So grün wie Eden

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CLARK DARLTON

Die HOLOCAUST-TrilogieDritter Teil

So grn wie Eden

Einleitung Als am 14. Mai 1995 das Undenkbare geschah und sich die menschliche Zivilisation bis zu einem gewissen Grad selbst vernichtete, geschah dies nicht durch Interkontinentalraketen mit atomaren Sprengkpfen, wie man seit Jahrzehnten nicht ohne Grund angenommen und befrchtet hatte, sondern durch eine neue Waffe ebenfalls durch Raketen ins Ziel getragen , die beide Seiten besaen, ohne da es einer vom anderen wute. Jeder der Kontrahenten hielt sich fr den berlegeneren. Man nannte die Waffe den STRAHLENDEN TOD. Drfer, Stdte und andere Einrichtungen wurden nicht zerstrt, aber nur wenige Menschen kamen mit dem Leben davon und begannen von vorn. Sie sprten die in ihren unterirdischen Bunkern wie die Ratten hausenden Verantwortlichen auf hben wie drben und zogen sie zur Rechenschaft. Kaum einer von ihnen berlebte das Gericht dieser Tage. Aber so verzweifelt und intensiv die neu Beginnenden auch suchten und forschten, es gelang ihnen nicht, die geheimen Lagersttten der schrecklichen Waffen zu finden, die ihre Heimatwelt beinahe zur leblosen Wste gemacht hatte. Jene, die die Verstecke vielleicht gekannt hatten, waren tot. Und auch jene Mnner und Frauen, die einst die Drfer Jackville und Cornertown wiederaufgebaut und vereinigt hatten, lebten lngst nicht mehr. Ihre Nachkommen jedoch hatten das Werk ihrer Eltern und Groeltern fortgefhrt, so wie es auch in Europa, Asien und den anderen Kontinenten geschehen war. Eine neue Zivilisation war entstanden, aber sie wurde bewut in Grenzen gehalten. Der Natur wurde mehr Spielraum gelassen, schon weil die Erde stark unterbevlkert war. Die Stdte strahlten lngst nicht mehr, aber sie blieben zum grten Teil unbewohnt. Das Leben aus der Asche hatte sich auf das freie Land zurckgezogen. Und das Land wurde wieder grn und fruchtbar grner, als es je gewesen war. Selbst die Wsten bedeckten sich mit Vegetation, obwohl es nicht mehr regnete als frher, und einst mhsam am Leben gehaltene Wlder wurden erneut zu undurchdringlichen Dschungelgebieten. Aber noch immer gab es Mnner und Frauen, die das Grauenhafte nicht vergessen konnten und wollten, was vor mehr als zwei Generationen geschehen war. Heute schreiben wir das Jahr 2065 siebzig Jahre nach dem Untergang der technischen Zivilisation 1.

Claire Buchanan, die Enkelin von Gibson Kemp und Mary Buchanan, der Tochter des damaligen Brgermeisters von Jackville, kehrte nach ihrer Unterredung mit Dr. Sam Roberts ein wenig bedrckt in ihr bescheidenes Heim zurck. Seit dem Tod ihres Mannes lebte sie dort allein, und im Gedenken an ihre Eltern und ihre schon fast zur Legende gewordenen Groeltern hatte sie ihren Mdchennamen wieder angenommen Sie sei kerngesund, hatte der Arzt versichert, auch wenn ihre Ehe kinderlos geblieben war. Dann jedoch war er gleich zum eigentlichen Thema ihres Besuchs gekommen: Gerald Zimmermann macht mir Sorgen, Claire, genau wie er dir und auch vielen anderen von uns Sorgen bereitet. Er hat das unruhige Blut seines Vaters in den Adern, und der wiederum erbte es von Robert Zimmermann, der wie wir alle wissen Ende 1999 von einer Expedition nach Kanada nicht zurckkehrte. Du fhrst jetzt die Chronik unserer Stadt, deutete Claire eine Frage an. Darin findet sich nicht viel ber die damaligen Ereignisse. Papier war knapp. Plnderer und jeder Art von Technik berdrssige Banden zerstrten die teils ntzlichen und teils berflssigen zivilisatorischen Einrichtungen und das passierte in aller Welt. Ein paar private Funkstationen konnten gerettet werden, sonst wren wir total isoliert. Immerhin hatte Claire erfahren knnen, da Robert Zimmermann damals in Begleitung einiger Freunde aufgebrochen war, um die geheimen Lagersttten des Strahlenden Todes zu finden, die er weiter im Norden vermutete. Seitdem hatte man nie wieder von ihm und seinen Begleitern gehrt. Vielleicht gibt es diese Lager berhaupt nicht, hatte Claire zu dem Arzt gesagt, aber keine Antwort darauf erhalten. Sie setzte sich in den Sessel vor dem Kamin, warf ein Stck Holz in die noch glhende Asche und lehnte sich bequem zurck. Sie mochte den nur um ein Jahr lteren Gerald Zimmermann, dessen Vater fast zur gleichen Zeit gestorben war wie ihr Mann. Die gemeinsame Trauer hatte sie zu Freunden werden lassen. Und nun, nach mehr als sechzig Jahren seit dem Verschwinden seines Grovaters, wollte er den Spuren des Verschollenen folgen. Ein unsinniges Vorhaben, davon war Claire berzeugt. Nach sechs Jahrzehnten konnte es keine Spuren mehr geben. Gerald Zimmermann dachte anders darber, denn sein Vater hatte ihm Unterlagen hinterlassen, die selbst der Arzt Sam Roberts nicht kannte. Es war der schriftliche Bericht seines Grovaters, den dieser vor seinem Aufbruch 1999 versiegelt seinem Sohn bergeben hatte, und zwar mit der strengen Auflage, ihn erst nach seinem Tod zu ffnen und zu lesen. Geralds Vater hatte nie an Roberts Tod geglaubt, also blieb das Siegel ungebrochen bis Gerald die Unterlagen erbte. Als er die Aufzeichnungen seines Grovaters gelesen hatte, mute er erkennen, da die Wahnsinnigen von damals, die den Tod ber die Welt geschickt hatten, den nachfolgenden Generationen etwas hinterlassen hatten, dessen wahre Natur auch Robert Zimmermann nicht hatte entrtseln knnen. Aber allein die vagen Andeutungen gengten, um in Gerald den Entschlu reifen zu lassen, das Geheimnis zu lften und die Menschheit vor einer neuen Katastrophe zu bewahren falls die Vermutungen seines Grovaters berhaupt eine Grundlage besaen. Seine Absichten stieen auf wenig Gegenliebe. Es sei doch alles in bester Ordnung, wurde ihm entgegengehalten. Die Ernten wurden mit jedem Jahr besser, selbst ohne den nicht mehr verwendeten Kunstdnger, die Vlker der Welt das, was von ihnen briggeblieben war lebten in Frieden miteinander, und auer einem internationalen Ordnungsdienst und der Brgerwehr gab es keine Soldaten und keine Armeen mehr. Damals, 1995, waren die pltzlich fhrerlos gewordenen Flugzeuge abgestrzt, und die Kriegsschiffe mit ihren toten Besatzungen irgendwo aufgelaufen oder gesunken. Wir haben ein grnes Paradies, hatte Sam Roberts ihm entgegengehalten, wie es sich unsere Vorfahren einst gewnscht haben. Und wenn die alte Waffe wirklich noch existiert, so lagert sie tief unter der Erde, und da sollte sie auch bleiben. Begraben und tot und ganz sicher ungefhrlich, solange sie niemand findet. Robert Zimmermann hinterlie ein Vermchtnis das ich nicht kenne, Gerald. Gib den Gedanken auf, Gerald, nach den Lagersttten zu suchen. Was willst du tun, wenn du sie wirklich findest? Wie willst du sie, die Waffe, unschdlich machen? Wie, frage ich dich? Du erweckst sie hchstens zu neuem Leben. Sicher, Sam Roberts hatte recht, aber er kannte ja auch Robert Zimmermanns Aufzeichnungen nicht, und Gerald wagte es nicht, sie ihm zu zeigen. Jetzt noch nicht. Und dafr gab es viele Grnde. Die Aufzeichnungen Robert Zimmermanns Ende des Jahres 1999 Irgend jemand wird das hier von mir in Jackville Niedergeschriebene einst lesen mein Sohn vielleicht, wenn ich tot bin, vielleicht auch sein Sohn, sollte er je einen haben. Oder seine Tochter, meine Enkelin. Eigentlich war es meine Absicht, die Entdeckung, die ich gemacht habe, und die Vermutungen, die daraus resultieren, fr mich zu behalten und mit ins Grab zu nehmen, aber tief in meinem Unterbewutsein regt sich unaufhrlich der Gedanke, da auch Vermutungen und Spekulationen, und mgen sie auch noch so phantastisch und unglaublich erscheinen, sich in furchtbare Realitten verwandeln knnten. Nicht von heute auf morgen in diesem Fall, oh nein! Wre es an dem, so mte ich schon heute, im Jahre 1999, die Karten offen auf den Tisch legen, ob ich nun wollte oder nicht. Doch selbst eine mehr als nur vage Vermutung der vielleicht drohenden Gefahr wrde unsere kleine Gemeinschaft, die gerade erst wieder zu leben beginnt, zutiefst schockieren und ihren Willen zum Wiederaufbau einer neuen Welt lhmen. Das, und nur das allein ist der Grund, warum ich heute noch schweigen mu, und ich bitte dich, Sohn oder Enkel, das zu verstehen und mir zu verzeihen. In wenigen Tagen werde ich in Begleitung vom Brendon, Gibson Kemp und Eppstein zu meiner zweiten Expedition aufbrechen, die uns weiter nach Norden fhren soll. Wir hatten Funkverbindung mit einigen Gruppen dort, die den unsinnigen Krieg berlebten, genauso wie wir. Mit diesen Gruppen werden wir Kontakt aufnehmen. Ich kann nur hoffen, da mir dieser Ausflug nach Norden die endgltige Antwort auf alle meine Fragen geben wird, die mich seit einem Jahr fast unertrglich belasten und qulen. Denn vor einem Jahr fanden Will McHary, Jim Grant und ich das, wonach wir suchten. Doch ich will der Reihe nach berichten. 26. September 1998: Heute brachen wir auf. Wir wuten, da der Winter vor der Tr stand, aber unsere Ungewiheit gab uns weder Zeit noch Ruhe, lnger zu warten. Wir muten endlich jemanden finden, der uns mehr ber den Strahlenden Tod verraten konnte oder wollte. Wir hatten schon viel zu lange damit gewartet. Zuerst nahmen wir die Strae nach Westen und bogen dann nordwrts ab. Wir hatten den Jeep ausgerstet, einen der wenigen, die noch intakt waren. Wir beluden ihn mit Lebensmitteln, meist Konserven, von denen wir mehr als genug in General Hamiltons Bunkerversteck gefunden hatten, banden Reservekanister mit Benzin an die Seiten und versorgten uns mit Waffen, denn noch immer streiften raubende, plndernde und mordende Banden durch das Land. Da wir Ansiedlungen mglichst vermeiden wollten, muten wir immer wieder die ohnehin schlechte und mit Unkraut bedeckte Strae verlassen und die Drfer durch unwegsames Gelnde umfahren. Obwohl das unserer eigentlichen Absicht, Menschen zu finden, widersprach, hielten wir das fr richtig. Denn jene, die wir suchten, wohnten kaum in diesen Ansiedlungen, hchstens als harmlose Brger getarnt, die ein neues Leben beginnen wollten. Am fnften Tag unserer Fahrt, am 30. September, sichteten wir von einer Anhhe aus ein einsames Gehft, eine Farm. Rauch aus dem Schornstein verriet Leben. Und gegen die Bewohner einer Farm konnten wir, sollte es notwendig sein, uns besser verteidigen als gegen ein ganzes Dorf. Wir hofften, da unsere Bedenken berflssig sein wrden. Kurz entschlossen nahmen wir Kurs auf die weitrumig angelegten Gebude. In den Koppeln grasten Pferde, und das Getreide auf den Feldern war berreif zur Ernte. Wir waren noch knapp hundert Meter von dem Hauptgebude entfernt, als in dessen Tr ein Mann erschien in der Hand ein Gewehr. Will McHarry stellte den Motor ab, whrend ich langsam ausstieg und auf den Mann, dessen Alter schwer abzuschtzen war, zuging. Ich hatte die Maschinenpistole im Jeep gelassen, aber in der Hosentasche meine kleine Pistole mitgenommen fr den Notfall. Der Mann blickte mir entgegen, den Lauf seines Gewehrs nach unten gerichtet. Erst als ich noch ein Dutzend Schritte von ihm entfernt war, hob er es langsam an, und ich blickte in die Mndung. Bleiben Sie dort stehen, Fremder. Was wollen Sie hier in dieser Gegend? Sein Gesicht drckte Mitrauen aus, aber keine Furcht. Es war ein gutes Gesicht, das erkannte ich sofort, und ich habe mich nur selten getuscht. Wir kommen aus Jackville und wollen nach Norden. Vielleicht knnen Sie uns mit