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NEWSLETTER D ie SBAA publizierte am 12. Juni 2013 den überarbeiteten Fachbe- richt «Kinderrechte und die An- wendung der Migrationsgesetzgebung in der Schweiz». Die Medien berichteten ausführlich über die Publikation und auch die ParlamentarierInnen zeigten ein gros- ses Interesse. Anhand 16 dokumentier- ter Fälle wird aufgezeigt, wie die Kinder- rechte in der derzeitigen Anwendung der Migrationsgesetzgebung nur ungenü- gend umgesetzt werden. Ein Problem- bereich ist das Recht des Kindes auf ei- nen regelmässigen Kontakt zu beiden El- ternteilen und der derzeitigen Wegwei- sungspraxis im Asylrecht oder der Nicht- verlängerung der Aufenthaltsbewilligung eines Elternteils. Kein regelmässiger Kontakt Familienväter werden auf- grund eines negativen Asyl- entscheids ausgeschafft, obwohl sie in der Schweiz eine Partnerschaft pflegen und Kinder haben. Diesen April rügte der EGMR die Schweiz und stellte klar, dass es ein übergeordnetes Interesse sei, dass Kinder in der Nähe ihrer Eltern auf- wachsen. Ein nigerianischer Staatsangehöriger kam im Jahr 2001 in die Schweiz und stellte ein Asylgesuch, welches abgelehnt wurde. Er verliess daraufhin die Schweiz und wurde in Deutschland straffällig. Im Jahr 2003 kehrte er in die Schweiz zurück, um eine Schweizerin zu heiraten. Die beiden bekamen Zwillinge. Nach der Trennung lernte er seine aktuelle Schweizer Freun- din kennen, mit welcher er ebenfalls ein Kind zeugte. Die beiden planten an- schliessend ihre Hochzeit. Die Schweiz hat ihm unterdessen seine Aufenthalts- bewilligung aufgrund seiner früheren Strafffälligkeit entzogen. Dagegen legte er Beschwerde ein und gelangte schliesslich an den EGMR, welcher die Schweiz anwies, die Aufenthaltsbewilli- gung zu verlängern. Bemerkenswert ist, dass ein EGMR-Urteil vom 11. Juni 2013 in die gleiche Richtung geht. Ein Bosnier, welcher sozialhilfeabhängig und ver- schuldet ist, darf in der Schweiz bleiben. Sowohl seine Frau, wie auch seine er- wachsenen Kinder leben in der Schweiz. Der EGMR stellt hier klar, dass die Verweigerung der Aufenthaltsbewilli- gung gegen das Recht auf Familienleben verstösst. Vor kurzem reagierten die BundesrichterInnen und lehnten die Wegweisung eines Mexikaners ab, der sich kurz nach seiner Einreise von seiner Schweizer Ehefrau getrennt hatte. Die Begründung lautete, dass er das Be- suchsrecht seines Kindes durch eine Wegweisung nicht wahrnehmen könne. Reaktion des Bundesrats Nationalrätin Bea Heim fragte während der Sommersession, gestützt auf den Fachbericht, ob der Bundesrat bereit sei, Verbesserungen im Interesse von Kind und Familien zu prüfen (13.5259 – Frage- stunde). Die Antwort des Bundesrats macht Hoffnung. Er werde den Fachbe- richt «Kinderrechte und die Anwendung der Migrationsgesetzgebung in der Schweiz» gemeinsam mit den kanto- nalen Migrationsbehörden analysieren und prüfen, ob die Praxis der Wegwei- sungen bzw. beim Familiennachzug an- zupassen ist. Stefanie Kurt, Geschäftsleiterin SBAA Ausgabe September 2013 Missachtung der Kinderrechte Titelbild Fachbericht Kinderrechte Ó Florian Amoser Liebe Leserinnen und lieber Leser «Die Einschränkung der Bewegungsfrei- heit» für Asylsuchende in Asylzentren wie in Bremgarten AG ist für Mario Gat- tiker, Direktor des BfM «völlig normal». Es sei kein Rayonverbot, «es braucht je- doch Spielregeln, damit das Zusammen- leben von Asylsuchenden und Bevölke- rung geordnet abläuft» (Bund, 7. 8.2013). Spielregeln sind in diesem Fall Regeln für die Fremden, diese sollen sich ruhig ver- halten, die ominösen Ängste in der Bevöl- kerung nicht schüren, nicht sichtbar und nicht hörbar sein. Spielregeln sind in mei- nem Verständnis gegenseitige Abspra- chen, Vereinbarungen und nicht einsei- tige behördlich auferlegte, strikte Ein- grenzungen. Regelbrüche können – so das BfM – jedoch nicht sanktioniert wer- den. An Widersprüchlichkeiten sind sol- che Aussagen kaum zu überbieten. Wie weit haben wir es doch gebracht im Verwalten von unerwünschten Men- schen, nicht nur in der Geschichte, auch heute wieder! Mit dem Schlagwort «Äng- ste der Bevölkerung» werden «Andere» global zu Kriminellen gestempelt, wegge- schlossen, ihre Würde wird verletzt, Kon- takte verhindert. Es gibt eine Logik des Handelns: Wenn die Polizei und andere kommunale und nationale Behörden Menschen ausgren- zen und aus der Gesellschaft entfernen, kann dies gleichzeitig auch eine Auffor- derung zu Gewalt sein. Ich erlaube mir einen Vergleich: Die Roma in Ungarn und in der Tschechei – und nicht nur dort – werden von den Behörden systematisch ausgegrenzt und vernachlässigt. Längst sind sie Menschen dritter Klasse. Nazi-- Gruppen haben den nächsten Schritt ge- tan, sie haben Romas überfallen, verprü- gelt, getötet. Ein gewagter Vergleich? Ja, aber – könnte dies auch in der Schweiz vorkommen? Nicht gegen Romas, son- dern gegen die ausgegrenzten Asylsuch- enden. Ich bin allen Menschen dankbar, die sich gegen diese staatlich angeordnete Aus- grenzung öffentlich wehren. Sie setzen damit ein Zeichen für die Bewahrung der Menschenrechte. Ruth-Gaby Vermot, Präsidentin

