallen würden.

»Du hast das zugelassen!« schrie Tyari Barleona an. »Du läßt zu, daß diese Verrück-ten Atlan durch ihre Dummheit umbringen! SENECA weiß von allem! Er hat alles ge-hört!«

»Du Lügnerin!« fuhr Barleona auf. »Du hast Atlan durch deine Gier doch erst in diese Lage gebracht, in der er jetzt ist! Ich ...«

Tyaris Hand kam blitzschnell in die Höhe. Sie versetzte der Rivalin zwei schallende Ohr-feigen.

Sie stürzten sich aufeinander und fielen ringend zu Boden.

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»Einschließen!« befahl Hayes. »Schließt sie

am besten gleich hier ein. Alles können wir jetzt noch gebrauchen, alles außer diesen Fu-rien!«

5. An der Schwelle zum Nichts

Es war blinder Alarm. Federspiel, auch

wenn du mich nicht hören kannst, rede ich weiter zu dir, als könntest du es. Ich habe eine Sehnsucht wie nie zuvor nach dem Schritt, den ich tun muß – doch auch furchtbare Angst.

Was vorhin begann, Federspiel, war noch nicht die Geburt. Aber sie ist wieder ein gro-ßes Stück nähergerückt. Was in mir erwachte, waren weitere Erinnerungen. Ich hatte recht. Ich muß wissen, was ich bin, bevor ich das nächste Stadium zu erreichen vermag.

Es ist immer wie ein Aufreißen von allem, was die totale Wahrnehmung von Raum und Zeit behindert, Federspiel! Und immer dringt auch etwas von dem auf mich ein, was vom Manifest C ausgeht. Ich kenne jetzt seinen Namen. Es denkt von sich als von Erfrin, und das Ende, das es der SOL zugedacht hat, ist grausam!

Erfrin ist eine körperlose Macht, Feder-spiel. Sie beherrscht SENECA jetzt fast voll-kommen, aber das ist nicht mehr der souverä-ne SENECA, den ihr alle kennt. Er ist nur noch Werkzeug und denkt in wirren Bahnen. Schuld ist die Angst, vor Erfrin zu versagen.

Warte, Federspiel! Es verstärkt sich wieder. Es ist wie ein

Ruck. Was aus mir ausströmte, kommt zu-rück. Es tastet nach mir. Es will sich mit dem Rest meiner Lebensessenz vereinen, und dann ...

Die Erinnerung. Ihr Erwachen in mir war der letzte Schritt vor dem Ende des Cpt’Carch, den ihr manchmal für verrückt gehalten habt. Einige tun es auch jetzt noch. Es wird keine zwei Stunden mehr dauern, bis sie ihre Meinung ändern müssen.

Ich weiß jetzt, was hinter mir liegt, Feder-spiel. Was du vor dir liegen und sterben siehst, ist die dritte von fünf Entwicklungs-phasen eines Cpt’Cpt. Erst die sechste Form ist endgültig.

Am Anfang steht ein Etwas noch ohne Ei-

genbewußtsein oder gar Intelligenz. Es ist das Sechstelgeborene. Es wird von einer der hö-heren Formen hervorgebracht und auf meiner Heimatwelt an Felsen, Mauern oder Pflanzen geklebt. Du würdest es von seinem Aussehen her mit einem flachen Ei vergleichen, dünn und so groß wie eine halbe Menschenhand.

Als solches Gebilde erwachte ich zum Le-ben, Federspiel. Die Cpt’Cpts nennen es einen Cpt’Won. Ich verbrachte drei Jahre in diesem Zustand, bis ich so weit herangereift war, daß ich den Schritt zum Cpt’Tak tun konnte. Es sind immer drei Jahre.

Ein Cpt’Tak ist die zweite Form und Phase. Denke dir einen grünen Fladen, der sich zu-sammen- und wieder auseinanderzieht, wenn er über den Boden von Cpt kriecht. Die Cpt’Tak besitzen vier lange Stielaugen und sind äußerst gefährlich für alle anderen For-men, die mit ihnen gemeinsam auf Cpt leben.

Cpt ist der Name meiner Heimatwelt, Fe-derspiel. Was ich dir über sie sagen müßte, würdest du nicht glauben.

Die Cpt’Tak sind halbintelligent und unge-heuer aggressiv. Auch sie benötigen immer drei Jahre, um zum Cpt’Nok zu werden.

Und ein Cpt’Nok, Federspiel, das bin ich! Unsere Reifezeit dauert länger. Sie beträgt

77 Jahre. Du würdest jetzt nach der Art der Verwand-

lung fragen. Sie geschieht immer durch das Absterben des bisherigen Körpers und dessen Wiedergeburt in anderer Form. Du wirst es an mir erleben, wenn du lange genug bleibst. Es hat etwas mit der Verwandlung in eine ener-getische Zustandsform zu tun, aus der sich innerhalb kurzer Zeit das Neue bildet. Ganz verstehe ich es auch noch nicht.

Jetzt kommen sie, um dich zu holen, Feder-spiel! Geh nicht mit ihnen! Bleib noch, bis ich euch verlasse!

Es ist Sternfeuer. Wir waren lange Zeit mit Oggar zusammen im Multibewußtsein verei-nigt. Sternfeuer, wenn es damals keine Schranken zwischen uns gab, dann höre mich auch jetzt!

Es ist so wichtig für euch! Das Manifest C hat vor, die SOL in die Dunkelzone zu füh-ren! Es wird ihm gelingen, und dort dann ...!

Sie ist fort, Federspiel. Wir beide sind wie-der allein. Danke, daß du geblieben bist.

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Geboren zu werden, ist auch ein Stück

Sterben für mich. Wie ist einem Menschen zumute, der auf den Tod wartet?

Was auch aus mir werden mag, ich hoffe, daß wir uns wiederfinden. Vielleicht werdet ihr mich dann nicht mehr als Carch erkennen.

Doch verlassen muß ich die SOL – nicht nur wegen Erfrin. Das Böse in SENECA hat auch etwas damit zu tun. Auf eine Weise, die ich nicht verstehe, berührt es mein eigenes Schicksal.

Vielleicht ist es der letzte Anstoß, den ich brauche. Jedenfalls stößt es mich geistig ab. Ja, Federspiel, ich fühle, wie es mich immer näher an den Augenblick des Wechsels treibt.

Ich weiß, daß meine Heimatwelt nah ist, der Planet, auf dem ich sechstelgeboren wur-de. Ich weiß, daß es so sein muß, und kann immer noch nicht daran glauben.

Nur auf ihm kann sich meine Geburt voll-ziehen.

Aber die SOL war nie zuvor in Xiinx-Markant!

Wie soll ich dann überhaupt an Bord ge-kommen sein!

Das ist alles so viel auf einmal, Federspiel! Ich will nach Hause, aber ich will euch nicht im Stich lassen!

Ihr müßt gegen Erfrin und SENECA kämp-fen! Tut, was Atlan euch bedeutete! Gebt SENECA nicht nach! Er ist schwach und weiß nicht, was er tut! Ihr habt noch eine winzige Chance, wenn ihr den richtigen Weg geht!

Wenn ihr es nicht tut, wird es von heute an genau 104 Tage dauern, bis die SOL zwi-schen den Staubpartikeln der Dunkelzone zerrieben wird und explodiert.

Was aus mir strömte, ist nah. Kannst du es sehen oder spüren, Federspiel?

Ich hatte mir den Abschied ganz anders vorgestellt.

Ich sage dir jetzt etwas, Federspiel. Ich werde mich dagegen sträuben. Ich wer-

de nicht gehen, bevor ich euch nicht auf ir-gendeine Weise mitteilen kann, was Erfrin genau plant – und wie sich einige von euch vielleicht retten können, um den Kampf auf-zunehmen.

6. Kampf um die Schiffe Die Bricks hatten es sich nicht nehmen las-

sen, jene Gruppe zu führen, die versuchen sollte, gewaltsam in den Haupthangar vorzu-dringen. Zu ihr gehörten neben Sternfeuer, Blödel, Nockemann und Sanny aus dem At-lan-Team die Stabsspezialisten Lyta Kundu-ran und Wajsto Kolsch. Kolsch wiederum hatte es geschickt verstanden, eine gewisse Henny Lupino dazuzunehmen. Seine heimli-che Romanze mit ihr betrachtete nur er als heimlich.

Das Verwirrspiel um und mit SENECA nahm immer groteskere Formen an. Natürlich sollte Hayes zum Hangar gehen. Tyari hatte aber auch gesagt, daß SENECA die Geheim-besprechung sehr wohl belauscht habe. Den-noch unternahm er nichts, was Vorlan Brick zu einer Kühnheit verleitet hatte, die alles bisher Dagewesene übertraf.

Der Pilot war vor einen Bildschirm getre-ten, hatte sich weit in die Brust geworfen und SENECA angekündigt, daß er, Breckcrown Hayes, nun bereit sei, den Befehl der Positro-nik auszuführen.

Der echte High Sideryt stand dabei neben ihm.

Als SENECA dann ohne eine einzige Rückfrage akzeptierte, gab es für die Solaner kein Halten mehr.

Hayes machte sich mit dem Rest der Ver-schwörer auf den Weg dorthin, wo Atlan ge-fangengehalten wurde. Vorlan nickte seinen Leuten zu, bewaffnete sich bis an die Zähne und marschierte aus der Zentrale.

Das alles geschah vor den tausend Augen und Ohren SENECAS.

Die kleine Gruppe glich einem Stoßtrupp, der durch die Korridore der SOL zog, um einen Krieg zu eröffnen. Es wurden Schirm-feldprojektoren und schwere Desintegratoren mitgeführt, Mikrobomben und eine kleine Impulskanone auf einer Antigravscheibe.

»Der hält uns nicht auf!« seufzte Henny. »Ich kann es einfach nicht fassen! SENECA weiß, was wir vorhaben, und tut nichts dage-gen!«

»Abwarten!« knurrte Kolsch. »Er verläßt sich auf seine Abschirmungen.«

»Redet nicht soviel!« rief Vorlan über die

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Schulter. »Weiter!«

»Du kommst dir wohl schon wie Breck vor, eh?« stichelte Uster. »Wie fühlt man sich so als High Sideryt?«

»Miserabel!« Vorlan fühlte sich wirklich so. Er zählte die

Abzweigungen, richtete blitzschnell die Waf-fe in jeden Seitengang. Doch der insgeheim erwartete Roboterüberfall blieb aus. Dann stießen die hundert Raumfahrer zu ihnen, die die Besatzungen der Spezialschiffe bilden sollten.

Endlich war das Energiegitter erreicht, das sich in Form einer Kugelschale um den Han-gar zog.

Vorlan blieb stehen und hob eine Hand. »Dort vorne sind sie«, knurrte er. »Zehn

Kampfmaschinen, fünf für die CHYBRAIN und fünf für die FARTULOON.«

Die Roboter warteten bewegungslos vor der flimmernden Wand. Ihre Waffenarme hingen nach unten.

Auf Bricks Zeichen stellten die Solaner die Projektoren ab und richteten die Impulskano-ne auf das schwach hinter dem Flimmern zu erkennende Hangarschott aus. Die hundert Dazugekommenen blieben im Hintergrund.

»Und jetzt?« fragte Uster. »Die Barriere wird von einem Punkt aus erzeugt, der hinter ihr liegt. Wie willst du durchkommen, um die Quelle auszuschalten?«

Vorlan winkte überlegen ab. »Du hast noch nie besonders viel Phantasie

besessen, Kleiner. Wir werden doch erwartet, oder?«

Uster und Lyta Kunduran wechselten einen kurzen Blick, der so ziemlich alles darüber ausdrückte, was sie von Vorlans Geisteszu-stand hielten.

Sternfeuer konnte nicht länger schweigen. »Vorlan, das ist kein Spiel!« beschwor sie

den Piloten. »Bei allen Planeten, wir alle und besonders Atlan schweben in einer schreckli-chen Gefahr, zu der vielleicht noch eine ganz andere kommt!«

»Noch eine?« »Ich finde das verdammt nicht komisch,

Mister Brick! Federspiel ist nur deshalb noch bei Carch, weil er glaubt, etwas ... etwas un-vorstellbar Fremdes zu spüren, das sich in der Kabine zusammenzieht!«

»Aber das ist nicht unser Problem, nicht jetzt.« Vorlan tippte der Telepathin und Kolsch gegen die Schulter. »Ihr kommt mit zu den Robotern.«

»O nein!« wehrte Sternfeuer heftig ab. »Ich weiß, was du vorhast! Das ist Wahnsinn!«

»Ich mache nicht mehr mit«, sagte Henny. »Wajsto, ich habe dir den Gefallen getan mit-zukommen, aber du hast mir nichts davon gesagt, daß ihr Selbstmord begehen wollt. SENECA hätte Medoroboter schicken sollen – solche, die Zwangsjacken bei sich tragen.«

Vorlan hörte nicht mehr hin. Er ging zu den wartenden Kampfrobotern und sagte sehr laut:

»Ihr wartet auf den High Sideryt. Wir sind hier. Sie, er und ich sind Breckcrown Hayes.« Er wies auf Sternfeuer und Kolsch. »Wir bit-ten um Bestätigung durch SENECA.«

»Nein!« Henny fuhr auf dem Stiefelabsatz herum

und wollte davonlaufen. Seltsamerweise war es dann ausgerechnet Sternfeuer, die sie zu-rückhielt.

»Warte!« flüsterte die Telepathin. »Ich ha-be mich geirrt. Vorlan will etwas ganz ande-res.«

»SENECA!« brüllte Brick. »Bist du auch schon taub geworden!«

Die Antwort bestand darin, daß die Kampf-roboter die Waffenarme hoben und auf ihn, Sternfeuer und Kolsch richteten. Gleichzeitig hüllten sie sich in Energieschirme.

»Ihr seid nicht der High Sideryt!« hallte SENECAS Stimme durch den Korridor. »Er sollte allein kommen. Das war die Bedin-gung.«

Vorlan biß sich auf die Lippe. Er wußte, daß dieser Augenblick entschied.

Die Waffenmündungen der Strahlungetüme begannen zu flimmern.

Die Schirmfeldprojektoren, Sternfeuer! dachte Brick intensiv. Sobald ich hinter der Barriere bin, aktiviert ihr sie! Legt so viele Schutzglocken um euch, wie ihr nur könnt!

Er rief: »Es war dumm von mir, dich täuschen zu

wollen, SENECA! Natürlich bin nur ich Breckcrown Hayes! Und nun komme ich al-lein!«

Die Telepathin hatte den Schrei schon auf den Lippen, als der Pilot alle Waffen ablegte

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und sich in Bewegung setzte. SENECA schien – noch – davor zurückzuschrecken, einen Menschen zu töten. Doch was Vorlan vorhatte, nahm SENECA jede Arbeit ab!

