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Skript zur Analysis für Studienanfänger E. Dietzel, D. D. Haroske, H.-J. Schmeißer 1 Vorwort Das vorliegende Skript richtet sich an Studienanfänger, die sich für ein Studium der Ma- thematik im Lehramt entschieden haben. Es wird dargestellt, welche Schulkenntnisse zur Analysis erwartet werden bzw. hilfreich sind, um den Übergang vom Mathematikunterricht in der Schule zum Studium der Mathematik an der Universität zu meistern. Es ist nicht das Ziel, den gesamten Inhalt entsprechend des Thüringer Mathematiklehrplans zu behan- deln. Vielmehr geht es darum, jene grundlegenden Begriffe und Techniken zu besprechen, die für die Einführung in die mathematische Denkweise und die systematische Entwicklung der Differential- und Integralrechnung unverzichtbar sind. In der Literatur gibt es ähnliche, zum Teil wesentlich weitergehende Versuche, das für ein natur- oder ingenieurwissenschaft- liches Studium wünschenswerte mathematische Schulwissen aufzubereiten. Wir verweisen stellvertretend auf die Starthilfe [4], das Buch zum Vorkurs [5] und die Einführung [1]. Der Text enthält zahlreiche Beispiele, die der Illustration des behandelten Lehrstoffs die- nen. Die gestellten Aufgaben können und sollen dazu beitragen zu testen, inwieweit die eingeführten Konzepte verstanden wurden. Das Skript orientiert sich weniger an der aus der Schule gewohnten Darstellung. Stattdessen wird versucht, basierend auf dem Schulwis- sen, eine Brücke zur Art und Weise der Vermittlung der Lehrinhalte an der Universität zu bauen. 1 Institut für Mathematik, Friedrich Schiller Universität, 07737 Jena 1

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Skript zur Analysis für Studienanfänger

E. Dietzel, D. D. Haroske, H.-J. Schmeißer1

Vorwort

Das vorliegende Skript richtet sich an Studienanfänger, die sich für ein Studium der Ma-thematik im Lehramt entschieden haben. Es wird dargestellt, welche Schulkenntnisse zurAnalysis erwartet werden bzw. hilfreich sind, um den Übergang vom Mathematikunterrichtin der Schule zum Studium der Mathematik an der Universität zu meistern. Es ist nichtdas Ziel, den gesamten Inhalt entsprechend des Thüringer Mathematiklehrplans zu behan-deln. Vielmehr geht es darum, jene grundlegenden Begriffe und Techniken zu besprechen,die für die Einführung in die mathematische Denkweise und die systematische Entwicklungder Differential- und Integralrechnung unverzichtbar sind. In der Literatur gibt es ähnliche,zum Teil wesentlich weitergehende Versuche, das für ein natur- oder ingenieurwissenschaft-liches Studium wünschenswerte mathematische Schulwissen aufzubereiten. Wir verweisenstellvertretend auf die Starthilfe [4], das Buch zum Vorkurs [5] und die Einführung [1].Der Text enthält zahlreiche Beispiele, die der Illustration des behandelten Lehrstoffs die-nen. Die gestellten Aufgaben können und sollen dazu beitragen zu testen, inwieweit dieeingeführten Konzepte verstanden wurden. Das Skript orientiert sich weniger an der ausder Schule gewohnten Darstellung. Stattdessen wird versucht, basierend auf dem Schulwis-sen, eine Brücke zur Art und Weise der Vermittlung der Lehrinhalte an der Universität zubauen.

1 Institut für Mathematik, Friedrich Schiller Universität, 07737 Jena

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Inhaltsverzeichnis

1 Rechnen mit reellen Zahlen 3

1.1 Zahlbereiche, Bruchrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Rechnen mit Ungleichungen und Beträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.3 Potenzen und Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.4 Logarithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2 Reelle Funktionen 11

2.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112.2 Polynome und ganzrationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.3 Potenz-, Exponential- und Logarithmusfunktionen . . . . . . . . . . . . . . 202.4 Die trigonometrischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3 Grenzwerte 27

3.1 Konvergenz von Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273.2 Grenzwerte von Funktionen und Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323.3 Der Ableitungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

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1 Rechnen mit reellen Zahlen

1.1 Zahlbereiche, Bruchrechnung

Wir bezeichnen mit N = { 1, 2, 3, . . . } die Menge aller natürlichen Zahlen und setzenN0 = N ∪ {0}. Wir schreiben Z = { . . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . . } für die Menge derganzen Zahlen. Ist n ∈ N eine natürliche Zahl, so nennt man −n eine negative ganze Zahl.N ist dann die Menge aller positiven ganzen Zahlen und N0 die Menge aller nichtnegativenganzen Zahlen. Die rationalen Zahlen werden als Menge

Q = { ± m

n: m ∈ N0, n ∈ N }

zusammengefasst. Die Darstellung einer rationalen Zahl x als Bruch mn ist nicht eindeutig,

denn es ist z. B. mn = m·p

n·p für jedes p ∈ N. Außerdem setzt man 0n = 0 und m

1 = m.

Aufgabe 1.1.1. Man gebe je drei äquivalente Darstellungen der rationalen Zahlen x = 273

und x = − 721 an!

Im Bereich der rationalen Zahlen können wir addieren (subtrahieren) und multiplizieren(dividieren). Die zugehörigen Rechenregeln setzen wir als bekannt voraus.

Aufgabe 1.1.2. Vereinfachen Sie die Ausdrücke

a+ 2b− a(b− 2) + b(a− 2)

3aund a3 − b3 − (a− b)(a2 + ab+ b2)

für a, b ∈ Q mit a 6= 0 .

Insbesondere ist die Gleichung a + x = b in Q eindeutig lösbar. Es ist x = b − a . DieGleichung a · x = b ist in Q nur lösbar, wenn a 6= 0 ist. Die Lösung x = b

a ist eindeutigbestimmt. Hingegen ist 0 · x = 0 für alle x ∈ Q. In diesem Sinne kann x = 0

0 jeden Wertannehmen und ist somit nicht sinnvoll zu definieren. Außerdem kann es kein x ∈ Q geben,so dass 0 · x = b 6= 0 ist. Die Division durch 0, d. h. x = b

0 ist nicht erlaubt.

Aufgabe 1.1.3. Sind die Gleichungen a+ x = b bzw. a · x = b in N0 oder in Z lösbar?

Jeder rationalen Zahl x ∈ Q entspricht ein Punkt auf der Zahlengeraden.

0 x

Abbildung 1

Jedoch gibt es Punkte auf der Zahlengeraden, die nicht durch rationale Zahlen dargestelltwerden können. Ein Beispiel ist die Länge x der Hypotenuse im rechtwinkligen Dreieck mitden Kathetenlängen 1.

Nach dem Satz von Pythagoras ist x2 = 2 . Wie der folgende Satz zeigt, gibt es allerdingskeine rationale Zahl x mit dieser Eigenschaft.

Satz 1.1.4. Es existiert keine rationale Zahl x ∈ Q, so dass gilt x2 = 2 .

3

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︸ ︷︷ ︸

1

x =√2

x

0 11

Abbildung 2

Beweis. Wir führen den Beweis indirekt, d. h. wir nehmen an, dass es eine Zahl x = mn ∈ Q

gäbe mit (mn

)2= 2

und führen dies zu einem Widerspruch. Dabei dürfen wir annehmen, dass m ∈ N undn ∈ N teilerfremd sind. Es gilt dann

m2 = 2n2 .

Somit muss m2 eine gerade Zahl (durch 2 teilbar) sein. Dann muss auch m eine geradeZahl sein, denn andernfalls wäre

m2 = (2k + 1)2 = 4k2 + 4k + 1 = 2(k2 + 2k) + 1

auch ungerade. Also ist m = 2k mit k ∈ N, und wir erhalten

4k2 = (2k)2 = 2n2,

woraus n2 = 2k2 folgt. Somit müssen auch n2 und n gerade Zahlen sein. Damit sind mund n nicht teilerfremd. Dies widerspricht der Annahme.

Aufgabe 1.1.5. Man konstruiere mit Zirkel und Lineal Strecken der Länge x, so dass giltx2 = 5 bzw. x2 = 3 und zeige, dass diese nicht rationalen Zahlen entsprechen.

Wir identifizieren nun die Punkte auf der Zahlengeraden, die nicht durch rationale Zahlendargestellt werden können, mit den sogenannten irrationalen Zahlen. Die Vereinigung derMengen der rationalen und der irrationalen Zahlen nennen wir die Menge aller reellenZahlen und bezeichnen sie mit R. Es gelten also die Inklusionen

N ⊂ N0 ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R .

Jede reelle Zahl lässt sich als (unendlicher) Dezimalbruch darstellen, und es gelten die oben(für rationale Zahlen) erwähnten Rechengesetze und Eigenschaften für die Addition undMultiplikation.

Aufgabe 1.1.6. Vereinfachen Sie die Zahlen

ax+y

a2

x2−y2

,1

s2−1− 1

s2

2 + 1s−1 − 1

s+1

,1− 1

a1a − 1

a2

(für a, s, x, y ∈ R , so dass die Ausdrücke definiert sind).

4

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Betrachtet man Summen bzw. Produkte von (endlich) vielen reellen Zahlen, so ist es oftvorteilhaft, mit dem Summen- bzw. Produktzeichen zu arbeiten. Sind durch ak für k ∈{1, . . . n} (n ∈ N) reelle Zahlen gegeben, so definiert man

n∑

k=1

ak := a1 + a2 + · · ·+ an bzw.

n∏

k=1

ak := a1 · a2 · · · · · an .

Es gilt dann zum Beispiel

cn∑

k=1

(ak + bk) =n∑

k=1

c(ak + bk) =n∑

k=1

c ak +n∑

k=1

c bk .

Insbesondere istn∑

k=1

k = 1 + 2 + · · ·+ n =n(n+ 1)

2. (1.1.1)

Die Zahl

n! :=n∏

k=1

k = 1 · 2 · · · · · n (1.1.2)

(gesprochen „n Fakultät“) beschreibt die Anzahl aller möglichen Permutationen der Zahlen{1, 2, . . . , n}.

1.2 Rechnen mit Ungleichungen und Beträgen

Die Menge R der reellen Zahlen ist geordnet. Sind a, b ∈ R so ist entweder a = b oder a < boder b < a. Insbesondere ist −n < 0 und 0 < n für n ∈ N. Für b < a schreibt man aucha > b. Außerdem setzt man a ≤ b, falls entweder a = b oder a < b ist. Daraus folgt

a = b ⇐⇒ a ≤ b ∧ b ≤ a (1.2.1)

Dabei steht das Zeichen ∧ auf der rechten Seite von (1.2.1) für ”und” im Sinne von: a ≤ bund b ≤ a. Es gelten folgende Regeln

a < b ∧ b < c =⇒ a < c (1.2.2)

a < b ∧ c > 0 =⇒ a · c < b · c (1.2.3)

a < b ∧ c ∈ R =⇒ a+ c < b+ c . (1.2.4)

Aus (1.2.3) und (1.2.4) folgt

a < b ∧ c < 0 =⇒ a · c > b · c . (1.2.5)

Insbesondere gilt:

a > 0 =⇒ − a < 0 ∧ 1

a> 0,

a < 0 =⇒ − a > 0 ∧ 1

a< 0 .

Ebenso folgt aus (1.2.4)a+ c < b+ c =⇒ a < b (1.2.6)

für alle c ∈ R.

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Beispiel 1.2.1. Es gilt:

x+ 2

2x< 1 ⇐⇒ x > 2 ∨ x < 0 .

Die rechte Seite wird dabei verstanden als x > 2 oder x < 0.Beweis: 1. Fall: x > 0 . Dann gilt

x+ 2

2x< 1 ⇐⇒ x+ 2 < 2x ⇐⇒ 2 < x .

2. Fall: x < 0 . Dann gilt

x+ 2

2x< 1 ⇐⇒ x+ 2 > 2x ⇐⇒ x < 2.

Letzteres ist für alle x < 0 aber erfüllt.Damit ist {x : x < 0 ∨ x > 2} die gesuchte Lösungsmenge.

Alternativ kann man auch so argumentieren. Es ist

x+ 2

2x< 1 ⇐⇒ x+ 2

x< 2 ⇐⇒ 1 +

2

x< 2 ⇐⇒ 1

x<

1

2.

Die letzte Ungleichung gilt für x < 0 oder x > 2.

Aufgabe 1.2.2. Für welche x ∈ R gilt die Ungleichungx− 1

x+ 3< 2 ?

Bemerkung 1.2.3. Man beachte: Aus a2 < b2 folgt im allgemeinen nicht a < b . Ebensofolgt aus a < b nicht a2 < b2 . Zum Beispiel ist − 1 < 0 aber (−1)2 = 1 > 0 , und wirhaben 22 = 4 < 9 = (−3)2 aber 2 > −3 . Richtig sind die Aussagen:

a, b ≥ 0 =⇒ ( a2 < b2 ⇐⇒ a < b )

a, b ≤ 0 =⇒ ( a2 < b2 ⇐⇒ − a < −b ⇐⇒ b < a ) .

