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45 FdSnow 35 Die Slackline als Trainingsgerät für den Schneesport Einleitung Slacklinen ist eine Sportart, die viele Ähnlichkeiten mit dem Seiltanzen aufweist. Trotzdem existieren ein paar entscheidende Unterschiede. Im Gegensatz zum unbe- weglichen Stahlseil verhält sich die Slackline dank der dehnbaren Eigenschaften des Kunstfaserbands dyna- misch. Somit ist sowohl eine seitliche Auslenkung wie auch ein Auf- und Abwippen möglich. Durch die Breite des Bands, die zwischen 2,5 und 5 cm variiert, kann man diese Sportart sowohl barfuss wie auch mit fla- chen Schuhen betreiben. Ein entscheidender Vorteil ist zudem die Einfachheit und das geringe Gewicht eines Slackline-Sets, das meist aus einem Band, zwei Baum- schlingen und einem Spannsystem besteht und zwi- schen zwei beliebigen Fixpunkten wie beispielsweise Bäumen oder Pfosten aufgespannt werden kann. Das Slacklinen ist eine junge Sportart. Sie entwickelte sich Anfangs der 1980er-Jahre aus einer Freizeitbe- schäftigung der Kletterer im Yosemite-Nationalpark in den USA. Diese vertrieben sich bereits seit den 1960er- Jahren die Zeit an Ruhe- und Regentagen damit, auf Absperrketten und -tauen zu Balancieren. Adam Gro- sowsky und Jeff Ellington waren wohl die Ersten, die auf die Idee kamen, ihr Klettermaterial dafür zu benutzen. Dem Slacklinen war der Weg in die Camps der Kletterer im Valley geebnet. Ende der 90er-Jahre wurde durch den Fotografen und Kletterer Heinz Zak das Slacklinen in der europäischen Kletterszene populär. Die Entwick- lung des ersten kommerziell erhältlichen Slacklinesets der Firma Mountain Equipment löste eine weitere Stei- gerung der Popularität aus. Doch erst 2007 erlangte diese Sportart eine etwas größere Bekanntheit ausser- halb der Kletterszene. Dies dürfte vermutlich größten- teils der Werbeoffensive mit den Gibbon-Slacklines zu verdanken sein. Zusammenfassung: Unter Slacklinen versteht man das Balancieren auf einem 2,5 bis 5 cm breiten Kunstfaserband, das zwischen zwei Fixpunkten auf- gespannt ist. Aus der, noch vor wenigen Jahren nur in der Kletterszene bekannten Sportart, hat sich inzwischen eine Trendsportart entwickelt, die das Potenzial hat, sich zu etablieren. Doch Slacklinen wird nicht nur als eigenständige Sportart betrieben. Gerade im Schneesportbereich wird die Slackline schon von vielen Spitzensportlern als Gleichgewichtstrainingsmittel eingesetzt. Aber auch in anderen Sportarten wird sie immer öfter ins Training integriert. In diesem Beitrag wird ein Blick auf die momentan bescheidene Studienlage geworfen und erklärt, warum und mit welchen Übungen sich die Slackline effizient als Trainingsgerät für Schneesportler sowohl aus dem Breiten- wie auch dem Spitzensport einsetzen lässt. Da das Slacklinen aber bei einem Großteil der Bevölkerung noch unbekannt ist, wird in diesem Artikel auch auf die Entstehungsgeschichte und die Philosophie dieser jungen Sportart eingegangen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Slackline nicht unbedingt das effizienteste Gleichgewichtstrainingsgerät sein muss, aber sicherlich das vielseitigste und dasjenige, das am meisten Spaß bereitet. Abstract: Slacklining is balancing on a 2,5 to 5 cm wide nylon webbing stretched between two anchor points. Only a few years ago, slacklining has only been known in the rock climbing scene. But in the meantime it has developed to a trend sport that has the potential to establish oneself. However, slacklining is not only an independent sport. Especially in the array of snow sports it is commonly used as a training device for balance by top athletes. But also in other sports it’s more and more integrated to training. In this article, a look at the decent current situation of studies is taken and it is explained why and with which exercises slacklining can effectively be integrated as a training device in snow sports for either amateur or top athletes. Due to the fact that slacklining is still unknown to the better part of population, the history and philosophy of this young sport is also part of this article. In summary it can be said that slacklining might not be more effective than other balance training devices but certainly it is the most multifunctional and the one which provides the most fun. Die Slackline als Trainingsgerät für den Schneesport Ein Trendsport mit Potenzial für das Koordinationstraining im Schneesport? Obwohl das Begehen einer Line für den neutralen Be- trachter immer mehr oder weniger gleich aussieht, ist Slacklinen eine sehr vielseitige Sportart. Sowohl Länge, Breite, Dehnbarkeit wie auch die Spannung des Bandes lassen sich variieren, was zu beträchtlichen Unterschie- den der Eigenschaft führt. Grundsätzlich kann man das Slacklinen anhand der Länge und Vorspannung in drei Hauptkategorien einteilen (Abb. 1): Samuel Volery/Tobias Rodenkirch Abbildung 1: Es gibt drei Hauptkategorien des „Slacklinen“: Trickline, Ro- deoline, Longline (von oben nach unten).

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FdSnow 35Die Slackline als Trainingsgerät für den Schneesport

Einleitung

Slacklinen ist eine Sportart, die viele Ähnlichkeiten mit dem Seiltanzen aufweist. Trotzdem existieren ein paar entscheidende Unterschiede. Im Gegensatz zum unbe-weglichen Stahlseil verhält sich die Slackline dank der dehnbaren Eigenschaften des Kunstfaserbands dyna-misch. Somit ist sowohl eine seitliche Auslenkung wie auch ein Auf- und Abwippen möglich. Durch die Breite des Bands, die zwischen 2,5 und 5 cm variiert, kann man diese Sportart sowohl barfuss wie auch mit fla-chen Schuhen betreiben. Ein entscheidender Vorteil ist zudem die Einfachheit und das geringe Gewicht eines Slackline-Sets, das meist aus einem Band, zwei Baum-schlingen und einem Spannsystem besteht und zwi-schen zwei beliebigen Fixpunkten wie beispielsweise Bäumen oder Pfosten aufgespannt werden kann.

