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Späher der Krolocs

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Nr. 379

Späher der Krolocs

Heimdalls Kampf gegen die Fremden

von Peter Terrid

Nach der Zwischenlandung auf Loors, dem Planeten der Brangeln, ist der Konti­nent Pthor-Atlantis längst wieder zu einem neuen Flug durch die Dimensionen des Kosmos gestartet.

Leider ist es Atlan trotz allergrößtem persönlichen Einsatz nicht gelungen, die Steuerung Pthors in seinem Sinn zu beeinflussen. Der Kurs des Kontinents wird so­mit von den mysteriösen Beherrschern der Schwarzen Galaxis bestimmt – und nach allem, was man von ihnen weiß, liegt es auf der Hand, daß die Unbekannten mit Pthor und seinen Bewohnern nichts Gutes im Sinn haben.

Die Zukunft sieht also nicht gerade rosig aus für Atlan und seine Mitstreiter. Alles, was sie gegenwärtig tun können, ist, die Lage auf Pthor zu stabilisieren und eine ge­wisse Einigkeit unter den verschiedenartigen Clans, Stämmen und Völkern herbeizu­führen.

Die angestrebte Einigkeit der Pthorer ist auch bitter nötig, wie die durch den Zwangsaufenthalt Pthors im Korsallophur-Stau bewirkten Ereignisse bald beweisen.

Pthor bekommt es mit einem neuen Gegner zu tun – mit den Beherrschern der Trümmerwelten. Vorbote einer drohenden Invasion dieses Gegners ist der SPÄHER DER KROLOCS …

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Die Hautpersonen des Romans:Mayzca Fell - Ein Scout der Krolocs.Heimdall - Der Odinssohn kämpft um sein Leben.Kröbel - Heimdalls Freund und Diener.Atlan - König von Pthor.Germinal - Ein Pirat, der vom Pech verfolgt wird.

1.

Kurz nach dem Erreichen des Zieles be­merkte Mayzca Fell, daß etwas mit seiner Spaccah nicht stimmte. Zum einen wurde die Steuerung plötzlich außerordentlich schwergängig, zum anderen traten gewisse Kursinstabilitäten auf, die ihn befremdeten.

Mayzca Fell war darüber nicht im minde­sten beunruhigt.

Es kam vor, daß Spaccahs defekt wurden. Aber das war keine Katastrophe. Schließlich handelte es sich bei der Spaccah um eine Kroloc-Konstruktion, und am Steuer saß ein Kroloc – was also sollte passieren? Undenk­bar, daß an einer Spaccah Schäden auftraten, die ein leidlich gewandter Kroloc nicht be­heben konnte.

Probeweise zog Mayzca Fell an der Steuerung.

Die Spaccah stieg ein wenig in die Höhe. Mayzca Fell fiel auf, daß der Hebel ein we­nig hakte. Und der Anstieg fiel ebenfalls nicht so geschwind aus, wie er es hätte sein müssen.

»Lappalien«, murmelte der Kroloc. Von solchen Kleinigkeiten ließ er sich na­

turgemäß nicht beeindrucken. Er wußte, daß er sich auf sein Gefährt verlassen konnte. Und er wußte vor allem, daß er sich auf sich selbst verlassen konnte.

Unter ihm lag das fremde Land. Der Kroloc hatte einige Schwierigkeiten

gehabt, bis sich sein Gesichtssinn an die Verhältnisse dieses merkwürdigen Gebildes gewöhnt hatte. Die Luft über dem Land war bemerkenswert klar. Er wußte, daß diese Welt – auch wenn sie nur aus einem Stück Land bestand – sehr bald den Krolocs gehö­ren würde.

»Herrlich!« freute sich Mayzca Fell. Wenn die Welt so dumm war, sich in den

Korsallophur-Stau zu begeben, dann war es ihre Schuld, wenn sie von den Krolocs er­obert wurde. Mayzca Fell wußte allerdings nicht, woher die Welt, die er überflog, plötz­lich aufgetaucht war. Und er wußte auch nicht, ob der Herr dieser Welt vielleicht nicht schon sehr bald auf den Gedanken kommen würde, die Welt ebenso überra­schend verschwinden zu lassen, wie sie im Korsallophur-Stau aufgetaucht war. Indes war Mayzca Fell fest davon überzeugt, daß er auch dieses Problem würde lösen können.

Der Kroloc ließ die Spaccah ein Stück sinken.

Er murmelte eine leise Verwünschung. Das Gefährt reagierte ungewohnt. Nun, er würde auch dieses Problem in den Griff be­kommen.

»Vielleicht liegt es an dem Feld?« Mayz­ca Fell wußte nicht genau, ob er ein Feld durchquert hatte oder nicht. Gesehen hatte er nichts. Aber die Belastungsanzeige des Durchdringungsfelds war für einen kurzen Augenblick in die Höhe geschnellt. Es sprach dafür, daß es ein weiteres Energiefeld gab, das die neue Welt einhüllte oder über­wölbte. Dafür sprach auch die klare Luft, durch die sich die Spaccah des Krolocs be­wegte.

Möglich, daß die fremdartige Energie des Energieschirms der Spaccah geschadet hatte und ihr Leistungsvermögen beeinträchtigte. Das hieß natürlich nicht, daß der Kroloc ernsthaft gefährdet gewesen wäre. Genauge­nommen konnte man einen Kroloc über­haupt nicht gefährden.

Es würde – Mayzca Fell rechnete die De­tails kurz durch – ziemlich einfach sein, die Welt zu übernehmen. Viele Bewohner konn­

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te es nicht geben, und der Kroloc wußte zu­dem, daß er einer Spezies angehörte, deren biologisches Potential erheblich größer war als das anderer Gattungen. Vielleicht gab es auf der neuentdeckten Welt eine Rasse von sauerstoffatmenden Zweibeinern. Mayzca Fell erinnerte sich, daß dies ein sehr weit verbreiteter biologischer Bauplan war; die Krolocs waren Wesen dieses Musters schon einige Male begegnet – und, selbstverständ­lich, war diese Begegnung für die Krolocs ein Sieg gewesen.

Die Spaccah bockte. Mayzca Fell wunderte sich ein wenig.

Dergleichen hatte er in seiner Tätigkeit als Scout noch nie erlebt.

Er fragte sich, ob die anderen Scouts vor ähnlichen Problemen standen. Insgesamt waren sechsunddreißig Scouts unterwegs, die diese Welt ausforschen und den Angriff vorbereiten sollten.

Obwohl der Flug der Spaccah immer in­stabiler wurde, spürte der Kroloc keinerlei Angst.

Angst, das war ein Gefühl, dessen Mayz­ca Fell nur in sehr eingeschränktem Maße fähig war. Angst, das hätte bedeutet, daß ein Kroloc mit einer schwierigen Lage nicht fer­tig wurde, daß er womöglich eine Niederla­ge erlitt. Dinge dieser Art waren zwar denk­bar, aber praktisch ausgeschlossen. In der Sprache der Krolocs gab es den Begriff Nie­derlage nur in einer untrennbaren semanti­schen Verbindung mit der Bezeichnung ei­ner Fremdrasse. Daß ein Kroloc eine Nie­derlage einsteckte, war ausgeschlossen.

Der Kroloc stieß einen leisen Pfiff aus. Er konnte zwar nicht besiegt werden, aber

er konnte einen Unfall erleiden. Vielleicht war es ratsam, die angeschlagene Spaccah irgendwo zu landen, um die erforderlichen Veränderungen vornehmen zu können. Auch das Wort Reparatur war im Wortschatz des Krolocs nicht enthalten.

Mayzca Fell sah sich um. Er überflog zu diesem Zeitpunkt eine

Wasserfläche. Die Küste kam gerade in Sicht. Zur Linken konnte Mayzca Fell ein

Peter Terrid

Gebirgsmassiv erblicken, weit entfernt, die Gipfel nebelumwölkt.

Als er die Küste erreichte, sah er links un­ter sich eine Ansiedlung. Der präzise arbei­tende Verstand des Krolocs erfaßte sofort, daß es sich bei dieser Anordnung von Gebil­den um eine Siedlung der Eingeborenen handeln mußte. Das Konstruktionsschema war zwar überaus primitiv – aber mehr hatte Mayzca Fell auch nicht erwartet. Nicht nur die Krolocs waren im Universum einzigar­tig, auch die Kroloc-Architektur suchte ih­resgleichen.

Mayzca Fell entschloß sich, die Stadt in Ruhe zu lassen.

Nicht, daß er sich gefürchtet hätte vor den Einwohnern der Siedlung! Daß sie häßlich waren, stand von vorneherein fest – sie wa­ren schließlich keine Krolocs. Und daß sie es mit einem ausgewachsenen Kroloc nicht aufnehmen konnten, war ebenso selbstver­ständlich.

Indes hätten die Wilden die erforderlichen Veränderungen zur Rückgewinnung kroloc­scher Flugeigenschaften hinauszögern kön­nen. Mayzca Fell aber war nicht gewillt, sol­che Verzögerungen hinzunehmen. Er hatte, einfach ausgedrückt, keine Lust, sich mit den Eingeborenen herumzuschlagen.

Mayzca Fell suchte nach einem anderen Landeplatz für sein Gefährt.

Irgendwo im Innern der Spaccah begann es zu knistern. Ein Geruch stieg auf, der dem Kroloc überhaupt nicht gefiel. Sollte jemand versucht haben, seine Spaccah zu sabotie­ren?

Anders ließ sich nicht erklären, daß die Leistungen des Gefährts immer mehr zu wünschen übrig ließen. Die Geschwindig­keit nahm ab, und die Bedienungshebel lie­ßen sich immer schwerer bewegen. Irgend etwas hakte und klemmte in der Spaccah.

»Sabotage!« stieß der Kroloc hervor. Es gab keine andere Interpretation. Der

Schaden mußte von einem der Sklaven ver­ursacht worden sein. Vermutlich ein Wahn­sinniger, der nicht begreifen wollte, daß die Herrschaft der Krolocs im Korsallophur­

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Stau etwas völlig Natürliches war, unabän­derlich wie das Schicksal selbst.

Es gab natürlich naive, unterentwickelte Wesen, deren Gehirnstrukturen nicht genü­gend ausgereift waren, um diesen Sachver­halt begreifen zu können. Wesen dieser Art brachten in die logischen Gedankengänge der Kroloc-Politik völlig irrationale Kompo­nenten hinein, mit denen sich in der Praxis überhaupt nicht operieren ließ. Was hieß Freiheit? Es war nichts weiter als ein Hemmfaktor für eine geordnete Verwaltung des Korsallophur-Staus. Unabhängigkeit? Das bedeutete nur, daß unterentwickelte Wesen das Recht beanspruchten, sich selbst zugrunde zu richten.

Und einige wenige Primitive gingen in ih­rer geistigen Verwirrung so weit, aktiv ge­gen die Krolocs zu arbeiten. Sie schlichen sich in die Reihen der Arbeitskräfte ein und verübten Sabotageakte. Zwar war die Kro­loc-Technik eigentlich viel zu ausgereift, um überhaupt störanfällig zu sein, aber ab und zu gelang es doch, eine Spaccah oder ein an­deres Gerät krolocischer Fertigung so zu be­schädigen, daß es den Dienst versagte.

Mayzca Fell murmelte eine Verwün­schung.

Er würde unter Umständen tatsächlich auf der Primitivwelt, die er überflog, notlanden müssen. Ein entsetzlicher Gedanke, aber lei­der nicht von der Hand zu weisen.

Aus den Ritzen quoll Rauch, ein Anblick, der Mayzca Fell über die Maßen irritierte.

»Verrat«, murmelte er. »Sabotage.« Aus dem hinteren Teil der Spaccah dran­

gen schmetternde Geräusche. Der Rauch wurde dichter. Er verwehte im Fahrtwind, aber das nahm dem Vorgang nichts von sei­ner Gefährlichkeit.

Die Stadt hatte Mayzca Fell längst hinter sich gelassen. Er überlegte, ob er umkehren sollte. Der Sabotageakt schien die Spaccah erheblich in ihrer Funktionstüchtigkeit be­einträchtigt zu haben. Unter Umständen war es ratsam, sich der Hilfsdienste der Eingebo­renen zu versichern. Mayzca Fell verspürte wenig Lust, sich selbst anzustrengen, um die

Spaccah wieder flugtüchtig zu machen. Auf der anderen Seite konnte er nicht wissen, ob das Gesindel da unten überhaupt genügend intelligent war, die einfachsten Zusammen­hänge zu begreifen.

Als ein Funkenbüschel auf dem Armatu­renbrett zu tanzen begann, hatte Mayzca Fell einen Entschluß gefaßt. Er würde landen, und das möglichst rasch.

Tief unter sich erkannte Mayzca Fell eine Straße. Das gab ihm einen ersten Hinweis auf den Kulturstand der Einwohner. Die Eingeborenen verwandten also Fahrzeuge, die eines gebahnten Weges bedurften. Ver­mutlich wurden diese Gefährte von Tieren gezogen, die noch unter den Eingeborenen standen, was ihren Intellekt anging.

Auf deren anderen Seite waren die Einge­borenen offenbar auch in der Lage, Energie­felder zu erzeugen. Er entsann sich des Zei­gerausschlags beim Anflug auf diese Welt.

Nun, man würde sehen. Mayzca Fell ließ seine Spaccah langsam

absinken. Er suchte nach einem geeigneten Platz für die Landung.

Rechts von der Straße sah der Kroloc eine Steppe, die einen unbewohnten Eindruck machte. Dieses Gelände schien dem Kroloc wenig passend für eine Landung – man hätte ihn beim Abstieg sehen und genau orten können. Es würde besser sein, sich nach links zu halten.

Die Spaccah sank tiefer. Sie schwebte nur noch knapp einhundert Meter über der Stra­ße, deren Verlauf sie folgte. Noch immer er­klangen aus dem Inneren des Gefährts ge­fährliche Geräusche, quoll Rauch aus den Ritzen, und der Geruch verriet immer deutli­cher, daß es höchste Zeit wurde für eine Landung.

Mayzca Fell verließ den Weg, den die Straße vorzeichnete. Die Spaccah flog nach links. Mayzca Fell ließ sie noch tiefer sin­ken.

Jede Bewegung der Bedienungshebel ko­stete Kraft, und der Kraftaufwand wurde mit jedem Augenblick größer. Der Kroloc konn­te sein Gefährt kaum noch unter Kontrolle

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halten. Der Boden schien näher zu kommen. Mayzca Fell knurrte. Mit aller Kraft zerrte

und riß er an den Hebeln. Die Spaccah wur­de langsamer, stieg aber wieder ein Stück in die Höhe. Mayzca Fell versuchte den Kurs zu korrigieren. Die Spaccah wurde noch langsamer. Sie kippte am Vorderende etwas ab, blieb aber im Kurs. Fünfzig Meter betrug nun die Distanz zwischen dem Boden und der Spaccah. Noch arbeiteten die Aggregate, stotternd zwar und mit immer größer wer­denden Schwierigkeiten, aber sie funktio­nierten noch.

»Tiefer!« murmelte der Kroloc. Die Spaccah senkte sich langsam dem Bo­

den entgegen … Und dann setzten die Aggregate aus, alle

zugleich, mit einem Schlag. Die Spaccah jagte in einem flachen Bogen

dem Boden entgegen – flach, weil die Ge­schwindigkeit des abstürzenden Gefährts noch außerordentlich hoch war.

Mayzca Fell blieb ruhig. Er wußte, daß die Maschinen der Spaccah

ihren Dienst wieder aufnehmen würden. Und wirklich, stotternd setzten die Aggrega­te ein, zu spät aber, um den Sturz der Spac­cah noch in eine sanfte Landung umzuwan­deln.

Mit donnerndem Krachen schlug das Ge­fährt auf dem Boden auf. Mayzca Fell wurde aus seinem Sitz geschleudert. In hohem Bo­gen flog er durch die Luft. Da er erheblich leichter war als die Spaccah, flog er auch er­heblich weiter als sein Gefährt. Etwa fünfzig Meter jenseits der Stelle, an der die Spaccah schmetternd zum Stillstand kam, landete der Kroloc auf dem Boden, überschlug sich eini­ge Male und blieb dann regungslos liegen.

Daß er nicht die Besinnung verloren hatte, nahm Mayzca Fell als günstiges Zeichen. Es bewies ihm zum einen seine Unverletzlich­keit, zum anderen war dies ein deutlicher Hinweis darauf, daß der Aufprall auf diese Welt nicht allzu hart ausgefallen war. Der Sabotageakt war also fehlgeschlagen.

Mayzca Fell raffte sich auf und ging zur

Peter Terrid

Aufschlagsstelle zurück. Entgegen seiner Vermutung sah die Spac­

cah alles andere als wohlbehalten aus. Im Gegenteil, sie wirkte schwer angeschlagen. Mayzca Fell brummte etwas, dann machte er sich daran, sein Gefährt etwas genauer zu untersuchen. Er mußte aufpassen dabei – durch die Metallteile der Spaccah bewegten sich Kriechströme, die jede Berührung zu ei­ner Gefahr machten.

Recht bald mußte Mayzca Fell einsehen, daß er allein nicht in der Lage sein würde, die Spaccah wieder flugfähig zu machen. In diesem Fall gab es für den Kroloc nur eine Möglichkeit: Er mußte ein paar Arbeitskräf­te auftreiben. Zu dem Entschluß, seine Ge­fährten, die gleich ihm als Scouts diese Welt auskundschafteten, um Hilfe zu bitten, konnte er sich einstweilen noch nicht durch­ringen. Das verbot ihm seine Selbstachtung.

2.

»Haste hurtig, häuslicher Helfer«, befahl Heimdall. »Koche Kräutertee in der Kupfer­kanne.«

Kröbel verdrehte die Augen. »Was bin ich?« zeterte er.

»Dienstmädchen, hä? Hausgehilfe, wie? Ich bin Kröbel, der skullmanenteste aller skull­manenten Magier. Ich …«

»Du wirst tun, was ich dir sage«, schalt Heimdall. Der Odinssohn hob etwas die Stimme.

»Nu, werde ich halt Tee kochen«, zeterte Kröbel weiter. Er entfernte sich eilig. Er war zwar mit Heimdall befreundet, aber noch nie waren sämtliche Aspekte dieser Zweierbe­ziehung wirklich ausgelotet worden. Der kleine Magier hatte auch ersichtlich keine Lust, herauszufinden, was er sich dem Od-inssohn gegenüber erlauben durfte – schließ­lich konnte er sich einige Dinge vorstellen, die sich der Odinssohn mit ihm erlauben konnte, und diese Dinge waren nicht sehr angenehm.

Heimdall ging in dem Raum unruhig auf und ab.

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Sorgen bedrückten den Göttersohn und verdüsterten seinen Sinn. Noch hatte er sich mit dem plötzlichen Auftauchen seines ver­schollenen Vaters nicht abfinden können. Noch weniger paßte ihm, was sich in der letzten Zeit auf Pthor zugetragen hatte.

»He, Kröbel!« Der Magier erschien wieder. Von seinen

Händen stieg Dampf auf. Das Wasser für den Tee war also schon heiß.

»Was hältst du von dem Neuen König von Atlantis, Magier?«

Kröbel breitete die Arme aus. »Ich weiß es nicht, Göttersohn. Dein Va­

ter hat ihn eingesetzt zum König, und brave Söhne gehorchen ihrem Vater.«

»Sehe ich brav aus?« Heimdall grinste breit, als Kröbel eifrig

nickte. Der Odinssohn maß fast zwei Meter und

war breitschultrig und muskulös genug, daß man zwei wohlgestaltete Recken aus ihm hätte schnitzen können. Sich den verschlos­senen, düsteren Heimdall als folgsamen Sohn vorzustellen – dazu gehörte eine aus­schweifende Phantasie.