September D beta

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N E W S L E T T E R

Die SBAA publizierte am 12. Juni2013 den überarbeiteten Fachbe-richt «Kinderrechte und die An-

wendung der Migrationsgesetzgebung inder Schweiz». Die Medien berichtetenausführlich über die Publikation und auchdie ParlamentarierInnen zeigten ein gros-ses Interesse. Anhand 16 dokumentier-ter Fälle wird aufgezeigt, wie die Kinder-rechte in der derzeitigen Anwendung derMigrationsgesetzgebung nur ungenü-gend umgesetzt werden. Ein Problem-bereich ist das Recht des Kindes auf ei-nen regelmässigen Kontakt zu beiden El-ternteilen und der derzeitigen Wegwei-sungspraxis im Asylrecht oder der Nicht-verlängerung der Aufenthaltsbewilligungeines Elternteils.

Kein regelmässiger

Kontakt

Familienväter werden auf-grund eines negativen Asyl-entscheids ausgeschafft,obwohl sie in der Schweizeine Partnerschaft pflegenund Kinder haben. DiesenApril rügte der EGMR dieSchweiz und stellte klar,dass es ein übergeordnetesInteresse sei, dass Kinder inder Nähe ihrer Eltern auf-wachsen. Ein nigerianischerStaatsangehöriger kam imJahr 2001 in die Schweiz und stellte einAsylgesuch, welches abgelehnt wurde.Er verliess daraufhin die Schweiz undwurde in Deutschland straffällig. Im Jahr2003 kehrte er in die Schweiz zurück, umeine Schweizerin zu heiraten. Die beidenbekamen Zwillinge. Nach der Trennunglernte er seine aktuelle Schweizer Freun-din kennen, mit welcher er ebenfalls einKind zeugte. Die beiden planten an-schliessend ihre Hochzeit. Die Schweizhat ihm unterdessen seine Aufenthalts-bewilligung aufgrund seiner früherenStrafffälligkeit entzogen. Dagegen legteer Beschwerde ein und gelangteschliesslich an den EGMR, welcher dieSchweiz anwies, die Aufenthaltsbewilli-gung zu verlängern. Bemerkenswert ist,

