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Mitarbeiterschutz So lassen sich Praxisunfälle vermeiden Nadelstichverletzungen sind die Klassiker, wenn es um Unfälle in der Arztpraxis geht. Doch es gibt noch mehr Gefahrenquellen, gegen die sich Praxischefs wappnen müssen. E in rutschiger Boden, falsche Schu- he, Hektik – es sind meist Banali- täten, die im Praxisalltag zu Stol- perfallen und bösen Stürzen führen. „Speziell im Gesundheitswesen treten häufig Stichverletzungen durch konta- minierte Nadeln auf“, weiß Christopher Bulle, Projektleiter Qualitätsmanage- ment bei dem Beratungsunternehmen medicteach. „Das ist mir als Rettungsas- sistent im Notdienst schon selbst pas- siert“, erzählt Bulle. „Typisch ist auch, wenn Praxismitarbeiter mit Birken- stock-Schuhen oder Crocs im Winter mal eben über die Straße zur Apotheke laufen oder zum Rauchen gehen.“ Bulle schult Ärzte in Workshops der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen über „Gefährdungsbeurteilung in Arzt- praxen“. Aufgrund neuer gesetzlicher Vorschriſten wird der Arbeitsschutz für die Praxisorganisation immer wichtiger. Bis Mai 2013 musste zum Beispiel die Biostoffverordnung auf der Basis der EU-Richtlinie 2010/32/EU überarbeitet werden. Die Richtlinie sieht Regelungen vor, um Verletzungen durch scharfe oder spitze Instrumente im Gesundheitssek- tor zu vermeiden. Auch die geplanten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, mit denen an- erkannte Empfehlungen zur Hygiene für Ärzte verbindlich werden sollen, setzen die Praxen unter Zugzwang. Sicherheitsbeauftragter teils Pflicht Grundsätzlich ist die Zuständigkeit für den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Praxismitarbeiter Chefsache. Wie die Berufsgenossenschaſt für Gesundheits- dienst und Wohlfahrtspflege (BGW) be- stätigt, ist jeder Arbeitgeber für den Ar- beitsschutz jener Mitarbeiter verant- wortlich, mit denen er einen Arbeitsver- trag abgeschlossen hat. Beschäſtigen In- haber einer Praxisgemeinschaſt Perso- nal gemeinsam über eine Gesellschaſt, kann einer der Gesellschaſter als Verant- wortlicher für den Arbeitsschutz be- nannt werden. Praxen mit mehr als 20 Mitarbeitern müssen einen Sicherheits- beauſtragten benennen, der dafür sorgt, den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu verbessern. Bevor ein Plan mit konkreten Maß- nahmen zum Arbeitsschutz erstellt wird, sollten zunächst in einer Art Brainstor- ming gemeinsam mit den Mitarbeitern alle möglichen Gefahrenmomente er- fasst werden, denn sie wissen am besten, welche Gefährdungen und Belastungen an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen auf- treten können. „Nicht zu vergessen sind mögliche psychische Belastungen, etwa ein getrübtes Arbeitsklima oder schwie- rige Patienten“, so Bulle. Maßnahmenkontrolle notwendig Für Ärzte ist es nicht leicht, einzelne Ge- fahren richtig einzuschätzen. Zwar fin- den sich für einige Gefährdungen und Belastungen Sicherheitsnormen und Grenzwerte in Gesetzen, Unfallverhü- tungsvorschriſten und Technischen Re- geln. Viele Gefahren lassen sich jedoch nicht in Normen fassen. Die BGW rät, auch einmal etwas mehr als das gesetzlich Notwendige zu tun. Die Technische Regel schreibt bei Latex- allergie etwa einen Proteingehalt von weniger als 30 Mikrogramm pro Gramm Handschuh vor – normalerweise unpro- blematisch, doch für Mitarbeiter mit entzündeter Haut riskant. Die Gefährdungsbeurteilung erstreckt sich auf bestimmte Räumlichkeiten, wie Labor, einzelne Abläufe, wie den Reini- gungsdienst, und auf bestimmte Perso- nengruppen, etwa Jugendliche, Behin- derte, Schwangere oder Allergiker. Alle ermittelten Gefahrenquellen sowie die daraus abgeleiteten und umgesetzten Maßnahmen müssen laut Arbeitsschutz- gesetz schriſtlich dokumentiert werden. Dazu gehört auch, nach einem halben Jahr zu kontrollieren, wie effektiv die einzelnen Maßnahmen waren. In Pra- xen mit weniger als zehn Mitarbeitern genügt übrigens eine vereinfachte Doku- mentation. Grundlage sind hier die Vor- schriſten der Berufsgenossenschaſten (BGV Anlage 1 und 3). Strafen sind selten Eine schriſtliche Dokumentation hilſt auch bei Prüfungen durch die Gesund- heitsbehörden. Die Gewerbeaufsicht er- scheint meist unangemeldet und kont- rolliert zum Beispiel, ob in den Praxen sichere Injektionssysteme verwendet werden. Die Gesundheitsämter prüfen, wie streng geltende Hygienevorschriſten eingehalten werden. „Wer dann eine ak- tuelle Gefährdungsbeurteilung aus dem Rechner zaubern kann, hinterlegt mit Unterweisungsnachweisen, Medizinpro- dukte-Unterlagen und einem Hygie- neplan, ist schon mal auf der sicheren Seite“, betont Bulle. „Gesundheitsämter fragen auch nach der Biostoffverord- nung, die separat aufgelistet werden muss.“ Verstöße gegen Arbeitsschutz- oder Hygienevorschriſten können durchaus- Folgen haben. Zwar sind Bulle zufolge Strafen selten, doch „im Schadensfall werden die Berufsgenossenschaſt und im schlimmsten Fall auch die Staatsan- waltschaſt genau hinschauen, ob alle Be- stimmungen befolgt wurden. Die Be- rufsgenossenschaſt verlangt öſter Re- gresszahlungen.“ Stefan Holler 56 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (4) Praxis konkret