einigen Ausknften dienen, auerdem wren wir fr frisches Wasser dankbar. Jackville.. .? Ich habe davon gehrt. Gute Leute dort, und mit den Banditen habt ihr bestens aufgerumt. Seid willkommen in meinem Haus. Meine Frau und meine Tochter sind drinnen. Ich winkte zurck zum Jeep, der sich bald darauf in Bewegung setzte und dicht bei uns hielt. Will stellte den Motor ab und stieg mit Jim aus. Sie reichten dem Mann die Hand. Wir nannten ihm unsere Namen. Nun kommt schon mit, antwortete er nur und ging voran. Hier klaut euch niemand den Wagen. Ruhige Gegend. Er nickte in Richtung der lteren und jngeren Frau, die in der Kche beim Fenster standen. Meine Frau und meine Tochter. Im Gegensatz zu uns nannte er keine Namen, und vielleicht hatte er auch seine Grnde dafr. Wir fragten ihn nicht. Als wir rund um den Tisch saen und die Frauen ein einfaches Mahl auftrugen, betrachtete er uns mit forschenden Blicken, die mehr als bloe Neugier verrieten. Will ging zum Jeep und holte ein paar Dosen Bier als Gastgeschenk. Der Mann nahm einen groen Schluck. Sicher hatte er schon lange kein Bier mehr gesehen. Erneut blickte er mich an. Was wollt ihr hier in dieser Gegend und weiter nrdlich? Da gibt es nur die kahlen Hgel und kaum Ansiedlungen oder Farmen. Ihr trefft hchstens auf herumstreifende Nichtstuer, denen die Zukunft nichts mehr bedeutet. Meist sind sie bewaffnet und gefhrlich. Wir knnen uns wehren, beruhigte ich ihn. Dann kam ich auf seine ursprngliche Frage zurck. Wir suchen Menschen, die vielleicht etwas ber die Lagersttten dieses verdammten Zeugs wissen, das uns beinahe alle ausgelscht htte: Es befindet sich nicht in den Raketenbunkern, die wir fanden und durchsuchten. Es mu gesondert woanders gelagert worden sein. Der Mann nickte langsam. Er schien kaum berrascht zu sein. Wieder sah er uns lange und der Reihe nach an, ehe er sagte: Wenn ihr nicht aus Jackville kommen wrdet, knntet ihr von mir kein einziges Wort erfahren. Aber ich kenne James Buchanan von frher, er wrde kein Gelichter in seiner Stadt dulden. Er machte eine kurze Pause und trank sein Bier aus. Mit Nachdruck stellte er die leere Dose auf den Tisch zurck. Der ,Strahlende Tod ist nichts anderes als eine klare Flssigkeit, die wie Wasser aussieht so wurde wenigstens behauptet. Sie befindet sich in Behltern, die wie Granaten aussehen und daher auch jederzeit im Kopf einer Rakete eingesetzt werden knnen. Wenn der Kopf ber dem Ziel detoniert, beginnt es dort zu regnen, aber die Tropfen lsen sich noch whrend des Falls in ein tdlich wirkendes Gas auf oder wie immer man es nennen will. Gift also? Nicht im blichen Sinn, soweit ich informiert bin. Ein Bruder von mir war Chemiker, er knnte euch mehr darber sagen, aber ich wei nicht, wo er ist oder berhaupt noch lebt. Wahrscheinlich wurde er gettet. Er war an der Entwicklung des Teufelszeugs beteiligt, sprach aber niemals darber. Aber wenn er doch wute ... Niemand wute es. Die einzelnen Entwicklungslabors arbeiteten unabhngig voneinander, keines hatte Kontakt mit dem anderen. Die Produkte, die sie herstellten, waren jedes fr sich absolut harmlos. Sie wurden verschickt und erst an einem geheimen Ort vermischt. Diese Mischung war es wohl, die uns den Untergang bescherte. Ich mu zugeben, da mich das Wissen des Mannes mehr erschreckte als berraschte. Auch die Gesichter Jim Grants und Will McHarys zeigten Betroffenheit. Woher hatte der Mann, der seinen Namen nicht nannte, sein Wissen? Ich entschlo mich zu einer direkten Frage: Woher wissen Sie das alles? Nur von Ihrem Bruder, der angeblich verschwunden ist? Er schttelte den Kopf. Von ihm erfuhr ich nur, da sie ein Pflanzenschutzmittel herstellen, wenn auch in einer bis dahin unbekannten Zusammensetzung. Nein, mein Wissen stammt von einem Fremden, der hier eines Tages auftauchte, total abgerissen in einer ihm nicht passenden Zivilkleidung. Er war schwer verwundet. Angeblich hatte man ihn berfallen und angeschossen. Er sprte sein Ende nahen und entschlo sich zu einer Art Beichte, bevor er starb. Er gehrte zu den leitenden Mnnern im Hauptwerk, dort also, wo die endgltige Zusammensetzung der einzelnen Lieferungen stattfand. Ich starrte den Mann an. Will und Jim hielten die Luft an. Der Mann lchelte mde. Ich kann Ihnen verraten, wo es sich befindet, aber das wird Ihnen auch nicht weiterhelfen. Aber vielleicht gibt es dort Hinweise, wo das verdammte Zeug endgltig bis zum Einsatz gelagert worden ist. Jede Spur, aber auch jede, hilft uns weiter, ermunterte ich ihn. Er nickte seiner Frau und seiner Tochter zu, die wortlos das Geschirr zusammenrumten, um es drauen beim Brunnen zu splen, dann erst stand er auf, ging zu einem wackeligen Regal und holte ein Buch daraus hervor. Er kehrte zum Tisch zurck, setzte sich und schlug das Buch auf, in dessen Mitte eine weitrumige Landkarte verborgen war. Er breitete sie aus und deutete auf eine Stelle sdlich der Berge. Hier liegt unsere Farm. Sein Zeigefinger wanderte weiter nach Norden. Das hier sind die Berge, kaum hundert Kilometer entfernt und damals grtenteils von der Regierung zwangsevakuiert. In einem der Tler, kaum zu verfehlen, liegt das Hauptwerk. Er zgerte wieder einen Augenblick, dann stie sein Finger erneut hinab auf die Karte. Dies hier mte es sein! Wrden Sie uns die Karte berlassen? fragte ich ohne viel Hoffnung, aber er nickte zustimmend. Ich brauche sie bestimmt nicht mehr, auerdem wrde ich meine Familie nicht allein lassen. Nehmen Sie die Karte, sie gehrt jetzt Ihnen. Und sollten Sie jemals nach Jackville zurckkehren, so gren Sie Buchanan von mir. Wir kennen ja nicht einmal Ihren Namen, unternahm ich einen letzten Versuch. Er lchelte und sah zum Fenster hinaus. Die beiden Frauen waren mit ihrer Arbeit fertig und kehrten zum Haus zurck. Sagen Sie ihm nur, der Einsame Wolf liee ihn gren. Das gengt. Erst jetzt wurde mir klar, da der Mann von seiner Abstammung her ein Indianer war, einer jener Menschen also, deren Heimat man nun endgltig zerstrt hatte. 1. Oktober 1998 Wir blieben ber Nacht, schliefen aber drauen im Freien, wie wir es gewohnt waren. Fr die Jahreszeit war es ungewhnlich mild, erst gegen Morgen machte sich der Oktober durch einen khlen Wind von Westen her bemerkbar. Wir erhielten ein gutes Frhstck, bedankten und verabschiedeten uns mit dem Versprechen, auf der Rckfahrt wenn mglich wieder vorbeizukommen. Wenn Sie dort in der Hexenkche noch einen lebenden Menschen antreffen, der mit der Sache zu tun hat, rief uns der Mann hinterher, als Will den Jeep startete, dann bringen Sie ihn um! Ich drehte mich um und rief zurck: Erst dann, wenn er geredet hat! Dann fuhren wir los. Ich hatte die Karte vor mir auf den Knien liegen. Sie war eine unschtzbare Hilfe, denn so lieen sich eventuell bewohnte Ansiedlungen rechtzeitig erkennen und umfahren. Die Berge rckten nher. Bis zum Abend konnten wir sie erreichen. In mir war eine seltsame Unruhe. Ich bin stets ein friedfertiger Mensch gewesen, dem jede Gewaltttigkeit zuwider war, aber die Unerbittlichkeit des Lebens nach dem groen Krieg, der eigentlich gar keiner gewesen war, hatte mich verndert, und ich hatte seither viele Menschen tten mssen oder sie htten mich gettet. Selbst Jim Grant, der friedlichste Mensch der Welt, konnte jetzt besser mit der Waffe umgehen als jeder andere. Seine Skrupel, tten zu mssen, um selbst am Leben zu bleiben, waren verschwunden. Und Will McHary, Schotte oder Ire von seiner, Abstammung her, scho in gewissen Situationen lieber zuerst und stellte dann die Fragen. Bei einem unserer Umwege gerieten wir in einen Hinterhalt. Wir hielten notgedrungen an einer ziemlich unbersichtlichen Stelle, um Benzin nachzufllen, als ohne jede Vorwarnung ein paar Schsse fielen. Die Mnner hinter den Gewehren waren zu unserem Glck miserable Schtzen, fr sie allerdings war es Pech. Auerdem besaen wir die besseren automatischen Waffen. Das Gefecht war nur von kurzer Dauer, und von den sieben Banditen blieb nur einer lange genug am Leben, um einige Fragen beantworten zu knnen. Sie hausten in einer verfallenen Htte am Waldrand und berfielen die in der Nhe liegenden Drfer oder Reisende, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen. An Arbeit dachte keiner von ihnen, geschweige denn an den Wiederaufbau einer neuen Welt. Sie hatten den Tod verdient, so hart das klingen mag, und sicher waren jene, die ihren Raubzgen zum Opfer gefallen waren, kaum zu zhlen. Der Eingang zu dem von unserem Informanten bezeichneten Tal war dank der Karte leicht zu finden. Es fhrten sogar Bahngeleise hinein, die allerdings derart von Gras und Unkraut berwuchert waren, da wir eigentlich nur durch Zufall darber stolperten. Wir fuhren solange, bis der schmale Zugang eine Biegung machte und der Blick auf einen weiten Talkessel frei wurde. Will fuhr den Jeep in eine Felsennische, dann tarnten wir ihn mit den reichlich vorhandenen grnen Zweigen von Bschen und Bumen. Jeder von uns nahm eine Pistole in der Tasche mit. In den Hosenbund schoben wir zwei volle Ersatzmagazine fr unsere Schnellfeuergewehre, die wir offen in den Hnden trugen. Damit lie sich schon ein Feuerzauber anfangen, wenn es sein mute. Aber vielleicht lebte auch niemand mehr hier. In dem Tal gab es reichlich Pflanzenwuchs, so da wir uns der Deckung wegen keine Sorgen zu machen brauchten. Wir folgten den Bahngeleisen, die in gerader Linie auf die flachen Gebude zufhrten. Die Vegetation war ppiger, als es hier zu erwarten gewesen wre. Der Boden war steinig und trocken, und dennoch wucherte das Unkraut wie in den Tropen. Immerhin bot es Schutz. Sie haben also das verdammte Zeug mit der Bahn hierher transportiert, stellte Jim fest, als er ber eine Schwelle stolperte. Und die fertige Giftmischung dann von hier zu den Lagersttten, folgerte Will ebenso logisch. Wir brauchen also nur den Schienen aus dem Tal hinaus zu folgen, um diese zu finden. Das allerdings war absolut unlogisch, wie Jim ihm sofort klarmachte: Schienenstrnge haben die Eigenschaft, sich mit Hilfe von Weichen zu verzweigen, in smtliche Richtungen und vielleicht hundertmal auf hundert Kilometer. Und wenn du einer folgst, stehst du pltzlich abermals vor einer Abzweigung. Nee, so einfach wird es nicht sein, da die richtigen zu finden. Seid mal ruhig! warnte ich die beiden leise und duckte mich. Ich meine, da vorn eine Bewegung gesehen zu haben, leider nur sehr vage. Ich konnte nicht erkennen, was es war. Ein greres Tier vielleicht. Oder ein Mensch, flsterte Jim und berprfte den Sicherungshebel seiner Waffe. Ich schttelte warnend den Kopf. Wenn dort wirklich noch jemand lebt, so brauchen wir ihn lebendig. Tot ntzt er uns nichts. Seid also vorsichtig und knallt nicht einfach drauflos, wenn ihr jemanden seht. Also weiter, aber immer in Deckung bleiben. Geduckt folgten wir erneut der Schiene. Sie machte jetzt einen leichten Bogen und fhrte dann in gerader Linie auf das mittlere der Gruppe von Gebuden zu, das gut ein Stockwerk hher war als die anderen. Im Gegensatz zu diesen anderen hatte es auch keine sichtbaren Fenster. Es schien damit weder als Brohaus noch als Unterkunft gedient zu haben. Wo hast du denn was gesehen? fragte Jim. Rechts vom Hauptgebude, bei dem flachen Langbau. Aber wie gesagt ich kann mich auch getuscht haben. Na schn, wenn dem so ist, schlage ich vor, da wir uns trennen. Folgt ihr beide weiter