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SOMATOFORME STÖRUNGEN
Priv.-Doz. Dr. med. Frank Zimmermann-Viehoff
Ärztlicher Leiter Psychosomatische Medizin & Psychotherapie
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie & Psychosomatik
„Das Leben ist voller Leid,
Krankheit, Schmerz – und zu
kurz ist es übrigens auch ...“
„Wir streben mehr danach,
Schmerz zu vermeiden als
Freude zu gewinnen.“
SOMATOFORME STÖRUNGEN
1. Epidemiologie
2. Neurobiologische Grundlagen und
Stressinduzierte Hyperalgesie
3. Psychodynamische und kognitiv-behaviorale
Entstehungsmodelle
4. Komorbiditäten: Depression, Angststörungen,
posttraumatische Belastungsstörung
5. Therapie
GLIEDERUNG
1. Epidemiologie
2. Neurobiologische Grundlagen und
Stressinduzierte Hyperalgesie
3. Psychodynamische und kognitiv-behaviorale
Entstehungsmodelle
4. Komorbiditäten: Depression, Angststörungen,
posttraumatische Belastungsstörung
5. Therapie
GLIEDERUNG
Psychogen
Funktionell
Psychosomatisch
Somatopsychisch
Anhaltende oder häufig erlebte, subjektiv
als beeinträchtigend empfundene
Körperbeschwerden, für die auch nach
angemessener Diagnostik keine
ausreichende Erklärung im Sinne einer
kausalen Organpathologie gefunden
werden kann.
3 Hauptgruppen:
• Schmerzen
• Funktionelle Störungen verschiedener
Organsysteme (Palpitationen,
Schwindel, Übelkeit etc.)
• Formenkreis Müdigkeit, Erschöpfung
DEFINITION
sind extrem häufig
(9-20% d. Allgemeinbevölkerung, 16-31%
der allgemeinmedizinischen Konsultationen)
verursachen hohe Kosten im
Gesundheitssystem
(14fach höhere Kosten gegenüber dem
Durchschnitt)
führen unbehandelt zu schwerer
psychosozialer Beeinträchtigung
(Die Mehrheit der Patienten wird
unbehandelt nach 3 Jahren arbeitsunfähig!)
SOMATOFORME STÖRUNGEN
In westlichen Kulturen leiden bis zu 95% der Allgemeinbevölkerung unter
zumindest einer Körperbeschwerde pro Woche.
Patienten in der Primärversorgung geben im Mittel 4 körperliche
Beschwerden an, welche sie nicht besonders beeinträchtigen.
EPIDEMIOLOGIE
Rückkehr an Arbeitsplatz nach 3 Monaten AU
aufgrund Rückenschmerzen, 2-Jahres Follow-
up:
35%
Hansson et al., 2000
72% 63%
Psychosoziale Risikofaktoren muskulosklelettaler
Schmerzen, u.a.:
Geringes
EinkommenDepression
Psychologischer
Stress
AngstSchlafstörungen
Geringes
Bildungsniveau
Immigration
Soziale Isolation
Ledig sein
Bewegungsmangel
Psychosoziale Risikofaktoren Depression
Geringes
EinkommenChronischer
Schmerz
Psychologischer
Stress
AngstSchlafstörungen
Geringes
Bildungsniveau
Immigration
Soziale Isolation
Ledig sein
Bewegungsmangel
• Autonome somatoforme Funktionsstörung
• (undifferenzierte) Somatisierungsstörung
• Anhaltende somatoforme Schmerzstörung
• Chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und
psychologischen Faktoren
• Hypochondrische Störung
-----------------------------------------------------------------------------------
• Dissoziative Störungen
• Somatische Syndrome bei anderen Erkrankungen (Angst,
Depression, Persönlichkeitsstörungen)
• Psychologische Faktoren bei körperlicher Erkrankung
Somatoforme Störungen in der ICD 10 (F45)
• Autonome somatoforme Funktionsstörung
• (undifferenzierte) Somatisierungsstörung
• Anhaltende somatoforme Schmerzstörung
• Chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und
psychologischen Faktoren
• Hypochondrische Störung
-----------------------------------------------------------------------------------
• Dissoziative Störungen
• Somatische Syndrome bei anderen Erkrankungen (Angst,
Depression, Persönlichkeitsstörungen)
• Psychologische Faktoren bei körperlicher Erkrankung
Somatoforme Störungen in der ICD 10 (F45)
in DSM-5:
Somatic Symptom Disorder
„Somatische
Belastungsstörung“
A. One ore more somatic symptoms that are
distressing or result in significant disruption of
daily life
B. Excessive thoughts, feelings, or behaviors related
to the somatic symptoms or associated health
concerns as manifested by at least one of the
following:
1. Disappropriate and persistent thoughts about the
seriousness of one‘s symptoms
2. Persistently high level of anxiety about health or
symptoms
3. Excessive time and energy devoted to these
symptoms or health concerns
C. The state of being symptomatic is persistent (> 6
months)
Somatoforme Störungen…
Bodily distress disorder is characterized by the presence of bodily symptoms
that are distressing to the individual and excessive attention directed toward the
symptoms, which may be manifest by repeated contact with health care providers.