So lassen sich Praxisunfälle vermeiden

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Mitarbeiterschutz

So lassen sich Praxisunfälle vermeiden

Nadelstichverletzungen sind die Klassiker, wenn es um Unfälle in der Arztpraxis geht. Doch es gibt noch mehr Gefahrenquellen, gegen die sich Praxischefs wappnen müssen.

E in rutschiger Boden, falsche Schu-he, Hektik – es sind meist Banali-täten, die im Praxisalltag zu Stol-

perfallen und bösen Stürzen führen. „Speziell im Gesundheitswesen treten häu�g Stichverletzungen durch konta-minierte Nadeln auf“, weiß Christopher Bulle, Projektleiter Qualitätsmanage-ment bei dem Beratungsunternehmen medicteach. „Das ist mir als Rettungsas-sistent im Notdienst schon selbst pas-siert“, erzählt Bulle. „Typisch ist auch, wenn Praxismitarbeiter mit Birken-stock-Schuhen oder Crocs im Winter mal eben über die Straße zur Apotheke laufen oder zum Rauchen gehen.“

Bulle schult Ärzte in Workshops der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen über „Gefährdungsbeurteilung in Arzt-praxen“. Aufgrund neuer gesetzlicher Vorschri�en wird der Arbeitsschutz für die Praxisorganisation immer wichtiger. Bis Mai 2013 musste zum Beispiel die Biosto�verordnung auf der Basis der EU-Richtlinie 2010/32/EU überarbeitet werden. Die Richtlinie sieht Regelungen vor, um Verletzungen durch scharfe oder spitze Instrumente im Gesundheitssek-tor zu vermeiden.

Auch die geplanten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, mit denen an-erkannte Empfehlungen zur Hygiene für Ärzte verbindlich werden sollen, setzen die Praxen unter Zugzwang.