den Schienen, ich werde mich auf Umwegen an den Flachbau heranschleichen. Wenn da wirklich jemand ist, finde ich ihn auch. Wenn ich euch brauche, jage ich drei Schsse in den Himmel. Alles klar? Sei vorsichtig, warnte ich noch. Jim verschwand rechts von uns zwischen den Bschen. Bereits Sekunden spter war er auch nicht mehr zu hren. Will und ich nherten uns weiter dem Bau, in dem die Schienen verschwanden. Nun konnten wir auch das groe und hohe Doppeltor erkennen, das in der Mitte einen Spalt offen stand. Wir wrden also kaum Schwierigkeiten haben, den Schienen zu folgen und in das Innere des Betonklotzes einzudringen. Die Vegetation reichte bis ans Tor, war aber nicht mehr so hoch und dicht. Kein Wunder, denn es mute sich hier durch die Betonschicht hindurcharbeiten, mit der man den natrlichen Boden bedeckt hatte. Wieder einmal erhielt ich Gelegenheit, den ungeheuren Lebenswillen der Pflanzen zu bewundern, fr die es kein Hindernis auf dem Weg zum Licht zu geben schien. Bevor wir die letzten Meter zurcklegten, warf ich einen Blick nach rechts, konnte aber keine Spur von Jim entdecken. Dann waren wir mit ein paar Stzen beim Tor und zwngten uns mit vorgehaltenen Waffen in den Raum, der dahinter lag. Es war eine riesige Halle, und das einzige Licht erhielt sie von einem groen Fenster in der hochliegenden Decke. Nur so konnten wir feststellen, da die Schienen am anderen Ende der Halle unter einem Gebilde endeten, das an einen berdimensionalen Trichter erinnerte. Von diesem aus fhrten ein halbes Dutzend armdicke Leitungen hinab in den Boden, demnach mute sich die eigentliche Mischanlage unter der Halle und damit auch unter der Erde befinden. Wo aber war der Weg nach unten? Wir durchsuchten die ganze Halle, in der Maschinenanlagen und mir unbekannte technische Einrichtungen standen, konnten jedoch nichts finden, was einem Abstieg auch nur gehnelt htte. Er mute gut getarnt sein oder sich woanders befinden vielleicht aus Grnden der Sicherheit. In diesem Augenblick vernahmen wir drei in schneller Folge abgegebene Schsse, die zweifellos aus Jims Waffe stammten. Jim hatte, wie vereinbart, das flache Gebude, das einem verlngerten Bungalow glich, unter dem Schutz der Vegetation umgangen und sich dann von der anderen Seite her vorsichtig genhert, ohne ein Zeichen von Leben zu bemerken, was allerdings nichts zu bedeuten hatte. Der Gesuchte, wenn es ihn berhaupt gab, konnte sich berall verborgen halten. Jim entdeckte einen offenen Seiteneingang, den er ohne lange zu zgern betrat, nachdem er die Waffe entsichert hatte. Der Mittelgang mit den vielen Tren an beiden Seiten irritierte ihn zuerst, da aber die meisten Tren weit offen standen, fiel ihm das Durchsuchen der dahinterliegenden Rume nicht schwer. Er fand nichts, was auf die Anwesenheit von Menschen schlieen lie. Die Zimmer waren alle nach dem gleichen Schema eingerichtet. Tische, Sthle und Aktenschrnke also Bros. In einigen standen auch Computer, stumm und schon lange auer Betrieb. Jim verlie den Bau durch den Ausgang am anderen Ende des Ganges und sah den Gesuchten. Er stand in der Tr des benachbarten Bungalows und starrte mit vor Schreck aufgerissenen Augen auf die Waffe in Jims Hand, deren Lauf auf ihn gerichtet war. Er ri die Arme hoch. Tun Sie mir nichts, rief er mit schriller, panikerfllter Stimme. Ich bin unbewaffnet. Jim lie das Gewehr sinken. Dann kommen Sie her, aber langsam. Der Mann war mindestens fnfzig Jahre alt, vielleicht lter, sah jedoch wohlgenhrt und gut gekleidet aus. Wie sich spter herausstellte, hatte er hier keine Not gelitten, denn die Vorratsmagazine waren gut gefllt gewesen trotz einiger berflle durch Plnderer, die ihn in seinem Versteck jedoch nicht gefunden hatten. Jim tastete den Mann nach Waffen ab, dann feuerte er die drei vereinbarten Schsse ab, um uns herbeizurufen. Meine erste Frage lautete: Sind Sie allein hier? Als er das bejahte, fuhr ich fort: Wer sind Sie und was tun Sie hier? Sie knnen ruhig sprechen, denn ich versichere Ihnen, da wir keine Plnderer sind, sondern aus einer Ansiedlung stammen, deren Einwohner bemht sind, eine neue und friedlichere Welt aufzubauen. Sie haben also nichts zu befrchten. Der Mann beruhigte sich in der Tat und hrte auf vor Angst zu zittern. Er fate Vertrauen zu uns und atmete erleichtert auf. Wir saen drauen im Freien auf einer kleinen Lichtung dicht neben den Schienen, nicht weit vom Hauptgebude entfernt. Will war stehengeblieben und lie die Umgebung nicht aus den Augen. Der Mann begann zgernd zu berichten. Ich will es mit meinen eigenen Worten wiedergeben: Er hie, so behauptete er wenigstens, Louis Fermont und wurde vor fnfzehn Jahren als Transportbegleiter bei einer staatlichen Firma eingestellt, einer Firma, so betonte er, die ein Pflanzenschutzmittel herstellte. Seine Aufgabe war es gewesen, in unregelmigen Abstnden Zge mit zwei oder hchstens drei Tankwagen von hier aus zu einer mitten in der Wste gelegenen Sammelstelle zu geleiten, wo das Produkt, wie es hie, endgltig aufbereitet wurde. Von dort aus erfolgte dann erst die letzte Aufteilung und Versendung zu den eigentlichen Lagersttten, die auch er nicht kannte bis auf eine. Bis auf eine? fragte ich, hellhrig geworden. Ein Mann fiel aus, und ich mute fr ihn einspringen. Wir hatten doch damals alle noch keine Ahnung, worum es wirklich ging. Wir ahnten es erst, als wir von der Sammelstelle kommend unsere Fracht entluden. Es waren Granaten wenigstens sahen die Dinger so aus. Pflanzenschutzmittel in Form von Granaten das gab uns zu denken. Aber es war zu spt. Wollen Sie uns helfen, Louis, das Sammellager in der Wste und das andere Endlager zu finden? Er blickte uns der Reihe nach an, nicht mehr ngstlich oder voller Zweifel, sondern wie von einer schweren Last befreit. Dann nickte er. Natrlich helfe ich Ihnen. Ich bin lange genug allein gewesen. Abgesehen von den unliebsamen Besuchern, die gelegentlich hier auftauchten. Haben Sie eine Waffe? Ich habe hier keine gefunden, konnte mich aber immer so verstecken, da mich niemand fand. Heute allerdings ..., er nickte Jim zu, ... wurde ich berrascht. Wir haben noch eine Ersatzwaffe im Jeep. Wann fahren wir los? Louis Fermont erhob sich spontan. Von mir aus sofort sobald ich meine Sachen geholt habe. Ihre Sachen? Er lchelte zum erstenmal brigens. Was glauben Sie, was die Bonzen hier alles in ihren Magazinen gelagert hatten? Ich mchte wenigstens ein paar Flaschen Champagner und Cognac holen, damit wir auf das Gelingen unserer Expedition anstoen knnen. Und ich meine, das lcherliche Sie sollten wir auch vergessen. Also gut, sagte Will und grinste, whrend er sich die Lippen leckte. Dann geh und hole das Gesff. Jim wird dir gern dabei helfen, denn auer Bier haben wir nichts dabei. Bringt auch noch ein paar Konserven mit, rief ich ihnen nach. Will setzte sich neben mich, das Gewehr zwischen den Knien. Du bist sicher, da wir uns auf ihn verlassen knnen? Auf Louis, meine ich. Ich nickte. Ganz sicher, Will. Er war nur ein kleines und unbedeutendes Rdchen im Getriebe dieser riesigen unbersichtlichen Maschinerie, die sich Regierung, Staat oder wie auch immer nannte, deren Opfer er und wir alle wurden. Seltsam ist nur, da es fast auf der ganzen Welt zur selben Zeit passierte, so als htte es eine Absprache gegeben, irgendeine Verbindung, von der niemand etwas ahnte. Nein! widersprach Will berzeugt. Es war ein Zufall, ein ganz verdammter Zufall! Oder, vermutete ich ein wenig unsicher, ein genauso verdammter Fehler, ein Versehen, eine durchgebrannte Sicherung, eine gebrochene Zuleitung, ein verrckt gewordener Computer irgend etwas in dieser Richtung. Will nickte zwar, aber es war keine Zustimmung. Was auch immer, Robert, hinter allem stand immer der Mensch, und er allein ist schuld. Wir schwiegen, denn drben bei den Gebuden erschienen Jim und Louis, beide mit offensichtlich schweren Scken auf ihren Schultern. Der Champagner schmeckte herrlich. Er war sogar khl Ich mu zugeben, da wir den Aufbruch auf den nchsten Tag verschoben, auf den 2. Oktober also, denn nach unserer kleinen Feier hatten wir alle einen ziemlich schweren Kopf. Auerdem war das Fahren bei Nacht zu riskant. Man htte das Scheinwerferlicht meilenweit sehen knnen und Plnderer nur eingeladen, uns zu berfallen. Der Tag versprach warm und sonnig zu werden. Heute steuerte ich den Jeep und berlie den anderen Orientierung und Wache. Ersteres war nicht schwierig, denn vorerst brauchten wir nur den Schienen zu folgen. Das einzige Problem war die an manchen Stellen fast undurchdringliche Vegetation, aber der Jeep meisterte auch die dichtesten Bsche und legte kleine Bumchen um wie ein Panzer. Louis hockte neben mir, immer noch ein wenig benommen von der pltzlichen Vernderung seines bisherigen Daseins, aber eifrig bei der Sache. Bis auf das eine Mal sind wir immer nur dieselbe Strecke gefahren. Meist durch einsame und unbewohnte Gegenden. Ich schtze, da wir die Abzweigung in etwa fnfzig Kilometer erreichen. Eine Weiche, das ist alles. Man mu sie mit der Hand umstellen. War brigens der einzige Ort, an dem der Zug anhalten durfte. Um ganz sicher zu sein, fragte ich noch einmal: Unser Ziel ist also jenes Werk, in dem das fertiggemischte Produkt in die ... nun, in die Behlter gefllt wurde? Richtig! Und von dort aus wurde es dann in die Lagersttten verteilt. Sie sind es, die wir finden mssen. Zumindest eine kennst du ja, Louis. Er nickte, langsam und fast bedchtig. Die finde ich im Schlaf. Gegen Mittag erreichten wir die Abzweigung. Der bisherige Schienenstrang fhrte geradeaus weiter. Ein ganz normaler Weichenhebel gab die Abzweigung nach links frei. Ohne anzuhalten fuhren wir weiter, jetzt nach Norden. Das Gelnde wurde unbersichtlicher und gebirgiger. Oft mute ich mit dem Jeep auf den Schienen fahren, um nicht in einer Schlucht steckenzubleiben. Als es anfing zu dunkeln, fanden wir auf einem Plateau mitten zwischen den Bschen einen halbwegs sicheren Lagerplatz. Wir machten kein Feuer. Will und Jim teilten sich die Wache. Der nchste Vormittag es war der 3. Oktober brachte uns hinab in die Ebene und damit in die Wste. Sie bot einen merkwrdigen und ungewhnlichen Anblick. Wo frher nur fast weier Sand und Wanderdnen gewesen waren, gab es jetzt grne Streifen, die fast parallel verliefen und sich am Horizont zu treffen schienen. Eigentlich ein erfreulicher Anblick, aber ich begann mich zu fragen, wie das mglich sein konnte. Vielleicht hatte es hier geregnet, bedingt durch Vernderungen in der Atmosphre. In Jackville zumindest hatte es in den vergangenen vier Jahren auch nicht mehr geregnet wie in den Jahren zuvor. Am Nachmittag stand Louis pltzlich auf und deutete ber die Windschutzscheibe hinweg nach vorn. Da ist es! Und dann, als wir nher kamen, korrigierte er sich: Da war es! Es ist zerstrt worden. Wir sahen es selbst, Es mute eine gewaltige Explosion gewesen sein, die das sogenannte Aufbereitungswerk vernichtet hatte. Wir wrden wohl niemals erfahren, ob diese Explosion durch die Verantwortlichen der Anlage oder durch eine Rakete des Feindes verursacht worden war. Wir fuhren durch das hier mannshoch wachsende Gras auf den Trmmerhaufen zu, ohne weiter auf die Schienen achten zu mssen. Nicht wieder zu erkennen, murmelte Louis ratlos. Vielleicht finden wir Hinweise unter der Erde. Dort nmlich wurden die