Beispiel 1.2.4. Für welche x ∈ R gilt die Ungleichung x2 + 8x ≤ 9 ?

Lösung: Es ist

x2 + 8x ≤ 9 ⇐⇒ (x+ 4)2 − 16 ≤ 9 ⇐⇒ (x+ 4)2 ≤ 25 .

Letzteres gilt, falls 0 ≤ x+ 4 ≤ 5 oder − 5 ≤ x+ 4 < 0 ist. Somit ist die Ungleichungfür alle x ∈ R mit −9 ≤ x ≤ 1 erfüllt.

Aufgabe 1.2.5. Für welche x ∈ R gilt die Ungleichung x2 − 6x ≥ 0 ?

Definition 1.2.6. (Intervalle) Es seien a, b ∈ R mit a < b. Wir setzen:

(a, b) := { x ∈ R : a < x < b } offenes Intervall

[a, b] := { x ∈ R : a ≤ x ≤ b } abgeschlossenes Intervall

[a, b) := { x ∈ R : a ≤ x < b } halboffenes Intervall

(a, b] := { x ∈ R : a < x ≤ b } halboffenes Intervall

(a,∞) := { x ∈ R : a < x }

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[a,∞) := { x ∈ R : a ≤ x }(−∞, b) := { x ∈ R : x < b }(−∞, b] := { x ∈ R : x ≤ b }

In diesem Sinne ist auch R = (−∞,∞) . Die Lösungsmenge aus Beispiel 1.2.1 lässt sichdann als die Vereinigung (−∞, 0) ∪ (2,∞) schreiben, und die Lösungsmenge aus Bei-spiel 1.2.4 ist das abgeschlossene Intervall [−9, 1] .

Definition 1.2.7. (Betrag einer reellen Zahl) Für x ∈ R schreiben wir

|x| :={

x , x ≥ 0,−x , x < 0.

(1.2.7)

Für x < 0 ist −x > 0. Der Betrag von x ist somit immer nichtnegativ (positiv für x 6= 0).Auf der Zahlengeraden beschreibt |x| den Abstand der Zahl x ∈ R vom Nullpunkt. Es istoffensichtlich |x|2 = x2 , und es gilt

x2 ≤ y2 ⇐⇒ |x| ≤ |y| . (1.2.8)

Aussage (1.2.8) gilt analog auch für ′′ =′′ bzw. ′′ <′′. Aus (1.2.3) folgt

|x| ≤ |y| =⇒ |x|2 ≤ |x| · |y| ≤ |y| · |y| = |y|2 =⇒ x2 ≤ y2 .

Zum Beweis der Umkehrung setzen wir x2 ≤ y2 voraus. Aus der Annahme |y| < |x| folgtdann wie oben y2 < x2 . Das ist ein Widerspruch.

Satz 1.2.8. (Eigenschaften des Betrages) Es seien x, y ∈ R.

(1) Für c > 0 gilt

|x| < c ⇐⇒ − c < x < c ⇐⇒ x ∈ (−c, c) ,

|x| ≤ c ⇐⇒ − c ≤ x ≤ c ⇐⇒ x ∈ [−c, c] .

(2) Es gilt |x · y| = |x| · |y| .

(3) Es gilt die sogenannte Dreiecksungleichung |x+ y| ≤ |x|+ |y| .

Beweis: Aussage (1) ergibt sich, indem man die beiden Fälle x ≥ 0 und x < 0 un-terscheidet. Analog kann man bei (2) verfahren. Die Ungleichung in (3) folgt aus (2) und(1.2.8) mit Hilfe von

|x+ y|2 = (x+ y)2 = x2 + 2xy + y2 ≤ |x|2 + 2|x||y|+ |y|2 = (|x|+ |y|)2 .

Beispiel 1.2.9. Es gilt

|x+ 4| ≤ |x| ⇐⇒ x ∈ (−∞,−2] . (1.2.9)

Beweis: Wir unterscheiden die Fälle x ≥ 0, − 4 ≤ x < 0 und x < −4.1. Fall: Für x ≥ 0 ist

|x+ 4| ≤ |x| ⇐⇒ x+ 4 ≤ x ⇐⇒ 4 ≤ 0 .

7

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Das heißt, die Ungleichung gilt nicht für x ≥ 0.2. Fall: Für −4 ≤ x < 0 gilt

|x+ 4| ≤ |x| ⇐⇒ x+ 4 ≤ −x ⇐⇒ 2x ≤ −4 ⇐⇒ x ≤ −2 .

Die Ungleichung ist also für alle x ∈ [−4,−2] erfüllt.3. Fall: Für x < −4 gilt

|x+ 4| ≤ |x| ⇐⇒ − (x+ 4) ≤ −x ⇐⇒ − 4 ≤ 0 .

Somit ist die Ungleichung auch für alle x ∈ (−∞,−4) erfüllt.

Aufgabe 1.2.10. Für welche x ∈ R gilt die Ungleichung?

(a) |x− 2|+ 6 < 5x (b) x4 ≥ |x| (c)∣∣∣ xx+1

∣∣∣ > xx+1

1.3 Potenzen und Wurzeln

Es sei x ∈ R. Für n ∈ N setzen wir

xn := x · x · · · · · x (n Faktoren). (1.3.1)

Ist x 6= 0 definiert man

x−n :=1

xn=(1x

)n, n ∈ N (1.3.2)

undx0 := 1 . (1.3.3)

Satz 1.3.1. (Existenz von Wurzeln) Es sei a ∈ R , a ≥ 0, und es sei n ∈ N. Danngibt es genau eine reelle und nichtnegative Zahl x, so dass gilt

xn = a . (1.3.4)

Zum Beweis dieses fundamentalen Satzes benötigt man eine weitere Eigenschaft reellerZahlen (die sogenannte „Vollständigkeit“), die im Laufe der Vorlesung Analysis 1 behan-delt wird. Wir nehmen Satz 1.3.1 als Rechtfertigung für die folgende Definition der n-tenWurzel.

Definition 1.3.2. Die Zahl x aus Satz 1.3.1 heißt n-te Wurzel aus a. Wir schreiben hierfürx =: n

√a =: a1/n , im Falle n = 2 auch x =:

√a .

Bemerkung 1.3.3. Man beachte, dass die n-te Wurzel aus einer nichtnegativen Zahl nachunserer Definition auch immer nichtnegativ ist. Insbesondere gilt für gerades n und a ∈ R

n√an = |a| (

√a2 = |a|) . (1.3.5)

Die Existenz von n-ten Wurzeln erlaubt uns nun die Einführung von Potenzen mit ratio-nalen Exponenten.

Definition 1.3.4. Es seien m,n ∈ N

(1) Für a ∈ R (a ≥ 0) setzen wir

am/n := n√am =

(am)1/n

. (1.3.6)

(2) Für a ∈ R (a > 0) setzen wir

a−m/n :=1

am/n. (1.3.7)

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Bemerkung 1.3.5. Es gilt (am)1/n

=(a1/n

)m, (1.3.8)

denn x =(am)1/n

ist nach Definition die einzige nichtnegative Zahl x mit xn = am. Esgilt aber auch [(

a1/n)m]n

=[(a1/n

)n]m= am .

Wir haben somit für a > 0 und rationale Zahlen α die Potenzen aα definiert. Offensichtlichist aα ≥ 0, und es gilt 1α = 1 für alle α ∈ Q. In der Potenz aα heißt a Basis und αExponent. Wichtig sind die folgenden Rechenregeln.

Satz 1.3.6. Es seien a, b > 0 und α, β ∈ Q. Dann gilt:

(1) aα+β = aα · aβ

(2) aα·β =(aα)β

(3) (a · b)α = aα · bα .

Beispiel 1.3.7. Es gilt 3√16ab4 = 2b 3

√2ab .

Aufgabe 1.3.8.

(a) Für welche x ∈ R gilt√x− 12 < x ?

(b) Es sei a > 0. Für welche x ∈ R gilt(ax−2

)x+2=(ax+3

)x−4?

Bemerkung 1.3.9. Die Definition der Potenzen aα kann und muss nun auf beliebige(d. h. auch irrationale) Exponenten α ∈ R erweitert werden. Hierzu gibt es mehrere (ein-ander äquivalente) Möglichkeiten, auf die wir hier nicht eingehen können. Dieses Themawird in der Grundvorlesung behandelt werden. Wir benötigen hierzu unter anderem denBegriff des Grenzwertes (siehe Abschnitt 3). Wir bemerken jedoch, dass für die Potenzenmit beliebigen Exponenten die gleichen Rechengesetze wie in Satz 1.3.6 gelten.

1.4 Logarithmen

Wir betrachten nun die Gleichungax = y (1.4.1)

für gegebene reelle Zahlen a > 0 (a 6= 1) und y > 0 und fragen, ob immer eine reel-le Zahl x existiert, so dass (1.4.1) gilt. In der Vorlesung werden wir zeigen, dass dies derFall ist und dass die Gleichung (1.4.1) im Bereich der reellen Zahlen genau eine Lösung hat.

Satz 1.4.1.

Es seien a, y wie oben. Dann gibt es genau ein x ∈ R mit ax = y .

Wir bezeichnen nun diese Zahl x als den Logarithmus von y zur Basis a.

Definition 1.4.2. Es seien a > 0 (a 6= 1) und y > 0. Wir setzen

loga y := x :⇐⇒ ax = y . (1.4.2)

Bemerkung 1.4.3. Von Interesse sind etwa die Logarithmen zur Basis 2 bzw. zur Basis10. Eine herausragende Rolle spielt der Logarithmus zur Basis

e = 2, 718 281 828 . . . .

9

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Die Eulersche Zahl e ist irrational und wird später behandelt (vgl. Abschnitt 3.1, Defini-tion 3.1.19). Man spricht dann vom natürlichen Logarithmus und setzt auch

ln y := loge y . (1.4.3)

Bemerkung 1.4.4. Offensichtlich ist stets loga 1 = 0 . Aus der Definition und ausSatz 1.4.1 ergeben sich die Gleichungen

loga ax = x für alle x ∈ R, (1.4.4)

aloga y = y für alle y > 0 . (1.4.5)

Als Beispiel erhalten wir

log2 32 = log2 25 = 5

log21

8= log2 2

−3 = −3 .

Logarithmen zu beliebigen Basen lassen sich auf den natürlichen Logarithmen zurückfüh-ren. Für y > 0 ist nach (1.4.5) y = eln y . Daher gilt nach der Potenzregel aus Satz 1.3.6

yx =(eln y

)x= ex ln y .

Schreibt man y = a ergibt sich daraus

ax = ex ln a . (1.4.6)

Es gilt aucheln y = y = aloga y =

(eln a

)loga y= e(ln a)(loga y)

und somit nach (1.4.4)ln y = (ln a)(loga y) ,

woraus die Darstellungen

loga y =ln y

ln a(1.4.7)

und

logb y =ln a

ln bloga y (1.4.8)

folgen. Aus den Potenzgesetzen von Satz 1.3.6 und Bemerkung 1.4.4 folgen die Logarith-mengesetze.

Satz 1.4.5. (Logarithmengesetze)Es seien u, v ∈ R (u, v > 0), und es sei a > 0 (a 6= 1). Dann gilt:

loga(u · v) = loga u+ loga v (1.4.9)

loga

(uv

)= loga u− loga v (1.4.10)

loga uα = α loga u für alle α ∈ R . (1.4.11)

Beweis. Es gilt nach Satz 1.3.6 und (1.4.5)

aloga u+loga v = aloga u · aloga v = u · v .

Nochmalige Anwendung von (1.4.5) ergibt (1.4.9). Ebenso gilt

a− loga v =1

aloga v=

1

v

10

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und somit nach (1.4.5) loga1v = − loga v . Mit (1.4.9) erhalten wir dann auch (1.4.10).

Schließlich istaα loga u =

(aloga u

)α= uα,

woraus mit (1.4.5) wiederum (1.4.11) folgt.

Beispiel 1.4.6. Bestimmen Sie x ∈ R, so dass gilt log10 x6 = 6 + log10 x

3 .

Lösung: Es gilt

log10 x6 = 6 + log10 x

3 ⇐⇒ 6 log10 x = 6 + 3 log10 x

⇐⇒ log10 x = 2 ⇐⇒ x = 102 = 100

Aufgabe 1.4.7. Bestimmen Sie x ∈ R, so dass die folgenden Gleichungen gelten:

(a) logx 1024 = 10 (b) log3 x = 4 (c) log10 5x + log10 2

x = 1 .

2 Reelle Funktionen

2.1 Grundbegriffe

Wird jedem Element x einer Menge D eindeutig ein Element y einer Menge E zugeordnet,so spricht man von einer Funktion oder Abbildung. Bezeichnet man die Funktion mitf : D → E , so schreibt man

y = f(x) , x ∈ D .

Man nennt D den Definitionsbereich und

W (f) := { f(x) : x ∈ D }

den Wertebereich. Eine Funktion wird also durch die Mengen D, E und eine Zuordnungs-vorschrift f bestimmt. Sind D ⊂ R und E ⊂ R, so spricht man wird einer reellen Funktionf : D → E. Beispiele solcher Funktionen ergeben sich etwa durch die Zuordnungsvorschrif-ten

f(x) = |x| , x ∈ R (D = R)

f(x) =√x , x ≥ 0 (D = [0,∞)) oder

f(x) =1

x, x 6= 0 (D = R \ {0}) .

