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Landesarbeitsgemeinschaft der AWO NRW Fachtagung zum 7. Altenbericht der Bundesregierung
«Gut leben im Alter. In NRW.» Bochum, 04.09.2017
Sozialräumliche Versorgungskonzepte und die
Konstituierung von Hilfemixen
Prof. Dr. Jutta M. Bott Fachhochschule Potsdam Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften
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Worum geht es eigentlich? Fotolia: 39215976 | DOC RABE Media; Downloadrechte erworben 23.02.2012
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Zugriff: 03.09.2017
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Ausgangssituation und Perspektive
Die Alterspyramide: 2060 1/3 der Bevölkerung > 65 Jahre + älter (14% > 80 Jahre)
Ab 2020: Die Babyboomer (* 1955 – 1965/ 69) gehen in Rente – ca. 37% der derzeitig beschäftigten Menschen in Deutschland
Langlebigkeit, aber auch Krankheit im hohen Alter: 2050 rechnet man unter anderem mit ~ 3 Mio. demenzkranken Menschen
Seit ca. 12 – 15 Jahren beschäftigen sich Politik und Gesellschaft mit dem anstehenden Struktur-wandel: Förderlinien und Forschungsprogramme
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Ausgangssituation und Perspektive
Weder Zuwanderung noch das An- und Abwerben von Menschen aus anderen Ländern werden unseren Bedarf an pflegenden Personen decken ähnliche Problematik
Markt versus Moral Leistungsversprechen des Wohlfahrtsstaates –
haltbar? 40% des gesamten Sozialbudgets fließen derzeit in Sozialleistungen für Ältere (Berlin-Institut 2014, Die Zukunft des Generationenvertrags, 2)
Logische Konsequenz: „Die Politik“ aller Ebenen musste sich dem Lebensort (im weitesten Sinne Sozialraum) der Menschen zuwenden + Lösungen suchen
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Sozialraumorientierung (SRO) als Hoffnungsträger
Sozialraum ist mehr als die Nachbarschaft, das Quartier, das Dorf oder der Kiez. Der Raum ist „Ergebnis sozialer Prozesse und damit konstruiert“: Macht- und Besitzverhält-nisse, Wechselbeziehungen zwischen physischen Orten und Sozialwelt, Zuschreibun-gen – „was wir vor Ort erleben, hat seinen Kern oft woanders.“ (Deutscher Verein 2011, 844) SRO: zunächst Kinder-/ Jugendhilfe, Quartiers-management Fokussierung auf Ressourcen der Betroffenen + „öffentliche Räume“, Träger-kooperation + Verantwortungsübernahme
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Sorge und Mitverantwortung in der Kommune
Sozialräumliche Ungleichheiten: Gesundheitliche Versorgung + soziale Teilhabemöglichkeiten sind ungleich verteilt
Prozesse der Segregation laufen über Merkmale wie Wohnlagen, Wohnraum, sozioökonomischer Status, Geschlecht, Ethnie, Alter, Lebensstil + Haus-haltstyp (7. Altenbericht 2016, 101)
Lokale Strukturen + Netzwerke so ausrichten, dass Zugangsmöglichkeiten zu Unterstützungs-strukturen allen älteren Menschen ermöglicht werden. Quartiersmanagement hat vieles vorgemacht. Leitmotive: Inklusion, Teilhabe, Diversität, Individualität
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„Wohlfahrtsmix“ als Hoffnungsträger
Wohlfahrtsmix: „mixed economy of welfare“ + die Ressourcendimension
Menschen brauchen Versorgungsangebote diverser Sektoren. (Gesundheit, Pflege, Bewegung, Wohnen bleiben können im vertrauten „Quartier“ oder … (den Kindern hinterher?), soziale Teilhabe im weitesten Sinne, Tagesstruktur u. a.) Verschiedene Leistungen verschiedenster Anbieter sind notwendig Viel betrifft das normale Leben, den Alltag
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Sozialraumorientierung und „Wohlfahrtsmix“ als Hoffnungsträger
Gemischte Formen der lebensweltbezogenen »Steuerung« und »Governance« Altenpflege Staat (Gewährleistung, Rahmenbestimmungen), „freie“ Träger (eigene Entscheidungen und Partizipation am Steuerungssystem, z. B. Pflege-konferenz), Betroffene, Familie, Freunde, u. a. (eigensinnige Akteure), bürgerschaftlich engagierte Menschen Abstimmungen der Aufgaben, Mitbestimmung im gemischten Entscheidungssystem (Deutscher Verein 2011, 979 f)
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Der Dritte Sektor im „Wohlfahrtsmix“ als Hoffnungsträger
Neu in der jetzigen Diskussion bzw. Rahmung durch den Staat: Das bürgerschaftliche Engagement wird organisch wie funktional in den Dritten Sektor – non for profit-Organisationen (NPO) – einbezogen, „quasi organisiert“ zur Bewältigung der Folge-probleme des demographischen Wandels. (Schulz-Nieswandt 2015, 71f)
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Die wirkliche Herausforderung
Die offene Gemeinde, der leidende Mensch, der Staat, die professionellen Versorgungsangebote und lokale Sorgegemeinschaften.
Vernetzung aller Akteure im „Wohlfahrtspluralis-mus“ („case- + caremanagement“), quartiers-bezogene konkretisierte und lokalisierte Sorge-gemeinschaften, die Kontinuität + Verlässlich-keit bieten müssen. größere Chancen die „Leitmotive“ zu verwirklichen
Die Kommunen, Quartiere, Sozialräume brauchen „kontinuierliche“ Netzwerker/ Moderatoren – wer finanziert das? weg von der „Projekteritis“.