Behlter gelagert, bis sie weiter transportiert wurden. Der Jeep durchbrach mhelos die zerfetzten Sperrgitter, rollte ber die Trmmer der zerstrten Gebude hinweg, bis ich schlielich anhielt. Ich warf Louis einen fragenden Blick zu. Und nun? Er zuckte die Schultern. Irgendwo unter uns, sagte er lediglich. Wir wanderten bis zum Abend durch das Ruinenfeld, ohne das zu finden, was wir suchten. Auch hier wucherte Vegetation jeder Art und verwandelte die Trmmerhgel in grne Halden. Von einem Eingang, der hinab in die unterirdische Anlage fhrte, gab es keine Spur. Als es dunkelte, gaben wir auf. Resignierend sagte Louis, als wir mitten in den Ruinen am kleinen Lagerfeuer hockten: Hoffentlich ist das nicht auch bei den Lagersttten passiert, besonders nicht bei jener, die ich kenne. Wir werden ja sehen, antwortete ich einsilbig, whrend sich tief in meinem Unterbewutsein wieder der vage Verdacht regte, der keine erkennbaren Formen annehmen wollte. Am 4. Oktober fuhren wir den gleichen Weg ber das Gebirge zurck, bernachteten bei der Weiche und setzten dann die Fahrt am 5. Oktober fort, wobei wir dem ursprnglichen Schienenstrang folgten. Jetzt kannte sich Louis recht gut aus, obwohl er die Strecke nur einmal abgefahren hatte. Es gab immer wieder Weichen und Abzweigungen, aber die Schienenstrnge fhrten, wie er behauptete, praktisch ins Nichts. Sie endeten irgendwo in einem Gebude, das keinen Zweck erfllte und innen leer war. Es ist nicht mehr weit, versicherte er uns immer wieder, wenn wir ungeduldig wurden. Wir knnen das Lager am frhen Nachmittag erreichen. Wenn nichts dazwischenkommt, fgte er noch hinzu. Es kam aber etwas dazwischen, jedoch erfolgte der berfall so stmperhaft und unorganisiert, da wir damit in weniger als zehn Minuten fertig wurden. Sie waren etwa ein Dutzend und tauchten hinter den Hgeln auf Pferden auf. Ohne Warnung erffneten sie das Feuer auf uns. Will, der heute am Steuer sa, lenkte den Jeep geistesgegenwrtig in eine Senke, whrend Jim, Louis und ich absprangen und in Deckung gingen. Mein Versuch, die Banditen von ihrem Vorhaben abzuhalten, milang. Sie schossen wie die Verrckten und kamen schnell nher. Ich nickte den anderen zu, entsicherte meine Schnellfeuerwaffe und erwiderte das wilde Feuer der Angreifer, allerdings mit mehr Erfolg als diese. Meine drei Begleiter folgten meinem Beispiel, und schlielich waren es nur noch zwei von der Bande, die in rasender Flucht hinter den Hgeln verschwanden, von denen sie gekommen waren. Das Leben in einer neuen und fast menschenleeren Welt war hart und grausam, so paradox sich das auch anhren mag. Wer es aufgab, sich gegen die Angriffe und berflle von Banditen zu verteidigen, wurde allzu schnell ihr Opfer. Louis hatte sich whrend des berfalls erstaunlich gut gehalten. Er mute seine Erfahrungen gemacht haben, sonst htte er auch nicht so lange berleben knnen. Will sa schon wieder hinter dem Steuer. Na, was ist los mit euch? Wollt ihr hier bernachten? Ich warf einen Blick hinber zu den getteten Banditen. Die haben sicher nichts dabei, was wertvoll fr uns sein knnte, allerdings knnten wir in Jackville noch ein paar Pferde gebrauchen. Knnen wir ja in den Jeep packen, feixte Jim und kletterte in den Beifahrersitz. Ich nahm mit Louis hinten zwischen Kartons und prall gefllten Scken Platz. Die Schienen verschwanden vor uns in einem Wald. Louis sagte: Das ist es! Nun haben wir es wirklich nicht mehr weit. Die Fahrt durch den total verwilderten Wald glich einem Alptraum. Von den Geleisen war kaum noch etwas zu sehen, aber Will lenkte den Jeep rcksichtslos ber vertrocknete ste und kleine Bume, die zwischen den Schwellen herauswuchsen. Nach der nchsten Biegung mten wir da sein, hoffte Louis zuversichtlich. Ich erinnere mich genau. Ein hoher Zaun mte dann kommen, mit einem Tor und einem Kontrollbunker. Wird aber wohl heute niemand mehr kontrollieren, schtze ich. Der Zaun kam in Sicht eine grne Pflanzenmauer, ebenso zugewachsen wie der kleine Bunker neben dem herausgerissenen Tor. Wir fuhren einfach hindurch und befanden uns innerhalb der ehemaligen Absperrung auf dem Lagergelnde. Die Gebude standen noch, aber Efeu und andere Kletterpflanzen bedeckten sie fast vllig. Auch hier hatte die Natur Besitz von dem ergriffen, was die Menschen briggelassen hatten. Da drben! sagte Louis. Da drben mu die Rampe sein, wo abgeladen wurde. Will folgte den Schienen, bis uns der Prellbock stoppte. Rechts war die Betonrampe, ebenfalls berwuchert. Soweit sich das feststellen lie, hatte diesen Ort seit Jahren niemand mehr betreten. Vielleicht war es der Urwald, der ihn so hermetisch von der Auenwelt abschlo. Trotzdem lieen wir unsere Waffen nicht aus den Hnden, als wir ausstiegen und die Rampe betraten. Das Tor zu dem anschlieenden Lagergebude stand weit offen. Vorsichtig betraten wir es. Undeutlich waren noch Frderbnder und Aufzge zu erkennen Aufzge, die nach unten fhrten. Unter uns mu sich das eigentliche Lager befinden, sprach Louis das aus, was wir dachten. Die Aufzge waren auer Betrieb. Es gab keine Energie mehr. Jim holte eine Lampe, ein Seil und den Geigerzhler aus dem Jeep. Wir nahmen gleich den ersten Aufzug und brachen den Boden der Transportkabine auf. Der Schacht darunter mochte zehn Meter tief sein. Das Seil wurde befestigt, dann hing ich mir das Gewehr um die Schulter und glitt langsam hinab in das Unbekannte. Noch whrend die anderen folgten, sah ich mich um. Ich stand in einer riesigen Halle, in der reihenweise sthlerne Regale standen, und in ihren ausgesparten Fchern lagen sie, wohlgeordnet und wie Soldaten auf dem Exerzierplatz: die granatenfrmigen Behlter mit dem flssigen Strahlenden Tod. Mein Gott! sthnte Jim, als er neben mir war. Mehr brachte er nicht heraus. Gib mir mal den Geigerzhler, forderte ich Will auf. Er gab ihn mir, aber ich konnte keine Spur von Radioaktivitt feststellen. Das Ergebnis beruhigte mich keineswegs. Der Strahlende Tod hatte nichts mit normaler Radioaktivitt zu tun, sondern mit etwas, das niemand von uns kannte und das vielleicht noch gefhrlicher war. Mit dem Geigerzhler jedenfalls war es nicht zu messen. Ich gab Will das Gert zurck und nahm wieder die Lampe, um die Granaten nher zu untersuchen. Das Material war Metall und schien noch intakt zu sein. Nur an einer einzigen Granate bemerkte ich einen feinen Ri. Unwillkrlich wich ich zurck. Noch zehn oder zwanzig Jahre, vielleicht mehr oder weniger, und der Tod kann erneut zuschlagen, sagte ich zu den anderen. Wie sollen wir jemals alle Lagersttten finden? Wie berhaupt lt sich das Zeug unschdlich machen? Das wissen nur jene, die es erfanden, befrchtete Jim dster. Und wenn von denen noch einer lebt, hat er sich dorthin verkrochen, wo ihn niemand findet. Was sollen wir tun, Robert? Ich wute, da wir nichts tun konnten, berhaupt nichts. Selbst wenn wir in der Lage gewesen wren, smtliche Lagersttten zu finden und die Granaten im Meer zu versenken, wre das Problem nicht gelst, ganz im Gegenteil: wir htten es nur noch verschlimmert, denn das Meer htte den Tod an die Gestade aller Kontinente getragen. Frher oder spter htte auch das Salzwasser die Metallbehlter aufgelst. Unwillkrlich mute ich an den Bruder des Mannes denken, der sich Einsamer Wolf nannte, an den Chemiker, der allerdings nur eine Komponente des tdlichen Gemischs kannte. Wenn wir ihn fnden, wrde er uns helfen knnen? Ratlos standen wir nun da in dem riesigen Lagerraum, dessen Inhalt allein gengte, den Rest der Menschheit fr alle Zeiten auszulschen. Der Strahlende Tod war grausamer und schlimmer als die Atombombe, so wie die Atombombe schlimmer war als die Musketen des Mittelalters. Niemand hatte an eine derartige Steigerung des Schreckens geglaubt, aber der Erfindungsgeist perverser menschlicher Gehirne schien keine Grenzen zu kennen. Was sollen wir tun? wiederholte Jim seine Frage. Ich schttelte den Kopf. Nichts, Jim, gar nichts! Wir knnen nichts tun! Wir knnen nur zurck nach Jackville und warten. Dann war alles umsonst? Jims Stimme verriet Enttuschung und Entsetzen. Aber etwas mssen wir doch tun! Ich zuckte hilflos die Schultern und sah hinber zu dem Schacht, durch den wir hierher gekommen waren. Gehen wir, sagte ich nur. Der Rest ist schnell erzhlt. Wir verlieen das Lager und traten die Rckfahrt an, nachdem wir im Wald bernachtet hatten. Es war der 6. Oktober, als wir das Kaninchen sahen. Wenigstens dachten wir, es sei ein Kaninchen, bis Louis uns aufklrte: Es gab sie haufenweise im Mischwerk. Nachttiere. Kaninchen hoppeln, das da drben hoppelt aber nicht. Es ist eine Ratte. Ich blickte ihn erschrocken an. Eine Ratte so gro wie ein kleiner Hase? Bist du sicher? Und die Muse im Mischwerk waren so gro wie Ratten, fgte Louis hinzu. Da begann ich zu ahnen, was in anderen Teilen unseres Kontinents und auf der ganzen Welt geschah: Mutationen, hervorgerufen durch die Reste des Giftzeugs, das nach einer gewissen Zeit zwar die tdliche Wirkung verlor, dafr aber eine Genvernderung erzeugte. Die groe Frage war nur: geschah das gleiche auch, wenn sich die verhngnisvolle Mischung noch in den Granaten befand? Daher also auch der ungewhnlich starke Pflanzenwuchs, der sich in der Nhe jener Orte bemerkbar machte, die mit der Herstellung und Lagerung zu tun hatten. Um es kurz zu machen: wir erreichten am 15. Oktober Jackville, und ich berichtete in der Zeitung ausfhrlich ber unsere Expedition, ohne allerdings meine Vermutungen, unsere Zukunft betreffend, zum Ausdruck zu bringen. Jim, Will und Louis hatte ich zum absoluten Schweigen verpflichtet, auf sie konnte ich mich verlassen. Ich wollte nicht den Optimismus unserer Gemeinschaft und den Willen der Menschen zum Wiederaufbau durch dstere Zukunftsaussichten schwchen. Du aber, mein Sohn oder Enkel, der du dies liest, sollst die ganze Wahrheit erfahren wenn ich einst tot bin. Die Zeit zum Handeln ist jetzt noch nicht gekommen. Anfang November fuhr ich noch einmal ohne Begleitung los, um den Einsamen Wolf zu besuchen. Er war nicht allein. Er hatte Besuch seinen Bruder, den Chemiker. Man hatte ihn weiter oben im Norden aufgesprt, und er war geflohen. Es dauerte eine Weile, bis ich sein Vertrauen gewann, dann konnte ich mich endlich eingehend mit ihm unterhalten. Leider wute er auch nicht viel mehr als Louis. Er kannte nur die Zusammensetzung seiner Komponente, die vielleicht nur ein Zehntel des Endprodukts ausmachte, aber seine Befrchtungen deckten sich mit den meinen. Die tdliche Sofortwirkung hat sich verloren, das stimmt. Dafr ist etwas anderes an ihre Stelle getreten, nmlich ein ungehemmtes Wachstum der Pflanzenwelt. Auch die Fauna wird betroffen sein. Wie der Mensch reagiert, wei ich nicht, man wird es erst in einigen Generationen erfahren. Und die Lagersttten? drngte ich ihn. Lt sich das Zeug denn nicht unschdlich machen, neutralisieren vielleicht? Ich wei es nicht, wirklich nicht! Was wissen Sie berhaupt? fragte ich, allmhlich die Geduld verlierend. Er starrte eine Weile vor sich hin, ehe er antwortete: Wir hrten damals nur Gerchte, aber Sie wissen ja selbst, wie das mit Gerchten ist. Ein Krnchen Wahrheit ist meistens dabei. Nachprfen lie sich nichts. Ich zwang ihn, mehr zu sagen, und fand heraus, da sich der staatliche Konzern, in dem der Strahlende Tod entwickelt worden war, in Kanada befand, irgendwo in den Bergen um Golden in den Rocky