In allen Fällen handelt es sich um Funktionen f : D → R mit D ⊂ R. Die Beispielezeigen, dass der Wertebereich nicht mit R übereinstimmen muss. Außerdem kann es sein,dass verschiedene Elemente aus D den gleichen Funktionswert haben können. Im erstenBeispiel werden sowohl x als auch −x auf |x| abgebildet. Da eine eindeutige Zuordnunggefordert wird, folgt aus f(x1) 6= f(x2) stets x1 6= x2 .

Definition 2.1.1.

(1) Die Funktion f : D → E heißt injektiv (eineindeutig), falls aus x1 6= x2 stetsf(x1) 6= f(x2) folgt.

(2) Die Funktion f : D → E heißt surjektiv (Abbildung auf E), falls W (f) = E gilt.(3) Die Funktion f : D → E heißt bijektiv, falls sie injektiv und surjektiv ist.

11

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Bemerkung 2.1.2. Die Injektivität (1) ist gleichbedeutend damit, dass aus f(x1) = f(x2)stets x1 = x2 folgt. Surjektivität bedeutet, dass es für jedes y ∈ E (mindestens) ein x ∈ Dmit f(x) = y gibt. Betrachtet man die Vorschrift f(x) = |x| für x ∈ R, so ist f : R → R

weder injektiv noch surjektiv. Hingegen ist f : R → [0,∞) surjektiv, f : [0,∞) → R

injektiv und f : [0,∞ → [0,∞) bijektiv.Bijektive Funktionen besitzen eine sogenannte Umkehrfunktion. Wir verweisen auf Defini-tion 2.1.22, Bemerkung 2.1.23 und Beispiel 2.1.24.

Eine reelle Funktion f : D → E kann mit der Menge

{ (x, f(x)) : x ∈ D} ⊂ D × E ⊂ R× R

identifiziert werden. Diese Menge wird auch als Graph der Funktion f : D → E bezeichnetund lässt sich als Punktmenge in der x − y - Ebene darstellen. Unter bestimmten Bedin-gungen an f erhält man anschaulich eine Kurve in der Ebene (Abb. 3).

2

1

1−1 x

f(x) = |x|

f(x) =√x

f(x) = 1

x

y

−1

0

Abbildung 3

Das Beispiel der Funktion f : R → R, gegeben durch

f(x) =

{1, x ∈ Q

0, x /∈ Q(2.1.1)

zeigt, dass diese Vorstellung nicht immer zutreffend ist.

Aufgabe 2.1.3.

(a) Skizzieren Sie die Graphen der durch

f(x) = −2x+ 3, f(x) = x2 + 2x+ 1, und f(x) =1

x2 + 1

gegebenen Funktionen.

(b) Bestimmen Sie den größtmöglichen Definitionsbereich D ⊂ R für die folgenden Zuord-nungsvorschriften

f1(x) =√x2 + 4x− 3, f2(x) =

1

x2 + x− 2, f3(x) = log10(x+ 2),

12

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f4(x) = log10 |x− 5| .

Definition 2.1.4. (Beschränkte Funktionen)Es sei f : D → E eine reelle Funktion.

(1) Die Funktion f : D → E heißt nach oben beschränkt, falls es eine reelle Zahl C gibt,so dass für alle x ∈ D gilt f(x) ≤ C.

(2) Die Funktion f : D → E heißt nach unten beschränkt, falls es eine reelle Zahl c gibt,so dass für alle x ∈ D gilt f(x) ≥ c.

(3) Die Funktion f : D → E heißt beschränkt, falls sie nach oben und nach unten be-schränkt ist.

Beispiel 2.1.5. Die Funktion f(x) = 1x2+1

(x ∈ R) ist nach oben und nach unten

beschränkt. Für alle x ∈ R gilt 0 ≤ 1x2+1

≤ 1. Somit ist c = 0 eine untere Schranke undC = 1 eine obere Schranke für f : R → R. Da f(0) = 1 ist, ist C = 1 auch die kleinsteobere Schranke. Man sieht auch, dass c = 0 die größte untere Schranke ist, denn gäbe eseine größere untere Schranke ε, 1 > ε > 0, dann wäre

f(x) =1

x2 + 1≥ ε

für alle x ∈ R. Daraus folgt aber, dass

x2 + 1 ≤ 1

ε

sein müsste, für alle x ∈ R. Dies ist jedoch nicht der Fall, für

|x| >√

1

ε− 1 .

Bemerkung 2.1.6. (Supremum und Infimum) Die kleinste obere Schranke wird alsSupremum von f bezeichnet. Wir schreiben dafür sup

x∈Df(x). Die größte untere Schranke

heißt Infimum von f und wird mit infx∈D

f(x) bezeichnet. Wird das Supremum (Infimum)

angenommen, spricht man auch vom Maximum (Minimum). Wir schreiben dann maxx∈D

f(x)

bzw. minx∈D

f(x). In unserem Beispiel 2.1.5 gilt also

supx∈R

1

x2 + 1= 1 = max

x∈R

1

x2 + 1, inf

x∈R

1

x2 + 1= 0 .

Da 1x2+1

6= 0 ist für alle x ∈ R besitzt diese Funktion kein Minimum.

Aufgabe 2.1.7. Es sei f(x) = xx2+1

, x ∈ R. Man zeige

−1

2≤ f(x) ≤ 1

2für alle x ∈ R

und gebe Maximum bzw. Minimum von f an.

Definition 2.1.8. (Monotone Funktionen)Es sei I ⊂ D ein Intervall (vgl. Definition 1.2.6).

(1) Eine Funktion f : D → R heißt streng monoton wachsend auf I, wenn für allex1, x2 ∈ I gilt:

x1 < x2 =⇒ f(x1) < f(x2) . (2.1.2)

13

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(2) Eine Funktion f : D → R heißt streng monoton fallend auf I, wenn für alle x1, x2 ∈ Igilt:

x1 < x2 =⇒ f(x1) > f(x2) . (2.1.3)

Fordert man auf der rechten Seite von (2.1.2) und (2.1.3) lediglich die Relationen ′′ ≤′′

bzw. ′′ ≥′′, so nennt man die Funktion monoton wachsend bzw. monoton fallend.

Beispiel 2.1.9. Die Funktion f(x) = 1x2+1

(x ∈ R) ist streng monoton wachsend auf

(−∞, 0] und streng monoton fallend auf [0,∞). Dies folgt aus der Äquivalenz

1

x21 + 1<

1

x22 + 1⇐⇒ x22 < x21

und dem Monotonieverhalten der Funktion f(x) = x2 auf R.

Bemerkung 2.1.10. Das Beispiel der Funktion aus (2.1.1) zeigt, dass eine Funktion keineMonotonieintervalle haben muss. Ferner stellen wir fest, dass aus der strengen Monotonieeiner Funktion f : I → R auf I die Injektivität folgt.

Aufgabe 2.1.11. Man zeige, dass die Funktion f(x) = xx2+1

auf dem Intervall [−1, 1]streng monoton wachsend und auf den Intervallen [1,∞) bzw. (∞,−1] streng monotonfallend ist. Hinweis: Es gilt

f(x1) < f(x2) ⇐⇒ x1x2(x2 − x1) < (x2 − x1) .

Definition 2.1.12. (Gerade und ungerade Funktionen)Eine Funktion f : R → R heißt gerade, wenn für alle x ∈ R gilt: f(x) = f(−x) . EineFunktion f : R → R heißt ungerade, wenn für alle x ∈ R gilt: f(x) = −f(−x) (oderf(−x) = −f(x)).

Bemerkung 2.1.13. Betrachtet man den Graphen der Funktion y = f(x), so ergibt sichder Graph der Funktion y = f(−x) durch Spiegelung an der y-Achse, der Graph derFunktion y = −f(x) durch Spiegelung an der x-Achse. Bei einer geraden Funktion ändertsich der Graph bei Spiegelung an der y-Achse nicht. Bei einer ungeraden Funktion erhältman den gleichen Graphen nach aufeinanderfolgenden Spiegelungen an der y- und der x−Achse. Wir bemerken ferner, dass bei einer ungeraden Funktion stets f(0) = 0 gilt, dennfür x = 0 ist

f(0) = −f(0) ⇐⇒ 2f(0) = 0 ⇐⇒ f(0) = 0 .

Beispiele gerader Funktionen sind etwa f(x) = |x| oder f(x) = x2n (n ∈ N). Beispieleungerader Funktionen sind etwa f(x) = x2n+1 (n ∈ N0) oderf(x) = x

x2+1.

Bemerkung 2.1.14. Sind f, g gerade, dann sind auch f + g, f − g, f · g und f/g (g 6= 0)gerade. Sind f, g ungerade, so sind auch f + g und f − g ungerade, hingegen sind f · gund f/g (g 6= 0) gerade. Ist f gerade und g ungerade, so sind f ·g und f/g (g 6= 0) ungerade.

Definition 2.1.15. (Periodische Funktionen)Eine Funktion f : R → R heißt periodisch mit Periode p, wenn für alle x ∈ R gilt

f(x+ p) = f(x) . (2.1.4)

Die kleinste Zahl p mit dieser Eigenschaft nennt man auch Grundperiode.

14

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Bemerkung 2.1.16. Ist die Funktion f periodisch mit der Periode p, so ist sie auchperiodisch mit der Periode k · p für jedes k ∈ N, denn es ist

f(x+ 2 · p) = f((x+ p) + p) = f(x+ p) = f(x) .

Wiederholt man dieses Argument sukzessive, erhält man die gewünschte Aussage für einvorgegebenes k ∈ N.Der Übergang von f(x) zu f(x+ p) hat zur Folge, dass der Graph der Funktion f auf derx-Achse um −p verschoben wird. Bei einer p-periodischen Funktion bleibt dabei der Graphunverändert.

Beispiel 2.1.17. Typische Beispiele periodischer Funktionen sind die trigonometrischenFunktionen Sinus und Cosinus, die wir später in Abschnitt 2.4 behandeln werden. Einanderes Beispiel ist die durch

f(x) = x− [x] , x ∈ R, (2.1.5)

definierte Funktion, wobei mit [x] der ganzzahlige Anteil von x gemeint ist. Für x ∈[n, n + 1) (n ∈ Z) ist also [x] := n. Zum Beispiel erhalten wir

[75

]= [1, 4] = 1 und[

− 185

]= [−3, 6] = −4.

Aufgabe 2.1.18. Skizzieren Sie den Graphen der Funktion f(x) aus (2.1.5) sowie derFunktion g(x) = f(x)(1− f(x)).

Definition 2.1.19. (Hintereinanderausführung von Funktionen)Es seien f : D → E und g : E → F reelle Funktionen. Wir setzen

h(x) := g(f(x)), x ∈ D . (2.1.6)

Für h schreibt man auch h = g ◦ f .

Bemerkung 2.1.20. Auf x ∈ D wendet man zunächst die Funktion f an und erhält einy = f(x) ∈ E. Auf E ist die Funktion g definiert, diese wendet man auf y = f(x) an underhält so den Funktionswert h(x) = (g ◦ f)(x) ∈ F . Es ist also h = g ◦ f : D → F eineFunktion. Zum Beispiel kann man die Funktion h(x) =

√x2 + 1 (x ∈ R) darstellen als

h = g ◦ f mit f(x) = x2 + 1 (x ∈ R) und g(y) =√y (y ≥ 0).

Aufgabe 2.1.21. Man berechne g◦f und f◦g für f(x) = |x| und g(x) = x3+x2+x+1 (x ∈R). Stimmen f ◦ g und g ◦ f überein?

Definition 2.1.22. (Umkehrfunktion) Es sei f : D → E eine bijektive reelle Funktion.Es sei f(x) = y, x ∈ D. Wir definieren

f−1(y) := x, y ∈ E . (2.1.7)

Die so definierte Funktion f−1 : E → D heißt Umkehrfunktion von f : D → E.

Bemerkung 2.1.23. Wegen der Injektivität von f gibt es für vorgegebenes y ∈ E = W (f)genau ein x ∈ D, so dass f(x) = y gilt. Da f auch surjektiv ist, ist der Ansatz (2.1.7) füralle y ∈ E sinnvoll. Mit Definition 2.1.19 erhalten wir

(f−1 ◦ f

)(x) = x , x ∈ D (2.1.8)

15

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sowie (f ◦ f−1

)(y) = y , y ∈ E . (2.1.9)

Aus (2.1.9) folgt, dass (f−1

)−1(x) = f(x) , x ∈ D, (2.1.10)

gilt. Ist f : D → E eine injektive reelle Funktion, so ist f : D → W (f) bijektiv, und esexistiert die Umkehrfunktion f−1 : W (f) → D auf dem Wertebereich. Dies ist z. B. derFall wenn f auf D = I (Intervall) streng monoton ist.Beispiel 2.1.24. Die Funktionen f1(x) = x2 (x ∈ [0,∞)) und f2(x) = x2 (x ∈ (−∞, 0])sind injektiv wegen der strengen Monotonie. Es ist für alle y ≥ 0 nach Satz 1.3.1

f1(x) = x2 = y ⇐⇒ x =√y

f2(x) = x2 = y ⇐⇒ − x =√y ⇐⇒ x = −√

y .

