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INLAND NeuöZürcörZäitung Samstag/Sonntag, 19./20.Juni 2004 Nr.14015 Der heilige Modestus fwc. Modestus (Mudest) soll im 3.Jahrhundert Pfleger, Erzieher und Weggefährte des heiligen Vitus gewesen sein. Zusammen mit diesem und seiner Ehefrau Crescentia, die Vitus' Amme war, floh er unter Kaiser Diokletian nach Lucanien, wo er gefangen genommen und in siedendes Öl ge- worfen wurde. Die Prozession zu Ehren des Ge- meinde- und nach Johannes dem Täufer (Gion Battesta) zweiten Kirchenpatrons findet in Somvix jedes Jahr Mitte Juni statt, jeweils an jenem Sonn- tag, der dem 15.Juni näher liegt – dem offiziellen Gedenktag an den heiligen Modestus. Festplatz Schweiz Sogn Mudest, Retter in der Not Wie in Somvix dem heiligen Modestus gehuldigt wird «In jener Zeit, als was wir empfangen, es herrschte Sturm und Wetter; sobald den Schatz wir aufgeschlossen, Das böse Wetter war zerstoben, und dies dank seiner Tugend nur geschah das grosse Wunder Somvix, benötigst seine Hilf, Ihn herzhaft darum bitte.» La Canzun de sogn Mudest Bei der «Cruna» gerät der Zug ins Stocken. Die Schritte der «Cumpagnia da mats» werden kür- zer, gleichwohl wie es bald auch der Atem der mit Gewehren und Säbeln bewehrten Männer werden wird. Die Societad da musica stellt angesichts des vor ihr liegenden Stücks Weg das Spiel ein, fortan gibt der Tambour den Takt an. Von der Haupt- strasse geht es linker Hand hinein in eine zwar kurze, jedoch steile Rampe, die ihrerseits hinauf- führt zur barocken Pfarrkirche. Zehn Uhr schla- gen die Glocken, als die Leute aus Laus und Compadials die Kirche der 1300-Seelen-Gemein- de Somvix im Bündner Oberland betreten, ihre Heiligen – Sebastian und Joseph – mit sich tra- gend, im Handgepäck sozusagen. Die Jungmann- schaft, zwei Dutzend Burschen und Männer an der Zahl, nimmt entlang der Bankreihen Aufstel- lung; ein bisschen aufgeregt und genaustens be- obachtet vom Kirchenvolk, das zahlreich erschie- nen ist an diesem Tag. An diesem Feiertag zu Ehren des heiligen Modestus, des Gemeinde- patrons, dessen Reliquien nun vorne beim Altar liegen. Eingebracht in eine mannsgrosse Figur, die aufgebahrt und eingekleidet an einen römi- schen Feldherrn erinnert. Nicht verbürgt, aber nützlich «Gloria» singt der Kirchenchor, und «Kyrie», dann werden Auszüge aus «La Canzun de sogn Mudest» intoniert, dem Lied des heiligen Mo- destus, in dem über 29 Strophen hinweg die Ge- schichte der acht aufrechten Somvixer erzählt wird, die im Jahre 1700 nach Rom gepilgert waren, um Reliquien für ihr Heimatdorf zu besor- gen. Dass sie schliesslich mit zwei Knochen aus dem Unterschenkel sowie weiteren Teilen von Modestus' Oberschenkel und Schädel zurück- kehrten, entspricht eher einer Notlösung denn einem gezielten Vorgehen, schreibt der Ingenieur und Publizist Aluis Maissen in seiner «Kultur- historischen Darstellung» der lokalen Verhält- nisse. Demnach nämlich hatte es die Somvixer Deputation eigentlich auf die Reliquien des heili- gen Martial abgesehen; «anscheinend aber waren die bereits vergriffen», stellt Maissen leicht amü- siert fest, «und so entschied man sich kurzerhand für das, was die Kirchenmänner als Überreste des heiligen Modestus anpriesen». Ob es sich dabei wirklich um die Knochen dieses frühen Christen und angeblichen Märtyrers handelt (siehe auch Kasten), wird