Kröbel verschwand für kurze Zeit, dann kehrte er zurück, schwer an einem großen Tablett tragend. Heimdall entdeckte auf dem Tablett nicht nur den gewünschten Tee. Er entdeckte vor allem eine Portion Schweine­braten und – besser noch – einen Humpen köstlichen Biers.

»Wohlgetan, mein Freund«, sagte der Göttersohn.

Er setzte sich an den Tisch und griff nach dem Tee. Mit einem Zug schüttete er das Gebräu in sich hinein, dann spülte er gründ­lich mit dem Bier nach.

»Dieser Atlan«, sagte er undeutlich, »will meinen Schatz bekommen. Ich soll ihm alle Teilstücke des Parraxynths ausliefern, alle!«

»Ja, ja«, sagte Kröbel traurig. »Ich frage dich, Kröbel. Soll ich?« Der kleine Magier war sichtlich verwirrt.

Fragte der Göttersohn ihn tatsächlich um Rat? Der große, gewaltige Odinssohn? Ihn, den kleinen Magier? Kröbel begann über das

ganze faltige Gesicht zu strahlen. Endlich je­mand, der seine skullmanenten Fähigkeiten recht zu würdigen wußte.

»Nun«, begann der Magier. Er schluckte entgeistert, als Heimdall ihm ein Stück des Schweinebratens hinüberschob. Die Portion war größer als der spitzbärtige Kopf des Ma­giers. »Du hast deinem Vater versprochen, dem neuen König gegenüber loyal zu sein. Und es würfe ein wahrlich schlechtes Licht auf dich, würde bekannt, daß du es an Ge­horsam dem Vater gegenüber fehlen ließest.«

»Papperlapapp«, knurrte Heimdall. »Der Gehorsam gegenüber dem Vater verpflichtet mich nicht, wie ein ausgemachter Narr zu handeln. Ewigkeiten lang habe ich die Bruchstücke des Parraxynths gesucht und zusammengetragen. Ich denke nicht daran, sie diesem …«

»Er ist der König«, warf Kröbel ein, be­vor sich Heimdall einer Majestätsbeleidi­gung schuldig machen konnte.

»Er bekommt sie nicht. So wahr ich Heimdall heiße.«

Der Magier wiegte den Kopf mit den vie­len Falten im Gesicht. Sein Bart zitterte.

»Ist es ratsam, den neuen König zu rei­zen?« gab er zu bedenken.

Heimdall setzte den leeren Humpen hart auf der Tischplatte ab. Sein Gesicht war ein wenig gerötet.

»Was bleibt mir anderes«, empörte er sich. Kröbel zuckte zusammen, als er den Odinssohn brüllen hörte. »Es sind schon ei­nige Dellos zum Lettro unterwegs. Sie sol­len den Schatz abholen. Meinen Schatz!«

Er griff zu seiner Waffe. Die Streitaxt, Khylda genannt, lag ihm gut in der Hand. Im Kampf bildeten Mann und Waffe eine Ein­heit, die Tod und Verderben in die Reihen der Gegner trug und ihre Scharen lichtete.

»Ich werde den Weißbäuchen die Schädel einschlagen«, behauptete er. Probeweise schwang er die Khylda. Zischend zuckte die Schneide durch die Luft.

»Zum einen nützt das nicht viel, zum an­deren wirst du den König damit erzürnen. Er

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wird Dellos hierher entsenden, bis dir vom Köpfeeinschlagen der Arm erlahmt.«

»Auch richtig«, knurrte Heimdall. Mit den Fingern strich er sich erkaltetes Braten­fett aus dem Schnurrbart. »Was also rätst du mir?«

Kröbel setzte sich auf. »Ich habe gesucht«, verkündete er. »Ich

suchte ununterbrochen, in Skullmanenz so­zusagen, nach einer Lösung für dieses Pro­blem, das ich selbstverständlich schon früh erkannte. Behalten kannst du den Schatz nicht, jedenfalls nicht im Lettro. Ausliefern willst du ihn ebenfalls nicht. Also bleibt nur noch eine Lösung.«

Der zwergenhafte Magier strahlte. »Du mußt dir deinen Parraxynth-Schatz stehlen lassen.«

»Was?« Heimdall sprang auf, in der Rechten die

todbringende Waffe. Seine Augen starrten den Magier unheilverkündend an.

»Spottest du meiner?« »Nicht doch«, wehrte Kröbel ab. Er strich

sich durch den Spitzbart. »Ich meine, daß du dir deinen Schatz offiziell stehlen läßt. Wenn dieser Atlan anfragt, dann sind deine Bruchstücke des Artefakts verschwunden, gestohlen – von den Gordys beispielsweise.«

Heimdall kniff die Augen zusammen. »Und was ist in Wirklichkeit passiert?« »Ich habe da ein paar Freunde«, gab Krö­

bel bekannt. Ihm war anzusehen, wie sehr er den Auftritt genoß. »Piraten.«

»Es wird immer besser«, murrte Heim­dall. »Soll ich meinen Schatz, ausgerechnet den Piraten ausliefern?«

»Diese Piraten sind meine Freunde«, er­klärte Kröbel. »Sie hausen in der Nähe des Taambergs, und sie werden deinen Schatz hüten, als handle es sich um ihr Leben. Denn wisse, sie fürchten meine magischen Fähig­keiten.«

»Kein Wunder, daß sich die Piraten ins Gebirge zurückgezogen haben«, bemerkte Heimdall anzüglich. »Laß mich raten – sie sind auch wasserscheu, diese Piraten?«

»Höhne nicht, Heimdall«, erwiderte Krö-

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bel selbstbewußt. »Und wenn sie nicht die Furcht vor meinen skullmanenten Praktiken im Zaum hält, dann werden dein Name und deine Streitaxt sie zu zügeln wissen. Jeden­falls ist dein Schatz dort vorläufig sicher. Es gibt in den Höhlungen des Taambergs genü­gend gute Verstecke.«

»Das läßt sich hören«, murmelte Heim­dall. Er stand auf und setzte seine unruhige Wanderung wieder fort. »Und du haftest für die Zuverlässigkeit der Piraten?«

»Gegen geringes Entgelt werden sie den Schatz hüten«, versprach Kröbel. »Ich bürge dafür mit meinem Kopf!«

Der Blick, mit dem Heimdall den schmächtigen Magier taxierte, verriet, daß dem Odinssohn diese Bürgschaft alles ande­re als glaubhaft erschien. Indes wußte er, welchen Ruf er bei den Piraten genoß. Sie würden es nicht wagen, den Hort anzutasten.

»Wohlan«, murmelte Heimdall. »Es sei. Wie willst du die Sache bewerkstelligen?«

»Ich werde in Orxeya ein Gespann Yas­sels und einen Wagen beschaffen, dazu eini­ge vertrauenswürdige Fuhrleute.«

»Noch mehr Mitwisser?« »Ich hafte auch hier, Odinssohn.« Heimdall kniff die Augen zusammen. In

diesem Fall mußte er sich voll und ganz auf den Magier verlassen, der sich selbst als den skullmanenten Magier bezeichnete – eine et­was unklare Beschreibung, von der Kröbel selbst behauptete, sie schließe die Vollkom­menheit der Magie ein. Heimdall hatte da seine Zweifel.

»Mache dich auf den Weg, Wicht!« sagte er dann.

Kröbel katzbuckelte kurz und zog sich zu­rück. Einer Sorge war Heimdall ledig, dafür aber waren andere Probleme aufgetaucht.

Atlan, der König von Pthor, hatte Invasi­onsalarm gegeben. Eine fremde Macht schickte sich an, Atlantis zu erobern. Heim­dall war zu erfahren, um diese Bedrohung leichthin abzutun. Die Erfahrungen der letz­ten Zeit hatten ihn gelehrt, die Zukunft mit einer gewissen Skepsis zu betrachten.

»Alles übel ballt sich zusammen«, mur­

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melte der Hüne. Er verließ den Raum und schritt durch die

Gänge und Flure des Lettros. Ein Besucher hätte das Innere des Lettros als überdimen­sionale Rumpelkammer bezeichnet, eine heruntergekommene Junggesellenbude be­trächtlichen Ausmaßes. Heimdall fühlte sich, soweit er überhaupt solchen Gedanken­gängen nachhing, wohl in seinem Lettro. Ihm paßte das bunkerähnliche Äußere der Unterkunft, ihm behagte der muffige Geruch in den Gängen, der Staub und die Unord­nung.

Ordentlichster Raum im Lettro war die Schatzkammer.

Nachdenklich schritt der Odinssohn durch den Raum, über die weißen, hochglänzenden Fliesen, die sich mit anderen abwechselten, die aus edlen Metallen oder Steinen bestan­den. Annähernd dreihundertsechzig Qua­dratmeter groß war die Halle, in der Heim­dall seine Kostbarkeiten verwahrte.

Es waren Statuen, Bilder, Malereien, Reli­efs – Beutestücke aus allen Zeiten und allen Himmelsgegenden, Kunstwerke von wilder, barbarischer Schönheit, passend zum Cha­rakter eines Mannes, der von den drei Od-inssöhnen der schweigsame, düstere, brüten-de war. Heimdall war Odins älterer Sohn, ein grimmiger Einzelgänger, umwölkt von einer unsichtbaren Aura des Unheils, die ihn auf Pthor zum Einsamen machte, dem jeder aus dem Weg ging. Heimdall war ein Mann, der seine Lust am Kampf hatte, der lachte, wenn es in den Streit ging, jubelte, wenn er die fürchterliche Streitaxt schwang, dem das Geklirr von Stahl auf Stahl als Musik erschi­en. Wenn er nicht stritt, brütete er dumpf, mißtraute er allem und jedem, kannte er nur eine Beschäftigung – die Suche nach weite­ren Bruchstücken des Parraxynths, die er seiner Sammlung einverleiben konnte. Wer sich ihm in den Weg zu stellen wagte bei dieser Suche, verlor meist Leib und Leben.

Heimdall schaltete die Beleuchtung seiner Prunkstücke ein.

Die Bruchstücke des Parraxynths waren in einem goldschimmernden Gestänge befe­

stigt; Heimdall hatte versucht, das Puzzle dieser Bruchstücke zu lösen. Der erste Blick auf die Sammlung mußte allerdings schon einem oberflächlichen Beobachter zeigen, daß diese Versuche nicht sehr weit gediehen war.

Uneingeweihte wären erstaunt gewesen, hätten sie in diesem Augenblick das Gesicht des schwarzhaarigen Hünen sehen können.

Der Parraxynth-Schatz war Heimdalls kostbarster Besitz. Sagen rankten sich um die Teile des Artefakts, Märchen umwoben die dunkelgrauen, metallischen Stücke mit ihren verwirrenden Inschriften, Bildern und Symbolen.

Es hieß, das Geheimnis von Pthor – und gab es ein größeres Geheimnis als dieses? – werde gelöst, sobald es jemandem gelänge, alle Bruchstücke in seinen Besitz zu bringen und richtig zusammenzufügen.

»Niemals!« flüsterte Heimdall. Seine Stimme vibrierte vor Erregung.

Diesen Schatz aufgeben, verlieren, auslie­fern an einen Emporkömmling? Ziel und In­halt eines Lebens war dieser Schatz, erwor­ben unter Mühen und Martern. Viele Men­schen hatten ihr Leben lassen müssen, bis die Kleinodien in diesem Raum zu Heim­dalls Sammlung zusammengestellt worden waren. Und wäre es nach Heimdall gegan­gen – er hätte noch oft mit freudigem Ge­brüll die fürchterliche Khylda geschwungen, um die Sammlung größer zu machen.

Die Göttersöhne waren ihrem Vater erge­ben, aber so weit ging die Demut nicht, daß Heimdall sich gutwillig von seinem Schatz getrennt hätte. Auch Loyalität hatte ihre Grenzen. Heimdall war nicht gesonnen, wie ein Narr zu handeln. Er hätte jeden verlacht, der in vergleichbarer Lage den Abgesandten des Königs die Schätze ausgeliefert hätte. Wenn sich der König von Pthor selbst auf­gemacht hätte, wenn er vor dem Eingang des Lettro erschienen wäre, wenn er Heimdall gebeten hätte, selbst Hand angelegt, Samm­lung und Sammler gelobt hätte …

In diesem Fall hätte sich Heimdall viel­leicht erweichen lassen. Aber so?

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Der Odinssohn schüttelte den Kopf. Er würde dem König ein Schnippchen

schlagen. Wenn die Dellos kamen, würde er ihnen erklären, die Kostbarkeiten seien in seiner Abwesenheit geraubt worden. Es wä­re nicht das erste Mal gewesen, daß man versuchte, sich der Schätze des Lettros zu bemächtigen. Warum sollte dieser Versuch nicht gelungen sein?

Heimdall lachte grimmig. Die Sache malte sich in seinen Gedanken

immer besser. Denn: war der Schatz verschwunden, be­

kam der König ihn nicht. Das war Vorteil Nummer eins. Obendrein würde der König wahrscheinlich sehr böse werden, aber nicht auf einen widerborstigen Heimdall, sondern vielmehr auf die vermeintlichen Diebe des Schatzes. Vorteil Nummer zwei stellte sich so dar, daß Heimdall eine vorzügliche Gele­genheit geboten wurde, einen seiner Feinde anzuschwärzen – die Gordys beispielsweise –, die dann die Wut des neuen Herrschers von Pthor auszuhalten hatten.

»Vorzüglich«, freute sich Heimdall. »Arglistig, boshaft, niederträchtig – mit ei­nem Wort: famos.«

Er nahm den Entschluß, die Gordys mit dem Diebstahl zu belasten zurück. Nicht, daß es ihm keine Freude gemacht hätte, die verruchte Sippe und den neuen König auf­einanderzuhetzen – wer weiß, vielleicht konnten die Gordys Atlan gar besiegen? – aber sein Ehrgefühl verbot ihm solche Infa­mie. Den Feind im offenen Kampf erschla­gen, das war ehrenhaft, männlich, anständig. Ihn zu übertölpeln, ging an; Kriegslisten wa­ren erlaubt. Aber dieser Streich ging unter die Gürtellinie – und für solche Späße war Heimdall nicht zu haben.

»Wo bleibt nur dieser Magier?« rätselte Heimdall.

Er verließ die Schatzkammer. Er schritt durch die Gänge, Flure, Korridore des Lett­ros, daß die Decke zu zittern schien.

»Kröbel!« rief Heimdall donnernd. »Heda, Magier!«

Kröbel meldete sich nicht. Eine Weile

Peter Terrid

suchte Heimdall den Magier im Innern des Lettros, dann verließ er seine Behausung. Draußen war es hell. Heimdall schloß erst einmal die Augen, um sich an den grellen Sonnenschein zu gewöhnen.

»Hier bin ich, Heimdall!« rief ihm eine dünne Stimme entgegen, unschwer als das Organ Kröbels zu erkennen; es war so schwächlich wie der Benutzer der Stimme.

»Dies sind Kruust und Gangleer, Fuhrleu­te aus Orxeya«, stellte Kröbel vor. Er deute­te auf zwei Orxeyaner, die Heimdall ins Au­ge faßte. Unwillkürlich faßte er die Khylda fester, als er daran dachte, daß er diesen bei­den seinen Schatz anvertrauen sollte. Die beiden Fuhrleute schienen unter dem Blick förmlich zusammenzuschrumpfen.

»Ihr wißt«, begann Heimdall seine kurze Ansprache, »weshalb der skullmanente Ma­gier Kröbel euch angeheuert hat. Und ihr wißt hoffentlich auch, was euch bevorsteht, wenn ihr mein Vertrauen mißbraucht. Wahr­lich, Heimdall bin ich, Odins Sohn, und mei­ne Rache ist fürchterlich.«

»Wir wissen Bescheid«, antwortete der Orxeyaner, den Kröbel als Kruust bezeich­net hatte. Er schien der Tapfere von beiden zu sein. Vielleicht gehörte ihm das Sechser­gespann Yassel und der vierrädrige Wagen. Auf der Ladefläche lag eine schmuddelige Plane, groß genug, ein Fuder Heu damit ab­zudecken.

»Wir transportieren einige … Haushalts­gegenstände … zum Taamberg«, sagte Kru­ust. »Dafür werden wir bezahlt, und wir werden auch darüber schweigen. Gut so?«

»Denkt daran, wenn ihr wieder einmal schlechtes Bier in euch hineinschüttet. Ich werde jeden von euch finden, wo immer er sich auch versteckt, wenn ihr das Gelübde brecht.«

»Können wir jetzt anfangen?« fragte Kru­ust. »Wir wollen dieses Gebiet so bald als möglich verlassen, bevor jemand Wind von der Sache bekommt.«

»Kröbel, zeige ihnen den Weg!« »Ich eile, Gebieter und Freund«, antwor­

tete der Magier. »Folgt mir.«

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Heimdall bewachte das Gespann, wäh­rend die beiden Fuhrleute und Kröbel sich daranmachten, die Bruchstücke des Parra­xynths auf den Wagen zu laden. Mehr als die Parraxynth-Teile wollte Heimdall nicht in Sicherheit bringen lassen. Er wußte, daß sich Atlan nicht sehr für die restlichen Kost­barkeiten von Heimdalls Museum interes­sierte.

Die Fuhrleute hatten schwer zu schleppen an den Teilen. Es schepperte und klirrte, wenn sie ihre Last auf dem Wagen abluden.

Heimdall behielt derweil die Landschaft im Auge, jederzeit gewärtig, einen Angriff auf sein Eigentum abzuschlagen.

Daher sah er das merkwürdige Gebilde ziemlich früh.

Es tauchte am Himmel auf, klein, schei­benförmig, huschte über das Land und ver­schwand wieder.

»Was ist das?« murmelte Heimdall. Er packte die Khylda fester.

»Los, Leute, ladet nicht so langsam!« feu­erte er die Orxeyaner an.

Irgend etwas stimmte nicht. Dieses Ding, das mit hoher Geschwindigkeit über ihn hin­weggehuscht war – es gehörte nicht zu Pthor.

Und es hatte ausgesehen, als sei das Ding in der Nähe des Lettros niedergegangen.

3.

Ärgerlich stieß Mayzca Fell das Trüm­merstück mit dem Fuß an.

Er hatte sich ein wenig verrechnet. Die Spaccah ließ sich nicht reparieren. Nicht von ihm, und – wie er erbittert hatte feststellen müssen – auch nicht mit Hilfe der Eingebo­renen, die er in der Nähe vermutete. Die »Beeinträchtigungen« waren derartig, daß sie nur mit hochwertigem Werkzeug und Material zu beseitigen waren. So hochwerti­ges Material herzustellen, vermochten natür­lich nur Krolocs und die ihnen untertanen Völker, keinesfalls die Eingeborenen dieser Primitivwelt. Was den Kroloc am meisten verdroß, war die Tatsache, daß auch das

Funkgerät defekt war. Er hätte damit – mög­licherweise – Hilfe herbeirufen können. An­dererseits wußte er, daß die anderen Scouts die Welt längst verlassen hatten. Folglich konnten sie ihm gar nicht zu Hilfe kommen.

Mayzca Fell ging mit sich zu Rate. Es konnte nichts schaden, wenn er sich

ein wenig genauer auf diesem merkwürdi­gen Gebilde umsah, das da so plötzlich im Korsallophur-Stau aufgetaucht war. Mayzca Fell konnte vielleicht schon herausfinden, zu welchen Hilfsarbeiten die Einwohner zu ge­brauchen waren, wenn die Welt erst einmal erobert worden war.

Der Kroloc beschäftigte sich noch einmal kurz mit seiner Spaccah, dann machte er sich auf den Weg.

Wohin er sich wenden sollte, war ihm nicht ganz klar. Er nahm sich vor, die nähere Umgebung des Landeplatzes auszukund­schaften. Als er in seinem Gedächtnis kram­te, erinnerte er sich, einige Augenblicke vor der Landung über ein Gebilde hinweggeflo­gen zu sein, dessen regelmäßige Gestalt die Vermutung nahelegte, daß es sich um ein Kunstprodukt handelte – möglicherweise ein Gebäude.

