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Soziale Arbeit Forschung & Entwicklung Alt werden im Straf- und Massnahmenvollzug Kurzbericht Barbara Baumeister und Samuel Keller April 2011 Zürcher Fachhochschule www.sozialearbeit.zhaw.ch

Soziale Arbeit Forschung & Entwicklung Alt werden im Straf- und … · 2015. 5. 29. · Insbesondere bedanken wir uns bei Ueli Graf, Leo Näf, Martin Vinzens, Thomas Erb und Martin

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Soziale ArbeitForschung & Entwicklung

Alt werden im Straf- undMassnahmenvollzug

Kurzbericht

Barbara Baumeister und Samuel Keller

April 2011

Zürcher Fachhochschule www.sozialearbeit.zhaw.ch

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis 2 Danksagung 3

1. Einleitung 4

2. Fragestellung 5

3. Forschungsmethoden 5

4. Ergebnisse 6

4.1. Entwicklung der Insassenpopulation 6

4.2. Gemeinsame Merkmale der alten Insassen 8

4.3. Die vier Insassentypen 10

4.4. Herausforderungen des Vollzugpersonals in der Betreuung der alten Insassen

12

5. Schlussfolgerungen 16

Literaturverzeichnis 20

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Abbildungsverzeichnis Seite:

Abbildung 1: Wachstum in Prozent zwischen 1984 und 2008. Vergleich Gesamt-

bevölkerung und Verurteilte nach Altersgruppen. 6 Abbildung 2: Anzahl Freiheitsstrafen nach Art der Strafe und Altersgruppe im Jahre 2008 7 Tabelle1: Mittlerer Insassenbestand 2008 in ausgewählten Institutionen 8

Abbildung 3: Kontextebenen der Arbeitssituation von Vollzugsmitarbeitenden: Rollen- &

Aufgabenwahrnehmung 15

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Danksagung

Die vorliegende Untersuchung konnte dank der Hilfe und Unterstützung verschiedener Beteilig-

ter zustande kommen. In erster Linie bedanken wir uns bei den Strafvollzugsmitarbeitenden und

den alten Insassen, die bereit waren über ihre Situation und Erfahrungen im Vollzug zu berich-

ten. Insbesondere bedanken wir uns bei Ueli Graf, Leo Näf, Martin Vinzens, Thomas Erb und

Martin Spiller, die unser Projekt in allen Phasen tatkräftig unterstützt haben.

Ein Dankeschön geht auch an Ruth Gurny, die insbesondere bei der Planung und Vorbereitung

der Studie mitwirkte, und an Thomas Gabriel, der die Gesamtverantwortung für das Projekt

hatte.

Wir danken Regine Schneeberger Georgescu und Huldreich Schildknecht, die uns mit ihrem

Fachwissen wertvolle Hinweise und Ratschläge bei der Planung der Studie gaben und mit uns

die Ergebnisse bezüglich ihrer Relevanz diskutierten. Ebenfalls bedanken wir uns bei Sylvie

Kobi, die bei der Aufarbeitung des Forschungsstandes massgeblich beteiligt war und die se-

kundärstatistische Analyse anhand der Daten des Bundesamtes für Statistik (BFS) durchführte

sowie Daniel Laubscher und den Mitarbeitenden des BFS, für die Aufbereitung ausgewählter

Daten.

Das Forschungsprojekt „Alt werden im Straf- und Massnahmenvollzug“ konnte dank der Unter-

stützung durch den Schweizerischen Nationalfonds, DORE und die Kooperationspartner Kanto-

nale Strafanstalt Pöschwies, Regensdorf, die Kantonale Strafanstalt Saxerriet, Salez und das

Kantonale Massnahmenzentrum Bitzi, Mosnang im Zeitraum von Juni 2008 bis Mai 2010 an der

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (Departement Soziale Arbeit) durchgeführt

werden.

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1. Einleitung

In den Schweizer Strafanstalten sitzen zunehmend Häftlinge ein, die über 60 Jahre alt sind.

Auch wenn Inhaftierte im Pensionsalter auf absehbare Zeit eine Minderheit im Strafvollzug blei-

ben, ist dennoch davon auszugehen, dass ihre Zahl in der Schweiz wächst. Gemäss der Publi-

kation des Bundesamtes für Statistik (Eidgenössisches Departement des Innern EDI, 2007) wird

sich der Bestand der Insassen, die verwahrt sind, bei einer weiterhin restriktiven Entlassungs-

praxis um 10 Personen jährlich erhöhen. Nicht zuletzt diese Personen werden im Vollzug alt

werden.

Für die Schweiz liegt bisher keine sozialwissenschaftliche Untersuchung vor, die den Gegen-

stand Alter und Strafvollzug fundiert behandelt. Obwohl es in Europa und Nordamerika ver-

schiedene Studien über die Situation älterer Insassen gibt – die allerdings durch unterschiedli-

che Gesellschafts- und Rechtssysteme sowie unterschiedliche Ausgestaltungen des Straf- und

Massnahmenvollzugs nur bedingt auf die Praxis in der Schweiz übertragbar sind –, ist das Voll-

zugspersonal in der Interaktion mit dieser Zielgruppe auch da bis anhin kaum berücksichtigt

worden.1 Auch Studien über Vollzugsmitarbeitende in der Schweiz sind älteren Datums

(Stratenwerth & Bernoulli, 1983) und beziehen sich zudem auf einen verwahrungsorientierten

Vollzug, wie er heute in der Schweiz nicht mehr praktiziert wird (vgl. Schneeberger Georgescu,

1996).

Zentral bei den erwähnten Studien sind Insassen-Typologisierungen, die sich durch die jeweili-

ge strafrechtliche Vorbelastung ergeben, wie sie u.a. Schramke (1996) und Aday (2003, S. 114)

vorgenommen haben. Mit solchen Typologisierungen wird impliziert, dass die Einstellung ge-

genüber der Justiz und die damit verbundenen Bewältigungsmuster des Insassen im Strafvoll-

zug massgeblich von der Häufigkeit und Dauer der Konflikte mit diesem System geprägt sind.

Mit der vorliegenden Studie sollen insbesondere die psychosozialen Bedürfnisse, die durch die

besondere Entwicklungsperspektive des Alterns und durch zunehmend eingeschränkte Res-

sourcen gekennzeichnet sind, berücksichtigt werden. Im Unterschied zum Vorgehen der meis-

ten Forschungen in diesem Bereich wurde explizit keine Typologisierung im Voraus gewählt.