Vorlan marschierte mit weiten Schritten auf das Energiegitter zu. Die Roboter drehten sich. Ihre Arme blieben auf ihn gerichtet.

Noch drei Meter, anderthalb ... Jetzt! Brick machte nicht halt. Er kniff die Augen

zusammen, um nicht in die gleißende Hellig-keit sehen zu müssen. Der nächste Schritt bedeutete den Tod, das Verbrennen in der Barriere – oder den Sieg.

Die Zeit schien eingefroren zu sein. Brick kam sich vor wie in einer zähen Masse, durch die er sich kämpfen mußte. Ihm war furchtbar heiß. Er glaubte, den allerletzten Blitz durch die geschlossenen Lider sehen zu müssen.

Dann berührte sein Fuß den Boden. Vorlan riß die Augen auf und drehte sich

um. Hinter ihm kamen die Roboter durch die Strukturlücke. Brick ging schnell weiter, um seine Erleichterung nicht zu zeigen. Hinter der letzten Maschine schloß sich die Barriere wieder.

Ich bin durch, Sternfeuer! Errichtet die Schirme um euch! Und halte meinen kleinen Bruder um Himmels willen davon ab, mir zu folgen! Wenn er es tun will, paralysiere ihn! Du bist jetzt für die Gruppe verantwortlich! Er lachte in einem Anflug von Galgenhumor. Es hat doch großartig geklappt, oder? Das mit dem Dreier-Hayes war ein Bluff, der ge-wirkt hat! SENECA mußte einen zweiten Bluff geliefert bekommen, um den ersten und wirk-lichen nicht ausgerechnet jetzt zu durch-schauen!

Er mußte etwas mitteilen, um die eigene Angst zu bekämpfen. Sein Auftreten mochte alle anderen täuschen, nur Sternfeuer nicht. Er hatte keinen Sieg für sich errungen. Er hatte soeben sein Grab betreten.

Irgendwann war Schluß mit den Wundern. Brick hatte die halbe Strecke bis zum Han-

garinnenschott zurückgelegt. Noch fünfzig Meter.

Zwanzig Meter bis zu der Abdeckplatte, hinter der sich die Projektoren für die Ener-giebarriere in der Wand verbargen. Brick kannte diesen Teil der SOL ganz genau.

Seine Hand fuhr in die Tasche mit der Mik-robombe darin.

»Du siehst, daß ich deinen Auftrag ausfüh-re, SENECA! Befiehl deinen Robotern, ihre Schutzschirme auszuschalten!«

Langsamer gehen! Noch wenige Schritte. »Ich sehe keinen Grund dafür!« »Aber ich! Oder was glaubst du, wie die

unabhängigen Positroniken der Spezialschiffe auf Roboter reagieren, die sie in Energie-schirmen betreten wollen?«

Die Schirme um die Kampfgiganten erlo-schen.

Achtung, Sternfeuer! schrie es in Vorlan. Es geht los! Jetzt!

Brick drückte den auf drei Sekunden einge-stellten Zünder der Bombe nieder, riß sie aus der Tasche, stürzte vor und klebte sie im Fal-len gegen die Abdeckplatte. Die Magnethalte-rung griff sofort. Brick rollte sich ab, sprang auf und rannte so schnell er konnte auf eine Nische zu. Alles das hatte er in Gedanken durchgespielt – bis auf die Reaktion der Ro-boter.

Als der erste Energiestrahl dicht neben ihm in die Wand fuhr, als er sich mit letzter Kraft in die Nische warf, explodierte die Bombe.

Vorlans letzter Gedanke galt seinem Zwil-lingsbruder, den er um Verzeihung bat. Dann zerrissen der Blitz und das Krachen der Deto-nation die Stille, schossen die Stichflammen durch den Korridor, preßte die Druckwelle dem Solaner die Luft aus den Lungen.

Er sank in der Nische zusammen und wußte noch nicht einmal, ob sich sein hoher Einsatz überhaupt gelohnt hatte.

*

Tyari stand auf und warf das lange Locken-

haar weit in den Nacken zurück. Stolz und ohne eine Spur von Mitleid blickte sie auf Barleona hinab, die zu ihren Füßen lag.

»Ich bin nicht auf dieses Schiff gekommen, um mich zu schlagen«, sagte sie tonlos. »Ich bin aber auch nicht hier, um mir in meine Pläne pfuschen zu lassen. Ich sage es dir jetzt zum letztenmal, Barleona: laß die Hände von Atlan!«

Barleonas Kleidung war an einigen Stellen zerrissen. Das Mädchen sah schlimm aus. Sie

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

war gegen die durchtrainierte Rivalin ohne Chance gewesen.

Doch sie besaß andere Waffen, Waffen der Liebe und der Güte.

»Warum tust du das?« fragte sie leise, als sie sich mühsam aufrichtete. »Was willst du von Atlan?«

»Was willst du von ihm?« »Vielleicht das gleiche?« Tyari lachte rauh, ging zur verriegelten Tür

und lachte nochmals – diesmal über die Nai-vität der Solaner, die glaubten, sie hier fest-halten zu können.

Sie zog einen Würfel aus der Kombination. »Willst du ... wollen wir beide das gleiche,

Tyari!« rief Barleona. Tyari drehte sich nicht um. »Wie kann jemand so fragen, der sich an-

geblich an nichts erinnert?« »Ich weiß, daß ich das Böse aus ...!« Tyari fuhr herum und starrte sie an. »Ja?« »Nichts. Aber ich werde um Atlan weiter-

kämpfen. In der Hinsicht wissen wir beide nun ganz genau, woran wir miteinander sind. Deine Stärke kann auch deine Schwäche sein, Tyari!«

»Du willst mir doch nicht etwa drohen?« Es schien die Geheimnisvolle über alle

Maßen zu amüsieren. »Wer bist du, Tyari?« fragte Barleona flüs-

ternd. Sie rückte ihre Kleidung notdürftig zurecht und strich sich das Haar glatt.

»Wer bist du?« »Ich weiß es nicht, daher brauche ich nicht

zu antworten. Wenn du aber schweigst, hast du viel zu verbergen!«

Auch dieser Vorwurf rief nur Belustigung hervor.

»Mag sein, Barleona. Rechne damit und sieh dich vor.«

»Liebst du Atlan?« Tyari antwortete nicht mehr. Sie setzte den

Würfel an die Wand neben der Tür und führte ihn auf- und abwärts.

»Was hast du vor?« »Das siehst du doch. Ich werde diesen

Raum verlassen und mich an der Suche nach Atlan beteiligen. Und noch einmal mache ich keinen Fehler!«

Die Tür glitt auf. Tyari trat auf den Gang

hinaus. Barleona lief hinter ihr her. »Dann komme ich mit!« »Das wirst du bleiben lassen, oder ich sorge

dafür, daß du diesmal so schnell nicht wieder ...«

Barleona hatte plötzlich einen Strahler in der Hand. Sie richtete ihn auf die Rivalin.

»Was, Tyari? Ich besitze nicht deine Sammlung von exotischen Instrumenten und Waffen. Aber vielleicht zwingst du mich aus-zuprobieren, ob du gegen einfache Paralyse-strahlen gefeit bist?«

Tyaris Gesicht wurde zur Maske. Sie drehte sich um und schritt davon, ohne ein Wort zu sagen.

Barleona folgte ihr mit entsicherter Waffe.

* Sternfeuer und alle anderen Mitglieder der

Gruppe kauerten in gut dreißig Meter Entfer-nung unter einer dreifach gestaffelten Ener-gieglocke vor der flimmernden Barriere, wäh-rend die hundert Raumfahrer sich in einen Nebengang zurückgezogen hatten. Die Tele-pathin hatte es vorgezogen, den anderen nicht zu sagen, was Vorlan wirklich vorhatte. Sie konnten es sich auch so denken.

Dann geschah es. Die Energiebarriere brach zusammen. Feu-

erstürme rasten durch den Korridor und tauchten die Glocke in blutrote Glut. Teile von zerfetzten Robotern wurden von der Druckwelle der Explosion umhergeschleu-dert. Es war wie ein kleiner Weltuntergang.

Ich muß die Nerven behalten! zwang Stern-feuer sich. Ich bin es Vorlan schuldig!

Zu allem Überfluß empfing die Telepathin just in diesem Augenblick, als sie glaubte, es müßte ihr die Augen ausbrennen, den gedank-lichen Hilferuf Federspiels:

Etwas dringt in die Kabine und in Carch ein! Es kommt aus dem Nichts! Es bringt ihn zum Glühen!

Bring dich in Sicherheit! sendete Sternfeu-er.

Er bläht sich auf! Sie konnte nicht mehr auf den Zwillings-

bruder eingehen. Flüchtig dachte sie daran, daß sie den wohl wichtigsten Augenblick im Leben des Wesens versäumte, mit dem sie

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einen Bewußtseinsverbund gebildet hatte. Es schmerzte sie.

Mach’s gut, Carch! war alles, was sie dem Cpt’Cpt jetzt noch wünschen konnte. Die Hel-ligkeit und die Hitze ließen nach. Der Korri-dor und das Innenschott des Hangars lagen frei vor den Solanern. Keine neuen Roboter erschienen. Die Reste der zehn bereitgestell-ten lagen über den Gang verstreut.

Nicht an Vorlan denken! »Schirmfeldprojektoren aus, Henny!« rief

Sternfeuer. »Wajsto, Impulsfeuer auf das Schott!«

»Tut, was sie sagt!« brüllte Uster. »Ich ha-be jetzt das Kommando! Vorlan hat das groß-artig gemacht, hört ihr! Er wird sich nicht darüber zu beklagen haben, daß sein Bruder hinter ihm zurücksteht!«

Dabei hätte er am liebsten einfach losge-heult wie ein Kind. Bevor Kolsch der Auffor-derung nachkommen konnte, war er bei der Impulskanone, richtete sie neu aus und jagte einen armdicken Strahl in das Schott.

Es explodierte. Uster warf sich zu Boden, die anderen ebenfalls. Wieder schossen Me-tallsplitter über sie hinweg.

Uster wartete keinen Augenblick zu lange. Wie ein Irrer rannte er los und fand, was er suchte.

»Weiter!« schrie er. »Lauft zu den Schif-fen, bevor SENECA andere Möglichkeiten findet, sie zu blockieren. Ich kümmere mich um Vorlan!«

Einzig Hage Nockemann drückte sich ne-ben ihm in die Nische. Sternfeuer trieb die anderen voran und wartete, bis auch die Schiffsbesatzungen heran waren. Sie alle wußten, daß sie Usters Wunsch zu respektie-ren hatten. Und jede Sekunde konnte ent-scheidend sein. Noch zeigte SENECA keine Reaktion.

Uster kniete vor Vorlan und schob vorsich-tig beide Hände unter dessen Kopf. Blut rann aus Vorlans Mund. Seine Augen waren ge-schlossen, die Haare von der Hitze vollkom-men versengt, Gesicht und Arme böse ver-brannt.

»Vorlan!« Uster begann zu zittern. »Ver-dammt und zugenäht, Langer! Mach den Mund auf! Sag etwas! Du kannst doch nicht tot sein!« Er rüttelte an den Schultern des

Bruders wie ein Besessener, bis er einen leichten Druck gegen den Arm spürte.

Ruhe und Wärme breiteten sich in ihm aus. Er drehte den Kopf und sah, wie Nockemann die Injektionspistole zurückzog.

»Tut mir leid, Uster, aber das mußte sein, oder willst du das tun, was die Explosion nicht geschafft hat?«

Brick starrte den Galakto-Genetiker un-gläubig an.

»Du ... du willst sagen, er ... lebt? Er lebt wirklich noch?«

Nockemann kniff die Augen zusammen. Längst hielt er Vorlans Handgelenk.

»Es hat ihn schlimm erwischt, Uster, aber Blödel und ich kriegen ihn schon wieder hin. Das Scientologenteam hat schon andere Fälle kuriert.«

»Aber sein Gesicht und ...!« »Bleib bei ihm! Ich bin gleich zurück!« Nockemann sprang auf und lief dorthin zu-

rück, wo noch die Antigravscheibe mit dem Impulsgeschütz einen halben Meter über dem Korridorboden schwebte. Er stieß die Kanone einfach herunter und steuerte die ovale Schei-be zur Nische.

Aus dem Hangar war das Fauchen von Schüssen zu hören. Und nun meldete sich SENECA:

»Ihr habt mich betrogen! Breckcrown Hay-es ist nicht Breckcrown Hayes! Bleibt von den Schiffen fort, oder Atlan stirbt auf der Stelle! Ich wiederhole: Atlan stirbt, wenn der falsche Hayes die Rampe der MT-1-CHYBRAIN betritt!«

»Ich bin Hayes!« schrie Nockemann. »Und ich bin nicht im Hangar! Also stelle erst deine permanente Störung fest, bevor du einen nicht wiedergutzumachenden Fehler begehst!«

Jetzt bin ich genauso verrückt wie Vorlan! dachte er. Doch die Wut und die Angst um den Arkoniden ließen ihn sogar noch hinzu-fügen: »Gib uns nicht die Schuld, wenn du mit dem Manifest C nicht zurechtkommst! Einige dich mit ihm, dann mit dir selbst und dann erst mit uns!«

Plötzlich war es ihm, als hörte er eine leise wispernde Stimme in seinem Kopf, die ihm sagte: Du konntest es nicht wissen, aber du hast in diesem Moment das einzig Richtige getan, Hage!

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Es war ein Eindruck von vielen, die durch-

einanderwirbelten. Es war so, als wäre er mit aller Kraft aus diesem Wust von fremden Empfindungen an die Oberfläche gestoßen worden.

Und alle diese anderen Gefühlsbilder hatten etwas mit einer Geburt zu tun, die jetzt ein-setzte.

Carch! durchfuhr es den Solaner. Er mußte es vergessen. Vielleicht konnte er

SENECA tatsächlich hinhalten, aber für wie lange noch?

»Hilf mir, Uster!« sagte er. »Wir legen Vorlan vorsichtig auf die Scheibe.«

»Und dann?« »Ich habe dir ein Beruhigungsmittel verab-

reicht, keine Verdummungsdroge! Der einzig sichere Platz in der ganzen SOL ist für Vorlan und uns jetzt eines der beiden Spezialschif-fe!«

Brick packte mit an. Er schämte sich nicht mehr seiner Tränen. Die beiden Männer ho-ben Vorlans reglosen und verbrannten Körper so behutsam an, als bestünde er aus hauch-dünnem Porzellan.