If another health condition is causing or contributing to the symptoms, the degree
of attention is clearly excessive in relation to its nature and progression.
Excessive attention is not alleviated by appropriate clinical examination and
investigations and appropriate reassurance.
Bodily symptoms and associated distress are persistent, being present on most
days for at least several months, and are associated with significant impairment in
personal, family, social, educational, occupational or other important areas of
functioning.
Typically, bodily distress disorder involves multiple bodily symptoms that may vary
over time. Occasionally there is a single symptom - usually pain or fatigue - that is
associated with the other features of the disorder.
Somatoforme Störungen in der ICD 11
außerhalb der „Psycho“-Fächer, z.B.
Reizdarmsyndrom (K58)
Fibromyalgie (M79.0)
Pelvipathie (N94)
Somatoforme Störungen…
1. Epidemiologie
2. Neurobiologische Grundlagen und
Stressinduzierte Hyperalgesie
3. Psychodynamische und kognitiv-behaviorale
Entstehungsmodelle
4. Komorbiditäten: Depression, Angststörungen,
posttraumatische Belastungsstörung
5. Therapie
GLIEDERUNG
Schmerz und Emotion
“Rather than just being a pain reliever, acetaminophen can be seen as an
all-purpose emotion reliever,” said Geoffrey Durso, a social psychologist at
Ohio State University
Schmerz und Emotion
7 primäre Emotionen (Affekte)
Glück / Freude
Trauer
Überraschung
Ekel
Verachtung
Wut
Furcht / Angst
8 primäre Emotionen (Affekte)?
Glück / Freude
Trauer
Überraschung
Ekel
Verachtung
Wut
Furcht / Angst
Schmerz ?
Rückenmark
Rückenmark
Rückenmark
Bushnell, Ceko & Low, Nat Rev Neurosci 2013
• Sensibilisierung zentraler Schmerz- und
Schmerzverarbeitungssysteme durch (chronischen)
Distress
• Senkung der Schmerzschwelle bzw. Generierung von
zentralem Schmerz in Abwesenheit peripherer Läsionen
Stressinduzierte Hyperalgesie
Stressinduzierte Hyperalgesie
Bushnell, Ceko & Low, Nat Rev Neurosci 2013
Stressinduzierte Hyperalgesie
Bushnell, Ceko & Low, Nat Rev Neurosci 2013
„Rejection hurts…“
„Schmerz als homöostatische
Emotion“ (Damasio)
Eisenberger et al., 2004
Stressinduzierte Hyperalgesie
Stressinduzierte Hyperalgesie
• Erhöhte Aktivierung führt
zu Faszilitation
nozizeptiver Afferenzen
• Schlüsselrolle in der
negativ-affektiven
Schmerzkomponente
Stressinduzierte Hyperalgesie
• Verminderte µ-Opioid-
Rezeptoren
• Erhöhtes Fear-Avoidance-
Verhalten
Stressinduzierte Hyperalgesie
• Erhöhte glutamaterge
Transmission
• Verminderte GABAerge
Transmission
1. Epidemiologie
2. Neurobiologische Grundlagen und
Stressinduzierte Hyperalgesie
3. Kognitiv-behaviorale und psychodynamische
Entstehungsmodelle
4. Komorbiditäten: Depression, Angststörungen,
posttraumatische Belastungsstörung
5. Therapie
GLIEDERUNG
Somatisierung als pathologisches Krankheitsverhalten
• Interpretation harmloser Körpersignale als bedrohlich
• Inanspruchnahme des medizinischen Versorgungssystems
Lerntheoretische Modelle
Somatosensorische Amplifikation
Somatisierung – unterschiedliche Konzepte
1. Somatisierung als pathologisches Krankheitsverhalten