Sicherheitsbeauftragter teils P�ichtGrundsätzlich ist die Zuständigkeit für den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Praxismitarbeiter Chefsache. Wie die Berufsgenossenscha� für Gesundheits-dienst und Wohlfahrtsp�ege (BGW) be-stätigt, ist jeder Arbeitgeber für den Ar-beitsschutz jener Mitarbeiter verant-wortlich, mit denen er einen Arbeitsver-trag abgeschlossen hat. Beschä�igen In-

haber einer Praxisgemeinscha� Perso-nal gemeinsam über eine Gesellscha�, kann einer der Gesellscha�er als Verant-wortlicher für den Arbeitsschutz be-nannt werden. Praxen mit mehr als 20 Mitarbeitern müssen einen Sicherheits-beau�ragten benennen, der dafür sorgt, den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu verbessern.

Bevor ein Plan mit konkreten Maß-nahmen zum Arbeitsschutz erstellt wird, sollten zunächst in einer Art Brainstor-ming gemeinsam mit den Mitarbeitern alle möglichen Gefahrenmomente er-fasst werden, denn sie wissen am besten, welche Gefährdungen und Belastungen an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen auf-treten können. „Nicht zu vergessen sind mögliche psychische Belastungen, etwa ein getrübtes Arbeitsklima oder schwie-rige Patienten“, so Bulle.

Maßnahmenkontrolle notwendigFür Ärzte ist es nicht leicht, einzelne Ge-fahren richtig einzuschätzen. Zwar �n-den sich für einige Gefährdungen und Belastungen Sicherheitsnormen und Grenzwerte in Gesetzen, Unfallverhü-tungsvorschri�en und Technischen Re-geln. Viele Gefahren lassen sich jedoch nicht in Normen fassen.

Die BGW rät, auch einmal etwas mehr als das gesetzlich Notwendige zu tun. Die Technische Regel schreibt bei Latex-allergie etwa einen Proteingehalt von weniger als 30 Mikrogramm pro Gramm Handschuh vor – normalerweise unpro-blematisch, doch für Mitarbeiter mit entzündeter Haut riskant.

Die Gefährdungsbeurteilung erstreckt sich auf bestimmte Räumlichkeiten, wie Labor, einzelne Abläufe, wie den Reini-gungsdienst, und auf bestimmte Perso-nengruppen, etwa Jugendliche, Behin-derte, Schwangere oder Allergiker. Alle

ermittelten Gefahrenquellen sowie die daraus abgeleiteten und umgesetzten Maßnahmen müssen laut Arbeitsschutz-gesetz schri�lich dokumentiert werden. Dazu gehört auch, nach einem halben Jahr zu kontrollieren, wie e�ektiv die einzelnen Maßnahmen waren. In Pra-xen mit weniger als zehn Mitarbeitern genügt übrigens eine vereinfachte Doku-mentation. Grundlage sind hier die Vor-schri�en der Berufsgenossenscha�en (BGV Anlage 1 und 3).

Strafen sind seltenEine schri�liche Dokumentation hil� auch bei Prüfungen durch die Gesund-heitsbehörden. Die Gewerbeaufsicht er-scheint meist unangemeldet und kont-rolliert zum Beispiel, ob in den Praxen sichere Injektionssysteme verwendet werden. Die Gesundheitsämter prüfen, wie streng geltende Hygienevorschri�en eingehalten werden. „Wer dann eine ak-tuelle Gefährdungsbeurteilung aus dem Rechner zaubern kann, hinterlegt mit Unterweisungsnachweisen, Medizinpro-dukte-Unterlagen und einem Hygie-neplan, ist schon mal auf der sicheren Seite“, betont Bulle. „Gesundheitsämter fragen auch nach der Biosto�verord-nung, die separat aufgelistet werden muss.“

Verstöße gegen Arbeitsschutz- oder Hygienevorschri�en können durchaus-Folgen haben. Zwar sind Bulle zufolge Strafen selten, doch „im Schadensfall werden die Berufsgenossenscha� und im schlimmsten Fall auch die Staatsan-waltscha� genau hinschauen, ob alle Be-stimmungen befolgt wurden. Die Be-rufsgenossenscha� verlangt ö�er Re-gresszahlungen.“ Stefan Holler

56 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (4)

Praxis konkret