Das Slacklinen ist eine junge Sportart. Sie entwickelte sich Anfangs der 1980er-Jahre aus einer Freizeitbe-schäftigung der Kletterer im Yosemite-Nationalpark in den USA. Diese vertrieben sich bereits seit den 1960er-Jahren die Zeit an Ruhe- und Regentagen damit, auf Absperrketten und -tauen zu Balancieren. Adam Gro-sowsky und Jeff Ellington waren wohl die Ersten, die auf die Idee kamen, ihr Klettermaterial dafür zu benutzen. Dem Slacklinen war der Weg in die Camps der Kletterer im Valley geebnet. Ende der 90er-Jahre wurde durch den Fotografen und Kletterer Heinz Zak das Slacklinen in der europäischen Kletterszene populär. Die Entwick-lung des ersten kommerziell erhältlichen Slacklinesets der Firma Mountain Equipment löste eine weitere Stei-gerung der Popularität aus. Doch erst 2007 erlangte diese Sportart eine etwas größere Bekanntheit ausser-halb der Kletterszene. Dies dürfte vermutlich größten-teils der Werbeoffensive mit den Gibbon-Slacklines zu verdanken sein.

Zusammenfassung: Unter Slacklinen versteht man das Balancieren auf einem 2,5 bis 5 cm breiten Kunstfaserband, das zwischen zwei Fixpunkten auf-gespannt ist. Aus der, noch vor wenigen Jahren nur in der Kletterszene bekannten Sportart, hat sich inzwischen eine Trendsportart entwickelt, die das Potenzial hat, sich zu etablieren. Doch Slacklinen wird nicht nur als eigenständige Sportart betrieben. Gerade im Schneesportbereich wird die Slackline schon von vielen Spitzensportlern als Gleichgewichtstrainingsmittel eingesetzt. Aber auch in anderen Sportarten wird sie immer öfter ins Training integriert. In diesem Beitrag wird ein Blick auf die momentan bescheidene Studienlage geworfen und erklärt, warum und mit welchen Übungen sich die Slackline effizient als Trainingsgerät für Schneesportler sowohl aus dem Breiten- wie auch dem Spitzensport einsetzen lässt. Da das Slacklinen aber bei einem Großteil der Bevölkerung noch unbekannt ist, wird in diesem Artikel auch auf die Entstehungsgeschichte und die Philosophie dieser jungen Sportart eingegangen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Slackline nicht unbedingt das effizienteste Gleichgewichtstrainingsgerät sein muss, aber sicherlich das vielseitigste und dasjenige, das am meisten Spaß bereitet.

Abstract: Slacklining is balancing on a 2,5 to 5 cm wide nylon webbing stretched between two anchor points. Only a few years ago, slacklining has only been known in the rock climbing scene. But in the meantime it has developed to a trend sport that has the potential to establish oneself. However, slacklining is not only an independent sport. Especially in the array of snow sports it is commonly used as a training device for balance by top athletes. But also in other sports it’s more and more integrated to training. In this article, a look at the decent current situation of studies is taken and it is explained why and with which exercises slacklining can effectively be integrated as a training device in snow sports for either amateur or top athletes. Due to the fact that slacklining is still unknown to the better part of population, the history and philosophy of this young sport is also part of this article. In summary it can be said that slacklining might not be more effective than other balance training devices but certainly it is the most multifunctional and the one which provides the most fun.

Die Slackline als Trainingsgerät für den Schneesport Ein Trendsport mit Potenzial für das Koordinationstraining im Schneesport?

Obwohl das Begehen einer Line für den neutralen Be-trachter immer mehr oder weniger gleich aussieht, ist Slacklinen eine sehr vielseitige Sportart. Sowohl Länge, Breite, Dehnbarkeit wie auch die Spannung des Bandes lassen sich variieren, was zu beträchtlichen Unterschie-den der Eigenschaft führt. Grundsätzlich kann man das Slacklinen anhand der Länge und Vorspannung in drei Hauptkategorien einteilen (Abb. 1):

Samuel Volery/Tobias Rodenkirch

Abbildung 1: Es gibt drei Hauptkategorien des „Slacklinen“: Trickline, Ro-deoline, Longline (von oben nach unten).

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Das Ausgleichen nach „Wacklern“ erfordert eine gute Reaktionsfähigkeit, also die Fähigkeit zur schnellen Ein-leitung und Ausführung zweckmäßiger Ausgleichsbewe-gungen auf einen Reiz hin. Dieser wird sowohl auf kin-ästhetischem oder taktilem Weg übertragen, man spürt also die Schwankungen der Line, er besteht aber auch aus optischen Reizen (Kroiss 2007). Die Entscheidung über die passende motorische Reaktion sowie ihre rich-tige Ausführung kann beim Slacklinen allerdings nicht mehr willkürlich gesteuert werden – denn dann würde man schon am Boden liegen. Unter dem Begriff Differenzierungsfähigkeit versteht man die Feinabstimmung von Bewegungen, auch be-zeichnet als Körpergefühl. Auf der Slackline sind das unter anderem die präzise räumliche und zeitliche Aus-führung von Schritten und Ausgleichsbewegungen. Außerdem müssen dabei die Muskeln im richtigen Maß angespannt und entspannt werden (Kroiss 2007). Eng mit der Differenzierung zusammen hängt die Orien-tierungsfähigkeit, mit der man Lage und Bewegung des Körpers im Raum bestimmt. Mit optischen, statiko-dy-namischen und kinästhetischen Rückmeldungen nimmt man die Körperlage in Relation zur Slackline wahr und macht sich ständig bewusst, ob sich der Körperschwer-punkt über der Line befindet (Kroiss 2007).Um bei Ausgleichsbewegungen oder Tricks die Teilkör-perbewegungen von Beinen, Rumpf und Armen aufei-nander abzustimmen, benötigt man zudem eine gute Kopplungsfähigkeit.Jede Slackline hat je nach Vorspannung, Länge und Bandeigenschaften eine eigene Schwingung und um sich daran anpassen zu können, ist eine gute Rhyth-misierungsfähigkeit hilfreich, um diese Schwingung zu erfassen und motorisch zu reproduzieren. Wie schon erwähnt verhält sich jede Line abhängig von Material, Länge und Vorspannung anders. Die Umstel-lungsfähigkeit hilft, das automatisierte Handlungspro-gramm der kleinen Ausgleichsbewegungen an diese neuen Gegebenheiten anzupassen. Eine hervorragende Möglichkeit, diese Fähigkeit zu trainieren, ist das Sprin-gen von Line zu Line, die jeweils unterschiedliche Eigen-schaften aufweisen. Zudem verhält sich die Slackline in der Mitte ganz anders als in der Nähe der Fixpunkte.

