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Sicherheitspolitische Information Herausgegeben vom Verein Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaft (VSWW) www.vsww.ch Postfach 65, 8024 Zürich (PC-Konto 80-500-4), Credit Suisse Zürich, Konto-Nr. 468809-01 Präsident: Dr. Günter Heuberger Redaktion: Dr. Daniel Heller, Andreas Richner und Andreas Heizmann September 2007 Panzerwaffe und gepanzerte Fahrzeuge – aktuelle Perspektiven und Einsatzformen Analyse, Erkenntnisse und Konsequenzen für die Schweizer Armee

Sicherheitspolitische Information: Panzerwaffe und

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Sicherheitspolitische Information

Herausgegeben vom Verein Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaft (VSWW) www.vsww.chPostfach 65, 8024 Zürich (PC-Konto 80-500-4), Credit Suisse Zürich, Konto-Nr. 468809-01Präsident: Dr. Günter HeubergerRedaktion: Dr. Daniel Heller, Andreas Richner und Andreas Heizmann

September 2007

Panzerwaffe undgepanzerte Fahrzeuge– aktuelle Perspektivenund EinsatzformenAnalyse, Erkenntnisse und Konsequenzenfür die Schweizer Armee

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 3

Die geopolitische Entwicklung und 4ihre Auswirkungen auf die Schweizer Armee• Zur Entwicklung der Weltlage seit 4

dem Zerfall der Sowjetunion• Zur Entwicklung der Lage in Europa 5• Auswirkungen auf die Natur der Konflikte 6

und die Kampfführung• Erster Schritt der Anpassung: Armee 95 7• Zweiter Umbauschritt: Armee XXI und ES 08/11 7

Erkenntnisse und Trends zur Einsatzführung 9und zur künftigen Ausrüstung im Bereich Panzerund gepanzerte Fahrzeuge• Auch Truppen in friedenserhaltenden 9

Operationen brauchen Schutz und Drohpotenzial• Raumsicherungsoperationen ohne 10

mechanisierte Kräfte undenkbar• Überheblicher Einsatz mechanisierter Kräfte 12

im Libanonkrieg• Weiterentwickelte Taktik für gepanzerte 12

Kräfte im urbanen Raum• Absehbare technologische Entwicklungen und 13

Kampfsysteme der Zukunft• Nahe Zukunft: Aktive Schutzsysteme gegen 14

Panzerabwehrgeschosse• Fazit: Die Zeit der Panzerschlachten ist nicht 15

vorbei

Konsequenzen für die Schweizer Armee 16• Umsetzungen in der Schweiz 16• Ausbildung im Bereich des Kampfes 17

der verbundenen Waffen• Rüstung: Investitionen in Schutz 17

und Mobilität notwendig• Kampfpanzer 17• Geschützte Begleit- und Transportfahrzeuge 18

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«Die Zeit der Panzerschlachten ist vorbei» –so liess sich ein prominenter Vertreter der Armeespitzeim Sommer 2003 zitieren und wird seither von denMedien bei jeder Armeediskussion aufs Neue meis­tens zusammenhangslos rezitiert. Diese obersteAbsolution für die Ablehnung jeglicher rüstungstech­nischer Anstrengung jenseits subsidiärer Assistenz­dienste und friedenssichernder Engagements hat be­reits (zu) viele Opfer gefordert und verdient, raschaus der helvetischen sicherheitspolitischen Zitaten­sammlung verbannt zu werden. So lehnte das Par­lament bspw. die Beschaffung eines Geniepanzers imRüstungsprogramm 2004 vorerst ab, obwohl dieseelementare Kompetenzlücke für glaubwürdige mecha­nisierte Einsätze offensichtlich dringlichst ihrer Schlies­sung bedurfte.

Auf den meisten Bildern aus einem der zahlrei­chen Konflikte irgendwo auf der Welt sind gepanzerteFahrzeuge auf Rädern oder Raupen im Einsatz zuerkennen. Auf dem modernen Gefechtsfeld wird einmaximaler individueller und kollektiver Schutz für alleAkteure angestrebt. Mit dem Rüstungsprogramm2006 renoviert die Schweizer Armee ihre verbleibendeKampfpanzerflotte minimal und beschafft doch noch

eine geringe Anzahl Genie­ und Minenräumpanzer, umwenigstens die Ausbildung sicherstellen zu können.

Mit dem Kompromiss zum Entwicklungsschritt08/11 dürften sechs statt wie ursprünglich geplant vierPanzerbataillone in der Armee XXI als durchmischtermechanisierter Aufwuchskern verbleiben. Mit demRüstungsprogramm 2008 soll die bisher noch un­geschützt transportierte Infanterie ein splittergeschütz­tes Fahrzeug erhalten – das Geschützte Mannschafts­transportfahrzeug (GMTF). Obwohl die Zeit derPanzerschlachten vorbei ist?

Dies ist nur scheinbar ein Widerspruch, wie dievorliegende Analyse zeigt. Experten legen auch imHinblick auf die Anschaffung des GMTF in dieserNummer dar, welche Rollen der Panzerwaffe und dengepanzerten Fahrzeugen heute und in künftigen Kon­flikten zukommen und was dies für die weitere Ent­wicklung der mechanisierten Truppen der SchweizerArmee bedeutet.

Dr. Günter Heuberger, Präsident

Vorwort

Vorwort

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Das Ziel einer jeden Sicherheitspolitik ist der lang-fristige Schutz der eigenen Bevölkerung. Dies ge-schieht durch eine permanente Analyse der aktuellenSicherheitslage, ein Abschätzen der möglichen zu-künftigen Entwicklungen und der folgenden Ausrüs-tung und Ausbildung der Sicherheitskräfte. Restrik-tionen entstehen durch die (historisch belegbare, oftnicht der Realität entsprechende) Bedrohungswahr-nehmung des Volkes und durch politische Restrik-tionen im Bereiche der verfügbaren Mittel. Im Fol-genden sollen die diesbezüglich relevanten grossenLinien nachgezeichnet werden.

Zur Entwicklung der Weltlageseit dem Zerfall der Sowjetunion

Der Zerfall des bipolaren Systems setzte eine re-gulierende Wirkung ausser Kraft, in deren Folge eszu einer grossen Zahl von Staatsbildungs- und Zer-fallskriegen kam. Die dem Zerfall der Sowjetunionfolgende Phase der Détente und Abrüstung («Frie-densdividende, Ende der Geschichte usw.») wurdeabgelöst durch eine anhaltende Periode des Neuauf-baus von Spannungen um die Wendemarken der Ter-roranschläge in Amerika 2001 und Europa sowie diewestlichen, US-geführten Reaktionen darauf, spezielldas Eingreifen der Koalitionsstreitkräfte in Afghanistanund im Irak.

In der Weltpolitik weht seither wieder ein rauererWind. Ab 2003 hat sich der Gedanke verflüchtigt,die Welt gehe unaufhaltsam einer lichten Zukunft inFreiheit und Demokratie entgegen. Momentan siehtes eher so aus, als nähmen autoritäre Regimes undTrends wieder zu. Der jährliche Überblick von Free-dom House konstatierte für das Jahr 2006 im Ver-gleich zum Vorjahr erstmals wieder eine Rückwärts-bewegung in Richtung staatlichen Totalitarismus: DieZahl jener Länder, die Rückfälle in autoritäre Praktiken

erlebten, überwiegt jene der Staaten, die Schritte inRichtung Freiheit unternahmen.

Was sind die relevanten Eckwerte dieser Entwick-lung – ein Blick auf die «Ordnungsmächte» zeigt fol-gendes Bild: Im Irak ist die Weltmacht USA am Randeder Demütigung, ihr Prestige und der Glaube an ihremilitärische/politische Durchsetzungskraft hat dras-tische Einbussen erlitten. Ausserdem ist in der glei-chen Zeit die Europäische Union daran gescheitert,sich zu einer global handlungsfähigen Grösse zu ent-wickeln. China und Indien sind dabei, als Weltmächteaufzutreten; sie sind aber noch nicht so weit, und derBeweis von Handlungsfähigkeit globaler Dimensionsteht noch aus.

Russlands Demokratisierung ist zumindest unter-,eventuell sogar abgebrochen. Der Kreml schreckt nichtdavor zurück, seine erstarkte Wirtschaftskraft gegenunbotmässige Nachbarn einzusetzen. Die innerrus-sischen Konflikte werden mit massiver Polizei- undMilitärgewalt unterdrückt. Und im Verhältnis zum Wes-ten hat der Kremlherrscher auch sicherheitspolitischden Druck massiv erhöht, indem er offen die US-ame-rikanischen Raketenabwehrpläne sabotiert und dafürauch einen zentralen Pfeiler der europäischen Sicher-heitspolitik zu zerstören droht: den Vertrag über diekonventionellen Streitkräfte in Europa (CFE). Dieser1990 der geschwächten Sowjetunion abgerungeneCFE-Vertrag zwang zehntausende sowjetrussischerPanzerfahrzeuge auf die Altmetallhalden oder hinterden Ural. Wo werden sie künftig stationiert sein?