dass ein EGMR-Urteil vom 11. Juni 2013in die gleiche Richtung geht. Ein Bosnier,welcher sozialhilfeabhängig und ver-schuldet ist, darf in der Schweiz bleiben.Sowohl seine Frau, wie auch seine er-wachsenen Kinder leben in der Schweiz.Der EGMR stellt hier klar, dass dieVerweigerung der Aufenthaltsbewilli-gung gegen das Recht auf Familienlebenverstösst. Vor kurzem reagierten dieBundesrichterInnen und lehnten dieWegweisung eines Mexikaners ab, dersich kurz nach seiner Einreise von seinerSchweizer Ehefrau getrennt hatte. DieBegründung lautete, dass er das Be-suchsrecht seines Kindes durch eineWegweisung nicht wahrnehmen könne.

Reaktion des Bundesrats

Nationalrätin Bea Heim fragte währendder Sommersession, gestützt auf denFachbericht, ob der Bundesrat bereit sei,Verbesserungen im Interesse von Kindund Familien zu prüfen (13.5259 – Frage-stunde). Die Antwort des Bundesratsmacht Hoffnung. Er werde den Fachbe-richt «Kinderrechte und die Anwendungder Migrationsgesetzgebung in derSchweiz» gemeinsam mit den kanto-nalen Migrationsbehörden analysierenund prüfen, ob die Praxis der Wegwei-sungen bzw. beim Familiennachzug an-zupassen ist.

Stefanie Kurt, Geschäftsleiterin SBAA

Ausgabe September 2013

Missachtung der Kinderrechte

Titelbild Fachbericht Kinderrechte � Florian Amoser

Liebe Leserinnen und lieber Leser

«Die Einschränkung der Bewegungsfrei-heit» für Asylsuchende in Asylzentrenwie in Bremgarten AG ist für Mario Gat-tiker, Direktor des BfM «völlig normal».Es sei kein Rayonverbot, «es braucht je-doch Spielregeln, damit das Zusammen-leben von Asylsuchenden und Bevölke-rung geordnet abläuft» (Bund, 7. 8.2013).Spielregeln sind in diesem Fall Regeln fürdie Fremden, diese sollen sich ruhig ver-halten, die ominösen Ängste in der Bevöl-kerung nicht schüren, nicht sichtbar undnicht hörbar sein. Spielregeln sind in mei-nem Verständnis gegenseitige Abspra-chen, Vereinbarungen und nicht einsei-tige behördlich auferlegte, strikte Ein-grenzungen. Regelbrüche können – sodas BfM – jedoch nicht sanktioniert wer-den. An Widersprüchlichkeiten sind sol-che Aussagen kaum zu überbieten.

Wie weit haben wir es doch gebracht imVerwalten von unerwünschten Men-schen, nicht nur in der Geschichte, auchheute wieder! Mit dem Schlagwort «Äng-ste der Bevölkerung» werden «Andere»global zu Kriminellen gestempelt, wegge-schlossen, ihre Würde wird verletzt, Kon-takte verhindert.

