Siebenmorgen, Peter - Gefangen Im Schweigenetz (Die Zeit, 23.11.1990)

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    G L A D I O I N D E U T S C H L A N D ?

    Gefangen im SchweigenetzBonn und die Geheimorganisation fr verdeckte OperationenVON Peter Siebenmorffen | 23. November 1990 - 07:00 Uhr

    Von Peter Siebenmorgen

    Das Geheimpapier liest sich wie das Drehbuch fr einen James-Bond-Film.Propaganda, Wirtschaftskrieg, vorbeugende Direktmanahmen, einschlielichSabotage, Anti-Sabotage, Zerstrung, Evakuierungsmanahmen sind darinangefhrt. Auerdem geht es um Subversion in feindlichen Staaten, einschlielichUntersttzung fr im Untergrund operierende Widerstandsbewegungen, Guerillakrafte

    und Gefangenenbefreiungskommandos sowie Untersttzung einheimischer anti-kommunistischer Krfte in bedrohten Lndern der westlichen Welt.

    All diese Aufgaben sind in dem streng geheimen Dokument NSC 10/2 vom 18. Juni 1948genannt, das erstmals diespecial projects amerikanischer Geheimagenten definierte.Die italienische Geheimtruppe Gladio war eines dieser Spezialprojekte, konzipiert frsogenannte verdeckte Operationen.

    Gladio? meint ein bundesdeutscher Experte, so etwas hat es in Deutschland niegegeben. Sie meinen vielleichtstay behind forces. Sie knnen es auch Schweigenetznennen. Das gibt es in der Tat bei uns, und es ist das Selbstverstndlichste freinen verteidigungswilligen Staat. Eberhard Blum, der die Geschichte desBundesnachrichtendienstes ( BND ) schon aus seiner Zeit als persnlicher Referent deslegendren Reinhard Gehlen kennt und zwischen 1983 und 1985 Prsident des BND war,wiegelt ab. Er weist entschieden den Vorwurf zurck, auch in Deutschland habe einenachrichtendienstliche Geheimorganisation ein mit Gladio vergleichbares politischunkontrolliertes Eigenleben entwickelt. Was Blum aber nicht bestreitet, ist die Existenzeiner vom amerikanischen Geheimdienst initiierten deutschen Organisation fr verdeckteOperationen. Er nennt es Schweigenetz, da seine Existenz der ffentlichkeit, nicht aberden politisch zustndigen Gremien, verborgen bleiben sollte. Das Schweigen sollte erst

    im Kriegsfall gebrochen werden, wenn feindliche Truppen Deutschland oder auch nur Teiledes Landes besetzt hatten.

    Derartige Projekte gehren seit den Anfngen der amerikanischen CIA zum Heikelsten,was die Strategen und Geheimniskrmer des Kalten Krieges zu bieten hatten. Denn:Verdeckte Operationen sind nach Definition der Direktive NSC 10/2 nur solcheEinstze, die von der amerikanischen Regierung gegen feindliche fremde Staaten oderGruppen oder aber zur Untersttzung befreundeter Staaten und Gruppen durchgefhrt oderfinanziert werden, sie sollten jedoch derart geplant und ausgefhrt werden, da keine

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    Verantwortlichkeit der US-Regierung erkennbar wird und im Fall der Aufdeckung die US-Regierung plausibel jedwede Verantwortlichkeit bestreiten kann.

    Genaue Ausknfte ber die Anfange der verdeckten CIA-Operationen sind auch nachvierzig Jahren nur schwer zu erhalten. Gleichwohl gilt als sicher, da MitteleuropaSchwerpunkt der amerikanischen Geheimaktivitaten war. Im Jahre 1952 beschftigten sichallein in Deutschland 1200 US-Agenten mit verdeckten Operationen. Im Klartext bedeutetedies: antikommunistische Propaganda und Subversion, aber auch Aufbau eines geheimenAgentennetzes, das im Fall eines erfolgreichen sowjetischen Angriffes aktiviert werdenknnte.

    In der Fachsprache der Nachrichtendienste werden solche Krftestay behind forcesgenannt. Sie haben die Aufgabe, Brckenkopf des eigenen Nachrichtendienstes

    im besetzten Land zu sein. Damit erfllen sie einen Auftrag, der abgesehen vonEinsatzgebiet und Fhrung prinzipiell mit dem der Bundeswehr-Fernsphtruppevergleichbar ist. Die Vorsorge derstay behind-Organisation, fr den Ernstfall ist allerdingsumfassender, da diese Krfte auf eigenem Territorium eingesetzt werden sollen. Inunterirdischen Depots(caches) liegen fr den Tag X Funkgerate, Handfeuerwaffen zurSelbstverteidigung, Sprengstoff und sonstiges militrisches Gert bereit. Selbst fr denFall eines Whrungsschnittes wurden die Zurckgebliebenen bestens ausgestattet:In den fnfziger Jahren sollten vergrabene Napoleon-Golddukaten die krisenfesteZahlungsfhigkeit der Geheimdienstler sichern.