Konditionelle FähigkeitenNicht nur eine gute Koordination wird beim Slacklinen benötigt, auch gewisse konditionelle Fähigkeiten sollten gegeben sein, obschon man im ersten Augenblick nicht glaubt, dass das Gehen beziehungsweise das Stehen auf der Line körperlich anstrengend sein kann.Am stärksten wird die Stabilisationsmuskulatur ange-sprochen. Beim einbeinigen Stehen und Ausgleichen muss die Muskulatur des gesamten Bewegungsap-parates ständig kleine Regulationen vornehmen. Die Rumpfmuskulatur wird unterbewusst bei allen Wack-lern innerviert und erhält eine erhöhte Grundspannung, ohne die man die Balance verlieren würde. Diese dau-ernden Ausgleichsbewegungen wirken im Sinne eines propriozeptiven Trainings als präventive Maßnahmen gegen Verletzungen zum Beispiel der Bandapparate in Sprung- und Kniegelenk (Kroiss 2007).Ebenfalls gekräftigt werden die Muskeln an Armen, Schultern und am oberen Rücken, denn die Arme fun-

gieren als Balancierhilfe und sind in der Grundstellung immer seitlich über Schulterhöhe angehoben. Dieses manchmal minutenlange Hochhalten der Arme ist sehr anstrengend und stärkt vor allem die Muskeln Deltoide-us und Trapezius (Kroiss 2007).Für die großen Muskelpartien an Oberschenkel und Ge-säß hat Slacklinen auch einen kräftigenden Charakter. Durch andauerndes Stehen mit leicht gebeugtem Knie- und Hüftgelenk sind unter anderem die Muskelgruppen des Quadrizeps und der Glutaeen unter dauernder Be-lastung (Kroiss 2007). Dieses Training kann beispiels-weise durch einbeinige Kniebeugen noch intensiviert werden.Die Rumpfspannung kann durch diverse Übungen, bei denen eine oder beide Hände als zusätzliche Stütze ge-braucht werden, ausgezeichnet trainiert werden.Der Vorteil gegenüber anderen Trainingsgeräten ist dabei, dass die Anstrengung viel weniger wahrgenom-men wird, weil man sich sehr stark auf das Halten des Gleichgewichts konzentrieren muss.

Mentale AspekteSlacklinen ist genau wie Seillaufen eine ausgezeichnete Schule für das Körperbewusstsein, für das Finden des Gleichgewichts im eigenen Körper, des Körperschwer-punkts und der Körperachse (Treiber 1994). Durch das ständig notwendige Hineinhorchen in den eigenen Kör-per lernt man diesen besser kennen und wahrnehmen. Ohne völlige Konzentration hat man nur geringe Erfolgs-aussichten eine Line erfolgreich zu begehen, die am persönlichen Leistungslimit liegt. Dies führt vor allem bei längeren Slacklines zu einer Dauer-Belastungspro-be der Konzentrationsfähigkeit. Dabei ist die Fähigkeit sich nicht von äußeren Reizen ablenken zu lassen, in hohem Maße erforderlich, weshalb auch ein Trainings-effekt derselben zu erwarten ist.Vielfach wird geschrieben, dass Balancieren auch för-derlich für die Intelligenz sein soll, da dabei beide Ge-hirnhälften verknüpft werden (vgl. u.a. Kroiss 2007). Wissenschaftlich belegte Untersuchungen zum Thema Slackline und Intelligenz wurden zwar noch nicht durch-geführt, doch sollte man diese Verbindung nicht voreilig abtun.

Die ersten VersucheAls Slackline-Anfänger sollte das Primärziel darin be-stehen, sicher auf einer einfachen Slackline stehen zu können. Dies ist bei guten Sportlern oft schon nach ein bis zwei Trainings der Fall. Auch weniger begabte Leute machen zu Beginn meist schnelle Fortschritte und emp-finden das Slacklinen dadurch als äußerst motivierend. Die meisten Anfänger fühlen sich auf einer fünf bis acht Meter langen, straff gespannten und wenig dehnbaren Line am Wohlsten. Dabei sollte der Fuß parallel zur Line auf das Band gestellt werden, da dadurch die Unter-stützungsfläche maximiert wird und der Körper somit zumindest in der Sagittalebene ziemlich gut stabilisiert ist. Wichtig ist auch, die Augen auf einen Fixpunkt (bei-spielsweise das Ende der Line) zu richten. An einem sol-chen Fixpunkt kann sich das visuelle System räumlich orientieren. Wenn man hingegen, wie dies bei den meis-ten Anfängern zu Beginn der Fall ist, nach unten schaut, sieht man, wie sich die Füße auf dem Band hin und her

Die Trickline ist die Gebräuchlichste davon. Bei ei-• ner Länge von etwa 5 bis 15 Metern und einer rela-tiv starken Vorspannung ist dieses Line-Up sowohl für die ersten Versuche wie auch für verschiedenste Tricks und Sprünge bestens geeignet.Bei der Rodeoline sind die Aufhängepunkte in grös-• serer Höhe (1-5m) angebracht. Das Band wird dabei locker durchhängend gespannt, so dass es in der Mitte fast den Boden berührt.Von einer Longline spricht man ab etwa 25 Metern. • Diese Art Slackline wird meistens ziemlich straff ge-spannt.