Es gibt eine Logik des Handelns: Wenndie Polizei und andere kommunale undnationale Behörden Menschen ausgren-zen und aus der Gesellschaft entfernen,kann dies gleichzeitig auch eine Auffor-derung zu Gewalt sein. Ich erlaube mireinen Vergleich: Die Roma in Ungarn undin der Tschechei – und nicht nur dort –werden von den Behörden systematischausgegrenzt und vernachlässigt. Längstsind sie Menschen dritter Klasse. Nazi--Gruppen haben den nächsten Schritt ge-tan, sie haben Romas überfallen, verprü-gelt, getötet. Ein gewagter Vergleich? Ja,aber – könnte dies auch in der Schweizvorkommen? Nicht gegen Romas, son-dern gegen die ausgegrenzten Asylsuch-enden.Ich bin allen Menschen dankbar, die sichgegen diese staatlich angeordnete Aus-grenzung öffentlich wehren. Sie setzendamit ein Zeichen für die Bewahrung derMenschenrechte.

Ruth-Gaby Vermot, Präsidentin

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Keine Hausarbeiterin ist illegal

In der Schweiz wohnen schätzungs-weise zwischen 70'000 und 300'000Menschen ohne geregelten Aufent-

halt. Der grösste Teil von ihnen ist er-werbstätig: Sie putzen, hüten Kinder, ar-beiten auf Baustellen, in Restaurantsoder in der Landwirtschaft. Trotz fehlen-der Aufenthaltsbewilligung stehen ihnengrundlegende Rechte zu.

Die Berner Beratungsstelle für Sans-Pa-piers verhilft Menschen ohne Papiere zuihren Rechten. Dabei wird die Beratungs-stelle sehr oft von Frauen aufgesucht,welche in Privathaushalten arbeiten unddurch den fehlenden Aufenthaltsstatusmit verschiedensten Problemen konfron-tiert sind. Auch in den anderen Anlaufstel-len für Sans-Papiers wie in Zürich und Ba-sel zeigte sich, dass der Anteil der inHaushalten beschäftigten Sans-Papierssehr hoch ist und diese mit sehr prekärenArbeits- und Lebensverhältnissen kon-frontiert sind. Neben den Arbeitnehmen-den ersuchen auch zahlreiche Arbeitge-berInnen die Beratungsstellen um Hilfebei der Regelung des Aufenthalts ihrerAngestellten. Vor diesem Hintergrundwurde 2012 der Verein «Hausarbeit auf-werten – Sans-Papiers regularisieren»mit dem Ziel der Durchführung einer ge-samtschweizerischen Kampagne für dieRechte und die Regularisierung von Sans-Papiers-Hausarbeiterinnen gegründet. ImFrühling 2013 wurde die Kampagne«Keine Hausarbeiterin ist illegal» und diegleichnamige Petition lanciert.

Prekäre Arbeitsverhältnisse

Der Privathaushalt ist einer der bedeu-tendsten Arbeitssektoren, in welchemSans-Papiers beschäftigt werden. Diesteigende Nachfrage nach Reinigungs-kräften und Care-ArbeiterInnen wird zueinem grossen Teil durch Migrantinnenbefriedigt, die häufig irregulär in derSchweiz leben. Die Anzahl der Arbeitneh-menden ohne Aufenthaltsbewilligung indiesem Sektor wird auf mindestens40'000 geschätzt. 90 Prozent davon sindFrauen. Laut der im 2012 erschienenenPublikation «Wisch und weg – Sans-Pa-piers-Hausarbeiterinnen zwischen Preka-rität und Selbstbestimmung» arbeitet imKanton Zürich schätzungsweise in jedem17. Privathaushalt eine Frau ohne Aufent-haltsbewilligung. Die Erwerbstätigkeitvon Sans-Papiers in Privathaushalten istcharakterisiert durch fehlende soziale Ab-sicherung, unsichere und ungeschützteArbeitsbedingungen, mündliche Verträge

und einer hohen Abhängig-keit von den Arbeitgeben-den. Die Arbeitnehmerinnensind stundenweise ange-stellt, haben oft lange Anrei-sezeiten und leben mit derständigen Angst entdecktund ausgeschafft zu wer-den. Diese Angst hindert dieBetroffenen oft daran sozia-len Schutz oder ihre Arbeits-rechte einzufordern.