Mountains. Er selbst war nie dort gewesen. Es waren nur Gerchte, erinnerte er mich. Aber wenn es irgendwo Entwicklungsplne und Aufzeichnungen gibt, dann dort, wo das Gemisch erfunden wurde wahrscheinlich also in Kanada. Kanada! Ein weiter Weg durch jetzt unbekanntes Gebiet und auf fremden Straen, an deren Rndern Gefahren lauerten. Aber ich war entschlossen, das Risiko auf mich zu nehmen. Ich erklrte es dem Chemiker, der Brendon hie, und schlo: Und Sie werden mit mir kommen, und wenn ich Sie mit dem Gewehr dazu zwingen mte. Wir werden dem Gercht nachgehen und die Wahrheit herausfinden. Und nun berlegen Sie genau, ob Ihnen nicht doch noch etwas einfllt, das ntzlich fr uns sein knnte. Ich lie ihm Zeit und unterhielt mich noch ein wenig mit dem Einsamen Wolf. Nebenan in der Kche hantierten seine Frau und seine Tochter mit dem Geschirr. Es wrde bald etwas zu essen geben. Es hie damals, das Rezept fr die Endmischung sei gestohlen worden, von Agenten anderer Mchte. Das wrde erklren, warum es gleichzeitig von beiden Seiten eingesetzt wurde vielleicht waren es auch mehr als nur zwei Seiten, wer wei das schon noch? Der Krieg war so verrckt wie jeder Krieg verrckt ist, sagte ich. Glauben Sie, da die Erfinder vielleicht in Kanada noch am Leben sind? Wenn berhaupt, dann in der Brutsttte, deren Standort niemand von uns kannte. Also Kanada vielleicht. Bitte, Brendon, denken Sie scharf nach! Versuchen Sie sich zu erinnern, was Sie noch so ... nun ja, an Gerchten vernommen haben. Es ist ungemein wichtig, glauben Sie mir. Er sah mich kurz an, dann sttzte er das Kinn in seine Hnde. Schlielich blickte er wieder auf. Auf meiner Flucht traf ich auf einen Mann, von dem ich annehme, da er bei dem ganzen Projekt eine leitende Stelle bekleidet hatte, jedenfalls schien er wesentlich mehr zu wissen als ich. Es gelang mir, sein Vertrauen zu gewinnen, als ich ihm klarmachte, da wir, wenn auch in entferntem Sinn, Kollegen waren. Die Brutsttte, bleiben wir mal bei der Bezeichnung, kannte er angeblich nicht, er verriet mir jedoch, da selbst die Endmischung in den Granaten auch diese Bezeichnung drfte nicht ganz richtig sein unschdlich war, sonst wren die Transporte unter anderen Sicherheitsmanahmen vorgenommen worden. Das Metall der Granaten selbst enthielt eine Substanz, die bei der Detonation frei wurde und sich mit der in ihr befindlichen Flssigkeit vermischte. Das war ein vllig neuer Aspekt. Ich konnte ihn nur verblfft anstarren. Er nickte. Ohne da ich ihn auffordern mute, fuhr er fort: Da die Granaten mit Raketen und gesonderten Sprengstzen ins Ziel getragen wurden, wo die Explosion und damit die allerletzte Vermischung stattfand, drfen wir eigentlich annehmen, da die Lagersttten selbst absolut ungefhrlich sind. Die wirklich letzte Komponente, nmlich die das Metall zerfetzende Detonation, fehlt. Und die Mutationen? Eine kaum beabsichtigte Nebenwirkung, aber auch das ist nur eine Vermutung. Ob Nebenwirkung oder nicht, Mutationen jeder Art waren mir unheimlich. Dabei war das jetzt alles erst der Anfang, vier Jahre nach der Katastrophe. Wie wrde die Welt in vierzig oder hundert Jahren aussehen? Und das Wichtigste und Entscheidende: Konnte eine lange Lagerzeit nicht den gleichen Effekt auf das Metall der Granaten haben wie eine Explosion? Brendon schien meine Gedanken erraten zu haben. Der Mann, den ich traf und den ich kurz darauf aus den Augen verlor, uerte die Vermutung, da der unbekannte Stoff, eine Art Legierung, die dem Metall beigefgt wurde, mit der Zeit frei werden und sich mit der Flssigkeit vermischen knnte. Sollte sich bis dahin die ursprnglich geplante Wirkung nicht verloren haben, brauchen wir uns um das endgltige Ende der Welt keine Sorgen mehr zu machen. Ich dachte an die Granate, die ich im Lager gesehen hatte, die mit dem feinen Ri in der sonst blanken Oberflche. Aber dann wurde mir klar, da ein Ri noch lange keine Auflsung bedeuten mute. Die Flssigkeit verflchtigte sich vielleicht beim Nachlassen des Drucks, unter dem sie stand, und entwich langsam in Form von Gas und dieses Gas schlug sich drauen nieder und bewirkte den anormalen Pflanzenwuchs und die ersten Mutationen. Wir werden so bald wie mglich aufbrechen, sagte ich. Es dauerte jedoch noch mehr als ein Jahr, bis es soweit war. Vermehrte berflle immer besser organisierter Banden, teils mit modernsten Waffen ausgerstet, die sie in den Arsenalen gefunden hatten, erforderten die stndige Abwehrbereitschaft jedes einzelnen von uns. Dann aber, etwa Mitte des Jahres 1999, lieen die berflle nach. Durch gelegentliche Funksprche erfuhren wir, da sich der Widerstand anderer Ansiedlungen und Gemeinschaften ebenfalls besser organisiert hatte und da viele der Banden, die meist in unbewohnten Gebieten ihre Schlupfwinkel besaen, aus diesen nicht mehr zurckgekehrt waren, als habe der Erdboden sie verschluckt. Gab es dort Gefahren, von denen wir nichts wuten oder hchstens ahnten? Ich drngte jetzt energisch zum Aufbruch. Es ist November geworden. Gibson Kemp und Eppstein haben den Gelndewagen fr den Winter ausgerstet. Wir sind startbereit. Auch Brendon, der sich gut in unsere Gemeinschaft eingelebt hat, kann es kaum erwarten. Morgen brechen wir auf. Ich bin fertig mit meinem Bericht, und wir wissen nicht, was wir finden werden. Aber ich bin sicher, da wir bei unserer Rckkehr mehr wissen werden als heute falls wir jemals zurckkehren. Diese Ungewiheit, ob wir es schaffen, hat mich dazu veranlat, diesen Bericht zu schreiben, der leider noch keine endgltige Antwort darstellt. Wie Brendon mir versichert, besteht noch keine akute Gefahr was den Strahlenden Tod selbst betrifft, der kritische Zeitpunkt lge noch etliche Jahrzehnte in der Zukunft. Aber die andere Gefahr ist akut! Dort, wo keine Menschen leben, und in der Umgebung der Lagersttten haben Vegetation und einige Tierarten bereits ihr Erbe angetreten. Ich bin fertig. Janet und ich werden den Abend zusammen und allein verbringen. Von den anderen habe ich mich schon verabschiedet, da wir noch vor Sonnenaufgang starten wollen. Mge das Glck auf unserer Seite sein und mgen wir jene finden, die uns die Antworten auf alle unsere Fragen geben knnen. Mit der Waffe in der Hand werden wir sie dazu zwingen, und Gott mge uns vergeben, wenn wir sie tten mssen ... 2.

Robert Zimmermann hatte November 1999 den Bericht unterschrieben und die Namen der drei anderen Expeditionsteilnehmer hinzugefgt: Gibson Kemp, Eppstein und Brendon. Man hat nie mehr wieder von ihnen etwas gehrt. Gerald Zimmermann blieb an diesem Abend noch lange bei Claire Buchanan, und dann, nach langer Diskussion, sagte sie energisch: Du mut Sam den Bericht lesen lassen, Gerald, unbedingt! Wie soll sonst jemand deinen Entschlu begreifen, den Spuren deines verschollenen Grovaters folgen zu wollen, falls du berhaupt welche findest nach sechseinhalb Jahrzehnten? Aber ..., sie legte ihre Hnde auf die seinen und sah ihn an, aber du wirst doch nicht ernsthaft daran denken, diesen Ort in Kanada aufzusuchen, nur auf eine bloe Vermutung hin ...? Ich werde es wohl tun mssen, Claire, denn dieser Bericht ist nichts anderes als ein Vermchtnis. Und wenn mein Grovater recht hatte mit seinen Vermutungen und Befrchtungen, leben wir gerade jetzt in der Zeit, fr die der Ausbruch der Katastrophe vorausgesagt wurde. Ein gutes halbes Jahrhundert Aber das ist doch alles Unsinn! Was ist denn bisher schon passiert? Sicher, in den verlassenen Gebieten breitet sich die Vegetation aus, aber das ist doch nicht ungewhnlich. Schn, die im Bericht erwhnten Ratten sind grer geworden, einige Insektenarten auch, aber sie haben sich nicht bedrohlich vermehrt und ... Richtig! fiel Gerald ihr ins Wort. Sie haben sich nicht sonderlich vermehrt! Ist dir vielleicht auch schon aufgefallen, da die Bevlkerung von Jackville sich ebenfalls kaum vermehrt hat und da immer weniger Kinder geboren werden? Hast du darber schon mal nachgedacht, Claire? Verwirrt suchte sie nach einer Erklrung. Vielleicht wollen die Leute keine Kinder mehr, wenigstens nicht so viele wie frher. Dann frage mal Sam Roberts, Claire. Er wird dir besttigen, da immer mehr Frauen zu ihm kommen, weil sie gern Kinder htten, aber keine bekommen. Sie sind unfruchtbar geworden, nicht alle, aber ich schtze mehr als achtzig Prozent. Bei den Mnnern liegt die Prozentzahl etwas niedriger. Meinst du wirklich, da sei noch ein Zufall? Und wenn es kein Zufall ist, was willst du dagegen tun? Er grinste, fast ein wenig spitzbbisch. Wenn ich zurck bin, Claire, werden wir heiraten, und dann werden wir ja sehen, ob meine Befrchtung stimmt oder nicht. Sie lief rot an. Aber Gerald, das Trauerjahr ist ja kaum vorbei. Bis ich zurckkomme, ist es zweimal vorbei. Zum zweiten Mal an diesem Abend legte sie die Hnde auf die seinen. Und wann ... wann ist es soweit? Wann ich aufbreche, meinst du? Als sie nickte, fuhr er fort: Keine Ahnung, die Vorbereitungen bentigen Zeit. Ich werde James und John fragen, ob sie mich begleiten wollen. Sie sind zuverlssig und mit uns befreundet. Er sann eine Weile schweigend vor sich hin, so als msse er eine Entscheidung treffen, was er dann auch tat. Du hast recht, Claire, ich mu Sam den Bericht meines Grovaters lesen lassen, auch James und John werden ihn lesen. Aber sie werden ber den wahren Grund der Expedition ebenso schweigen mssen wie du. Es gbe sonst eine Panik. Sie nickte. James Townshend und John Ewert sind gute Mnner. Wenn sie mit dir gehen, bin ich etwas beruhigter. Sie stand auf. Ich mache uns noch eine Tasse Tee. Erst spt in der Nacht kehrte Gerald in seine eigene Wohnung zurck. Morgen wrde er mit den Freunden reden. Die Verbindung zu anderen Ansiedlungen mit einem Funkgert war mehr als locker. Ab und zu wurden Informationen ausgetauscht oder Warnungen vor berfllen durchgegeben, das war aber auch schon alles. Die einzelnen Gemeinschaften lebten unabhngig voneinander, gegenseitige Besuche oder Tauschgeschfte gab es nur selten. So war es nicht nur in Amerika. Auf der ganzen Welt, auf allen Kontinenten, von denen keiner dem Strahlenden Tod entkommen war, spielte sich das Leben in hnlicher Form ab. Es gab immer noch ein paar Flugzeuge und Schiffe, aber es wurden keine neuen mehr gebaut. Wozu auch? l wurde keins mehr gefrdert, keine Raffinerie arbeitete noch, und die immer noch hier und da vorhandenen Treibstofflager reichten fr den geringen Bedarf der letzten und immer wieder reparierten Fahrzeuge aus. Es war ein einfaches und primitives und natrliches Leben, das der Rest der Menschheit fhrte, und sie war damit zufrieden. Jene Orte, an denen sich die neuen Gemeinschaften gebildet hatten, konnten von der berall vordringenden Vegetation freigehalten werden, wenn dafr auch grte Anstrengungen notwendig waren, aber auf den vom Unkraut freigehaltenen Anbauflchen konnten Ernten erzielt werden, die jene von frher um das Doppelte und Dreifache bertrafen. Es gab keinen Hunger. Dafr jedoch gab es kaum noch Fleisch. Pferde, Khe, Schweine und anderes Nutzvieh wurde mit jedem Jahr rarer, weil sich die Tiere kaum vermehrten. Geschlachtet wurde nur in uersten Notfllen, und schlielich wurde Fleischgenu in den meisten Teilen der Welt verboten solange zumindest, bis eine merkbare Aufstockung des Viehbestands erfolgte. Mit den Hhnern war es hnlich. Zwar legten sie Eier in gewohnter Menge, aber