Gebäude und Lebewesen gehörte zusam­men. Wenn Mayzca Fell sich mit den Einge­borenen beschäftigen wollte, dann hatte er in diesem Gebäude die besten Möglichkeiten dazu. Dieser Weg war sogar noch besser als ein Marsch zur nächstgelegenen Großsied­lung der Eingeborenen. In den Bauten drängten sich die Eingeborenen in der Regel derart zusammen, daß man völlig den Über­blick verlieren konnte. In dem kleinen Nest hingegen vermutete der Kroloc nur wenig Eingeborene, und mit denen fertig zu wer­den traute sich Mayzca Fell selbstverständ­lich zu.

Die Landschaft, durch die er zu wandern hatte, entsprach nicht ganz seinem Ge­schmack, aber sie war erträglich. Überhaupt hatte diese Welt einige reizvolle Landstriche zu bieten, Grund genug also, sie den Krolocs botmäßig zu machen.

Unterwegs stieß Mayzca Fell auf einige

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Eingeborenen, bei deren Beurteilung er sich nicht ganz sicher war, ob es sich um die füh­rende Spezies des Landes handelte oder nicht. Ganz sicher konnte man bei solchen Beurteilungen nie sein – es war den Krolocs schon einige Male unterlaufen, daß sie Le­bewesen für eine intelligente Spezies gehal­ten hatten, die nicht einmal in der Lage wa­ren, die Sprache der Krolocs zu erlernen – und das war schließlich eine ziemlich einfa­che Aufgabe, da die Sprache der Krolocs nur etwa dreißig verschiedene Fälle kannte.

Auch daß die Eingeborenen beim Anblick des Krolocs davonstoben, konnte nicht als sicherer Beweis gewertet werden – das pas­sierte den Krolocs mit den meisten Wesen, mit denen sie erstmalig in Kontakt traten.

Mayzca Fell war sehr mit sich zufrieden, als er die Geräusche hörte.

Zum einen bewiesen sie, daß in Marsch­richtung etwas geschah, und zum zweiten bewiesen sie, daß Mayzca Fell bei seinem Marsch sehr präzise die Richtung zu dem Nest eingehalten hatte. Dies war selbst für einen Kroloc eine bemerkenswerte Leistung. Mayzca Fell war mit Recht stolz auf sich selbst. Wenn sich der Rest des kleinen Abenteuers ähnlich kurzweilig gestaltete, konnte es ihm recht sein.

Vorerst hielt sich der Kroloc zurück. Seinen Anzug hatte er bei der Spaccah zu­

rückgelassen, er hatte nur seine Waffe mit­genommen. Diese Ausrüstung mußte genü­gen, zusammen natürlich mit dem prachtvol­len Körper des Krolocs, der eine furchtbare Waffe für sich darstellte.

Die Krolocs hatten den im Universum einmaligen Vorteil, schon auf Grund ihrer körperlichen Beschaffenheit unbesiegbar zu sein. Mayzca Fell handelte also keineswegs leichtsinnig, als er sich nur mit einer Ener­giewaffe ausgerüstet dem Gebäude näherte.

Der Anblick stürzte den Kroloc ein wenig in Verwirrung.

Was er von der Spaccah aus gesehen hat­te, entpuppte sich tatsächlich als Gebäude – aber als ein Gebäude recht eigentümlichen Zuschnitts. Es wirkte wie ein roter Kasten,

Peter Terrid

massig, wuchtig, ungeschlacht. Es sah einer Festung ähnlicher als einer Unterkunft, die sich ein Wesen, gleichgültig, wie es beschaf­fen war, als Wohnung aussuchen würde. Was Mayzca Fell sah, war ein Klotz aus Ge­stein, etwa zwanzig Meter hoch, über zwei­hundert Meter lang und etwa halb so breit.

Mayzca Fell schielte um eine Ecke. Vor dem Eingang des Kastens – wenn

man die Lücke in dem roten Massiv so nen­nen wollte – stand ein grobschlächtiges Ge­fährt. Vor den Karren waren sechs weißfelli­ge Vierbeiner angeschirrt worden.

Zum erstenmal sah Mayzca Fell einen Eingeborenen des Planeten. Es waren Zwei­beiner.

Mayzca Fell kannte diesen biologischen Bauplan. Die Krolocs hatten ab und zu mit Weichhäutigen zu tun gehabt. Der Scout schüttelte sich. Jedesmal, wenn er ein sol­ches Geschöpf sah, überkam ihn der Ekel. Seine Vermutung, die er beim Anflug be­reits gehabt hatte, war also richtig gewesen. Weichbäuche, widerliche Gestalten. Am schrecklichsten waren die Jungtiere und die Art, wie sie freigesetzt wurden. Anstatt hüb­sch sauber, hygienisch und ästhetisch in ei­nem Ei zu reifen …

Mayzca Fell zog es vor, sich nicht an die Bilder zu erinnern, die er in den Schulungs­programmen hatte über sich ergehen lassen müssen. Was er jetzt sehen mußte, reichte vollauf, ihm ein handfestes Gefühl der Übel­keit zu verschaffen. Und wie groß die Weichbäuche waren!

Mayzca Fell zog es vor, zunächst einmal zu beobachten. Die Eingeborenen waren of­fenbar mit wichtigen Dingen beschäftigt – wichtig selbstverständlich nur aus ihrer eige­nen Sicht. Sie luden Gegenstände auf das Gefährt. Mayzca Fell faßte die Ladung schärfer ins Auge.

Was er sah, verwunderte den Kroloc. Die Eingeborenen schleppten Schrott. Sie

trugen schwere metallene Stücke aus dem Innern des Hauses, und nach den Grimassen und Gebärden zu schließen, die sie bei die­ser Verrichtung machten, mußte es sich um

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ungeheuer wertvollen Schrott handeln. Sie behandelten die Trümmer irgendeines grö­ßeren Gegenstandes aus Metall mit einer Ehrfurcht, die jeder Beschreibung spottete. Mayzca Fell nahm an, daß es sich bei den Trümmern um die Scherben irgendeiner lo­kalen Gottheit handelte, obwohl die Splitter eher aussahen, als gehörten sie zu einem überdimensionalen Kessel, der geplatzt war.

Mayzca Fell amüsierte sich im stillen über die Bemühungen der Eingeborenen. Moch­ten sie sich nur abmühen, ihre Anstrengun­gen mußten vergebens sein. Sobald erst die Herrschaft der Krolocs auf dieser Welt ein­gerichtet war, hatten die örtlichen Götter, Götzen und Dämonen ausgespielt. In religiö­sen Dingen kannten die Krolocs keinerlei Toleranz.

Die Wilden rackerten sich vor den Augen des Krolocs ab, bis der Wagen beladen war. Danach zerrten sie eine Plane über die Lade­fläche. Die beiden mittelgroßen Weichbäu­che und der Gnom mit der Flechte an der oberen Extremität trieben die Zugtiere an. Der Wagen setzte sich in Bewegung.

Zurück blieb lediglich ein hochgewachse­ner Weichbauch, der offenbar das Komman­do über den Stamm hatte. Jedenfalls hatte er lauter geschrien als die anderen Weichbäu­che, und gearbeitet hatte er ebenfalls nicht. Ein deutlicheres Zeichen für die Ranghöhe des Hünen ließ sich kaum denken. Der Kro­loc nahm sich vor, sich mit diesem Weich­bauch zu beschäftigen. Wenn er den Anfüh­rer des kleinen Stammes besiegt hatte, wür­de der Rest ein Kinderspiel sein.

*

Nachdenklich sah Heimdall hinter dem Gespann her.

Ihm behagte dies alles nicht sonderlich. Es schmerzte ihn, daß er seine Schätze nicht mehr unmittelbar unter Kontrolle hatte, daß er sich nicht täglich nach Herzenslust an dem Anblick weiden konnte. Und daß künf­tig ein anderer den unmittelbaren Zugriff zu den Kostbarkeiten haben sollte, gefiel dem

Odinssohn ebenfalls nicht. »Nicht zu ändern«, murmelte er. Hauptsache war, daß der kostbare Parra­

xynth-Schatz in Sicherheit war. Jetzt konn­ten die Dellos des neuen Königs anrücken, Heimdall war vorbereitet.

»Spuren«, murmelte der Odinssohn. »Einbrecher hinterlassen Spuren, und der Wagen hat auch Spuren hinterlassen.«

Er sah nach oben. Es würde wahrschein­lich bald regnen, die Spuren des Wagens brauchte er also nicht zu verwischen, das würde die Natur selbst besorgen. Aber er nahm sich vor, für Spuren im Innern des Lettros zu sorgen.

Heimdall ging in seine Behausung zurück. Ohne Umwege suchte er die Schatzkam­

mer auf. Die Fuhrleute aus Orxeya hatten sich zusammengerissen; vermutlich hatte Heimdalls zarter Wink mit der Khylda ihren Eifer beflügelt. Sie hatten jedes einzelne Bruchstück des Parraxynth sehr behutsam aus den Halterungen gelöst und zum Wagen transportiert.

»Einbrecher werden kaum so rücksichts­voll sein«, stellte Heimdall nüchtern fest.

Es tat ihm fast körperlich weh, aber er hatte keine andere Wahl. Er mußte in seiner eigenen Schatzkammer die Spuren eines Eindringens erzeugen.

Ein Hieb mit der Khylda versetzte das Gestell in Schwingungen, an dem die Parra­xynth-Teile befestigt worden waren. Ein zweiter Hieb ließ die ersten Rohre, geknick­ten Strohhalmen gleich, durch die Luft wir­beln. Heimdall wütete, als gelte es, alle Feinde der Welt auf einmal zu erschlagen. Statuen barsten unter seinen Hieben, hölzer­ne Tanzmasken krachten halbiert auf den Boden. Töpfe zersplitterten, Glas wurde zer­krümelt, auf dem Boden häuften sich die Trümmer. Rücksichtslos wütete der Hüne in seinen Beständen. Die Gordys hätten nicht übler hausen können, wäre es ihnen gelun­gen, in Heimdalls Lettro einzudringen.

Als der Odinssohn seine Bemühungen endlich einstellte, bot die Schatzkammer ein Bild des Grauens – Trümmer, Scherben,

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Splitter, wohin das Auge blickte. Nur wer sich in der Sammlung wirklich auskannte und den Wert der Stücke zu beurteilen ver­mochte, konnte sehen, daß wirklich wertvol­le Exemplare unbeschädigt geblieben waren. Heimdall hatte zwar einem Besessenen gleich gewütet, aber er hatte sein Hirn dabei benutzt. Unter Trümmerhaufen versteckt lag nun, was ihm ans Herz gewachsen war von den restlichen Schätzen. In Einzelteile zer­spellt hatte er nur Piedestale, Postamente, Sockel, Halterungen und minderwertigen Krempel. Der Trümmerhaufen in der Schatzkammer war jedenfalls von beein­druckender Größe. Heimdall legte sich die Khylda auf die Schulter und musterte das Bild der Verwüstung. Er konnte mit sich zu­frieden sein.

»Bier!« murmelte der Odinssohn. »Jetzt brauche ich Atzung und Labe. Hurtig herbei, Helfer des Haushalts!«

Indes bekam er keine Antwort, und er ent­sann sich, Kröbel zum Taamberg geschickt zu haben. In den nächsten Tagen mußte er sich selbst behelfen.

Immerhin hatte Kröbel Bier auf Vorrat gebraut. Heimdall suchte ein wenig und fand ein ganzes Faß.

Er leckte sich die Lippen. Einem Mann mit seinen Körperkräften

fiel es nicht schwer, den Behälter zu schul­tern. Ohne große Mühe konnte Heimdall das Faß in den nächstbesten Raum schleppen, der ihn zum Zweck des Faßleerens geeignet schien. In der Küche, die fortwährend einen Anblick bot, der an den des Schatzsaals erin­nerte, entdeckte der Göttersohn dann noch ein Stück Schweinebraten im Ofen. Kröbel hatte seinen Herr, Gebieter und Freund nicht vergessen; er hatte gewußt, daß in den Le­genden die Unsterblichen in Walhall beim nimmerendenden Schweinebraten saßen, ein Odinssohn folglich stets einen solchen Bra­ten vorrätig haben mußte.

Heimdall machte es sich auf einer Liege bequem. Mit Heißhunger ging er den Braten an, den quälenden Durst bekämpfte er mit etlichen Humpen des dunklen Bieres, das

Peter Terrid

Kröbel so vortrefflich zu brauen verstand. Müdigkeit überkam den Hünen, als er das

Faß zur Hälfte geleert und den Schweinebra­ten zur Gänze verspeist hatte. Ächzend und schnaubend streckte sich Heimdall auf der Liege aus. Wenig später war er eingeschla­fen.

*

Er erwachte von einem Geräusch, das im Innern des Lettros nichts zu suchen hatte.

Mit einem Schlag war Heimdall hellwach. Sein Mißtrauen regte sich sofort.

Und wieder erklang das Geräusch. Irgend jemand tappte im Lettro herum. Heimdall hatte niemanden eingeladen – und Kröbel kannte sich in Heimdalls Behausung bestens aus. Er brauchte nicht wie ein Betrunkener umherzutappen. Die Dellos würden es nicht wagen, einfach in das Haus einzudringen, ohne vorher durch viel Lärm die Kunde von ihrer Anwesenheit verbreitet zu haben.

Die logische Schlußfolgerung aus den Ge­räuschen konnte also nur lauten: Es war ein Fremder eingedrungen.

Gastfreundschaft war für Heimdall selbst­verständliche Pflicht. Er stand auf und griff nach der Khylda, um den ungebetenen Ein­dringling auf seine Art willkommen zu hei­ßen. Heimdall war entschlossen, dem Besu­cher den Aufenthalt im Lettro unvergeßlich zu machen.

»Warte, Wicht«, murmelte der Odins­sohn.

Er versuchte herauszufinden, wo der Fremde stecken mochte. Das Lettro war groß, der Möglichkeiten gab es viele. Heim­dall hörte genau hin, dann glaubte er sich seiner Sache sicher zu sein.

Auf leisen Sohlen schlich der Hüne der Quelle des Geräusches entgegen. Es hörte sich an, als treibe sich der Fremde in der Schatzkammer herum. Der Einbrecher, den Heimdall so mühevoll vorgetäuscht hatte, schien sich nun tatsächlich eingefunden zu haben. Die Khylda summte leise, Heimdall grinste erwartungsvoll.

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15 Späher der Krolocs

Der Fremde war tatsächlich in der Schatz­kammer, und er war das häßlichste Lebewe­sen, das Heimdall jemals untergekommen war.

Der Eindringling sah aus wie eine ins Rie­senhafte vergrößerte Spinne mit einem dicken Hauptkörper, grau mit schwarzen Flecken darauf. Die Kreatur stand auf vier dünnen, anscheinend haarigen Beinen. Ober­körper und Kopf schienen ein Ganzes zu sein. Heimdall sah acht schwarze Augen, die starr und unbeweglich in dem gelbweißen Oberkörper saßen.

Und er sah den länglichen Gegenstand in einer der beiden Hände des Eindringlings, auch wenn diese Hand nichts weiter war als eine dreigliedrige Klaue.

Niemand brauchte dem Odinssohn zu sa­gen, zu welchem Behuf eine Riesenspinne einen länglichen, metallisch glänzenden Ge­genstand mit sich herumschleppte.

Heimdall sprang zur Seite, und noch im Sprung warf er die Khylda. Sie mußte das Ungetier halbieren, wenn sie traf.

Mit einer Reaktionsgeschwindigkeit, der den Reflexen des Odinssohns in nichts nach­stand, schnellte sich auch der Eindringling zur Seite. Er versuchte dabei allerdings, mit seiner Waffe auf Heimdall zu zielen. Daher prallte die Khylda mit voller Wucht auf den Stab in der Klaue der Riesenspinne. Schep­pernd flogen beide Gegenstände in einen entfernten Winkel.

»Hab' ich dich!« frohlockte Heimdall. Er warf sich auf den Fremden. Mitten im

Sprung traf ihn der Schuß, der sich aus der Waffe des Eindringlings löste.

Heimdall spürte, wie sich seine linke Kör­perhälfte in ein Flammenmeer zu verwan­deln schien. Der Schmerz trieb ihm einen Schrei über die Lippen. Krachend landete Heimdall auf dem Boden, und blitzschnell fegte eines der Beine der Spinne heran und traf Heimdall in der Leibesmitte. Der Odins­sohn knickte stöhnend zusammen.

Noch einmal trat der Fremde zu, und dies­mal traf er Heimdall am Kopf. Der Körper des Hünen wurde schlaff. Er hatte das Be­

wußtsein verloren.

4.

Mayzca Fell betrachtete den Weichbauch zu seinen Füßen.

Es war immer wieder dasselbe mit diesen Primitiven. Wahrscheinlich hatte der Glat­thäutige den Lärm gehört, den Mayzca Fell gemacht hatte – absichtlich, um ihn heranzu­locken. Und der Narr war dem Kroloc dann auch brav in die Falle gelaufen. Mayzca Fell kam so zu dem Ergebnis, daß sich die Be­wohner des Landes dazu eigneten, versklavt zu werden. Hoffentlich würden sie sich die­ser Ehre bewußt werden und sich entspre­chend benehmen.

Immerhin, Mayzca Fell mußte einräumen, daß der erste Angriff des Weichbauchs ihn ein wenig überrascht hatte. Die Reflexe des Weißhäutigen waren nicht übel. Immerhin hatte er dem Kroloc die Waffe aus der Hand schlagen können, und das war mehr, als Gegner üblicherweise fertigbrachten.

Mayzca Fell ging zu seiner Waffe hinüber und nahm sie wieder an sich. Sie war ein wenig verbeult, von dem Gegenstand, den der Fremde geschleudert hatte.

Jetzt erst konnte Mayzca Fell die Waffe des Weichbauchs sehen. Es war eine Streita­xt, eine gefährliche Waffe, die unter Um­ständen einem unbewaffneten, betäubten, gefesselten Kroloc gefährlich werden konn­te.

Mayzca Fell überlegte, ob er den Fremden nicht einfach töten sollte, verletzt war er schon, wie das Blut auf dem Boden bewies. Ihn zu töten war nicht nur einfach, sondern vielleicht auch mildtätig. Mayzca Fell konn­te dem Weichbauch unnötige Schmerzen er­sparen.

Auf der anderen Seite waren solche Mild­tätigkeiten nicht die Aufgabe eines Kroloc-Scouts, und der kurze Kampf hatte dem Kro­loc deutlich gezeigt, daß er den Weichbauch gleichsam mit dem linken Hinterbein erledi­gen konnte. Wozu sich also große Gedanken um ihn machen?

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Mayzca Fell beschloß, den Bewußtlosen oder Sterbenden liegen zu lassen. Gefährlich werden konnte er nicht, erst recht nicht, wenn man ihm seine Waffe abnahm.

Mayzca Fell steckte die Streitaxt zu sich und verließ den Raum, der wie ein Schlacht­feld aussah. Vermutlich war hier etwas ex­plodiert, wahrscheinlich der Kessel, dessen Trümmer die Weichbäuche auf dem Wagen fortgeschafft hatten. Der Raum sah verheert aus.

Mayzca Fell machte sich daran, die ande­ren Räume zu durchsuchen.

Das Gebäude war erstaunlich weitläufig, und Mayzca Fell mußte nach einiger Zeit verwundert feststellen, daß diese Anlage of­fenbar nur von diesem einen Wesen be­wohnt wurde. Das war erstaunlich und gab dem Kroloc zu denken.