Diese analytische Offenheit basiert auf der Annahme, dass persönliche Interessen, vorhandene

Ressourcen, biografisch gefestigte Haltungen und aufgebaute Fähigkeiten die Anpassungsbe-

mühungen sowie Bewältigungsmöglichkeiten der alten Insassen an die Haftbedingungen mass-

geblich mitbestimmen – relativ unabhängig von deskriptiven Faktoren wie Delikt oder Haftdauer.

Eine weitere Besonderheit der vorliegenden Studie im Vergleich zu bestehenden zeigt sich in

der vergleichenden Gegenüberstellung der Ergebnisse der Insassengespräche mit denen der

Vollzugsmitarbeitenden. Erst durch diesen Schritt lassen sich wichtige Erkenntnisse über Ein-

flussfaktoren auf alltägliche Interaktionen zwischen Mitarbeitenden und alten Insassen generie-

ren.

1 Crawley und Sparks (Crawley & Sparks, 2005) haben diesen Aspekt in ihren Forschungen in Grossbritannien inte-griert, indem sie nebst einigen Interviews mit Mitarbeitenden vor allem mit der Methode der Beobachtung forschten.

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2. Fragestellung

Das Ziel des Projektes bestand darin, genaues Wissen zu gewinnen über die spezifischen Be-

lastungssituationen der älteren Insassen und über die konkreten Herausforderungen, mit denen

Vollzugsmitarbeitende in der Betreuung der Zielgruppe konfrontiert sind. Die Erkenntnisse sol-

len Grundlagen für eine bedarfs- und problemgerechte Planung von Vollzugsplätzen für alte

Insassen bieten.

Die Studie befasst sich mit folgenden Hauptfragen:

1. Welches sind die spezifischen Alltagsbelastungen oder -probleme und die daraus resul-

tierenden Bewältigungsbemühungen der alten Insassen während ihres Haftaufenthalts?

2. Wie sehen die Herausforderungen für das Vollzugspersonal in der Betreuung dieser

Zielgruppe aus?

3. Inwiefern ist die Zielgruppe der alten Insassen in den bestehenden Vollzugskonzepten

berücksichtigt?

3. Forschungsmethoden

In einem ersten Schritt wurde mittels sekundärstatistischer Analyse der Daten des Bundesam-

tes für Statistik (Bundesamt für Statistik, 2009, 2010a, 2010c) 2 eine Bestandsaufnahme alter

Insassen für die gesamte Schweiz gemacht. Die Analyse der Daten gibt einen Überblick über

die Verurteilungen nach Altersklassen ab 1984 sowie über die Einweisungen in Einrichtungen

des Straf- und Massnahmenvollzugs. Einbezogen in die Auswertung wurden inhaftierte Frauen

und Männer, die das 50. Altersjahr erreicht hatten.

Auf der Grundlage einer qualitativen Untersuchungsanlage wurden in einem zweiten Schritt im

Zeitraum von Juli 2008 bis März 2010 in den drei Institutionen, die sich als Kooperationspartner

bereit erklärt haben, Interviews mit Mitarbeitenden sowie älteren Insassen durchgeführt. Für den

geschlossenen Vollzug war dies die Kantonale Strafanstalt Pöschwies, Regensdorf, für den

offenen Vollzug die Kantonale Strafanstalt Saxerriet, Salez und für den Massnahmenvollzug das

Kantonale Massnahmenzentrum Bitzi, Mosnang. Interviews mit 22 männlichen Insassen zwi-

schen 573 und 78 Jahren sowie 33 Mitarbeitenden bilden die Datenbasis der vorliegenden Un-

2 Die Daten wurden von der Abteilung Kriminalität des Bundesamtes für Statistik (BFS) zur Verfügung gestellt. Daniel Laubscher und Mitarbeitende des BFS haben uns die Zahlen für die Auswertung bezogen auf verschiedene Alters- klassen aufbereitet. 3 Zwar war das Sample durch die Altersvorgabe 60+ Jahre begrenzt, jedoch war es auch wichtig, pro Institution mindes-

tens fünf alte Insassen zu interviewen. Zur Zeit der Datenerhebung waren im Massnahmenvollzug nur zwei Insassen über 60-jährig, ein Insasse 57 und zwei weitere 58. Der Umstand, dass bei zwei Insassen unter 60 auf deskriptiver Ebene mehrfach altersspezifische Leiden (Herzinfarkt, Herzschrittmacher, Hirnschlag, Arthrose, Grauer Star) angespro-chen worden sind, relativiert diese Abweichung allerdings.

In der Studie sind nur männliche Insassen berücksichtigt worden, da zum Zeitpunkt der Planung der Studie keine inhaf-tierte Frau der Deutschschweiz das 60. Altersjahr erreicht hatte.

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tersuchung. Die auf Tonträger aufgezeichneten Gespräche wurden wörtlich transkribiert, ano-

nymisiert und laufend ausgewertet.

4. Ergebnisse

4.1. Entwicklung der Insassenpopulation

Die schweizweite Verurteilungsrate hat seit 1994 kontinuierlich zugenommen. Noch viel stärker

als bei der gesamten Population der Verurteilten nehmen Verurteilungen von Personen ab dem

fünfzigsten und dem sechzigsten Altersjahr zu. Bei den 50+-Jährigen ist zwischen 1984 und

2008 eine Zunahme der Verurteilungen wegen Vergehen und Verbrechen um 214% auszu-

machen, bei den 60+-Jährigen sogar um 249%. Hingegen haben über alle Altersgruppen be-

trachtet die Verurteilungen zwischen 1984 und 2008 nur um ca. 100% zugenommen (siehe

Abbildung 1).

Abbildung 1: Wachstum in Prozent zwischen 1984 und 2008. Vergleich Gesamtbevölkerung und Verurteilte nach Altersgruppen Quelle: Eigene Auswertungen von Daten des Bundesamtes für Statistik (2009, 2010a, 2010c)

Werden die Verurteilungen nach dem Gesetz differenziert, zeigt sich, dass sich der höchste

Anteil auf Übertretungen im Strassenverkehrsgesetz (SVG) bezieht. Von 1984 bis 2008 haben

sich die Verurteilungen nach dem SVG bei Personen ab dem 50. Altersjahr ungefähr vervier-

facht. Im Jahre 2008 entfallen bei den 50+-Jährigen 67% aller Urteile auf das SVG, bei den

60+-Jährigen 69%. Diese zwei Prozentsätze sind höher als bei der Gesamtheit aller Verurteilten

(55%). Die Verurteilungen nach dem Strafgesetz (StGB) machen bei den 50+-Jährigen 28%

und bei den 60+-Jährigen 27% aus.