selten nur schlpften Kken aus. Das gebratene Huhn gehrte der Vergangenheit an, wenn man von jenen Exemplaren absah, die man rstete, weil sie keine Eier mehr produzierten. berflle gab es jetzt weniger, und wenn, dann wurden sie von den betroffenen Gemeinschaften mit erbitterter Entschlossenheit abgeschlagen. Die Welt begann sich von dem Schock des letzten Krieges zu erholen. Gerald Zimmermann hatte Doc Sam Roberts den Testamentbericht vorgelegt und dann auf eine Reaktion gewartet. Sam hatte sich mit dem Lesen Zeit gelassen und dann bedchtig genickt. Da gibt es kaum eine andere Wahl, Gerald. Du mut das Vermchtnis deines Grovaters erfllen. Er wollte es so. Und ich meine, es ist lebenswichtig, da wir alle die Wahrheit erfahren, wie immer sie auch aussehen mag. Ich selbst verstehe nicht viel von Chemie, schon gar nicht, wenn es sich um chemische Kampfstoffe handelt. Und das war der Strahlende Tod ja wohl zweifelsfrei. Allerdings bin ich jetzt davon berzeugt, da er nicht nur ttete, sondern da die Zusammensetzung nach einer bestimmten Zeitspanne einer Vernderung unterworfen wurde, die etwas vllig anderes als den Tod verursacht. Wahrscheinlich haben das selbst jene nicht gewut, die den Stoff entwickelten. Du mut die Formel der Zusammensetzung finden, Gerald! Nur dann haben wir eine Chance, etwas dagegen zu unternehmen. Lehrbcher sind noch gengend in unserer Bibliothek vorhanden. Hoffentlich ntzen sie uns was. Sam schob den Bericht ber den Tisch zurck. Wozu haben wir unsere Schule mit dem kleinen chemischen Labor? Wozu haben wir Peter Helling, den Chemielehrer? Hat er zwar nur bei sich zu Hause studiert, aber ich glaube schon, da er eine Menge von dieser Materie kennt. Gerald verstaute den Bericht in der Rocktasche. Ich habe also dein Einverstndnis. Packe Medikamente zusammen. Wir werden sicher welche gebrauchen knnen. Auch Verbandszeug. Wir werden in einer Woche starten. Wir ? Wer kommt noch mit dir? Gerald lchelte. Ich dachte an James Townshend, dessen Vater mit dem Flugzeug von England kam und hier blieb, weil er heiratete. Und natrlich an John Ewert, dessen Grovater ebenfalls aus England zu uns stie. Sie sind Freunde von mir. Ich bin gespannt, was sie sagen, wenn sie die Neuigkeit erfahren. Sam lchelte zurck. Wie ich die beiden kenne, sind sie mit Feuer und Flamme dabei. Dann also viel Glck schon jetzt im voraus. Doc Sam behielt recht. Als James und John den Bericht gelesen hatten und Geralds Vorschlag vernahmen, sagten sie sofort zu. Vielleicht finden wir auf dem Weg ein Flugzeug, das noch fliegt, hoffte der vierzigjhrige James begeistert. In dieser Hinsicht trete ich gern in die Fustapfen meines Vaters. Er hat mir alles, was zur Fliegerei notwendig ist, in der alten Mhle beigebracht, mit der sie damals den Ozean berquerten und hier, eine Bruchlandung machten. Leider fliegt die Kiste nicht mehr. Und ich, gestand John Ewert ohne Verlegenheit, bin zwar nicht so ein berhmter Schauspieler wie mein Grovater Jack, dafr verstehe ich aber etwas von Physik. Und gut schieen kann ich auch! Das wird vielleicht auch ntig sein, nahm Gerald das Einverstndnis zur Teilnahme an der geplanten Expedition freudig entgegen. In einer Woche brechen wir auf. Wir nehmen den groen Jeep, das Gelndefahrzeug. Hat eine Menge Platz darin. Auerdem ist er in Ordnung und lt uns kaum im Stich. In einer Woche also, meinte James und klopfte sich begeistert auf die Schenkel. Ich kann es kaum erwarten. Und ich, sagte John, werde mir noch einige Informationen von Peter Helling holen. Man kann nie wissen. In zuversichtlicher Stimmung verabschiedeten sie sich. Auch diesen Abend verbrachte Gerald zusammen mit Claire, die immer noch gehofft hatte, er wrde seine Plne aufgeben. Sie war eine tapfere Frau und lie sich ihre Sorge und Enttuschung nicht anmerken, als sie seine feste Entschlossenheit erkannte. Halb Jackville hatte sich versammelt, als der Gelnde-Jeep von James auf den kleinen Platz im Zentrum der kleinen Stadt gelenkt wurde. Neben ihm hatte Gerald Platz genommen, whrend John hinten zwischen der Ausrstung sa, deren Hauptteil allerdings im Laderaum untergebracht worden war. Die Waffen lagen griffbereit zwischen den Sitzen. Bis auf die vier genannten Ausnahmen hatten die Bewohner von Jackville keine Ahnung von dem Testament Robert Zimmermanns, dessen Name jeder kannte. Schlielich war er einer der Grnder dieser Ansiedlung gewesen, damals, nach der groen Katastrophe. Somit war es selbstverstndlich, da man seinem Enkel den ntigen Respekt entgegenbrachte und ihm sowie seinen beiden Begleitern Glck wnschte und seine Erklrung, man wolle Kontakt mit anderen Menschen suchen, vollen Glauben schenkte. Und Gerald hatte nicht einmal zu lgen brauchen, denn sie suchten ja tatschlich Menschen Menschen, die etwas wuten. Nach einer Ehrenrunde lenkte James den Jeep aus der Stadt hinaus auf die Strae, die nach Norden fhrte. Etwa zweihundert Kilometer in dieser Richtung lebte ebenfalls eine kleine Gemeinschaft, Nachkommen jener, die damals berlebt hatten. Wir haben mehrmals Funkkontakt mit ihnen gehabt, plauderte John und sttzte sich an den festgezurrten Kisten ab, denn die Strae bestand zum grten Teil nur noch aus Schlaglchern. Ganz vernnftige Leute dort. Leider hatten sie vor zwei oder drei Jahrzehnten ziemliches Pech. Wieso? Was ist passiert? fragte Gerald. Sie wurden berfallen, hatten eine Menge Tote, konnten aber dann den Rest der Bande vertreiben. Die jedoch hatte das einzige Treibstofflager bei ihrer Flucht in Brand gesteckt. Es explodierte und zerstrte die drei dort abgestellten Autos vllig. Gerald schttelte den Kopf. So vernnftig, wie du behauptest, scheinen sie also doch nicht gewesen zu sein. Denen von heute kannst du deshalb doch keinen Vorwurf machen, die meisten waren damals noch Kinder, verteidigte John die Bewohner von Rocktown, so hie der Ort. Fahr nicht so schnell, James, sonst haben wir bald einen Achsenbruch. Nicht mit dem Karren! knurrte James und mogelte sich geschickt an den Schlaglchern vorbei, wenn es gerade mglich war. So ganz unrecht hatte er nicht mit seiner Behauptung, denn das stndig immer wieder reparierte und mit Metallverstrkungen versehene Fahrzeug war mit Sicherheit robuster als jedes andere, das damals aus der Fabrik rollte. Es war auch schwerer, allein schon wegen der gepanzerten Reservetanks. Der Sprit reichte fr gut anderthalbtausend Kilometer, wenn man die schlechten Straen und Fahrten durchs Gelnde einkalkulierte. Gegen Abend erreichten sie ohne Zwischenfall Rocktown, eine Ansiedlung mit schtzungsweise dreihundert Menschen. Gerald lie James in einiger Entfernung anhalten. Er stieg aus und schwenkte ein weies Handtuch, damit es keine Verwechslungen gab. Ein einziges Funkgert war Rocktown verblieben, und auf diesem Weg hatte man ihr Kommen angekndigt. Es wrde also kaum Probleme geben. Es dauerte fast drei Minuten, ehe am Rand der Siedlung eine Bewegung zu erkennen war. Ein Mann erschien dort und winkte Gerald zu. Er trug ein Gewehr in der anderen Hand, hielt aber den Lauf nach unten. Gerald nickte seinen Freunden zu und ging dem Mann von Rocktown entgegen. Das weie Tuch behielt er in der Hand. Als er sich ihm bis auf wenige Meter genhert hatte, blieb er stehen. Wir kommen aus Jackville. Sie wissen Bescheid? Der Mann nickte und lchelte. Sie wurden uns angekndigt aber lassen wir das unblich gewordene Sie. Seid uns willkommen. Ich wei zwar nicht, ob wir euch helfen knnen. Viel hat man uns nicht verraten knnen. Knnen meine Freunde nachkommen? Natrlich, wenn sie nicht im Wagen da drauen bernachten wollen. Danke, aber das Schlafen im Wagen und im Freien werden wir uns ohnehin noch angewhnen mssen. Er drehte sich um und winkte zurck. Der Jeep setzte sich sofort in Bewegung und hielt dann an. James stellte den Motor ab und stieg aus. John folgte ihm. Der Mann aus Rocktown hie Olaf Brandstrm und war Vorsitzender des Gemeinderats. Noch vor der groen Katastrophe waren seine Groeltern von Norwegen eingewandert und hatten sich hier angesiedelt. Gerald und seine Begleiter stellten sich ebenfalls vor, doch bevor sie auf den Zweck ihres Besuches zu sprechen kamen, winkte Olaf ab. Hat Zeit bis spter, Freunde. Wir wissen, da ihr jemand sucht, wenigstens sagte man das in Jackville. Der Funk war rein zufllig eingeschaltet und auf Empfang, weil es gengend Wind fr den Strom gab. Ihr seid auf der Suche nach jemand mehr haben sie uns nicht gesagt. Hoffentlich sucht ihr diesen Jemand nicht gerade bei uns. Nein, das wre unwahrscheinlich, lchelte Gerald. Olaf Brandstrm war sichtlich beruhigt. Dann kommt mit, man wartet schon auf den seltenen Besuch. Ihr bleibt doch bis morgen? Gern, stimmte Gerald zu. Wird ja auch schon dunkel. Der Jeep wurde einfach auf der Strae abgestellt, denn so etwas wie Diebstahl gab es in Rocktown nicht. Dann saen die drei Freunde in der groen Stube eines gemtlich eingerichteten Gasthauses dem einzigen von Rocktown an einem langen Holztisch. Etwa vier Dutzend Mnner und Frauen betrachteten sie voller Neugier, stellten aber noch keine Fragen. Zuerst wurde gegessen. Dann erst, bei einem Glas selbstgebrauten Bieres, kam eine Unterhaltung auf. Sie beschrnkte sich anfangs auf allgemeine Themen, die das Leben in den beiden Siedlungen betrafen, dann fragte Gerald schlielich: Ich wei nicht, ob hier eine Dorfchronik gefhrt wird, in der die Ereignisse der letzten Jahrzehnte niedergeschrieben wurden. Er sah, da Olaf nickte. Wenn ja, dann mte man in ihr auch den Namen meines Grovaters finden, denn als er vor sechsundsechzig Jahren nach Norden aufbrach, kam er mit Sicherheit hier vorbei. Vielleicht hat er sich in unser Besucherbuch eingetragen, rief jemand vom anderen Ende des Tisches. Mglich, rumte Olaf ein. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber den Namen Zimmermann habe ich schon mal irgendwo gehrt oder gelesen frher, meine ich. Kthe, sei so gut und hole das Buch. Bring auch gleich die Chronik mit. Eine ltere Frau erhob sich und verlie den Raum. Gerald befriedigte inzwischen die erklrliche Neugier ihrer Gastgeber und erzhlte von der Expedition seines Grovaters und ein wenig ber ihren Zweck. Er schlo: Er und seine drei Begleiter sind damals spurlos verschwunden und niemals zurckgekehrt. Wir wollen herausfinden, was geschehen ist. Das ist alles eine sehr lange Zeit her, da kann es keine Spuren mehr geben, erklrte Olaf. Kthe kam mit zwei Aktendeckeln zurck und gab sie Olaf. Der bltterte in ihnen und schlug dann bei dem dnneren die letzten Seiten auf. Gerald wartete geduldig. Er wollte nichts berstrzen. Dann sah er, da sich die Miene des Norwegers aufhellte. Sein Finger stie auf das vor ihm liegende Blatt hinab, als wolle er es aufspieen. Tatschlich! Sie waren hier! Nun hielt Gerald es nicht mehr lnger aus. Er streckte die Hand ber den Tisch, und Olaf schob ihm das Buch bereitwillig entgegen. Gerald erkannte die typische steile Schrift seines Grovaters auf den ersten Blick. Atemlose Stille herrschte in der Gaststube, als er laut vorlas: Erreichten heute die Siedlung Rocktown, unsere erste Station, und bedanken uns fr die erwiesene Gastfreundschaft. Unser Weg fhrt uns weiter nach Norden, und wir hoffen, immer auf so ehrliche Menschen zu treffen wie hier. Nochmals vielen Dank. Gezeichnet: Robert Zimmermann, auch im Namen meiner Begleiter Brendon, Eppstein und Kemp. November im Jahre fnf nach dem Ende der Welt. November 1999 also. Gerald blickte auf und begegnete den fragendem Augen Olafs. Eine kleine Erklrung wrde er ihm und den anderen wohl schuldig sein. Er war hier, das wissen wir nun, aber leider hinterlie er keinen Hinweis ber den Zweck der Expedition. Nach Norden also! Irgendwo im Norden gab es etwas, das er finden wollte. Der Norden ist weit und gro, sagte Olaf nachdenklich. Die nchste Siedlung in nrdlicher Richtung drfte ungefhr vierhundert Kilometer entfernt sein. Ich hoffe, ihr habt gengend Benzin, denn bei uns gibt es keinen Tropfen mehr seit dem berfall. Wir bentigen auch keins, davon abgesehen. Die vierhundert Kilometer schaffen wir leicht mit unseren Vorrten. Wie heit brigens die Siedlung? Manchmal haben wir Funkkontakt mit ihr. Nennt sich Heidelberg komischer Name, nicht wahr? Eine deutsche Stadt hie so, erinnerte ihn Gerald. Einer meiner Vorfahren studierte dort, warf John ein. Dann werden wir in Heidelberg wohl auf deutsche Siedler beziehungsweise deren Nachkommen treffen. Das ist anzunehmen, sagte Gerald und unterdrckte ein Ghnen, aber Olaf hatte es trotzdem bemerkt. Ihr werdet nach der langen Fahrt mde sein. Wir haben Zimmer hier im Gasthaus. Keine Umstnde, bat Gerald. Entweder Zimmer hier im Gasthaus, rief Olaf mit drhnender Stimme, oder wir jagen euch aus der Stadt! Unter solchen Umstnden, spielte Gerald den Eingeschchterten, ziehen wir es natrlich vor, dein Angebot dankend anzunehmen. Beide lachten, aber es dauerte doch noch gute zwei Stunden, bis sie endlich in den Betten lagen. Es gab zuviele Fragen, und das Bier war gut. Am zweiten Tag schafften sie auch wieder zweihundert Kilometer, aber dann lag vor ihnen ein Gebirgszug. Die bisher gut erhaltene Strae endete in einem Gerllhaufen. Da war wohl mal der Pa, vermutete James. Wir htten Olaf fragen sollen, ob man das Gebirge umfahren kann. Der wei das ebensowenig wie wir, war sich Gerald sicher. Entweder versuchen wir es, indem wir einfach weiterfahren und hoffen, die Strae wiederzufinden, oder wir weichen nach Osten oder Westen aus, bis wir einen bergang finden. Das kann aber Tage dauern, befrchtete John. Kmen wir berhaupt durch das Gerll hindurch, James? Ich denke schon. Ist zwar eine Menge von da oben heruntergekommen, und das ausgerechnet auf die Strae hm, merkwrdig. Gerald warf ihm einen prfenden Blick zu, dann nahm er sein Gewehr, berprfte das Magazin und stieg aus. Er ging zu dem Haufen Steine, die die Strae sperrten, und betrachtete sie aufmerksam und nachdenklich. Er kletterte sogar ein Stck hinauf, um zu sehen, was dahinter war. Dann kehrte er zum Jeep zurck. Eine von Menschen errichtete Barriere, teilte er ihnen das Ergebnis seiner Untersuchung mit. Jemand, der oben in den Bergen haust, legt keinen Wert auf Gesellschaft. Fr einen einzelnen Mann war das wohl zuviel Arbeit. Es knnten also mehrere sein, die sich da oben verstecken. Banditen? Dann gbe es hier unten sicher eine Wache, gab James zu bedenken. Wozu denn? Wer kommt denn schon hier vorbei? Wir, zum Beispiel. Er war ebenfalls ausgestiegen und inspizierte die sehr natrlich wirkende Straensperre. Dann drehte er sich um und sagte: Ganz klarer Fall. Die vordere Schicht ist von Hand gelegt worden, sehr geschickt, aber doch zu erkennen. Dahinter liegt alles vllig anders und durcheinander. Und dort oben, knapp hundert Meter von hier entfernt, ist die Strae wieder frei. Wir knnten es also bis da schaffen, und dann geht alles von alleine. Aber die vordere Schicht mu weg? vergewisserte sich Gerald. Ja, das bleibt uns nicht erspart. Hoffentlich lohnt sich die Mhe, maulte John, dem nicht gerade nach Schwerarbeit zumute war. Bewegung tut uns nach der Fahrerei ganz gut, gab Gerald das Zeichen zum Beginn der Rumarbeit. Als es dunkelte, hatten sie einen schmalen Durchgang zum natrlichen Gerll freigelegt. James startete den Jeep und fuhr langsam los. Gerald und John gingen hinterher und schoben, wenn es ntig wurde. Zweimal blieb James stecken, und sie muten die Hindernisse beiseite rumen, aber dann, als es schon finster wurde, erreichten sie die Strae, die steil bergan fhrte. Wir bernachten gleich hier, schlug Gerald vor und deutete auf eine Nische in dem Felsen, der links fast senkrecht aufsteilte. Ist im Notfall gut zu verteidigen. Auf einem kleinen Feuer wrmten sie einige Konserven auf, die in Rockville hergestellt wurden, und krochen dann in ihre Schlafscke bis auf John, den man zur ersten Wache verdonnert hatte. Der nchste Tag brachte eine berraschung. Obwohl die Strae, eigentlich wohl mehr ein Fahrweg, ziemlich steil nach oben fhrte, kamen sie gut voran. Der Gebirgszug mochte vielleicht achthundert Meter hoch sein, von der Ebene aus gerechnet. Als sie die Pahhe erreichten, sahen sie das Haus. James hielt sofort an und schaltete den Motor ab. Gerald nahm das Fernglas, blieb aber sitzen. Die beiden anderen legten ihre Waffen griffbereit neben sich. Gerald setzte das Glas wieder ab. Auf dem Feld hinter dem Blockhaus ist ein Hang. Dort arbeitet ein lterer Mann, soweit sich das beurteilen lt. Drftige Vegetation hier. Merkwrdig, nicht wahr? Vor dem Haus ist ein Brunnen. Eine Frau holt gerade Wasser. Sieht alles sehr friedlich aus. Weiter rechts ist eine Wiese, sagte James, der gute Augen hatte. Ich kann zwei Kinder erkennen, dazu ein halbes Dutzend Khe, zwei Pferde und einige Schafe oder Ziegen. Hier scheint sich jemand sein eigenes Paradies geschaffen zu haben, unabhngig vom Rest der Welt. Und die Gerllsperre? fragte John und blieb skeptisch. Vielleicht wollen sie allein bleiben, meinte Gerald und stieg aus. Bleibt hier und seid wachsam. Ich gehe mal hin. Wenn ich winke, knnt ihr beruhigt nachkommen. Ansonsten seht ihr ja, was passiert. Auer seiner kleinen Pistole in der Hosentasche nahm er keine Waffe mit. Mit bedchtigen Schritten berquerte er eine magere Wiese und nherte sich dem Brunnen. Die Frau holte gerade mit der Seilwinde einen zweiten Eimer mit Wasser aus der Tiefe, als sie pltzlich den Fremden bemerkte. Erschrocken lie sie das Seil los, und der volle Eimer sauste zurck in den Schacht. Dann rannte sie ins Haus und kam Sekunden spter mit einem Gewehr in der Hand wieder zum Vorschein. Stehenbleiben! rief sie. Ihre schrille Stimme verriet Angst. Der Mann auf dem Feld hrte sie auch. Er behielt den Spaten in der Hand und kam herbeigelaufen, blieb aber stehen, als er sah, da Gerald nicht bewaffnet war oder die Frau bedrohte. Wer sind Sie und was wollen Sie hier? Wie sind Sie berhaupt durch die Sperre gekommen? Sie ist nicht unberwindbar, und zu Fu kann da jeder hinber. Aber keine Sorge, wir mchten nur ein paar Ausknfte, dann fahren wir weiter. Weiter nach Norden, fgte Gerald noch hinzu. Der Mann, er mochte an die sechzig Jahre alt sein, kam nher und sttzte sich auf seinen Spaten. Er sah hinber zu der Frau. Nelly, du kannst weiter Wasser holen. Und zu Gerald gewandt: Sie sehen ehrlich aus, Fremder. Und was ist mit den beiden drben im Wagen? Meine Freunde, und genauso ehrlich. Er gab das verabredete Zeichen. James und John kamen herbei, die Waffen in der Hand. Nur eine Vorsichtsmanahme, erklrte Gerald schnell, whrend er sich und seine Freunde vorstellte. Der alte Mann nickte. ,Ich bin Ferdi Mayer, und das da ist meine Frau Nelly. Wir haben zwei Kinder und leben allein hier. Er deutete zum Haus. Setzen wir uns auf die Bank, das ist bequemer. Gerald berichtete ihm vom Zweck der Expedition und stellte ein paar Fragen. Der Mann sann lange vor sich hin, ehe er langsam und stockend zu sprechen begann. Mein Vater, er ist schon lange tot, erzhlte oft von den vier Fremden, die eines Tages hier erschienen. Das war, bevor ich geboren wurde und meine Mutter starb. Meine Eltern hatten sich gleich nach der Katastrophe hierher zurckgezogen. Freunde aus Heidelberg, nrdlich von hier, halfen ihm beim Bau der Htte und den beiden Sperrmauern, aber es gab trotzdem mehrmals berflle durch Banden. Spter blieben sie aus. Er machte eine Pause, als er in seinen Erinnerungen suchte. Gerald, James und John warteten geduldig. Nelly brachte ein Stck kaltes Fleisch und einen Krug khles Brunnenwasser. Dann begann Ferdi Mayer wieder zu reden: Die vier Fremden, so erzhlte mir mein Vater die Namen habe ich vergessen wollten nach Norden, sehr weit nach Norden. Sie sind bestimmt auch durch Heidelberg gekommen wenigstens drei von ihnen. Wieso nur drei? horchte Gerald auf. Ferdi Mayer seufzte. Whrend sie hier waren, griff eine Bande von Rubern und Mrdern das Haus an. Mein Vater und die vier Fremden wehrten sich erbittert und tteten fast die Hlfte der Banditen. Der Rest floh und kehrte nie mehr zurck. Leider fand auch einer der vier Fremden den Tod. Er ist der einzige, dessen Namen erhalten blieb. Gerald war unwillkrlich aufgesprungen, setzte sich aber dann langsam wieder hin. Wie war der Name? Nun erhob sich der alte Mann. Kommt mit, ich zeige euch das Grab. Es liegt neben dem meiner Eltern. Er fhrte sie an dem kleinen Garten vorbei zu dem Hang, der mit Bschen bewachsen war. Drei flach gewordene Grabhgel, eingerahmt von Steinen, wren in der Wildnis kaum noch aufgefallen, wenn nicht die Holzkreuze gewesen wren. Regen und Wind hatten die Inschriften fast unleserlich gemacht, aber der Name auf dem linken Kreuz lie keine Miverstndnisse aufkommen. BRENDON stand da, sonst nichts, auch kein Datum. Die Expedition Robert Zimmermann hatte hier ihren wichtigsten Mann, den Chemiker, verloren. Ja, das war einer der Mnner, deren Spuren wir folgen, sagte Gerald schlielich und wandte sich ab. Es ist noch frh am Tag, wir werden weiterfahren. Auf dem Weg zum Haus sagte der alte Mayer noch: Heidelberg wurde von deutschen Auswanderern gegrndet, lange vor dem Krieg. Es leben gute Menschen dort. Manchmal kommt der eine oder andere hierher, um uns zu besuchen. Die Strae nach Heidelberg fhrt durch einen Wald, frher soll dort nur Wste gewesen sein. Ich wre froh, wenn bei mir das Gemse so gut wachsen wrde wie in Heidelberg. Sie fllten ihre Wasservorrte nach und verabschiedeten sich herzlich von den einsamen Siedlern. Die Strae fhrte nun steil bergab, und schon von weitem war die grne Ebene zu erkennen, die sich bis zum Horizont erstreckte. Ob es da unten auch eine Lagersttte gab? wunderte sich John. Sieht ganz so aus, erwiderte Gerald wortkarg. Aber das ist nicht das, was wir suchen. Bald war der Fahrweg von den wild wuchernden Grsern und Bschen kaum noch zu unterscheiden, aber James scharfe Augen entdeckten immer wieder Reste von Reifenspuren oder Pferdehufen. Und dann begann der Wald. Nun konnte von einer Strae oder auch nur einem Weg keine Rede mehr sein. Die wenigen Spuren, die sie fanden, fhrten kreuz und quer durch das Unterholz, immer dort, wo die Bume nicht zu dicht standen. Soweit es mglich war, hielten sie sich trotz des stndigen Richtungswechsels nach Norden, in der Hoffnung, frher oder spter wieder auf die Strae zu treffen, die nach Heidelberg fhrte. Immerhin schafften sie an die hundert Kilometer, ehe sie die anbrechende Dunkelheit zwang, auf einer kleinen Lichtung zu bernachten. Der Wald wurde lichter und die Bume niedriger und unansehnlicher. Schlielich kam auch die Strae wieder zum Vorschein, wenn auch zum grten Teil mit Gras bedeckt. James konnte wieder aufs Gaspedal treten, und bald tauchten weit vor