Zudem existiert noch der Spezialfall Waterline, bei der die Slackline über dem Wasser gespannt wird. Hier ist die Aufgabe deutlich erschwert, da durch die sich be-wegende Fläche keine Orientierungshilfe durch das pe-riphere Sehen gegeben ist (vgl. u.a. Schnell 1996). Als Königsdisziplin gilt aber die Highline, bei der man gesi-chert in großer Höhe über die Slackline geht (Abb. 2).

Die Slackline als TrainingsgerätDie Slackline lässt sich hervorragend als Trainingsgerät für ambitionierte Hobbysportler aber auch für Spitzen-sportler einsetzen. Vor allem in Sportarten, die ein gu-tes Gleichgewicht voraussetzen (diverse Skidisziplinen, Snowboarden, Surfen, aber auch verschiedene Ball-sportarten), stellt das Slacklinen eine hervorragende Er-gänzung zum Training dar, da es zum jetzigen Zeitpunkt unseres Erachtens kein vielseitigeres Gleichgewichts-trainingsgerät gibt. Scott Balcom (2005), der wohl be-kannteste Slackline-Pionier, geht sogar einen Schritt weiter und betrachtet Slacklinen als eine gute Übung für alles, das Balance, Konzentration, Kraft, Grazie, Aus-dauer, schnelle Reaktion und Bewusstsein benötigt. Die Sensomotorik, also das Zusammenspiel von senso-rischen und motorischen Leistungen, wird beim Slack-linen wahrscheinlich in höchstem Maße mittrainiert. Er-wiesen ist, dass bestimmte Bewegungsaufgaben, wie eben das Slacklinen, zur Beeinflussung der Größe korti-kaler Felder führt (Boroojerdi et al., 2001). Gruber (2004) konnte zeigen, dass ein sensomotorisches Training sich positiv auf die Kraftentwicklungsrate und die neurona-le Aktivierung auswirkt. Diese Kraftentwicklungsrate bezeichnet das Vermögen, in kurzer Zeit hohe Muskel-

kräfte zu generieren. Sie ist nicht nur bei vielen Sport-disziplinen von großer Wichtigkeit, sondern auch für die aktive Stabilisation von Gelenken. Die Probanden in Grubers Studie konnten durch vierwöchiges Training auf Wackelbrettern, Sportkreiseln, Weichmatten und freibeweglichen Brettern ihre Kraftentwicklungsrate auf der Beinpresse von 4,95 (0,48) N/ms auf 6,58 (0,76) N/ms steigern (P<0.05), wobei die Maximalkraft sich nicht signifikant veränderte. Zudem konnte gezeigt werden, dass sensomotorisches Training die Sprungkraft stei-gert (Taube et al. 2007). Ob und wie stark sich diese Resultate auch auf das Slacklinen übertragen lassen, bleibt abzuklären.Andreas Frank und Patrick Rist konnten in ihrer Diplom-arbeit „Auswirkungen von Slacklining auf die Gleich-gewichtsfähigkeit und weitere Parameter im Vergleich zum Einsatz herkömmlicher Trainingsmittel“ (2009) mit 65 Probanden zeigen, dass die Slackline-Probanden bei der Durchführung des Trainings auf 4 bis 9 Meter langen Gibbon-Slacklines signifikant motivierter waren und sich deutlich eher vorstellen konnten, das Slackli-nen in ihr Training aufzunehmen als die Probanden auf den herkömmlichen Trainingsgeräten (sensomotorische Trainingsgeräte, die oft in der Physiotherapie verwendet werden, wie Kippbrett, Therapiekreisel, Airex-Matte, Rollbrett oder Trampolin). Zudem konnten sie belegen, dass ein Slackline-Training die Gleichgewichtsfähigkeit signifikant verbessert. Da sich jedoch die Kontrollgrup-pe ebenfalls signifikant verbessert hatte, kann dies nicht lediglich auf das Slacklinetraining zurückzuführen sein. Eine ausführliche Diskussion über mögliche Erklärungs-ansätze findet sich in der Arbeit von Frank/Rist.

Koordinative FähigkeitenBalancieren auf einem schmalen Band, das dazu noch stark wackelt, ist in erster Linie eine hochkoordinative Angelegenheit. Die Koordination wiederum ist nach Meinel/Schnabel (1998) in weitere Fähigkeiten unter-teilt, die höchstwahrscheinlich beim Slacklinen alle trai-niert werden. Dabei ist nicht zu vergessen, dass durch die vielen Einstellmöglichkeiten der Slackline bei jeder Line andere Reize auf den Körper wirken und die koor-dinativen Fähigkeiten somit in einem breiten Spektrum angesprochen werden.

Im Zentrum steht dabei sicherlich die Gleichgewichts-fähigkeit, also das Vermögen, den Körper im Gleichge-wichtszustand auf der Line zu halten oder nach Kör-perverlagerungen diesen Zustand wieder herzustellen. Hierfür verfügt das zentrale Nervensystem nicht über fixe Bewegungsprogramme, sondern es setzt verschiedene Strategien ein, abhängig von Aufgabe, Art der Störung und Umgebung. Kann man den Körperschwerpunkt mit Muskelaktivität über einer Unterstützungsfläche kon-trollieren, spricht man von statischem Gleichgewicht (vgl. u.a. Knuchel/Schädler 2004). Dies ist zum Beispiel beim Stehen auf ebenem Untergrund der Fall, wobei hier zwischen Vor- und Rückfuss der beiden Füsse ein Viereck aufgespannt wird, das als Unterstützungsfläche dient. Da sich aber beim Slacklinen die Unterstützungs-fläche unter dem Körper bewegt, spricht man hier von einem dynamischen Gleichgewicht.