Bei allen drei Altersgruppen machen die Geldstrafen den grössten Anteil aus. Ebenso wird er-

sichtlich, dass Freiheitsstrafen bei älteren Personen (50+ und 60+) einen kleineren Anteil aus-

machen als bei den übrigen Verurteilten. Bei den Freiheitsstrafen zeigt sich ausserdem, dass

24.6% 40.1% 40.9%

100.9%

214.0%249.0%

0.0%

50.0%

100.0%

150.0%

200.0%

250.0%

300.0%

Alle 18+ 50+ 60+

Wachstum in Prozent zwischen 1984 und 2008Vergleich Gesamtbevölkerung und Verurteilte 

nach Altersgruppe 

Gesamtbevölkerung Schweiz Verurteilte

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Personen 50+ und 60+ weniger unbedingte Freiheitsstrafen erhalten als das Total der Verurteil-

ten (siehe Abbildung 2). Dass sich heute dennoch immer mehr ältere Insassen im Vollzug befin-

den, lässt sich in erster Linie auf die verwahrten Insassen zurückführen (vgl. Schneeberger

Georgescu, 2006).

Abbildung 2: Anzahl Freiheitsstrafen nach Art der Strafe und Altersgruppe im Jahre 2008 Quelle: Eigene Auswertungen aufgrund von Daten des Bundesamtes für Statistik (2010b, 2010c)

Der mittlere Insassenbestand älterer Personen im Straf- und Massnahmenvollzug betrug im

Jahr 1984 für die 50+-Jährigen 212 und im Jahr 2008 402 Personen. Bei den 60+-Jährigen

befanden sich im Jahr 1984 durchschnittlich 58 Personen im Straf- und Massnahmenvollzug, im

Jahre 2008 waren es durchschnittlich 103 Personen. Insgesamt hat sich die Anzahl älterer In-

sassen zwischen 1984 und 2008 folglich verdoppelt (Bundesamt für Statistik, 2010d). Die Straf-

anstalt Pöschwies weist im Jahr 2008 mit 65 Personen 50+ die höchste absolute Zahl von Per-

sonen 50+ aus (siehe Tabelle 1).

68.2%50.8%

37.8%

6.2%

7.3%

12.2%

25.6%41.9%

50.0%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

Total 50+ 60+

Anzahl Freiheitsstrafen nach Art der Strafe und Altersgruppe im Jahre 2008

unbedingt teilbedingt bedingt

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Tabelle 1: Mittlerer Insassenbestand 2008 in ausgewählten Institutionen Anstalt Total 50+ 60+

Pöschwies 323 65 15

Champ Dollon 249 39 15

La Stampa 151 19 4

Thorberg 175 16 3

Saxerriet 91 16 3

Orbe VD 97 15 2

Anstalten Hindelbank 167 13 5

Bellechasse 145 13 4

St. Johannsen 85 11 2

Realta 74 10 4

JVA Lenzburg 39 6 1

Wauwilermoos 56 5 2

MZ Bitzi 30 5 1

UG Affoltern a.A. 65 4 2

TZ Schachen 82 2 0

Quelle: Eigene Berechnungen aufgrund von Daten des Bundesamtes für Statistik (2010d)

4.2. Gemeinsame Merkmale der alten Insassen

Die 22 befragten alten Insassen sind mit spezifischen Belastungen im Strafvollzug konfrontiert.

Sie haben gemeinsame Merkmale in Bezug auf ihre kürzere Lebensperspektive, im Vergleich

zu einem jüngeren Insassen, in Bezug auf gesundheitliche Einschränkungen, auf das Bedürfnis

zur Lebensbilanzierung, auf ihre ausgeprägte Lebenserfahrung und in Bezug auf die Pflege

sozialer Kontakte im Vollzug.

Beschränkte Zeitperspektive

Durch die Einweisung in eine Strafvollzugsinstitution wird die Lebensplanung der Insassen

durch die Trennung von der weiteren Welt unterbrochen. Die Vorstellung, diese Zeit nach der

Entlassung nachzuholen, ist für die älteren Insassen mit fortschreitendem Alter und/oder fort-

schreitender Krankheit immer schwieriger. Das folgende Zitat verdeutlicht, wie die subjektive

Zukunftswahrnehmung der befragten Insassen durch Einschränkungen des Älterwerdens ge-

prägt ist. „Ich meine, jetzt bin ich 75. Wenn ich alles absitzen muss, dann sind es noch vier Jah-

re. (…). Dann komme ich mit 79 hier raus und was mache ich dann?“

Gesundheitliche Aspekte

Zusätzlich zu den Restriktionen des Strafvollzugs sind die alten Insassen mit den Veränderun-

gen konfrontiert, die das Älterwerden mit sich bringt. Alle befragten Insassen haben kleinere bis

grössere körperliche Einschränkungen, die sich auf die Erledigungen im Alltag und auf die Ar-

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beitspflicht auswirken. Ein Grossteil der befragten Insassen ist diesbezüglich eingeschränkt

oder auf Unterstützung angewiesen.

Erzählte Biografie

Selbstpräsentationen von älteren Menschen haben gemeinsame Charakterzüge und zeichnen

sich oft durch „ein hohes Bedürfnis zur Bilanzierung“ (Rosenthal, 1995, S.138) ihres Lebens

aus. Das Ablegen von Rechenschaft und Mitteilungen über das Leben an die Nachwelt können

weitere Merkmale von Selbstpräsentationen alter Menschen sein, wohingegen im mittleren Er-

wachsenenalter mehr Lösungen aktueller Probleme im Mittelpunkt stehen (vgl. ebd.). Für die

alten Insassen besteht diesbezüglich ein spezifisches Dilemma, da sie zusätzlich zum Anspruch

einer biografischen Bilanzierung auch an Lösungen aktueller Probleme wie bspw. Stigma eines

Schuldigen, Schuld verarbeiten, Verortung der Hafterfahrung innerhalb der Biografie u.a. orien-

tieren müssen, wie folgender Insasse es auf den Punkt bringt: „Wissen Sie, ich habe trotz mei-

nen schweren Delikten, die ich begangen habe, vor allem dort in den 70er Jahren und jetzt die-

se Rückfallsachen. Trotzdem habe ich das Gefühl, ich habe doch nebenher ein gutes Leben

geführt.“

Leben vor der Inhaftierung

Alte Insassen bringen ausgeprägte Lebens-, Tätigkeits- und Berufserfahrung mit in die Instituti-

on. Die Lebensgestaltung alter Menschen wird massgeblich (und dies mit fortschreitendem Alter

zunehmend stärker) von dem bisher gelebten Leben, der biografischen Entwicklung, mitbe-

stimmt, was ebenfalls für die alten Insassen gilt. Es hat sich gezeigt, dass die individuelle Pflege

von Durchlässigkeiten der Strafanstalt, welche bei Goffman (1972) im Rahmen seiner Beschrei-

bung der „totalen Institution“ weniger berücksichtig wurden, bedeutenden Einfluss auf die Be-

wältigungsstrategien des alten Insassen hat. Unter Berücksichtigung der kürzeren Lebensper-

spektive im Vergleich mit jüngeren Insassen hat diese Durchlässigkeit insbesondere in der