• Interpretation harmloser Körpersignale als bedrohlich
• Inanspruchnahme des medizinischen Versorgungssystems
• Vermeidungsverhalten, „Fear Avoidance“
• Dysfunktionale Kognitionen, Katastrophisierung
Somatisierung – unterschiedliche Konzepte
1. Klassische Konditionierung, Nocebo-Effekte
2. Operante Konditionierung
3. Soziales Lernen
Lernvorgänge
Fear-Avoidance Modell
Fear-Avoidance Modell
Nach Leeuw et al. 2007
Aus: Berger, Psychische Erkrankungen
Somatosensorische Amplifikation
Somatisierung als intrapsychischer Prozess der Symptomentstehung
• Konversion (Konfliktäquivalent)
• De- / Resomatisierung (Affektäquivalent)
• Depressive Somatisierung
• Narzisstische Somatisierung
Somatisierung – unterschiedliche Konzepte
Konversion
Konversion
„Bei der Hysterie erfolgt die Unschädlichmachung
der unverträglichen Vorstellung dadurch,
dass deren Erregungssumme ins Körperliche umgesetzt wird, wofür ich den Namen der Konversion
vorschlagen möchte.“
Affektiver
Spannungszustand
Verstärkte "Resomatisierung" von Affekten
Dysfunktionen
Funktionelles
Symptom
VEGETATIVER SPANNUNGSZUSTAND(Meist kein wahrgenommener Affektdruck)Automatisierung
Innere Konflikte
„Strain“
Äußere
Überforderungen
„Stress“
Automatisierung
Gehemmtheit der Affektabfuhr
Entstehungsmodell Somatoformer Störungen
Folien freundlicherweise überlassen von : Prof. Sven Olaf Hoffman
1. Epidemiologie
2. Neurobiologische Grundlagen und
Stressinduzierte Hyperalgesie
3. Psychodynamische und kognitiv-behaviorale
Entstehungsmodelle
4. Komorbiditäten: Depression,
Angststörungen, posttraumatische
Belastungsstörung
5. Therapie
GLIEDERUNG
Depression: Epidemiologie
• 30-60 % der chronischen Schmerzpatienten leiden unter komorbider
Depression
• 50 % der Depressionspatienten berichten auch über
Schmerzsymptome
• Schmerzpatienten mit komorbider Depression habe stärkere
Schmerzen, schlechtere Prognose, stärkere funktionelle
Einschränkungen und verursachen deutlich höhere
Gesundheitskosten
• Schmerz stellt einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression
dar
• Komorbider Schmerz erhöht das Suizidrisiko bei Depressions-
Patienten
Depression und Schmerz –
Neurophysiologische Überschneidungen
Han & Pae, 2015
Pain Depression
Angst
Epidemiologie - Lebenszeitprävalenzen
Spezifische Phobie 5.9 - 20.5%
Panikstörung 0.5 - 4.7 %
Agoraphobie 0.9 - 7.8%
soziale Phobie 4 - 12%
Generalisierte Angststörung 4-7 %
Zwangsstörung 2-3 %
Posttraumatische Belastungsstörungen 1.2- 8 %
Posttraumatische Belastungsstörung
PTBS: Epidemiologie
• Etwa 70% der Bevölkerung (USA) berichten mind. 1 traumatisches
Erlebnis
• Prävalenz Allgemeinbevölkerung (USA) ca. 6 % (Männer) und 12 %
(Frauen)
• Häufigste Schmerzlokalisierungen nach Traumatisierung umfassen
Unterbauchschmerz, Rückenschmerz, Gesichtsschmerz und
Blasenschmerz
• Ca. 45% der Fibromyalgie-Patientinnen erfüllen Kriterien einer PTBS
Posttraumatische Belastungsstörung
• Hauptmerkmal ist das wiederholte erleben des traumatischen
Ereignisses in Form von Intrusionen (Erinnerungen, Flashbacks,
Alpträume).
• Es besteht ein Vermeidungsverhalten bezüglich Stimuli, die
Erinnerungen an das traumatische Ereignis hervorrufen
könnten.