Abbildung 2: Beim Highlinen, der Königsdisziplin dieses Sports, werden Strecken gesichert in großer Höhe überbrückt.

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de: Man versucht, auf einem Bein balancierend, mit dem kontralateralen Fuß, auf dem Boden befindliche Punkte anzutippen (Abb. 4). Diese Übung ist wohl vor allem für alpine Skifahrer äußerst effizient, da man so lernt, auch in Hockposition bei erschwerten Bedingungen locker zu bleiben. Für Freestyler ist es essentiell, die Orientierung und das Fluggleichgewicht in verschiedensten Positionen hal-ten zu können. Da auf der Slackline neben dem Ste-hen unzählige weitere Kraft-, Halte, oder Liegeelemente möglich sind, bietet sie sich auch für diese Zielgruppe als geeignetes Trainingsgerät an. Zudem ist es auch möglich, vor allem auf elastischen, straff gespannten

Bändern verschiedenste Sprünge auszuführen. Hier ist noch zu erwähnen, dass das Slacklinen im Gegensatz zum Seiltanzen eher den Freestyle-Sportarten zuzuord-nen ist. Dies bekräftigt auch eine Aussage von Scott Balcom (2005): „If you break the rules well enough, new art will be made.“Doch auch alle anderen Schneesportler sollten keines-falls auf diese Übungen verzichten, da sie erstens das Bewegungsrepertoire vergrößern und obendrein als Spannungsübungen verletzungspräventiv sind.Die Rumpfspannung kann durch Halteübungen, bei denen sich eine Hand und der gegenüberliegende Fuß auf dem Band befinden, hervorragend trainiert werden. Schwieriger wird es, wenn man den ypsilateralen Fuss verwendet oder sogar zwischen den beiden Positionen wechselt. Eine der physisch anspruchsvollsten Übun-gen ist das Antippen von sich am Boden befindlichen Punkten mit der freien Hand (Abb. 5). Ein großer Vorteil der Slackline als Gleichgewichtstrai-ningsgerät im Vergleich zum Skisport selbst ist, dass mit sehr geringer Verletzungsgefahr am Limit trainiert werden kann, da diese Sportart ohne hohe Geschwin-digkeiten ausgeübt wird. Somit sind auch Stürze in der Regel ungefährlich.

Die Slackline als Therapie-GerätDurch Aussagen vieler Slackliner ist bekannt, dass diese Sportart äußerst entspannend und meditativ sein kann. Voraussetzung dafür ist, dass man eine gewisse Übung im Slacklinen hat und sich vor allem auf das Gehen fo-kussiert. Deshalb vermuten die Autoren dieses Artikels, dass man das Slacklinen als Therapiegerät beim Burn-

Abbildung 5: Eine Übung, die eine bessere Rumpfspannung zur Folge hat – und die höchst anspruchsvoll ist.

Abbildung 4: Oberschenkel und Gesäßmuskulatur werden bei dieser Form des Trainings besonders intensiv angesprochen.

Abbildung 3: Die Körperbeherrschung in alle Richtungen zu schulen, ist ein hervorragendes Training für alle Skidisziplinen.

bewegen und hat damit schlechte Referenzpunkte für die optische Orientierung. Die Kopfhaltung beziehungsweise die Blickrichtung ist entscheidend für die gesamte Körperhaltung und somit ein entscheidender Faktor, optimale Ausgleichsbewe-gungen auf der Line vornehmen zu können. Wenn der Blick nach vorne gerichtet ist, überträgt sich dies auch auf die Haltung und eine verbesserte Beweglichkeit der Wirbelsäule (Riexinger 2007). Außerdem befindet sich der horizontale Bogengang des vestibularen Systems bei einer Kopfneigung von 30 Grad nach vorn in op-timaler horizontaler Arbeitsebene (De Marées 2003). Deshalb ist diese in der Praxis verwendete Technik, das Ende der Line mit dem Blick zu fixieren, auch aus phy-siologischer Sicht sinnvoll.Des Weiteren ist es von Vorteil, die Arme zum Ausba-lancieren über Schulterhöhe zu halten, da man durch die größere Distanz zur Slackline mit der gleichen Be-wegung ein größeres Drehmoment respektive Auskorri-gieren erreicht. Ein häufiger Fehler, der vorwiegend bei Frauen auftritt, ist ein zu starkes nach vorne Kippen des Beckens. Dies schränkt Aktive in ihrer Beweglichkeit ein, was die Möglichkeiten des Ausbalancierens verklei-nert. Dadurch verschiebt sich der Körperschwerpunkt aus der Körperachse, was das Ausgleichen zusätzlich erschwert.Für die Funktion des Kniegelenks ist eine Beugung aus anatomischer Sicht für die Ausgleichsbewegung in der Frontalebene sehr sinnvoll, da erst dadurch Bewegun-gen nach medial und lateral möglich sind.Zu Beginn ist es sinnvoll, vorerst nur auf einem Bein auf der Slackline zu stehen, da man das zweite Bein als zu-sätzliche Balancierhilfe verwenden kann. Im Prinzip ist das Gehen eine Aneinanderreihung von Einbeinständen, und somit beherrscht man auch diese Bewegungsform, sobald man die Einbeinstände mit dem linken und rech-ten Bein erlernt hat. Sehr oft oszilliert die Slackline bei Anfängern scheinbar unkontrollierbar unter dem Körper hin und her. Dieses Zittern ist durch einen überschießen-den Korrekturreflex des Körpers bedingt: Wenn sich die Slackline links des Körperschwerpunktes befindet, führt dies ohne Korrektur zu einem Umkippen nach rechts. Da die veränderte Gelenkstellung aber durch Proprio-zeptoren in Muskeln und Sehnen registriert wird, führt dies zu einer Korrekturbewegung, dem so genannten Haltereflex. Zu Beginn einer koordinativ anspruchsvol-len Übung sind Co-Kontraktionen und eine übermäßig starke Rekrutierung des Muskels häufig. Das heißt, es werden nicht nur kleine sondern auch große motorische Einheiten (ME) rekrutiert. Der Körper, oder genauer: die Bewegungsteuerung mit Einbezug des sensomo-torischen Systems, muss also lernen, wie stark diese Korrekturbewegung, respektive die Rekrutierung/Fre-quenzierung der MEs ausfallen soll. Diese Anpassun-gen sind auf der Ebene der ME und des sensorischen Feedbacks möglich (Macefield et al., 1993; Van Cutsem et al., 1998). Die Zielsetzung einer perfekten Koordina-tion oder maximalen Bewegungsökonomie ist es, mög-lichst wenig Co-Kontraktionen und nur so viele ME wie nötig zu rekrutieren, also vor allem kleine ME, da diese in der Rekrutierungsreihenfolge zuerst aktiviert werden (Adam & De Luca, 2003). Bei Ermüdung, zum Beispiel nach einem intensiven Krafttraining, ist ein Oszillieren