ihnen die Umrisse einer greren Siedlung auf. Heidelberg hatte doppelt so viele Einwohner wie Rocktown und war ber Funk durch Olaf Bergstrm informiert worden. Ohne Vorsichtsmanahmen zu treffen, lenkte James den Jeep geradewegs in die Ansiedlung hinein und hielt auf dem Dorfplatz an, auf dem sich etwa hundert Mnner und Frauen versammelt hatten. Gerald stieg aus und ging auf den Mann zu, der sich aus der Menge lste und ihm entgegenkam. Willkommen in Heidelberg, Herr Zimmermann nehme ich an. Ich bin Dieter Wagner, der Brgermeister. Danke aber lassen wir das ,Herr und ,Sie gleich fort. Hat Olaf Bergstrm dich unterrichtet? Die Unterlagen liegen zur Einsicht bereit. Deutscher Ordnungssinn, lobte Gerald ohne jede Ironie. Vielleicht knnen wir dann heute noch weiter. Kommt nicht in Frage, das Nachtquartier ist vorbereitet. Sie werden, wenn die alten Aufzeichnungen richtig sind, im gleichen Raum schlafen wie dereinst die drei Mnner, deren Spuren Sie folgen oh, Verzeihung, deren Spuren ihr folgt. Der eine war mein Grovater. Wagner nickte und lchelte. Ja, ich wei. Und die beiden anderen hieen Eppstein und Kemp. Gerald, James und John muten noch ein paar Dutzend Fragen der auf dem Platz Versammelten beantworten, die gern wissen wollten, was sich in Rocktown und Jackville tat, dann konnte Wagner seine Gste endlich in die Brgermeisterei entfhren. In einem Raum mit groen Fenstern, die gengend Licht durchlieen, stand ein schwerer Tisch aus Holz, und auf ihm lag ein Buch, so dick wie eine Bibel und so gro wie ein Atlas. Unsere Chronik, erklrte Wagner nicht ohne Stolz. Mein Vater begann sie wenige Wochen nach der Katastrophe. Er glaubte an eine zweite und wollte wenn es abermals berlebende gab diese von dem, was geschehen war, informieren. Das ist vielleicht auch der Grund dafr, da Robert Zimmermann damals einen lngeren Bericht hineinschrieb. Gerald sprte die Erregung, die Besitz von ihm ergriff. Drfen wir ihn lesen? Da liegt das Buch, gab Wagner lchelnd seine Zustimmung. Im Raum nebenan knnt ihr spter schlafen. Fr Essen und Trinken ist gesorgt. Ich lasse euch jetzt allein. Ihr sollt in aller Ruhe lesen, was Robert Zimmermann damals plante und warum. Er grte freundlich, ehe er den Raum verlie. Gerald, James und John setzten sich an den Tisch. Ersterer schlug das Buch auf. Die Daten der verschiedenen Eintragungen waren suberlich aufgefhrt und begannen Ende 1995. Gerald berschlug die Seiten, bis er das Ende von 1999 erreichte und auf den ersten Blick die Schrift seines Grovaters erkannte. Den Anfang kennen wir ja, sagte er, whrend sein Zeigefinger ber die Zeilen wanderte. Beginnen wir hier in Heidelberg. Ich werde es euch am besten gleich vorlesen Heute sind wir den vierten Tag in Heidelberg und wir haben es der Gastfreundschaft der Bevlkerung zu verdanken, da mir Brgermeister Heinrich Wagner die Gelegenheit gibt, die Ereignisse seit unserer Abreise von Jackville niederzuschreiben. Der Tod unseres Freundes Brendon bei der Htte August Mayers hat uns schwer getroffen, nicht nur, weil wir mit ihm unseren Spezialisten, den Chemiker, verloren. Zum Glck gab er uns vorher noch viele Tips und Hinweise, die wir vielleicht verwerten knnen, wenn wir das gefunden haben, was wir suchen. Nach dem Studium einiger Karten und Atlanten wissen wir mit Sicherheit, da wir uns irrten. Wir glaubten, die Stadt Golden liege in Kanada was ja auch stimmt. Das Golden jedoch, das wir suchen, liegt nordwestlich von hier in den amerikanischen Rocky Mountains. Keine fnfhundert Kilometer entfernt. Somit haben wir unser Ziel bald erreicht jene Sttte, an der man den Strahlenden Tod entwickelte. Nur wenn wir die Formeln finden, lt sich die letzte und gefhrlichste Komponente der Teufelsmischung unschdlich machen. Was brigbleibt, ist dann nichts anderes als ein harmloses Pflanzenschutzmittel, das jede Art von Bakterien und andere Schdlinge genetisch beeinflut und so die Nachkommenschaft verhindert. Ein wenig dieser schnell sich verflchtigenden Flssigkeit sickerte bereits aus den Lagersttten und verwandelte Steppen und Wsten in Grnflchen und beginnende Wlder. Aber wir mssen jene finden, die den tdlichen Metallzusatz entwickelten, zumindest ihre Aufzeichnungen. Sie sind die Schuldigen! Eppstein hat da eine andere Meinung. Er sagt, und vielleicht hat er recht, da alle schuld sind wir alle! Wir haben es zugelassen. Ich halte ihm entgegen, da kaum jemand wute, was sich da in Wirklichkeit zusammenbraute, aber sein Gegenargument lautet: Wenn etwas geheim ist, streng geheim, dazu in noch geheimeren Labors, dann ist es kaum fr den Frieden gedacht. Niemand schpfte Verdacht oder tat etwas dagegen. Ich wiederum mute ihn fragen: Was htte man denn tun knnen, wenn man nichts wute? Protestieren vielleicht? Er meint und ist berzeugt davon, da schon beim leisesten Verdacht htte protestiert werden mssen, und zwar nicht des bloen Protestierens willen, wie es meist geschah und daher unglaubwrdig wurde, sondern gezielt, mit echten Argumenten und vor allen Dingen: Protest gegen alle beteiligten Parteien und Staaten, nicht immer nur gegen die eigenen Institutionen. Kemp stimmt ihm zu, und auch ich beginne zu glauben, da er recht hat. Wie auch immer, morgen brechen wir erneut auf. Sprit haben wir noch genug, und es sind ja auch nur fnfhundert Kilometer bis Golden. Die Informationen, die wir von Wagner erhielten, sind sprlich. Es mu sich demnach um eine lngst verlassene Ansiedlung ehemaliger Goldsucher handeln, um eine Art Geisterstadt. Das ideale Versteck fr die Leute, die wir suchen. Hiermit mchten wir den Bewohnern von Heidelberg fr ihre freundschaftliche Aufnahme danken und ihnen und auch uns Glck wnschen. Gezeichnet: Robert Zimmermann, Eppstein, Kemp. Gerald schob das Buch in die Mitte des Tisches, nachdem er es fast behutsam zugeklappt hatte. Nun wissen wir eine Menge mehr. Stellt euch nur vor, wir htten Heidelberg umfahren und htten Golden in Kanada gesucht! Ein paar tausend Kilometer! Nun sind es nur noch fnfhundert. James runzelte die Stirn, dann sagte er nachdenklich: Zwischen hier und diesem sagenhaften Golden mu es etwas geben, das deinem Grovater, Kemp und Eppstein zum Verderben wurde, sonst wren sie ja nach Jackville zurckgekehrt. Oder in Golden selbst, rumte Gerald ein. Vielleicht haben sie ihr Ziel erreicht, eben dieses Golden, und dort erfllte sich ihr Schicksal. Vergi nicht, da jene, die fr alles verantwortlich waren, damals noch lebten mglicherweise in Golden. Liegt in einer ziemlich gottverlassenen Gegend, vermutete John. Und mit Sicherheit unverdchtig und harmlos wirkend, gab James ihm recht. Gerald sagte mit einer Ruhe, die fast unnatrlich war: Wir werden Golden finden. Immerhin ist es auf der Karte als Geisterstadt eingezeichnet auf einer Karte, die lter als siebzig Jahre ist. Aber wer hat damals schon eine Geisterstadt aufgesucht, in der es weder ein Steakhouse noch Coca Cola gab Den Rest des Tages verbrachten sie im Hotel Heidelberg, wo es tatschlich noch einen guten Wein gab Wein, der in den nahen Sdhgeln wie Unkraut wuchs. 3.

Das Problem war, da es einst mehrere Straen gegeben hatte, die in Richtung Golden fhrten, den Ort jedoch nicht berhrten, sondern weit vorbeigingen. Nur eine einzige, ein alter Fahrweg fr Kutschen, zweigte irgendwo ab und endete in Golden. Die Frage war nun, welche der Straen Robert Zimmermann damals gewhlt hatte. Hier wute auch Dieter Wagner keinen Rat, wenn seine Vermutung auch logisch klang: Nur eine einzige Strae geht von uns aus in nrdliche Richtung, dann verzweigt sie sich sowohl nach Westen wie nach Osten. Dein Grovater hat sicher die nach Westen genommen, aber die hatte auch viele Kreuzungen und Abzweigungen. Das Vernnftigste scheint mir zu sein, jene Straen zu nehmen, die die krzeste Strecke zu der Abzweigung nach Golden bildet. Gibt es zwischen hier und dieser Geisterstadt Siedlungen? fragte Gerald. Ihr habt doch sicher Erkundigungsfahrten unternommen. Keine, soweit wir wissen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Niemandsland, abgesehen von dort vielleicht noch existierenden Banden. Wenn es sie gibt, so verhalten sie sich ruhig, nachdem sie uns einmal berfallen haben. Wir haben ihnen einen hchst unfreundlichen Empfang bereitet und sie ziemlich dezimiert. Wie knnen sie denn im Niemandsland berleben. Was gibt es dort schon? Wagner zuckte die Schultern. Wovon leben, wenn nicht von berfllen? Nun, es kann ja sein, da sie sich eines Besseren besonnen haben und arbeiten. Ackerbau und Viehzucht, wie es so schn heit. Der Mensch soll Vernunft angenommen haben? Das klingt ja fast wie ein Mrchen. Vielleicht hat ihn die Not dazu gezwungen, erwiderte Wagner sarkastisch. Wir werden ihnen begegnen, davon bin ich berzeugt und dann sehen wir ja, wie es damit aussieht. Funkverbindung in der Richtung nach Norden habt ihr nicht? Nein, keine. Funkgerte waren rarer als Autos, und nicht mehr lange, dann wrden auch diese ganz verschwinden. Noch gab es gengend Ersatzteile, die man aus den Wracks ausbaute, aber auch das ging einmal zu Ende, ganz abgesehen von dem noch vorhandenen Treibstoff. Vielleicht wrde man wieder mit Holzgas fahren mssen. Tut mir leid, sagte Wagner nach einer Weile, da wir euch nicht mehr als zweihundert Liter Sprit geben knnen, aber zusammen mit euren eigenen Vorrten drfte das fr Golden und zurck reichen. Es reicht bestimmt, versicherte James und kletterte hinter das Steuer. Danke fr alles. Der Abschied war kurz und herzlich, hnlich wie in Rocktown, dann fuhren sie los. Die Strae nach Norden war anfangs ganz ordentlich und von der Vegetation freigehalten, aber auch nur bis dahin, wo die Felder rechts und links aufhrten. Ende der Autobahn, knurrte James und begann wieder mit der gewohnten Slalomfahrt um Schlaglcher und umgestrzte Bume. Nach drei Stunden Fahrt entdeckten sie nur durch einen Zufall eine Abzweigung nach rechts. Sie verschwand bereits nach wenigen Metern in undurchdringlichem Gestrpp. Gerald warf einen Blick auf die von Wagner korrigierte alte Karte. Weiter geradeaus, James. Nach fnfzig Kilometer mte eine Abzweigung nach Westen kommen, aber sie fhrt nicht nach Golden. Knnen wir ignorieren. Kann ich mal die Karte haben? fragte John. Gerald reichte sie ihm nach hinten. John studierte sie fast fnf Minuten lang, dann gab er das Ergebnis seiner berlegungen bekannt: Die dritte Abzweigung nach Westen drfte es sein, war wohl mal eine der vielen Nebenstraen. Geht spter nach Norden, wenn auch nicht direkt bis Golden, das am Fu der Berge liegen drfte. Bei der Abzweigung hat Wagner ein Haus eingezeichnet, war sicher ein Dorf oder sowas. Das werden wir ja morgen sehen, sagte James. Heute schaffen wir es nicht mehr bis dorthin. Drften an die dreihundert Kilometer sein. Wre mir lieber, wir wrden es umfahren, deutete John seine Bedenken an. Wagner sprach von Banditen. Wenn mglich, tun wir das auch, beruhigte ihn Gerald. Hundert Kilometer nach Heidelberg fanden sie die erste Abzweigung nach links, also nach Westen. Es mute eine Hauptverkehrsstrae gewesen sein, denn der Betonbelag war teilweise noch erhalten und lie die einstige Breite der Fahrbahn erkennen. Ein paar Ruinen standen zu beiden Seiten. Sie waren nicht bewohnt. Brandspuren verrieten, da hier nicht alles friedlich verlaufen war. Wahrscheinlich hatten die letzten Einwohner ihre Huser ver