Vielschichtiges Thema

Der hohe Anteil von Sans-Papiers-Hausarbeiterinnenin Privathaushalten hat ver-schiedene Hintergründe.Durch die Bestimmungendes Ausländergesetzes wer-den Arbeitsbewilligungenfür Drittstaatangehörige nuran hoch qualifizierte Mi-grantInnen vergeben. Die re-alexistierende Nachfragenach Arbeitskräften im Pri-vathaushalt wird dabei aus-geblendet. Dass die Nachfrage in diesemBereich ansteigt, ist nicht zuletzt eineFolge der hiesigen Geschlechterpolitik:Die Erwerbstätigkeit der Frauen nimmtzwar zu, eine Umverteilung der Hausar-beit zu den Männern hat hingegen kaumstattgefunden. Zudem fehlt es am politi-schen Willen genügend finanzielle Mittelfür den Ausbau der sozialen Infrastruk-turen zu Verfügung zu stellen. Dadurcharbeiten immer mehr Frauen ohne Auf-enthaltsbewilligung in Privathaushaltenund tragen damit wesentlich zu unsererLebensqualität bei. Trotzdem werdenihnen grundlegende Rechte verwehrt.Dies will die Kampagne «Keine Hausar-beiterin ist illegal» ändern.

Anliegen der Kampagne

Die Hintergründe dieser gesamten Pro-blematik sind vielschichtig. Daraus erge-ben sich diverse Anliegen wie beispiels-weise eine gerechtere Verteilung derHaus-, Betreuungs- und Erwerbsarbeitzwischen den Geschlechtern und gene-relle Verbesserungen der Arbeitsbeding-ungen im Bereich Hauswirtschaft. Für dieKampagne im Vordergrund stehen jedochder soziale Schutz und der Zugang zu Ar-beitsgerichten für Sans-Papiers-Hausar-beiterinnen. Diese Rechte können aller-dings nur wirksam eingefordert werden,wenn ihr Aufenthaltsstatus regularisiert

wird. Mit dem Ziel der Regularisierungder Betroffenen wird zugleich eine Ge-sellschaft angestrebt, welche Menschenunabhängig von ihrer Herkunft gleicheRechte garantiert.

Karin Jenni, Berner Beratungsstelle fürSans-Papiers.

www.sans-papiers.ch und www.khii.ch

Schweizerische Beobachtungsstellefür Asyl- und Ausländerrecht (SBAA)GeschäftsstelleMaulbeerstrasse 14, 3011 BernTel. 031 381 45 [email protected]@beobachtungsstelle.chwww.beobachtungsstelle.ch

Observatoire romand du droitd’asile et des étrangersCase postale 270, 1211 Genève 8Tel. 022 310 57 [email protected]

Beobachtungsstelle für Asyl- undAusländerrecht OstschweizFidesstrasse 1, 9000 St. GallenTel. 071 244 68 [email protected]

KONTAKTADRESSEN

Bild aus der Kampagne «Keine Hausarbeiterin ist illegal»

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Heirat und Migration

Laut dem Bundesamt für Statistikheirateten im Jahr 2011 8104Schweizer Männer Ausländerinnen

und 6836 Schweizerinnen vermähltensich mit Ausländern. Verschiedene Hür-den, wie ein Visum zur Einreise für dieEheschliessung zu erhalten oder eine imAusland geschlossene Ehe anerkennenzu lassen, müssen genommen werden.Zudem kann ein binationales Paar wäh-rend der Ehedauer von den Behörden mitdem Generalverdacht der Scheinehekonfrontiert werden.

Die binationale Ehe ist eines dieser Bei-spiele, wo das Spannungsfeld zwischendem Schutz der Ehe und der Familie denausländerrechtlichen Bestimmungen ge-genübersteht. Die derzeitigen Bestim-mungen im Migrationsrecht legen denFokus auf die wirtschaftlichen und gesell-schaftlichen Anliegen. Somit werden fa-miliäre Anliegen meist nur berücksichtigt,wenn diese auch im Interesse der Wirt-schaft und der Migrationspolitik liegen.