heute von verschiedener Seite ange- zweifelt. So ist sein Name 1969 denn auch aus dem Römischen Heiligenkalender verschwunden, da seine Existenz als nicht wirklich verbürgt er- achtet wurde. Das Vertrauen in Modestus und seine Fähigkeiten vermag diese Tatsache indes kaum zu schmälern. Nach wie vor gilt das erste Stossgebet des Somvixer Bauern bei anhaltender Trockenheit oder ergiebigen Niederschlägen dem «sogn Mudest» – der Schutzpatron soll es richten und, wie es ihm die jahrhundertealte Überliefe- rung zuschreibt, für gutes Wetter sorgen. Für Son- nenschein oder Regen, je nachdem, was gerade gefragt ist. «Woll, woll, das kann schon nützen», sagt auch Gemeindepräsident Plazi Mich ` el Wenzin, «bei den Älteren ist dieser Glaube allerdings weiter verbreitet als bei den Jungen.» Als im letzten Jahr der Sommer nimmer enden wollte und die Hitze Mensch und Tier zu schaffen machte, liess Wen- zin die Figur des heiligen Modestus aus der Kirche und vors Dorf tragen, um einerseits um Regen zu bitten und andererseits, weil man doch das Jahr des Wassers schrieb, auch gleich noch für das generelle Vorhandensein und die Reinheit desselben zu danken. «Einige Tage später setzte der Regen ein», schwört der Gemeindepräsident und mit ihm die Gläubigen; «die haben so lange mit der Bittprozession zugewartet, bis die Meteo- rologen sowieso Niederschläge ankündigten», entgegnen dem die Skeptiker. Beide Seiten allerdings waren in gleichem Masse froh, als im August die ersten Tropfen vom Himmel fielen. Ein Amt, vererbt vom Vater zum Sohn Um viertel nach elf Uhr schliesst Pater Vigeli Monn mit seiner Predigt. Draussen, vor dem Kir- chentor, hat der Himmel aufgeklart. Entgegen den Wettervorhersagen, die dicke Wolken und Regenschauer versprochen hatten und damit manch einen dazu veranlassten, den Schirm ein- zupacken. Derlei Pessimismus scheint nun gänz- lich fehl am Platze. Zwar hat es bis zum Einzug noch geregnet, doch pünktlich zum festlichen Auftakt der eigentlichen Prozession dringen wär- mende Sonnenstrahlen durch die vom Wind ver- triebenen Wolkenfetzen. Fast so, als ob der heilige Modestus den Zweiflern seine Mög- lichkeiten in Sachen Wettergestaltung eindrucks- voll vor Augen führen möchte. Wie damals bei der vielbesungenen Rückkehr der Rompilger, als das «böse Wetter» schlagartig sich verflüchtigt hatte. Die Angehörigen der Musikgesellschaft greifen zu ihren Instrumenten, die Jungmannschaft prä- sentiert ihre Fahnen und Gewehre, «cumpagnia adagt!», befiehlt deren Kommandant, dann ein kurzes «anavon!», und die Prozession zu Ehren des heiligen Modestus setzt sich in Gang: wieder steil hinunter zur mit Ferrari-Fahnen geschmück- ten «Cruna», über die schmale Durchgangsstrasse hinaus auf den Schulhausplatz beim Dorfeingang. Der Verkehr zwischen Disentis und Rabius kommt für fünfzehn Minuten zum Erliegen. Die abrupt gebremsten Sonntagsfahrer nehmen es ge- lassen, zücken Fotoapparate, um Bilder vom nicht alltäglichen Treiben zu schiessen. Hinter der uni- formierten Spitze schreiten bedächtig die Träger der Reliquienschreine und Statuen, weiss be- kränzte Mädchen, die die Figur der Muttergottes in die Höhe stemmen, Herren im Sonntagsstaat. Kirchlich, gesellschaftlich, sportiv Den Kern der Prozession bildet der aufge- bahrte Modestus, der von sechs Männern in schwarzen Umhängen Geleit erhält – allesamt