Die zunehmenden Zerfallserscheinungen im Nahenund Mittleren Osten – in Palästina, im Libanon, im Irak,in Pakistan und in Afghanistan – und die heraufzie-hende Konfrontation mit Iran strahlen weit aus. Siekönnten noch virulenter werden, wenn andere auto-kratische Regime der Region ins Rutschen geraten.Die Machteliten auf der arabischen Halbinsel und

Die geopolitische Entwicklung und ihre Auswirkungenauf die Schweizer Armee

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Die geopolitische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Schweizer Armee

in Nordafrika stehen unter wachsendem innenpoli-tischem Druck.

Weder war die Welt nach dem Verschwinden derSowjetunion plötzlich unipolar noch die USA ein Impe-rium oder die alleinige Supermacht. Amerikas Eigen-heiten und Schwächen waren nicht nur stets evidentund für jedermann sichtbar, sie sind auch historischmehrfach belegt. Die starke Polarisierung in der In-nenpolitik auf Grund des Zweiparteiensystems unddie «checks and balances» wirken sich über kurz oderlang immer auf die Aussenpolitik aus. Für dauerhafteHegemonie, geschweige denn Weltherrschaft, istso ein Gebilde nicht geschaffen.

Die Strategie Präsident Bushs, die im Irak und imganzen Mittleren Osten eine Demokratisierung hät-te bringen sollen, steckt in grossen Schwierigkeiten.Der Mittlere Osten ist für die Sicherheit Amerikas(und Westeuropas) wohl wichtiger, als es Indochinagewesen ist. Ein Davonlaufen wie 1975 wäre darumfatal. Man stelle sich die Auswirkungen eines im Bür-gerkrieg zwischen extremistischen Gruppierungenzerfallenen Irak an den Grenzen zur Türkei und Sau-di-Arabien auf die Entwicklung der Ölpreise vor. DieResistenz Washingtons in Wahlkampfzeiten ist aberbereits sichtbar am Bröckeln. Die westliche Öffentlich-keit ist in ihren Stimmungsschwankungen zwar bere-chenbarer geworden als noch zu Zeiten Koreas oderVietnams. Kurze, erfolgreiche Interventionen werdenbejubelt. Für blutige und zähe, jahrelange Konfliktefehlt aber nach wie vor das Stehvermögen. Und hierliegt die grosse Gefahr: Für Autokraten aller Schattie-rung, den Russen Putin, aber auch die Herrscher inTeheran, die mit blutigem Terror Rückzugssehnsüchtegezielt fördern, ist das eine Einladung zu machtpoli-tischen Experimenten. Darauf hat der Westen bisherkeine gemeinsame kraftvolle Antwort gefunden, dieweitere weltpolitische Entwicklung bleibt deshalbmehr als ungewiss.

Zur Entwicklung der Lage in Europa

Die europäische Aussenpolitik ist auch heute alsweltpolitischer Ordnungsfaktor weitgehend inexistent.Die EU hat es bisher kaum geschafft, ihre Interes-sen gebündelt gegen aussen zu vertreten. VieleBrandherde der Weltpolitik liegen ausserhalb deseuropäischen Wirkungsbereichs. Die machtpolitischeBedeutung der EU liegt weiterhin darin, dass sie inner-europäische Konflikte austarieren und sie auf den Wegvon Verhandlungen verweisen, gemeinsame Regelnfür das Zusammenleben auf dem Kontinent aufstellenund – sofern sie liberal bleibt – den Boden für allge-meinen Wohlstand präparieren kann. Ansonsten sinddie sicherheitspolitisch relevanten Gemeinsamkeitenrasch aufgezählt: Energiesicherheit, Klimawandel undBeziehungen zu Russland.

Trotz oder wegen des gegenseitig geschaffenen nuk-learen Potenzials blieben sich die Antagonisten desKalten Kriegs bewusst, dass ein in Europa ausgetra-gener Konflikt nicht zwingend nuklear ausgefochtenwürde. Entsprechend folgte die konventionelle dernuklearen Rüstung auf höchstem Niveau. Das bedroh-liche, zumindest in der Statistik offensichtliche Über-gewicht des Warschauer Pakts auf dem Gebiet dermechanisierten Truppen wurde in der letzten Phasedes Kalten Kriegs im Westen vor allem durch techno-logischen Vorsprung zu kompensieren versucht. Diebeiden Supermächte und ihre Verbündeten setzten imkonventionellen Bereich stark auf die mechanisierte,gepanzerte Kampfführung. Dementsprechend wurdedie Rüstung vorangetrieben und der Kampf der ver-bundenen Waffen perfektioniert.

Das Ende des Kalten Krieges hinterliess darum inden NATO- und ehemaligen WAPA-Staaten hochge-rüstete Armeen. Die vielen veralteten Panzersystememussten zumeist aus Kostengründen abgebaut wer-den. Sie wurden in den Staaten, die es sich noch

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leisten konnten, durch neuere Systeme in kleinererStückzahl, aber mit grösserer Wirkung und Mobilitätersetzt. Die Vernetzte Operationsführung wird in denführenden westlichen Streitkräften konsequent ein-geführt und anhand zunehmender Einsatzerfahrungund fortschreitender technologischer Entwicklungweiter verbessert. Der Trend zu steigenden Ausgabenfür global einsatzfähige Streitkräfte lässt sich bei denmeisten europäischen Rüstungsbudgets einfach ab-lesen – die Schweiz hinkt hier deutlich hinterher.

Auswirkungen auf die Naturder Konflikte und die Kampfführung

Kriegführende Parteien profitierten seit dem Endedes bipolaren Gleichgewichts vielerorts von der hohenVerfügbarkeit von leichten und mittelschweren Waffenaus dem Kalten Krieg und den exportwilligen Nachfol-gestaaten des WAPA. Die zunehmende Urbanisierungermöglicht diesen Gruppierungen, den Kampf in über-bautem Gebiet auszutragen, was ihnen gegenüberkonventionellen Streitkräften Vorteile bietet. Kellerwerden zu Bunkern, Dächer zu Flab-Stellungen, Bal-kone zu Scharfschützennestern – und meistens ohnedass die Bevölkerung das Gebiet verlassen könnteund somit unfreiwillig und im Widerspruch zur Gen-fer Konvention zum Schutzschild der verschanztenKämpfer wird. Das ist grundsätzlich nichts Neues.Aber dem aufwendigen und verlustreichen Kampf imüberbauten Gelände weichen konventionelle Armeenmöglichst aus. Hohe Verluste bei eigenen Verbändenund vor allem hohe Opferzahlen in der Zivilbevölke-rung bergen immer die Gefahr der Niederlage an derPropagandafront.

Die modernen Gegner haben immer weniger Skru-pel, eigene, neutrale oder gegnerische Zivilisten zuentführen, als Schutzschilde einzusetzen und nachErlöschen dieser Funktion zu ermorden. Es ist mit-unter zentraler Bestandteil ihrer Strategie, diese – inihren Augen – westliche Schwachstelle gnadenlosauszunützen. Der Westen versucht, zivile Opfer zuvermeiden, und tut sich unter dem hiesigen Medien-

druck schwer mit dem Verkraften von Vorkommnis-sen, wenn Unbeteiligte getroffen werden. Hisbollahtat im Sommer 2006 alles, was verboten ist, doch amöffentlichen Pranger stand in erster Linie Israel, wennes den inmitten der südlibanesischen Bevölkerungschwer fassbaren Gegner mit konventionellen Mittelnangriff. Dieses mediale Messen mit zweierlei Massstä-ben schwächt, technische Überlegenheit hin oder her,hauptsächlich die westliche, konventionelle Kampf-kraft.

Die Bedrohungslage in Europa hat sich verändert.Mittelfristig ist mit einem konventionellen Waffen-gang gegen die Schweiz aus heutiger Sicht kaumzu rechnen.1 Langfristprognosen zur Lage in Europasind nicht möglich – was morgen sein wird, hängt vonvielen Faktoren ab. Insgesamt ist eine derartige Ein-schätzung, wenn überhaupt, nur im Lichte historischerErfahrungen möglich. Und die Historie gemahnt unszur Vorsicht.