Gewisse Bräuche waren überall im Uni­versum gleich, zumindest im den Krolocs bekannten Teil des Universums, und das war praktisch das ganze Universum – glaubte der Kroloc. In dem bekannten Teil des Univer­sums also wurden gewöhnlich Individuen, die sich von ihren Gefährten durch einen hö­heren Rang unterschieden, in größeren Be­hausungen untergebracht, ja, anhand der Wohnungsgröße ließ sich der Rang des be­treffenden Individuums ziemlich einfach ab­lesen – es sei denn, in der Behausung war ei­ne größere Menge Brut zu verstauen. Aber in diesem Fall lebte offenbar dieses Indivi­duum ganz allein in dem Riesenbau. Und Mayzca Fell hatte mit eigenen Augen gese­hen, daß es in einiger Entfernung – zirka fünfunddreißig Kilometer, schätzte der Kro­loc – eine Siedlung gab, in der offenbar sehr viele Eingeborene auf relativ engem Raum zusammen leben mußten. Der Kroloc folger­te aus diesen Tatsachen, daß er in dem Be­wußtlosen offenbar ein besonders wichtiges, ranghohes Exemplar gefangen hatte. Dafür sprach auch die Körpergröße des Weichbäu­chigen.

Hatte Mayzca Fell womöglich den Herr­scher dieser Welt überwältigt?

»Ich werde sehen«, fiepte Mayzca Fell.

Peter Terrid

Er beschloß, sich vorerst in diesem Ge­bäude zu verbergen, bis die Invasion der Krolocs begann. Er freute sich schon auf die Reaktion seiner Gefährten, wenn er bereits wenige Stunden nach Beginn des Angriffs das Oberhaupt der Eingeborenen gefangen abliefern konnte. Ruhm und Ehre würde ihm zuteil werden, er würde ein Großer unter den Großen der Krolocs sein.

In einem der vielen Räume des Gebäudes entdeckte Mayzca Fell etwas, das ihn inter­essierte.

Der Raum war halb leer. Zu sehen war nur eine Liege, ein kleiner Tisch, auf dem eine Kerze im Halter stand, und eine Bretter­konstruktion an der Wand.

Interessant für Mayzca Fell war, daß in dieser Bretterkonstruktion zum einen merk­würdige rechteckige Gebilde standen, für die er in seinem Gedächtnis den Ausdruck »Bücher« fand, zum anderen waren diese Bücher verdeckt von einem Gewebe, daß unzweifelhaft von einem Verwandten stammte.

Mayzca Fell sah sich kurz um und fand auch bald den Erzeuger des Gewebes. Zu seinem Leidwesen ließ sich der Artgenosse auf keine Unterhaltung ein. Er war oben­drein entsetzlich klein geraten, vielleicht so­gar stumm. Nach kurzer Zeit gab Mayzca Fell seine Bemühungen auf.

»Hochmütiger Schnösel«, schnaubte Mayzca Fell und verließ den Raum. Einige Räume weiter fand er Nahrungsmittel, die ihm behagten. Zwar war der Raum entsetz­lich dunkel, selbst für die feinen Augen ei­nes Krolocs, dafür aber roch es in dem Raum nach erlesenen Delikatessen. Mayzca Fell gönnte sich eine ausgiebige Eßpause.

In einem hölzernen Behältnis fand sich nach kurzem Suchen eine schwärzliche Flüssigkeit. Wasser schien es in dem Gebäu­de überhaupt nicht zu geben, und Mayzca Fell war sich nicht ganz sicher, ob sich der Bewohner des Hauses von dieser Flüssigkeit ernährte oder sich damit wusch oder ob es sich gar um Körperausscheidungen … man konnte nie völlig sicher sein bei diesen

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Weichbäuchen. Sie taten die widerlichsten Dinge und hielten ihr ekelhaftes Gebaren so­gar noch für normal.

Mayzca Fell nahm eine kleine Probe von der Flüssigkeit. Sie schmeckte ziemlich bit­ter, der Gesamteindruck aber war nicht übel. Mayzca Fell stillte seinen Durst, der recht groß war, an der Flüssigkeit. Er sagte sich, daß es genaugenommen ziemlich gleichgül­tig war, was er trank, vorausgesetzt, es schmeckte ihm.

Nach diesem kleinen Aufenthalt setzte der Kroloc seine Durchsuchung fort.

Immer neue Einzelheiten erregten sein In­teresse.

Da war die Vorratskammer, gefüllt mit dem Fleisch zahlreicher Tiere. Da waren Räume, angefüllt mit Fässern, die jene wohl­schmeckende Flüssigkeit enthielten, von der Mayzca Fell so reichlich genossen hatte.

In einem anderen Raum, düster, stickig, verstaubt, fand der Kroloc auf einem Pult ein aufgeschlagenes Buch. Auf einem fla­chen Tisch neben dem Pult stand eine Kri­stallkugel in einer Halterung. Quer über dem Buch lag ein Stab aus Kupfer. Probeweise nahm Mayzca Fell den Stab auf.

Plötzlich begann die Kristallkugel von in­nen heraus zu glühen. Immer heller und strahlender wurde das Licht. Farbige Gase quollen aus der Kugel, wehten durch den Raum. Von irgendwoher kam Musik, und unbeschreibliche Wohlgerüche drangen an die Sinnesorgane des Krolocs. Lauter wurde die Musik, die Kugel erstrahlte. Und dann ballte sich der farbige Rauch, der durch den Raum wehte, zusammen, nahm eine Form an, wurde fester und fester … und dann sah der Kroloc plötzlich einen Weichbauch vor sich stehen.

Dieser Unheimliche, der so plötzlich und geheimnisvoll aus der Luft entstanden war, jagte dem Kroloc einen nicht geringen Schrecken ein.

Der Weichbauch trug weite, flatternde Hosen aus blauer Seide, darüber einen gold­farbenen Gürtel aus dem gleichen Material. Der Oberkörper wurde von einer weiten ro­

ten Bluse bedeckt, die Füße steckten in Geh­werkzeugfutteralen mit Brokatbesatz und aufgewölbter Spitze. Und um den Schädel hatte der Fremde einen Verband aus grü­nem, schillerndem Stoff gewickelt. In die­sem Verband stak ein Glitzerstein.

Mayzca Fell stieß einen ergrimmten Pfiff aus.

Der Fremde fixierte ihn mit seinen beiden dunklen Augen. Dem Kroloc war schon im­mer ein Rätsel gewesen, wie die Weichbäu­che mit ihren Gallertaugen überhaupt etwas sehen konnten. Jetzt erschienen ihm die fast schwarzen Augen des Fremden schon ge­fährlich.

Der Unheimliche knickte in der Leibes­mitte zusammen. Mayzca Fell konnte hören, wie er Laute von sich gab, vermutlich eine Ansprache, aber Mayzca Fell trug keinen Translator mit sich herum, daher verstand er nicht, was der Fremde von ihm wollte.

Mayzca Fell wußte nur eines, daß dieser Fremde vor seinen Augen entstanden war, einfach aus der Luft. Und jetzt bemerkte Mayzca Fell, daß sich auch der Boden be­wegte, und dann spaltete sich der Fremde der Länge nach, wackelte und wankte und zerfiel in zwei völlig identische Gestalten, die es merkwürdigerweise fertigbrachten, auf ihren Beinen stehenzubleiben, obwohl der Boden sich auf und ab bewegte, als ob ein riesiges Tier darunter stäke und um seine Freiheit kämpfte.

Wieder verneigte sich der Unheimliche. Das Glitzerding, vielmehr die Glitzerdinger in den Verbänden, strahlten ein fahles, blau­es Licht aus.

Aus der Kristallkugel – aus den Kristall­kugeln, denn unterdessen hatte sich auch die Kugel in ein halbes Dutzend Kugeln zerlegt, die auf dem Boden wild durcheinanderkol­lerten – quoll weiterhin bunter Rauch und hüllte den Raum ein. Wie durch dichten Ne­bel sah Mayzca Fell den gespenstischen Tanz der vier Unheimlichen, die in der Lei­besmitte zusammenknickten, dann gänzlich auf den Boden fielen und ihre oberen Extre­mitäten flach auf den Boden preßten. Mayz­

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ca Fell hatte den Eindruck, sie wollten mit ihren Handflächen das Erdbeben unter­drücken, das den Boden wie verrückt tanzen ließ.

»Verschwindet!« schrie Mayzca Fell. Im gleichen Augenblick verschwanden

die Gestalten, aber dafür tauchten nun acht weitere auf, noch viel schrecklicher anzuse­hen, weil sie ihre gräßlichen weichen, wei­ßen Bäuche zeigten, und an den Köpfen wuchsen ihnen grauenvolle lange schwarze Flechten, die bis auf die Oberkörper hinab­wucherten. An der Verbindungsstelle von Oberkörper und Kopf saßen Dutzende von Glitzerdingern, deren Reflexe Mayzca Fell in den Augen schmerzten.

Zu allem Überfluß begannen diese alp­traumhaften Kreaturen dann auch noch ein mißtönendes Geschrei anzustimmen, das dem Kroloc vollends die Beherrschung raubte.

Er trat den Rückzug an. Er warf den Metallstab, den er noch im­

mer in Händen hielt, den Gespenstern entge­gen und vollführte jenes Manöver, das in der Terminologie der Krolocs »antipoliger An­griff zur Stärkung der Inneren Linie« ge­nannt wurde.

Das Erdbeben schüttelte noch immer den Boden und das ganze Gebäude durch. Mayz­ca Fell pries sich glücklich, daß er diese Zu­flucht gefunden hatte. In den Wänden und Decken zeigten sich nicht die kleinsten Ris­se, obwohl das ganze Gebäude tanzte wie vor kurzem die defekte Spaccah. Mayzca Fell hatte große Mühe, sich gegen die ent­fesselten Naturgewalten zu behaupten. Im­mer wieder versagten seine Beine ihm den Dienst.

Irgend etwas in seinem Innern sagte ihm, daß Bewegungen wie die, die er sah, von keinem Erdbeben stammen konnten, weil kein Erdbeben in der Lage war, ein Gebäude derart hin und her zu schütteln. Mayzca Fell unterdrückte den Gedanken. Er wankte durch die Gänge, deren Böden sich wie eine halbe Flüssigkeit bewegten, auf und ab wog­ten, sich verdrehten … es war unglaublich,

Peter Terrid

was das Erdbeben mit dem Gebäude veran­staltete.

Langsam bekam es Mayzca Fell mit der Angst zu tun.

Dieses Erdbeben dauerte jetzt schon eine kleine Ewigkeit, und anstatt schwächer zu werden, wurde es immer ärger.

Mayzca Fell mußte sich an der Wand fest­halten, um überhaupt noch vorwärts zu kom­men.

Er hatte die Orientierung verloren, er wußte nicht mehr, wo der Ausgang aus dem Gebäude zu suchen war. Er wußte nur, daß er das antipolige Angriffsmanöver fortsetzen mußte, wenn er nicht sterben wollte. Gegen ein zusammenbrechendes Gebäude half kein Gefühl der Unbesiegbarkeit. Gegen die Ur­gewalten der Natur vermochte auch ein Kro­loc nichts auszurichten.

Mayzca Fell pfiff wehklagend. Er wußte, daß er bald sterben mußte. In

diesem Chaos gab es keine andere Möglich­keit für ihn. Irgendwann mußten die Mauern bersten, mußte das Gestein auf ihn herab­stürzen, ihn erschlagen.

Mayzca Fell zog sich weiter. Er wußte zwar, daß er dem Tod ins Angesicht sah, aber noch gab er sich nicht völlig auf, noch nicht. Wenn es möglich war, diese grauen­volle Katastrophe zu überstehen, dann wür­de er sie überleben.

Mayzca Fell erreichte jenen Raum, in dem er den Eingeborenenhäuptling hatte lie­gen lassen.

Der Kroloc mußte sich an der schwanken­den Wand abstützen, um nicht umzufallen. Das Erdbeben wurde immer stärker. Man konnte fast glauben, das Gebäude sei aufs Meer hinausgeschleudert worden, so lebhaft schwankte und bebte alles, was der Kroloc sah.

Er suchte den Häuptling der Wilden und erlebte einen Schock.

Der Barbar hatte sich verdoppelt.

*

Heimdall starrte aus zusammengekniffe­

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nen Augen auf den Fremden, der im Türrah­men stand.

Seine Wunde brannte und quälte ihn, und der Verletzungsschock saß ihm noch so tief in den Gliedern, daß er sich kaum zu rühren vermochte.

Dennoch unternahm er den Versuch, sich gegen das Spinnenwesen zur Wehr zu set­zen. Lieber im Kampf mit dem Fremden sterben, als schwerverletzt im eigenen Haus liegen und langsam dahinsiechen. Daß in ab­sehbarer Zeit Kröbel zurückkehren mußte, hatte Heimdall vergessen – diese vorherseh­bare Zeitspanne war allerdings auch so be­messen, daß Kröbel aller Wahrscheinlichkeit nach zu spät kommen würde, um überhaupt noch in den Kampf eingreifen zu können. Und Heimdall hielt von den kämpferischen Fähigkeiten seines Hausmagiers nicht allzu­viel – Kröbel strebte zwar die Skullmanenz der Magie an, ihren absoluten, uneinge­schränkten Höhepunkt, aber dafür war es mit den hausbackenen, alltäglichen magi­schen Fähigkeiten des skullmanenten Ma­giers nicht weit her.

Heimdall richtete sich trotz seiner Schmerzen auf.

Seine Waffe konnte er nicht erreichen. Der Fremde hatte sie sich eingesteckt. Aber der Odinssohn vertraute auf seine körperli­chen Fähigkeiten. Es wäre peinlich gewesen für einen Odinssohn, wäre er nicht einmal mit einer zwar überdimensionalen, aber nichtsdestotrotz dennoch dünnbeinigen Spinne fertig geworden.

Die Verletzung brannte wie das Höllen­feuer selbst, wie die Waberlohe.

Heimdall stieß einen Seufzer aus, ein deutliches Zeichen für alle, die ihn kannten, welche Schmerzen er litt.

Der Fremde blieb im Türrahmen stehen. Er sah aus, als lehne er sich gelangweilt ge­gen den Rahmen und betrachte amüsiert Heimdalls unbeholfene Versuche, aufzuste­hen und die wenigen Schritte zu machen, die ihn von dem Spinnenwesen trennten.

Heimdall kam in die Höhe. Die Riesen­spinne rührte sich immer noch nicht.

»Garst'ges Gewürm«, murmelte Heimdall. »Ich werde dir jedes deiner Beine einzeln ausreißen!«

Die Ansprache verfehlte ihre Wirkung. Der Fremde blieb stehen, wo er war.

Heimdall machte einen Schritt. Der Schmerz zuckte von der Hüfte hoch,

jagte einen Lavastrom der Qual durch das Schultergelenk und barst in einem Flam­menmeer im Schädel. Heimdall schwankte, weil er nichts mehr sah, so sehr tobte der Schmerz in seinem Schädel. Die Verletzung war viel schwerer, als der Odinssohn be­fürchtet hatte.

Aber er blieb stehen. Er wankte, fiel aber nicht.

Und noch ein Schritt. Er war jetzt nur noch vier Schritte von der

Tür entfernt. Und der Fremde sah ihn an und rührte sich nicht. Ob er wirklich angestarrt wurde, vermochte Heimdall nicht zu sagen. Für ihn waren die Augen des Fremden aus­druckslos.

Haß stieg in Heimdall auf, Haß auf diesen Fremden, der da stand, sich an seiner Qual weidete und mit ihm spielte, und der so weit, so furchtbar weit entfernt war, vier Schritte, vier Schritte durch eine Hölle des Schmer­zes. Was Heimdall dazu trieb, den nächsten Schritt zu machen, war der Haß – der Hohn, der in der Reglosigkeit des Fremden zum Ausdruck kam, ließ ihn die Schmerzen ertra­gen, obwohl er das Gefühl hatte, als würde eine Hälfte seines Körpers in Öl gesotten.

Heimdall stöhnte dumpf auf. »Wehe dir«, stöhnte er. »Wenn ich dich erwische …«

Der Fremde setzte seinen Spott fort. Er stand da, an den Pfosten gelehnt, und seine häßlichen schwarzen Augen starrten Heim­dall an und versetzten ihn in immer größer werdende Wut.

Heimdall sah das Metall der Khylda blin­ken, ohne daß er die Waffe erreichen konn­te, ein Anblick, der ihn quälte, fast noch mehr als die Schmerzen, die von seiner Ver­letzung ausgingen.

Das linke Bein des Odinssohns gab nach. Heimdall knickte ein, fiel auf die Seite – auf

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die Verletzung. Er konnte einen Schmer­zensschrei unterdrücken, aber in seinen Au­gen erschienen Tränen. Er beherrschte sich mit allem, was ihm zu Gebote stand. Er brachte nur ein qualvolles Seufzen über die Lippen, zu mehr ließ er sich nicht hinreißen.

Wieder richtete er sich auf. Hätte Heimdall die Rolle des Siegers zu

spielen gehabt, er hätte den Leiden seines Widersachers längst ein Ende gemacht. Einen längst geschlagenen Feind zu verhöh­nen, ihn zum eigenen Vergnügen zappeln und leiden zu lassen, das war der Asen Art nicht. Heimdall hätte längst die Khylda ge­schwungen, um dem kampfunfähigen Geg­ner den Gnadenstoß zu geben.

Dieser Fremde aber dachte nicht daran, Heimdall einen ehrenvollen Tod sterben zu lassen. Der Fremde schien den Ehrenkodex der Odinssöhne nicht zu kennen, nicht ihre Angst vor dem schmählichen Strohtod, dem Tod durch Siechtum, Krankheit oder gar Al­tersschwäche.

Heimdall kam wieder auf die Beine. Er machte einen Schritt, noch einen.

Dann erst bemerkte Heimdall etwas. In seine Nase drang ein seltsamer Geruch.

Es war die Körperausdünstung des Fremden, ein eigentümlicher, stechender Geruch, gera­de noch wahrnehmbar unter einem anderen Aroma, das Heimdall bekannt vorkam.

Der Odinssohn begriff. Der Fremde höhnte, spottete nicht. »Betrunken!« stieß Heimdall hervor.

»Das Vieh ist sturzbetrunken!« Deshalb stand der Fremde im Eingang

und rührte sich nicht. Der Alkohol des Bier-es mußte verheerend auf den Metabolismus des Spinnenwesens gewirkt haben.

Heimdall begann zu lachen. Er lachte laut, herzhaft, dröhnend, wie es

seine Art war, wenn er je einmal lachte. Er lachte und lachte, bis er den Halt verlor, um­kippte und ihm ein jäher, wahnsinniger Schmerz das Bewußtsein nahm.

5.

Peter Terrid

Mayzca Fell kam langsam wieder zu sich. Das Erdbeben hatte nachgelassen, und

auch die fürchterlichen Halluzinationen hat­ten an Wirkung verloren. Mayzca Fell be­gann zu begreifen, daß er sich im Haus des Barbarenhäuptlings mit irgend etwas vergif­tet haben mußte, wahrscheinlich mit einer gefährlichen Droge, die solche Erscheinun­gen hervorrief, wie sie der Kroloc in den letzten Stunden erlebt hatte.

Der Barbar war offenbar tot. Mayzca Fell erinnerte sich dumpf, daß der Wilde auf ihn zugegangen war, dann aber unter Hervor­bringung unverständlicher Laute unmittelbar vor ihm wie vom Blitz gefällt zusammenge­brochen war. Für den Kroloc war das die Rettung gewesen. Sein Verstand war derart fest im Griff des Rauschgifts gewesen, daß er sich dem unbeholfenen Angriffsversuch des Weichbauchs nicht hätte widersetzen können. Mayzca Fell pries sein Geschick, daß er den Wilden gleich bei der ersten Aus­einandersetzung so schwer getroffen hatte, daß er den Kampf nicht wieder hatte aufneh­men können.

Mayzca Fell fühlte sich scheußlich. Nicht nur, daß die Droge höchst gefähr­

lich akute Wirkungen hatte, sie zeichnete sich auch durch ekelhafte Nachwirkungen aus.