Wahrnehmung des bisher gelebten Lebens und der reduzierten Lebensgestaltungsmöglichkei-

ten einen besonderen Stellenwert. Bei beschränkter Zeitperspektive sind emotionsrelevante

Ziele am wichtigsten (vgl. Carstensen, Kennedy & Mather, 2004), etwa die Präferenz von Sozi-

alpartnern, denen man emotional nahe steht, was die Bedeutung der Kontaktmöglichkeiten

nach draussen für alte Insassen unterstreicht. Die folgende Äusserung eines alten Insassen

weist auf die Bedeutung von Kontakten zu wichtigen Bezugspersonen ausserhalb des Vollzugs

und damit zum Leben vor der Inhaftierung hin: „Ich habe auch mein Leben aufgeschrieben.

Zuerst mal mit 17 Seiten die Jugend von meiner Frau, alles aus dem Kopf. (…). Jetzt habe ich

es schon ausgedruckt und den Kollegen und Freunden geschickt.“

Kontakt mit anderen Insassen

Alle befragten Insassen sind in Abteilungen oder Wohngruppen, die altersdurchmischt sind,

untergebracht. Wenn überhaupt, wird nur zu einzelnen Insassen näherer Kontakt gepflegt, wo-

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bei meistens Kontakte zur gleichen Altersgruppe als entscheidender Faktor hervorgehoben

werden. Wichtiger als einzelne Beziehungen sind jedoch explizite Exklusionen aus negativ kon-

notierten Bezugsgruppen, wie den „Dummen, Kriminellen, Ausländern, Jungen, Drögelern“,

worauf das folgende Zitat verweist: „Also das habe ich auch nicht recht gefunden. Mich haben

sie zu den grössten <Drögelern> rein geworfen, wo es nicht ruhig ist, wo gepoltert wird, die

Musik auf das Lauteste. Am viertel nach drei haben sie manchmal die Musik auf das Lauteste.

Man kann nicht schlafen.“

Kontakt mit Vollzugsmitarbeitenden

Im Gegensatz zu den Mitgefangenen sind Kontakte zu Mitarbeitenden bei den befragten Insas-

sen bedeutungsvoller. Dies tendenziell aber auch nur im Zusammenhang mit höherem Berufs-

stand oder mit der als grösser eingeschätzten Einflussnahme auf die Vollzugsverläufe (u.a. zum

Arzt, zu Personen in leitenden Funktionen, zum Pastor, zu Therapeutinnen und Therapeuten,

wobei letztere entweder positiv oder negativ konnotiert werden). Wenn der alte Insasse noch

seiner Arbeitspflicht nachgehen kann, wird der Werkmeister meistens als wichtige, u.a. auch als

vertrauensvolle Bezugsperson erwähnt. Hingegen ist die Wahrnehmung des Betreuungs- und

Aufsichtspersonals sehr heterogen (von Gesprächspartnern bis zu faulen, desinteressierten

Wärtern).

4.3. Die vier Insassentypen

Neben den genannten gemeinsamen Merkmalen, welche die alten Insassen als eine homogene

Gruppe charakterisieren, konnten auf Basis der Analysen der Insassengespräche vier unter-

schiedliche Insassentypen mit gleichen und ähnlichen Merkmalen herausgearbeitet werden. Die

Differenzierung basierte auf ihrer Lebenssituation unter den Haftbedingungen, ihren Denk- und

Handlungsweisen und auf den daraus resultierenden Bewältigungsmustern. Diese vier Typen

unterscheiden sich in ihrer Kontextwahrnehmung, in ihren internen sowie externen Ressourcen

und in ihren Handlungsstrategien im Umgang mit den Belastungen.

Der bemühte Bewahrer

Diese Insassen (n=7) zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre bürgerliche Identität bewahren

wollen. Sie sind durch hohe Sozialkompetenz gekennzeichnet, geniessen innerhalb des Voll-

zugs Respekt und Akzeptanz. Ihr Verhältnis zu den Mitarbeitenden ist weitgehend konfliktfrei,

sie distanzieren sich von der Insassengemeinschaft und pflegen die Beziehungen ausserhalb

des Vollzugs, wie folgendes Zitatbeispiel illustriert: „Eben, ich habe ein bisschen wenig Kontakt.

Weil es interessiert mich einfach nicht. Wie ich gesagt habe, es würde mich vielleicht eher be-

lasten, wenn ich weiss, der hat das gemacht. Der ist Kinderschänder oder Mörder oder… Wie

soll ich das wissen. Ich nehme die Kollegen wie sie sind. Ich sage ‚Guten Tag’ und ‚Ich wünsch

dir einen Guten’. Und damit hat es sich. Ich will nicht mehr Kontakt. Es ist ja dann auch, wenn

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man dann rausgeht und die wieder einmal draussen trifft. Es ist sicher ein besseres Gefühl,

wenn man die nicht kennt.“

Die meisten Vertreter dieser Gruppe sind Erstverurteilte im Alter, haben häufig eine Strafe mit

absehbarem Ende und blicken auf 3 bis 6 Jahre Vollzugserfahrung zurück.

Der angepasste Neubeginner

Die Insassen dieses Typs (n=3) haben sämtliche Kontakte ausserhalb des Vollzugs und damit

zu ihrem früheren Leben aktiv beendet oder aber die Kontakte wurden ihnen gegenüber abge-

brochen. Der „angepasste Neubeginner“ hat während seines Haftaufenthalts neue Beziehungen

nach draussen aufgebaut und zeichnet sich durch ausgeprägte Zurückhaltung hinsichtlich Kon-

takten innerhalb des Vollzugs aus – mit Ausnahme des Psychologischen Dienstes, dessen An-

gebote er nutzt und schätzt.