Nachfahren derer, die vor 300 Jahren die Reli- quien des Heiligen in die Surselva gebracht hat- ten. Ein ehrenvolles Amt, eines, das verpflichtet auch. So hat eine jede Familie ihren fixen Posten im Verbund der Reliquienträger, die Aufgabe geht meist automatisch vom Vater an den Sohn über, ist jemand verhindert, so hat dieser persönlich um valablen Ersatz besorgt zu sein. Sich zu drücken, ist unstatthaft und obendrein äusserst unge- schickt, schliesslich prangt die Liste mit den ver- schiedenen Ämtern und den dafür zuständigen Personen oben am Anschlagbrett der Kirche. Für alle gut einsehbar. Stramm mit dem Wind wimpeln die Fahnen auf dem Schulhausplatz. Der Baldachin, unter dem Pater Vigeli aus dem Kloster Disentis steht, wippt stetig auf und ab. Zehn Minuten, nachdem die Prozession am Dorfeingang angekommen ist, macht sie erneut kehrt und zieht zurück in Rich- tung Kirche. Wieder wird der Verkehr angehalten, wieder werden Fotoapparate gezückt, wieder spielt die Musikgesellschaft, wieder gibt Jacques Bass, der Hauptmann der Jungmannschaft, seine Kommandi. Für zwei Jahre jeweils verpflichtet sich der Oberbefehlshaber der jungen Garde als Kommandant, dann wählt die Gruppe einen neuen Anführer. Es sei dies, so Bass, der unter der Woche in Chur lebt und am Wochenende in sein Heimatdorf zurückkehrt, ein Ehrenamt, das früher bestimmt noch mehr Gewicht gehabt habe als heute. Den Tag, an dem der heilige Modestus geehrt wird, erachtet er als Mischung zwischen kirchlichem und gesellschaftlichem Anlass; «wer hier mitmacht, dem bedeutet das Ganze auch etwas. Und nach der Prozession kommen wir alle zusammen und machen ein Fest, das hat dann nur noch wenig mit Kirche und Religion zu tun.» Unten am Kirchenhügel angekommen, teilt sich die lange Schlange in zwei Kolonnen auf. Die eine zieht weiter zur Kirche, wo die Reliquien des heiligen Modestus an ihren angestammten Platz gebracht werden, die andere verschwindet direkt in der «Cruna». Unter den Klängen der Societad da musica wird zum Ap ´ ero geschritten – «viva! viva!» – und über das bevorstehende Spiel der Schweizer Nationalmannschaft an der Europa- meisterschaft gefachsimpelt. Keine Chance hätten die Eidgenossen gegen die starken Kroaten nor- malerweise, «normalmein», verkündet einer. Doch, ein Unentschieden liege durchaus drin, fin- det ein anderer. Und ein Dritter wagt gar die Pro- gnose, dass Köbis Kicker als Sieger vom Platz gehen würden. Das allgemeine Gelächter tut der Mann mit ernster Miene und einem weniger ernst gemeinten Vorschlag ab: «Vielleicht müssten wir einfach den Modestus noch einmal heraus- holen...» Wer für gutes Wetter sorgen kann, der könne wohl auch die Rolle des Regisseurs in einem wichtigen Fussballspiel übernehmen – oder etwa nicht? Das Gelächter wird zum wohlwollen- den Lächeln, Schultern zucken zustimmend. Den heiligen Modestus liessen die Somvixer an diesem sportlich wichtigen Sonntagabend dann aber doch in der Kirche. Und der Schweiz reichte es zu einem torlosen Unentschieden gegen Kroa- tien. Wer weiss, was da noch dringelegen wäre. Flavian Cajacob (Text), Roy Stähelin (Bilder) www.nzz.ch/festplatz ... in festlichem Gewand... ... die Messe zelebrierend... ... immer den Modestus im Mittelpunkt. ... in den Kirchenbänken... Dem Heiligen zur Ehre, der Gemeinde zum Schutz: Unter freiem Himmel... ... Lasten tragend...