Die Umkehrfunktionen sind also

f−11 (y) =

√y , y ∈ [0,∞) und

f−12 (y) = −√

y , y ∈ [0,∞) .

Wir ersetzen nun in den Umkehrfunktionen die Variable y durch x und erhalten die Gra-phen der Funktionen f−1

1 (x) (x ∈ [0,∞)) und f−12 (x) (x ∈ [0,∞)) durch Spiegelung der

Graphen von f1 bzw. f2 an der Geraden y = x.

y = x

−1

y

x

f−1

1

1

f−1

2

f1

1f2

Abbildung 4

Beispiel 2.1.25. Die Funktion f(x) = x3 (x ∈ R) ist auf R streng monoton wachsend.Nach Satz 1.3.1 gibt es für jedes y ∈ [0,∞) genau ein x ∈ [0,∞) mit x3 = y, nämlichx = 3

√y. Für y < 0 ist

y = x3 ⇔ −y = (−x)3 ⇔ −x = 3√−y ⇔ x = − 3

√−y .

Damit ist f : R → R bijektiv, und es gilt

f−1(y) =

{3√y, y ≥ 0

− 3√−y, y < 0

16

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1

y

x−1 1

−1

f

f−1

y = x

Abbildung 5

Bemerkung 2.1.26. Rechnerisch erhält man die Zuordnungsvorschrift für die Umkehr-funktion durch „Auflösen“ der Gleichung y = f(x). Nach Beispiel 2.1.7 ist die Funkti-on f(x) = 1

1+x2 auf [0,∞) streng monoton fallend. Außerdem ist f(x) ∈ (0, 1] für allex ∈ [0,∞). Es gilt für y ∈ (0, 1]

y =1

1 + x2⇐⇒ x2 =

1

y− 1 ⇐⇒ x =

√1

y− 1 .

Damit ist f−1(y) =√

1y − 1 (y ∈ (0, 1]) die Umkehrfunktion zu f : [0,∞) → (0, 1].

Aufgabe 2.1.27. Man berechne die Umkehrfunktionen von f(x) = 1x (x 6= 0) und

g(x) = x+1x−1 (x > 1).

Aufgabe 2.1.28. Man zeige: Ist f : R → R bijektiv und ungerade, dann ist f−1 ungerade.

2.2 Polynome und ganzrationale Funktionen

Definition 2.2.1. Es seien a0, a1, . . . , an (n ∈ N0, an 6= 0) reelle Zahlen. Die FunktionP : R → R, gegeben durch

P (x) =n∑

k=0

= anxn + an−1x

n−1 + · · ·+ a1x+ a0 , n ∈ N0, (2.2.1)

heißt Polynom n-ten Grades (P (x) = a0 für n = 0).

Im Fall n = 1 istP (x) = ax+ b , a 6= 0. (2.2.2)

Der Graph der Funktion ist eine Gerade mit dem Anstieg a. Die einzige Nullstelle istx = − b

a . Der Schnittpunkt mit der y-Achse ist bei y = b und ergibt sich, wenn man x = 0setzt. Die Funktion ist durch zwei Punkte (x0, y0) und (x1, y1) mit x0 6= x1 eindeutigbestimmt:

P (x) =y1 − y0x1 − x0

(x− x0) + y0 . (2.2.3)

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Durch die Funktion ℓ(x) = a · x (x ∈ R) wird eine lineare Abbildung beschrieben. Dabeiheißt eine Abbildung f : R → R linear, wenn für alle λ, x0, x1 ∈ R gilt:

f(x0 + x1) = f(x0) + f(x1) , (2.2.4)

undf(λ · x) = λ · f(x) (x ∈ R) . (2.2.5)

Es ist klar, dass durch ℓ(x) = a ·x (x ∈ R) eine lineare Abbildung gegeben ist. Umgekehrtfolgt aus (2.2.5)

f(x) = f(x · 1) = x · f(1) (x ∈ R)

und somit f(x) = a · x mit a = f(1). Es ist also

P (x) = g ◦ ℓ(x) = g(ℓ(x)) , (2.2.6)

wobei g(y) = y + b eine Translation um b in y-Richtung bewirkt.

Aufgabe 2.2.2.

(a) Man skizziere den Graphen der Funktion aus (2.2.2).(b) Man gebe die Gleichung der Geraden an die durch die Punkte (1, 2) und (−5, 7)

verläuft.(c) Gibt es eine periodische Funktion f(x) = ax+ b (a, b ∈ R)?

Im Fall n = 2 istP (x) = ax2 + bx+ c (a, b, c ∈ R, a 6= 0). (2.2.7)

Setzt man p := ba und q := c

a folgt aus (2.2.7)

P (x) = a(x2 + px+ q) = af(x) . (2.2.8)

Der Graph von P ergibt sich aus dem Graphen von f durch Streckung (für a > 1) bzw.durch Stauchung (für 0 < a < 1) in y-Richtung. Für a = −1 haben wir eine Spiegelung ander x-Achse. Durch quadratische Ergänzung erhalten wir

f(x) =(x+

p

2

)2+ q − p2

4. (2.2.9)

Aus (2.2.9) lassen sich die Nullstellen von f bzw. P ablesen. Es ist

f(x) = 0 ⇐⇒∣∣x+

p

2

∣∣ =√

p2

4− q (2.2.10)

⇐⇒ x =

−p2 +

√p2

4 − q

−p2 −

√p2

4 − q(2.2.11)

falls p2

4 − q ≥ 0 ist. Für p2

4 − q < 0 hat die Funktion f bzw. P keine Nullstelle in R.

Aufgabe 2.2.3. Man skizziere den Graphen für f(x) = x2+ px+ q in Abhängigkeit vonp2

4 − q (> 0, = 0, < 0).

Satz 2.2.4.

Es sei P (x) = xn + an−1xn−1 + · · ·+ a1x+ a0 (a0, a2, . . . , an−1 ∈ R) ein Polynom n-ten

Grades, und es sei x0 ∈ R eine Nullstelle von P (d. h. P (x0) = 0). Dann gibt es genau einm0 ∈ N und ein Polynom Q vom Grad n−m0 ≥ 0, so dass für alle x ∈ R gilt:

P (x) = (x− x0)m0Q(x). (2.2.12)

18

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Bemerkung 2.2.5. Aus P (x0) = 0 folgt

P (x) = P (x)− P (x0)

= (xn − xn0 ) + an−1(xn−1 − xn−1

0 ) + · · ·+ a1(x− x0) .(2.2.13)

Außerdem gilt für k = 2, 3, . . . n

xk − xk0 = (x− x0)(xk−1 + xk−2 · x0 + · · ·+ x · xk−2

0 + xk−10 ).

Somit lässt sich in (2.2.13) der Faktor (x− x0) ausklammern und man erhält

P (x) = (x− x0)Q1(x)

mit einem Polynom Q1 vom Grad n− 1. Iterative Anwendung dieses Verfahrens führt zurDarstellung (2.2.12).

Aufgabe 2.2.6. Man bestimme die Nullstellen von(a) P (x) = x3 + 5x2 + 7x+ 3 und (b) P (x) = x4 − 4x2 − 5.

Folgerung 2.2.7. Aus Satz 2.2.4 folgt, dass ein Polynom P vom Grad n höchstens nverschiedene Nullstellen haben kann.

Definition 2.2.8. Es seien P und Q Polynome. Wir setzen

R(x) :=P (x)

Q(x), x ∈ D := { x ∈ R : Q(x) 6= 0 } . (2.2.14)

Die Funktion R : D → R heißt ganzrationale Funktion.

Satz 2.2.9. (Polynomdivision)Es sei P ein Polynom vom Grad n, und es sei Q ein Polynom vom Grad m ≤ n. Danngibt es eindeutig bestimmte Polynome M vom Grad n−m und N vom Grad < m, so dassfür alle x ∈ D gilt:

P (x)

Q(x)= M(x) +

N(x)

Q(x). (2.2.15)

Beispiel 2.2.10. Es gilt

x3 + x2 + x+ 1

x2 + x+ 1= x+

1

x2 + x+ 1(x ∈ R) .

Aufgabe 2.2.11. Man stelle R(x) =6x4 − 2x2 + 3

−2x2 + 4xin der Form (2.2.15) dar.

Bemerkung 2.2.12. (Partialbruchzerlegung)Es sei Q(x) = (x− x1)(x− x2) ein Polynom zweiten Grades mit den Nullstellen x1 6= x2.Dann lässt sich die ganzrationale Funktion ax+b

Q(x) in eine Summe von Partialbrüchenzerlegen:

ax+ b

(x− x1)(x− x2)=

a1x− x1

+a2

x− x2. (2.2.16)

Es gilt (2.2.16) genau dann wenn für alle x ∈ R

ax+ b = a1(x− x2) + a2(x− x1)

ist. Daraus folgt durch Koeffizientenvergleich (oder durch Einsetzen von x = x1 und x = x2)

a1(x1 − x2) = ax1 + b ∧ a2(x2 − x1) = ax2 + b .

19

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Beispiel 2.2.13. Es gilt

1

x2 − 1=

1

(x+ 1)(x− 1)=

1

2(x− 1)− 1

2(x+ 1).

Aufgabe 2.2.14. Man zerlege in eine Summe von Partialbrüchen

R(x) =x

x2 − 1, R(x) =

−3x− 1

x2 + 3x+ 2.

2.3 Potenz-, Exponential- und Logarithmusfunktionen

In Abschnitt 1.3 wurden bereits Potenzen aα eingeführt. Dabei haben wir a > 0 und α ∈ Q

(bzw. auch α ∈ R) vorausgesetzt (siehe Definition 1.3.4 und Bemerkung 1.3.9). Wir be-trachten nun die Funktionen, die man erhält, wenn man den Exponenten α ∈ R fest hältund a ∈ [0,∞) als Variable auffasst bzw. wenn man a > 0 fest hält und den Exponentenα ∈ R als Variable auffasst. Im ersten Fall spricht man dann von einer (allgemeinen) Po-tenzfunktion und im zweiten Fall von einer (allgemeinen) Exponentialfunktion.

Definition 2.3.1.

(1) (Potenzfunktion) Es seien x ∈ (0,∞) und α ∈ R. Die Funktion f : (0,∞) → R,definiert durch f(x) = xα , heißt Potenzfunktion.(Für α > 0 setzen wir 0α := 0. Dann ist f auf [0,∞) erklärt.)

(2) (Exponentialfunktion) Es seien x ∈ R und a > 0. Die Funktion f : R → (0,∞),definiert durch f(x) = ax , heißt Exponentialfunktion.

1

xα, α > 1

1

xα, 0 < α < 1

x1

Abbildung 6

Bemerkung 2.3.2. Die Funktion f(x) = xα ist streng monoton wachsend auf [0,∞) fürα > 0 und bildet surjektiv auf [0,∞). Die Umkehrfunktion ist gegeben durch

f−1(y) = y1/α , y ∈ [0,∞) .

Die Funktion f(x) = xα ist für α < 0 streng monoton fallend auf (0,∞ und bildet surjektivauf (0,∞) ab. Die Umkehrfunktion ist gegeben durch

f−1(y) = y1/α , y ∈ (0,∞) .

20

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1

x 1

xα, α > 1

1

xα, 0 < α < 1

y

1

1

x

Abbildung 7

Bemerkung 2.3.3. Für x1, x2 ∈ R und a > 0 ist nach Satz 1.3.6

ax1+x2 = ax1 · ax2 . (2.3.1)

Außerdem ist a0 = 1 für alle a > 0, und es gilt(1

a

)x

= a−x . (2.3.2)

Der Graph der Funktion f(x) =(1a

)xergibt sich also aus dem Graphen der Funktion

ax durch Spiegelung an der y-Achse. Einen wichtigen Spezialfall erhält man für a = e =2, 718 281 828 . . . (vgl. Bemerkung 1.4.3). Man schreibt dann auch expx := ex.

1

y

x

(1

a

)x

= a−x, a > 1

ax, a > 1

1

a

a

1

Abbildung 8

21

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Bemerkung 2.3.4. Die Funktion f(x) = ax ist streng monoton wachsend auf R für a > 1und streng monoton fallend auf R für 0 < a < 1. In beiden Fällen ist ax : R → (0,∞) nachSatz 1.4.1 surjektiv. Die Umkehrfunktion haben wir bereits in Definition 1.4.2 beschrieben.Es ist die Logarithmusfunktion.

Definition 2.3.5. Es sei a ∈ R (a > 0, a 6= 1). Die Logarithmusfunktion ist dieUmkehrfunktion der Exponentialfunktion ax : R → (0,∞). Wir schreiben dafür loga x :(0,∞) → R .