des Standbeines auf der Slackline auch bei Könnern wieder zu beobachten. Dieser Effekt kann durch eine erhöhte Rekrutierung der ME aufgrund muskulärer Er-müdung (Adam & De Luca, 2003) erklärt werden. Das heißt, es werden wie zu Beginn des Bewegungslernens neben den kleinen ME die eher unpräzisen großen ME zusätzlich rekrutiert. Interessanterweise führt jede neu eingenommene Posi-tion oder anders gespannte Slackline wieder zum sel-ben Phänomen des Oszillierens. Da das Gleichgewicht aber proaktiv ist, also vorausschauend agiert und auf Erfahrungswerte zurückgreift (vgl. u.a. Knuchel/Schäd-ler 2004), lernt man sehr schnell, wie stark man korrigie-ren muss, und schon nach wenigen Minuten lässt das Zittern deutlich nach.

Übungen für den SchneesportSobald man die ersten Schritte gemeistert hat, eröffnen sich unzählige weitere Möglichkeiten, das Training zu gestalten.Bei einer weniger straff gespannten oder gar deutlich durchhängenden Line ist die maximal mögliche Aus-lenkung des Bandes erhöht. Dies hat zur Folge, dass auch der Körperschwerpunkt einer größeren Bewegung widerfährt (Schmid 2008). Um dies zu unterbinden, ist ein höherer Muskeltonus und eine präzise Koordination erforderlich. Dass diese Ausgleichsbewegung äußerst koordiniert sein muss, zeigt ein eindrückliches Beispiel: Ein erfahrener Slackliner war bei einem Experiment, das von den Autoren dieses Artikels durchgeführt worden ist, imstande, ohne fremde Hilfe eine um vier Meter durchhängende Line zu begehen. Drei andere sportli-che Probanden, die kaum Slackline-Erfahrung aufwie-sen, konnten sich hingegen trotz Abstützen auf einer Schulter keine Sekunde lang auf der Slackline halten.Durch längere Lines wird wegen dem größeren Durch-hang derselbe Effekt erzielt aber zudem werden auch die Kraftausdauer und die fokussierte Aufmerksamkeit über längere Zeit auf eine harte Probe gestellt (Kroiss 2007). Das Begehen einer dreißig Meter langen Slack-line dauert oft über zwei Minuten und während dieser Zeit darf man, ähnlich wie im alpinen Rennsport, keine Sekunde lang die Konzentration verlieren.All diese Varianten sind für Skifahrer sehr praxisnah, da das Gleichgewicht beim normalen Stehen und Gehen vorwiegend in der Frontalebene ausgeglichen werden muss. Snowboarder hingegen sind mehr darauf an-gewiesen Vor- und Rückwärtsbewegungen auszuglei-chen. Beim Querstand mit abgedrehtem Oberkörper und Blick ans Ende der Line, kann auch dieses Gleich-gewicht hervorragend trainiert werden. Trotzdem emp-fiehlt es sich für Skifahrer ebenfalls, den Querstand zu üben, da man auch in dieser Sportart beispielsweise in der Kurvenausfahrt oder bei der Landung eines Sprun-ges oft eine Rück- oder Vorlage ausgleichen muss. Für Skisportler ist es aber von Vorteil, den Querstand ohne Ausdrehen und mit Blick nach vorne zu üben. Um die Propriozeption noch stärker zu trainieren, kann man im Querstand das Band unter dem Körper nach vorne und hinten drücken, was im Fachjargon „Surfen“ genannt wird (Abb. 3).Eine äußerst anspruchsvolle und anstrengende Übung für die Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur ist folgen-

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Je tiefer der KSP über der Slackline liegt, desto geringer sind die Korrekturen, die vorgenommen werden müs-sen. Der Nachteil dabei ist, dass es viel anstrengender ist mit stark angewinkelten statt gestreckten Beinen auf der Line zu stehen. Zudem ist man blockiert, Aus-gleichsbewegungen in der unteren Körperhälfte vorzu-nehmen (siehe Abb. 8). In gewissen Situationen ist aber ein schnelles Absenken des KSP die letzte Möglichkeit, sich auf der Line zu halten.Am effizientesten ist es, mit einem Körperteil auszuglei-chen, das möglichst weit von der Drehachse weg ist und trotzdem genügend Masse aufweist um eine ent-scheidende Korrektur zu bewirken. Zudem ist es wich-tig, dass sich das entsprechende Körperteil vor allem kreisförmig um die Drehachse bewegen lässt, was gut auf die Arme zutreffen würde, vorausgesetzt sie sind über Schulterhöhe positioniert. Ein großer Teil der Fein-korrektur wird wohl durch die Unterarme getätigt.