Mayzca Fells Gesichtssinn war völlig durcheinander. Eine Zeitlang hatten alle Bil­der für ihn auf dem Kopf gestanden, danach hatte er eine Stunde lang das fragwürdige Vergnügen gehabt, im ultravioletten Bereich des Spektrums sehen zu können. Zur Zeit schien der Körper des Krolocs einwandfrei zu funktionieren, aber ganz sicher war sich Mayzca Fell da nicht.

Er verließ den Raum, dessen Boden mit Trümmern und einer unappetitlichen Leiche bedeckt war. Das hervorragende Gedächtnis half dem Kroloc, den Weg wiederzufinden, den er gekommen war.

Nach kurzer Zeit hatte er das Freie er­reicht.

Draußen schien irgendwo eine Sonne. Es war angenehm warm. Mayzca Fell reckte

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und streckte sich behaglich. Am liebsten hätte er sich für ein paar

Stunden in einen Kokon zurückgezogen, aber diesen Luxus durfte er sich vorläufig nicht erlauben. Immerhin, er hatte ein gutes Versteck gefunden. Es war ruhig und fried­lich draußen, wenn man vom Geschrei eini­ger kleiner Vögel absah, die sich um Nist­platz oder Weibchen zankten.

Überraschen konnte man den Kroloc nicht. Seine Augen erlaubten ihm eine per­fekte Rundumsicht.

Daher konnte er blitzartig reagieren, als er plötzlich Gestalten auf sich zukommen sah.

Sofort drehte er sich herum und hob seine Waffe.

Diese Kreaturen waren noch um einiges scheußlicher als der Weichbauch, den er ge­rade erschlagen hatte. Es waren große, glotz­äugige Gestalten, deren Körper noch um ei­niges farbloser waren, als dies bei Weich­bäuchen üblicherweise der Fall war. Es wa­ren die widerlichsten Gestalten, die dem Kroloc jemals über den Weg gelaufen wa­ren.

Schon aus diesem Grund gab es für Mayzca Fell kein Zögern. Er hob die Waffe und eröffnete das Feuer.

*

»Bei allen guten Geistern«, jammerte eine weinerliche Stimme. »Ist er verrückt gewor­den?«

Die Dellos lagen in Deckung und begrif­fen die Welt nicht mehr.

Sie hatten sich gerade noch rechtzeitig zu­rückziehen können, bevor einer der Schüsse aus dem Lettro Schaden hätte anrichten kön­nen. Zum Glück für die Dellos hatte der Wahnsinnige keine Kontrolle über seine Waffe. Bis er sich auf die Dellos hatte ein­schießen können, waren sie bereits in voller Flucht begriffen gewesen.

Sie waren ein Teil jener Gruppe von Del­los, die vom König von Pthor dazu ersehen worden war, die über Pthor verteilten Stücke des Parraxynths zu sammeln und zum König

zu bringen. Diese Gruppe hatte den Auftrag bekommen, die Sammlung des Odinssohns Heimdall zu bergen und fortzuschaffen.

Zwar hatten die Dellos damit rechnen müssen, daß Heimdall keineswegs entzückt sein würde … aber das?

Sie hatten nicht einmal erklären können, wer sie waren und was sie wollten. Noch vor dem ersten Wort der Begrüßung hatte der Bewohner des Lettros ohne Warnung das Feuer auf den Trupp eröffnet.

»Heimdall muß wahnsinnig geworden sein«, jammerte die gleiche Stimme. »Er wagt, sich dem König zu widersetzen. Er schießt auf uns.«

Es hatte zwei Leichtverletzte gegeben, mehr war den Dellos nicht zugestoßen, ab­gesehen davon, daß der Feuerüberfall ihnen einen fürchterlichen Schrecken eingejagt hatte. Tapferkeit war nicht gerade die Stärke der Androiden.

»Was machen wir nun?« Auf diese Frage gab es einige Antworten.

Die Dellos hätten beispielsweise versuchen können, das Lettro zu stürmen, Heimdall zu entwaffnen und die Parraxynth-Stücke zu er­obern. Das hätte allerdings den Tod einiger Dellos zur Folge gehabt, und auf Sterben waren die Dellos nicht eingestellt.

Sie konnten einfach davonlaufen. Das hat­ten sie nach dem überraschenden Feuern auch getan. Jetzt konnten sie die Flucht fort­setzen, aber das hätte wahrscheinlich den Zorn des Königs auf ihre Häupter gezogen, und auch daran war den Dellos nicht gele­gen.

Sie konnten warten, einfach dort bleiben, wo sie waren, und warten. Aber dann muß­ten sie früher oder später Hungers sterben oder verdursten. Auch diese Alternative ge­fiel den Dellos nicht sehr.

Einer fand schließlich die bestmögliche Lösung für alle Probleme.

»Wir belagern das Lettro«, schlug der Einfallsreiche vor. »Wir bleiben außer Sicht und beobachten nur. Und einer von uns wird einen Zugor organisieren und damit zur Fe­stung fliegen. Er wird dem König berichten,

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was Heimdall verbrochen hat.« In der Zeit nach diesem Vorschlag waren

die Dellos eifrig damit beschäftigt, auszu­knobeln, wer von ihnen welche Aufgabe übernehmen sollte.

*

Mayzca Fell war einigermaßen verdrieß­lich zumute.

Er hatte die Angreifer nicht getroffen, das lag wahrscheinlich daran, daß die Wirkung der fürchterlichen Droge noch nicht völlig abgeklungen war. Immerhin hatte er den einen oder anderen Weichbauch zumindest anschießen können, und auch das hatte ge­nügt. Die Weichbäuche hatten jedenfalls die Flucht ergriffen.

Mayzca Fell stieß einen Pfiff aus. Daß er den Rücken der Feinde zu sehen

bekam, war für den Kroloc nicht neu. Ge­naugenommen kannten die Krolocs von den meisten Gegnern nur den Rücken.

Was den Kroloc trotz des Erfolgs verdros­sen machte, war der Umstand, daß er in der Wahl seines Unterschlupfs womöglich einen Fehler gemacht hatte. Mayzca Fell hatte sich ein ruhiges, friedliches Versteck gewünscht, in dem er in aller Gemütlichkeit die Invasion seiner Freunde abwarten konnte. Nunmehr sah es aus, als habe er sich mitten auf einen Ameisenhaufen gesetzt. Erst das Gespann, dann der Barbar, nun ein Haufen widerlicher Weichbäuche … was würde folgen?

In jedem Fall fühlte sich Mayzca Fell in der von ihm eroberten Behausung sicher. Wie sicher, daß hatte er gerade erst feststel­len können. Er war überzeugt, daß ihn kein einziger der Weichbäuche gesehen hatte. Als Festung war das Bauwerk des Barbaren wirklich hervorragend geeignet. Man hätte glauben können, der Primitivling habe Intel­ligenz. Davon konnte natürlich keine Rede sein, es gab nur eine wirklich intelligente Spezies im Universum.

Was war nun zu tun? Mayzca Fell überlegte nicht lange. In die­

ser kleinen Festung war er absolut sicher,

Peter Terrid

selbst wenn einige tausend Weichbäuche ihn belagerten, vermochte er dieser Gefahr Herr zu werden. Bis seine Freunde diese Welt er­obert hatten, hielt er es in jedem Fall im In­nern des Bauwerks aus. Was zu tun war, lag damit klar zutage.

Er mußte sich in der Festung aufhalten und – nötigenfalls – ein paar dilettantische Angriffe der Weichbäuche zurückschlagen. Ansonsten blieb ihm nur eines zu tun übrig – warten. Der Kroloc war von Natur aus ge­duldig, ein Erbe seiner Vorfahren.

Mayzca Fell richtete sich auf eine ziem­lich lange Zeit des Wartens ein.

*

Zum zweitenmal kam Heimdall zu sich. Die betrunkene Riesenspinne hatte den

Raum verlassen. Heimdall war allein. Das gab ihm Zeit und Gelegenheit, erst einmal zu prüfen, was er noch vermochte.

Die rasenden Schmerzen hatten etwas nachgelassen. Nicht, daß sie Heimdall nicht unausgesetzt gequält hätten, aber mit ein wenig Überwindung ließen sie sich verges­sen. Zaghaftigkeit, Zimperlichkeit – das wa­ren Begriffe, die auf ihn nicht paßten. Heim­dall richtete sich auf, und diesmal stand er sicher auf seinen Beinen.

»So«, murmelte der Hüne. »Und wo ist nun dieses monströse Krabbeltier?«

Er kannte kein wichtigeres Ziel als dieses: die Schmach zu tilgen, die ihm zugefügt worden war. Heimdall, Odinssohn, geschla­gen von garstigem Getier – eine Beleidigung erster Güte.

Heimdall wußte, daß er nicht sehr große Aussichten hatte, mit dem Eindringling fer­tig zu werden. Daß er die Schmerzen seiner Verletzungen unterdrücken konnte, zählte wenig, wenn es zum neuerlichen Kampf kam. Heimdall konnte die Spannkraft seiner Muskeln nicht zur Gänze einsetzen, sein Schildarm war halb gelähmt von der Wunde.

Leicht schwankend erreichte der Götter­sohn die Tür zur Schatzkammer. Der Gang war verlassen, von dem Untier fehlte jede

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Spur. »Eine Dummheit«, kommentierte Heim­

dall trocken. Jeder Augenblick der Ruhe machte seinen

Verstand klarer, ließ die Kraft in seinen Kör­per zurückkehren. Vor allem: Er kannte sich aus, dies war sein Heim, sein Lettro. Wer sich darin zurechtfinden wollte, mußte ein Gedächtnis haben wie keiner sonst. Heim­dall glaubte, daß nicht einmal Kröbel sich zur Gänze in seinem Fuchsbau auskannte – und in welchen Winkel hatte der vorwitzige Wicht die Nase nicht witternd gesteckt?

Gern hätte Heimdall die magischen Fä­higkeiten des skullmanenten Magiers zu sei­nen Gunsten eingesetzt. Indes stand ihm zum einen der Magier nicht zur Verfügung, und zum anderen war es mit Kröbels Fähig­keiten so eine Sache.

»Vielleicht …?« Heimdall ging auf unsicheren Beinen

durch seine Behausung, jederzeit gewärtig, einen Strauß mit der Riesenspinne auszu­fechten, und wenn es ihn das Leben kosten sollte. Vielleicht war das Biest noch voll­trunken, vielleicht fand Heimdall irgendwo noch eine Waffe, mit der er dem Getier auf den chitinösen Leib rücken konnte, viel­leicht … es gab viele Möglichkeiten.

Dem Odinssohn kam ein Einfall. Kröbels skullmanente Fähigkeiten kamen

nicht von ungefähr. Der Magier las Bücher, aus denen er seine Zaubersprüche und magi­schen Formeln bezog. Heimdall zögerte einen Augenblick; er war nicht ganz sicher, ob es sich für einen Odinssohn überhaupt schickte, Bücher zu lesen. Wenn sich auf Pthor herumgesprochen hätte, daß Heimdall heimlich über Büchern hockte … sein Ruf wäre ruiniert gewesen.

Im Augenblick war das nackte Überleben wichtiger als der gute Ruf. Belesenheit, stellte Heimdall fest, hindert einen nicht am Totschlagen, also konnte er sich ungehemmt in Kröbels Archiv umsehen. Im stillen hoffte er, einen Spruch, eine Beschwörung finden zu können, die seine Wunden rascher heilen ließ. Einen Augenblick lang dachte er an ei­

ne Rezeptur, die auf Pthor sehr verbreitet war. Es war üblich, auf gewisse offene Wunden Spinnweben zu legen, indes erschi­en ihm gerade dieses Verfahren zur Zeit un­passend.

Heimdall hatte es nicht weit bis zu einem der Räume, die Kröbel als seine Studierstu­ben und Experimentallabors bezeichnete. In Wirklichkeit handelte es sich um Rumpel­kammern, deren Sinngebung jedem Unein­geweihten ein Geheimnis sein mußte.

Selbst Heimdall war einen Augenblick er­staunt, als er das Durcheinander sah, und das hieß bei einem Mann, der die Tohuwabohu-Me­daille für den besten Junggesellen des Jahres im Abonnement bezogen hätte, sehr viel.

»Gute Götter!« stöhnte Heimdall auf. In diesem Durcheinander etwas finden zu

wollen, schien ausgeschlossen. Auf einem Tisch im Hintergrund erkannte der Hüne al­lerlei Tiegel und Tassen, Röhren und Retor­ten, eine sehr geheimnisvolle Angelegenheit. Auf dem Boden lag einer von Kröbels Zau­berstäben. Heimdall hob ihn auf, schwang ihn durch die Luft und murmelte ein paar sinnlose Silben. Er hatte es nicht anders er­wartet – nichts rührte sich. Heimdall legte den Kupferstab mit den Silberintarsien auf das Pult zurück, auf dem aufgeschlagen be­reits ein altes Zauberbuch lag.

Heimdall blätterte eine Zeitlang darin, fand aber – soweit er den Text überhaupt verstand – hauptsächlich Anleitungen für Liebeszauber, – beschwörungen und -tränke, für die sich Heimdall in diesem Augenblick wenig interessierte.

Er wandte sein Augenmerk den Flüssig­keiten und Pasten zu, die er auf dem Tisch zu sehen bekam. Seltsamer Sud war zu se­hen, schillernder Schleim schwamm in einer mißfarbenen Suppe. Aus einer Flasche stie­gen grünliche Dämpfe auf, beschrieben – Heimdall traute seinen Augen kaum – in der Luft einen Knoten und lösten sich dann in nichts auf.

Der Odinssohn wußte, daß jeder Versuch, in Kröbels Geheimnissen herumzuwühlen, verderblich werden konnte. Viel Positives

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hatte Kröbel wahrlich nicht zuwege ge­bracht, indes stand noch nicht fest, wozu er in der Lage war, wenn es darum ging, zer­störerische Fähigkeiten zu entfalten.

Heimdalls erste Probe erwies sich als Fehlschlag.

Zwar kühlte die Salbe angenehm die Haut, auf der er eine Probe verstrichen hatte, aber wenig später bildete sich an dieser Stel­le eine schillernde Beule, die mit rasender Geschwindigkeit an Umfang und Farben­reichtum gewann, dann platzte und einen Blumenstrauß erscheinen ließ. Heimdall fackelte nicht lange und entfernte die Ge­wächse. Auf dem Boden verwandelten sie sich in fingerlange Eidechsen, die in Win­deseile auseinanderstoben und in den Ritzen verschwanden. Auf Heimdalls Haut blieb von diesem Kunststück zu seiner stillen Freude kein Mal zurück.

Nacheinander nahm Heimdall Proben von den verschiedenen Salben.

Welche Mixtur ihm schließlich geholfen hatte, ließ sich nachträglich nicht mehr er­mitteln. Als Heimdall aus der Ohnmacht er­wachte, in die ihn ein Tropfen eines bräunli­chen Saftes blitzartig hatte fallen lassen, spürte er nur noch geringen Schmerz, und als er die Glieder reckte und streckte, stellte er erfreut fest, daß er zwar nicht im Vollbe­sitz seiner Kräfte war – aber es würde rei­chen, einen Kampf mit der Riesenspinne auszufechten. Und Heimdall zögerte keinen Augenblick, sein Wohlbefinden sofort aus­zunutzen. Rasch verließ er Kröbels hochge­wölbtes Zimmer und machte sich auf die Su­che nach dem frechen Eindringling.

Es war nicht einfach, den Fremden zu fin­den.

Heimdall suchte zunächst an den Plätzen, an denen er sich selbst in Notfällen verbor­gen hätte. Dort aber war keine Spur des Fremden zu finden. Anschließend suchte Heimdall in den finstersten Winkeln des Lettros. Er nahm an, daß sich der Eindring­ling dorthin verkrochen hätte. Auch diese Vermutung erwies sich als fehlerhaft. Von der Riesenspinne fehlte jede Spur.

Peter Terrid

»Verwünschtes Vieh«, knurrte Heimdall. Er hatte sich mit einer Keule bewaffnet,

die ursprünglich einmal dazu gedient hatte, als viertes Bein einen wuchtigen Tisch zu stützen. In der Hand eines Mannes wie Heimdall war das Stück Holz eine Waffe von beachtlicher Gefährlichkeit. Genußvoll schwang Heimdall die Keule, und er stellte sich mit freudigem Grimm vor, wie er das Holz auf den Schädel des Angreifers würde herabsausen lassen.

Voll Vorfreude setzte Heimdall seine Su­che fort.

Er durchkämmte das Lettro systematisch. Er suchte in jedem Winkel, jedem Raum; er ließ keinen Saal, kein Zimmer, keine Kam­mer aus. Er suchte in den entlegensten Win­keln. Natürlich mußte er damit rechnen, daß der Fremde ihn hörte, daher führte Heimdall seine Suche so aus, daß er den Fremden vor sich her trieb, langsam, aber sehr gründlich suchte er sich dem Ausgang des Lettros ent­gegen.

Und dort war es dann auch, daß er seinen Widersacher endlich fand.

Das erste, was Heimdall wahrnahm, er­schreckte ihn. Es hörte sich an, als würde geschossen. Er horchte noch einmal, und sein Verdacht bestätigte sich.

Er hörte das typische bösartige Zischen einer Strahlwaffe, das gleiche Geräusch, das in dem Sekundenbruchteil seiner Verwun­dung erklungen war – ein widerliches Ge­räusch.

Heimdall hielt den Atem an. So geräuschlos wie möglich schlich er

sich an den Eingang seiner Behausung her­an. Von draußen waren Schreie zu hören. Wut, Empörung und ein kaum unterdrücktes Schmerzensgeheul drang an Heimdalls Oh­ren. Dem Tonfall nach zu schließen, handel­te es sich bei den Jammerern um Dellos. Heimdall konnte sich eines boshaften Grin­sens nicht erwehren.

Recht geschah ihnen, den Vorwitzigen. Was wähnten sie auch, Heimdalls Hort ho­len zu können.

Das Geschrei wurde leiser und hörte

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25 Späher der Krolocs

schließlich ganz auf. Heimdall wartete. Der Fremde kam, an den Schritten war es

deutlich zu hören, in das Lettros zurück. Wieder lächelte Heimdall. Er hob die Keule.

6.

Kröbel pfiff ein vergnügtes Lied. Die Reise machte ihm Spaß. Vor allem

freute ihn, daß Heimdall seine kostbare Ha­be ihm und seinem Ratschlag anvertraut hat­te. Ab und zu gab es hinter dem skullmanen­ten Magier ein feines Klirren unter der Plane – immer dann, wenn der Wagen über eine Unebenheit rumpelte und die Stücke des Parraxynths aneinanderstießen.

Donkmoon lag bereits hinter dem Zug. Auf Kröbels Geheiß hatten die Fuhrleute einen Bogen um die Stadt geschlagen, west­wärts, danach war der Weg Richtung Taam­berg fortgesetzt worden.

»Was ist das eigentlich für ein Zeug?« Gangleer hatte gefragt. Er war der düm­

mere von den beiden Fuhrleuten, und von deren Intelligenz hielt Kröbel ohnehin nicht viel. Er war allerdings mit der Bewunderung seiner selbst und seiner skullmanenten Fä­higkeiten meist so beschäftigt, daß er zur ge­bührenden Würdigung anderer wenig Zeit und Muße fand.

»Ein Schatz«, antwortete Kröbel stolz. »Ein Hort von ungeheurem Wert.«

»Dieser Schrott?« »Pah«, machte Kröbel. »Das ist kein

Schrott, du Freund des dummen Viehs. Das sind Teile eines Artefakts.«

»Aha«, antwortete Gangleer, der offen­sichtlich kein Wort verstanden hatte.

»Genauer gesagt«, fuhr Kröbel fort, »handelt es sich um Teile des Artefakts. Es sind Bruchstücke des Parraxynths.«

Auch mit diesem Begriff konnte der Or­xeyaner nicht viel anfangen. Er war sehr, sehr dumm, fand Kröbel.

