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Sommeruni IG Metall Esslingen 19 Juni 2014 Die italienischen Gewerkschaften Volker Telljohann

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SommeruniIG Metall Esslingen

19 Juni 2014

Die italienischen GewerkschaftenVolker Telljohann

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Gliederung1. Kontext2. Charakteristika der italienischen IB3. Wichtige Etappen4. Gewerkschafts- u. Arbeitgeberorganisationen5. Arbeitnehmervertretung im Betrieb6. Tarifvertragssystem7. Unternehmensmitbestimmung8. EU-Richtlinien9. Literatur

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1. Kontext• Industrieproduktion 2008–2014:-25%• Arbeitslosenquote: 12,8% • Jugendarbeitslosigkeit (15-24-Jährige): 41,9%

(I/2013)• Beschäftigungsquote der 25-34-Jährigen 2010

(65,9%); 2013 (60,2%)• Ungleichheit in Einkommensverteilung (OECD: Platz

24)• Rahmenbedingungen: Nord-Süd-Gegensatz

Schattenwirtschaft, pol. Instabilität, Infrastruktur, Rechtssicherheit

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2. Charakteristika italienischer IB• geringe Verrechtlichung • schwache Institutionalisierung• Rolle tripartistischer Abkommen• Rolle von Tarifverträgen und Arbeitskämpfen• Abhängigkeit von politischen Konjunkturen• politische Richtungsgewerkschaften

(auch bei den Genossenschaftsverbänden)• Anfang der 90er Jahre lösten sich politische

Bindungen der Richtungsgewerkschaften

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3. Wichtige Etappen (I)• 1948 Spaltung der Einheitsgewerkschaft• 1968-1975 Dezentralisierung industrieller

Beziehungen; Orientierung auf Gewerkschaftseinheit; Fabrikräte

• 1970 Arbeitnehmerstatut• 1980 historische Niederlage bei FIAT• 1984 separates Abkommen zur „scala

mobile“ (automatischer Inflations- ausgleich)

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Wichtige Etappen (II)• Die ´80er: Ende egalitärer Forderungs-

strategien; Ende der Orientierung auf Gewerk-schaftseinheit; Repräsentativitätskrise

• Abkommen vom Juli 1993: definitive Abschaffung der „scala mobile“

• Separates tripartistisches Abkommen (2002)• Es folgt ein Jahrzehnt zugespitzten

Wettbewerbs zwischen den Gewerkschafts- verbänden unter politischen Rahmenbe- dingungen einer Mitte-rechts-Regierung

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4. Gewerkschafts- und Arbeitgeberorganisationen

• Gewerkschaften: ca. 15 Millionen Mitglieder• Gewerkschaftlicher Organisationsgrad: 33%• Confindustria: 149.288 Unternehmen, die

5.516.975 Arbeitnehmer beschäftigten (2012)• die organisierten Arbeitgeber beschäftigen

etwa 50% der ArbeitnehmerInnen

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Gewerkschaften• Confederazione Generale Italiana del Lavoro

(CGIL) (1944 als Einheitsgewerkschaft gegründet)

• Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori (CISL) (1948 -katholisch bzw. christdemokratisch orientierte Beschäftigte)

• Unione del Lavoro (UIL) (1950 - sozial-demokratisch orientierte Beschäftigte)

• Autonome und Basisgewerkschaften; UGL

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Gewerkschaftsmitglieder (2012)

Aktive Beschäftigte

Rentner insgesamt

CGIL 2.716.519 2.996.123 5.712.642

CISL 2.328.030 2.114.720 4.442.750

UIL 1.342.876 863.305 2.206.181

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Arbeitgeberverbände• Confindustria - Großunternehmen • Confapi - KMU• Confcommercio - Handel und Turismus• Confesercenti - Handel, Turismus, Dienstleistungen,

Handwerk• CNA - Handwerkssektor • ANCE - Baugewerbe• Confagricoltura - landwirtschaftliche Betriebe und

Unternehmen• Coldiretti - landwirtschaftliche Betriebe und Unternehmen• Assicredito - Kreditwesen• Confetra, - Transport-, Speditions- und Logistikunternehmen

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Mitgliederstruktur Confindustria (2012)