Sogn Mudest Sumvitg

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Reportage vom Fest zu Ehren des Hl. Mudest in Sumvitg/GR

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Page 1: Sogn Mudest Sumvitg

INLANDNeuöZürcörZäitung Samstag/Sonntag, 19./20.�Juni 2004 � Nr.�140���15

Der heilige Modestusfwc. Modestus (Mudest) soll im 3.�Jahrhundert

Pfleger, Erzieher und Weggefährte des heiligenVitus gewesen sein. Zusammen mit diesem undseiner Ehefrau Crescentia, die Vitus' Amme war,floh er unter Kaiser Diokletian nach Lucanien, woer gefangen genommen und in siedendes Öl ge-worfen wurde. Die Prozession zu Ehren des Ge-meinde- und nach Johannes dem Täufer (GionBattesta) zweiten Kirchenpatrons findet in Somvixjedes Jahr Mitte Juni statt, jeweils an jenem Sonn-tag, der dem 15.�Juni näher liegt – dem offiziellenGedenktag an den heiligen Modestus.

Festplatz Schweiz

Sogn Mudest, Retter in der NotWie in Somvix dem heiligen Modestus gehuldigt wird

«In jener Zeit, als was wir empfangen,es herrschte Sturm und Wetter;sobald den Schatz wir aufgeschlossen,Das böse Wetter war zerstoben,und dies dank seiner Tugend nurgeschah das grosse WunderSomvix, benötigst seine Hilf,Ihn herzhaft darum bitte.»

La Canzun de sogn Mudest

Bei der «Cruna» gerät der Zug ins Stocken. DieSchritte der «Cumpagnia da mats» werden kür-zer, gleichwohl wie es bald auch der Atem der mitGewehren und Säbeln bewehrten Männer werdenwird. Die Societad da musica stellt angesichts desvor ihr liegenden Stücks Weg das Spiel ein, fortangibt der Tambour den Takt an. Von der Haupt-strasse geht es linker Hand hinein in eine zwarkurze, jedoch steile Rampe, die ihrerseits hinauf-führt zur barocken Pfarrkirche. Zehn Uhr schla-gen die Glocken, als die Leute aus Laus undCompadials die Kirche der 1300-Seelen-Gemein-de Somvix im Bündner Oberland betreten, ihreHeiligen – Sebastian und Joseph – mit sich tra-gend, im Handgepäck sozusagen. Die Jungmann-schaft, zwei Dutzend Burschen und Männer ander Zahl, nimmt entlang der Bankreihen Aufstel-lung; ein bisschen aufgeregt und genaustens be-obachtet vom Kirchenvolk, das zahlreich erschie-nen ist an diesem Tag. An diesem Feiertag zuEhren des heiligen Modestus, des Gemeinde-patrons, dessen Reliquien nun vorne beim Altarliegen. Eingebracht in eine mannsgrosse Figur,die aufgebahrt und eingekleidet an einen römi-schen Feldherrn erinnert.

Nicht verbürgt, aber nützlich«Gloria» singt der Kirchenchor, und «Kyrie»,

dann werden Auszüge aus «La Canzun de sognMudest» intoniert, dem Lied des heiligen Mo-destus, in dem über 29 Strophen hinweg die Ge-schichte der acht aufrechten Somvixer erzähltwird, die im Jahre 1700 nach Rom gepilgertwaren, um Reliquien für ihr Heimatdorf zu besor-gen. Dass sie schliesslich mit zwei Knochen ausdem Unterschenkel sowie weiteren Teilen vonModestus' Oberschenkel und Schädel zurück-kehrten, entspricht eher einer Notlösung denneinem gezielten Vorgehen, schreibt der Ingenieurund Publizist Aluis Maissen in seiner «Kultur-historischen Darstellung» der lokalen Verhält-nisse. Demnach nämlich hatte es die SomvixerDeputation eigentlich auf die Reliquien des heili-gen Martial abgesehen; «anscheinend aber waren