»Es sind Teile, die einmal zusammenge­hört haben«, erklärte Kröbel weiter. »Und

wenn es jemandem gelingt, alle Teile des Parraxynths zu finden, in seinen Besitz zu bringen und wieder so zusammenzusetzen, wie sie einstens gepaßt haben … dann kann dieser jemand das Geheimnis von Pthor lö­sen.«

»Und was hat er davon?« erkundigte sich Gangleer.

Kröbel schluckte. Soviel Banausentum war ihm noch nicht untergekommen.

»Ja …«, stammelte er. »Dann …« Er zuckte mit den Schultern. Tatsächlich,

wenn Heimdall – niemandem sonst traute Kröbel, sich selbst ausgenommen, die Lö­sung des Problems zu – alle Stücke des Par­raxynths in seinen Besitz brachte und das Geheimnis löste, was passierte dann? Ver­schwand Pthor? Oder tauchte es an einem bestimmten Ziel auf? Oder was?

»Das wird sich finden«, versetzte Kröbel. »In jedem Fall muß das Geheimnis gelüftet werden. Alle sind hinter dem Parraxynth-Schatz her, und aus diesem Grund bringen wir Heimdalls heimlichen Hort in Sicher­heit. In den Klüften des Taambergs wird er in guter Hut sein.«

»Dazu müssen wir erst einmal ankom­men«, warf Kruust ein. Er war der Schweig­samere der beiden Orxeyaner, zu ihm hatte Kröbel das meiste Vertrauen. Voll und ganz verließ er sich natürlich nur auf sich selbst und seine besonderen, einmaligen, skullma­nenten Fähigkeiten, denen an Fähigkeit nichts gleichkam.

Die Yassels trotteten langsam dahin. Die­ser Teil der Strecke zum Taamberg war un­wegsam. Das Gespann mußte sich teilweise querfeldein schlagen. Kröbel rechnete damit, daß möglicherweise sogar Tage vergehen mußten, bis der Taamberg erreicht und der Schatz in Sicherheit gebracht worden war. Der Magier hätte gerne gewußt, welche Ge­sichter die Beauftragten des Königs schnit­ten, wenn sie erfuhren, daß der Schatz ver­schwunden war, den abzuholen sie der Kö­nig entsandt hatte.

»Laßt die Yassels ein wenig pausieren«, schlug Kröbel vor. »Auch ich bin müde,

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hungrig und durstig.« »Einverstanden«, sagte Kruust. »Rheee!« Die Yassels stoppten ihren gleichmäßigen

Trott und blieben stehen. Eine Lichtung war erreicht, auf der es genügend Gras gab für die Zugtiere, eine Quelle für Mensch und Tier – und auf der Ladefläche des Wagens hatte Kröbel einige Kleinigkeiten aus dem Vorrat des Lettros verstaut, Wegzehrung für sich und die Fuhrleute.

Als erstes holte Kröbel den schweren Bot­tich mit dem Bier vom Wagen. Ächzend und schnaubend schleppte er das Gefäß zur Quelle und ließ es darin bis knapp unter den Rand eintauchen. Das Wasser der Quelle war kühl und klar. Der Sand, über den das Wasser lief, bot dem Bottich guten Halt.

»Brecht das Brot«, schlug Kröbel vor. »Und von dem Fleisch könnt ihr ebenfalls nehmen.«

Er tauchte beide Hände in das Wasser des Baches.

Eine seiner erprobten Fähigkeiten bestand darin, Wasser zum Kochen zu bringen. Dazu mußte dem Wasser Energie zugeführt wer­den, und – unbeschadet aller magischen Fä­higkeiten – von irgendwoher mußte diese Energie kommen. In diesem Fall versuchte Kröbel zu erreichen, daß die Wärme, die er zur Temperaturerhöhung des Bachwassers brauchte, dem Bier entzogen wurde, das dar­aufhin erkalten mußte.

»Was machst du da?« »Ich wasche mir die Hände«, log Kröbel.

Die Orxeyaner verzogen das Gesicht. Nun ja, er war ein Magier, und bei Magier mußte man als gewöhnlicher Sterblicher auf die ab­sonderlichsten Bräuche gefaßt sein.

Kröbel machte eine Probe. In der Tat, das Bier war kalt geworden, eiskalt sogar. Ein zweites Mal strengte sich der Magier an, um den Bottich zum Lagerplatz zu schleppen. Dort hatte Gangleer unterdessen das kräftige Brot gebrockt und mit dem Messer aus sei­nem Stiefelschaft den Schweinebraten in mundgerechte Portionen zerteilt. Kröbel war den Schweinebraten fast schon leid, aber es gehörte zum Ruf der Odinssöhne, daß sie

Peter Terrid

viel Schweinebraten aßen, und Kröbel blieb als Hausgenosse Heimdalls nichts anderes übrig, als diesen Brauch zu teilen. Was das Bier betraf, verstand Kröbel seinen Haus­herrn bestens.

Genießerisch schlang Kruust Brot, Braten und Bier in sich hinein. Der Orxeyaner lei­stete auf diesem Gebiet Außerordentliches, mit Heimdall konnte er es allerdings nicht aufnehmen.

»Und wenn wir den Schatz zum Taam­berg gebracht haben«, wollte Gangleer wis­sen, »wie geht es dann weiter?«

»Ihr könnt nach Orxeya zurückkehren«, erklärte Kröbel. »Den Rest besorge ich al­lein.«

Die windigen Wichte wollen wissen, was aus den Wertsachen wird, dachte Kröbel amüsiert. Wahrscheinlich warten sie nur darauf, daß ich den Hort verberge. Sie wol­len sehen, wo er steckt – und später können sie sich den Schatz dann unter den Nagel reißen. Wartet, ihr Windhunde, euch werd' ich die Suppe versalzen.

»Es ist besser so, auch für euch«, setzte er seine Erklärung fort. »Wenn ihr nichts wißt, könnt ihr nichts verraten, nicht einmal im Rausch. Und wahrlich, ich warne vor Heim­dalls Wut – wehe euch, wenn ihr ein Wort zuviel wagt.«

Gangleer schüttelte energisch den Kopf. »Von uns wird niemand etwas erfahren,

nicht wahr, Kruust?« Der schweigsame Orxeyaner nickte. Er

war zu sehr mit seiner Mahlzeit beschäftigt, um sich um andere Dinge kümmern zu kön­nen.

Kröbel stellte den geleerten Becher auf den Boden und streckte sich im Gras aus. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, es war angenehm warm, und ruhig und friedlich, al­so genau richtig, um ein kleines Nickerchen zu machen, oder skullmanente Probleme ge­mütlich zu durchdenken, oder aufzuspringen und um sich zu blicken, weil nämlich plötz­lich ein furchtbares Gebrüll erklungen war, und weil dieses Gebrüll kein Ende nahm und weil Gestalten aus den Büschen hervorbra­

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27 Späher der Krolocs

chen, furchtbare Schwerter schwangen und sich auf die Rastenden stürzten.

»Piraten!« schrie Gangleer.

*

Mit höchster Zufriedenheit hatte Germinal verfolgt, wie der Wagen sich genähert hatte.

Wagen, zumal beladene, stellten für ihn immer einen Quell der Freude dar. Zwar plante Germinal mit seiner Horde, die Schärfe ihrer Schwerter einmal an den Hälsen der Bewohner Donkmoons zu erpro­ben, aber ein kleiner Wagen zwischendurch erschien ihm auch verlockend. Und wenn dieser Wagen einem sozusagen ins offene Maul gerollt kam, konnte ein Pirat kaum wi­derstehen.

Das Piratenleben war in letzter Zeit nicht sehr ersprießlich gewesen. Auf Pthor war al­lerlei geschehen, das sich wenig mit dem Weltverständnis der Piraten vertragen hatte. Das Handwerk ließ nach, man konnte es kaum anders nennen. Folglich hatte Germi­nal mit seiner Abteilung den Regenfluß ver­lassen und sich andernorts nach Beute um­gesehen. Donkmoon war ihm als Stadt zum Plündern gerade recht.

Und nun kam dieser Wagen – gleichsam als gutes Omen.

Germinal hatte seinen Raubzug naturge­mäß nicht allein unternommen. Da war noch Gerlur der Schniefer, Kirnal, der Blauzahn genannt wurde, Opher mit dem Hinkebein, Redsae der Schlitzer – insgesamt wurde Germinal von mehr als vierzig Piraten be­gleitet, einer übler als der andere, und Ger­minal war nicht grundlos der Chef der Ban­de.

Die Meute hatte folgsam gewartet, bis Germinal das Zeichen gegeben hatte.

Eigentlich hätte er die Fuhrleute allein ab­tun können. Es waren zwei Orxeyaner und ein Männlein, das nicht zählte – also ein paar Minuten Arbeit für einen kundigen Schwertschwinger vom Schlage eines Ger­minal. Aber Germinal hatte seinen Leuten nicht die Freude verderben wollen. Vor dem

überfall auf Donkmoon war es vielleicht kein schlechter Einfall, sich ein paar Späß­chen nach Piratenart mit den Fuhrleuten zu erlauben. Das machte Laune und hob die Stimmung.

Die Fuhrleute aber dachten offenbar nicht daran, sich darein zu schicken, durch die Gasse gejagt zu werden, an den Füßen auf­gehängt über einem Feuerchen zu baumeln oder was dergleichen Belustigungen mehr waren.

Die Orxeyaner griffen zu den Waffen. »Auch gut!« brüllte Germinal. »Macht sie

nieder!« Er stürmte als erster auf einen der Or­

xeyaner zu, das Schwert hoch erhoben. Die Klinge blitzte in der Sonne.

*

»Hilf Himmel!« kreischte Kröbel los, als er das Unheil sah.

Es mußten Tausende sein. Sie kamen von allen Seiten, und sie waren fürchterlich an­zuschauen. Sie schrien, brüllten und tobten, und in ihren Gesichter stand der Blutdurst geschrieben.

»Zittre nicht, zaghafter Zauberer!« rief Gangleer.

Er trat zur Seite, um den ersten Piraten ins Leere laufen zu lassen. Im Vorbeilaufen schlug er dem Angreifer noch mit der fla­chen Klinge auf den Schädel. Es gab einen weithin hallenden Ton, und nach zwei wei­teren Schritten, die in einem stacheligen Ge­büsch endeten, blieb der Pirat liegen.

Kröbel sah sich verzweifelt nach Wasser um, das er hätte erhitzen können, aber zwi­schen ihm und der Quelle standen gleich vier der bösen Männer, die Augen blutunter­laufen, in den Pranken monströs große Schwerter und quer im viehisch verzogenen Maul das Messer für den Fangstoß.

»Zurück!« rief Kröbel. »Heimdalls Zorn über euch, ihr Bande!«

Die Piraten zeigten sich von Heimdalls Zorn unbeeindruckt. Kruust schaffte es, sei­ne Skerzaal, die geladen neben ihm gelegen

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hatte, auf einen der Piraten zu richten und abzudrücken. Der Bolzen traf den Piraten in der Schulter, aufbrüllend ging er zu Boden.

Ein Messer pfiff durch die Luft und schlug neben Kröbel in der Seitenwand des Wagens ein. Melodramatisch zitterte das Messer nach. Kröbels Augen weiteten sich.

»Was wagt ihr!« keifte er. »Den Magier der Skullmanenz anzugreifen?«

Er hob die Hände. In seiner Not fiel ihm keiner der erprobten – beinahe erprobten, um ganz ehrlich zu sein – Zauber ein. Dann aber zuckte ein triumphierendes Lächeln über die Züge des Zauberers. Er hob die Hände ein zweites Mal, seine Lippen form­ten die furchtbare Formel, sprachen die ma­gischen Worte.

Es fiel kein Feuer vom Himmel. Im Ge­genteil, was plötzlich aus einer unsichtbaren Wolke auf die Kämpfen den herabregnete, war Wasser – noch, präziser, eine grauenvoll stinkende Jauche, deren Geruch Kröbel fast den Atem verschlug.

In jedem Fall reichte diese Probe skullma­nenter Magie aus, die Piraten zu verwirren.

Kruust schaffte es, einen weiteren Gegner außer Gefecht zu setzen, indem er dem An­greifer mit dem Fuß mitten in den Bauch trat. Der Pirat blieb würgend auf dem Boden liegen. Gangleer bearbeitete derweilen mit seinem Schwert die Bespannung des Wa­gens – soweit ihm die angreifenden Piraten Zeit dazu ließen. Die Banditen machten sich einen Spaß daraus, ihre Übermacht vorzu­führen. Sie griffen nacheinander an, um das Gefecht zu ihrem Vergnügen ein wenig in die Länge ziehen zu können.

Diese Taktik gab den Orxeyanern eine Chance.

Kröbel nahm seinen Bierbecher und warf ihn dem nächstbesten Piraten an den Kopf. Dann ließ er ein Stück Schweinebraten fol­gen. Der Pirat, der sich Kröbel zugewandt hatte, machte mit dem Schwert einige sto­chernde Bewegungen, die eine Handbreit vor Kröbels Magengrube endeten. Kröbel fluchte laut und erbittert. Der Pirat lachte nur.

Peter Terrid

Er wich den Wurfgeschossen Kröbels aus und kam dem Magier immer näher.

Schielend vermochte Kröbel festzustellen, daß die beiden Orxeyaner es mit bravouröser Tapferkeit geschafft hatten, sich nicht nur der Angriffe der Piraten zu erwehren, son­dern auch die Bespannung des Karrens in Stücke zu hauen. Die Yassels waren frei.

Das war die letzte Chance für Kröbel und die beiden Fuhrleute.

Noch einmal hob Kröbel beschwörend die Hände. Der Pirat dachte an ein Demutszei­chen und trat einen Schritt zurück. Wieder murmelte der Magier eine Formel, die Tod und Verderben über die ruchlosen Regen­flußpiraten bringen sollte.

Es reichte immerhin zu einem vier Hand­spannen großen Tier, das auf dem Boden auftauchte, laut quakte und dazu absonderli­che Sprünge vollführte. Kröbel nutzte die Schrecksekunde der Piraten, schwang sich auf das erstbeste Yassel und rammte dem Tier die Fersen in den Leib. Das Yassel stieg in die Höhe und wieherte erschreckt, dann setzte es sich mit einer Geschwindigkeit in Bewegung, daß dem Magier ein weiteres Mal angst und bange wurde. Er klammerte sich am Hals des Tieres fest und hoffte, daß er die ganze Angelegenheit überleben konn­te.

Hinter ihm setzten sich die beiden Or­xeyaner weiterhin gegen den Angriff der Pi-raten zur Wehr.

Deren Anführer war unterdessen wieder zu sich gekommen. Er sah, daß ziemlich viel Blut fließen mußte, wenn der Kampf fortge­setzt wurde. Auf der anderen Seite war klar zu sehen, daß die Orxeyaner nicht um den Wagen kämpften, sondern sich lediglich ih­rer Haut zu wehren versuchten – das aller­dings mit ärgerlicher Tapferkeit, jedenfalls aus der Sicht des Piratenhäuptlings.

»Laßt sie entweichen«, rief er seinen Leu­ten zu. Er hielt sich den Schädel, dort, wo ihn einer der beiden Orxeyaner mit der fla­chen Klinge getroffen hatte. Hätte der Fuhr­mann mit der Schärfe des Schwertes zuge­schlagen, wäre der Pirat ein toter Mann ge­

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29 Späher der Krolocs

wesen. Die Orxeyaner nutzten die Gelegenheit,

die ihnen geboten wurde. Sie sprangen auf die Yassels und suchten ihr Heil in der Flucht. Der Piratenhäuptling stand auf und befahl:

»Reißt die Plane von dem Wagen. Ich will sehen, was wir erbeutet haben!«

*

»Das darf nicht wahr sein! Das gibt es nicht! Das ist eine Frechheit ohnegleichen!«

Germinal stand fassungslos vor dem Wa­gen. Die Plane lag in Stücken auf dem zer­trampelten Boden. Das merkwürdige Tier, das plötzlich aufgetaucht war, hatte sich un­terdessen davongemacht, allerdings nicht ohne in einer kleinen Vertiefung im Boden ein grün-gelblich schimmerndes Ei gelegt zu haben.

»Schrott!« heulte Gerlur der Schniefer auf. »Abfall, Unrat, Dreck!«

»Wertloses Zeug«, murmelte ein anderer. »Der ganze Wagen ist keinen Quork wert.«

»Und dafür mußte Blut fließen«, empörte sich Redsae, den man den Schlitzer nannte. »Mein Blut!«

Er trug den Bolzen, den er sich aus der Schulter gerissen hatte, in der Hand. Dick und schwer tropfte Blut auf den Boden.

Germinal verstand gar nichts mehr. Die beiden Orxeyaner hatten gekämpft,

als hätten sie das Kostbarste überhaupt zu verteidigen gehabt, und der giftige Gnom hatte für Zehn geschrien und gekeift. Und all das, die Aufregung, der Lärm, die Anstren­gung und die Verletzungen … all das für ei­ne Wagenladung Müll?

Zwei von Germinals Männern waren ernstlich verletzt. Sie waren von Skerzaal­bolzen getroffen worden. Er selbst hatte nur einen handfesten Brummschädel, drei weite­re Piraten hatten kleine Blessuren davonge­tragen. All das war umsonst gewesen.

Die Ladung war wertlos. Kein Schmuck, kein Geschmeide, nichts, was auch nur den geringsten Wert besessen hätte.

»Dieser Raubzug fängt ja gut an«, mur­melte Blauzahn Kirnal.

»Kein Defätismus«, warnte Germinal. »Was machen wir mit dem Krempel?«

wollte Gerlur wissen. Wütend warf er den Bolzen auf den Wagen.

»Zerschlagt den Wagen!« bestimmte Ger­minal. »Macht, was ihr wollt!«

Er ärgerte sich maßlos über diese Pleite. Seine Männer kippten den Wagen um.

Die Trümmerstücke polterten auf den Bo­den, und dort blieben sie auch liegen, nach­dem die Piraten den Wagen kurz und klein geschlagen hatten und längst abgezogen wa­ren.

7.

Die Keule sauste herab. Der Fremde stieß einen erschreckten

Schrei aus. Das Holz der Keule hatte eines seiner Glieder getroffen. Zum zweitenmal in kurzer Zeit verlor der Eindringling seine Waffe, aber diesmal löste sich kein Schuß, der Heimdall hätte gefährlich werden kön­nen.

Der Hüne gab dem Fremden keine Chan­ce, sich von der ersten Überraschung zu er­holen. Noch während die Waffe des Frem­den durch die Luft flog, trat Heimdall dem Eindringling vor die Beine. Der Fremde knickte in den vorderen Beinen ein. Seine Arme ruderten durch die Luft, bekamen Heimdall zu fassen, und ehe sich's der Od-inssohn versah, hatte ihn der Fremde mit ei­nem Hebelgriff über sich hinweggeschleu­dert.

»Tausend Teufel!« fluchte Heimdall. Er war einmal mehr auf der linken Kör­

perseite gelandet, und dieser Aufprall neu­tralisierte die Wirkung von Kröbels Salbe fast völlig.

Heimdall kam wieder auf die Beine, und beinahe augenblicklich warf er sich vor­wärts, wieder auf den Fremden.

Der Eindringling nahm den Kampf auf. Einer seiner Füße traf Heimdall in die Ma­gengrube und nahm ihm für einen Augen­

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blick die Luft. Dafür aber gelang es dem Odinssohn, eine seiner Fäuste mit aller Kraft auf dem Schädel des Fremden landen zu las­sen – oder dem Körperteil, den Heimdall für den Kopf der Riesenspinne hielt.

Etwas knackte. Die Spinne sackte einen Augenblick lang

zusammen, und schon wähnte Heimdall sich als Sieger, dann aber raffte sich der Gegner wieder auf, und seine Arme schlangen sich um Heimdalls Oberkörper.

Der Odinssohn spürte, wie ihm der Atem abgedrückt wurde.

Er sah keine andere Möglichkeit. Er ver­suchte, den Angriff des Fremden mit glei­cher Münze heimzuzahlen. Er schlang seine Arme um die Leibesmitte des Rieseninsekts, dann drückte er zu.