Bemerkung 2.3.6. Die Funktion loga x : (0,∞) → R ist streng monoton wachsendfür a > 1 und streng monoton fallend für 0 < a < 1. Der Graph der Funktion log1/a xergibt sich aus dem Graphen der Funktion loga x durch Spiegelung an der x-Achse( log1/a x = − loga x nach (1.4.8)).Für a = e schreiben wir loge x = lnx (x ∈ (0,∞)) („natürlicher Logarithmus“). Nach(1.4.7) lässt sich die allgemeine Logarithmusfunktion auf den natürlichen Logarithmuszurückführen. Es ist

loga x =lnx

ln a. (2.3.3)

Nach (1.4.6) gilt außerdem

xα = eα lnx (α ∈ R, x > 0) (2.3.4)

für die allgemeine Potenzfunktion und

ax = ex ln a (a > 0, x ∈ R) (2.3.5)

für die allgemeine Exponentialfunktion. Die Eigenschaften der allgemeinen Potenzfunkti-on und der allgemeinen Exponentialfunktion lassen sich also aus den Eigenschaften derFunktionen exp : R → (0,∞) und ln : (0,∞) → R ableiten. Die Eigenschaften der Loga-rithmusfunktion ergeben sich aus den Logarithmengesetzen (Satz 1.4.5).

−1

1

loga x, a > 1

log1/a x, a > 1

a11

a

Abbildung 9

Aufgabe 2.3.7.

Bestimmen Sie x ∈ R, so dass gilt: ln(x− 1) + ln 3 = ln(x2 − 1) .

22

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2.4 Die trigonometrischen Funktionen

Hinsichtlich der Einführung der (Kreis)Zahl π = 3, 141 592 653 . . . und der Winkelfunk-tionen verweisen wir auch auf die Abschnitte 14 und 19 des Skriptes zur Geometrie (siehe[3]).Wir betrachten ein Zahlenpaar (a, b) ∈ R × R mit a2 + b2 = 1. Einem solchen Paar ent-spricht genau ein Punkt auf dem Einheitskreis in einem rechtwinkligen Koordinatensystem.

0

b

a

x

(a, b)sinx=b

cosx=a

ϕ

Abbildung 10

Wir bezeichnen die Länge des Kreisbogens vom Punkt (1, 0) zum Punkt (a, b) mit x undden Winkel zwischen positiver x-Achse und dem Strahl vom Punkt (0, 0) durch (a, b) mit ϕ.Die Bogenlänge x und der Winkel ϕ sind durch die Vorgabe von (a, b) eindeutig bestimmt.Es sind 0 ≤ ϕ < 360◦ und 0 ≤ x < 2π, und es gilt

x

2π=

ϕ

360◦bzw. x =ϕ · π

180◦. (2.4.1)

Wir definieren nun für x ∈ [0, 2π) (bzw. für ϕ wie in (2.4.1))

cosx = cosϕ := a und sinx = sinϕ := b . (2.4.2)

Mit anderen Worten, wir setzen

(cosx, sinx) := (a, b) für x ∈ [0, 2π) . (2.4.3)

Aus Symmetriegründen (Spiegelung an der a-Achse) ergibt sich die Identität

(cos(2π − x) , sin(2π − x)) = (cosx , − sinx) (2.4.4)

für x ∈ [0, 2π). Durch die Vorschrift

(cos(x+ 2kπ) , sin(x+ 2kπ)) := (cosx , sinx) (2.4.5)

für x ∈ [0, 2π) und k ∈ Z setzen wir die Funktionen Cosinus und Sinus auf ganz R fort.Damit sind die beiden Funktionen 2π-periodisch. Außerdem folgt aus (2.4.4) und (2.4.5),dass Cosinus eine gerade Funktion und Sinus eine ungerade Funktion ist, denn wir habenfür x ∈ [2kπ, 2(k + 1)π)

cos(−x) = cos(2(k + 1)π − x) = cos(2π − (2(k + 1)π − x)) = cosx

sin(−x) = sin(2(k + 1)π − x) = − sin(2π − (2(k + 1)π − x)) = − sinx .

Es gilt also für alle x ∈ R

cosx = cos(−x) (2.4.6)

23

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sinx = − sin(−x) . (2.4.7)

Aus Symmetriegründen ergeben sich ebenfalls die Gleichungen

cos(x± π) = − cosx (2.4.8)

sin(x± π) = − sinx (2.4.9)

sin(π/2− x) = sin(π/2 + x) = cosx . (2.4.10)

Aus (2.4.3) folgt mit Hilfe des Satzes von Pythagoras die Gleichung

cos2 x+ sin2 x = 1 , x ∈ R. (2.4.11)

Mit sinπ/4 = cosπ/4 > 0 folgt daraus

cosπ

4= sin

π

4=

1

2

√2 .

Aus geometrischen Überlegungen (siehe Abb. 11 mit ϕ = π3 ) folgen

cosπ

3=

1

2und sin

π

3=

1

2

√3 .

1

1

1

1

2

1

2

√3

ϕ ϕ

ϕ

Abbildung 11

Setzt man x = π/6 bzw. x = π/3 in (2.4.10) erhält man

cosπ

6=

1

2

√3 bzw. sin

π

6=

1

2.

Zusammenfassend ergibt sich damit die folgende Wertetabelle:

x 0 π/6 π/4 π/3 π/2

ϕ 0◦ 30◦ 45◦ 60◦ 90◦

cosx 1 12

√3 1

2

√2 1

2 0

sinx 0 12

12

√2 1

2

√3 1

Diese lässt sich leicht mit Hilfe von (2.4.5) - (2.4.10) auf Werte x+π/2, x+π, x−π/2, x−πerweitern. Aus Abb. 12 sind die Graphen der Funktionen Cosinus und Sinus ersichtlich.

24

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π2

−π2

1

−1

−π 2π3

2ππ

sinx

cosx

x

y

Abbildung 12

Die Formeln (2.4.8) - (2.4.11) sind Spezialfälle der sogenannten Additionstheoreme, die sichebenfalls mit Hilfe geometrischer Überlegungen (Drehungen am Einheitskreis) herleitenlassen. Für u, v ∈ R gelten die Gleichungen

cos(u± v) = cosu · cos v ∓ sinu · sin v (2.4.12)

sin(u± v) = sinu · cos v ± cosu · sin v . (2.4.13)

Aufgabe 2.4.1. Mit Hilfe von (2.4.11) - (2.4.13) leite man Formeln für cos 2x und sin 2xher.

Bemerkung 2.4.2. (Arkusfunktionen)Die Definition der Funktionen Cosinus und Sinus am Einheitskreis und Formel (2.4.7) legennahe, dass

cos : [0, π] → [−1, 1] bijektiv und streng monoton fallend

ist und dass

sin : [−π/2, π/2] → [−1, 1] bijektiv und streng monoton wachsend

ist. Dies kann man natürlich auch streng beweisen. Demzufolge existieren die Umkehrfunk-tionen Arkuscosinus

arccos : [−1, 1] → [0, π]

undarcsin : [−1, 1] → [−π/2, π/2] .

Die Funktion arcsin ist streng monoton wachsend und ungerade. Die Funktion arccos iststreng monoton fallend. Es gilt

arccosx+ arcsinx =π

2, x ∈ [−1, 1] . (2.4.14)

Aufgabe 2.4.3.

Anhand der obigen Wertetabelle und (2.4.14) ermittele man die Funktionswerte von arccosund arcsin für x = 0, ± 1/2, ± 1/2

√3 und ±1 .

Aufgabe 2.4.4.

Skizzieren Sie die Graphen der Funktionen arccos und arcsin.

Es istcosx = 0 ⇐⇒ x =

π

2+ kπ (k ∈ Z) (2.4.15)

25

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undsinx = 0 ⇐⇒ x = kπ (k ∈ Z) . (2.4.16)

Damit sind die folgenden Definitionen von Tangens und Cotangens sinnvoll:

tanx :=sinx

cosx, x 6= π

2+ kπ (k ∈ Z) , (2.4.17)

cotx :=cosx

sinx, x 6= kπ (k ∈ Z) . (2.4.18)

Auf dem jeweiligen Definitionsbereich gilt

tan(x+ π) = tanx und cot(x+ π) = cotx . (2.4.19)

Es genügt also, die Funktionen

tan : (−π/2, π/2) → R und cot : (0, π) → R

zu betrachten.

−π2

1

π2

cotx

tanx

y

π0 x

Abbildung 13

Aufgabe 2.4.5.

(a) Zeigen Sie, dass tan eine ungerade Funktion ist, und geben Sie die Funktionswertefür x = ±π/3, ± π/4, ± π/6 und 0 an.

(b) Berechnen Sie die Funktionswerte cotx für x = π/6, π/4, π/3, π/2,2π/3, 3π/4 und 5π/6.

Bemerkung 2.4.6. Es ist

tan : (−π/2, π/2) → R streng monoton wachsend und bijektiv

undcot : (0, π) → R streng monoton fallend und bijektiv.

Somit existieren die Umkehrfunktionen Arkustangens

arctan : R → (−π/2, π/2)

26

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undarccot : R → (0, π) .

Es giltarctanx+ arccotx =

π

2, x ∈ R . (2.4.20)

Aufgabe 2.4.7.

Skizzieren Sie die Graphen der Funktionen arctan und arccot und berechnen Sie die Funk-tionswerte für x = 0, ± 1/

√3, ± 1, ±

√3 .

Aufgabe 2.4.8.

Skizzieren Sie den Graphen der Funktion f(x) = 3 sin(2x+ π2 ) auf dem Intervall [−π, π] .

3 Grenzwerte

3.1 Konvergenz von Folgen

Wir betrachten Folgen reeller Zahlen (a1, a2, a3, . . . ) . Beispiele solcher Folgen sind etwagegeben durch an = 1/n (n ∈ N) oder an = (−1)n (n ∈ N). Jeder natürlichen Zahl n wirdalso eine reelle Zahl an zugeordnet. Bei einer Folge handelt es sich somit um eine Funktion

f : N → R mit f(n) = an . (3.1.1)

Als Definitionsbereich sind auch N0 oder unendliche Teilmengen von N0 möglich. Für dieFolge (3.1.1) schreibt man auch (an)n∈N (bzw. (an)n∈N0

). Von besonderem Interesseist das Verhalten der Folgenglieder an ( der Funktionswerte f(n) ), wenn n wächst (für„n → ∞“). Zunächst betrachten wir einen Spezialfall, die sogenannten Nullfolgen. Ist zumBeispiel an = (−1)n/n (n ∈ N), so gilt offensichtlich

|an| =1

n<

1

1000für alle n > 1000 .

Ersetzt man 1/1000 durch eine beliebige vorgegebene reelle Zahl ε > 0, so gilt

|an| =1

n< ε für alle n >

1

ε.

Der Abstand der Zahlen an von 0 wird also kleiner als eine beliebige vorgegebene positiveZahl ε für alle n, die größer als 1/ε sind. Das kann man auch so ausdrücken, dass mansagt: Außerhalb eines jeden Intervalls (−ε, ε) liegen nur endlich viele Glieder an der Folge.

1

1000− 1

1000ε−ε 0

Abbildung 14

Anschaulich bedeutet dies, dass die Glieder der Folge an gegen 0 streben, falls n gegenUnendlich strebt. Wir nennen dann (an)n∈N eine Nullfolge und schreiben lim

n→∞an = 0. Wir

fassen dies als Definition zusammen.

Definition 3.1.1. Eine Folge (an)n∈N reeller Zahlen heißt Nullfolge, wenn für jedes ε > 0eine Zahl n(ε) ∈ R existiert, so dass für alle natürlichen Zahlen n > n(ε) gilt: |an| < ε.Wir setzen dann lim

n→∞an = 0 und nennen 0 den Grenzwert der Folge.

27

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Weitere Beispiele von Nullfolgen sind etwa:

an =1

nk(n ∈ N) für k ∈ N , (3.1.2)

an =1√n

(n ∈ N) , (3.1.3)

an =1

2n(n ∈ N0) . (3.1.4)

Aufgabe 3.1.2. Für die Folgen in (3.1.2) - (3.1.4) bestimme man n(ε), so dass für allen > n(ε) gilt: |an| < ε.

Allgemeiner wollen wir nun die Situation betrachten, dass die Glieder der Folge für n → ∞gegen eine Zahl a 6= 0 streben. Das kann man mathematisch so beschreiben, indem mansagt, dass der Abstand |an−a| von an und a eine Nullfolge ist. Dies führt uns zur folgendenDefinition der Konvergenz einer Folge.

Definition 3.1.3. Eine Folge (an)n∈N reeller Zahlen heißt konvergent, wenn es einereelle Zahl a gibt, so dass gilt: lim

n→∞|an − a| = 0 .

Die Zahl a heißt dann Grenzwert (oder Limes) der Folge (an)n∈N, und wir schreibenlimn→∞

an = a .

Bemerkung 3.1.4. Ist|an − a| ≤ bn (n ∈ N) (3.1.5)

und ist limn→∞

bn = 0 , so ist auch limn→∞

|an − a| = 0 . Um limn→∞

an = a zu zeigen, genügt

es also , eine Nullfolge (bn)n∈N zu finden und die Abschätzung (3.1.5) nachzuweisen.Man sieht auch, dass eine Folge nur einen Grenzwert haben kann. Nehmen wir an, es geltelimn→∞

an = a und limn→∞

an = a′ . Aus der Dreiecksungleichung folgt für ein beliebiges ε > 0

|a− a′| = |(a− an) + (an − a′)| ≤ |an − a|+ |an − a′| < ε,

da wir n immer so groß wählen können, dass |an − a| < ε/2 und |an − a′| < ε/2 sind.Daraus folgt aber a = a′.