Endlich auf der Scheibe, schoben sie ihn in Richtung Hangar. Kurz hinter dem aufge-sprengten Schott kam ihnen Blödel auf seinen kurzen Beinen entgegen.

»Lauf in den Gang!« befahl Nockemann ihm. »Melde dich bei SENECA und sage, daß du Breckcrown Hayes bist!«

»Ich wollte eigentlich nach dir sehen, Ha-ge.«

»Du siehst mich noch öfter, als dir lieb sein kann, aber nur, wenn du jetzt endlich spurst und nicht dumm fragst!«

Nockemann verlieh seinen Worten mit ei-nem kräftigen Tritt Nachdruck, der Blödel drei Meter weit in den Korridor beförderte.

»Seit wann gehst du denn so mit deinem Liebling um?« fragte Uster.

»Von wegen Liebling! Schieb weiter!« Sie liefen weiter, die Scheibe mit Vorlan

vor sich. Hinter ihnen beteuerte ein einäugiges robo-

tisches Unikum mit langen Tentakelarmen und grünem Schnauzbart aus Plastikhaaren, er sei der High Sideryt der SOL.

Und vor ihnen tobte der Kampf um die MT-1.

* Von dem, was im Haupthangar des SOL-

Mittelteils vorging, war nichts mehr mit ir-gendeiner Logik zu erklären.

Die Rampe der MT-1 war bis auf den Bo-den ausgefahren. Um sie herum standen Kampfroboter, die fast auf alles feuerten, was sich bewegte. Sternfeuer, Lyta Kunduran, Wajsto Kolsch, Sanny und die hundert Raum-fahrer lagen hinter den Landestützen anderer Beiboote flach auf dem Boden und versuch-ten, die Energieschirme der Giganten durch Punktfeuer zu überwinden. Sie gaben nun Feuerschutz, als Nockemann und Uster die Scheibe hinter eine Deckung manövrierten. In kleinen Etappen brachten sie sie Stück für Stück näher an die Gefährten heran. In den Wandverkleidungen klafften häßliche Löcher. Beißender Rauch erfüllte den riesigen Hangar. Der Kampflärm war ohrenbetäubend. No-ckemann mußte schreien, um sich verständ-lich zu machen. Zehn Meter trennten ihn von Sternfeuer.

»Vorlan lebt!« brüllte er. »Wieso ist die Rampe unten? Hat einer von euch einen Im-pulsgeber dabei?«

»Nein!« rief die Telepathin zurück. »Sie wurde ausgefahren, als wir das Schiff fast erreicht hatten. Dann erschienen SENECAS Roboter. Wir mußten uns zurückziehen, aber die Rampe blieb draußen!«

»Die Roboter versuchten, die CHYBRAIN zu stürmen!« schrie Kolsch. »Das Schiff wehrt sie ab! Seine Positronik ist auf unserer Seite, aber was hilft das, wenn wir nicht hi-neinkommen!«

»Dann hat Breck uns noch bessere Raumer zur Verfügung gestellt, als wir glaubten«, knurrte Uster. »Hage, wenn einer von uns in die CHYBRAIN käme, könnten wir dem gan-zen Spuk innerhalb von Sekunden ein Ende machen.«

»Die Positronik sollte von SENECA beeinflußt werden und wehrt sich dagegen«, spekulierte Nockemann. »Aber sie beschränkt sich auf Defensivmaßnahmen. Sie vernichtet die Roboter nicht mit den Waffen des Schif-fes.«

»Wenn einer von uns an den Maschinen vorbeikäme ...!« wiederholte Brick. »Oben

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Page 28: SENECA gegen SOL

ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

die Schleuse am Ende der Rampe. Sie steht weit offen und ist nur mit einem Energiegitter gesichert.«

Plötzlich stellten die Roboter den Kampf ein. Sie blieben vor der MT-1 stehen. SENE-CAS Stimme erklang:

»Atlan ist eliminiert!« verkündete die In-potronik. »Das ist die Strafe, die ich euch an-gedroht habe.«

»Das ... ist nicht wahr!« schrie Sternfeuer entsetzt.

»Davon wüßten wir aber!« »Er spricht von sich in der Mehrzahl«, rief

Nockemann. »Habt ihr gehört? Das kann be-deuten, daß die Integration von Manifest C nun endgültig vollzogen ist!«

»Nein!« Sternfeuer sprang auf. »Sie ist es nicht! Federspiel empfängt etwas von Carch – und ich jetzt auch! Carch ist noch in der SOL, aber schon nicht mehr der, den wir kennen! Er lädt sich mit etwas derart auf, daß er sich wieder mitteilen kann! Er richtet sich dabei eindeutig an Atlan! Er weiß, daß Atlan lebt! Er will ihm sagen, daß ...«

Sie sprach nicht weiter, wurde kreidebleich, begann zu zittern. Nockemann rief nach Blö-del. Der Boden unter seinen Füßen, die ganze SOL schien zu beben. Endlich hatte Sternfeu-er sich wieder gefangen. Sie winkte den ande-ren heftig zu.

»Gebt mir Feuerschutz!« schrie sie. »Was SENECA auch sagt, es stimmt nicht! Hage, Uster – nehmt Vorlan von der Scheibe herun-ter!«

Etwas in ihrer Stimme ließ erst gar keinen Widerspruch aufkommen. Alles geschah nun so schnell, daß Lyta, Kolsch, Henny und San-ny die Absicht der Telepathin erst begriffen, als diese schon auf der Scheibe lag und deren Steuerkontakte berührte. Sie besaß eine eige-ne kleine, bisher nicht benötigte Antriebsein-heit. Ehe Nockemann protestieren oder sie noch zurückhalten konnte, schoß die Solane-rin flach darauf liegend auf die Rampe der CHYBRAIN zu.

»Komm zurück!« schrie Kolsch. »Wenn die Roboter dich nicht töten, verbrennst du im Energiegitter der Schleuse!«

Sie war nicht mehr aufzuhalten, steuerte die Scheibe genau auf das flimmernde Oval zu. Die Kampfmaschinen ruckten herum. Uster

fluchte und nahm sie unter Feuer. »Ich zünde die beiden Schiffe!« drohte

SENECA. »Ich töte Atlan, wenn du nicht ab-bremst und dich meinen Dienern ergibst, Sternfeuer! Wir ... werden ... nicht zulassen ...«

Nockemann überlief es eiskalt. Längst hatte er sich auch aufgerichtet. Niemand wagte zu atmen. Die Energieschüsse der Roboter zisch-ten über die Telepathin hinweg.

Sie zielen vorbei! durchfuhr es Nocke-mann.

Noch zehn Meter! »... werde ... das nicht dulden!« SENECA

stammelte es! Und Sternfeuer war in dem Kreuzer. Das

Gitter stand nicht mehr. Der Weg in die MT-1 war frei.

Blödel tauchte neben Nockemann auf. Die anderen verließen ihre Deckungen und kamen ebenfalls heran. Uster Brick hob den bewußt-losen Zwillingsbruder behutsam auf seine Arme und verkündete wie in Trance:

»Ich gehe jetzt in das Schiff.« »Und wir waren blind!« rief Henny. »SE-

NECA weigert sich immer noch, Menschen zu töten! Die Roboter haben die ganze Zeit über vorbeigezielt!«

Uster setzte sich in Bewegung. »Hinterher!« schrie Henny. »Wir haben uns

selbst alles zu kompliziert gemacht! Das Ma-nifest C mag SENECA vollkommen unter seiner Kontrolle haben – aber eben bis auf diesen einen Punkt! Daher die Widersprüche. SENECA kämpft noch!«

Doch niemand konnte sagen, wie lange noch.

Die über hundert Solaner und Blödel rann-ten los. Die Schüsse der Roboter bildeten ein Gittermuster aus grellen Lichtsperren und fuhren in die Wände des Hangars und Hüllen der Schiffe. Aber sie töteten keinen Men-schen.

Irgendwann war Wajsto Kolsch als letzter in der Schleuse der CHYBRAIN. Er trug Sanny. Irgendwann hatte sich die Schleuse hinter den Gehetzten geschlossen. Irgend-wann standen sie in der Zentrale vor Stern-feuer.

Sie saß im Kommandostand. Ihre Finger lagen ruhig auf den Kontrollen. Eine Reihe

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

von Bildschirmen zeigte den Hangar. Um die MT-1 und die MT-K-20 hatten sich Schutz-schirme aufgebaut.

Nockemann stützte sich mit beiden Händen auf ein Pult und wartete, bis sein Puls sich wieder einigermaßen normalisiert hatte.

Uster hatte Vorlan auf dem Boden abgelegt. Unaufgefordert begann Blödel, den Reglosen mit dem ihm zur Verfügung stehenden In-strumentarium zu untersuchen.

»Wir bringen ihn gleich in die Medostati-on«, sagte Nockemann. »Das können wir doch, oder? Sind wir in Sicherheit, Sternfeu-er?«

»Im Augenblick, ja«, flüsterte die Telepa-thin, immer noch weiß wie die Wand.

»Aber vorher sagst du uns, was in dich ge-fahren ist. Was hat Carch mitgeteilt, Sternfeu-er?«

7. Die Geburt

Ich kann es nicht, Federspiel, es ist zu stark.

Aber ich brauche mich jetzt auch nicht mehr zu wehren. Atlan und ihr Telepathen werdet mich hören!

Es ist in mich zurückgekehrt. Ich bin eins mit mir selbst. So habe ich mich noch nie empfunden, Federspiel!

Ich gebe euch alles Wissen über meine Vergangenheit, das ich selbst jetzt besitze. Vielleicht wird es euch und mir einmal hel-fen. Ihr habt es jetzt bereits in euch. Nur in diesem Augenblick der Verwandlung habe ich noch einmal die Kraft, aus dem auszubrechen, was mich umgibt.

Das Manifest C ist Erfrin! Ich wende mich an dich, Atlan, denn von dir und deinem Team wird es abhängen, ob die SOL noch zu retten ist!

Erfrin wird immer stärker! Die Eroberung der beiden Schiffe hat SENECA einen Schock versetzt! Er ist jetzt schwächer denn je und wird rasch unterliegen. Dann werden die letz-ten Barrieren fallen. Er wird dann vielleicht keine Rücksicht mehr auf Menschenleben nehmen!

Daß es dies bis jetzt immer noch tat und daß er Angst vor einem Versagen vor Erfrin hatte – allein dies verschaffte euch noch den nötigen Handlungsspielraum!

Ihr müßt jetzt ganz schnell handeln! Wer frei sein will, kann dies nur außerhalb der SOL bleiben!

Es zieht mich fort! Die Vernichtung der SOL ist längst einge-

leitet, Atlan! Erfrin plant, sie durch SENECA mit halber

Lichtgeschwindigkeit in die Dunkelzone zu führen! Das bedeutet, daß sie bei dieser Ge-schwindigkeit auch bei eingeschalteten Schutzschirmen unweigerlich in den Staub-massen vergehen muß! Dies soll die Rache für Hidden-X sein!

Die SOL wird die Dunkelzone in genau 104 Tagen erreichen!

SENECA sieht darin noch nicht eine direk-te Tötung aller Besatzungsmitglieder! Wenn der allerletzte Widerstand gebrochen ist, wird auch dies keine Rolle mehr für ihn spielen!

Ich treibe aus meinem Körper heraus! Deshalb sind die neuen Spezialschiffe so

wichtig! SENECA wollte sie tatsächlich nur deshalb von Bord haben, weil er sie nicht über ihre Positroniken beherrschen kann! Er wollte verhindern, daß Solaner mit ihnen aus der SOL entkommen und Erfrins Plan von außen durchkreuzen!

SENECA wird jetzt noch viel weniger zu-lassen, daß ihr flieht! Nützt seine Schwäche aus, solange sie noch besteht! Ihr könnt den Kampf um das Schiff nur von außen führen!

Ich kann euch nicht mehr helfen! Es zieht mich!

Ich kann euch nichts mehr über Erfrin sa-gen, außer, daß er eine körperlose Macht ist!

Flieht, solange noch Zeit ist! SENECA wird nun seine ganze Macht einsetzen! Ihr wißt, daß er dies bisher verhindern konnte!

Nimm die beiden Frauen mit an Bord, At-lan!

Aber achte vor allem auf Tyari! Es ist soweit! Wenn es mir noch irgendwie

möglich sein wird, versuche ich zu helfen, Atlan! Aber jetzt werde ich auf meine Hei-matwelt Cpt zugerissen! Die Erfüllung steht bevor!

*

Federspiel war bis zur Kabinenwand zu-

rückgewichen. Er vernahm alles, was

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Cpt’Carch mit einer fast betäubenden Intensi-tät sendete. Doch er nahm es nicht mehr wirk-lich wahr.

Er sah nur den Bananenkörper, der sich zum dreifachen Umfang aufgebläht hatte und von innen heraus zu glühen schien. Dabei schwebte er nur knapp unterhalb der Decke und zuckte, als wollte er etwas von sich ab-schütteln.

Sternfeuer! dachte der Telepath verzweifelt. So oft hatte er seit Beginn der unheimlichen Veränderung Carchs versucht, die Schwester zu erreichen, und nur einmal hatte sie kurz geantwortet. Doch er wollte und konnte nicht fliehen, Carch nicht im Stich lassen.

Dabei war es unsinnig zu glauben, dem Cpt’Cpt helfen zu können. Carch – oder das, was schon aus ihm geworden war – mußte den geistigen Kontakt zu Sternfeuer und Bjo blockieren. Federspiel wußte nicht, ob die beiden und ihre Begleiter ihre Ziele inzwi-schen erreicht hatten. Als er jetzt Carchs Bot-schaft erhielt, griff die Panik nach ihm.

Und dennoch konnte er sich nicht lösen. Atlan, Sternfeuer und Bjo mußten Carch

ebenso deutlich vernommen haben wie er. Carch wurde geboren. In diesen Sekunden

widerfuhr ihm das, was er so oft vorausgesagt hatte.

Federspiel hielt den Atem an, als das Zu-cken des aufgeblähten Körpers noch stärker wurde.

Er allein war Zeuge und bemühte sich mit seiner ganzen paranormalen Kraft, das weiter-zugeben, was er sah.

Was es wirklich war, davon konnte er noch weniger ahnen als der Cpt’Cpt selbst. Doch er wußte, daß er etwas ungeheuer Bedeutsamem beiwohnte.

Der Bananenkörper riß auf. Federspiel schrie und hielt sich beide Hände vor die Au-gen. Etwas brach aus der Hülle heraus und raste als bloßer geistiger Impuls durch den Raum. Federspiel konnte ihn nicht sehen, nicht im herkömmlichen Sinn. Er spürte das pulsierende Leben. Das Licht kam aus ihm selbst heraus. Er nahm es als eine ungeheuer starke geistige Kraft wahr, die ihn noch ein-mal zu erreichen versuchte.