Grosse Hürden

Gemäss der Allgemeinen Erklärung derMenschenrechte ist die Familie die natür-liche grundlegende Einheit der Gesell-schaft und hat Anspruch auf Schutz durchGesellschaft und Staat. In Art. 14 derBundesverfassung ist verankert, dassdas Recht auf Ehe und Familie gewähr-leistet ist. Eine erste Hürde muss bereitsgenommen werden, wenn der/die zu-künftige EhepartnerIn im Ausland weiltund ein Visum zur Einreise für die Ehe-schliessung eingeholt werden muss. Der

dokumentierte Fall 205 zeigt auf, dass derVerlobte einer alleinerziehenden Schwei-zer Frau kein Visum zur Einreise erhält.Die Frau wird ergänzend zu ihrem Er-werbseinkommen und zu den Kinderali-menten durch die Sozialhilfe unterstützt.

Obwohl die Mutter der Frau eine Unter-haltsgarantie für den Verlobten einreich-te, lehnte das Migrationsamt die Einreiseab. Es erklärte, dass die finanziellen Mit-tel der Frau ungenügend sind, um denAufenthalt ihres Verlobten zu finanzieren.Den beiden bleibt nun einzig die Möglich-keit im Herkunftsstaat des Mannes zuheiraten und dann via Familiennachzugihr gemeinsames Leben in der Schweizzu beginnen.

Kleine Toleranz

Auch während der Dauer der Ehe ist einbinationales Paar nicht von den Behördengeschützt. Der Generalverdacht der miss-bräuchlichen Eheschliessung liegt wieein Damokles-Schwert über der Bezieh-ung. Gründe, wie eine kurze Kennenlern-dauer, einen grossen Altersunterschiedoder der/die PartnerIn ist ein/e abge-wiesene/r Asylsuchende/r erhärten denVerdacht der Scheinehe. Wenn sich einbinationales Ehepaar kurz nach der er-leichterten Einbürgerung des nachgezo-genen Ehepartners trennt, reagieren diekantonalen Behörden sehr schnell. Diesführt zu einem faktischen Trennungsver-bot von binationalen Ehepaaren. Seit dem1. März 2011 wurde die Frist auf 8 Jahre(anstatt 5 Jahre) zum Nachweis derScheinehe erhöht. Die Begründung lau-tet, dass nur so eine effektive Miss-brauchsbekämpfung stattfinden kann.

Ende dieses Jahres wird deshalb dieSBAA einen Fachbericht rund um dasThemengebiet der binationalen Ehe ver-öffentlichen. Binationale Paare, die heira-ten möchten, müssen viele bürokratischeHindernisse überwinden. Anhand doku-mentierter Fälle erfolgt eine kritische

Analyse. Die daraus resultierenden For-derungen sollen die Öffentlichkeit, diePolitikerInnen und die Behörden für die-sen persönlichen Moment im Lebenzweier Personen sensibilisieren. (sk)

Keine Anerkennung der Ehe

«Choimaa» und «Badral» lernen sichkennen, verlieben sich und heiratenbald darauf auf der mongolischenBotschaft in der Schweiz. «Choimaa»hält sich zu diesem Zeitpunkt alsSans-Papier in der Schweiz auf.«Badral» besitzt eine Aufenthaltsbe-willigung B und erfüllt die Voraus-setzungen für den Familiennachzug,damit «Choimaa» in der Schweizbleiben kann.

Ihr Familiennachzugsgesuch lehnt dasMigrationsamt mit der Begründungab, dass «Choimaa» sich nichtrechtmässig in der Schweiz aufhältund «Badral» keinen Rechtsanspruchauf Familiennachzug hat. Die Behördeerklärt, dass sie das Gesuch erstweiter behandeln, wenn «Choimaa»innerhalb von drei Tagen ausreist. Dieerhobene Beschwerde wird erneutabgelehnt. Denn es ist unklar, ob ihreEhe überhaupt anerkannt wird. Erneutlegen die beiden Beschwerde ein.Diesmal fehlen «Badral» genügendfinanzielle Mittel für den Unterhalt desPaares. Es fehlt ein Betrag von 164Franken. Das Verfahren ist nochhängig. (sk)

Dieser Fall wurde von derSchweizerischen Beobachtungsstelledokumentiert (Fall 212)

Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht brauchtIhre Unterstützung!