Beispiel 3.1.5. Für an =n− 2

n− 3(n > 3) gilt

|an − 1| =∣∣∣n− 2

n− 3− 1∣∣∣ =

∣∣∣n− 2− (n− 3)

n− 3

∣∣∣ = 1

n− 3→ 0 (n → ∞) .

Somit ist limn→∞

n− 2

n− 3= 1 .

Aufgabe 3.1.6. Analog zu Beispiel 3.1.5 zeige man

limn→∞

2n+ 1

1− 3n= −2

3und lim

n→∞

n− 1

n2 + 1= 0 .

Beispiel 3.1.7. Die Folge((−1)n

)n∈N

ist nicht konvergent. Begründen Sie diese Aussage.

Wir ergänzen Definition 3.1.8, indem wir die Grenzwerte „∞“ und „−∞“ einführen.

28

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Definition 3.1.8. Es sei (an)n∈N eine reelle Folge.Wir setzen lim

n→∞an = +∞ , wenn für jede vorgegebene Zahl c > 0 eine Zahl n(c) ∈ R

existiert, so dass für alle n ∈ N mit n > n(c) gilt: an > c .Wir setzen lim

n→∞an = −∞ , wenn gilt: lim

n→∞(−an) = +∞ .

Beispiel 3.1.9. Es ist

limn→∞

nk = +∞ für k ∈ N ,

limn→∞

√n = +∞ ,

limn→∞

an = +∞ für a > 1 ,

limn→∞

lnn = +∞ ,

limn→∞

ln1

n= lim

n→∞(− lnn) = −∞ .

Bemerkung 3.1.10. Aus limn→∞

an = +∞ (= −∞) folgt limn→∞

1

an= 0 .

Ist limn→∞

an = 0, so folgt jedoch nicht limn→∞

1

an= +∞ (oder = −∞). Betrachtet man zum

Beispiel an = (−1)n1

n, (n ∈ N), so gilt lim

n→∞an = 0. Der Grenzwert lim

n→∞

1

an= lim

n→∞(−1)nn

existiert jedoch nicht.

Bemerkung 3.1.11. Beim Rechnen mit Grenzwerten ist Vorsicht geboten! Das betrifftinsbesondere Grenzwerte der Form

limn→∞

(an · bn), limn→∞

anbn

, limn→∞

(an − bn), limn→∞

abnn ,

wenn limn→∞

an =

{0

±∞ und/oder limn→∞

bn =

{0

±∞ (bzw. limn→∞

an = 1 im letzten Fall)

ist. In dieser Situation können unbestimmte Ausdrücke der Form „ 0 · ∞ “, „ 00 “, „ ∞

∞ “,„ ∞−∞ “, „ 00 “, „ ∞0 “ oder „ 1∞ “ auftreten. Ein Beispiel ist

limn→∞

√n(√n+ 1−

√n) = lim

n→∞

√n(n+ 1− n)√n+ 1 +

√n

= limn→∞

√n√

n+ 1 +√n

= limn→∞

1

1 +√

n+1n

=1

2.

Satz 3.1.12. Es sei limn→∞

an = a ∈ R und limn→∞

bn = b ∈ R. Dann gilt:

(1) limn→∞

(an ± bn) = a± b

(2) limn→∞

(an · bn) = a · b

(3) limn→∞

anbn

=a

b(falls b 6= 0) .

Aufgabe 3.1.13. Berechnen Sie (falls der Grenzwert existiert)

(a) limn→∞

(3n− 7)2

3 + n2(b) lim

n→∞

3n − 4−n

5n

(c) limn→∞

(2n−√

4n2 − 5n+ 7) (d) limn→∞

an

1 + an(a 6= 1)

29

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Wir betrachten nun die Konvergenz monotoner Folgen. Eine Folge (an)n∈N heißt monotonwachsend, wenn für alle n ∈ N gilt an ≤ an+1 und monoton fallend, wenn gilt an ≥ an+1 .Beispiele monotoner Folgen sind die sogenannten Partialsummenfolgen

sn =n∑

k=1

ak (ak ≥ 0) . (3.1.6)

Offensichtlich ist sn+1 = sn + an+1 ≥ sn für alle n ∈ N.

Beispiel 3.1.14. (Geometrische Reihe) Für ak = xk , k ∈ N, und a0 = x0 = 1 gilt

sn =

n∑

k=0

xk =1− xn+1

1− x(x 6= 1), (3.1.7)

denn es ist

(1− x)sn = sn − x · sn = (1 + x+ x2 + · · ·+ xn)

− (x+ x2 + · · ·+ xn + xn+1)

= 1− xn+1 .

Benutzt man jetzt, dass limn→∞

xn+1 = 0 ist für |x| < 1, ergibt sich aus (3.1.7) der Grenzwert

limn→∞

n∑

k=0

xk =1

1− xfür x ∈ (−1, 1) . (3.1.8)

Dafür schreibt man auch∞∑

k=0

xk =1

1− x. Im Spezialfall x = 1/2 ist also

∞∑

k=0

1

2k=

1

1− 1/2= 2 . (3.1.9)

Im allgemeinen kann man die Summen aus (3.1.6) und den Grenzwert für n → ∞ nichtexplizit berechnen. Dann ist es interessant zu wissen, ob der Grenzwert existiert oder nicht.Hierzu ist der folgende Satz hilfreich.

Satz 3.1.15. Eine monoton wachsende (fallende) Folge (sn)n∈N ist konvergent genaudann, wenn sie beschränkt ist, d. h. wenn es eine reelle Zahl c gibt, so dass für alle n ∈ N

gilt: sn ≤ c (sn ≥ c).

Die Folge (sn)n∈N aus Satz 3.1.15 muss dabei nicht die spezielle Form (3.1.6) haben. Esist leicht zu sehen, dass jede konvergente Folge nach oben und nach unten beschränkt ist:Wenn lim

n→∞sn = s ∈ R ist, liegen außerhalb des Intervalls (s − 1, s + 1) nur endlich viele

Glieder der Folge und damit ist die Folge nach oben und nach unten beschränkt. Die umge-kehrte Richtung wird hier nicht bewiesen. Man benötigt hierzu, wie auch zum Beweis vonSatz 1.3.1 (Existenz der n-ten Wurzel) oder zur Definition der allgemeinen Potenz (sieheBemerkung 1.3.9), die sogenannte Vollständigkeit der reellen Zahlen.

30

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Beispiel 3.1.16. Die Folge sn =n∑

k=1

1

k2(n ∈ N) ist konvergent, denn sie ist monoton

wachsend und beschränkt. Die Beschränktheit folgt aus

sn =n∑

k=1

1

k2≤ 1 +

n∑

k=2

1

(k − 1)k= 1 +

n∑

k=2

(1

k − 1− 1

k

)

= 1 +(1− 1

2

)+(12− 1

3

)+ · · ·+

( 1

n− 2− 1

n− 1

)+( 1

n− 1− 1

n

)

= 1 + 1− 1

n< 2 .

Beispiel 3.1.17. Die Folge sn =n∑

k=1

1

k(n ∈ N) ist nicht konvergent. Es ist lim

n→∞sn = ∞

(∞∑

k=1

1

k= ∞

). Zur Konvergenz einer Folge, wie in (3.1.6), reicht es also nicht aus zu wissen,

dass limk→∞

ak = 0 gilt. Um die obige Aussage zu beweisen zeigen wir, dass die Folge (sn)n∈N

nicht beschränkt ist. Man setzt zunächst n = 2ℓ+1 (ℓ ∈ N) und findet die Abschätzung

s2ℓ+1 = 1 +1

2+(13+

1

4

)

︸ ︷︷ ︸2 Summanden

+(15+ · · ·+ 1

8

)

︸ ︷︷ ︸22 Summanden

+ · · ·+( 1

2ℓ + 1+ · · ·+ 1

2ℓ+1

)

︸ ︷︷ ︸2ℓ Summanden

≥ 1 +1

2+(14+

1

4

)

︸ ︷︷ ︸2 Summanden

+(18+ · · ·+ 1

8

)

︸ ︷︷ ︸22 Summanden

+ · · ·+( 1

2ℓ+1+ · · ·+ 1

2ℓ+1

)

︸ ︷︷ ︸2ℓ Summanden

= 1 +1

2+ 2 · 1

4+ 4 · 1

8+ · · ·+ 2ℓ · 1

2ℓ+1

= 1 +1

2+(12+ · · ·+ 1

2

)

︸ ︷︷ ︸ℓ Summanden

= 1 +ℓ+ 1

2>

2.

Für vorgegebenes c > 0 wählt man ℓ > 2c. Dann gilt sn > c für alle n > 2ℓ+1. NachDefinition 3.1.8 ist somit lim

n→∞sn = ∞ .

Bemerkung 3.1.18. Alternativ kann man auch so argumentieren: Wäre limn→∞

sn = s ∈ R,

dann würdelimn→∞

(s2n − sn) = 0.

gelten. Es ist aber

s2n − sn =1

n+ 1− 1

n+ 2+ · · · 1

2n︸ ︷︷ ︸n Summanden

≥ 1

2n− 1

2n+ · · · 1

2n︸ ︷︷ ︸n Summanden

=1

2.

Von besonderer Bedeutung sind die Folgen

en :=n∑

k=0

1

k!= 1 + 1 +

1

2+

1

3!+ · · ·+ 1

n!(n ∈ N) (3.1.10)

und

an :=

(1 +

1

n

)n

(n ∈ N) . (3.1.11)

31

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Die Folge (en)n∈N ist monoton wachsend, und es gilt für n ∈ N nach (3.1.9)

en = 1 + 1 +1

2+

1

2 · 3 + · · ·+ 1

2 · 3 · · ·n

< 1 + 1 +1

2+

1

22+ · · ·+ 1

2n−1= 1 +

n−1∑

k=0

1

2k< 1 + 2 = 3 .

Somit ist für n ∈ N

2 ≤ en ≤ 3

Der Grenzwert der Folge (en)n∈N existiert nach Satz 3.1.15, wird mit e bezeichnet undEulersche Zahl genannt. Die Zahl e ist irrational und näherungsweise

e = 2, 718 281 828 459 045 235 . . .

(vgl. Bemerkungen 1.4.3 und 2.3.3).

Definition 3.1.19. Wir setzen

e := limn→∞

n∑

k=0

1

k!. (3.1.12)

Mit mehr Aufwand kann man zeigen, dass auch die Folge (an)n∈N aus (3.1.11) monotonwachsend und beschränkt ist, und dass der Grenzwert ebenfalls die Zahl e ist, d. h. esexistiert

limn→∞

(1 +

1

n

)n

= e . (3.1.13)

Aufgabe 3.1.20.

Man berechne die Grenzwerte limn→∞

(1 +

1

n

)n+1

und limn→∞

(1− 1

n

)n

.

Bemerkung 3.1.21. Man kann zeigen, dass auch die Grenzwerte

limn→∞

n∑

k=0

xk

k!= ex (3.1.14)

undlimn→∞

(1 +

x

n

)n= ex (3.1.15)

für alle x ∈ R existieren. In der Analysis geht man üblicherweise so vor, dass man (3.1.14)als Definition für die Exponentialfunktion benutzt. Wie in Abschnitt 2.3 führt man danndie natürliche Logarithmusfunktion lnx (x ∈ (0,∞)) als Umkehrfunktion ein (vgl. (2.3.3)- (2.3.5)) und definiert anschließend ax, xα und loga x wie in (1.4.6) und (1.4.7).

3.2 Grenzwerte von Funktionen und Stetigkeit

Wir betrachten jetzt reelle Funktionen f : D → R und interessieren uns für das Verhaltender Funktionswerte f(xn), wenn (xn)n∈N eine Folge im Definitionsgebiet D ist, die gegenein vorgegebenes x0 ∈ R (nicht notwendigerweise x0 ∈ D) oder gegen ±∞ strebt. Es seialso (xn)n∈N eine (beliebige) Folge in D mit lim

n→∞xn = x0 (= ±∞). Existiert dann auch

limn→∞

f(xn)?

32

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Beispiel 3.2.1. Wir betrachten die Funktion f(x) = x2 (x ∈ R). Für xn → x0 (n → ∞)ist nach Satz 3.1.12

limn→∞

f(xn) = limn→∞

xn · xn = ( limn→∞

xn) · ( limn→∞

xn) = x20 .

Beispiel 3.2.2. Für f(x) = 1x2 folgt aus xn → 0

limn→∞

f(xn) = limn→∞

1

x2n= +∞

und für xn → +∞ (oder xn → −∞)

limn→∞

f(xn) = limn→∞

1

x2n= 0 .

Beispiel 3.2.3. Für f(x) =x

|x| (x 6= 0) ist

limn→∞

f

(1

n

)= 1, lim

n→∞f

(− 1

n

)= −1 und lim

n→∞f

((−1)n

n

)existiert nicht.