die bereits vergriffen», stellt Maissen leicht amü-siert fest, «und so entschied man sich kurzerhandfür das, was die Kirchenmänner als Überreste desheiligen Modestus anpriesen». Ob es sich dabeiwirklich um die Knochen dieses frühen Christenund angeblichen Märtyrers handelt (siehe auchKasten), wird heute von verschiedener Seite ange-zweifelt. So ist sein Name 1969 denn auch ausdem Römischen Heiligenkalender verschwunden,da seine Existenz als nicht wirklich verbürgt er-achtet wurde. Das Vertrauen in Modestus undseine Fähigkeiten vermag diese Tatsache indeskaum zu schmälern. Nach wie vor gilt das ersteStossgebet des Somvixer Bauern bei anhaltenderTrockenheit oder ergiebigen Niederschlägen dem«sogn Mudest» – der Schutzpatron soll es richtenund, wie es ihm die jahrhundertealte Überliefe-rung zuschreibt, für gutes Wetter sorgen. Für Son-nenschein oder Regen, je nachdem, was geradegefragt ist.

«Woll, woll, das kann schon nützen», sagt auchGemeindepräsident Plazi Michel Wenzin, «beiden Älteren ist dieser Glaube allerdings weiterverbreitet als bei den Jungen.» Als im letzten Jahrder Sommer nimmer enden wollte und die HitzeMensch und Tier zu schaffen machte, liess Wen-zin die Figur des heiligen Modestus aus derKirche und vors Dorf tragen, um einerseits umRegen zu bitten und andererseits, weil man dochdas Jahr des Wassers schrieb, auch gleich noch fürdas generelle Vorhandensein und die Reinheitdesselben zu danken. «Einige Tage später setzteder Regen ein», schwört der Gemeindepräsidentund mit ihm die Gläubigen; «die haben so langemit der Bittprozession zugewartet, bis die Meteo-rologen sowieso Niederschläge ankündigten»,entgegnen dem die Skeptiker. Beide Seitenallerdings waren in gleichem Masse froh, als imAugust die ersten Tropfen vom Himmel fielen.

Ein Amt, vererbt vom Vater zum SohnUm viertel nach elf Uhr schliesst Pater Vigeli

Monn mit seiner Predigt. Draussen, vor dem Kir-chentor, hat der Himmel aufgeklart. Entgegenden Wettervorhersagen, die dicke Wolken undRegenschauer versprochen hatten und damitmanch einen dazu veranlassten, den Schirm ein-zupacken. Derlei Pessimismus scheint nun gänz-lich fehl am Platze. Zwar hat es bis zum Einzugnoch geregnet, doch pünktlich zum festlichenAuftakt der eigentlichen Prozession dringen wär-mende Sonnenstrahlen durch die vom Wind ver-triebenen Wolkenfetzen. Fast so, als ob der

heilige Modestus den Zweiflern seine Mög-lichkeiten in Sachen Wettergestaltung eindrucks-voll vor Augen führen möchte. Wie damals beider vielbesungenen Rückkehr der Rompilger, alsdas «böse Wetter» schlagartig sich verflüchtigthatte.

Die Angehörigen der Musikgesellschaft greifenzu ihren Instrumenten, die Jungmannschaft prä-sentiert ihre Fahnen und Gewehre, «cumpagniaadagt!», befiehlt deren Kommandant, dann einkurzes «anavon!», und die Prozession zu Ehrendes heiligen Modestus setzt sich in Gang: wiedersteil hinunter zur mit Ferrari-Fahnen geschmück-ten «Cruna», über die schmale Durchgangsstrassehinaus auf den Schulhausplatz beim Dorfeingang.Der Verkehr zwischen Disentis und Rabiuskommt für fünfzehn Minuten zum Erliegen. Dieabrupt gebremsten Sonntagsfahrer nehmen es ge-lassen, zücken Fotoapparate, um Bilder vom nichtalltäglichen Treiben zu schiessen. Hinter der uni-formierten Spitze schreiten bedächtig die Trägerder Reliquienschreine und Statuen, weiss be-kränzte Mädchen, die die Figur der Muttergottesin die Höhe stemmen, Herren im Sonntagsstaat.