Vertreter dieses Insassentyps sind zudem bescheiden in ihren Ansprüchen. Wichtig ist ihnen,

nicht unterzugehen und unter den Haftbedingungen zu funktionieren. Forderungen an sie wer-

den akzeptiert und sie nehmen die Lern- und Resozialisierungsangebote des Vollzugs an. Es ist

zu erkennen, dass für den „angepassten Neubeginner“ ein Wandel zentral ist: von einem aus

seiner heutigen Perspektive negativ bewerteten bisherigen Leben wird die Zukunftsperspektive

hingegen als positiv gesehen, wie es folgender Insasse schildert: „Ich habe eine Freundin ge-

funden vor gut sechs Jahren. Ja genau sechs Jahren jetzt, wo ich diese Frau kenne. Ich habe

mir ein Inserat gemacht, ich habe mit jemandem Briefkontakt halten wollen. Und sie hat mir

dann geschrieben. Ich habe etwa vier oder fünf Briefe bekommen. Und sie ist die Einzige gewe-

sen, die mir wieder geschrieben hat. Und unmittelbar sind wir jetzt so weit, dass ich zu ihr woh-

nen gehen kann. Dass wir miteinander leben können und es auch schön haben.“

Alle Vertreter dieser Gruppe sind Rückfalltäter und Langzeitgefangene mit insgesamt 10 bis 30-

jähriger Vollzugserfahrung. Sie blicken mehrheitlich einem sicheren Haftende entgegen.

Der missverstandene Ausgeschlossene

Diese Insassen (n=8) verfügen über wenige Beziehungen nach draussen, haben kaum Kontakt

zu anderen Insassen und nicht selten eine konflikthafte Beziehung zum Vollzugspersonal. Sie

zeichnen sich durch fehlende Schuldeinsicht aus, sind „irrtümlich“ (geltendes Gesetz ist

falsch/oder durch Verschwörung) inhaftiert. Sie bewahren die Idee von sich selbst („ihr erkennt

mich nicht“) und verbringen ihre Zeit häufig alleine auf ihrer Zelle, bspw. mit biografischem und

rechtfertigendem Schreiben oder anderer Selbstbeschäftigung, wie folgender Insasse berichtet:

„[Ich] schreibe auf jeden Fall zwei Bücher, oder allenfalls drei. Eines über das, was jetzt da pas-

siert ist. Eines über das [XY]-Gesetz, was für... es ist kriminell, dieses Gesetz. Verfassungswid-

rig. Das dürfte es gar nicht geben. Das ist stümperisch (…).“

Alle Vertreter dieser Gruppe haben im Gegensatz zu den anderen Insassen, die häufig ihren

Anwalt erwähnen, einen Pflichtverteidiger. Dies kann ebenfalls ein Indiz für ein umfassendes

Misstrauen darstellen, auch vom Anwalt nicht richtig erkannt bzw. von ihm mit einem „falschen“

Gesetz vertreten zu werden. Speziell hinzuweisen ist auf kaum (mehr) vorhandene Kontakte.

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Die wenigen Beziehungen des „missverstandenen Ausgeschlossenen“ betonen die Exklusivität

einer Person, die sich selbst als Referenz genügt. Insassen dieses Typs waren in der Vergan-

genheit permanent mit mangelnder Akzeptanz und mit der Justiz und oft mit Medien und Öffent-

lichkeit konfrontiert. Die Haft bestätigt diese Position explizit – teils zum wiederholten Male.

Die meisten Vertreter dieses Typs sind Rückfalltäter oder aber blicken auf eine lange Haftstrafe

zurück. Viele haben zudem ungewisse Perspektiven auf ein Haftende.

Der unauffällig Resignierte

Alle Insassen dieses Typs (n=4) führten ein Leben mit multiplen Belastungs- und Problemlagen

in finanzieller, sozialer und familiärer Hinsicht. Im Unterschied zum Typ „der angepasste Neu-

beginner“ wollen oder können die „unauffällig Resignierten“ die Angebote in der Einrichtung

nicht nutzen. Insassen dieses Typs haben kaum soziale Kontakte, sowohl innerhalb als auch

ausserhalb des Vollzugs. Vereinzelte Begegnungen, die sich durch den Strafvollzugsablauf

ergeben, werden weder positiv noch negativ bewertet. Des Weiteren stellen die „unauffällig

Resignierten“ an sich selbst sowie an ihre Umwelt wenig Ansprüche. Sie sehen die Haft als eine

weitere Station, mit der man sich abfinden muss. Diejenigen, die ein Strafende in Aussicht ha-

ben, sind sich bewusst, dass sie nach ihrer Entlassung mit all den Problemen wieder konfron-

tiert sein werden, die sie bereits vor der Inhaftierung hatten, was der Insasse mit folgender

Äusserung deutlich macht: „(…) besser wäre es, wenn man es [Einbrüche] (Anmerk. Autoren)

verhüten könnte. Dann müsste man nicht in so ein Dings rein kommen. Aber es ist halt schwie-

rig. Man muss sich schampar zusammennehmen.“

Bezüglich Häufigkeit und Dauer der Haft sind die Insassen dieses Typs vergleichbar mit den

„missverstandenen Aussenseitern“ und sind folglich Rückfalltäter oder blicken auf eine lange

Haftstrafe zurück.

4.4. Herausforderungen des Vollzugspersonals in der Betreuung der alten Insassen

Die Daten der Vollzugsmitarbeitenden basieren auf 33 Interviews. Im Einzelnen sind dies 12

Gespräche mit dem Aufsichts- und Betreuungspersonal. Sie arbeiten zwischen 1,5 und 14 Jah-

re im Vollzug. Durchschnittlich schauen sie auf 9 Jahre Berufserfahrung in einer Vollzugseinrich-

tung zurück. 6 Interviews sind mit Werkmeistern, die zwischen 10 und 31 Jahre im Vollzug tätig

sind (durchschnittlich 20 Jahre), durchgeführt worden. Weitere 9 Gespräche wurden mit Mitar-

beitenden in leitenden Funktionen (Abteilungsleiter oder Direktion) durchgeführt. Sie sind zwi-

schen 2 und 23 Jahre (durchschnittlich 11 Jahre) im Vollzug tätig. Unter der Gruppe „Andere“

sind Gespräche mit 6 Mitarbeitenden subsumiert. Sie sind im Arzt- und Gesundheitsdienst, im

Sicherheits-, Sozialdienst oder als Anstaltspfarrer bzw. Anstaltsseelsorger tätig. Sie sind zwi-

schen 3 und 37 Jahren im Vollzug tätig (durchschnittlich 14 Jahre).

Die Gespräche mit den Mitarbeitenden haben gezeigt, dass sich deren Aufgaben- und Rollen-

wahrnehmungen in einem fortwährenden Spannungsfeld befinden, das mit der spezifischen

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Wechselwirkung institutioneller Vorgaben und individueller Deutungen zusammenhängt. Die

Rollenwahrnehmungen der Mitarbeitenden im Umgang mit alten Insassen sind Produkt von oft

unreflektierten Abhängigkeiten auf unterschiedlichen Kontextebenen der Arbeitssituation, be-

stehend aus subjektiven und interaktiven Gewichtungen. Aufgrund dieser Dynamik bleiben Be-

deutungen auf der einen Ebene nie ohne Auswirkung auf die anderen.