Grundsätzlich haben sich Streitkräfte darum auchin der heutigen Situation bereit zu halten, sich gegenjeden möglichen Gegner zu behaupten. Das wahr-scheinliche Einsatzspektrum zeigt aber auf, dass regu-läre Truppen in den meisten Fällen als Reaktionskräftegegen ganz unterschiedliche Widersacher eingesetztwerden: Der Kampf gegen gleichwertige und gleichar-tige Gegner ist nur eine von vielen möglichen Einsatz-formen. Auch hinsichtlich der visuellen und medialenWirkung der eingesetzten Mittel auf Konfliktparteienund Unbeteiligte sind moderne multifunktionale Streit-kräfte auf ein breiteres Set von verfügbaren Optionen– vom leicht bewaffneten aber passiv geschütztenGeländefahrzeug (z.B. Eagle oder GMTF) bis zumKampfschützenpanzer – angewiesen. So wirkt einGMTF in einer Situation, die nicht von aktiven Kämp-fen geprägt ist, deeskalierend im Vergleich zu einembedrohlicheren Piranha oder CV 9030 (Spz 2000).

1 Siehe dazu auch unsere früher veröffentlichte Studie: «Herausforderungenan unsere Sicherheitspolitik im Jahre 2010 – Überlegungen und Postulate zurRolle der Schweizer Streitkräfte im Rahmen unserer Sicherheitspolitik», VSWW,Juni 2006.

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Diese neue Rollenverteilung, bei der der Gegnerdes klassischen Soldaten in der Lage ist, auf jedemögliche Art und Weise agieren zu können (Demons-trationen, Entführungen von Zivilisten und Soldaten,Sprengstoffanschläge auf Politiker und Sicherheits-kräfte, Raubüberfälle, destabilisierende Raketenartil-lerieangriffe usw.), verlangt viele Fähigkeiten sowohlauf Seiten des Soldaten als auch der Streitkräfte, indenen inkorporiert ist. Heute geschieht eine Intensi-vierung eines Konfliktes stufenlos und auf mehrerenEbenen parallel. Die Grenzen zwischen Zivilisten undKombattanten bleibt verschwommen. Der wahrschein-liche moderne Gegner hält sich dabei auch an keinOrdre de Bataille. Er erscheint als Einzelkämpfer,Gruppe oder wütender Mob inklusive Frauen undKinder und kann sich dank moderner Kommunikationinternational vernetzen.

Die Schweizer Armee ist seit mehreren Jahren da-ran, die Entwicklung vom klassischen Krieg zum mo-dernen Bündel an Konflikten durch mehrere Transfor-mationsschritte zu bewältigen.

Erster Schritt der Anpassung: Armee 95

Der Zusammenbruch der Sowjetunion stellte dieSchweizer Sicherheitspolitik vor das Problem einerNeuorientierung. Europa zeigte sich im Umbruch, unddas Ziel eines «Friedens in Freiheit» schien plötzlichauch für viele vorher nicht demokratisch regierte Staa-ten näher zu kommen. Die machtpolitischen Entspan-nungen und sich neu abzeichnenden Bedrohungenunterhalb der Kriegsschwelle in Europa ermöglichtenein Umdenken.

Im Bestreben, neue Rahmenbedingungen für dieSicherheitspolitik zu schaffen, rückte die innere Si-cherheit in den Vordergrund. Die Sicherheitspolitikmuss sich auch mit besonders bedrohlich empfun-denen neuen existenziellen Gefahren auseinanderset-zen. Die Bedrohung der Schweiz durch kriegerischeund kriegsähnliche Gewalt erscheint vielen immer un-wahrscheinlicher – ob zu Recht, wird sich weisen.

Mit der Armeereform 95 wurde der Versuch unter-nommen, der Demografie, sinkender Bereitschaftder Wirtschaft, Soldaten und Kader für lange Dienstefreizustellen, sowie den neuen sicherheitspolitischenBegebenheiten gerecht zu werden. Dazu wurde dieArmee verkleinert und von einer eher statischen undflächendeckenden Gesamtverteidigungskonzeptionweggeführt. Der Kampf sollte vermehrt beweglichund gepanzert geführt werden. Die fünf neuen Pan-zerbrigaden lösten den Kompromiss der mechanisier-ten Divisionen in den Feldarmeekorps ab. In diesemUmfeld entstanden sodann die Territorialfüsiliere und-grenadiere der Infanterie und die Rettungstruppen.Parallel dazu nahm – angesichts der vorher allgegen-wärtigen Bedrohung durch WAPA-Panzerarmeen – eingewisser Erklärungsnotstand der mechanisierten undleichten Truppen (MLT) ihren Anfang.

Zweiter Umbauschritt: Armee XXIund ES 08/11

Die verkürzte Aussage von KKdt Keckeis anläss-lich der Umsetzung der Armee XXI: «Die grosse Zeitder Panzerschlachten ist vorbei» (NZZ 3.1.2003) trugdas ihre zur Panzerdebatte bei. Über kein Themazu Panzern und gepanzerten Fahrzeugen konnte seit-her mehr berichtet werden, ohne dass das Zitat desCdA repetiert wurde. Für viele armeekritische Politi-ker und Journalisten ist der Spruch, wenn es um dieReduktion der mechanisierten Truppen geht, zur un-befristet geltenden Wahrheit geworden. Dies unge-achtet aller medialer Berichterstattung über aktuelleKonflikte, worin gepanzerte Fahrzeuge vom schwerenPolizeifahrzeug bis zum Kampfpanzer im Strassenge-wirr von Jenin, Grozny oder Falluja fast ausnahmsloszu den meist beachteten und eingesetzten Akteurengehören.

Die unsägliche Debatte in Politik und Medien an-lässlich der Rüstungsprogramme 04/06 (AnschaffungGenie- und Minenräumpanzer) hat damit eine längereVorgeschichte. Die Anschaffung dieser für mechani-sierte Operationen in allen Konfliktformen unerläss-

Die geopolitische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Schweizer Armee

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lichen Unterstützungsmittel sollte bereits mit dem Rü-stungsprogramm 04 getätigt werden. Eine unheiligeAllianz von SVP, SP und Grünen kippte die gesamteVorlage. Ohne Geniepanzer und Transportflugzeugewurde das Rüstungsprogramm erst im darauf fol-genden Jahr genehmigt. Im Hinblick auf die Erhaltungder Kernkompetenz Verteidigung im Rahmen desKampfes der verbundenen Waffen war dieser Ent-schluss fatal.

In der Abstimmung zur Armee XXI im Jahr 2003 zeigtedas Schweizer Volk deutlich, dass es zu seiner Armeesteht. Dazu gehört auch die klassische Verteidigung

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in Form des Kampfes der verbundenen Waffen alsKernkompetenz. Mechanisierte Verbände bleiben aberohne Luftunterstützung und splittergeschützte Genie-und Minenräumkapazität potenziell bewegungs- unddamit kampfunfähig. Linken Politikern gefällt dieserGedanke, einige Bürgerliche haben ihn nie zu Endegedacht. Zumindest bemühte sich das VBS, die Ge-nie- und Minenräumpanzer ins Rüstungsprogramm06 wieder aufzunehmen. Die Ehrlichkeit gegenüberStimmbürgern und Armeeangehörigen gebietet,auch künftig dafür zu sorgen, dass der mechani-sierte Aufwuchskern der Armee XXI entsprechendausgerüstet und ausgebildet werden kann.

Quelle: http://www.freedomhouse.org, 27.7.2007.

Map of Freedom 2006

Frei Teilweise frei Nicht frei

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Auch Truppen in friedenserhaltenden Opera-tionen brauchen Schutz und Drohpotenzial

Die US-Intervention in Mogadischu/Somalia endete1993 für die USA in einem Desaster. In der Schweiztrug das Ereignis ursächlich zum Scheitern der Blau-helm-Vorlage an der Urne bei. Nachdem die propa-gandistisch ausgeschlachtete Einzugsparade derleicht bewaffneten Friedenstruppe auf somalischeOpposition und dann ernsthafte militärische Gegen-wehr stiess, rächte sich das weitgehende Fehlen vongepanzerten Truppentransportern und Kampfpanzernbitter. Die US-geführte humanitäre Truppe erlitt emp-findliche Verluste. Die Berichterstattung der Medi-en und damit der öffentliche Druck führten zu einerKehrtwende in der US-Interventionspolitik. Der öf-fentliche Druck wurde so gross, dass sich die USA ausihrem Engagement in Somalia zurückziehen mussten.