Es war ein lautloser, aber erbitterter Kampf.

Heimdall hatte geglaubt, den Kampf rasch gewinnen zu können; jetzt sah er sich eines Besseren belehrt. Diesen Gegner zu erledi­gen, war etwas anderes, als ein lästiges In­sekt mit der flachen Hand zu erschlagen oder eine Laus zu zerdrücken. Heimdall hat­te gehofft, den Panzer des Fremden mit der Kraft seiner Arme zum Bersten bringen zu können. Er spürte die Härte des Materials an seinen Armen, spürte den Widerstand, den seine Muskeln zu überwinden hatte.

Er spürte aber auch, wie ihm selbst der Atem schwand.

Unglaublich waren die Körperkräfte des Fremden. Er hatte Heimdalls Oberkörper eingeschnürt, und der Druck auf Heimdalls Rippen wurde von Augenblick zu Augen­blick stärker. Rasselnd ging der Atem des Odinssohnes, seine Lungen keuchten, zuck­ten im Krampf. Und dennoch versuchte er den Druck seiner Arme zu steigern, dem Fremden den Garaus zu machen.

Das Bild vor Heimdalls Augen wurde un­scharf, die Konturen verschwammen. Aus seiner Kehle kam ein Gurgeln.

Noch fester zog er die Muskeln an. Wie­der ertönte ein Knacken, es schien tief aus dem Inneren des Insektenleibs zu kommen,

Peter Terrid

aber der Panzer brach nicht. Vor Heimdalls Augen erschienen feuerige

Schleier. Er wußte: siegte er jetzt nicht, siegte er

niemals. Der Fremde hatte ihn tot geglaubt, und ein zweites Mal würde er diesen Fehler nicht begehen. Dieser Kampf, diese Ausein­andersetzung, diese in Ewigkeiten zerdehn­ten Augenblicke höchster Anstrengung ent­schieden alles.

Heimdall spürte, wie seine Rippen sich bogen. Auf der linken Seite seines Körpers loderte der Schmerz, in seinem Schädel tob­ten dumpfe Trommeln. Alle Kraft, konzen­triert auf die Arme, in einem Herzschlag ge­sammelt. Noch ein Zug, eine letzte gewalt­same Anstrengung … ein Herzschlag noch, noch ein Aufbäumen, schon schwarz um­wölkt von der herannahenden Ohnmacht, al­le Kraft in diese letzte Attacke. Odin, Vater, hilf … hilf deinem Sohn.

Heimdall fiel vornüber. Blitzartig hatte der Druck auf seinen

Brustkorb nachgelassen, mit der Gewalt ei­nes Faustschlags kehrte die Luft in Heim­dalls überbeanspruchte Lungen zurück.

Einen Augenblick lang konnte er das Ge­fühl des Sieges auskosten, begriff er, daß er den Kampf gewonnen. Das Untier war schwächer gewesen, seine Beine waren ihm weggeknickt, es war umgefallen und Heim­dall mit ihm.

Dann aber stieß der Schock des plötzlich die Lungen überschwemmenden Sauerstoffs den Odinssohn in das Dunkelreich der Ohn­macht.

Besinnungslos brach er über dem geschla­genen Gegner zusammen.

*

»Woran denkst du, Atlan?« Ich drehte mich halb um. Thalia hatte den

Raum betreten. Ich zuckte mit den Schul­tern.

»An alles«, antwortete ich. »An nichts – es kommt auf das gleiche hinaus.«

Ich hatte auf das Land hinausgeblickt, das

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31 Späher der Krolocs

vor dem Fenster zu sehen war. Atlantis. Dieses Land war nach mir benannt wor­

den, vor Äonen, von Freunden, Gefährten, Untergebenen. Wir hatten einer Flotte Ar­kons angehört, ausgeschickt nach Larsaf III, um die Druuf zu bekämpfen, deren Namen ich damals nicht gekannt hatte.

Larsaf III. Das war die Erde, Terra, wie sie von ihren

Bewohnern benannt worden war. Die Erde – meine Heimat.

Wie weit waren sie von mir entfernt, die Erde, der Mond, die Sonne, die Freunde? Perry Rhodan, Bully, Homer Gershwin Adams und all die anderen. Zehn Jahrtau­sende hatte ich unter Barbaren gelebt, in Un­wissenheit, Dummheit, unvorstellbarer Grausamkeit und Härte, bis ich diese Freun­de gefunden hatte. Freunde, mit denen zu­sammen die Existenz wieder als Leben zu bezeichnen war.

Wie lange würde ich nun als Einsamer durch Räume und Zeiten irren müssen, bis ich sie wiedersah? Wenn überhaupt?

Einstweilen sauste ich mit dem Dimensi­onsfahrstuhl durch Koordinaten in Raum und Zeit, die ich nicht einzuordnen verstand. König von Atlantis, ein Titel, der gut klang, aber innerlich leer war. Was mit Atlantis, wirklich geschah, bestimmten andere, Mäch­te, deren Gestalt und Machtfülle ich nicht kannte. Ich stand vor einem Wald von Fra­gezeichen.

»Besorgt?« Ich lächelte. »Sich Sorgen zu machen, ist der Könige

Pflicht und Aufgabe«, antwortete ich. »Ich mußte gerade an vergangene Zeiten denken, an Freunde, die zum Teil früher Feinde wa­ren. Auf Atlantis – oder Pthor – liegen die Verhältnisse ähnlich. Jeder ist jedes Feind, einer bekämpft den anderen, täuscht, be­trügt, intrigiert. Atlantis zersplittert in Ein­zelinteressen.«

»Kein Ruhmesblatt für einen frischge­backenen König.«

Ich nickte.

Wieder sah ich aus dem Fenster. Wieder dachte ich an die Erde.

Auch dort hatte es Zersplitterung gege­ben. Uneinigkeit war an der Tagesordnung gewesen. Uneinigkeit – das war der Schlüs­sel zum Untergang vieler Reiche gewesen. Von dem Tage an, da sich die Enkel des großen Dschingis-Khan zerstritten hatten, war das Reich der Mongolen, die gewaltig­ste Großmacht in der Geschichte der Men­schen, zerfallen, zerbröckelt, zunichte ge­worden. Und für Arkon galt das gleiche. Auch der Niedergang des Großen Imperi­ums war Hand in Hand gegangen mit dem Zerfall, dem Zersplittern in Machtgruppen, die einander befehdeten. Springer, Antis, Aras, Ekhoniden, Überschwere … Arkon war dabei auf der Strecke geblieben.

Terra war gerettet worden durch äußere Bedrohung. Erst im Kampf gegen den ge­meinsamen Feind Perry Rhodan und die von ihm geführte Dritte Macht hatten sich die Nationalstaaten und die daraus hervorgegan­genen Bündnissysteme zusammengerauft. Und erst durch lange Jahre der Bedrohung durch die Völker des Arkon-Imperiums wa­ren aus Russen und Amerikanern, Europäern und Afrikanern Terraner geworden.

War es möglich, Ähnliches mit Atlantis zu erreichen?

Es mußte möglich sein. Ich wußte nicht, wie die Mächtigen aussa­

hen, denen Atlantis-Pthor seine Existenz verdankte. Eines aber war ersichtlich: Wir – die Bewohner von Pthor – hatten nur dann eine echte Chance, diesen Machtanspruch abzuwehren und gegen die Bedrücker er­folgreich zu kämpfen, wenn wir untereinan­der einig waren. Nur dann, wenn der König von Atlantis die Atlanter geschlossen in den Kampf gegen die Machthaber führen konnte.

Dieses Ziel war wichtig. Persönliche Ge­fühle, Eitelkeiten, Machtansprüche – all dies mußte hinter dem großen Ziel der Einigung zurückstehen.

»Ein Bote, Atlan!« Ich schrak auf. Thalia stand im Eingang, und neben ihr

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32

war ein Dello aufgetaucht. Ich erkannte einen der Dellos, die ich ausgeschickt hatte, Heimdalls Hort zu holen. Heimdall hatte Loyalität versprochen. Setzte er sich etwa zur Wehr?

»Was gibt es? Ist der Hort geborgen?« Der Dello schüttelte den Kopf. Er wirkte

ängstlich. »Er beschießt uns, Herr. Wir sind nicht

einmal bis zum Eingang gekommen, als er auch schon das Feuer eröffnete.«

Das war stark. Insgeheim hatte ich damit gerechnet, daß Heimdall sich weigern wür­de, den Schatz herauszugeben. Ich konnte das verstehen, ich hätte an Heimdalls Stelle meine Schätze ebenfalls nur ungern heraus­gerückt. Aber offener Widerstand? Schüsse auf meine Abgesandten?

»Was sagt der Odinssohn?« Der Dello zuckte mit den Schultern. »Nichts, Herr. Er schießt nur. Wir haben

keine Möglichkeit, den Schatz zu holen. Wir sind unbewaffnet, und das Lettro ist nahezu uneinnehmbar. Was sollen wir tun, Herr?«

Thalia hatte die Lippen zusammenge­preßt, daß sie Strichen glichen. Ihre Wangen hatten sich gerötet.

»Heimdall«, stieß sie hervor. »Natürlich Heimdall. Wir fliegen sofort hin, nicht wahr?«

Ich überlegte nicht lange. In diesem Fall ging es nicht nur um den

Schatz allein. Heimdalls Vater Odin hatte mich zum König von Pthor eingesetzt. Heimdalls Aktion versperrte mir nicht nur den Zugriff auf den Schatz – er stellte damit gleichzeitig mein Königtum in Frage. Meine Macht – ohnehin nicht groß und gerade erst erworben – wurde durch solche Aktionen ausgehöhlt. Ließ ich Heimdall gewähren, war die Chance vertan, die Atlanter zusam­menzuführen.

Es gab keinen anderen Weg. Ich mußte Heimdalls Widersetzlichkeiten auf der Stelle ein Ende bereiten. Wenn ich ihm Eigen­mächtigkeiten durchgehen ließ, konnte ich meine Autorität abschreiben, und mit mei­nem Ansehen auf Atlantis war es ohnehin

Peter Terrid

nicht weit her. Dieser Mini-Putsch konnte, wenn ich nicht sofort und hart reagierte, das Ende meiner Karriere sein.

»Ich werde zum Lettro fliegen«, verkün­dete ich.

»Ich komme mit.« Ich sah Thalia an, dann nickte ich. Wenig

später waren wir bereits auf dem Weg.

*

»Rhee!« Kröbel schrie sich fast die Lungen aus

dem Hals, aber das Yassel achtete seiner Kommandos nicht. Das Tier raste so schnell es konnte durch die Landschaft, ohne sich mehr um den Reiter zu kümmern als um ein lästiges Insekt. Hätte sich nicht Kröbel mit aller Skullmanenz festgeklammert, er wäre längst irgendwo liegengeblieben, vermutlich mit gebrochenen Knochen.

»Anhalten!« keifte der Magier. »Halt an, du marode Mähre, männermordendes Mist­vieh!«

Auch mit Stabreimen ließ sich das Yassel nicht beeinflussen. Es rannte weiter, setzte über Gräben und Büsche, preschte durch Dickichte, deren Gezweig dem leidgeprüften Magier die Haut gerbte. Kröbel schrie und wetterte ohne Erfolg.

Als das Yassel schließlich anhielt, war das Tier völlig erschöpft und der Magier atemlos. Seine Stimme war nur noch ein Krächzen.

Bebend am ganzen Körper rutschte Krö­bel von dem Yassel und ließ sich der Länge nach auf den Boden fallen. Mühsam rang er nach Luft. Das Fluchen und Verwünschen des Reittiers setzte er im stillen fort.

Der Magier brauchte eine Viertelstunde, bis er sich leidlich gesammelt hatte. Das Yassel stand derweilen so friedlich äsend da, als wolle es sich um den Baldiran-Preis be­werben.

»Hinterlistiges Luder«, schimpfte Kröbel, vorsichtshalber leise. Vielleicht steckte in der Mähre ein verwunschener Prinz, den man nur an die Wand zu werfen brauchte,

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33 Späher der Krolocs

um ihn zu erlösen. In diesem Fall wäre er in einem Yassel ziemlich dauerhaft verzaubert gewesen.

Kröbel beschloß zweierlei. Zum einen wollte er schnellstens zum Lettro zurück­kehren, um Heimdall die Katastrophennach­richt überbringen zu können. Zum anderen wollte er sich erst einmal sehr vorsichtig mit dem Yassel befreunden. Wenn Heimdall nämlich – was zu befürchten war – zu wüten begann, war es weise von Kröbel, ein eilfer­tiges Yassel zur raschen Flucht an der Hand zu haben.

Obendrein tat ihm sein Sitzfleisch weh. Also fertigte Kröbel aus den Resten der Be­spannung ein Hackamore und legte es dem Yassel an. Danach ging er ein Stück fried­lich neben dem Yassel her, um sein Vertrau­en zu gewinnen. Vergeblich versuchte sich der Magier eines Tierzaubers zu entsinnen, mit dessen Hilfe er das Yassel hätte gefügi­ger machen können und vor allem etwas weicher, zumal an jener entscheidenden Stelle, an der sich der Körper des Yassels mit dem Körper des Magiers berührte.

»Bist ein braves Vieh, nicht wahr?« Kröbel versuchte beruhigend auf das Yas­

sel einzureden, obwohl er seine Zweifel hat­te. Sarkastische Reden – und das war alles, was dem Magier im Augenblick einfallen wollte – waren wohl nicht das geeignete Mittel, eine wilde Bestie zu zähmen.

»Halt still, elende Mähre!« Kröbel wollte sich wieder auf den Rücken

des Yassels schwingen. Er fand seine Be­schwichtigungsversuche ausreichend. Das Yassel machte einen gekonnten Schritt zur Seite, und der Magier landete im Dreck. Mit aller Beherrschung, deren er fähig war, un­terdrückte Kröbel eine Kaskade von Flü­chen. Irgendwie – auf geheimnisvolle, viel­leicht gar magische Weise – schien das Yas­sel verstehen zu können, was Kröbel sagte, und das machte das Problem noch größer.

Obendrein fand das Zugtier die Versuche des Magiers ausgesprochen erheiternd. Es hatte jedenfalls den Anschein, als amüsiere sich das Tier und täte das Seine dazu, die

Prozedur des Aufsteigens zu einer Qual für den Reiter zu machen.

Kröbel brauchte eine geschlagene Stunde, bis er endlich wieder auf dem Rücken des Yassels saß, müde, zerschlagen und zer­schunden, aber ein triumphierendes Grinsen im Gesicht. Und diesmal konnte er seinen Sitz behalten. Das Yassel setzte sich auch folgsam in Bewegung, als Kröbel ihm die Fersen zu spüren gab.

Der zweite Teil des Rittes paßte dem Ma­gier weit mehr als der erste Teil. Das Yassel war nun lammfromm, wäre der überfall der Piraten nicht gewesen, Kröbel hätte den Ritt genießen können.

So aber sah er mit Hoffen und Bangen zu­gleich dem Augenblick entgegen, da er vor Heimdall treten und ihm den Verlust des Parraxynth-Schatzes beichten mußte.

Kröbel war mit diesem sorgenvollen Ge­danken derart beschäftigt, daß er den be­fremdlichen Gegenstand erst sah, als das Yassel ihn schon beinahe passiert hatte.

»Rhee!« schrie der skullmanente Magier. Das Yassel stoppte gehorsam, und Kröbel beschrieb über den Kopf des Tieres hinweg einen Bogen, der mit einem unsanften Plumpser auf dem Boden endete.

Den Schmerz in seinem neuerlich ge­schundenen Hinterteil nahm der Magier nicht wahr. Mit offenem Mund starrte er das Gebilde an, das da in der Landschaft herum­lag und ganz offenkundig nicht zu dieser Landschaft gehörte.

Kröbel stand auf und spazierte langsam zu dem Ding hinüber.

Mit viel Phantasie konnte man den Hau­fen als die kläglichen Überreste eines schei­benförmigen Etwas interpretieren – wobei allerdings unklar blieb, was das für ein Et­was war, was es bedeutete und wie es sich zu diesem Fleck verirrt hatte.

»Alle guten Geister«, murmelte Kröbel, skullmanent beeindruckt.

Er ging langsam um den Trümmerhaufen herum. Das Ding sah hochgradig technisch aus, und außerdem wirkte es, als sei es ei­nem sehr, sehr bösen Heimdall in die Hände

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gefallen – also ziemlich ramponiert, wenn nicht gar schrottreif.

Aus der Scheibe, die sehr zusammenge­drückt und verbogen aussah, ragten einige metallische Teile hervor. Ungefähr die Hälf­te dieser Teile war derart verdreht und ge­zackt, daß sich beim besten Willen nicht er­klären ließ, wozu sie dienten. Die andere Hälfte dieser Teile sah allerdings Hebeln und Handgriffen ziemlich ähnlich.

Kröbel, begabt mit dem Mut eines Man­nes, der die Magie in all ihrer Skullmanenz beherrscht, raffte sich zusammen und griff nach einem der Hebel.

Probeweise zog er daran. In den nächsten zwei Sekunden geschah

zweierlei. Zum einen bekam Kröbel von dem bösen Geist, der in den Trümmern steckte, einen furchtbaren Schlag auf magi­scher Ebene versetzt, der den Magier laut schreiend umherhüpfen ließ, und zum ande­ren kam aus dem Trümmerhaufen ein un­heilverkündendes Knistern, das sich rasch verstärkte und wenig später von einer Rauchfahne begleitet wurde.

Vor den Augen des entgeisterten Magiers begann der Schrott von innen heraus zu glü­hen. Er wurde immer heißer und heißer, und nach kurzer Zeit war das Metall sogar schmelzflüssig geworden. So groß war die Hitze, daß Kröbel Schritt um Schritt zurück­weichen mußte.

Der ganze Vorgang nahm nur wenige Mi­nuten in Anspruch, dann war von dem schei­benförmigen Etwas nur ein weißglühender Metallfladen übriggeblieben, der dampfte und zu nichts mehr zu gebrauchen war.

Kröbel besah sich das Ergebnis des Hand­griffs, den er getan hatte, und angesichts der Folgen zog er es vor, schnell wieder auf sein Yassel zu steigen und eilends davonzureiten, bevor der Besitzer der Scheibe auftauchen und dem Magier einige peinliche Fragen stellen konnte.

8.

Der tropfenförmige Energieprallwagen

Peter Terrid

beschleunigte etwas. Gurmen, der hinter dem Steuer saß, lenkte

das Gefährt von der Straße herunter, sobald der Gleiter das Stadtgebiet hinter sich gelas­sen hatte. Zusammen mit Jasder flog er Pa­trouille rings um Donkmoon.

Die Gordys, deren es 15 000 in Donk­moon und Umgebung gab, hatten die War­nung des neuen Königs von Pthor nicht ver­gessen. In frischer Erinnerung war ihnen auch das fürchterliche Gemetzel geblieben, das Heimdall unter ihnen angerichtet hatte, damals, als sie mittels eines energetischen Transportverfahrens versucht hatten, unmit­telbar in Heimdalls Lettro anzukommen und dem Odinssohn den Parraxynth-Schatz zu stehlen.

»Ich wette, daß alles ruhig ist.« Gurmen nahm die Wette nicht an. Er hoff­

te, daß der Patrouillenflug so verlaufen wür­de wie all die anderen – ruhig, reichlich langweilig, dafür aber auch ungefährlich. Nach einigen Schlappen in der Vergangen­heit war den Gordys eher nach Ruhe denn nach Aufregungen zumute. Ihre Versuche, Heimdall seinen Schatz zu rauben, hatten sie eingestellt. Die Hoffnung aber, eines fernen Tages ihren Parraxynth-Schatz um die Sammlung des Göttersohns erweitern zu können, hatten sie keineswegs aufgegeben. Andere Zeiten erforderten andere Mittel, man mußte warten. Irgendwann würden sich die Verhältnisse wieder umkehren, und dann war die Stunde der Gordys gekommen … vielleicht.