Federspiel empfing nur ein Gewirr von Ge-fühlen, die von nie wahrgenommener Eupho-

rie, von Freude und auch von Trauer zeugten; von der bevorstehenden Erfüllung einer Sehn-sucht und von der Schwermut über den Ab-schied.

Dann durchstieß das Licht die Wand. Fe-derspiel konnte es bis zur Außenhülle der SOL verfolgen, bis in den Weltraum. Es wur-de unheimlich schnell.

Cpt’Carch, das Wesen, entfernte sich mit zunehmender Geschwindigkeit von der SOL.

Die körperliche Hülle Carchs klatschte vor Federspiels Füßen auf den Kabinenboden. Sie war nur noch eine braune Masse, in der die Fühler und Knopfaugen versanken wie Wachsgebilde in starker Hitze.

Die beiden Insektenbeine zogen sich kräu-selnd zusammen und wurden eins mit dem Rest – einer schrumpfenden Masse, die sich allmählich schwarz färbte und aufzulösen begann.

Federspiel wurde vom Grauen gepackt. Er drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Die Finger der linken Hand tasteten nach dem Öffnungskontakt der Tür.

In Gedanken sah er Cpt’Carch durch die Korridore der SOL flitzen, hörte er seine zir-pende Stimme und sich selbst über die scheinbar so lustigen Worte des Extras la-chen.

Carch war aus der SOL bald nicht mehr wegzudenken gewesen – und nun sollte nichts von ihm geblieben sein als dieses zerfallende Etwas!

Alles in Federspiel wehrte sich dagegen. Der Telepath mußte sich fast übergeben. Zu allem Überfluß drangen nun Sternfeuers und Bjos telepathische Rufe auf ihn ein.

Federspiel öffnete sich. Er ließ die anderen wissen, was geschehen war.

Carch hatte an die bevorstehende Erfüllung seiner Sehnsucht gedacht!

Dann war dies nicht das Ende, der geistige Impuls nicht die letzte Phase.

Federspiel kämpfte gegen die Übelkeit und Resignation an. Er sah Carch noch einmal als reinen Impuls durch die Kabine schießen, durch die Wand und im Weltraum verschwin-den.

Und er fand ihn wieder! Der geistige Impuls raste eindeutig auf den

Zentrumskern von Xiinx-Markant zu, auf die

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Dunkelzone.

Federspiel konnte ihn verfolgen, auch wenn er in seiner Wahrnehmung schwächer wurde.

Es ist, dachte er, als ob er uns damit ein Zeichen gäbe!

Federspiels Zeigefinger berührte den Kon-takt. Die Kabinentür öffnete sich. Der Tele-path taumelte auf den verlassenen Korridor hinaus.

Er wird nie mehr so sein, wie wir ihn kann-ten! dachte er. Aber was ist er jetzt? Was wird er sein?

Mach dir darüber keine Gedanken! rief Sternfeuer ihn. Du mußt zu uns in die CHYBRAIN kommen!

»Aber ... wie?« fragte Federspiel halblaut. Geh in die Hauptzentrale! Breck wird ver-

suchen, Atlan dorthin zu bringen, sobald er ihn befreit hat! Wir halten hier die Stellung. Wir versuchen es jedenfalls. Und nimm die beiden Frauen mit!

Federspiel schüttelte heftig den Kopf. Du hast Carchs Botschaft doch auch emp-

fangen! Versucht, aus dem Hangar auszubre-chen, Schwester!

Ohne Atlan und ohne Hayes? Ohne dich etwa?

Federspiel preßte sich die Hände gegen die Schläfen. Seine Beine hatten keine Kraft mehr. Das war zuviel gewesen.

Selbst falls es gelang – wer sollte sich in den Spezialschiffen in eine trügerische Si-cherheit bringen und wer dazu verurteilt sein, an Bord der SOL zu bleiben?

Carch muß nicht unbedingt recht gehabt haben, Federspiel! Noch steht die SOL fahrt-los im Raum! Breck wird alles tun, um SE-NECA und Erfrin zuvorzukommen! Nur eine Linearetappe über tausend Lichtjahre hinweg – und wir haben 2000 Jahre Zeit, um SENE-CA zu befreien!

Federspiel antwortete nicht mehr, er wußte nicht, was er noch glauben sollte. Er fand die Tür zu dem Raum offen, in dem Tyari und Barleona sich befinden sollten. Der Raum selbst war verlassen.

Wieso sollte es wichtig sein, daß sie an Bord der Spezialschiffe kamen?

Federspiel schleppte sich über den Korri-dor. Immer wieder mußte er sich an den Wänden abstützen, bis er endlich den Durch-

gang zur Zentrale erreicht hatte. Solania von Terra fing ihn auf, als er stürz-

te. Sie führte ihn zu einem Kontursessel. Cara Doz saß wie auf Sprungfedern. Alles

an ihr war gespannte Erwartung und Bereit-schaft zum Handeln.

»Carch ist fort«, konnte Federspiel nur noch flüstern. »Er ist ...«

Sein Kopf kippte nach vorn. Gallatan Herts rief nach Medorobotern. Sie kamen wie selbstverständlich. SENECA unternahm nichts, um die Solaner in der Zentrale und den drei Schiffszellen irgendwie zu behindern.

Mit einigen Ausnahmen ...

8. Das letzte Aufbäumen Breckcrown Hayes, Curie van Herling, Bjo

Breiskoll, Joscan Hellmut, Argan U und In-sider hatten sich über den Gang verteilt. Hay-es und Bjo standen mit angeschlagenen Waf-fen rechts und links des Türschotts, hinter dem sie Atlan vermuteten. Insider hielt sich in Bereitschaft. Curie hielt über ihr Armband-funkgerät Kontakt zur Zentrale, während Bjo die Gefährten ständig über das informierte, was er von Sternfeuer auffing.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Vorlan Brick ge-rade den Weg in den Haupthangar freige-macht. Was Bjo ihm dazu mitzuteilen hatte, ließ Hayes keinen Augenblick länger zögern.

»Das reicht!« sagte der High Sideryt schneidend. »Tretet zurück!«

Er zerstrahlte den Verschlußmechanismus der Tür, danach die positronischen Schaltele-mente. Das Schott fuhr auf.

Hayes sah Atlan zwischen den Kampfrobo-tern stehen. Schon wollte er in den Raum stürzen, als er sich am Arm gepackt fühlte.

Er fuhr herum und starrte Breiskoll wütend an.

»Was soll das, Bjo!« »Ich kann es nicht genau erklären. Etwas ...

Unkosmisches, Breck. Es ist fast wie bei un-serem Einflug mit der GIRGELTJOFF in die Dunkelzone. Etwas ist dabei, sich um uns herum aufzubauen.«

»Wir sind aber nicht in der Dunkelzone!« Bjo hielt seinen Arm umklammert. Atlan

konnte sich nicht rühren, ihnen kein Zeichen geben. Wieder war er in ein energetisches

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Page 32: SENECA gegen SOL

ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Fesselfeld gehüllt, das jede Bewegung un-möglich machte.

Argan U zog sich weiter zurück. Insider sah sich unsicher um.

»Etwas kommt auf uns zu«, flüsterte Bjo. »Es ist unheimlich, Breck. Wir können nichts unternehmen, bevor wir nicht wissen, was ...«

»Ihr phantasiert doch alle nur!« begehrte Hayes auf. »Dort ist Atlan, zum Greifen nahe! Die Roboter schießen nicht! SENECA blufft!«

Plötzlich waren schleppende Schritte zu hö-ren.

»Bitte, Breck!« flehte Bjo. Nockemann und Uster sind bei Vorlan.

Sternfeuer dringt mit den anderen in den Hangar ein.

Die Schritte wurden lauter. Hayes ließ die Hand mit dem Strahler sinken und gab zu verstehen, daß er warten würde. Atlans starrer Blick war auf Bjo gerichtet. Es war kein Aus-druck in der Miene des Arkoniden erkennbar, keine Warnung, keine Aufforderung – nichts.

»Um Himmels willen!« entfuhr es Curie. »Bei allen Planeten – wer ist das?«

Eine uralte Frau bog in den Korridor ein. Sie war ganz in Lumpen gekleidet und zog ein Bein nach. Ihr Gesicht war von Geschwü-ren übersät.

Sie kam näher. Etwas zwang Hayes und seine Begleiter, vor ihr zurückzuweichen. Bjo konnte nicht zu den Gedanken der Alten vor-dringen.

»Es gibt sie gar nicht«, hörte er sie flüstern. »Das ist ein Trick von SENECA.«

Doch die Alte war real genug. Sie blieb vor der offenen Tür stehen und öffnete den Mund. Bjo sah nur drei Zähne darin und fühlte sich auf fatale Weise an die überwundenen Zeiten der SOLAG-Zwangsherrschaft erinnert.

Aber seitdem war viel Zeit vergangen. Es gab keine Elendssolaner mehr.

Die Alte sah ihn an und sagte mit knarren-der Stimme:

»Du bist der High Sideryt, der neue.« »Ich bin ...!« wollte Hayes auffahren. Bjo legte ihm schnell eine Hand auf die

Brust. »Ich bin Hayes, ja«, sagte er. »Du hast eine

Botschaft von SENECA für mich?« Es war einer von vielen Schüssen ins Blaue

hinein. Bjo machte vielleicht einen Fehler, aber in diesem Moment empfing er Nocke-manns Befehl an Blödel, sich als Breckcrown Hayes auszugeben.

Die Alte blickte ihn prüfend aus listigen Augen an.

»Der neue Chart Deccon, ja. Du hast viel Gutes für die SOL getan, Breckcrown Hayes. Darum paß jetzt ganz genau auf. Ich gebe dir eine Chance. Und eine zweite wirst du nicht mehr bekommen.«

»Wer bist du?« fragte Curie van Herling ängstlich.

»Wer ich bin?« Die Alte kicherte zahnlos. »Denke es dir. Vielleicht heiße ich SENECA. Vielleicht bin ich die Seneca in SENECA. Alles weitere müßt ihr selbst wissen.«

Sie drehte sich um und schleppte sich auf die Tür zu. Bjo war versucht, sie zu stützen. Sie stieß ihn zurück.

Sie trat über die Schwelle – und ver-schwand!

»Das ist nicht wahr!« entfuhr es Curie. »Sagt, daß ich Gespenster sehe.«

»Ich täte dir gern den Gefallen«, murmelte Bjo. »Nur bin ich der Ansicht, daß dies wahr-haftig eine letzte Warnung an uns war.«

»Von SENECA?« Hayes lachte bitter. »Wenn er vieles kann, das nicht!«

Bjo brauchte nicht zu antworten. Das Fesselfeld um Atlan herum erlosch.

Und wenn man ganz genau hinsah, war nur das bläuliche Flimmern zu erkennen, das den Türrahmen umspielte.

Die Kampfroboter zogen sich zurück, lie-ßen die Waffenarme sinken und begannen in dunklem Rot zu glühen.

Die Zeit schien sich zu dehnen, Atlan durch einen zähen Morast auf die Solaner zuzuwa-ten. Bjo krümmte sich unter plötzlichen Schmerzen in seinem Kopf.

Es war wirklich so! Die Zeit verging hier viel langsamer als im Haupthangar, von wo Breiskoll weiterhin Sternfeuers Eindrücke empfing.

Nockemann und Uster mit der Antigrav-scheibe im Hangar! Der Kampf gegen die Roboter! Dann Carchs Botschaft!

Bjo empfing sie wie Sternfeuer. Er hörte von Erfrin, dem Manifest C, und seinem teuf-lischen Plan.

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Atlan näherte sich unglaublich langsam,

aber stetig der Türschwelle. SENECA kann vieles, aber das nicht! Erfrin konnte es! »Es ist das Manifest C!« schrie Bjo.

»Breck, wenn wir Atlan nicht für alle Zeiten verlieren wollen, müssen wir im gleichen Moment wie er über der Schwelle sein!«

Der Arkonide öffnete den Mund, rief etwas, doch kein Schall drang an die Ohren der So-laner.

»Nein!« durchfuhr es Breiskoll. Hayes und die anderen müssen auf der SOL bleiben! Federspiel wird ihnen alles sagen, was Carch ...

Atlan streckte eine Hand aus. Sie löste sich zu nichts auf.

»Bleibt zurück!« rief der Telepath. »Ver-sucht, euch zu Federspiel oder zu Sternfeuer im Hangar durchzuschlagen! Stoppt die SOL! Ich versuche ...!«

Atlans Arm verschwand. Federspiel hörte zu denken auf, ließ sich von bloßen Gefühlen treiben. Er sprang vor, auf den Arkoniden zu. Noch ein Meter trennte sie voneinander – und das Entstofflichungsfeld.

Er fühlte sich zurückgerissen, wirbelte her-um und sah Hayes, der ihn zu halten versuch-te.

Atlans Gesicht war nicht mehr zu sehen. Die Roboter zerschmolzen von innen heraus.

Verzweifelt versuchte Bjo, den High Side-ryt von sich abzuschütteln.

»Verstehst du denn nicht?« schrie er ihn an. »SENECA, der noch kämpfende Teil von SENECA schickte uns die Projektion der al-ten Frau, um uns zu warnen! Du mußt auf der SOL bleiben, Breck!«

»Und du auch!« Mit einem Ruck versuchte der Telepath

sich loszureißen – und zog Hayes, der sich an ihn klammerte, mit in das Feld.

Sie und der Arkonide verschwanden vor den entsetzten Augen der Freunde.

*

Federspiel kam zu sich. Er sah eine faustgroße Sonde über seiner

Brust kreisen und den kleinen Medoroboter, dem sie ihre Befunde zufunkte. Um den Kon-

tursessel herum standen die Stabsspezialisten, die nicht mit Hayes gegangen waren.

Sie alle wirkten erschüttert. Federspiel wartete, bis er sich wieder voll-

kommen gesund fühlte, und drückte mit einer Hand die Medosonde weg. Sie verschwand in einer Öffnung des Robots.

»Du kannst reden?« fragte Solania besorgt. Er nickte. Viele Dinge schossen ihm durch

den Sinn. Wo sollte er anfangen? Unbewußt hatte er bereits den Kontakt mit

Sternfeuer und Bjo gesucht, außerdem nach dem geistigen Impuls von Cpt’Carch ge-forscht. Er konnte ihn nach wie vor schwach orten. Sein Kurs führte unbeirrt in die Dun-kelzone.

Sternfeuer befand sich mit ihrer Gruppe in der CHYBRAIN.

Von Bjo allerdings war nichts wahrzuneh-men. Das völlige psionische Schweigen konn-te nur zweierlei bedeuten. Bjo war entweder nicht mehr in der SOL – oder tot.