Dies führte indirekt dazu, dass sich die USA ei-nerseits im Kosovokrieg (1999) auf einen Luftkriegbeschränkten, andererseits aber auch zu einem ver-mehrten Einsatz von gepanzerten Fahrzeugen in in-ternationalen friedenserhaltenden Operationen. Dabeizeigte sich immer wieder, dass leicht gepanzerte Fahr-zeuge nur bedingt ausreichen. Als Mittel zum Schutzder eigener Einheiten und als «Show of Force» sindauch Kampfpanzer und Kampfschützenpanzer unab-dingbar. Man beachte beispielsweise den aktuellenMittelansatz der französischen Armee im Libanon. Mitdem verstärkten französischen UN-Engagement imLibanon wurden bisher bereits vierzehn Kampfpanzerdes Typs Leclerc ins Krisengebiet entsandt, welcheunmissverständlich die Ernsthaftigkeit der französischgeführten UN-Truppe im Südlibanon belegen.

Aber auch die deutsche Bundeswehr, die politischbedingt eine eher passive Rolle im verhältnismässigruhigen nördlichen Teil Afghanistans wahrzunehmen

Erkenntnisse und Trends zur Einsatzführungund zur künftigen Ausrüstung im Bereich Panzerund gepanzerte Fahrzeuge

hat, wird eine gepanzerte Reserve aus Kampfschüt-zenpanzern Marder in die Region um den Einsatz-schwerpunkt Mazar-i-Sharif verlegen.2 Angesichtsbereits erfolgter Überfälle und Anschläge mit Spreng-sätzen gegen das deutsche Kontingent erfolgen diemeisten Transporte und Patrouillen in Begleitung oderausschliesslich in gepanzerten Fahrzeugen unter-schiedlicher Art. So kommen gepanzerte Patrouillen-fahrzeuge und splitter- und minengeschützte Trans-portfahrzeuge, aber auch Radpanzer zum Einsatz.

In der Botschaft zum Beschluss des Bundesrates(2001) zur Schweizer Beteiligung an der KFOR infor-mierte der Bundesrat, dass das Schweizer Kontin-gent (SWISSCOY) durch einen Sicherungszug ergänztwird. Dies wurde möglich, nachdem die Bewaffnungvon Schweizer Friedenstruppen die Abstimmungs-hürde geschafft hatte. Es schien nun selbstverständ-lich, dass die eigenen Truppen aus eigener Kraft zuschützen waren. Bis anhin waren die deutschen undösterreichischen Kontingente für den Schutz derSWISSCOY zuständig gewesen. Konsequenterweise

Französische Leclerc­Kampfpanzer für die verstär­kte UN­Friedenstruppe im Südlibanon im Hafenvon Beirut.

2 Siehe auch: ASMZ, Dezember 2006, S. 50.

Die geopolitische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Schweizer Armee

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Bestgeschützes und kampfkräftigstes Einsatzmittelder Swisscoy im Kosovo: Der Piranha.

Das deutsche Kontingent der KFOR verfügte biszum Ende des Jahres 2003 über Kampfpanzer Leo-pard und als Einsatzreserve heute noch über Kampf-schützenpanzer Marder. Diese kamen das letzte Malwährend den Unruhen im März 2004 zum Einsatz.Die Überzeugungs- und Durchsetzungsfähigkeit derKFOR liess sich in den ersten Jahren des Einsatzesnur durch mechanisierte Kräfte gewährleisten:

«Bei diesem Dorf (Velika Hoca, eine serbischeEnklave) hatten die Deutschen bis vor kurzem ei­nen Kampfpanzer Leopard stationiert. Denn dorthatten albanische Guerillas von den Berghängeneinen Granatwerferüberfall versucht. Der ‹Leo› er­kennt aber solche Angriffe mit seinem Wärmebildsehr rasch, und mit der leistungsfähigen Kanonekönnen solche Angreifer auch über sehr grosseEntfernungen bekämpft werden. Nach der erstenLeo­Granate hörten die Attacken auf. So viel zumThema schwere Waffen, wo gerade in der aktuellenBundesheerdiskussion manche Zeitgenossen mei­nen, man könne verzichten auf sie…»Bericht des Verbands österreichischer Blauhelmeanlässlich der Balkanreise im Jahr 2004.

wurden dazu Radschützenpanzer Piranha entsandt.Zumindest der Sicherungszug (seit kurzem zwei Züge,resp. aufgrund der Verlagerung der Einsatzaufgabenin Richtung Sicherung eine Infanteriekompanie) kannsich seither splittergeschützt verschieben und auchKonvois als Schutzelement begleiten.

Kampfpanzer Leopard der Bundeswehr im Kosovo.

Das Vorhandensein von schweren Kampfmittelnmag erstaunen, bei einer erneuten Eskalation gingees aber darum, die eigenen Interessen und die Hand-lungsfreiheit zu wahren und den (angepassten) Auf-trag weiterhin erfüllen zu können.

Raumsicherungsoperationen ohnemechanisierte Kräfte undenkbar

Die unterschiedlichen Kräfteverhältnisse sind eingegenüber früheren Kriegen stark gesteigertes Merk-mal moderner Konflikte. Diese Asymmetrien zwischenzwei sich bekämpfenden Parteien stellen sich alsernst zu nehmende Option für die Planung Raum-sicherungsoperationen heraus. Obwohl Asymmetriengrundsätzlich zwischen jedem Gegner bestehen kön-nen, scheinen sie insbesondere für moderne Raum-sicherungsoperationen typisch: Gemeint ist damit dasganze Spektrum von demonstrierenden Aktivistenüber Heckenschützen und paramilitärische oder klas-sische Guerilla/Infanterie bis zum Einsatz von geäch-teten chemischen Kampfstoffen. Die Tatsache, dasses sich beim Gegner zumeist um nicht staatlich ver-fasste Akteure handelt, schränkt die Handlungsfrei-heit der militärischen Kräfte massiv ein. Die Rules ofEngagement (RoE) sowie internationale Konventionengeben den Angehörigen von Streitkräften vor, wie siesich zu verhalten haben und welche Situation welchenMitteleinsatz rechtfertigt. Dagegen haben «asymme-trische Gegner» zur Genüge bewiesen, dass sie sichan keinerlei Einschränkungen bezüglich Konventionenhalten.

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Erkenntnisse und Trends zur Einsatzführung und zur künftigen Ausrüstungim Bereich Panzer und gepanzerte Fahrzeuge

Diese neuen, schwierig einschätzbaren, aber dochakuten Bedrohungssituationen bedingen einen best-möglichen Schutz der im Einsatz stehenden Truppen.Im ersten Libanonkrieg (1982) setzte die israelischeArmee bei der Erstürmung von Ortschaften neben derInfanterie hauptsächlich Kampfpanzer ein. Leicht ge-panzerte Fahrzeuge, wie der M113, bewährten sichnur bedingt. Diese Erkenntnisse nutzte Israel wäh-rend nachfolgenden Raumsicherungsoperationen imGaza-Streifen (Beispiel Jenin 2002). Die Erfahrungenin den beiden Tschetschenien-Feldzügen eingesetz-ter russischer Kräfte waren ähnlich. Für den Kampf imüberbauten Gebiet ungenügend vorbereitete mecha-nisierte und motorisierte, leicht gepanzerte Kräfte er-litten in Hinterhalten der tschetschenischen Kämpferund in den Strassenkämpfen in Grozny empfindlichhohe Verluste.

Seither bilden vor allem die Konflikte in Palästina/Li-banon, die dem zweiten Irak-Feldzug anschliessendenRaumsicherungsoperationen der Koalitionskräfte unddasAfghanistan-EngagementderNATOAnschauungs-unterricht über Bedrohung, Erfahrung und Anpassungmoderner Streitkräfte an die Erfordernisse asymme-trischer Kriegführung. Es kann gerade hinsichtlich vonkünfitgen Raumsicherungsoperationen in der Schweizdavon ausgegangen werden, dass Unterschiede zwi-schen Raumsicherungsoperationen einer Besatzungs-macht und solcher im eigenen Land, wo die Akzeptanzder Bevölkerung deutlich höher sein dürften. Trotzdemist deutlich erkennbar geworden, dass auch low inten-sity-Konflikte angesichts der gegnerischen Möglich-keiten und Bewaffnung starken (Panzer-)Schutz dereigenen Truppen verlangen. Die im Einsatz stehendenVerbände werden konsequent stärker vernetzt, mecha-nisiert und gepanzert. Dies muss angesichts des Wahr-scheinlichkeitsprofils von Raumsicherungsoperationenauch Konsequenzen für die Schweizer Rüstungspolitikhaben.