Institutionelle Rahmenbedingungen für die Arbeit mit alten Insassen aus Sicht der Mitarbeiten-

den

In allen drei untersuchten Einrichtungen befinden sich u.a. ältere Insassen, die der Arbeitspflicht

nur noch teilweise oder gar nicht mehr nachgehen können. Diese Insassen sind z.T. auf tägliche

Unterstützung und Hilfeleistungen angewiesen. Für andauernde Pflegebedürftigkeit ist keine

der drei Institutionen eingerichtet. Die drei Institutionen unterscheiden sich grundsätzlich in ihren

Zielsetzungen und den daraus resultierenden Möglichkeiten, auf diese Zielgruppe der älteren

Insassen einzugehen. Die Unterschiede ergeben sich durch die spezifischen Einrichtungs-

merkmale wie Sicherheit im geschlossenen Vollzug (GV), Öffnung im offenen Vollzug (OV) und

Massnahme im Massnahmenvollzug (MV).

Auf der institutionellen Ebene kritisieren die Mitarbeitenden einerseits die infrastrukturellen

Rahmenbedingungen für alte Insassen sowie die allgemeingültige Arbeitspflicht, wenn ein alter

Insasse dieser nicht mehr nachgehen kann. Hier fehlen mitunter Strukturen und Angebote, die

für alte Insassen als geeignet erachtet würden. Andererseits gibt es keine klar definierten Auf-

gabenanweisungen bezüglich Pflege- und Hilfeleistungen für alte Insassen. Die Mitarbeitenden

sind hier jeweils gefordert, individuelle Lösungen zu finden, wobei insbesondere beim Betreu-

ungs- und Aufsichtspersonal grössere Spannungen und Widersprüchlichkeiten hinsichtlich ihrer

Rollen- und Aufgabenwahrnehmung entstehen. Bei fehlenden Vorgaben seitens der Institution

muss sich der Mitarbeitende entweder beim Vorgesetzten absichern oder er kann die Meinung

vertreten, dass es nicht seiner Aufgabe entspricht, respektive sehr wohl zu seinem Aufgabenbe-

reich gehört. Folgender Mitarbeiter illustriert dieses Dilemma wie folgt: „Und dann müssen wir

uns wieder beim Chef absichern: Was müssen wir, und was müssen wir nicht? Also nicht unter-

lassene Hilfeleistung, sondern einfach sagen: Das ist nicht unser Stellenbeschrieb. Und da sind

wir selbst im Team so ein bisschen unter... Also die einen sagen: ‚Das mache ich, was soll das,‘

und die anderen: ‘Nein, den fasse ich nicht an, weil am Schluss sind wir dabei so einen noch

einzuschäumen unter der Dusche und auf den Hafen setzen und so. Und irgendwo hat es dann

schon ein bisschen die Grenze‘.“

Es fehlt den Mitarbeitenden mitunter an Wissen bezüglich spezifischer Altersthemen wie u.a.

Krankheitsbildern und Kenntnissen über einfache Hilfe- und Pflegeleistungen, was zu einer

gewissen Unsicherheit führen kann, was in folgendem Interviewausschnitt thematisiert wird:

„Wenn jemand gesundheitlich angeschlagen ist und intensive Pflege und Betreuung braucht,

dass dann das Personal nicht so bereit ist, diese Pflege zu übernehmen oder nicht dafür aus-

gebildet ist, oder es ungewohnt ist. (…). Ja, wo die Betreuung sagt, es sei nicht ihre Aufgabe,

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oder da sind wir nicht ausgebildet oder auch sich sträuben, weil vielleicht Berührungsängste

betreffend Pflege da sind.“

Der Tagesablauf in Straf- und Massnahmenvollzugseinrichtungen ist (wie in anderen totalen

Institutionen nach Goffmann (1972)) klar strukturiert. Von solchen Institutionen wird die Gleich-

behandlung aller Insassen erwartet oder gar vorausgesetzt. Das Praktizieren von individuellen

Lösungen, das im Umgang mit alten Insassen zunehmend notwendig scheint, stellt Mitarbeiten-

de immer wieder vor Herausforderungen, wie folgendes Zitatbeispiel zeigt: „Der Individualismus,

weil quasi jeder wieder ein bisschen anders zu behandeln ist, das ist etwas vom Schwierigsten.

Also der Individualismus, quasi, die Gefangenen mit ihrer Problemstellung nehmen können und

daraufhin reagieren zu können. Sei das jetzt z.B. mit einem Kühlschrank. Das ist ein Novum,

das gibt es hier drin nicht. Aber für ihre Medikamente, die sie brauchen im Sommer oder was

auch immer. Der eine Insasse bekommt einen Kühlschrank und der andere bekommt ihn aber

nicht. Und das immer wieder ein bisschen auszuloten, das wird noch schwierig.“

Engagement / Erwartung und Grenzen / Enttäuschung der Mitarbeitenden im Umgang mit alten

Insassen

Auf der individuellen Ebene zeigt es sich, dass die Mitarbeitenden gegenüber alten Insassen im

Vergleich zu jüngeren einerseits mehr Sympathie und Empathie haben und sich weniger Gefah-

ren ausgesetzt fühlen. Es scheint, dass die Mitarbeitenden in ihrer subjektiven Sicht mit älteren

Insassen mehrheitlich gute und befriedigende Erfahrungen machen, aber gleichzeitig implizit

auch mehr Erwartungen an sie stellen. Das folgende Zitat eines Mitarbeitenden erlaubt einen

solchen Einblick: „„Ältere Insassen sind in der Regel eigentlich ruhigere Leute, besonnenere

Leute, erfahrenere Leute in der Regel. Aber natürlich auch kranke Leute. Was speziell ist, es ist

weniger Gewaltbereitschaft, weniger Gewalt da drin. Also alte Leute behandelt man natürlich

anders als einen jungen Menschen, das ist klar. Ich weiss nicht, ob man da irgendwie ein wenig

respektvoller ist, mehr Würde hat gegenseitig, weil alte Leute, das ist ein ganz anderes Niveau,

als mit jungen Leuten zu arbeiten. Angenehm eigentlich, sehr. Also ich finde das schön, mit

älteren Leuten zu arbeiten.“

Andererseits werden die alten Insassen auch als sturer, rechthaberischer und weniger lern- und

leistungsfähig taxiert. Diese Wahrnehmung kann auch eng mit der oben dargelegten grösseren

Empathie und den positiven Zuschreibungen zusammenhängen, mit welchen die Mitarbeiten-

den die älteren von den jüngeren Insassen differenzieren. Insofern haben sie oft grössere Er-

wartungen an alte Insassen, die auch enttäuscht werden können. In solchen Fällen empfinden

die Mitarbeitenden die Arbeit mit dieser Zielgruppe als speziell „schwierig“ oder „unangenehm“,

wie folgender Mitarbeiter sich im Interview äusserte: „Schwieriger…, also schwierig wird es

dann, wenn sie wirklich dicht machen. Dicht machen…, vielmals den Lebenswillen verlieren.