1

n− 1

n

f(x) =x

|x|

−1

1

y

x

Abbildung 15

f(x) = x2

1

1

x0

x2

0

f(x) =1

x2

x

y

Abbildung 16

In Beispiel 3.2.1 ist der Grenzwert limn→∞ f(xn), unabhängig von der Auswahl der Folge(xn)n∈N mit limn→∞ xn = x0, immer der Funktionswert, d. h. wir haben stets limn→∞ f(xn) =

33

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f(x0). In Beispiel 3.2.2 ist stets limn→∞ f(xn) = ∞ für xn → 0. Beispiel 3.2.3 zeigt, dasslimn→∞ f(xn) von der Auswahl der Folge (xn)n∈N mit limn→∞ xn = x0 (= 0) abhängenkann.

Definition 3.2.4. Es sei x0 ∈ [a, b] und es sei f : (a, b)\{x0} → R eine reelle Funktion.(1) Für x0 ∈ (a, b) setzen wir limx→x0

f(x) = y0 (y0 = +∞ , y0 = −∞), wenn für alleFolgen (xn)n∈N aus (a, b) \ {x0} mit limn→∞ xn = x0 stets limn→∞ f(xn) = y0folgt. Man nennt y0 dann Grenzwert von f(x) in x0.

(2) Für x0 ∈ [a, b) setzen wir limx→x0+ f(x) = y0 (y0 = +∞ , y0 = −∞), wenn für alleFolgen (xn)n∈N aus (x0, b) \ {x0} mit limn→∞ xn = x0 stets limn→∞ f(xn) = y0folgt. Man nennt y0 dann rechtsseitigen Grenzwert von f(x) in x0.

(3) Für x0 ∈ (a, b] setzen wir limx→x0− f(x) = y0 (y0 = +∞ , y0 = −∞), wenn für alleFolgen (xn)n∈N aus (a, x0) \ {x0} mit limn→∞ xn = x0 stets limn→∞ f(xn) = y0folgt. Man nennt y0 dann linksseitigen Grenzwert von f(x) in x0.

Bemerkung 3.2.5. Um zu zeigen, dass ein Grenzwert limx→x0f(x) (oder limx→x0+ f(x)

bzw. limx→x0− f(x)) nicht existiert, reicht es also aus, eine Folge (xn)n∈N zu finden, diegegen x0 konvergiert, so dass die Folge (f(xn))n∈N divergent (d. h. nicht konvergent) ist.Ebenso existiert der Grenzwert nicht, falls man Folgen (xn)n∈N und (x′n)n∈N findet mitlimn→∞ xn = limn→∞ x′n = x0 und limn→∞ f(xn) 6= limn→∞ f(x′n). Dies ist etwa der Fallin Beispiel 3.2.3, wo der Grenzwert limx→0

x|x| nicht existiert.

Aufgabe 3.2.6. Man zeige, dass limx→0+

sinπ

xnicht existiert. Dazu betrachte man die

Folgen xn = 1n und x′n = 2

2n+1 (n ∈ N). Skizzieren Sie den Graphen der Funktion auf demIntervall [−1, 1] .

Die in Definition 3.2.4 eingeführten Grenzwerte kann man benutzen, um das Verhalten ei-ner Funktion bei Annäherung an einen Punkt x0 , d. h. in der Umgebung dieses Punktes,zu charakterisieren. Der Punkt x0 selbst muss dabei nicht unbedingt zum Definitionsbe-reich der Funktion gehören. Die Beispiele 3.2.1 - 3.2.3 und das Beispiel aus Aufgabe 3.2.6geben hierzu erste Hinweise.

Definition 3.2.7. (Stetigkeit) Es seien x0 ∈ (a, b) und f : (a, b) → R eine reelleFunktion. Die Funktion f heißt stetig im Punkt x0 , wenn gilt

limx→x0

f(x) = f(x0) , (3.2.1)

d. h. wenn der Grenzwert in x0 existiert und gleich dem Funktionswert ist.

Beispiel 3.2.8. Beispiel 3.2.1 zeigt, dass die Funktion f(x) = x2 in jedem Punktx0 ∈ R stetig ist. Ebenso ist die Funktion f(x) =

√x stetig in jedem Punkt x0 > 0 .

Dies kann man sich wie folgt überlegen. Wir betrachten eine Folge (xn)n∈N aus (0,∞)mit xn → x0 > 0 . Da xn > 0 ist, gilt nach Erweiterung mit (

√xn +

√x0)

|√xn −√x0| =

∣∣∣∣xn − x0√xn +

√x0

∣∣∣∣ <1√x0

|xn − x0| → 0 (n → ∞) .

Somit ist |√xn −√x0| eine Nullfolge, und es gilt limn→∞

√xn =

√x0 .

Man kann nun zeigen, dass auch alle anderen in Abschnitt 2.2 - 2.4 eingeführten Funk-tionen, d. h. Polynome, ganzrationale Funktionen, Potenz-, Logarithmus- und Exponenti-

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alfunktionen sowie die trigonometrischen Funktionen (einschließlich ihrer Umkehrfunktio-nen) auf dem jeweiligen Definitionsgebiet stetig sind. Satz 3.1.12 zeigt in Verbindung mitDefinition 3.2.7, dass auch Summe, Produkt und (bei nichtverschwindendem Nenner) derQuotient stetiger Funktionen wieder stetige Funktionen sind. Die charakteristische Glei-chung (3.2.1) kann man umformulieren als

limn→∞

f(xn) = f(limn→∞

xn

), (3.2.2)

wobei (xn)n∈N eine beliebige Folge ist, die gegen x0 konvergiert. Damit ist auch dieHintereinanderausführung stetiger Funktionen wieder eine stetige Funktion.

Bemerkung 3.2.9. In Analogie zu den rechts- und linksseitigen Grenzwerten (vgl.(2) und (3) in Definition 3.2.4) kann auch die rechts- bzw. linksseitige Stetigkeit definiertwerden. In diesem Sinne ist die Funktion f(x) =

√x aus Beispiel 3.2.8 rechtsseitig stetig

im Punkt x0 = 0 , da limx→0+√x = 0 = f(0) ist.

Definition 3.2.10. (Hebbare Unstetigkeiten)Es seien x0 ∈ (a, b) und f : (a, b) \ {x0} → R eine reelle Funktion. Wir sagen, dass dieFunktion f eine eine „Lücke“ in x0 besitzt, wenn lim

x→x0

f(x) existiert.

y

x

f

x0

Abbildung 17

Beispiel 3.2.11. Die Funktion f(x) =x2 − 1

x+ 1besitzt eine Lücke in x = −1 , denn es

gilt

limx→−1

x2 − 1

x+ 1= lim

x→−1

(x− 1)(x+ 1)

x+ 1= lim

x→−1(x− 1) = −2 .

Durch die Vorschrift f(−1) := −2 kann man f zu einer in x = −1 stetigen Funktionfortsetzen. Man kann also die „Lücke“ schließen.

Definition 3.2.12. (Sprungstellen)Es seien x0 ∈ (a, b) und f : (a, b) \ {x0} → R eine reelle Funktion. Wir sagen, dassdie Funktion f eine Sprungstelle in x0 hat, wenn in x0 der rechtsseitige und derlinksseitige Grenzwert (als reelle Zahl) existieren und nicht gleich sind, d. h. wenn

limx→x0+

f(x) 6= limx→x0−

f(x)

gilt.

Beispiel 3.2.13. Die Funktion f(x) = x|x| aus Beispiel 3.2.3 hat eine Sprungstelle in

x0 = 0 . Es sind limx→x0+

x

|x| = 1 und limx→x0−

x

|x| = −1 .

35

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x

fy

x0

Abbildung 18

Bemerkung 3.2.14. Sind rechtsseitiger und linksseitiger Grenzwert in x0 gleich, soexistiert

limx→x0

f(x) = limx→x0+

f(x) = limx→x0−

f(x) .

Dann ist f entweder stetig in x0 (wenn der Grenzwert gleich dem Funktionswert ist) oderf hat eine hebbare Unstetigkeit in x0 .

Definition 3.2.15. (Polstellen)Es seien x0 ∈ (a, b) und f : (a, b) \ {x0} → R eine reelle Funktion. Wir sagen, dass dieFunktion f eine Polstelle in x0 hat, wenn mindestens ein einseitiger Grenzwert ±∞ist und der andere einseitige Grenzwert in R existiert oder ±∞ ist.

Beispiel 3.2.16. Die Funktion f(x) = 1x2 aus Beispiel 3.2.2 hat eine Polstelle

in x0 = 0 , ebenso die Funktion f(x) = 1x . Typische Beispiele sind die Funktionen

f(x) = 1(x−x0)k

(x 6= x0 , k ∈ N) oder allgemeiner ganzrationale Funktionen. Ein wei-

teres Beispiel liefert die Tangensfunktion aus (2.4.17), welche Polstellen in den Punktenxk = π

2 + kπ (kinZ) besitzt (vgl. Abb. 13).

Das Beispiel von Aufgabe 3.2.6 (f(x) = sinπ/x, x 6= 0) zeigt, dass die Grenzwerte ausDefinition 3.2.7, 3.2.10, 3.2.12 oder 3.2.15 nicht existieren müssen. Wir sprechen dann auchvon einer wesentlichen Unstetigkeit in x0 .

Abschließend führen wir noch Grenzwerte für x → +∞ und für x → −∞ ein, um dasVerhalten von Funktionen „im Unendlichen“ zu beschreiben.

Definition 3.2.17. Es sei f : (a,∞) → R eine reelle Funktion. Wir setzen

limx→+∞

f(x) = y0 (y0 ∈ R, y0 = ±∞) ,

wenn für alle Folgen (xn)n∈N aus (a,∞) mit limn→∞

xn = +∞ gilt: limn→∞

f(xn) = y0 .

Analog definiert man limx→−∞

f(x) für eine Funktion f : (−∞, b) → R .

Beispiel 3.2.18. Für die Funktion f(x) = 1x2 aus Beispiel 3.2.2 gilt lim

x→+∞

1

x2=

limx→−∞

1

x2= 0 . Für die Funktion aus Beispiel 3.2.3 sind lim

x→+∞

x

|x| = +1 und limx→−∞

x

|x| =

−1 . Offensichtlich gilt auch

limx→+∞

x2k = limx→−∞

x2k = +∞ (k ∈ N) ,

limx→+∞

x2k+1 = +∞ , limx→−∞

x2k+1 = −∞ (k ∈ N0) .

Aufgabe 3.2.19. Für ein Polynom P (x) = anxn + · · · + a1x + a0 berechne man

limx→+∞

P (x) und limx→−∞

P (x) in Abhängigkeit von an > 0 und an < 0 (n ∈ N0).

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Beispiel 3.2.20. Weitere Beispiel sind

limx→+∞

ex = +∞ , limx→−∞

ex = 0 ,

limx→+∞

lnx = +∞ , limx→0+

lnx = −∞ ,

limx→+∞

arctanx =π

2, lim

x→−∞arctanx = −π

2.

Aufgabe 3.2.21. Berechnen Sie die Grenzwerte

(a) limx→0

4x3 − 3x4

5x3 − 3x5(b) lim

x→+∞

4x3 − 3x4

5x3 − 3x5(c) lim

x→2

x2 − 5x+ 6

x2 − 7x+ 10

(c) limx→−∞

x2 − 5x+ 6

x2 − 7x+ 10(d) lim

x→n+(x− [x]) (n ∈ N)

(e) limx→n−

(x− [x]) (n ∈ N)

3.3 Der Ableitungsbegriff

Der Grenzwertbegriff ist fundamental für den systematischen Aufbau der Differential- undIntegralrechnung in den Vorlesungen zur Analysis. Wir beschreiben hier lediglich das Kon-zept der Differenzierbarkeit einer Funktion im Zusammenhang mit geometrischen bzw.physikalischen Fragestellungen und beschränken uns auf einige grundlegende Beispiele. Inder Geometrie stellt man sich die Aufgabe, den Anstieg einer ebenen Kurve, die durch denGraphen einer Funktion gegeben ist, zu berechnen oder die Gleichung der Tangenten aneine ebene Kurve zu ermitteln. Betrachtet man eine Gerade g durch die Punkte (x0, y0)und (x1, y1) ( x0 6= x1 ), so ist der Anstieg gegeben durch den Quotienten y1−y0

x1−x0. Die

Gerade ist der Graph der Funktion

g(x) =y1 − y0x1 − x0

(x− x0) + y0 , x ∈ R . (3.3.1)

x0 x1

y1

y0

g

(x1, y1)

y

x

Abbildung 19

Nun betrachten wir den Graphen einer reellen Funktion f : (a, b) → R (Abb. 20). Wirinteressieren uns für die Gleichung (bzw. den Anstieg) der Geraden g , die (anschaulich)den Graphen von f im Punkt (x0, f(x0)) berührt.