Für eine verantwortungsvolle Konflikt- und Rüs-tungsplanung gehört auch immer noch die Berück-sichtigung des klassischen Kriegsfalls mit militä-rischen Angriffs- und Verteidigungsoperationen

zum Aufgabenspektrum moderner Armeen – wohlmit einer verhältnismässig geringeren Eintretenswahr-scheinlichkeit, aber mit dem grössten Gefahrenpoten-zial für einen Staat und seine Bevölkerung. Die letztegrosse Auseinandersetzung dieser Art im ersten Irak-Feldzug von 1991 machte deutlich, dass quantitativesGleichgewicht gegen technologisch überlegene Geg-ner in der offenen Feldschlacht zu fürchterlichen Ver-lusten führt.

Im asymmetrischen Konflikt jedoch, wie er sich imGefolge des zweiten Irak-Feldzugs von 2003 blutigentwickelt, wird das Gleichgewicht des technologischunterlegenen Gegners einigermassen erreicht, indemdie modern ausgerüsteten und geführten ausländi-schen Besatzungstruppen von den Aufständischen inbewährter Guerrilla- und Terrortaktik am Ausüben ih-rer technologischen Überlegenheit gehindert werden.

Die totale Überlegenheit in der Luft, an Unterstüt-zungs- und Aufklärungsmitteln, lässt sich nur be-schränkt auf den in Bevölkerung und urbanem Lebens-raum aufgehenden Gegner applizieren. Auf die Stufeder Einheit, des Zugs und der einzelnen Gruppen he-runtergebrochen wird aber in dieser Kampfform – vorallem im Häuser- und Strassengewirr der Städte – derindividuelle Schutz mit ballistischer Körperpanzerungund dem Einsatz von gepanzerten Fahrzeugen gegenBeschuss mit Infanteriewaffen und leichten Panzerab-wehrwaffen zum Erfolgs- und Überlebensfaktor.

In diesem Umfeld ist wieder die Panzerfaust, dieMine, das Maschinengewehr und die improvisier-te Ladung die aktuelle Bedrohung, der Überfall ausdem Hinterhalt, der Anschlag mittels Fernzündungund menschlichen Suizid-Zündern die gegnerischeEinsatzform. Damit bleibt die Initiative beim relativschwach bewaffneten Freischärler, und die militä-risch organisierte und ausgerüstete Truppe muss mitverbesserter Aufklärung und ballistischem Schutzdanach trachten, das erste Treffen zu überleben,um die überlegene Feuerkraft und Führungsdisziplinim anschliessenden Gefecht zum Tragen bringen zukönnen.

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3 Jane’s Defense Weekly, 11. Oktober 2006, S. 26.

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Das Überleben des ersten Treffens und die Erhaltungder eigenen Führungsfähigkeit wird durch den ver-stärkten Einsatz von mittel- bis schwer gepanzertenFahrzeugen verbessert. Im anschliessenden Gefechtwird die Feuerüberlegenheit mit bordgestützten Prä-zisionsmaschinenwaffen bis zu Panzerkanonen ent-scheidend für die Minimierung eigener Verluste. DieEliminierung einer in Gebäuden verschanzten, hochmotivierten Truppe nur mit eigenen Infanteriekräf-ten bleibt auch beim Einsatz von bestens ausgebil-deten Truppen, wie sie die USA und ihre Verbündetenim Irak einsetzen, ein verlustreiches Unterfangen.Dass Kampfschützenpanzer auch mit hervorragendenBeobachtungs- und Kommunikationsmitteln ausgerü-stet sind, macht sie für die abgesessen kämpfendenInfanteristen zu entscheidenden Unterstützungsmit-teln.

Die grundsätzliche Devise – angesichts der latentenBedrohung durch improvisierten Sprengladungen, Mi-nen, Hohllandungswaffen und Sprengmunition – lau-tet: Keine ungeschützten Truppentransporte mehr.Die US-Streitkräfte haben als Sofortmassnahmebei der Industrie tausende von geschützten Mann-schaftstransportern MRAP (Mine Resistant AmbushProtected, also gegen Minen resistente und vor Hin-terhalten geschützte Fahrzeuge) in Auftrag gegeben.Ähnliche Projekte stehen bei sämtlichen westlichenArmeen an; in der Schweiz wird der GMTF in dieseKategorie fallen.

Letztlich bestätigt sich auch im Irak und in Afgha-nistan die teure Erkenntnis, dass Feldzüge gegenklassisch militärisch organisierte Gegner mit klarerLuft- und Aufklärungsüberlegenheit mit verhältnis-mässig geringen bis vernachlässigbaren Verlustenentschieden werden können, dass aber die nach-haltige Sicherung des Erfolgs bodengestützt folgenmuss. Und hier zeigt sich deutlich, dass die Hauptlastmoderner Raumsicherung weiterhin von mechanisier-ten Landstreitkräften getragen werden muss, bis einestaatliche Ordnungsmacht flächendeckend mit Polizeiund paramilitärischen Einheiten diese Sicherungsauf-gabe zu übernehmen imstande ist.

Überheblicher Einsatz mechanisierter Kräfteim Libanonkrieg

Der im Sommer 2006 offen ausgetragene Konfliktzwischen der im Südlibanon verschanzten Hisbollah-Guerrilla und der modern ausgerüsteten und geführtenisraelischen Armee scheint nur oberflächlich betrach-tet, den entscheidenden Wert mechanisierterKräfte auch im asymmetrischen Einsatz in Frage zustellen. Dass die Israelis überraschend empfindlicheVerluste an Schützenpanzern und sogar Kampfpan-zern erlitten, liegt im Wesentlichen darin begründet,dass der Gegner von der israelischen Führung krassunterschätzt wurde. Weder der Befestigungsgradder Hisbollah-Stellungen (betoniert, überlappendeFeuerräume, unterirdische Verbindungen) noch dieAusrüstung mit auf mittlere Distanzen wirkenden Pan-zerabwehrlenkwaffen noch der verhältnismässig hoheAusbildungsstand wurde von den angreifenden Israe-lis ernst genommen.

Moderne Panzerabwehrlenkwaffen mit Einsatzdis-tanzen von über 1000m, wie sie dank syrischen undiranischen Lieferungen von der Hisbollah eingesetztwerden konnten, sind nicht annähernd so weit ver-breitet wie Kalashnikovs oder die allgegenwärtigenRPG-7-Panzerfäuste. Die israelischen Erfahrungengegen diese Waffen machten aber deutlich, wie wich-tig modernste Schutzpanzerung ist. So sank die Ver-lustrate an tödlich verletzten Insassen in getroffenenisraelischen Panzerfahrzeugen 2006 gegenüber der-jenigen im Yom Kippur-Krieg um 50%, obwohl sichdie Durchschlagsleistungen der verwendeten Panzer-abwehrwaffen z.T. seither enorm verbesserten.3 Soaber blieben die israelischen Verluste der entgegender Doktrin einzeln oder in isolierten Gefechten einge-setzten Panzerkräfte schmerzlich, aber verkraftbar.

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Weiterentwickelte Taktik für gepanzerteKräfte im urbanen Raum

Die bereits angesprochene zunehmende Verlage-rung des Gefechtsfelds ins überbaute Gelände erfor-dert eine Anpassung der Taktik. Bisherige Vorgehens-weisen waren zumeist verbunden mit entweder hoheneigenen Verlusten durch infanteristischen Nahkampfoder dann für westliche Standards inakzeptablen ho-hen zivilen Verlusten durch grobflächigen Einsatz vonArtillerie und Luftbombardements gegen erkannte undvermutete Widerstandsnester in bewohnten Städten(vgl. Grozny).

Operationen im überbauten und bewohnten Ge-lände müssen, ohne dass es zu grossen Kollateral-schäden kommt, sowohl im Kriegseinsatz als auchwährend friedenserhaltenden Missionen durchgeführtwerden können. Dabei muss auch bei Letzterem stetsmit der Möglichkeit einer örtlich beschränkten, abermassiven Intensivierung des Konfliktes gerechnet wer-den. Diese Problematik wurde im Zusammenhang mitder gescheiterten US-Intervention in Somalia (1993)als «Three Block War» erkannt und thematisiert: DerKampf in einer Ortschaft bedeutet für die militärischeEinheit und somit auch für den einzelnen Soldaten,dass sie mit dem ganzen Spektrum der Konfliktsin-tensität konfrontiert werden. Das kann sich beispiels-weise darin ausdrücken, dass auf engstem GebietBegegnungsgefechte, Hausdurchsuchungen und hu-manitäre Hilfeleistungen gleichzeitig stattfinden.