Das ist so einer, den ich natürlich ein paar Mal höre. Wo sie einfach sagen: ‚He, was möchte ich

eigentlich im Alter noch? Wenn es dumm läuft, ich komme nie mehr zum Knast raus’ und dann

so das, ‚ja wirklich, ich bringe mich um’ und alles so die Geschichten. Und das wird dann

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schwierig, weil man das fast nicht mehr fangen kann. Dann spricht man dann wirklich mit einer

Wand, weil, die verschwinden dann in ihrer Welt.“

Rollen- und Aufgabenwahrnehmung der Mitarbeitenden gegenüber alten Insassen

Folglich sind die Mitarbeitenden in der Interaktion mit älteren Insassen mit unerwartet grossen

Spannungen konfrontiert, die sich zwischen Stellenbeschrieb, institutioneller Kritik, Empathie,

Distanzierung und Unsicherheiten ergeben (siehe Abbildung 3). Konkrete Handlungsorientie-

rungen fehlen und viele Mitarbeitende suchen sich deshalb in den jeweiligen Situationen ihre

individuellen, oft ambivalenten und unbeständigen Lösungen. Die Arbeit mit alten Insassen ist

eine permanente Gratwanderung zwischen dem Respekt vor der Lebensgeschichte alter Insas-

sen und dem Bewusstsein der schweren Delikte, zwischen Autonomie und Fürsorge, zwischen

Betreuung und Pflege, zwischen Gleichbehandlung und individuellen Lösungen.

Abbildung 3: Kontextebenen der Arbeitssituation von Vollzugsmitarbeitenden: Rollen- und Aufgabenwahrnehmung

Struktureller Kontext Rollen- & Aufgabenwahr-

nehmung

Gratwanderungen zwischen: - Respekt vor Lebensge-

schichte & - Bewusstsein der schweren

Delikte - Autonomie & Fürsorge - Betreuung & Pflege - Gleichbehandlung & indivi-

duellen Lösungen

Grenzen/Enttäuschung:

Engagement /Erwartung

Strukturelle Kritik

Institutionelle Ebene

Individuelle Ebene

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5. Schlussfolgerungen

Die Studie verfolgte unter anderem das Ziel, Hinweise für eine bedarfs- und problemgerechte

Planung von Vollzugsplätzen für ältere Menschen im schweizerischen Straf- und Massnahmen-

vollzug zu geben. Anhand der Ergebnisse der Forschungszugänge (sekundärstatistische Aus-

wertung und qualitative Untersuchung) sowie der vergleichenden Gegenüberstellung der Er-

gebnisse der Insassengespräche mit denen der Vollzugsmitarbeitenden lassen sich folgende

Erkenntnisse ableiten:

Der Strafvollzug sollte sich auf die Zunahme alter Insassen einstellen.

Die Zahl der Inhaftierten ab dem 50. und 60. Altersjahr nimmt stetig zu. Von 1984 bis 2008 hat

sich die Anzahl älterer Insassen verdoppelt und es kann von einer weiteren Zunahme ausge-

gangen werden.

Eine problemgerechte Unterbringung für alte Insassen ist in absehbarer Zeit

notwendig.

Die untersuchten Institutionen des Straf- und Massnahmenvollzugs verfügen bis heute über

keine spezifischen Konzepte oder Angebote für alte Insassen. Sie sind deshalb gefordert, für

diese Zielgruppe in den Vollzugseinrichtungen jeweils individuelle Lösungen zu improvisieren

und zu praktizieren. In allen drei Einrichtungen gibt es u.a. ältere Insassen, die der Arbeitspflicht

nur noch teilweise oder gar nicht mehr nachgehen können. Diese Insassen verbringen die Zeit

entweder verschlossen auf ihrer Zelle oder innerhalb der Abteilung oder Institution. Für diese

Insassen ist keine feste Tagesstruktur eingerichtet oder explizite Betreuung vorgesehen. Die

Erarbeitung spezifischer Vollzugskonzepte hinsichtlich Arbeits- und Weiterbildungsangeboten

sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebensverhältnisse eines alten Menschen ist

daher angezeigt.

Die Umgebungen sollten die Alltagsbewältigungen der alten Insassen nicht zu-

sätzlich einschränken.

Die alten Insassen haben kleinere bis grössere körperliche Einschränkungen, die sich auf die

Alltagserledigungen auswirken. Ein Grossteil der Insassen ist diesbezüglich eingeschränkt oder

auf Unterstützung angewiesen. Die nächtliche Betreuung bei dauernder Pflegebedürftigkeit ist

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in den untersuchten Einrichtungen nicht vorgesehen. Von daher zeigt es sich als notwendig,

Umgebungen zu schaffen, welche die Alltagserledigungen alter Insassen nicht zusätzlich durch

infrastrukturelle Begebenheiten einschränken (Fahrstuhl, Handläufe, Haltegriffe, hindernisfreie

Bauweise, rollstuhlgängige Zellen etc.). Ebenfalls sollten Pflege- und Hilfeleistungen durchge-

hend gewährleistet sein, wenn diese für den älteren Insassen notwendig sind.

Die Separation alter Insassen wäre von Vorteil.

Integration versus Separation wird im Zusammenhang mit alten Insassen häufig diskutiert. Ei-

nerseits wird darauf hingewiesen, dass die alten Insassen gut in die Gefangenengemeinschaft

integriert seien, womit für eine Integration plädiert wird, oder aber, dass die alten Insassen vor

den jüngeren Gefangenen geschützt und unter anderem deswegen separiert werden müssten.