AusgleichsbewegungenZu ähnlichen Resultaten kam auch O. Schmid, der sich in seiner Diplomarbeit (2008) zum Ziel gesetzt hat, ei-nen Weg zu ermitteln, um die Hauptmerkmale der sehr komplexen Bewegungen des Slacklinens zu analysie-ren. Seine Messungen hat er mit einem VICON-System durchgeführt – einem Infrarot-Kamerasystem zur Erfas-sung dreidimensionaler Bewegungen mittels an Test-personen angebrachten Körpermarkern. Für die Untersuchungen hat er seine Probanden in Anfänger, Fortgeschrittene und Könner eingeteilt. Die Probanden mussten dabei für jeweils mindestens fünf

Sekunden im Einbeinstand und Querstand auf der Line stehen und zudem über das Band gehen. Der Gang ist grundsätzlich nichts anderes als eine Aneinanderrei-hung von Einbeinständen. Trotzdem wurde er in die Un-tersuchungen aufgenommen, da das Gleichgewicht bei jedem Schritt neu reguliert werden muss und dadurch bessere Aussagen über die Ausgleichsmechanismen ermöglicht wurden.Für die Untersuchungen wurde eine 7,6 m lange, 35 mm breite Slackline mit 2,5% Gebrauchsdehnung ver-wendet, die bei jedem Proband auf 47 cm Durchhang eingestellt wurde.Die Bewegungsaufgabe ist zwar schon dann erfüllt, wenn ein Stehen beziehungsweise das Gehen auf dem Band gewährleistet ist, jedoch ist der Könner darüber hinaus durch seine Überlegenheit der Bewegungsauf-gabe gegenüber stets flexibel und aktionsbereit, um schwerere und komplexere Aufgaben zu bewältigen. Somit sind die Werte der Könner als Richtwert einer qualitativ hochwertigen Bewegung aufgefasst worden.Resultate der Untersuchungen sind, dass sich der Kör-perschwerpunkt des Könners in fünf Sekunden mit 46 cm nicht einmal halb so stark hin und her bewegt wie derjenige des Anfängers mit 106 cm. Es kann somit ge-sagt werden, dass sich der Könner ruhiger auf der Line bewegt als der Anfänger. Zudem ist bei den Könnern auch die Eigenbewegung der Slackline deutlich gerin-ger als bei den Vergleichsgruppen. Einzige Ausnahme bilden hier die Hände und Unterarme, die sich mit stei-gendem Leistungsniveau mehr bewegen. Daraus wurde gedeutet, dass diese Körperpartien einen wichtigen Teil der Ausgleichsbewegung übernehmen, indem sie sich viel und schnell bewegen.Als einzige Gruppe weisen die Könner eine signifikante Korrelation zwischen der Bewegung des Körperschwer-punkts und den unteren Extremitäten auf. Daraus wur-de geschlossen, dass der zweite Schlüssel zu einer qualitativ hochwertigen Bewegung in einer effizienten Beinarbeit liegt.

Die zweite DrehachseWenn man nun eine dehnbarere, weniger gespannte oder längere Slackline verwendet, befindet sich die ers-te Drehachse (D1) klar unterhalb der zweiten Drehachse (D2). Wir gehen hier davon aus, dass die Bewegung, die die Slackline um diese Drehachse ausführt eine kreis-förmige ist, obwohl dies vor allem bei stark dehnbaren Bändern nur eine Annäherung ist. Ein solches System mit einer zweiten Achse führt zu einer viel dynamische-ren Unterstützungsfläche, da sich die Slackline nun selbst unter dem Körperschwerpunkt hin und her be-wegen kann. Die Slackline verlangt somit ein ständiges Ausgleichen der Eigenbewegung. In diesem Falle ist es nicht mehr unbedingt notwendig, den KSP senkrecht oberhalb der Line zu haben. Es existiert sogar eine Spielform beim Slacklinen – das sogenannte „Surfen“ – bei der man versucht, die Slack-line in eine möglichst große Auslenkung zu bringen. Durch das schnelle hin und her „pushen“ der Slackline entsteht eine Zentrifugalkraft, die den Körper bei idealer Ausführung in die Slackline drückt. Bei einer ganz extrem durchhängenden Line – ähnlich dem Schlappseil – wird die seitliche Auslenkung des

Abb. 8: Ein tiefer Körperschwerpunkt über der Slackline lässt Korrekturen geringer ausfallen, aber sorgt auch für mehr Anstrengung.

Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zur Verbesserung der Konzentration oder bei Multipler Sklerose einzusetzen. Auch setzt er die Slackline bereits erfolgreich als The-rapiemittel bei MS-Patienten und Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen ein.In der Rehabilitation von operierten Kreuzbändern wird die Slackline bereits von vereinzelten Physiotherapeu-ten zur Wiederherstellung der neuromuskulären Koor-dination eingesetzt. Es wird momentan noch geforscht, wie gut die Resultate sind, die damit erreicht werden. Diesbezüglich kann noch angemerkt werden, dass im Gegensatz zu den meisten anderen sensomotorischen Trainingsgeräten nicht nur die stationäre Koordination, sondern zudem auch noch die Koordination während dem Gehen trainiert werden kann, was für den Alltag des Patienten sehr hilfreich ist. Die Autoren schlagen zudem vor die Slackline auch in der Bewegungsthera-pie, beispielsweise bei Krebs-Patienten oder Patienten mit Depressionen einzusetzen.

Biomechanische Betrachtungsweise Im Bereich des Slacklinens ist die aktuelle Studienlage noch sehr bescheiden. Bisher wurden erst zwei Studien in Bezug auf das biomechanische Verhalten durchge-führt. Dies liegt vor allem daran, dass das Slacklinen eine sehr junge Sportart ist und erst etwa 2007 über die Kletterszene hinaus Bekanntheit erlangt hat. In diesem Abschnitt wird auf die existierenden Studien eingegan-gen, die zusätzlich durch biomechanisches Grundwis-sen und „slackline-spezifische“ Ableitungen dazu er-gänzt werden.