� Werden Sie Mitglied� Unterstützen Sie uns mit einer Spende� Haben Sie Informationen von konkreten Fällen?

Melden Sie dies bitte einer regionalen Beobachtungsstelle oder direkt nachBern an die Geschäftsstelle.

Herzlichen Dank! PC: 60-262690-6, SBAA Bern

Das Recht auf Eheund Familie ist

gewährleistet.Artikel 14 der Bundesverfassung

� Matthias Sylupp, pixelio.de

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Flüchtling � Flüchtling

Flüchtlinge mit Asylstatus habeneinen Rechtsanspruch auf Fami-liennachzug, vorläufig aufgenom-

mene Flüchtlinge können hingegen erstdrei Jahre nach ihrer vorläufigen Aufnah-me ein Gesuch stellen. Voraussetzungist, dass die Personen zusammen woh-nen, eine bedarfsgerechte Wohnung vor-handen ist und die Familie nicht auf So-zialhilfe angewiesen ist.

Ein eingeschränkter Zugang zum Arbeits-markt und niedrige Löhne erschwerenaber oft ein gesichertes Einkommen dervorläufig aufgenommenen Flüchtlinge.Insbesondere für Frauen mit kleinen Kin-dern, deren Ehegatten sich noch im Aus-land befinden, sind die Voraussetzungennahezu unmöglich zu erfüllen.

Da vorläufig aufgenommene Flüchtlingeweder in ihre Heimat noch in ein anderesLand gehen können, ist für sie der Fami-liennachzug die einzige Möglichkeit zurVereinigung der Familie. Die dauerhafteTrennung von Familie stellt eine psychi-sche Belastung dar, vor allem wenn dieBetroffenen ihre Angehörigen bei derFlucht in einer Konfliktregion zurücklas-sen. Der Fall 209 dokumentierte dieseverzwickte Situation; «Fiyori» flüchteteaus Eritrea in die Schweiz und war aussersich vor Sorge um ihre minderjährigenKinder, die alleine im Sudan waren.

Umstrittene Wartefrist

Obwohl die Genfer Flüchtlingskonven-tion (GFK) den Schutz der Familie von al-len Flüchtlingen festlegt, behandelt dieSchweiz vorläufig aufgenommeneFlüchtlinge ungleich wie Flüchtlinge mitAsylgewährung. Im Urteil D-8553_2010vom 20.02.2013 erachtet das Bundesver-waltungsgericht die Ungleichbehandlungbezüglich Fürsorgeabhängigkeit und be-darfsgerechte Wohnung als mit der

Europäischen Menschenrechskonven-tion (EMRK) und der Flüchtlingskonven-tion (GFK) vereinbar, lässt aber offen, obdie dreijährige Wartefrist verfassungs-und völkerrechtskonform ist. Die Warte-frist stellt erhebliche Schwierigkeiten fürdie Betroffenen dar.

Angehörige weichen auf Schlepper ausund reisen irregulär in die Schweiz ein.Die Flucht ist vor allem für Kinder undFrauen sehr gefährlich. Das Bundesge-richt erläuterte im Leitentscheid vom13.02.2013 (2C_639/2012), dass derNachzug einer irregulär eingereistenTochter zu ihren Eltern in die Schweiz,gestützt auf Art. 8 EMRK, zu genehmigenist. Massgebliches Kriterium war, dassdie Familie wegen der vorläufigen Auf-nahme der Mutter nirgends als in derSchweiz ihr Familienleben führen kann.Unter diesen Aspekten erscheint eineparlamentarische Initiative der SVP-Frak-tion vom 17.04.2013 zur gänzlichen Un-terbindung des Familiennachzugs für vor-läufig Aufgenommene fragwürdig.