Betriebsgröße Prozentualer Anteil

< 50 85,6 %

50 - 250 12,1 %

> 250 2,3 %

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5. Arbeitnehmervertretung im Betrieb• RSA (Arbeitnehmerstatut)• Betriebsvertretungen (RSU) sind keine

unabhängigen Betriebsräte (monistische Vertretungsstruktur)

• Amtsdauer: 3 Jahre• zu 1/3 von den Gewerkschaften benannt und zu

2/3 auf Kandidatenlisten der Gewerkschaften gewählt

• Gewerkschaften, die nur im jeweiligen Betrieb eine Rolle spielen, müssen 5% Unterstützer in der Belegschaft vorweisen

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Einrichtung der RSU• in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten• mindestens 3 Mitglieder • ab 201 Beschäftigte: 6 Mitglieder • ab 501: 9 Mitglieder• ab 801: 12 Mitglieder usw. • jenseits von 3000 Beschäftigten gibt es für je

weitere 500 Beschäftigte jeweils 3 weitere Sitze

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Freistellungen• weniger als 200 Beschäftigte: eine Stunde je

Arbeitnehmer und Jahr• 200-3.000 Beschäftigte: 8 Stunden pro Monat

je 300 Arbeitnehmer • über 3.000 Beschäftigte: 8 Stunden pro Monat

je 500 • Recht auf jährlich 8 Tage unbezahlte

Freistellung, um an Gewerkschaftsaktivitäten teilzunehmen

• Mangel: Bildungsarbeit, Experten

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Aufgaben und Rechte der RSU• Rechte der RSA• Versammlungen: jeder Beschäftigte 10 Std/J.• Rechte gemäß der europäischen Informations-

und Konsultationsrichtlinie 2002/14/EG• Einhaltung der Gesetze und Tarifverträge• Betriebliche Tarifverhandlungen• Mitgliederwerbung• Ausschüsse zu Arbeits- und Gesundheitsschutz• Bilaterale paritätische besetzte Ausschüsse

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Koordinierungsgremien• Branchentarifverträge sehen vor, dass auf

Unternehmens- bzw. Konzernebene übergeordnete Koordinierungsgremien der beteiligten betrieblichen RSU gebildet werden

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6. Tarifvertragssystem• Tripartistische Abkommen

- Industrielle Beziehungen- Arbeits- und sozialpolitische Themen (z.B. Rentenreform)

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Sozialpakt vom Juli 1993

• zweigliedriges Tarifvertragssystem• Einführung der einheitlichen

Gewerkschaftsvertretungen• Einführung RSU• von konflikthaften zu stärker

verhandlungsorientierten industriellen Beziehungen

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Tarifvertragssystem (I)• sektorale Tarifverträge auf nationaler Ebene

(Reallohnsicherung, Arbeitszeit, Informations- u. Konsultationsrechte, Arbeitsorganisation, Fortbildung, Gesundheitsschutz, Einsatz von Zeitarbeitskräften, Rentenfragen)

• dezentrale Tarifverträge (Unternehmen, Betrieb, Region) (Produktivitätssteigerungen, Arbeitszeiten, Arbeitsorganisation, IB)

• Dezentralisierung zur Berücksichtigung einzelunternehmerischer Belange

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Tarifvertragssystem (II)• Tarifvertragliche Deckung: ca. 80 %• Betriebliche Tarifverträge: ca. 30-40 %• grundsätzlich besteht nur für die Mitglieder der

unterzeichnenden Parteien eines Tarifvertrages Tarifbindung

• de facto werden auch Beschäftigte, die nicht einer Gewerkschaft angehören, gleichbehandelt

• so wird auch ein Mindestlohnniveau halbwegs realisiert – ein gesetzlicher Mindestlohn fehlt

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Tarifvertragssystem (III)• Separates Rahmenabkommen von 2009• Europäischer Verbraucherpreisindex für IT (ohne

Energiepreisentwicklung)• Branchentarifverträge werden nun für drei Jahre

abgeschlossen und betreffen Arbeitsentgelt und Arbeitsbedingungen

• Produktivitätssteigerungen – evtl. Zuzahlung in der Form einer Entgeltgarantie

• Streiks sind in den sechs Monaten vor und im Monat nach Ablauf einer Vereinbarung verboten

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FIATs Schlüsselrolle in IB• September 2010: Vereinbarung, die zulässt, in

betrieblichen Vereinbarungen vom landesweiten Branchentarifvertrag vom Oktober 2009 abzuweichen: Fim-Cisl; Uilm-Uil