Der technologisch unterlegene Gegner findet imurbanen Umfeld eine bestehende Infrastruktur, durchdie er an Kraft und Wirksamkeit gewinnt. Die im Ein-satz stehenden konventionellen Verbände sind hinge-gen vielfachen Einschränkungen unterworfen. Umsowichtiger wird in Zukunft der Einsatz von Task-Force-Verbänden: Kampfpanzer, Kampfschützenpanzer undInfanterie werden bis auf Stufe Zug gemischt und dieEinsatzform dem gegen sie einsetzbaren Arsenal anweitverbreiteten Panzerabwehrwaffen Typ RPG, Minenund improvisierten Ladungen angepasst. Während dieKampfpanzer mit ihren Sensoren aus maximaler Di-

stanz (mehrere Hundert Meter bis zu Hügelstellungenausserhalb der eigentlich umkämpften Quartiere) auf-klären, das Feuer auf sich ziehen und durch ihren hohenSchutzgrad überleben, erkannte Stellungen bekämp-fen und Hindernisse aufbrechen, säubert die InfanterieHaus für Haus. Kampf-, Kampfschützenpanzer oderRadschützenpanzer neuerer Generation sind dabei dieHome-Base und die mitgeführte «Präzisionsartillerie»mit Panzerkanone und Maschinenwaffen für die abge-sessen kämpfenden Truppen. Hier finden sie Schutzgegen Geschosssplitter und Kleinwaffen, Nachschub,Verbindung und Möglichkeiten, eigene und zivile Ver-letzte rasch aus der Gefahrenzone zu evakuieren.

Absehbare technologische Entwicklungenund Kampfsysteme der Zukunft

Werden heutige Entwicklungen von modernenKampfsystemen beobachtet, so offenbaren sich zweiunterschiedliche Tendenzen, die aber parallel laufen.Zum einen sind dies neu entwickelte leicht- bis mit-telschwer gepanzerte, radgestützte und luftverlad-bare, zum anderen schwer gepanzerte, duellfähigeund auf Raupen eingesetzte Panzerfahrzeuge.

In der US-Armee4 drückt sich das konkret in einerausgewählten Modernisierung der schweren, ge-panzerten Divisionen aus der Vergangenheit (LegacyForces) und der Entwicklung einer mittelschwerenÜbergangsstruktur (Interim Forces) aus. Die übrigenwestlichen Armeen sind aufgrund beschränkter Mit-tel auf Mischformen und längere Übergangsphasenangewiesen. Der Trend von der mechanisierten Ter-ritorialverteidigung zu rasch verlegbaren Verbändenmit mittelschwer gepanzerten Kampf-, Artillerie- undTransportfahrzeugen ist aber überall offenkundig.

Die Übergangslösung der US Army sind die Stry-ker Brigade Combat Teams (SBCT). Dabei handelt essich um komplett zur Vernetzten Operationsführungbefähigte Brigaden, benannt nach ihrem Hauptfahr-

Erkenntnisse und Trends zur Einsatzführung und zur künftigen Ausrüstungim Bereich Panzer und gepanzerte Fahrzeuge

4 Die US-Streikräfte sind der bedeutendste Benchmark bezüglich high-intensi-ty-Konflikte. Defizite bestehen hauptsächlich bei Konfliktvor- und -nachsorge.

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zeug, dem Stryker. Der Stryker ist bekannterweiseeine Entwicklung der Schweizer Firma MOWAG aufBasis des Piranha III. Das Fahrzeug mag sich durchseine ausserordentliche Mobilität im eigentlichen Irak-krieg (Operation Iraqi Freedom) bewährt haben. In dennachfolgenden Raumsicherungsoperationen zeigtesich allerdings, dass das Basisfahrzeug des Strykerkeinen genügenden Rundumschutz bieten konnte.Die grösste Gefahr drohte durch ab Schulter einge-setzte RPG 7 (Rocket Propelled Grenade)-Panzer-fäuste und improvisierte Sprengladungen jedwederGrösse. Zur Abwehr der Raketengeschosse mit Hohl-ladungen wurde die Schutzwirkung der Stryker durchzusätzliche Panzerung und einen Metallkäfig, derHohlladungsgeschosse vor dem Aufschlagen auf dieeigentliche Panzerung vorzeitig zum Explodieren brin-gen soll, deutlich verbessert. Die Gewichtserhöhungvon mehreren Tonnen und die grösseren Masse durchdas mitgeführte Metallgitter haben indessen eine ver-minderte Mobilität des Fahrzeuges zur Folge.

ten. Mit Druckwellen abweisender Formgebung undstärkerer Bodenpanzerung wird die Minenbedrohungangegangen. Aktive Suchsysteme werden den präzi-sen Waffeneinsatz für kurze und entfernte Ziele weiterverkürzen. Beispiele sind eine neue Version des Leo-pard-Kampfpanzers für den Einsatz im urbanen Um-feld und mehrere israelische Eigenentwicklungen vonSchützenpanzern, die bereits in Städten und Dörfernder besetzten Gebiete eingesetzt wurden.

Nahe Zukunft: Aktive Schutzsysteme gegenPanzerabwehrgeschosse

Um die Verletzlichkeit der Fahrzeuge gegenüberschultergestützten Panzerfäusten und Panzerabwehr-lenkwaffen, die sowohl ab Boden wie auch ab Fahr-zeug oder Kampfhelikopter eingesetzt werden, zuverkleinern, wird v.a. in den USA und in Israel mitHochdruck an aktiven Schutzsystemen (Active Pro-tection System, kurz APS) gearbeitet.5 Ein auf demFahrzeug installiertes APS soll die vergleichsweiselangsam anfliegenden Hohlladungsgeschosse nochvor dem Auftreffen auf das Fahrzeug durch Direktbe-schuss neutralisieren. Damit würde die gegenwärtigeHauptgefahr für gepanzerte Fahrzeuge im urbanenEinsatz möglicherweise stark eingedämmt. Die Lö-sungsansätze verschiedener Rüstungsfirmen unter-scheiden sich in der Ausführung. Und was ein APSder ersten Generation noch nicht können wird, ist derSchutz von Fahrzeug und Mannschaft vor Minen undSprengladungen.

Die Entwicklung von APS steht noch in der Anfangs-phase, das System hat aber durchaus Potenzial undwird sich durchsetzen. Zum Einsatz kommen soll esin der nächsten Generation von Gefechtsfahrzeugender US-Armee.

5 Siehe dazu auch den Artikel «Weight Watching», in: Jane’s Defence Weekly,4. Oktober 2006.

Sicherheitspolitische Information, September 2007

Stryker­Gefechtsfahrzeug im Irak mit «Käfig», derHohlladungsgeschosse vorzeitig zur Explosion brin­gen soll.

Was auf dem Stryker noch behelfsmässig nach-gerüstet wurde, ist in der nächsten Generation vonPanzerfahrzeugen weiter verbreitet. Kampfpanzerund Schützenpanzer werden spezifisch für den Ein-satz in überbauten Gebieten ausgerüstet. Dazu ge-hören Waffenstationen, die aus dem Inneren desGefährts bedient werden können. Videokameras mitRundumblick minimieren einen der Hauptnachteilevon Panzerfahrzeugen seit ihrem erstmaligen Auftre-

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Future Combat System der US­Army – unterschied­liche Fahrzeuge basierend auf derselben Fahrzeug­familie.

Fazit: Die Zeit der Panzerschlachten ist nichtvorbei

Die Zeit der Panzerschlachten ist mitnichten vorbei.Richtig ist: Wenig wahrscheinlich bleibt in der aktuellengeostrategischen Lage ein kriegerisches Aufeinander-treffen grosser, modern ausgerüsteter mechanisierterArmeen in Europa. Richtig ist aber auch: Heute wer-den gepanzerte Fahrzeuge, ihr Schutz, ihre Feuerkraftund ihre Mobilität weiterhin entscheidendes Mittel zurDurchsetzung gegen konventionelle und asymmet-risch operierende Gegner bleiben. Die Minimierungvon Verlusten an eigenen Soldaten und das bessereDurchsetzungsprofil rechtfertigen den Aufwand fürBeschaffung, Unterhalt und Ausbildung bei weitem.

Gepanzerte Fahrzeuge werden das Bild moder-ner europäischer Armeen somit noch lange undimmer mehr beherrschen. Dies nicht zuletzt deshalb,weil die wirksamste Waffe gegen gepanzerte Fahr-zeuge ebensolche sind. Nur wer keine eigenen hat,muss sich auf die beschriebenen Panzerabwehrmittelmit gefährlich kurzen Einsatzdistanzen oder eben aufMinen und improvisierte Ladungen verlassen. Die Ver-schiebung und der Kampf ab gepanzertem Fahrzeugbleibt in Zonen mit echter Gefährdung durch Artillerie,Minenwerfer und Infanteriewaffen die beste Option fürdie eigene Truppe.