»Was ist mit ihm?« fuhr Federspiel auf. »Was ist mit Breiskoll?«

Solania und Gallatan Herts wechselten ei-nen Blick, als fragten sie sich, ob sie dem Telepathen die schlimme Nachricht schon zumuten konnten.

Sie brauchten sie nicht auszusprechen. Er las sie in ihren Gedanken.

»Sie sind fort«, flüsterte er. »Von SENECA entstofflicht. Bjo, Atlan und Hayes.«

»Curie ist in der Nähe des Feldes geblie-ben«, erklärte Herts. »Sie gibt uns sofort Be-scheid, sobald sich dort wieder etwas ereig-net. Hellmut, Argan U und Insider sind auf dem Weg zurück hierher. Bei ihnen sind auch Tyari und Barleona.«

Federspiel sprang auf und drehte sich zu Cara Doz um. Die Chefpilotin blickte ihn er-wartungsvoll an, als ahnte sie bereits etwas.

»Bevor Carch geboren wurde, konnte er At-lan, Sternfeuer, Bjo und mir verraten, wer das Manifest C ist und was es mit uns vorhat. Ich hoffe wenigstens, daß er auch Atlan erreicht hat.« Schnell faßte er das in eigene Worte, was Carch mitgeteilt hatte. »Cara, wir müssen unbedingt versuchen, die SOL von der Dun-kelzone fortzubringen, solange das überhaupt noch möglich ist!«

»Ohne die Verschwundenen?« fragte Sola-

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

nia entsetzt.

Herts fuhr sich mit einer Hand über das ha-gere Gesicht mit den tiefliegenden Augen und der langen Nase. Er wirkte sehr müde.

»Es hat wohl nicht viel Sinn, SENECA nach den dreien zu befragen«, knurrte der Ex-Magnide. »Ich glaube, daß er uns lähmen wollte. Und das hat er auch hervorragend ge-schafft. Er weiß, daß wir ohne Breck, Atlan und Bjo nirgendwohin aufbrechen. Das ist doch richtig, SENECA?«

»Leider muß ich dir widersprechen, Galla-tan«, sagte die Positronik. »Selbstverständlich werdet ihr aufbrechen.«

»Ja!« schrie Federspiel. »Zur Dunkelzone, wenn wir weiter nur reden! Gallatan, während Brecks Abwesenheit mußt du das Kommando über die SOL übernehmen! Wir haben nur eine Chance, die drei Verschollenen wieder-zufinden, wenn wir selbst leben! Cara muß die SOL in Sicherheit bringen!«

»Nach der Beschreibung, die Curie uns gab, muß es sich bei dem Entstofflichungsfeld um so etwas wie einen Ego-Transmitter ge-handelt haben«, überlegte Herts. »SENECA kann ihn nur mit Erfrins Wissen und Hilfe aufgebaut haben.«

»Was macht den Unterschied?« fuhr Feder-spiel ihn an. »Wie kannst du überhaupt so ruhig sein! Wohin habt ihr Atlan, Hayes und Bjo gebracht, SENECA?«

»Ich erbitte nähere Angaben zu den ge-nannten Personen«, sagte die Positronik. »So-laner mit diesen Namen finden sich nicht in meinen Speichern. Also existieren sie auch nicht.«

»Nicht schon wieder!« stöhnte Solania. »Gib Cara den Befehl, die SOL in Bewe-

gung zu setzen, Gallatan!« forderte Feder-spiel.

Die neue Chefpilotin antwortete für Herts: »Ihr könnt aufhören, euch zu streiten. Es ist

sinnlos geworden. Unsere Überlichttriebwer-ke sind bereits blockiert, ebenso die Antriebe und Steuersysteme der Beiboote.«

Federspiel starrte sie entgeistert an. Sie zuckte die Schultern.

»Jeder kann sich selbst davon überzeugen. Hier. Setzt euch vor die Kontrollen und seht selber.«

Eisiges Schweigen breitete sich aus. Nie-

mand zweifelte an Caras Worten. Und alle wußten, was sie bedeuteten.

Das Verderben hatte sich leise und unbe-merkt an Bord geschlichen, und leise bereitete es den Untergang des Schiffes vor, das viele für unbesiegbar gehalten hatten.

Doch von innen heraus, dort wo sein Herz schlug, war es verletzlicher als die ver-gleichsweise primitiven Raumer vergangener Jahrhunderte.

SENECA antwortete auf keinen Anruf mehr.

*

Der Himmel war düster. Kein einziger

Stern stand am Firmament. Nur weit im Wes-ten war ein dunkelrotes Glühen zu sehen. Dort zeichnete sich am Horizont schwach etwas ab, das eine Stadt sein konnte.

Atlan, Hayes und Bjo standen irritiert in ei-ner Einöde, wie sie sie trostloser kaum einmal erlebt hatten. Auf dem trockenen und rissigen Boden wuchs nichts. Er wirkte wie eine Krus-te, wies weder Staubablagerungen noch Ge-röll auf.

Keine Sonne – und doch herrschte ein trü-bes Dämmerlicht auf der Ebene. So weit das Auge reichte, zeigte sich kein Leben.

Die Schwerkraft lag bei einem Gravo. Eine Lufthülle existierte nicht. Dennoch atmeten die drei Männer normal.

Hayes hatte es inzwischen aufgegeben, nach der SOL Ausschau zu halten. Er ballte die Fäuste und brachte wütend hervor:

»Diese Welt gibt es gar nicht! Es kann so etwas nicht geben. Wir müßten längst erstickt sein!«

»Sind wir aber nicht«, knurrte Atlan. »Es paßt zu dem, was Carch uns mitteilte. SENE-CA scheut sich noch, menschliches Leben zu vernichten. Daher fand er diese Lösung, uns von Bord zu bringen.«

»Du meinst Erfrin«, sagte Bjo. »Das Mani-fest C.«

Hayes schüttelte den Kopf. »Sagt, was ihr wollt. Ich weigere mich ein-

fach, dies hier als Realität anzuerkennen.« Atlan sah zu den undeutlichen Erhebungen

am Horizont hinüber. »Wenn etwas in SENECA das Leben noch

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

respektiert, muß er uns alle Möglichkeiten zum Überleben gegeben haben. Wir sollten uns umsehen und dann erst weiterreden, Breck. Und vielleicht steckt ein ganz anderer Sinn dahinter, daß wir immerhin nicht ins Nichts geschleudert wurden, sondern auf die Oberfläche einer Welt.«

»Einer toten Welt«, murmelte Bjo. »Ich kann keine Gedankenimpulse irgendwelcher Bewohner empfangen.« Zögernd fügte er hin-zu: »Nur ganz dumpf etwas anderes.«

»Unkosmisches?« fragte Hayes sarkastisch. »Wie vor dem Aufbau des Entstofflichungs-felds?«

»Wie in ganz Xiinx-Markant«, antwortete Bjo trotzig. »Und besonders in der Dunkelzo-ne!«

Ein leichter Wind kam auf; Wind, wo es keine Luft gab, die bewegt werden konnte. Dann begann es von Wolken zu regnen, die nicht existierten.

Die Stadt! meldete sich Atlans Extrasinn. Ist dies nicht Hinweis genug, daß ihr euch die Stadt ansehen sollt?

Aber bis dorthin mußten es Dutzende von Kilometern sein. Entfernungen ließen sich in diesem Licht gar nicht oder nur schwer ab-schätzen.

»Wir haben kein Fahrzeug zur Verfügung«, hörte Atlan sich sagen. »Nur ihr beide seid bewaffnet, Breck und Bjo. Wir tragen unsere leichten Bordkombinationen und werden er-frieren, sobald SENECA sich auch noch Schnee und Frost einfallen läßt.«

Hayes starrte ihn an wie einen Geistesge-störten.

»Das alles ist wichtig, ja?« fragte er heftig. »Wir stehen hier herum und reden, als befän-den wir uns in einer Diskussionsrunde an Bord der SOL. Willst du etwa andeuten, SE-NECA hätte auch jetzt noch Einfluß auf uns? Verdammt, warum sind wir eigentlich so ru-hig? Wir sind von allem abgeschnitten und werden hier sterben!«

Versucht nicht, etwas zu begreifen, das sich nicht verstehen läßt! mahnte der Extrasinn.

»Es kommt näher«, flüsterte Bjo. »Fast wie vorhin auf dem Gang.«

Noch während er redete, schlug der Regen in Schnee um, und aus dem lauen Wind wur-de ein Eissturm.

Was zwang mich, auf das Entstofflichungs-feld zuzugehen, obwohl ich sah, wie die Alte verschwand? dachte Atlan.

Ich sprach von Schnee und Frost – und ... Er fuhr herum und packte die beiden ande-

ren an den Armen. Er folgte einer plötzlichen Eingebung. Seine Finger schmerzten bereits. Der Sturm rüttelte an ihm.

»Was soll das wieder?« rief Hayes in das Heulen. »Ich ...«

Er vollendete den Satz zwischen den Trich-terbauten der Stadt.

Atlan hörte nicht mehr, was er sagte. Er hatte sich einfach gewünscht, in der

Stadt zu sein, und war da. Und jetzt erst griff die Panik nach ihm. Die Trichterbauten ragten bis zu fünfhun-

dert Meter in die Höhe. Zwischen ihnen hät-ten sich blühende Parks befinden müssen.

Atlan dachte es, und um ihn herum erschie-nen Büsche, Bäume und Blumenbeete.

Es hörte zu schneien auf. Eine weiße Sonne stand am Himmel und spendete Wärme und Licht.

»Kannst du jetzt Gedankenimpulse auffan-gen, Bjo?« fragte er flüsternd.

»Nein! Nur dieses andere, das näher-kommt! Und es gibt eine zweite Macht!«

Hayes rüttelte Atlans Schultern. »Verdammt, kannst du uns endlich sagen,

was das alles bedeutet? Du siehst ja aus wie dein eigener Geist!«

»Das bin ich vielleicht auch«, sagte der Ar-konide ohne Betonung. Er sprach wie in Trance. »Breck, wenn ich jetzt nicht ganz genau wüßte, daß Erfrin und der von ihm be-herrschte Teil SENECAS ein böses Spiel mit uns treiben, dann ...« Erinnerungen, Gefühle, die ihn zu übermannen drohten, eine plötzli-che unkontrollierbare Wut und Verzweiflung – alles das schnürte ihm die Kehle zu.

»Ich habe Arkon nie selbst gesehen, aber Bilder davon«, sagte Bjo leise. »Das ist es doch, Atlan? SENECA hat uns auf deine Heimatwelt versetzt, auf Arkon-Eins.«

Atlan nickte nur. Alles wirkte so echt. Nur die Arkoniden

fehlten.

*

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Page 36: SENECA gegen SOL

ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Es war nicht Arkon. Es war eine perfekte

Kulisse, doch besaß SENECA überhaupt alle die Informationen, um eine solche Szenerie aufzubauen?

Atlan fing sich. Es kostete mehr Kraft, als er auf die Dauer aufbringen konnte, diese Umgebung zu ertragen. Sie war ein Hohn auf ihn. Doch anders gesehen – eine Provokation, mit der ein bestimmter Zweck verfolgt wur-de?

Es ist die einzige logische Erklärung! sagte der Extrasinn. Denke weiter! Bjo spricht von nunmehr zwei Kräften, die er spürt!

»Hört zu!« wandte Atlan sich an seine Be-gleiter. »Es kann nur eine Erklärung geben. Du hattest recht, Breck. Wir existieren quasi nur als Geister, als Bewußtseinsinhalte ir-gendwo in SENECA – oder viel mehr zwi-schen ihm und Erfrin.«

Hayes lachte rauh und tippte sich gegen die Stirn.

»Du meinst, wir sind in der SOL? Wir ha-ben sie niemals verlassen?«

Atlan nickte heftig. Mit Sorge sah er, wie Bjos Gesicht sich verzerrte. Und nun konnte auch er die Annäherung von etwas Drohen-dem spüren.

»Wir werden wahrscheinlich nie verstehen, was mit uns geschehen ist. Ich bezweifle auch, daß SENECA allein das bewirkt hat. Dann aber kämpft er mit uns gegen Erfrin, indem er sich einen Teil von diesen Kräften zunutze macht. Versteht ihr? SENECA führt immer noch einen verzweifelten Kampf. Der noch freie Teil von ihm kann nun nichts mehr gegen Erfrin ausrichten. Er hofft, daß wir das können!«

Hayes stieß die Luft aus. Er konnte es im-mer noch nicht glauben.

»Erfrin ist die drohende Macht, Breck. SE-NECA ist vermutlich die, die unsere Wünsche in Pseudo-Realitäten umsetzte. Der Kampf in SENECA hat sich auf eine andere Ebene ver-lagert. Wir sind nur Statisten, aber müssen Möglichkeiten haben, eine Entscheidung her-beizuführen.«

»Indem wir auf dieser Ebene gegen Erfrin kämpfen!« schrie Bjo. »Und es beginnt ... jetzt!«

»Ihr seid verrückt!« konterte Hayes. »Mich interessiert nur eines, nämlich wo dann unsere

Körper sind! Und wie wir in sie zurückfin-den!«

Seine Stimme ging in einem plötzlich ein-setzenden Brausen unter. Die Sonne verblaß-te. Wieder setzten Eiseskälte und Sturm ein.

»Dort!« schrie Bjo. Er deutete mit zittern-dem Arm in den Himmel. »Das ist Erfrin!«

Eine glühende Kugel raste mit unglaubli-cher Geschwindigkeit heran, eine Sphäre aus Feuer und Kälte, die Tod und Vernichtung ausstrahlte. Wo sie über die Trichterbauten schoß, zerfielen diese zu nichts.

»Die Kugel kommt auf uns zu!« rief Hayes. »Werft euch hin!«

Doch damit retteten sie sich nicht.

* Atlan wußte, daß er nicht das Manifest C so

sah, wie es wirklich war. SENECA visuali-sierte hier Macht, Schrecken, Aggression. Atlans bange Frage war: Was geschieht mit uns, wenn wir hier, in dieser Pseudo-Existenz, vom Pseudo-Erfrin getötet werden?

Und war es denn wirklich nur eine Schein-welt, aufgebaut von SENECA mit den un-glaublichen Machtmitteln eines gnadenlosen Gegners?

Fast war der Arkonide versucht, seinen Tod auf dieser Ebene gezielt herbeizuführen, in der Hoffnung, daß SENECA ihn und die bei-den Freunde im letzten Moment entmateriali-sieren und an Bord der SOL normal stofflich werden ließ.

Es gab zu viele unbekannte Faktoren. Und außerdem besaßen die Männer die Wahl gar nicht.