Paradoxe Integration

Die Mehrheit der vorläufig aufgenomme-nen Flüchtlinge hat ein faktisch gesich-ertes Aufenthaltsrecht in der Schweiz: imJahr 2012 weilten über die Hälfte dieserPersonen bereits mehr als fünf Jahre inder Schweiz. Diese Wartefrist steht ineinem paradoxen Verhältnis zu den Inte-grationsforderungen. Die Idee der Fami-liennachzugsfristen war die Förderungeiner frühen Integration, insbesonderevon Kindern. Durch die dreijährige Warte-frist für vorläufig aufgenommene Flücht-linge erscheint dieses Vorhaben absurd.Denn ein früher Familiennachzug trägtmassgeblich zur Stabilisierung der Fami-lie und deren Lebens- und Arbeitssitua-tion bei. (hsc)

Konzeptlose Bürgerrechtsdebatte

Obwohl es dem Bundesrat bei der Bür-gerrechtsdebatte hauptsächlich um ei-ne Harmonisierung behördlicher Abläu-fe geht, liess es sich die bürgerlicheMehrheit im Nationalrat in der Frühjah-ressession nicht nehmen, die Hürdenim Einbürgerungsverfahren weiter aus-zubauen. Dabei hat die Schweiz im in-ternationalen Vergleich bereits heutestrenge Einbürgerungskriterien, wasmitunter ein Grund für den relativ ho-hen Anteil an Personen mit Ausländer-Innen-Status ist. Besonders schlechtweg kommen wieder mal Drittstaats-angehörige. Neu wird ihnen die Aufent-haltsdauer erst nach Erhalt der Nieder-lassungsbewilligung angerechnet.

Die nationalrätliche Beratung des Ge-schäfts veranschaulicht, dass es vielmehr um Symbolpolitik geht, als umeine sach- und lösungsorientierte De-batte. Sinnbildlich dafür steht der Ent-scheid, auf die Doppelzählung der Tee-nager-Jahre zu verzichten. Das trifft ge-rade diejenigen Jugendlichen, die inder Schweiz geboren oder aufgewach-sen sind und deren Heimat dieSchweiz ist. Begründet wird dies mitdem Verweis auf die «Einzigartigkeit»des Schweizer Bürgerrechts und das«Privileg» dessen Erwerbs.

Für eine eigentlich notwendige Neu-konzipierung des Bürgerrechts erach-ten wir in dieser Revision zwei Punkteals wesentlich: Erstens kann nur miteiner umfassenden Harmonisierungein Standard für diskriminierungsfreieEinbürgerungsverfahren geschaffenwerden. Zweitens ist der Erwerb vonBürgerrechten in die ausschliesslicheKompetenz des Bundes zu stellen unddas Bürgerrecht vom reinen Abstam-mungsprinzip zu lösen.

Die globale Migration, die durch glo-bale Ungleichheiten genährt wird, hatin unserer Gesellschaft schon langeneue Realitäten geschaffen. Niemandkann diese Menschen davon abhaltennach einer Teilhabe am guten Leben zustreben – die Frage ist nur unter wel-chen Bedingungen: als gleichwertigeMitbürgerInnen und Mitbürger oder alsbillige Arbeitskräfte.

Halua Pinto de Magalhães,Co-Präsident Second@s Plus Schweiz

Fuat Köçer,Präsident Second@s Plus Bern

IMPRESSUM

Herausgeberin:Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl-und Ausländerrecht (SBAA)Maulbeerstrasse 14, 3011 Bern

Redaktion: Stefanie Kurt

Autorinnen: Huey Shy Chau (hsc)Stefanie Kurt (sk)

Gestaltung: Franca Hirt

Lektorin: Stefanie Kurt (sk)

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