Wo immer möglich, ist deshalb die flächende-ckende Ausrüstung mit Fahrzeugen, die entspre-chend ihrer wahrscheinlichen Einsatzform unter-schiedlich stark gepanzert und bewaffnet sind,anzustreben. Die Limiten setzen dabei mehr diefinanziellen Mittel als die früher gängige Unter-scheidung in Panzer-Gelände und Infanterie-Ge-lände. Hier sind die Übergänge fliessender gewor-den – Panzer werden zunehmend überall führendoder unterstützend eingesetzt.

Erkenntnisse und Trends zur Einsatzführung und zur künftigen Ausrüstungim Bereich Panzer und gepanzerte Fahrzeuge

Die USA arbeiten bereits heute an einem zukünftigenGefechtssystem (Future Combat System, kurz FCS).Die Hauptmerkmale dieses Systems sind: Fähigkeitauf höchstem Grad zur Vernetzten Operationsführung,eigene diversifizierte Aufklärungsmöglichkeiten (unbe-mannt zu Land und Luft) sowie hohe Feuerüberlegen-heit (direkt und indirekt). Dabei wurde der Panzerungin der bisherigen Planung zugunsten der Mobilität we-niger Beachtung geschenkt, und man gab sich mit ge-ringeren Schutzstufen zufrieden. Die Gewichtsgrenzevon maximal 18–20 Tonnen sollte die Lufttransportfä-higkeit mit Transportflugzeugen und eine hohe Mobili-tät garantieren. Das Manko der Panzerung hätte durchhochwertige Aufklärung, das APS und die VernetzteOperationsführung kompensiert werden sollen. Aberauch hier kann davon ausgegangen werden, dass dieEntwickler aus den momentanen Einsatzerfahrungenim Irak die Konsequenzen ziehen werden. Es ist zu er-warten, dass die FCS-Fahrzeugfamilie mit einer stär-keren als der ursprünglich geplanten Panzerung pro-duziert werden wird. Bezüglich Lufttransportfähigkeitwird man auf die grössere C-17 Globemaster III heavycargo aircraft ausweichen.

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Umsetzungen in der Schweiz

Mit der Truppenübung ZEUS (2006) erprobte dieSchweizer Armee erstmals im grösseren Manöver dienötigen Konsequenzen aus den aktuellen Erfahrungenfür Raumsicherungsoperationen mit gepanzerten undmechanisierten Einheiten. Für das von der Übungs-leitung vorgegebene Bedrohungsszenario wurde einEinsatzverband zusammengestellt. Die Task ForceBrigade (Inf Br verstärkt durch ein Pz Bat und ein PzGren Bat) wurde in der präventiven Raumsicherungbeübt.

Die an sich richtige Stossrichtung vermochten dieSchweizermedien nicht richtig zu gewichten und mas-sen sie an bereits überholten Vorstellungen, die nochan der strategischen Wende des Endes des KaltenKrieges orientiert waren. Den Einsatz von Panzerfahr-zeugen verschiedener Klassen in «Bewachungs- undAntiterroraufgaben» belächelten viele Kommentatorenals unverhältnismässig, kontraproduktiv und fälschli-cherweise als Mittel, der Öffentlichkeit eine angeblichnicht existierende Bedrohung verkaufen zu wollen.

Die Hauptargumente, Panzerung der eigenenTruppe, Durchsetzungsfähigkeit («Show of Force»)und Möglichkeit, nötigenfalls das stärkste Mittel zumEinsatz bringen zu können, blieben unverstanden. An-lässlich der müssigen Panzerbeschaffungs-Debattenin Medien und Politik ist das wenig erstaunlich. Esmuss hier von einer fehlgeschlagenen Kommunikationseitens der Armeeführung ausgegangen werden. Hät-te man frühzeitig die Meinungsbildner umfassend in-formiert, wäre es nie so weit gekommen.

Die Schlagzeile unserer Boulevardzeitung zur ÜbungZeus lautete dementsprechend unreflektiert: «BeimZeus! Armee jagt Terroristen durch die Westschweiz»(Blick 9.5.2006). Das Schlagwort Terrorismus ist denk-bar ungeeignet, um den Fächer an möglichen Bedro-

hungsformen zu beschreiben (ein besseres bietet sichallerdings auch nicht an…). Terrorismus ruft ein durchMedien verbreitetes, stereotypisiertes Bild hervor. Soist es nicht erstaunlich, dass Panzertruppen im Zu-sammenhang mit Terrorismus als handlungsunfähigdeklariert werden: «Es ist deshalb richtig, die Pan­zertruppen zu Gunsten der Infanterie zu reduzieren– der Bedrohung durch den Terrorismus kann eher mitleichten Kampftruppen im Sicherungseinsatz begeg­net werden als mit schwerem Gerät. Und die Zeitender Panzerschlachten in Europa sind definitiv vorbei.»(Die Südostschweiz 4.10.2006). Selbst die sonst eherrealitätsnahe NZZ betitelte den «abschreckenden Ein­satz von Panzern zur Terrorabwehr» als «realitätsfern»(NZZ 4.10.2006).

In diesem Gebiet ist eine intensive Aufklärungsarbeitzu leisten, da die hiesigen Medienschaffenden offen-bar nicht bereit sind, die realen Kampfeinsätze vonTruppen in Raumsicherungsoperationen zum aktu-ellen Massstab für das Anforderungsprofil der Schwei-zer Armee zu akzeptieren. Die geplante Beschaffungder Geschützten MannschaftstransportfahrzeugeGMTF wird hier eine Ausrüstungslücke zwischen un-geschützten und unbewaffneten Duro-Transportern

Konsequenzen für die Schweizer Armee

Einsatz von Kampfpanzer Leo II anlässlich derÜbung Zeus der Inf Br 2 im Mai 06.

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mit den entsprechenden Übungsanlagen für denKampf im überbauten Gelände realisiert werden kann.Zertifizierte Verbandsübungen unter Übungsleitungvon Berufsmilitärs können dabei Ausbildungslückenschonungslos offenlegen und eine zielorientierte Aus-bildung ermöglichen. Infanteriebataillone, die ihreRadschützenpanzer als bessere Lastwagen brau-chen und einfachste Gruppentasks WK für WK üben,verfangen sich in der Vorstellung, dass das moderneEinsatzspektrum eine statische Angelegenheit ist.Sie haben aber nicht erkannt, wo heute Ausbildungs-schwerpunkte zu setzen sind. Ihnen muss die Mög-lichkeit geboten werden, moderne, einsatzbezogeneAusbildung betreiben zu können.

Rüstung: Investitionen in Schutzund Mobilität notwendig

KampfpanzerMit der Verabschiedung des Rüstungsprogramms

06 (RP 06) wurde im Hinblick auf die Erhaltung der Ver-teidigungsfähigkeit zumindest qualitativ ein richtigerEntscheid getroffen. Die Werterhaltung der Kampf-panzer 87 Leo durch ein zusätzliches Wärmebild-gerät für den Einsatz in der Nacht und gegen getarntegegnerische Positionen für den Kommandanten, dieVorbereitungen für das Führungs- und Informations-system, die Rückfahrhilfe mittels Heckkamera und derelektrische Turm- und Waffenantrieb sind dringendnötige Investitionen in den Funktionserhalt.

Für eine Kampfwertsteigerung ist in naher Zukunftdie obere Panzerung zu verbessern, denn Angriffe ausder Vertikalen gegen Panzer sind im Häuser- und Orts-kampf eine beliebte und effiziente Taktik. Minenschutzund Verbesserung der oberen Panzerung sowie eineautarke Waffenstation wurden mit der Werterhaltungim RP 06 zurückgestellt. Die Nachrüstung sollte bald-möglichst wieder ins Auge gefasst werden.

und Piranha-Radpanzern schliessen. Diese Einfüh-rung bietet die Gelegenheit, der Öffentlichkeit dieverschiedenen Einsatzformen und ihre Ausgestaltungverständlich darzulegen.

Ausbildung im Bereich des Kampfesder verbundenen Waffen

Der Kampf im überbauten Gelände (KIUG) ist kaummit Reglementen zu fassen. Zu komplex sind Geländeund Aktionen. Allenfalls lassen sich einige Grundtasksin Reglementen festhalten. Viel wichtiger ist das Be-üben von Kampfverbänden. Soldaten und Kader müs-sen sich an den urbanen Kampf gewöhnen und ler-nen, dass sie auf verschiedensten Ebenen zu denkenund zu handeln haben (Three Block War).