Die flammende Sphäre kam über ihnen zum Stillstand. Sie strahlte eine Kälte aus, die in die Nähe des absoluten Nullpunkts zu rü-cken war. Atlan machte sich keine Gedanken mehr über diese neue Unmöglichkeit.

»Wenn wir kämpfen sollen, dann nur mit unseren Mitteln!« schrie er Hayes und Bjo zu. »Also schießt auf das Etwas!«

Es war so, als attackierten Wilde mit Blas-rohren ein Schlachtschiff.

Die Sphäre senkte sich langsam herab. Noch war sie gut zweihundert Meter über den Verzweifelten. Hayes und Breiskoll feuerten mit Impulsstrahlern. Die tödlichen Energien

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

verschwanden Meter vor dem Glutball ein-fach aus diesem Universum. Atlan glaubte für einen Moment, ein höhnisches Gelächter in sich zu hören.

Hayes schleuderte den Strahler wütend von sich.

»So kommen wir nicht an Erfrin heran!« Aber was können, was sollen wir tun! dach-

te Atlan. Noch hundert Meter. Der Boden um die

Männer herum wölbte sich auf und zersprang klirrend in Millionen Kristalle. Die letzten Trichterhäuser stürzten ein.

Wir denken, daß wir leben wollen! Deshalb leben wir hier!

»Unsere einzige Waffe sind die Gedan-ken!« rief der Arkonide. »Denkt an die Ver-nichtung der Sphäre! Denkt, daß sie ver-schwinden soll! Aus dieser Welt und damit aus SENECA!«

Er versuchte es bereits. Er zwang sich, in die strahlende Helligkeit zu sehen und dachte intensiv daran, sie möge erlöschen.

Und sie wurde schwächer! »Es klappt!« triumphierte Atlan. »Breck,

Bjo, wir können es tatsächlich schaffen!« Erlösche! Verschwinde! Löse dich auf! Das Licht begann zu flackern. Die Sphäre

schien sich zusammenzuziehen. Es war nicht genau zu erkennen, ob sie nur schrumpfte oder sich entfernte.

»Die zweite Macht greift ein!« rief Bjo. Ein zweites Licht erschien am Himmel,

wärmer und schwächer. Atlan hatte das siche-re Gefühl, es habe nur auf diesen Augenblick gewartet, in dem sein Gegner an Kraft verlor.

Dennoch war es tausendfach unterlegen. Atlan hielt den Atem an. Dann entsprach das Kräfteverhältnis der beiden Sphären dem Zu-stand von und in SENECA?

»Nicht nachlassen!« warnte Atlan seine Begleiter. »Denkt! Denkt! Kämpft mit den Gedanken!«

Noch einmal flackerte Erfrin. Das kalte Licht, zuckte. Flammenspeere schossen aus ihm heraus wie die Protuberanzen einer Son-ne.

In diesem Moment griff SENECA ein. »Wir müssen ihn stärken!« Das war Hayes. Atlan konnte nicht schnell

genug widersprechen. Bjo und Hayes kon-zentrierten sich darauf, SENECA Kraft »zu-zudenken«. Atlan hielt als einziger noch ge-gen Erfrin.

Und das genügte nicht. Die eisige Sphäre blähte sich auf, kam nä-

her, stürzte sich der heranrasenden zweiten Kugel entgegen, die für Augenblicke nur e-benbürtig geworden zu sein schien.

Es war eine kurze und sinnlose Hoffnung gewesen.

Erfrin schickte unsichtbare, aber durch ihre Kälte spürbare Ströme aus, die wie Klauen in den Gegner fuhren und dessen Substanz in die eigene umwandelten.

»Konzentriert euch auf Erfrin!« schrie At-lan. »Nur auf ihn!«

Noch einmal vermochte die Macht der Ge-danken die Sphäre zurückzustoßen. Doch die Wirkung war dem ersten mentalen Angriff nicht mehr vergleichbar. Erfrin war nun vor-bereitet – und zapfte weiterhin Kraft aus dem rapide schrumpfenden Gegner.

Soll uns auch das etwas zeigen? fragte sich Atlan. Etwa wie Erfrin in SENECA eindrang und aus dessen Substanz wuchs? Wie er SE-NECA aussaugte bis auf ...

Bis auf den Rest, der noch widerstand. In dem Augenblick, in dem dieser Rest des

unabhängigen SENECA unterlag, gab es end-gültig keine Rückkehr mehr in die reale Exis-tenz.

Die Kälte griff nun wieder nach den Män-nern. Es gelang nicht mehr, sie abzuwehren. Über ihren Köpfen tobte der phantastische Kampf weiter, und immer mehr Substanz floß von SENECA auf das Manifest C über.

»Wir können Erfrin nicht mehr schwächen! Breck, Bjo, unsere einzige Chance ist, daß wir ihn von SENECA ablenken!«

»Aber wie?« »Wir denken uns fort! Stellt euch die Stelle

vor, an der wir uns hier fanden!« Es war kaum zu verwirklichen. Es gab kei-

ne Orientierungsmöglichkeit auf dieser Pseu-do-Welt. Und daß Erfrin die Verfolgung auf-nehmen und von SENECA ablassen würde, war ebenfalls eher Wunschdenken als be-gründete Hoffnung.

»Jetzt!« rief Atlan. »Das Wichtigste ist, daß wir zusammenbleiben! Denkt an uns drei und

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

an irgendeine Stelle auf der Ebene – nur muß sie weit genug fort sein!«

Sie taten es. Die Trümmerwüste ver-schwand vor ihren Augen. Als sie materiali-sierten, sahen sie die beiden Sphären weit entfernt am Himmel. Von SENECA war kaum noch etwas auszumachen, und wie sehr war Erfrin gewachsen!

»Er folgt nicht!« sagte Bjo heiser. »Es war umsonst!«

Diesmal hatte Hayes den rettenden Einfall: »Wenn wir mit der Kraft unserer Gedanken

Wirkungen erzielen können, müßten wir auch etwas erschaffen können.«

»Du hast recht!« sagte Bjo. »Eine Waffe, eine dritte Sphäre!«

Atlan stimmte nur mit Bedenken zu, denn wie mochte im Fall eines Erfolgs eine dritte Komponente auf den realen SENECA hin-überwirken?

Mußte nicht auch in ihm etwas Neues ent-stehen?

»Uns bleibt gar keine Wahl! Wir versuchen es!« sagte Hayes. »Eine Anti-Sphäre! Denkt eine Sphäre aus Anti-Materie, Anti-Energien und Anti-Licht. Himmel, seht mich nicht so an! In einer verrückten Welt ist der größte Schwachsinnige König!«

»Den Satz merke ich mir für später«, seufz-te Bjo. »Falls es für uns ein Später gibt.«

»Denkt euch dieses Anti-Ding genau in Erfrin hinein!«

Atlan begriff plötzlich etwas von der eige-nen Winzigkeit. Sie waren Staubkörner in einem unwirklichen Kosmos. Was sie bewirk-ten, stand in keinem Verhältnis zu dem, was sie verkörperten.

Sie faßten sich bei den Händen. Als Hayes nickte, richteten sie die Blicke auf Erfrin und konzentrierten sich noch einmal.

Der Himmel schien aufzureißen. Wie Irr-lichter, die in allen Farben schimmerten, drangen Leuchterscheinungen von überallher auf die kalte Sphäre ein. Das Nichts schien sie auszuspeien. Und in Erfrin loderte es dunkel.

Flieh, SENECA! Erfrin blähte sich zur hundertfachen Größe

auf. Der winzige Ball SENECA entfernte sich rasch von ihm. Die von ihm, Hayes und Bjo hervorgerufenen Gewalten in Erfrin machten den Arkoniden schaudern, stachelten ihn aber

auch zum Nachsetzen an. Jetzt oder nie fiel die Entscheidung.

Die Sphäre war wie eine Sonne vor der endgültigen Explosion. Wenn sie zur Nova wurde, mußte sie die Ebene und die drei Staubkörper darauf mit sich in den Untergang reißen. Atlan schwitzte am ganzen Leib. Die Kälte um ihn herum war sengender Hitze ge-wichen.

Und die Temperatur stieg weiter an. Eben noch in der Gefahr zu erfrieren, sahen die Männer sich nun in einem Glutorkan, der sie in allerkürzester Zeit zu Asche verbrennen mußte. Bjo löste sich und schrie. Hayes riß sich die Hände vor das Gesicht. Atlan hörte sich selbst schreien.

Sie hatten die Sphäre aus ihrem mentalen Griff verloren. Erfrin zog sich wieder zusam-men, war strahlender und stärker denn je.

Wir haben genau das Gegenteil von dem er-reicht, was wir wollten! durchfuhr es Atlan.

Erfrin griff wieder an. »Wir müssen weiterfliehen! Hört ihr! Jetzt

haben wir ihn auf dem Hals!« Konnte das SENECA retten? SENECA, die

SOL und alle ihre Bewohner? Atlan hätte das Opfer gebracht, wenn er

sich seiner Sache nur wirklich sicher gewesen wäre.

»Er stürzt sich auf uns! Fort von hier!« Er dachte an einen weit entfernten Ort,

nicht auf dem Planeten, sondern irgendwo im Weltraum, am Ende des Pseudo-Universums.

Es funktionierte nicht mehr. Bjo, Hayes und er blieben an Ort und Stelle. Auch die Hitze ließ sich mit einfachen Wünschen nicht mehr abhalten.

»Es ist zu Ende!« schrie Bjo in Panik. »SENECA hat nicht mehr die Kraft, unsere Gedanken in Wirkungen umzusetzen! Erfrin hat gesiegt!«

Die Sphäre SENECA schimmerte nur noch wie ein hundert Lichtjahre entfernter Stern am Himmel. Erfrin schoß flammend heran. Die Ebene zerbröckelte oder fing Feuer. Atlan konnte nicht mehr atmen. Alles, was ein Le-ben in dieser Unmöglichkeit möglich gemacht hatte, schwand dahin.

Hayes lag am Boden, die Arme in den Na-cken gelegt. Auf seinem Rücken tanzten win-zige, blaue Flammen. Die Umgebung war in

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

blendende Helligkeit getaucht. Erfrin nahm fast das gesamte Firmament ein.

Atlan fiel vornüber. Er sah schwarze Punk-te vor den Augen, hielt den Atem an, glaubte, daß seine Lungen auseinanderplatzen müßten.

»Wo blieb nun SENECA, der kein mensch-liches Leben vernichten will!«

Wer hatte es geschrien? Konnte sich in die-sem nun einsetzenden Brausen und Toben überhaupt noch jemand verständlich machen? Die Glut fraß sich in Atlans Körper. Feu-erstürme fegten über ihn hinweg. Die Ebene bebte und gab nach. Atlan fiel ...

Und dann glaubte er den Stern SENECA zu sehen, der wuchs und herankam. Nicht Atlans Augen zeigten es ihm. Das Bild entstand im Zentrum seines Bewußtseins. Die Lichtkugel dehnte sich in ihm aus, wehrte Hitze, Schmer-zen und Glut von ihm ab, gab ihm Luft zum Atmen.

Es ging so schnell, daß Atlan erst begriff, als die Sphäre SENECA bereits heran war. Auf ein Zehntel des vorherigen Umfangs ge-schrumpft, stürzte sie sich noch einmal in das von Erfrin entfesselte Chaos, breitete ihr Licht und ihre Wärme über die Todgeweihten und riß sie aus ihrem Alptraum.

9. Der Ausbruch

Sie stürzten vor den Augen der völlig ent-

geisterten Curie van Herling aus dem Tür-rahmen, wo aus dem Entstofflichungs- ein Wiederverstofflichungsfeld geworden war. Sie fielen hin und blieben erschöpft und schwer atmend auf dem Korridorboden lie-gen. Ihre Gesichter waren vom Erlebten ge-zeichnet. Atlan, Bjo und Hayes besaßen noch alle Erinnerungen an den Kampf in der irrea-len Computerwelt, in die sie auf so unglaubli-che Weise integriert worden waren.

Sie hatten keine Verletzungen davongetra-gen. Ihre Haut wies nicht die Spur einer Verbrennung auf.

Atlan kam als erster wieder zu Kräften. Der Zellaktivator schickte seine belebenden Strö-me durch den Körper des Arkoniden. Atlan richtete sich halb auf und sah Curie in ihr Armbandfunkgerät sprechen.

Erst dann kam sie heran und stützte ihn. Es schien sie Überwindung zu kosten, und er

wäre der letzte gewesen, es ihr zu verübeln. »Wo wart ihr?« fragte die Stabsspezialistin

leise. »Bei allen Planeten, wir glaubten schon ...«

Atlan legte ihr einen Arm um die Schulter und kämpfte den letzten Rest von Benom-menheit nieder, versuchte den Nachhall des geisterhaften Geschehens aus seinem Be-wußtsein zu verscheuchen.

»Wir glaubten alle so vieles, Curie. Fast nichts davon hat sich als zutreffend erwie-sen.« Er drehte sich mit ihr zu Hayes und Bjo um, die sich gegenseitig aufhalfen. »Mit wem hast du gesprochen?«

»Herts«, flüsterte sie. »Er schickt Medoro-boter. Das heißt, er versucht es.«

Atlan verstand. Er brauchte die Hilfe nicht. Hayes ließ sich mit dem Rücken gegen eine Wand fallen. Bjo starrte auf den Türrahmen, in dem nun die Linien eines Energiefelds wie die Fäden eines Spinnennetzes flimmerten.

Es erlosch. »SENECA hat den Kampf verloren«,

knurrte Hayes. »Er hat uns umsonst bemüht. Curie, du hast uns noch etwas zu sagen, oder? So wie du uns ansiehst ...«

Doch zuerst sprach Bjo: »Ich habe Kontakt mit Sternfeuer! Im

Haupthangar marschieren weitere Roboterko-lonnen auf. Sie bedrohen die neuen Schiffe!«

»Aber sie können ihnen nicht gefährlich werden, oder?«

Bjo schüttelte den Kopf. »Das nicht. Aber verhindern, daß auch nur

eine Fliege jetzt noch an Bord käme.« Hayes brummte etwas Unverständliches. »Und du, Curie?« »Die SOL hat sich in Bewegung gesetzt«,

erklärte die Ex-Magnidin mit einer Stimme, aus der jede Hoffnung gewichen war. »Es ist genauso gekommen, wie Carch es Federspiel und euch mitteilte. Wir fliegen mit fünfzig Prozent Licht auf die Dunkelzone zu und können nichts mehr dagegen tun. Überlicht-triebwerke und Steuerung sowohl der SOL als auch der Beiboote sind von SENECA blo-ckiert worden. Die SOL ist nichts anderes mehr als ein ... als ein fliegender Sarg für uns.«

*

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Die drei Männer und Curie erreichten un-

gehindert die Hauptzentrale. SENECA/Erfrin schien keine Notwendigkeit mehr darin zu sehen, die Bewegungsfreiheit der Menschen an Bord zu beeinträchtigen. Er hatte, wie es aussah, gesiegt.