Verhalten des Körperschwerpunktes gegenüber den DrehachsenDie auftretenden Kräfte, welche der Slackliner erfährt, sind seine eigene Gewichtskraft und die Reaktionskräf-te der Slackline, die zwischen den Fußsohlen und der Slackline auftreten (Riexinger 2007).Dabei kann man annäherungsweise von einem System mit zwei Drehachsen ausgehen. Die erste Drehachse geht durch die Auflagefläche zwischen Fuß und Slack-line (D1 in Abb. 6). Die zweite Drehachse geht durch die Aufhängepunkte der Slackline (D2 in Abb. 7). Wenn man nur die erste Drehachse betrachtet, erhält man ein System ähnlich dem Stahlseillaufen, in dem die beiden Drehachsen aufgrund des minimalen Durchhangs mehr oder weniger aufeinander zu liegen kommen. Solch Sys-tem kann auch durch eine kurze, sehr straff gespannte Slackline mit wenig Dehnung angenähert werden.In diesem Falle befindet sich der Körper in einem me-tastabilen Gleichgewicht, vorausgesetzt der Körper-schwerpunkt (KSP), der gleichzeitig den Angriffspunkt der Schwerkraft darstellt, befindet sich oberhalb der kleinen Unterstützungsfläche der Slackline (vgl. u.a. Wick 2009). Diese Gleichgewichtslage ist aber äußerst labil. Das heißt, durch kleinste Veränderungen der Kör-perlage verschiebt sich der KSP neben die Slackline. In diesem Falle würde ein starrer Körper herunterkip-pen, da durch die Erdanziehungskraft ein Drehmoment (MKSP) erzeugt wird. Der Mensch ist aber in der Lage beispielsweise durch eine Armbewegung ein korrigie-rendes Drehmoment (MASP) zu erzeugen und den KSP somit wieder über die Slackline zu bringen.

Abbildung 6: Die auftretenden Kräfte auf den Slackliner sind seine eigene Gewichtskraft und die Reaktionskräfte.

Abb. 7: Zu verstehen sind die Bewegungsabläufe als System mit zwei Drehachsen zw. Fuß, Slackline und deren Aufhängepunkten.

Out-Syndrom einsetzen kann. Wissenschaftliche Unter-suchungen dazu existieren noch nicht, erste Versuche erwiesen sich aber als vielversprechend.R. Stadelmann (2008) vermutet, dass Slacklinen posi-tive Auswirkungen auf unsere Haltung (posturale Kon-trolle, Beckenaufrichtung) hat und schlägt sogar vor, sie als Therapiemittel bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/

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FdSnow 35 Die Slackline als Trainingsgerät für den Schneesport

Bandes wegen dem großen Radius nur noch minimal durch die Erdanziehungskraft abgebremst. Eine solche Slackline zu Laufen ist zwar möglich: Größere Fehler können aber nicht mehr korrigiert werden. Zur Wahrung der Balance muss in diesem Falle die sich bewegende Unterstützungsfläche unter den KSP „gezogen“ werden (Riexinger 2007). Dafür ist eine sehr hohe Grundspan-nung der Bein- und Rumpfmuskulatur vonnöten. Der Hauptteil der Ausgleichsbewegung findet dabei unter-halb der Hüfthöhe statt.

Folgerung und AusblickDie Slackline ist ein Sport- und Therapiegerät mit im-mensen Möglichkeiten. Der Vorteil gegenüber anderen Gleichgewichts-Trainingsgeräten liegt nicht unbedingt in der größeren Effizienz, sondern viel mehr in der Breite der Variationsmöglichkeiten und dem größeren Spaß-faktor. Ob und inwiefern die Slackline zudem auch effi-zienter ist, bleibt in zukünftigen Studien abzuklären.Ein Einsatz der Slackline als therapeutisches Trainings-mittel sollte und wird zukünftig mehr in Betracht gezogen werden. Denn wie auch das Training im Leistungssport sollte die Therapie „den Patienten stets auf seiner kog-nitiven, emotionalaffektiven und biophysischen Ebene ansprechen und zufrieden stellen“ (Froböse 2003, S.8). Was auf die Slackline zutrifft.Speziell der Einsatz in der Trainingsplanung könnte von großem Interesse sein. Denn wie die Studie von Schmid zeigt, besteht bei allen untersuchten Bewegungen ein großer Unterschied in der Stabilität zwischen Anfängern und Fortgeschrittenen. Diese weitgehenden Lernfort-schritte lassen sich wahrscheinlich auch gut auf andere Sportarten übertragen (Schmid 2008).Wichtig ist vor allem herauszufinden, welche Trainings-effekte ein regelmäßiges Üben auf der Slackline mit sich bringt. Zum einen müssen die Auswirkungen auf die ko-ordinativen Fähigkeiten, speziell die Gleichgewichtsfä-higkeiten untersucht werden. Zum anderen wäre es in-teressant zu wissen, inwiefern ein stabilisierender Effekt auf die unteren Extremitäten und den Rumpf auftritt.Unerlässlich ist an dieser Stelle aber auch die Berech-nung der intern wirkenden Kräfte. Schädliche Auswir-kungen des Slacklinens sind zwar aus jetziger Sicht nicht zu erwarten, dürfen aber auch nicht vorschnell ausgeschlossen werden.Ganz abgesehen von den physiologischen Trainingsef-fekten sollten in naher Zukunft auch Untersuchungen im Bereich der kognitiven Lernprozesse, wie des Kon-zentrationstrainings oder der Körperwahrnehmungs-schulung, angestellt werden. Dabei ist abzuklären, ob die Slackline auch ein sinnvolles Therapiemittel für psychische Krankheiten wie z.B. ADHS oder Burn-Out-Syndrom ist.

VerfasserSamuel Volery und Tobias RodenkirchE-Mail: [email protected]

Literatur

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