Gleichfalls sollten grosse Manöver, wenn immermöglich, nicht artrein durchgeführt werden. Infante-rie und Panzertruppen müssen gemeinsames unddurchmischtes Vorgehen in der Praxis üben. An denInfanterie- und Heerestagen 2005 in Walenstadt de-monstrierte eine Infanteriekompanie, verstärkt durcheine Gruppe mechanisierte Aufklärer und Kampfpan-zer-Gruppe eindrücklich, wie man sich eine Übung imRahmen des KIUG vorzustellen hat. Dazu sind abergeeignete Übungsgelände von Nöten. In der Schweizsind dies die Ortskampfdörfer Äuli in Walenstadt undNalé in Bure. Durch die teilweise integrierten Simulati-onssysteme lässt sich auch die Wirkung von schwerenWaffen darstellen. Walenstadt und Bure sind bestensgeeignet, um Truppen zu beüben. Daneben gibt eseinige Anlagen (wie z.B. Isone und LeDay), in denenzumindest gewisse Techniken geübt und gefestigtwerden können. Es ist allerdings fraglich, ob dieseausreichen.

Das VBS tut gut daran, zu prüfen, wo und wie zu-mindest ein weiteres Gefechtsausbildungszentrum

Konsequenzen für die Schweizer Armee

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Bei Marktreife muss auch die Anschaffung eines ak-tiven Schutzsystems geprüft werden, und zwar füralle mittelschwer- und schwergepanzerten Fahrzeuge.Des Weiteren müssen genügend Kampfpanzer modu-larartig den Anforderungen von friedensförderndenEinsätzen angepasst werden. Vorbild dabei ist dieWeiterentwicklung Leopard 2 PSO (Peace SupportOperation): Zusätzliche Schutzelemente an Turm undFahrgestell, ein Räumschild, zusätzliche Bordwaffen,Beobachtungsmittel und Kamerasystem zur Rundum-überwachung, Schutz der Optiken und ein Aussen-anschluss für die Bordverständigungsanlage, zurdirekten Kommunikation mit den abgesessenen Ein-heiten.6

Geschützte Begleit­ und TransportfahrzeugeEs braucht sodann Investitionen in Schutz und

Bewegung für alle Truppen. Mit den vorhandenenRadschützenpanzern 93 (Rad Spz 93) kann die Infan-terie nur einen Teil ihrer Bedürfnisse nach geschützterMobilität abdecken. Es ist unverantwortbar, dass dasGros der Truppenverschiebungen mit ungeschütztenFahrzeugen erfolgen muss.

Dieaktiven Infanterieverbändesindflächendeckendmit splittergeschützten Kampf- und Transportfahrzeu-gen auszurüsten. Mit den bisher angeschafften Ra-dschützenpanzern (Rad Spz 93) konnte ein Teil derBedürfnisse der Infanterie abgedeckt werden. Schutzund Mobilität sind in allen Lagen des Bedrohungs-spektrums entscheidende Faktoren zur Sicherstellungder Einsatzfähigkeit der eingesetzten Truppen.

Ergänzend ist daher ein schnelles, gepanzertesund dennoch wirtschaftliches (sprich finanzier-bares) Fahrzeug gefragt. Das – zwecks vertiefenderTruppenversuche – aus dem RP07 ins RP08 verlager-te Geschützte Mannschaftstransportfahrzeug (GMTF)erfüllt diese Anforderungen des modernen Einsatzum-feldes. Das GMTF ist als ergänzendes Mittel der In-fanterie zu sehen und präjudiziert in keiner Weise dasinfanteristische Einsatzspektrum. In Zukunft wird sichdie Infanterie mit einem tendenziell sich weiter ver-breiternden Bedrohungsspektrum und damit immerkomplexeren Situationen auseinandersetzen müssen.Dafür bedarf sie der entsprechenden geschütztenTransportmöglichkeiten. Die geplante Anschaffungdes GMTF ist die logische Konsequenz, um unserenInfanteristen ein Fahrzeug mit ausreichender Schutz-wirkung zu bieten.

Mittelfristig muss auch der quantitative und quali-tative Ausbau der Piranha-Flotte angegangen werden,um neben Mobilität und Schutzwirkung auch bezüglichFeuerkraft der Unterstützungswaffen konkurrenzfähigzu bleiben. Deshalb sind insbesondere der Schutz-grad und die vorgesehene Bewaffnung zu überprüfenund punktuell zu ergänzen/erneuern. Vorbildcharakterhat hier die Stryker-Gefechtsfahrzeugfamilie.6 Siehe auch: ASMZ, Dezember 2006, S. 50.

Leopard 2 PSO

Sicherheitspolitische Information, September 2007

Die Beschaffung von Genie- und Minenräumpan-zern ist folgerichtig. Sie garantieren die Mobilität vonPanzer- und schweren Task-Force-Verbänden. DieStückzahl muss allerdings hinterfragt werden. Dassel-be gilt für die Kampfschützenpanzer 2000 vom TypCV 90/30. Der Verzicht auf die zweite Tranche magfinanzpolitisch wohl interessant gewesen sein, ist imHinblick auf die Auftragserfüllung aber fragwürdig. Daauch die Infanterie das Bedürfnis nach einer schwerenKomponente ausweist, ist zumindest eine reduzierteAnschaffung zu prüfen.

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Die Schweizer Armee ist grundsätzlich – wasgepanzerte Fahrzeuge betrifft – noch auf passa-blem Weg. Es gilt, trotz einschränkendem finan-ziellem Spielraum auf keinen Fall den Anschlusszu verpassen und sich dabei von wenig fundierten,politisch motivierten Ablenkungsmanövern nichtdavon abbringen zu lassen. Das bedeutet, dassnach erfolgter flächendeckender Ausrüstung derInfanterie mit splittergeschützten Fahrzeugen dieAusrüstung des mechanisierten Aufwuchskernsmit Gefechtsfahrzeugen der nächsten Generation(inkl. APS-Schutz) rechtzeitig ins Auge gefasst undumgesetzt werden muss.

Geschütztes Mannschaftstransportfahrzeug derDURO­Fahrzeugfamilie (GMTF).

Konsequenzen für die Schweizer Armee

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Unsere ZieleDer Verein Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaftund seine Mitglieder wollen– bekräftigen, dass die Schweiz auch in Zukunft ein

militärisch ausreichend geschützter Raum bleibensoll,

– erklären, dass ein wirksamer Schweizer Beitrag andie Stabilisierung primär des europäischen Um-feldes eine glaubwürdige, kalkulierbare und umfas-sende Schweizer Sicherheitspolitik benötigt,

– herausarbeiten, dass die Schweiz nicht nur alsStaat, sondern auch als Wirtschaftsstandort, Denk-,Werk- und Finanzplatz sicherheitspolitisch stabilbleiben muss, um weiterhin erfolgreich existieren zukönnen,

– darlegen, dass eine sichere Schweiz angemesseneMittel für ihre Sicherheitspolitik benötigt,

– aufzeigen, was für eine effiziente und glaubwürdigeArmee im Rahmen des integralen Selbstbehaup-tungsapparates an Führungscharakter und Kompe-tenz, an Ausbildung, Ausrüstung und Organisationnötig ist,

– sich dafür einsetzen, dass künftige Reformen derMilizarmee und ihrer Einsatzdoktrin diesen Postu-laten entsprechen.

Unsere LeistungenDer Verein und seine Mitglieder verfolgen diese Zieleseit 1956 durch Informationsarbeit in Form von Stu-dien, Fachbeiträgen, Publizität und Stellungnahmen(vgl. www.vsww.ch), Vorträgen, Interviews und Ge-sprächsbeiträgen.So hat er wesentlich geholfen,– gegen eine moderne Schweizer Sicherheitspolitik

gerichtete Volksinitiativen und Referenden zu be-kämpfen sowie

– Expertenbeiträge zu einer neuen Sicherheitspolitikund zu einer glaubwürdig ausgebildeten und aus-gerüsteten Armee zu leisten.

Unsere ZukunftsvisionWir wollen mit unserer Arbeit dazu beitragen,– dass die Schaffung eines breit abgestützten inneren

Konsenses im Bereich der militärischen Selbstbe-hauptung in der Schweiz gelingt und

– die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politischeIntegration unserer Milizarmee auch in Zukunft in-takt bleibt.

Unsere FinanzierungWir finanzieren uns durch Mitgliederbeiträge, Gönner-beiträge, Spenden sowie Legate.

Unsere PublikationenFinden Sie unter: www.vsww.ch

Sie erreichen uns unter:Verein Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaft,Postfach 65, 8024 ZürichInternet: www.vsww.ch,Telefon: 044-266 67 67 oder Fax: 044-266 67 00

PC-Konto 80-500-4, Credit Suisse Zürich,Konto-Nr. 468809-01Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!