Nun war es nicht die Art der Solaner, sich so ohne weiteres geschlagen zu geben.

Atlan und Bjo berichteten knapp über den Kampf in der Pseudo-Welt und erklärten, welche Schlüsse sie daraus zogen. Hayes hör-te schweigend zu. Erst als die beiden geendet hatten, trat er in den Vordergrund.

Atlan begab sich zu Tyari und Barleona und wunderte sich erst jetzt darüber, daß er während des Kampfes keinen Moment an eine der beiden gedacht hatte. Dort, wo er gewesen war, schien es nicht einmal eine Erinnerung an sie zu geben.

Aus einem bestimmten Grund? Existierten die Frauen für SENECA und

das Manifest C etwa überhaupt nicht? Sanny hatte noch vor kurzem geäußert, daß

sie weder Tyari noch Barleona berechnen könne. Gab es da eine Analogie?

Beide stellten sich schweigend an die Seite des Arkoniden, Tyari links, Barleona rechts von ihm. Die Blicke, die sie sich zuwarfen, sagten mehr als Worte. Die Blicke, die Atlan galten, waren Offenbarungen, die Sorge, Be-gehren und Besitzanspruch verrieten.

Wieder fühlte der Zwölftausendjährige sich zwischen den Geheimnisvollen hin und her gerissen. Wieder machten sie ihn die Umge-bung fast vergessen, bis Hayes mit lauter Stimme verkündete:

»In Ordnung, wir wissen also jetzt, welches Schicksal Erfrin uns zugedacht hat, und daß wir es aus eigener Kraft nicht mehr abwenden können. Wie du sagst, Cara, können wir die SOL auch nicht mehr dreiteilen. Versteht mich richtig: wir können den Flug nicht auf-halten, werden aber 104 Tage Zeit haben, um gegen Erfrin in SENECA aktiv zu sein. Na-türlich hört SENECA selbst jedes Flüstern und sieht selbst unsere Schatten, wo immer wir uns auch zu verbergen suchen. Wohin seine Optiken nicht reichen, schickt er Spion-sonden. Also kann er ruhig wissen, was wir tun werden – so wie wir wissen, woran wir mit ihm sind!«

Wieso sagt er das? dachte Atlan. Was soll dabei herauskommen?

»Um völlig klare Verhältnisse zu schaf-fen«, fuhr Hayes fort, »tun wir SENECA den Gefallen und schaffen die beiden neuen Bei-boote von Bord. Das geschieht nicht SENE-CA zuliebe, sondern weil sie auch für uns eine zusätzliche Bedrohung darstellen kön-nen.«

Ist er verrückt? durchfuhr es den Arkoni-den. Er wollte auffahren, als er sah, wie Bjo ihn anblickte und beschwörend die Hände anhob.

»Es muß alles von Bord, was nicht direkt der SOL-Führung und damit SENECA unter-steht.«

Das Atlan-Team! Und die ihm unterstellten Besatzungen!

Das also war es! Hayes sprach von der MT-1 und MT-K-20, meinte aber etwas anderes!

Hayes wollte, daß Atlan und seine Leute die SOL mit ihren neuen Schiffen verließen, um den Kampf von außen zu führen. Und Tyari und Barleona auch!

Hayes wählte diese Form, seine Entschei-dung zu verkünden, um Atlan erst gar keine Gelegenheit zum Widerspruch zu geben. Doch konnte er auch SENECA jetzt noch auf diese Weise bluffen?

Atlan fühlte sich überfahren. Doch der Ext-rasinn mahnte ihn, Hayes’ Willen zu respek-tieren. Das Team war eingespielt. Wenn je-mand eine Chance haben mochte, das Verder-ben doch noch aufzuhalten, dann das Atlan-Team.

Niemand aus dem Kreis der Stabsspezialis-ten widersprach dem High Sideryt.

Bjos entrückter Blick verriet, daß er wieder mit Sternfeuer in der CHYBRAIN in Verbin-dung stand.

Hayes sah Atlan herausfordernd an. End-lich nickte der Arkonide.

»Einverstanden«, sagte er. »Nur haben wir dann ein Problem, Breck.«

»Ja?« »Unsere Leute, die die MT-1 stürmten,

müssen wieder heraus. Ich sehe aber nicht ein, daß wir sie den aufmarschierten Kampfrobo-tern präsentieren.«

Es war wie ein plötzliches gegenseitiges Verstehen. Atlan begriff noch während er

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sprach, was Hayes wirklich vorhatte. Und es konnte gelingen!

Der High Sideryt fing den zugespielten Ball auf:

»Der Gefahr, auf der Rampe erschossen zu werden, setzen wir sie auch nicht aus. Also bleibt uns nur eine Möglichkeit.«

»Wir funken sie an und sagen ihnen, daß sie den Transmitter in der CHYBRAIN be-nutzen sollen. SENECA wird eine Gegensta-tion in der SOL zum Empfang freigeben.«

Die Stabsspezialisten, Joscan Hellmut, Ar-gan U und Insider sahen sich verwirrt an. Was sollten sie hiervon halten? Hayes und Atlan gaben sich als Alleinunterhalter. Nur Feder-spiel und Bjo kannten ihre wahre Absicht.

SENECA selbst hatte sie auf die Idee ge-bracht, als er das Entstofflichungsfeld aufbau-te.

Die noch in der Zentrale befindlichen Mit-glieder des Atlan-Teams und die beiden Frau-en hatten keine Chance, den Hangar auf nor-malem Weg zu erreichen. Das Husarenstück der Bricks klappte nur einmal. Außerdem stand jetzt ohne jeden Zweifel fest, daß es keinen kämpfenden Teil von SENECA mehr gab.

Also blieben die Transmitter. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich

auszurechnen, was SENECA/Erfrin an eige-nem Nutzen aus Atlans Vorschlag ziehen würde. Sobald der Bordtransmitter in der CHYBRAIN einmal aktiviert war, konnte er im Handumdrehen von SENECA über die Gegenanlage umgepolt und auf Empfang ge-schaltet werden. Niemand würde von Bord gehen, im Gegenteil.

Atlan eröffnete SENECA, so mußte es die-sem scheinen, den Weg, seine Kampfroboter in die CHYBRAIN zu schicken.

Diesen Moment galt es nun auszunützen, diesen Kampf noch zu bestehen. Wie Wajsto Kolsch, Lyta Kunduran und Henny Lupino dann zu Hayes gebracht wurden, mußte da-nach gelöst werden.

»Hast du verstanden, SENECA?« rief Hay-es.

Die Positronik schwieg.

*

Wie SENECA sich Zeit mit einer Antwort ließ, das erinnerte Atlan schon fast an psycho-logische Kriegsführung. Denn die Hyperin-potronik benötigte allenfalls Nanosekunden, um ihre Entscheidung zu treffen.

Tyari und Barleona folgten Atlan auf Schritt und Tritt. Keine der beiden schien der anderen noch einen Vorteil gönnen zu wollen. Dann und wann brach der Streit lautstark wieder aus, bis Hayes damit drohte, die Frau-en unter strenger Bewachung isolieren zu las-sen.

Tyari hatte dafür nur ein überlegenes La-chen über, schwieg aber fortan.

Endlich konnte Cara Doz vermelden, daß eine der Transmitterstationen in unmittelbarer Nähe der Hauptzentrale sich aktiviert habe.

»Das ist das Zeichen«, sagte Atlan grim-mig. Bjo hatte längst schon bestätigt, daß die Männer und Frauen in der MT-1 über Stern-feuer informiert seien. Der Funkspruch und seine Beantwortung war nur noch Formsache.

Hayes stand auf und nickte den Mitgliedern des Atlan-Teams zu.

»Gehen wir, um unsere Freunde zu emp-fangen. SENECA wird nichts dagegen ha-ben.«

Es konnte der Positronik ganz im Gegenteil überhaupt nicht recht sein. Doch sie durfte es auch nicht zeigen, in dem sie Sperren aufbau-te. Es war mit der MT-1 vereinbart, daß Sternfeuer den Bordtransmitter erst auf ein entsprechendes Funksignal Atlans einschalte-te.

Die kleine Gruppe erreichte die Station oh-ne Zwischenfall. Von Kampfrobotern war noch nichts zu sehen, aber auch das war zu erwarten gewesen. Man sah sie nicht, doch sie standen an den Wänden der Transmitterhalle und warteten auf den Einsatzbefehl, den SE-NECA genau in dem Moment geben würde, in dem Atlan das Signal an die CHYBRAIN abstrahlte.

Hayes nickte nur und sah unauffällig zu den betreffenden Stellen hinüber. Sein Zeigefinger lag wie zufällig auf dem winzigen Zusatzteil seines Armbandgerätes, mit dem sich die Menschen in ihren Deflektorschirmen ein-wandfrei orten ließen.

SENECA/Erfrin fühlte sich so überlegen, daß er den Solanern ihre Waffen gelassen

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hatte.

»Sieht so aus«, sagte Atlan laut, »als wäre die Luft rein.« Wenn auch nur ein einziger Roboter überlebt, ist Breck verloren! »Ich kann das Signal geben?«

Hayes war angesprochen. Er zögerte keinen Moment mit seiner Zustimmung.

Die Aktion war aus purer Verzweiflung ge-boren. Atlan verwünschte die Umstände, die ihm keine Zeit gelassen hatten, einen weniger gefährlichen Plan zu schmieden.

»Mach schon«, knurrte der High Sideryt. »Ihr habt es gehört, Sternfeuer?« »Gehört und verstanden, Atlan! Wir akti-

vieren den Transmitter – jetzt!« Jeder wußte, was er zu tun hatte. Hayes und

Atlan wirbelten herum und eröffneten das Feuer auf die Standorte der Roboter. Bjo, Fe-derspiel und Insider schossen ebenfalls. Hellmut warf eine Mikrobombe von geringer Sprengkraft. Die Umrisse der Maschinen wurden sichtbar, als auch schon die Hälfte von ihnen als Wracks zu Boden kippten.

Aber das reichte nicht! Drei Kolosse waren noch handlungsfähig

und schwenkten die Waffenarme auf die Geg-ner, die Treffern durch schnellen Stellungs-wechsel zu entgehen suchten. Hellmut packte Argan U und schob ihn ins Entstofflichungs-feld. Dann verschwanden Insider und Barleo-na. Hayes und Atlan konnten noch jeweils einen Roboter zerstören. Dann war der dritte und letzte vor ihnen und schoß mit Paralyse-strahlen.

Die beiden Männer sanken gelähmt nieder. Der Roboter drehte sich und machte das nächste Ziel aus. Bjo und Federspiel warfen sich hin.

Da handelte Tyari. Atlan lag so, daß er sehen konnte, wie sie

die rechte Hand leicht gegen den linken Är-mel ihrer engen Kombination drückte. Er gab ihr keine Chance und konnte nur daran den-ken, daß alles vergeblich gewesen sein mußte. SENECA würde den Transmitter jeden Mo-ment desaktivieren.

Rettet wenigstens ihr euch, Bjo und Feder-spiel! dachte er heftig. Rennt in den Transmit-ter!

Aus Tyaris Ärmel schoß ein nadelfeiner blauer Energiestrahl auf die Maschine zu,

dicht unter der nach oben gebogenen Hand. Der Roboter stoppte auf seinem Vormarsch.

Tyaris Waffe zerschnitt ihn regelrecht in Stücke!

Der Kampfkoloß fiel auseinander. Tyari war schon über Atlan und versuchte, ihn ins Entstofflichungsfeld zu zerren. Endlich waren auch Bjo und Federspiel wieder auf den Bei-nen und kamen heran. Gemeinsam packten sie mit an.

Die dröhnenden Schritte einer zweiten Ro-botkolonne waren bereits zu hören. Stand das Feld noch? Was geschah nun mit Hayes? At-lan wollte sich wehren, wollte den Freund nicht im Stich lassen. Verzweifelt versuchte er Bjo und Federspiel dazu zu bringen, den High Sideryt ebenfalls mit in die CHYBRAIN zu nehmen.

Dann befanden sie sich auch schon in ihrem Schiff. Nockemann und Blödel nahmen den Arkoniden in Empfang. Kolsch, Lyta Kundu-ran und Henny Lupino standen am Transmit-ter. Sie gerieten in Atlans Gesichtsfeld. Er sah die Blicke, die sie sich schnell zuwarfen, und ahnte ihre Absicht.

Er konnte die Telepathen nicht schnell ge-nug warnen. Kolsch polte den Transmitter um. Als die Kontrollanzeige aufleuchtete, sprangen er und die beiden Solanerinnen ne-ben ihm gleichzeitig in den Torbogen.

»Narren!« schrie Sternfeuer. Trotzdem handelte sie augenblicklich, de-

saktivierte den Transmitter und schnitt damit die CHYBRAIN wieder von der übrigen SOL ab. Nur die FARTULOON unter dem auf bei-de Schiffe ausgedehnten Energieschirm bilde-te eine Ausnahme.

Niemand wagte zu reden. Jeder hielt den Atem an und wartete auf die Bestätigung sei-ner bösen Befürchtungen.

Dann endlich drang Lyta Kundurans Stim-me aus den Lautsprechern:

»Wir sind in Ordnung, hört ihr? Die Robo-ter ziehen sich zurück. SENECA weiß jeden-falls noch, wann er verloren hat. Nur ihr be-deutet noch eine Gefahr für ihn. Wir nicht, und deshalb reicht es ihm, wenn wir beim Einflug in die Dunkelzone sterben! Ihr seid die einzige Hoffnung für uns alle, und darum seht zu, daß ihr aus der SOL verschwindet, ohne noch Zeit zu verlieren! Rettet euch jetzt

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und uns später! Viel Glück!«

Damit endete der Funkkontakt. »Das war dann wohl die offizielle Verab-

schiedung des Atlan-Teams«, sagte Hellmut. »Nur, wie bringen wir SENECA und Erfrin bei, daß sie die Hangartore für uns öffnen sollen?«

Gar nicht! dachte Atlan in aufbrausender Wut auf die Positronik, auf Erfrin und alle anderen Manifeste, auf Xiinx-Markant und die Umstände, die ihn und die Solaner in die-se Kriegszelle geführt hatten. Zum Teufel mit SENECA! Sobald die FARTULOON besetzt ist, zerstrahlt die Tore, Sternfeuer!

Er wollte noch etwas hinzufügen. Es reich-te, daß er es unbewußt dachte.