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Die wirklichen Herausforderungen dieser idealen Konzepte
De-Instutionalisierung, Ambulantisierung, Quartiersgestaltung, vernetzte Privathäus-lichkeit (auch im Sinne) gemeinschaftlicher(e) Wohnformen, Rückbau/ Begrenzung des Heim-Sog-Effektes
Den Begriff des „Netzwerks“ mit Leben füllen (Anleihe nehmen bei der Psychiatrie: Konzepte wie Integrierte Versorgung, Regionalkonferenzen u. a.) Vertrauen will entwickelt sein.
Alternative Wohnformen: rechtliche Rahmen-bedingungen, ökonomische Anreize (nachhaltige Konzepte mit Kosten-Effektivität im Sinne Social Return of Investment)
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Die wirklichen Herausforderungen dieser idealen Konzepte
Mentalitäts- + Kulturwandel: Eigenlogiken von Institutionen und Trägern (echte bzw. ehrliche Kooperation, „ja gerne, aber die Größe meines Kuchenstücks muss gleich bleiben …“ die Ökonomie des Sozialen)
Mentalitäts- + Kulturwandel in der Gesellschaft: Dualität (jung + alt, gesund + krank, schön + häßlich, normal versus ? …) Alles gehört dazu!
Mentalitätswandel der Menschen im Alter (überhaupt) tragfähig: Offenheit + Souveränität, Gelassenheit, Phantasie + Kreativität, Annahme von Hilfe, Grenzüberschreitung zum Neuen + Andersartigen
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Vortragsende einmal anders Matthias Brandt, 3./4. Sept. 2016
Süddeutsche Zeitung Nr. 204, Gesellschaft | Das Interview
Vieles gelingt auch – oft still und leise! Trotzdem … „Ich glaube, dass wir grundsätzlich ein etwas seltsames
Verhältnis zum Scheitern haben. … Das liegt an diesem Selbstoptimierungsquatsch, diesem elenden Effizienz-denken. Man versucht systematisch, das Scheitern aus unserem Leben auszublenden. Nur weil irgendjemand mal die Behauptung aufgestellt hat, das dürfe nicht sein. Alles, was nicht gelänge, sei nichts wert: Aber wer sagt das eigentlich? Für mich ist Scheitern wesentlich, ich habe alles Wesentliche durch das Scheitern gelernt. … Vielleicht ist das ja das Geheimnis des Scheiterns: Über die Sachen, die schiefgehen, erfährt man meist mehr über Menschen als über die Sachen, die gelingen. Sie sind ergiebiger.“
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Der Sozialraum + der „Mix“ werden nicht alle Probleme lösen, aber sie sind der richtige Ansatz. Es kommt neben
strukturellen Aspekten + guten, auch ungewöhnlichen Ideen vor Ort (alles nutzen was da ist, einbinden)
auf die handelnden Menschen an.
Vielen Dank. Jutta M. Bott
Fotolia: 39215976 | DO
C R
ABE Media;
Dow
nloadrechte erworben 23.02.2012
Realitäten + Utopien in den Blick nehmen, Zukunft gestalten!
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Anregungen zum Thema Abschlußbericht mit vielen Anregungen, Instrumenten zum Vorgehen im
ländlichen und städtischen Sozialraum: Bott, Jutta M. et al. (Hrsg.) (2013): „Gut leben im (hohen) Alter – Konzepte sozialraumorientierter Unterstützung von Selbstsorge, Selbstorganisation und Vernetzung im demographischen Wandel.“ Mit Beilage: Nothacker, Gerhard: Versicherungs- und haftungsrechtliche Perspektiven im Ehrenamt und im bürgerschaftlichen sozialen Engagement Download: https://www.fh-potsdam.de/fileadmin/user_upload/fb-sozialwesen/forschung_und_kooperationen/projekte/silqua/1-BMBF-Fkz17S05X09_SilquaPotsdam_Abschlussbericht_Anhang.pdf
Bott, Jutta M. (2014): Netzwerksarbeit und Selbstorganisation im demographischen Wandel. Eine praxisorientierte Arbeitshilfe. Berlin: Verlag des Deutschen Vereins, H. 20, ISBN: 978-3-7841-2521-3. https://www.deutscher-verein.de/de/der-buchshop-des-dv-fachbuecher-sozialhilfe-und-sozialpolitik-1552.html?PAGE=artikel_detail&artikel_id=77
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Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (2014): Die
Zukunft des Generationenvertrags. Wie sich die Lasten des Generationenvertrags gerechter verteilen lassen. Berlin.
Deutscher Bundestag (2016): Siebter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften und Stellungnahme der Bundesregierung. Drucksache 18/10210. Berlin.
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. (Hg.) (20117): Fachlexikon der sozialen Arbeit. Baden-Baden: Nomos.
Schulz-Nieswandt, Frank (2015): Bürgerschaftliches Engagement im Kontext kommunaler Daseinsvorsorge. In: Exner, Sandra; Richter-Kornweitz, Antje et al. (Hg.), Silver-Age, Versorgungsfall oder doch ganz anders? Perspektiven auf Alter(n) und Altsein erweitern! Baden-Baden: Nomos. 58 – 77.
Quellen