• Es besteht ein Hyperarousal (Schreckhaftigkeit, überhöhte
Wachsamkeit, Schlafstörungen, Reizbarkeit,
Konzentrationsstörungen).
• Zusätzlich sind meist affektive (z. B. Anhedonie, anhaltende
Furcht, Schuldgefühle) und kognitive (negatives Selbstbild,
dissoziative Amnesien) Symptome vorhanden.
1. Epidemiologie
2. Neurobiologische Grundlagen und
Stressinduzierte Hyperalgesie
3. Psychodynamische und kognitiv-behaviorale
Entstehungsmodelle
4. Komorbiditäten: Depression, Angststörungen,
posttraumatische Belastungsstörung
5. Therapie
GLIEDERUNG
Henningsen et al., 2007
Aktive Therapien
besser als passive
zentral wirksame
Pharmaka besser als
periphere
Kombination aus
organorientiertem
und kognitiv-
interpersonellem
Ansatz
„Stepped care
approach“
Chronischer Schmerz
Pharmako-
therapie
Psycho-
therapie
Therapie
Entspannungsverfahren, Bewegungs- und
Physiotherapie, Opioid-Entzug
Konsequenzen für die psychotherapeutische Praxis
1. Etablierung eines therapeutischen Arbeitsbündnisses
• feste Termine (Zeit- statt Belastungskontingenz)
• die Klage annehmen
• Hören „neben der Beschwerde“
• zurückhaltende Konfrontation, „tangentiale Gesprächsführung“
• Simultandiagnostik und Therapie
Konsequenzen für die psychotherapeutische Praxis
2. Erarbeiten einer Therapiemotivation
• Psychoedukation, Erklärungsmodelle entwickeln
• Problemfelder eruieren
Konsequenzen für die psychotherapeutische Praxis
3. Spezifische Interventionen
• Affektklarifizierung
• Kognitive Restrukturierung
• Interpersonelle Ansätze, Beachtung von Übertragung und
Gegenübertragung
• Ggf. Expositionstraining
• Förderung von Akzeptanz, Ressourcenaktivierung
• Überzeugung einer Organogenese > „Wie soll denn Reden da helfen?“
• Wünsche nach weiterer (invasiver) Diagnostik > „Da muss doch was sein“
• zugrunde liegende Problemfelder häufig unbewusst / außerhalb der
Wahrnehmung > „Mein Problem ist der Rücken und nicht meine Beziehung“
• Stigmatisierung > „Ich bilde mir das doch nicht ein“
• Idealisierung / Entwertung, „Doctor-Hopping“, „Koryphäen-Killer-Syndrom“
• Passive Erwartungshaltung > „Sie sind der Experte“
• Vermeidung > „Wenn ich mich belaste, geht es mir tagelang schlecht“
• Zielkonflikte, z.B. Berentung, Zuwendung und Entlastung durch Angehörige,
„Funktionalität des Dysfunktionalen“
Probleme in der Therapie
Antidepressiva
• Trizyklische Antidepressiva ++
• Selektive Noradrenalin- und Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ++
• Mirtazapin + (FMS)
• Quetiapin + (FMS)
Behandlungssetting
MULTIMODALE
BEHANDLUNG
Einzel- und
Gruppenpsychotherapie
Kreative
Therapieverfahren,
Ergotherapie
(Psycho-)pharmako-
therapie,
OpioidentzugEntspannungsverfahren
Begleitende
somatische
BehandlungKörperorientierte
Therapieverfahren
Physiotherapie,
Bewegung,
Krankengymnastik
• Anhaltende negative Gedanken und Gefühle sowie dysfunktionale
Verhaltensweisen in Bezug auf Körpersymptome werden unter der Diagnose
Somatische Belastungsstörung zusammengefasst.
• Neben biologischen Faktoren spielen frühere Schmerzerfahrungen und
ungünstige Entwicklungsbedingungen wie emotionaler und körperlicher
Missbrauch eine bedeutsame Rolle in der Genese.
• Chronischer Schmerz und Depression weisen breite klinische und
neurophysiologische Überlappungen auf.
• Chronischer Distress und negative Affekte führen zu einer (u.U.) anhaltenden
Sensibilisierung zentraler nozizeptiver Systeme (Stressinduzierte Hyperalgesie).
• Therapeutisch können Psychotherapie und NSRI angewandt werden.
Zusammenfassung