Weder das eine noch das andere lässt sich anhand der Ergebnisse ableiten. Die befragten In-

sassen bevorzugen es zwar, die Zeit alleine zu verbringen, und pflegen kaum oder gar keinen

Kontakt zu jüngeren Insassen. Als Grund hierfür wird weniger die Angst vor anderen Insassen

gesehen als eher die Bedeutung der selektiven und bewussteren Wahl von Kontakten zu Per-

sonen, die den alten Insassen emotional nahe stehen. Ebenfalls kann das Bedürfnis zur Le-

bensbilanzierung, welches allgemein bei älteren Menschen festgestellt wird, eine Ursache für

deren Rückzug aus aktuellen (Problem)-Situationen sein. Aus diesen Gründen empfiehlt es

sich, alte Insassen zu separieren. Einerseits kann damit ein besserer Zugang zu Gesundheits-

und Pflegeleistungen geboten werden. Andererseits kann durch eine solche Separation das

Praktizieren von individuellen Lösungen weniger notwendig sein, respektive durch die Berück-

sichtigung personenspezifischer Lebensumstände alter Menschen sind individuelle Lösungen

für alle alten Insassen vorgesehen. Eine Separation bietet zudem strukturell die Möglichkeit,

entsprechende Altersthemen besser aufgreifen zu können – nicht nur seitens der Institution,

sondern auch im Austausch der Insassen untereinander. Des Weiteren kommt die Separation

dem Bedürfnis alter Insassen nach mehr Ruhe und „unter sich zu sein“ entgegen.

Die Vollzugsmitarbeitenden sollten im Hinblick auf die besonderen Anforderun-

gen im Umgang mit älteren Insassen geschult sein.

Die Mitarbeitenden haben auf der einen Seite keine klaren Vorgaben bezüglich Aufgaben und

Grenzen bei Hilfe- und einfacheren Pflegeleistungen gegenüber alten Insassen. Sie sind gefor-

dert, individuelle Lösungen für alte Insassen zu finden, weil institutionelle Rahmenbedingungen

zurzeit noch nicht vorhanden sind. Für die Arbeit mit dieser Zielgruppe fehlt den Mitarbeitenden

Wissen bezüglich unterschiedlicher Altersthemen (beispielsweise über verschiedene Prozesse

des Alterns, typische Krankheitsbilder, Umgang mit Sterbenden).

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Positive oder negative Altersbilder bestimmen oft Motivation und Handlung der Mitarbeitenden

im Umgang mit den alten Insassen. Ein differenziertes Verständnis bezüglich der heterogenen

Gruppe alter Insassen fehlt häufig. Die Mitarbeitenden benötigen ein handlungsleitendes Ver-

ständnis in Bezug auf die unterschiedlichen Typen alter Insassen, deren Lebenssituationen

sowie deren Bewältigungsmuster unter den Haftbedingungen. Eine Sensibilisierung der Mitar-

beitenden für solche differenzierten Orientierungen scheint erforderlich zu sein. Ebenfalls sollten

die Stellenprofile die Zuständigkeiten in Bezug auf Betreuung, Hilfe- und Pflegeleistungen expli-

zieren.

Es erscheint wichtig, eine Tagesstruktur für Insassen einzurichten, die der gel-

tenden Arbeitspflicht nicht mehr nachgehen können.

Für die Erarbeitung spezifischer Vollzugskonzepte unter Berücksichtigung der allgemeinen Le-

bensverhältnisse eines alten Menschen sowie der psychosozialen Belastungen alter Insassen

unter den Haftbedingungen gilt es, folgende Punkte zu überdenken, respektive zu berücksichti-

gen: Alte Menschen haben das Bedürfnis einer umfassenden Bilanzierung, was auch die Ziel-

gruppe der alten Insassen betrifft. Sie sind jedoch mit einem spezifischen Dilemma konfrontiert,

da sie sich ebenfalls mit Lösungen aktueller Probleme (Verortung der Hafterfahrungen innerhalb

der Biografie, Stigma eines Schuldigen, Schuld verarbeiten etc.) auseinandersetzen müssen.

Ferner machen sich viele alte Insassen Sorgen hinsichtlich ihrer Gesundheit und der abneh-

menden Kräfte unter den Haftbedingungen sowie in Bezug auf die Ungewissheit über die ver-

bleibende Lebenszeit.

Kann der Insasse aus gesundheitlichen Gründen der im Vollzug geltenden Arbeitspflicht nicht

mehr nachgehen, fehlt ihm eine Tagesstruktur und bezüglich sozialer Kontakte innerhalb des

Vollzugs eine Rolle wie diejenige des Werkmeisters als Bezugsperson. Es hat sich gezeigt,

dass der Werkmeister von alten Insassen als bedeutende Bezugsperson wahrgenommen wird,

wohingegen die Betreuer im Haftalltag als weniger wichtig gesehen werden.

Aus diesen Überlegungen empfiehlt es sich, den alten Insassen Unterstützung anzubieten zur

Verortung und Integration der Vollzugserfahrungen in ihre Biografie, beispielsweise mit Biogra-

fiearbeit. Es empfiehlt sich ebenfalls, die Rolle der Anstaltsseelsorge zu überdenken, da sie eine

wichtige Hilfe hinsichtlich der Schuldverarbeitung des alten Insassen bieten könnte. Es ist not-

wendig, eine Tagesstruktur für Insassen einzurichten, die der geltenden Arbeitspflicht nicht mehr

nachgehen können. Andere sinnstiftende Tätigkeiten sollten angeboten werden, wobei auch die

bedeutende Rolle eines Werkmeisters mit einbezogen respektive ersetzt werden sollte. Spezifi-

sche Programme oder Bildungsangebote könnten das Vertrauen der alten Insassen in den ei-

genen Umgang mit krankheits- und altersbedingten Veränderungen stärken.

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Die Pflege sozialer Kontakte alter Insassen nach draussen sollte gezielt unter-

stützt werden.

Soziale Kontakte ausserhalb der Strafanstalt haben einen bedeutenden Einfluss auf die Anpas-

sungsleistung des alten Insassen an die Haftbedingungen, dies umso mehr, weil vorhandene

Netzwerke ausserhalb der Institution den Insassen Zugang zum gelebten Leben bieten. Die

Ungewissheit über die noch verbleibende Zeit scheint zu einer bewussteren Gestaltung der

Gegenwart zu führen und somit auch zur Präferenz von Personen, die den alten Insassen emo-

tional nahestehen. Es ist von daher wichtig, dass die Möglichkeiten des alten Insassen für so-

ziale Kontakte ausserhalb der Institution gezielt unterstützt werden oder aber bspw. freiwillige

Mitarbeitende für Insassen angeboten werden, wenn dieser wenige bis keine Kontakte mehr

ausserhalb hat. Gleichzeitig gilt es sicherzustellen, dass die Vollzugseinrichtung für Angehörige

und Freunde, die unter Umständen auch altersbedingt eingeschränkt sind, erreichbar ist.

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April 2011