Es seien x0 ∈ (a, b) und x0 + h ∈ (a, b) für h ∈ R . Der Anstieg der Geraden (derSekante) gh durch die Punkte (x0, f(x0)) und (x0 + h, f(x0 + h)) ist nach (3.3.1) derQuotient

f(x0 + h)− f(x0)

h, (3.3.2)

den man auch als Differenzenquotienten bezeichnet. Der Anstieg der Sekante hängt of-fensichtlich von h ab. Je kleiner |h| ist, desto näher kommt, zumindest anschaulich, der

37

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a b

f(x0 + h)

f(x0)

x

ygh

fg

x0 x0 + h

Abbildung 20

Anstieg (3.3.2) dem Anstieg der zu beschreibenden Geraden g . Somit erscheint es ver-nünftig und naheliegend, den Grenzwert

limh→0

f(x0 + h)− f(x0)

h(3.3.3)

zu betrachten und diesen, falls er existiert, als Anstieg von g zu nehmen. Bezeichnet manden Grenzwert mit f ′(x0) , ergibt sich

g(x) = limh→0

gh(x) = limh→0

[f(x0 + h)− f(x0)

h(x− x0) + f(x0)

]

= f ′(x0)(x− x0) + f(x0) , x ∈ R .

(3.3.4)

Die Gerade g aus (3.3.4) bezeichnet man dann als Tangente an f in (x0, f(x0)) . Exi-stiert der Grenzwert (3.3.3) nennt man die Funktion f differenzierbar in x0 . Wir fassendas eben Gesagte zu der folgenden Definition zusammen.

Definition 3.3.1. (Differenzierbarkeit)Es sei f : (a, b) → R eine reelle Funktion, und es sei x0 ∈ (a, b) .

(1) Die Funktion f heißt differenzierbar in x0 , wenn der Grenzwert

f ′(x0) := limh→0

f(x0 + h)− f(x0)

h(3.3.5)

existiert. f ′(x0) heißt auch (erste) Ableitung von f in x0 .(2) Die Gerade, gegeben durch die Gleichung

g(x) = f ′(x0)(x− x0) + f(x0) , x ∈ R, (3.3.6)

heißt Tangente an (den Graphen von) f im Punkt (x0, f(x0)) .

Bemerkung 3.3.2. Eine äquivalente Formulierung von (3.3.5) ist

f ′(x0) := limx→x0

f(x)− f(x0)

x− x0(3.3.7)

(Man setze x = x0 + h ). Außerdem ist (3.3.7) gleichbedeutend damit, dass gilt

ε(x) :=f(x)− f(x0)

x− x0− f ′(x0) → 0 (x → x0) . (3.3.8)

Bemerkung 3.3.3. Aus (3.3.8) folgt

f(x) = f(x0) + f ′(x0)(x− x0) + ε(x)(x− x0) (3.3.9)

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mit limx→x0

ε(x) = 0 , falls f in x0 differenzierbar ist (Es gilt auch die Umkehrung!). Als

Konsequenz aus (3.3.8) erhalten wir für x → x0

limx→x0

f(x) = f(x0)

und damit die Stetigkeit von f in x0 .

Satz 3.3.4. Es sei f : (a, b) → R differenzierbar in x0 ∈ (a, b). Dann ist f stetig in x0.

Bemerkung 3.3.5. Die Umkehrung von Satz 3.3.4 ist nicht richtig. Die Funktionf(x) = |x| ist stetig in 0 aber nicht differenzierbar. Wie in Beispiel 3.2.3 haben wir

limx→0+

|x| − |0|x− 0

= 1 und limx→0−

|x| − |0|x− 0

= −1 .

Anschaulich kann der Graph einer differenzierbaren Funktion keine „Ecken“ haben. Mankann daher die Differenzierbarkeit einer Funktion auch als eine Glattheitseigenschaft be-trachten.

Beispiel 3.3.6.

(1) Es giltf(x) = x2 =⇒ ∃f ′(x0) = 2x0 (x0 ∈ R) , (3.3.10)

dennx2 − x20x− x0

=(x+ x0)(x− x0)

x− x0= x+ x0 → 2x0 (x → x0) .

(2) Es gilt

f(x) =√x =⇒ ∃f ′(x0) =

1

2· 1√

x0(x0 > 0) , (3.3.11)

denn√x−√

x0x− x0

=x− x0

(x− x0)(√x+

√x0)

=1√

x+√x0

→ 1

2√x0

(x → x0) .

(3) Es gilt

f(x) =1

x=⇒ ∃f ′(x0) = − 1

x20(x0 6= 0) , (3.3.12)

denn1x − 1

x0

x− x0=

x0 − x

x− x0· 1

x · x0= − 1

xx0→ − 1

x20(x → x0) .

Aufgabe 3.3.7. Sind die folgenden Funktionen in den angegebenen Punkten differen-zierbar?

(a) f(x) =

{x2, x ≥ 00, x < 0

in x = 0 (b) f(x) =

{x sin(π/x), x 6= 0

0, x = 0in x0 = 0 .

Aufgabe 3.3.8.

(a) Man bestimme die Gleichung der Tangente an den Graphen der Funktion f(x) = 1/xim Punkt (−1/2,−2).

(b) Man bestimme die Gleichung der Tangente an den Graphen der Funktion f(x) =√x

im Punkt (1/9, 1/3).

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Ist eine Funktion f : (a, b) → R in jedem Punkt x ∈ (a, b) differenzierbar, so wirddurch f ′(x) (x ∈ (a, b)) eine neue Funktion f ′ : (a, b) → R definiert, die man (erste)Ableitungvon f auf (a, b) nennt. Die in Abschnitt 2.2 - 2.4 eingeführten Funktionensind auf den jeweiligen Definitionsgebieten differenzierbar (Das muss man beweisen!). ZumBeispiel gelten die folgenden Ableitungsformeln:

(xn)′ = nxn−1 für n ∈ Z (x 6= 0 für n < 0) (3.3.13)

(xα)′ = αxα−1 für α ∈ R , x > 0 (3.3.14)

(ex)′ = ex (x ∈ R) (3.3.15)

(lnx)′ =1

x(x > 0) (3.3.16)

(cosx)′ = − sinx (x ∈ R) (3.3.17)

(sinx)′ = cosx (x ∈ R) (3.3.18)

(tanx)′ =1

cos2 x= 1 + tan2 x (x 6= π

2+ kπ, k ∈ Z) (3.3.19)

(arcsinx)′ =1√

1− x2(−1 < x < 1) (3.3.20)

(arctanx)′ =1

1 + x2(x ∈ R) . (3.3.21)

Satz 3.3.9. (Differentiationsregeln)(1) Es seien f, g : (a, b) → R differenzierbare Funktionen. Dann sind auch f ± g und

f · g auf (a, b) differenzierbar, und es gelten die Formeln

(f ± g)′(x) = f ′(x)± g′(x) (3.3.22)

(f · g)′(x) = f ′(x) · g(x) + f(x) · g′(x) (Produktregel). (3.3.23)

(2) Es seien f, g : (a, b) → R differenzierbare Funktionen, und es sei g(x) 6= 0 auf (a, b).Dann ist f/g differenzierbar auf (a, b), und es gilt

(f

g

)′

(x) =f ′(x) · g(x)− f(x) · g′(x)

[g(x)]2(Quotientenregel). (3.3.24)

(3) Es seien f, g : (a, b) → (c, d) und g : (c, d) → R differenzierbar. Dann ist g ◦ fdifferenzierbar auf (a, b), und es gilt

(g ◦ f)′(x) = g′(f(x)) · f ′(x) (Kettenregel). (3.3.25)

Beweis. Es sei (xn)n∈N eine beliebige Folge in (a, b) mit xn → x0 ∈ (a, b) (n → ∞) .Die Produktregel folgt aus

(f · g)(xn)− (f · g)(x0)xn − x0

=f(xn) · g(xn)− f(x0) · g(xn)

xn − x0+

f(x0) · g(xn)− f(x0) · g(x0)xn − x0

=f(xn)− f(x0)

xn − x0· g(xn) + f(x0) ·

g(xn)− g(x0)

xn − x0

für n → ∞ aus der Differenzierbarkeit von f und der Stetigkeit von g in x0 (sieheBemerkung 3.3.3).Aus

1g(xn)

− 1g(x0)

xn − x0=

1

g(xn) · g(x0)· −g(xn) + g(x0)

xn − x0

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erhalten wir für n → ∞ (1

g

)′

(x0) = − g′(x0)

[g(x0)]2

Daraus ergibt sich mit Hilfe der Produktregel die Quotientenregel.Zum Beweis der Kettenregel setzen wir

yn := f(xn) und y0 := f(x0) .

Wegen der Stetigkeit von f gilt yn → y0 (n → ∞) . Wir erhalten

(g ◦ f)(xn)− (g ◦ f)(x0)xn − x0

=g(yn)− g(y0)

yn − y0· f(xn)− f(x0)

xn − x0

−→ g′(y0) · f ′(x0) = g′(f(x0)) · f ′(x0) .

für n → ∞ . Daraus folgt die Kettenregel.

Mit Hilfe der Differentiationsregeln und den Formeln (3.3.13) - (3.3.21) für die Ableitungender elementaren Funktionen lassen sich leicht die Ableitungen komplizierterer Funktionenberechnen.

Aufgabe 3.3.10. Berechnen Sie die Ableitungen der folgenden Funktionen.

(a) f(x) = x e−x2

(b) f(x) =sin2 x

1 + x2

(c) f(x) = x2 arctan√2x (d) f(x) =

{x2, x ≥ 0

−x2, x < 0

Aufgabe 3.3.11. Welche quadratischen Funktionen f(x) = ax2 + bx + c enthält inihrem Graphen den Punkt P = (−1, 1), hat in P den Anstieg 0 und besitzt an der Stellex1 = 2 den Anstieg 36 ?

Aufgabe 3.3.12. An welcher Stelle haben die Graphen von f(x) = x2 + x undg(x) = ln(x2 + 1) parallele Tangenten? Geben Sie deren Gleichungen an.

Wir verzichten hier auf die Diskussion der charakteristischen Eigenschaften differenzierba-rer Funktionen (Mittelwertsätze) und die Anwendungen der Differentialrechnung auf dieUntersuchung von Funktionen („Kurvendiskussion“). Dies und der fundierte Aufbau derIntegralrechnung wird Aufgabe der künftigen Vorlesungen zur Analysis sein.

Bemerkung 3.3.13. Betrachtet man die Bewegung eines Teilchens auf einer Geradenund interpretiert x(t) ∈ R als Ort zum Zeitpunkt t > 0 , so steht der Differenzenquotient

x(t)− x(t0)

t− t0(t > t0)

für die durchschnittliche Geschwindigkeit auf dem Weg von x(t0) nach x(t) . Falls derGrenzwert

x(t0) := limt→t0

x(t)− x(t0)

t− t0∈ R

existiert, ist es naheliegend, diesen als Geschwindigkeit des Teilchens zum Zeitpunkt t0 zuinterpretieren („Augenblicksgeschwindigkeit“). Der Begriff der Ableitung ist damit funda-mental für die mathematische Modellbildung in der Physik.

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Bemerkung 3.3.14. Analog zu Bemerkung 3.3.13 können mit Hilfe des Ableitungsbe-griffs auch Wachstums- bzw. Zerfallsprozesse mathematisch beschrieben werden. Betrachtetman zum Beispiel das Wachstum einer Population (z. B. von Bakterien), welches propor-tional mit Proportionalitätsfaktor k > 0 zur Größe p(t) der Population ist, so lässt sichdies durch die Gleichung

p(t) = k · p(t) (3.3.26)

mathematisch modellieren. Dabei ist p(t) die Wachstumsgeschwindigkeit. Aus der Diffe-rentialgleichung (3.3.26) kann man nun bei bekanntem Anfangsbestand

p(0) = p0 (3.3.27)

die zeitliche Entwicklung p(t) der Population berechnen. Offensichtlich ist

p(t) = p0 ekt (3.3.28)

eine Lösung von (3.3.26) und (3.3.27). Man kann zeigen, dass dies auch die einzige Lösungist. Die Entwicklung der Population ist also durch die Vorgabe von p0 und die Kenntnisvon k determiniert. Die Lösung (3.3.28) beschreibt exponentielles Wachstum.Umgekehrt könnte man bei exponentiellem Wachstum aus der Kenntnis von p(t0) und kden Anfangsbestand berechnen:

p0 = p(t0) e−kt0

oder bei Kenntnis von p0 und k , wann eine kritische Größe p krit erreicht wird:

t0 =1

k(ln p krit − ln p0) .

Aufgabe 3.3.15. Was würde in Formel (3.3.26) ein Proportionalitätsfaktor k < 0bedeuten?

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Literatur

[1] H. Kreul, H. Ziebarth: Mathematik leicht gemacht. Edition Harry Deutsch,2009.

[2] G. Merziger, G. Mühlbach, D. Wille, T. Wirth: Formeln + Hilfen zur höherenMathematik. Binomi-Verlag, Springe.

[3] C. Richter, M. Schmitz: Übersicht zur Geometrie in der Schule. Skript, Jena2014.

[4] W. Schirotzek, S. Scholz: Starthilfe Mathematik. Teubner, Stuttgart, Leipzig1995.

[5] W. Schäfer, K. Georgi, G. Trippler: Mathematik-Vorkurs. Teubner, Stuttgart,Leipzig 1997.

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