»Einverstanden«, sagte die Telepathin. »Auch mit dem, was du mir eigentlich nicht zumuten willst. Ich verlasse die CHYBRAIN mit Vorlan, Bjo, Argan U, Joscan, Hage, Blö-del und den fünfzig Männern und Frauen, die für die FARTULOON eingeteilt sind. Ich gehe jedoch nicht an Bord der FARTULOON, sondern in die SOL zurück. Ihr braucht eine Kontaktperson hier; die euch jederzeit auf dem laufenden halten kann.«

»Das kommt nicht in Frage!« wehrte Vor-lan Brick ab, inzwischen vom Scientologen-team wieder auf die Beine gebracht. Seine schweren Verbrennungen waren unter dem Einfluß von Spezialsalben verheilt, ohne daß auch nur Narben zurückgeblieben wären. Al-lerdings mußten die Haare von allein wieder nachwachsen. Nockemann und Blödel hatten diesen Prozeß nur beschleunigend einleiten können. In wenigen Tagen würde Vorlan wieder seine alte Haarpracht besitzen.

Federspiel protestierte noch heftiger, doch Sternfeuer blieb hart.

»Wir verlieren uns nicht, Bruder, ich schwöre es dir. Ich lasse mich nicht umstim-men. Und es reicht, wenn ich von Breck das Nötige zu hören kriege. Du schaltest mir ganz kurz eine Strukturlücke, Uster. Die Roboter im Hangar werden nicht schießen.«

*

Es geschah so, wie die Telepathin es gefor-

dert hatte. Insider schwenkte den Konturses-sel, in dem Atlan inzwischen saß, so, daß der

Arkonide die Bildschirme beobachten konnte. Vorlan Brick und die anderen von Sternfeuer genannten Raumfahrer gingen an Bord der FARTULOON. Sternfeuer selbst ging auf den Energieschirm zu und wartete, bis Uster die Lücke für sie schaltete.

Sie war hindurch, bevor die Kampfmaschi-nen diesen Augenblick ausnutzen konnten. Noch einmal galt es, die innere Spannung und die Angst zu ertragen. Doch kein Schuß fiel. Die Roboter packten Sternfeuer und führten sie aus dem Hangar.

»Du hättest es nicht erlauben dürfen, Vor-lan!« fuhr Federspiel den Piloten an.

»Ihr hättest du das klarmachen sollen!« er-hielt er ebenso schroff zur Antwort. »Und jetzt schnallt euch an und macht euch auf ei-nen heißen Tanz gefaßt! Hörst du mich, Gro-ßer?«

»Wenn du so brüllst, brauchen wir keine Funkanlage! Klar und deutlich, Kleiner. Du gibst das Zeichen?«

Uster nickte grimmig. Noch einmal über-prüfte er die Kontrollen.

Die Maschinen der Schiffe liefen an. Um Atlan legten sich selbsttätig die Haltegurte.

Er sah Tyari und Barleona – Tyari überle-gen wie immer, die andere voller Unruhe und Zweifel.

Für ihn war es das Schlimmste, jetzt, da es um Kopf und Kragen ging, zur Untätigkeit verurteilt sein zu müssen. Er sagte sich, daß er sich keine besseren Männer an den Steuer-kontrollen wünschen konnte als die Bricks – doch reichte das?

Plante SENECA nicht noch einen letzten Anschlag?

Würde er das Feuer aus den Geschützen der SOL auf die Boote eröffnen?

»Fertig, Großer?« rief Uster. »Ich schon lange!« »Dann jetzt!« Brick drückte auf den Knopf, der das Im-

pulsgeschütz auslöste, das auf das Hangartor ausgerichtet war. In der FARTULOON ge-schah das gleiche. Die Bildschirme wurden stark abgefiltert. Dennoch schien der entfes-selte Feuersturm in ihnen explodieren zu wol-len.

»Bring dein Schiff raus, Großer!« rief Us-ter.

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Die FARTULOON hob sanft vom Boden

ab und schob sich mit Hilfe ihres Antigravfel-dantriebs durch die Trümmer des Hangartors in den freien Weltraum.

Dann war die Reihe an der CHYBRAIN. Vernichte kein Leben, SENECA! dachte At-

lan inbrünstig. Die CHYBRAIN war aus dem Hangar her-

aus. Vor ihr gewann die Korvette rasch an Fahrt. In der Hülle der SOL klaffte ein häßli-ches Loch, das mit dem Zylinder des Mittel-teils von Sekunde zu Sekunde schrumpfte, bis es ein Licht unter Tausenden war.

Die Fartuloon, nun im Schutz der eigenen Energieschirme, zündete das Impulstriebwerk. Uster stand Vorlan auch darin nicht nach. Atlan hatte nur Augen für die Geschützkup-peln der SOL.

Erst als die mächtige Hantel nur noch ein Schatten vor dem Hintergrund der Sterne von Xiinx-Markant war, als die eigenen Schiffe sich relativistischen Geschwindigkeiten nä-herten, konnte Atlan glauben, daß die Flucht tatsächlich gelungen war.

Für ihn stellte sie den vorläufigen Höhe-punkt einer Reihe von Unmöglichkeiten dar. Doch ob er SENECA begriff oder nicht – wichtig war nun allein, daß sich wenigstens einige Menschen hatten in Sicherheit bringen können.

Von nun an begann der verzweifelte Wett-lauf gegen die Zeit, gegen 104 Tage.

Es war der 17. November 3807.

* Fünf Stunden später: Atlan stand mit Tyari und Barleona zu-

sammen und hörte Federspiel zu, der Kontakt mit der Zwillingsschwester hatte und laut be-richtete, was sie ihm mitteilte. Demnach be-fand sie sich wohlauf mit Hayes und den an-deren Stabsspezialisten in der Hauptzentrale der SOL. Hayes hatte ihr zwar heftige Vor-würfe für ihre Eigenmächtigkeit gemacht, doch bald eingesehen, daß sie genau das Richtige getan hatte.

Überhaupt war in der Hektik der letzten Stunden vieles untergegangen, das sich nun als bedeutsam erwies und noch erweisen konnte. Die Gemüter hatten sich einigerma-

ßen beruhigt. Wenn Federspiel nichts von Sternfeuer zu übermitteln hatte, berichtete er von Carch und dessen Verwandlung in einen reinen Geistesimpuls, den er auch weiterhin orten konnte. Daß nur er dazu in der Lage war, erklärte er sich damit, daß er Zeuge der Veränderung gewesen war, die er nun ein-schränkend nicht mehr mit Carchs »Geburt« gleichsetzte.

»Ich glaube, daß sie erst noch erfolgen wird«, sagte er. »Dann nämlich, wenn er sein Ziel im Zentrum dieser Galaxis erreicht hat – seine Heimatwelt Cpt. Sie hat in der SOL begonnen und wird dort vollendet werden.«

Atlan hatte Carchs letzte Botschaft erhal-ten. Erst jetzt hatte er auch die Zeit und Gele-genheit, sie zu würdigen.

Carch war nicht mehr bei ihm, nicht mehr unter den Solanern, die ihn liebgewonnen hatten. Er war auf dem Weg zu einer anderen Existenz. Was er immer gesagt hatte, es er-füllte sich nun. Doch wie konnte es sein, daß sein Heimatplanet hier in Xiinx-Markant lag?

»Es ist so«, antwortete Federspiel auf eine entsprechende Frage. »Haben wir nicht genug Rätsel mit ihm erlebt? Dies ist ein weiteres und vielleicht das größte. Atlan, der Impuls ist wie ein Zeichen für uns, wie ein ... ein Leuchtfeuer. Irgend etwas sagt mir, daß es wichtig wäre, ihm zu folgen.«

»Ist das eine Kursangabe, Atlan?« fragte Uster.

Der Arkonide legte die Stirn in Falten. Noch weigerte sich sein Verstand zu akzeptie-ren, daß Cpt’Carch, der sich seit langer Zeit in der SOL aufgehalten hatte, von hier gekom-men sein sollte.

Etwa auch als geistiger Impuls, wie Feder-spiel seinen jetzigen Zustand nannte?

Das ergab wenig Sinn, wenn gleichzeitig gesagt wurde, die Entwicklung könnte nur auf Cpt weiterschreiten, Carchs Geburt in seine nächste Existenz nur dort endgültig vollzogen werden. Was sollte er dann an Bord der SOL gewollt haben, zu der es keinen Bezugspunkt für ihn geben konnte.

Und wenn aber doch? »Siehst du jetzt, was ich meine?« fragte

Federspiel. »Wenn Carch aus der Dunkelzone von Xiinx-Markant zu uns kam, dann kann das doch eine Bedeutung haben, oder? Ich

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

sage nicht, daß es sie geben muß! Aber was tun wir jetzt mit unserer zweifelhaften neuen Freiheit? Doch nicht neben der SOL herflie-gen. Wir wissen nichts über Erfrin, nur daß er eine körperlose Macht darstellt. Weitere Auf-schlüsse sollten wir am ehesten innerhalb der Dunkelzone erhalten können, aber nur dann können wir darauf hoffen, eine Möglichkeit zu seiner Abwehr und Vertreibung aus SE-NECA zu finden. Folgen wir Carch also we-nigstens bis in den Zentrumskern, so verbin-den wir eines mit dem anderen!« Federspiel blickte trotzig. »Und außerdem möchte ich wissen, was aus unserem Halbgeborenen wird oder dann schon geworden ist!«

Uster Brick hatte den Pilotensessel herum-geschwenkt und grinste breit über das dunkle Gesicht:

»Sieht ganz so aus, als hätte Federspiel ei-nen gewaltigen Narren an der Banane gefres-sen, aber davon abgesehen, stimme ich ihm zu. Wenn wir etwas gegen Erfrin in die Hände bekommen wollen, finden wir es nicht hier. Und ich bin auch nicht scharf darauf, der SOL als Geleitschutz zum Begräbnis zu folgen.«

Gegen soviel Überzeugungskraft hatte At-lan nichts zu setzen. Seine eigene Entschei-dung war auch längst schon gefallen. Was ihn noch für einen Moment zögern ließ, war wie-der das Gefühl, Hayes und die SOL im Stich zu lassen. Vielleicht sah er sie nie wieder, wenn in der Dunkelzone ähnliche Überra-schungen auf seine beiden Schiffe warteten wie im Fall der GIRGELTJOFF.

»Einverstanden«, sagte er endlich. »Teile Breck und den Stabsspezialisten über Stern-feuer mit, daß wir alles tun werden, um recht-zeitig wieder zurück zu sein, Federspiel. Us-ter, ich möchte die SOL noch einmal sehen, bevor wir endgültig aufbrechen.«

Es war eine Sentimentalität, deren er sich nicht schämte. In seinen Augen waren Tränen einer selten gekannten Erregung, als die CHYBRAIN und die FARTULOON kurz darauf noch einmal die gigantische Hantel des Mutterschiffs umrißhaft vor dem funkelnden Hintergrund der fremden Sonnen und Gasne-bel sah.

Einhundertvier Tage wird sie so dahinzie-hen!

»Und vielleicht«, murmelte Atlan, »finden

wir noch etwas anderes in der Dunkelzone.« Weitere Spuren auf der Suche nach Anti-

ES und den geraubten Koordinaten von Varn-hagher-Ghynnst. Weitere Aufschlüsse.

»Du begehst einen Irrtum«, sagte plötzlich Tyari. Es klang ärgerlich. Sie blickte starr an Atlan vorbei. »Die Spur, der du zu folgen glaubst, ist falsch. Wenn du deine Probleme lösen willst, dann wende dich lieber Bars-2-Bars zu. Erst dort wird es dir gelingen.« Ver-söhnlicher fügte sie hinzu: »Und erst dann kann ich dir auch dabei eine weitere Hilfe sein.«

Wie sie das meinte, erklärte sie nicht. Dafür flüsterte Barleona:

»Wir müssen das Böse vernichten. Allein das ist wichtig!«

»Welches Böse meinst du?« wollte Atlan wissen. »Erfrin in SENECA oder Anti-ES selbst?«

»Ich ... weiß es nicht! Es ist eine Ahnung, Atlan. Manchmal habe ich das Gefühl, als müßten mir bestimmte Dinge einfallen. Aber dann ist es immer nur wie eine Ahnung, die ich nicht weiter konkretisieren kann.«

Tyari lachte verächtlich. Federspiel holte den Arkoniden in die Rea-

lität zurück: »Hayes ist informiert. Er würde an unserer

Stelle das gleiche tun.« Atlan nickte. Die SOL zog schweigend dahin, vom Uni-

versum abgeschnitten. Wie zu erwarten, blo-ckierte SENECA auch alle Funksysteme des Schiffes. Was Atlan und Hayes im Wirbel der Ereignisse nicht bedacht hatten – Sternfeuer hatte es erfaßt und entsprechend gehandelt. Das betrübte den Arkoniden nicht. Es war im Gegenteil gut zu wissen, daß es mehr als nur eine Handvoll Menschen gab, auf die er sich bedingungslos verlassen konnte.

»Kurs Dunkelzone, Uster!« sagte er laut. »Federspiel wird dir und Vorlan genauere Angaben machen.«

Wir werden das Übel an der Wurzel pa-cken! dachte er. Gleichzeitig jedoch hallten Tyaris Worte in ihm nach.

Ein Schritt nach dem anderen! Die beiden Schiffe glitten synchron zuein-

ander in den Linearraum. Sie folgten dem Impuls des entschwundenen Cpt’Carch. Bjo

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ATLAN 111 – Die Abenteuer der SOL

Breiskoll hatte das Kommando über die FARTULOON übernommen.

Atlan dachte kurz an das, was über Dynur aus dem merkwürdigen Extra geworden war. Sollte dies sein Zustand nach der Geburt sein? Eine strahlende Sphäre mit schier unglaubli-chen Fähigkeiten?

Etwas, in dem alle Gesetzmäßigkeiten von Raum und Zeit aufgehoben zu sein schienen?

Atlan konnte es nicht recht glauben. Die vorübergehende Verwandlung Carchs über Dynur war etwas Willkürliches, Spontanes und Impulsives gewesen.

Was nun mit ihm geschah, verlief in ganz anderen Bahnen.

Würde Carch in seiner nächsten Zustands-form noch der Freund der Solaner sein – oder ein Gegner?

Unsinn! dachte der Arkonide. Erst müßten wir ihn überhaupt wieder finden.

Und die Chancen dafür standen – trotz Fe-derspiels »Ortung« – in der Dunkelzone von Xiinx-Markant eins zu tausend.

ENDE

Weiter geht es in Band 112 der Abenteuer der SOL mit:

Impuls der Vernichtung von Horst Hoffmann

Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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