Kirchlich, gesellschaftlich, sportivDen Kern der Prozession bildet der aufge-

bahrte Modestus, der von sechs Männern inschwarzen Umhängen Geleit erhält – allesamtNachfahren derer, die vor 300 Jahren die Reli-quien des Heiligen in die Surselva gebracht hat-ten. Ein ehrenvolles Amt, eines, das verpflichtetauch. So hat eine jede Familie ihren fixen Postenim Verbund der Reliquienträger, die Aufgabe gehtmeist automatisch vom Vater an den Sohn über,ist jemand verhindert, so hat dieser persönlich umvalablen Ersatz besorgt zu sein. Sich zu drücken,ist unstatthaft und obendrein äusserst unge-schickt, schliesslich prangt die Liste mit den ver-schiedenen Ämtern und den dafür zuständigenPersonen oben am Anschlagbrett der Kirche. Füralle gut einsehbar.

Stramm mit dem Wind wimpeln die Fahnenauf dem Schulhausplatz. Der Baldachin, unterdem Pater Vigeli aus dem Kloster Disentis steht,wippt stetig auf und ab. Zehn Minuten, nachdemdie Prozession am Dorfeingang angekommen ist,macht sie erneut kehrt und zieht zurück in Rich-tung Kirche. Wieder wird der Verkehr angehalten,wieder werden Fotoapparate gezückt, wiederspielt die Musikgesellschaft, wieder gibt JacquesBass, der Hauptmann der Jungmannschaft, seineKommandi. Für zwei Jahre jeweils verpflichtet

sich der Oberbefehlshaber der jungen Garde alsKommandant, dann wählt die Gruppe einenneuen Anführer. Es sei dies, so Bass, der unterder Woche in Chur lebt und am Wochenende insein Heimatdorf zurückkehrt, ein Ehrenamt, dasfrüher bestimmt noch mehr Gewicht gehabt habeals heute. Den Tag, an dem der heilige Modestusgeehrt wird, erachtet er als Mischung zwischenkirchlichem und gesellschaftlichem Anlass; «werhier mitmacht, dem bedeutet das Ganze auchetwas. Und nach der Prozession kommen wir allezusammen und machen ein Fest, das hat dannnur noch wenig mit Kirche und Religion zu tun.»

Unten am Kirchenhügel angekommen, teiltsich die lange Schlange in zwei Kolonnen auf. Dieeine zieht weiter zur Kirche, wo die Reliquien desheiligen Modestus an ihren angestammten Platzgebracht werden, die andere verschwindet direktin der «Cruna». Unter den Klängen der Societadda musica wird zum Apero geschritten – «viva!viva!» – und über das bevorstehende Spiel derSchweizer Nationalmannschaft an der Europa-meisterschaft gefachsimpelt. Keine Chance hättendie Eidgenossen gegen die starken Kroaten nor-malerweise, «normalmein», verkündet einer.Doch, ein Unentschieden liege durchaus drin, fin-det ein anderer. Und ein Dritter wagt gar die Pro-gnose, dass Köbis Kicker als Sieger vom Platzgehen würden. Das allgemeine Gelächter tut derMann mit ernster Miene und einem weniger ernstgemeinten Vorschlag ab: «Vielleicht müssten wireinfach den Modestus noch einmal heraus-holen�.�.�.» Wer für gutes Wetter sorgen kann, derkönne wohl auch die Rolle des Regisseurs ineinem wichtigen Fussballspiel übernehmen – oderetwa nicht? Das Gelächter wird zum wohlwollen-den Lächeln, Schultern zucken zustimmend.

Den heiligen Modestus liessen die Somvixer andiesem sportlich wichtigen Sonntagabend dannaber doch in der Kirche. Und der Schweiz reichtees zu einem torlosen Unentschieden gegen Kroa-tien. Wer weiss, was da noch dringelegen wäre.

Flavian Cajacob (Text), Roy Stähelin (Bilder)

www.nzz.ch/festplatz

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Dem Heiligen zur Ehre, der Gemeinde zum Schutz: Unter freiem Himmel�.�.�.

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