• Vereinbarung in FIAT-Werken ermöglichte dem Unternehmen, die Fiom-Cgil an der Vertretung ihrer Mitglieder zu hindern (mittlerweile für verfassungswidrig erklärt)

• im Januar 2012 trat Fiat aus dem Arbeitgeberverband Confindustria aus

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Rahmenabkommen vom Juni 2011• unterzeichnet von CGIL, CISL, UIL• die Konditionen eines Branchentarifvertrags

können auf betrieblicher Ebene verschlechtert werden, sofern der Branchentarifvertrag diese Möglichkeit vorsieht

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Gesetzesinitiative September 2011• September 2011: per Gesetz weitere

Änderungen des Tarifverhandlungssystems eingeführt

• es erlaubt Unternehmen in einigen Bereichen, die in den nationalen gesetzlichen Vorschriften vorgesehenen Mindestbe- dingungen zu unterschreiten (Arbeitszeitrege- lungen, flexible Arbeitsverträge, Einstellungs- verfahren, Arbeitsorganisation, Stellenein-stufung, Einführung neuer Technologien)

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Abkommen mit Regierung Monti• Gewerkschaften und Confindustria sehen in

neuen gesetzlichen Bestimmungen Angriff auf Tarifautonomie

• Erklärung, sich an die ursprünglich, am 28. Juni vereinbarten Regelungen zu halten (Erklärung in Vereinbarung integriert)

• November 2012: separates Abkommen zu Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit – Stärkung der betrieblichen Verhandlungen

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Abkommen zur Repräsentativität• Abkommen vom 31. Mai 2013 zur Feststellung der

Repräsentativität der Gewerkschaften (Confindustria, CGIL, CISL, UIL)

• 5%-Hürde um bei Tarifverhandlungen zugelassen zu werden

• Kriterien: Mitgliederzahlen und die Ergebnisse bei den RSU-Wahlen

• Auf betrieblicher Ebene muss Mehrheit der RSU-Mitglieder einer Vereinbarung zustimmen (in Abwesenheit einer RSU kann Urabstimmung durchgeführt werden)

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Arbeitskämpfe• deutlicher Rückgang in den letzten 20 Jahren• 97 Streiktage auf 1.000 Arbeitnehmer (2000-

05) (EU-Durchschnitt: 46/1.000)• 2005-09: 34,8/1.000 (EU: 30,6/1.000)• gleichauf mit Frankreich an 2. Stelle in der EU

(1. Periode) u. an 8. Stelle (2. Periode)• tarifvertraglich bedingte Arbeitskämpfe auf

betrieblicher und sektoraler Ebene• politische motivierte Generalstreiks

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Beschäftigungssicherung• Beschäftigungsfähigkeit; Weiterbildung• Solidaritätsverträge• Wertschöpfungskette• CGIL: piano del lavoro (Industrie-,

Wirtschafts- und Steuerpolitik)

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7. Unternehmensmitbestimmung• eine Beteiligung der Beschäftigten an den

Führungsgremien der Unternehmen ist weder gesetzlich noch tariflich vorgesehen

• Gesetzesinitiative der Arbeitsministerin Fornero (Regierung Monti) ohne Wirkung

• Mitbestimmung existiert im Wesentlichen nur im Rahmen der europäischen Aktiengesellschaft

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8. EU-Richtlinien• der Staat übernimmt deren Verhandlungs-

ergebnisse in staatliche Regelungen • in 47 italienischen multinationalen Unternehmen

wurden EBR eingerichtet• Vertreter für BVG von Gewerkschaften/(RSU)

benannt• Gewerkschaften üben den entscheidenden

Einfluss auf die EBR-Bildung bzw. –Besetzung aus – und bei „italienischen EBR“ auch auf die EBR-Tätigkeit (Gewerkschafter zuweilen als volle Mitglieder)

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Die europäische Ebene

• Internationalisierung der regionalen Wirtschaft

• EBR • Internationale Rahmenvereinbarungen• Gewerkschaftliche Koordinierung

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9. Literatur• Fulton, L. (2013) Worker Representation in

Europe. Labour Research Department and ETUI.

http://www.worker-participation.eu/National-Industrial-Relations/Countries/Italy

• Eurofound: Italy - industrial relations profile

http://www.eurofound.europa.eu/eiro/country/italy.htm