    Stay behind-Krfke gibt es in Deutschland seit Anfang der fnfziger Jahre. Welche Rolledie Organisation Gehlen, der Vorlufer des BND, dabei ursprnglich spielte, ist unklar.General James Critchfield, der bei der Integration des Gehlen-Unternehmens in denwestlichen Nachrichtenverbund eine wichtige Rolle spielte, hlt es fr ausgeschlossen, dadie fr Deutschland vorgesehenen Krfte vor 1956 von einer deutschen Dienststelle gefhrtworden seien. Seit sptestens 1959 aber leitete der BND dieses Agentennetz.

    Die Organisation war so geheim, da die in den vergangenen Wochen meistgehrteAntwort auf die Frage, was es mit der vermeintlichen Nato-Geheimarmee Gladio auf sichhabe, lautete: Nie gehrt. So wute General Wolfgang Altenburg, bis zum 30. September

    des vergangenen Jahres als Vorsitzender des Nato-Militrausschusses einer der hchstenGeheimnistrger der westlichen Allianz, bis zu den ersten Presseberichten nichts davon.Selbst als Generalinspekteur der Bundeswehr sei ihm ber eine derartige, auch in derBundesrepublik operierenden Einheit nichts zu Ohren gekommen. Es msse sich wohl umeine nachrichtendienstliche Truppe handeln, die in einem streng abgetrennten Trakt beimalliierten Oberkommando fr Europa (Shape) koordiniert wrde. Und dieser Teilbau dermilitrischen Nato-Zentrale sei so geheim, da selbst er da nie rein durfte.

    Der ahnungslose Vier-Sterne-General ist in guter Gesellschaft. Auch die Mitglieder derParlamentarischen Kontrollkommission ( PKK ), dem zahnlosen Wachhund des Deutschen

    Bundestages zur berwachung nachrichtendienstlicher Ttigkeit, erfuhren erst Ende

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    vergangener Woche von der ins Gerede gekommenen Geheimdiensttruppe. In einergeheimen Aufzeichnung vom 14. November 1990 skizzierte Hermann Jung, der fr dieDienste zustndige Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt , den Parlamentariern dieAktenlage. Doch sehr ergiebig waren diese Informationen nicht, beklagt sich der SPD-Abgeordnete Wilfried Penner, Vorsitzender der PKK. Penners Verrgerung ist verstndlich,denn der Geheimvermerk imSpiegel postwendend auszugsweise verffentlicht bringtwenig Klarheit in das bizarre Bild der Fremden Heere West: Technische Details ber dieFernmeldeausrstung der Gladiatoren werden mitgeteilt, doch keine Einzelheiten ber denUrsprung der deutschen Unterorganisation und ihrer internationalen Vernetzung.

    Die Verschleierungstaktik Jungs ist nach Ansicht hoher politischer Beamter ausdem nachrichtendienstlichen Umfeld vllig unverstndlich. Kaum besser sind dieNoten fr Regierungssprecher Hans Klein. Ein pensionierter Abteilungsleiter desBundesnachrichtendienstes, der bei allen Parteien aufgrund seiner Kompetenz undpreuischer Beamtentugend geschtzt wird, uert sich noch vergleichsweise vorsichtig:Kleins Informationspolitik entbehre jeglicher Sachkunde.

    Lutz Stavenhagen, als Staatsminister im Bundeskanzleramt fr die Koordination derdeutschen Nachrichtendienste zustndig, steuerte gleichfalls seinen Teil zur Konfusion bei.Gegenber Bild am Sonntag behauptete er, der deutsche Ableger der Geheimorganisationist Bestandteil der Nato. Tatschlich aber, so mu ihn sein Mitarbeiter Jung korrigieren,handelt es sich um ein rein nachrichtendienstliches Verbundsystem, an dem lediglichPartner aus Nato-Staaten partizipieren.

    Das Durcheinander ist schwer zu begreifen. Unvorbereitet traf die Gladio-Diskussion dieBundesregierung jedenfalls nicht. In einem anderen Zusammenhang wird sie bereits seitber einem halben Jahr bedrngt, den Bundesnachrichtendienst den nach dem Fall derMauer entstandenen neuen Realitten anzupassen. Mehrfach wurde dabei intern gefordert,die stay behind-Krfte aufzulsen. Wieso tut die Bundesregierung nun so, als hre sie zumersten Mal von diesem Verband?

    Bonns Mangel an Offenheit und Souvernitt schadet auch dem ohnehin ldierten Ansehendes Bundesnachrichtendienstes. Stimmt es nmlich, da die Aufgaben der deutschenstay

    behind-Organisation in keiner Weise mit dem italienischen Gladio-Treiben vergleicharsind, dann braucht die Bundesregierung das Licht der ffentlichkeit nicht zu scheuen. Siesollte deshalb schnell ihr Schweigen ber das Schweigenetz brechen.

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