»Steuere nach links«, bestimmte Jasder. Gurmen deutete eine Verbeugung an,

dann folgte er der Aufforderung. In der nächsten halben Stunde verlief die

Patrouille genauso, wie Gurmen es sich ge­wünscht hatte, in der Hauptsache langweilig.

»Dort sind Spuren!« sagte Jasder plötz­lich. Er deutete nach vorne.

»Außerhalb unseres Patrouillenbereichs«, sagte Gurmen.

»Wir sollten trotzdem nachsehen«, be­harrte Jasder. »Vorsicht kann nie schaden.«

Gurmen überlegte nur kurz.

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35 Späher der Krolocs

Sie hatten den Bereich, der üblicherweise abgeflogen wurde, ohnehin schon um etli­ches verlassen. Wenn sie sich noch weiter entfernten …

Auf der anderen Seite waren die Wagen­spuren – jetzt konnte sie auch Gurmen sehen – alles andere als normal. Welcher Wagen verließ die Straße und fuhr querfeldein, wenn er nicht gefährliche oder verbotene Fracht führte?

»Wir sehen uns die Sache einmal an«, sagte Gurmen schließlich. Er steuerte den Gleiter auf die Spuren zu.

Im Näherkommen konnten die beiden Gordys sehen, daß der Wagen schwer bela­den gewesen sein mußte. Die Räder hatten sich sehr tief in den nachgiebigen Unter­grund eingegraben. Das machte die Angele­genheit besonders interessant – die freie Landschaft war wahrlich nicht die geeignete Bahn für Schwerguttransporte. Wer so schwere Ladung über solche Pfade leitete, hatte mit Sicherheit etwas zu verbergen. Und dergleichen Dinge erregten naturgemäß das Interesse der beiden Gordys.

»Ich folge der Spur«, sagte Gurmen. Er ließ den Gleiter steigen, um über das

Strauchwerk hinwegfliegen zu können. Die Fährte war leicht und einfach zu sehen, ihr zu folgen war mit dem Gleiter ein Kinder­spiel.

»Nanu?« Jasder, der die besseren Augen hatte, deu­

tete nach vorn. Sein Gesicht verriet Erstau­nen.

Gurmen ließ den Gleiter anhalten. Was er sah, irritierte ihn in höchstem

Maß. Die Spur des Wagens endete an dieser Stelle. Die Trümmer des Gefährts lagen auf dem Boden, zusammen mit einem beachtlich großen Haufen Schrott. Auf dem Gras waren Blutflecken zu erkennen, aber es waren we­der Tiere noch Menschen zu sehen. Eine höchst merkwürdige Sache.

Gurmen ließ den Gleiter zu Boden sinken und stieg aus.

»Was mag sich hier zugetragen haben?« fragte er halblaut.

»Ein Überfall«, schlug Jasder vor. »Vielleicht Piraten. Die Fuhrleute sind mit dem Gespann verschwunden und haben alles stehen und liegen lassen. Und die Räuber haben sich auch davongemacht, als sie sa­hen, was sie erbeutet hatten.«

»Glaubst du wirklich?« Gurmen war bleich geworden. Er schüt­

telte den Kopf, kniete nieder und schüttelte wieder den Kopf.

»Glaubst du wirklich, jemand würde das hier liegenlassen? Diesen Schatz?«

»Schatz?« Jasder kam näher. »Ja, Schatz!« schrie Gurmen. »Schatz,

Schatz! Es sind Heimdalls Parraxynth-Stücke. Sieh her, das sind sie. Ich bin mir ganz sicher. Hier liegt Heimdalls Hort!«

Jasder verschlug es die Sprache. Er rannte zu Gurmen hinüber, riß ihm ei­

nes der Stücke aus der Hand. Er zitterte vor Erregung, als er das Metall in Händen hielt und von allen Seiten betrachtete.

»Es sieht echt aus«, stieß er hervor. »Aber wie kommt das hierher? Wo ist Heimdall? Er wird doch seinen Schatz nicht alleinlas­sen. Ich verstehe das nicht.«

Gurmen stand langsam auf. Er wandte den Blick nicht von dem Schatz, als er sagte:

»Es ist mir egal, wie das zustande gekom­men ist. Ich weiß nur eines, hier liegt Heim­dalls Schatz. Seit Ewigkeiten versuchen wir, Heimdalls Sammlung in unseren Besitz zu bringen. Nun, hier ist Heimdalls Sammlung. Wie sie hierhergekommen ist, interessiert mich nicht.«

»Unglaublich«, murmelte Jasder. »Einfach unglaublich.«

Gurmen fand als erster seine Gedanken­kälte wieder.

»Wir haben keine Zeit zu verlieren«, sag­te er energisch. »Wir müssen einen Trans­porter aus Donkmoon besorgen, der uns hilft, die Sammlung für uns in Sicherheit zu bringen. Früher oder später wird Heimdall hier auftauchen, und wehe uns, wenn er uns findet, damit beschäftigt, seinen Schatz auf­zuladen.«

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36

*

»Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, daß Heimdall tatsächlich offenen Wider­stand leistet, daß er sogar auf deine Abge­sandten schießt.«

Ich zuckte mit den Schultern. Offenbar hatte die Bruderliebe ein wenig

das Erinnerungsvermögen der Odinstochter getrübt. Mir jedenfalls waren die jüngsten Akte der drei Brüder gegen Thalia noch in bester Erinnerung. Wenn Heimdall mit sich reden ließ, dann konnte es mir recht sein.

Tatsächlich aber rechnete ich mit einem Kampf.

Heimdall war kein Schwachkopf. Er konnte sich ausrechnen, daß er den Schatz entweder gutwillig hergeben oder aber dar­um kämpfen mußte. Wenn er sich überreden lassen wollte, dann hätte er gar nicht erst auf meine Dellos zu schießen brauchen. Da er aber geschossen hatte, nahm ich an, daß er es auf einen Kampf ankommen lassen woll­te.

Recht war mir das naturgemäß nicht, ich hatte mich schon zu oft mit Gegnern aller möglichen Zeiten, Räume und Beschaffen­heiten herumraufen müssen.

Es war – vielleicht – die ewig alte Leier. Heimdall war der alte Leitwolf der Herde, der erst bezwungen sein wollte, bevor er die neue Führung anerkannte. Ich hatte weder Lust noch Zeit, jeden einzelnen Widerborsti­gen handgreiflich davon überzeugen zu müssen, daß ich der neue Herrscher von At­lantis war. Vielleicht, das war meine stille Hoffnung, fügten sich die anderen Pthorer drein, wenn sie erfuhren, daß ich Heimdall besiegt hatte.

Prachtvoll, spottete der Extrasinn. Der Herr bestellt den Kürschner, bevor er den Bären auch nur gesehen hat. Warte ab, ob du Heimdall bezwingen kannst!

Ich verließ mich bei meinem Optimismus auf das Goldene Vlies, den Anzug der Ver­nichtung, von dem ich wenig mehr wußte als daß er ein hervorragender Defensivschutz

Peter Terrid

war. Heimdalls Haus kam in Sicht. Das Lettro

sah tatsächlich aus wie ein Bunker, und dem entsprach auch der Charakter seines Bewoh­ners. Vorsichtshalber ließ ich den Zugor sin­ken und stellte ihn abseits auf dem Boden ab.

»Laß mich mit Heimdall reden«, bat Tha­lia.

Ich schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich«, wehrte ich ab. »Du hast

gehört, Heimdall schoß auf die Dellos. Er wird auch auf mich schießen, nehme ich an. Wer seinen Schatz so nachdrücklich vertei­digt, ist zu allem entschlossen. Reden wird wahrscheinlich nichts nutzen.«

»Wir könnten es wenigstens versuchen«, fuhr Thalia fort. Ihre Stimme verriet Besorg­nis. Ob die Sorge dem hartnäckigen Bruder oder mir galt, ließ sich nicht heraushören.

Ich schüttelte wieder den Kopf. »Hierher, Herr!«

Ein Dello war aufgetaucht, er winkte uns zu.

Wir schlichen uns zu den Dellos. Sie la­gen in sicherer Deckung, in sehr sicherer Deckung, wie ich feststellte. Tapferkeit war nicht die Stärke der Dellos.

»Was ist geschehen in den letzten Stun­den?«

»Nicht viel, Herr«, antwortete der Spre­cher der Dellos. »Heimdall hat auf uns ge­schossen, und wir sind in Deckung gegan­gen. Wir haben uns nicht mehr gezeigt, also hat der Herr des Lettros auch nicht geschos­sen. Vielleicht tut er es wieder, wenn wir uns zeigen.«

»Hat jemand das Lettro betreten oder ver­lassen?« fragte Thalia. Der Dellos schüttelte den Kopf.

»Dann müßte Kröbel noch im Lettro sein«, überlegte Thalia. »Nun, mit diesem Gegner ist fertig zu werden.«

Ich war mir da nicht so sicher. Wenn der skullmanente Magier den Durchbruch schaffte, war er als Gegner vermutlich ernst zu nehmen. Allerdings war die Wahrschein­lichkeit nicht sehr groß, daß Kröbel tatsäch­

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lich beachtliche Fähigkeiten als Magier er­warb. Bislang besaß er nur beachtliche Fä­higkeiten als Aufschneider.

Ich schlich mich vorsichtig näher an das Lettro heran. Thalia folgte, und sie war ver­nünftig genug, ebenfalls in sicherer Deckung zu bleiben. Gegen Energieschüsse half keine Bruderliebe.

»Heda! Heimdall!« Ich rief zum Lettro hinüber. Nichts rührte

sich. Ich bekam auch keine Antwort. »Heimdall!« Die Antwort bestand in einem Feuerstoß

aus einer Energiewaffe. Ich konnte mich ge­rade noch in Sicherheit bringen.

»Da hast du die Antwort«, sagte ich zu Thalia. »Es hat wenig Sinn, mit ihm zu re­den.«

Thalia sah an mir vorbei. »Vorsicht, Krö­bel!« schrie sie mit höchster Stimmkraft.

Ich fuhr herum. Ich sah ein Yassel durch­gehen, auf dem Rücken ein bärtiger Gnom, der von dem bockenden Tier in hohem Bo­gen herabgeschleudert wurde. In wilder Pa­nik suchte das erschreckte Yassel das Weite, während sich der Magier schnellstens vor den Feuerstößen aus dem Lettro in Sicher­heit brachte.

»Bei Odin!« keuchte der kleine Magier, als er uns erreicht hatte. »Was ist passiert? Wer schießt da?«

»Heimdall«, sagte ich. »Wer sonst?« »Auf mich? Auf Kröbel, den skullmanen­

ten Magier? Völlig ausgeschlossen!« Kröbels Stimme wirkte fest und sicher,

auch wenn sie etwas keuchend klang. »Absolut ausgeschlossen«, wiederholte

er, sobald er wieder genügend Atem hatte. »Ich kenne Heimdall, den herrlichen Held; niemals würde er auf mich schießen.«

»Und wie würdest du das Feuer nennen, das dir entgegenschlug?« fragte Thalia.

Kröbel machte eine wegwerfende Geste. »Fremde«, sagte er geringschätzig.

»Niemals Heimdall. Wahrscheinlich wird er belagert, vielleicht von den Gordys, die sei­nen Parraxynth-Schatz stehlen wollen. Die Zeiten sind unsicher, heutzutage.«

Ich gab keine Antwort auf diese Spitze. »Ich werde versuchen, auf das Dach des

Lettros zu steigen«, gab ich bekannt. »Wartet hier, bis ich euch ein Zeichen ge­be.«

Kröbel sah mich zweifelnd an, dann ver­kündete er:

»Ich werde dir helfen, mit meinen Fähig­keiten wird der Kampf bald ein Ende ha­ben.«

Mochte er prahlen. Ich war nicht gewillt, noch länger untätig vor Heimdalls Lettro in Deckung zu liegen. Ich schlug mich durch das Gestrüpp und erreichte eine Mauer des bunkerähnlichen Gebildes, das Heimdall sein Heim nannte. Es kostete mich einige Mühe, bis ich an der Wand in die Höhe ge­klettert war.

Auf dem flachen Dach ruhte ich mich für einige Sekunden aus, dann robbte ich auf der Fläche vorwärts.

Ich zielte auf den Eingang des Lettros. Dort mußte Heimdall stehen und auf die Dellos schießen, sobald sie sich zeigten.

Allerdings überkamen mich bei meinem Vordringen Zweifel, ob es sich bei dem Schützen tatsächlich um Heimdall handelte. Kröbel war Heimdalls langjähriger Hausge­nosse, und wahrscheinlich stand der kleine Magier dem Odinssohn näher als die Brüder Sigurd und Balduur oder die Schwester Tha­lia. Daß Heimdall auch auf Kröbel schießen sollte, noch dazu ohne jede Warnung, er­schien mir unwahrscheinlich.

Den endgültigen Beweis lieferte mir der Schütze selbst.

Es war nicht Heimdall. Heimdall hatte nur zwei, nicht vier Beine.

Er sah auch nicht einer riesenhaft vergrößer­ten Spinne ähnlich.

Ein Fremder war in Heimdalls Lettro ein­gedrungen und feuerte von dort aus auf al­les, was sich dem Lettro zu nähern wagte. Die stabförmige Energiewaffe in der linken Greifklaue des Spinnenwesens war nicht zu übersehen.

Sofort begann ich mir Sorgen zu machen – um jenen Mann, der mir vor ein paar Au­

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genblicken noch als potentieller Feind er­schienen war.

Wo war Heimdall? Undenkbar, daß er irgendwo in seinem

Bunker saß und gemütlich zusah, wie ein be­waffneter Fremder Freunde und Feinde glei­chermaßen unter Feuer nahm. Niemals hätte Heimdall zugelassen, daß sich ein Fremder in seinem Heim derart aufführte – es sei denn, Heimdall war nicht mehr in der Lage, sich gegen die Absichten des Fremden zu verwahren.

War der Odinssohn am Ende gar tot? Das rücksichtslose Feuer des Riesenin­

sekts – gerade jetzt gab es einen neuen Feu­erstoß ab, auf wen, konnte ich von meinem Standort aus nicht erkennen – bewies, daß es keinerlei Rücksichten nahm. Es hatte nicht einmal einen Augenblick gewartet, um Krö­bel eine Chance zu geben.

Kröbel! Plötzlich sah ich den kleinen Magier. Wie er sich herangeschlichen hatte, war

mir ein Rätsel. Aber er war da, gerade recht­zeitig.

Das Spinnenwesen stand neben dem Brunnen des Lettros, und in eben diesem Brunnen steckte der skullmanente Magier.

Was man sich genau unter dem Begriff Skullmanenz vorzustellen hatte, war mir und nicht nur mir ein Geheimnis. Jetzt aber zeig­te sich, daß der kleine Magier allen Anfech­tungen zum Trotz doch seinen Mann zu ste­hen wußte.

Ich sah, wie einige Dampfwolken aus dem Brunnen aufstiegen, und dann gab es einen großen Schwall siedendheißen Was­sers, das einer Fontäne gleich aus dem Brun­nen in die Höhe stieg.

Dem Wasserstrahl ging ein leises Blub­bern voraus, und dieses Geräusch genügte dem Spinnenwesen.

Es machte einen hastigen Schritt zur Sei­te, um nicht von dem siedenden Wasser ge­troffen zu werden.

Nun gab es für mich kein Zögern mehr. Das Spinnenwesen war irritiert, verblüfft.

Ich sprang vom flachen Dach herunter, lan-

Peter Terrid

dete neben dem Fremden, rollte ab und stand einen Herzschlag später neben ihm.

Tausende von Malen geübt, auf der Erde, auf Arkon III, im Quinto-Center; Tausende von Malen gezwungenermaßen angewandt in zehn Jahrtausenden des Kampfes; mit dem linken Fuß traf ich den Waffenarm des Fremden. Ich wartete kein Ergebnis ab, son­dern drehte mich um die eigene Achse, setz­te zu einem Handkantenschlag an, der den Schwung des Tritts verstärken sollte. Ich traf die Spinnenkreatur auf dem häßlichen Schä­del, und noch während die Waffe durch die Luft flog, krachte mein Fuß gegen das Bein des Fremden.

Jede Bewegung war ein Angriff, so wie ich es gelernt hatte. Wenn man um sein Le­ben kämpfte, durfte man sich keine Zehntel­sekunde Pause gönnen. Jede Bewegung, auch die Abwehr eines Angriffs, mußte so­fort fortgesetzt und in einen eigenen Angriff umgewandelt werden.

Das Spinnenwesen brach in die Knie und kippte dann ganz um. Es zuckte noch einige Male und blieb dann reglos liegen.

Wenn ich meine Schläge richtig dosiert hatte, konnte die Kreatur nur besinnungslos sein. Ich sah, wie Kröbel seinen Kopf aus dem Brunnen steckte. Er war naß und damp­fumwölkt, aber er grinste breit.

»Los, besorge Stricke, damit wir ihn fes­seln können«, rief ich ihm zu. »Und danach suchen wir Heimdall.«

9.

Gefangen! Ein Kroloc gefangen! Mayzca Fell brauchte nur einige Sekun­

den, bis er begriff, was ihm widerfahren war. Als er aus seiner Bewußtlosigkeit er­wacht war, hatte er spüren müssen, daß ihm seine Glieder nicht mehr gehorchten. Er konnte die Füße nicht mehr bewegen, auch seine Hände waren gebunden.

Im ersten Augenblick war der Kroloc ver­sucht, sich darüber zu amüsieren. Als ob man einen Kroloc hätte wirksam fesseln

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können! Aber dann … Mayzca Fell zerrte an den Stricken, die er

deutlich spüren konnte. Die Seile gaben nicht nach. Wer immer die Fesselung ange­legt hatte, er hatte sich genau überlegt, wo man die Schlingen legen mußte, um die ge­waltigen Körperkräfte des Krolocs neutrali­sieren zu können.

Gefangen! Dieser eine, dieser ungeheuerliche Gedan­

ke tobte durch das Gehirn des Krolocs. Es war wie ein Trommelschlag, der in regelmä­ßigem Abstand wiederholt wurde und dabei von Mal zu Mal stärker ausfiel.

Gefangen! Unvorstellbar, unglaublich, undenkbar –

aber wahr, wirklich, fühlbar und unwiderruf­lich.

Mayzca Fell spürte, wie sich sein gesam­ter Organismus förmlich verkrampfte.

Mit aller Kraft und unter unglaublichen Mühen schaffte er es, sich herumzudrehen. Und dann sah er seinen Bezwinger.

Es war ein Gnom. Verglichen mit dem Weichbauch, den er

zweimal besiegt hatte, und der ein ernstzu­nehmender Gegner gewesen war, war dieses Wesen ein Winzling. Einfach lächerlich zu glauben, das dieses Wesen einen Kroloc in Bande geschlagen haben sollte.

Der Gnom sagte etwas. Von seinem Gesichtsteil hing eine schüt­

tere, häßliche Flechte herab. Die Haut war runzlig und ekelerregend, die Stimme – oh­nehin unverständlich – ein mißtönendes Krächzen.

Mayzca Fell begriff nicht, wie es dieses Wesen fertiggebracht haben sollte, ihn zu bezwingen. Ihn, den Späher der Krolocs! Ihn, Mayzca Fell!

Der Trommelschlag verstärkte sich. Gefangen! Gedemütigt! Niedergeworfen! Diese Schmach fiel nicht nur auf Mayzca

Fell, sie würde das ganze Volk treffen. Die Krolocs, deren Eier zur Zeit reiften, und de­ren Nachkommen und die Eingeborenen in hundert Dekaden … sie würden den Namen

Mayzca Fell mit verächtlichem Zischen aus­sprechen, wenn er nicht überhaupt verpönt wurde.

Gefangen! Von einem Gegner, den kein Kroloc jemals ernstnehmen konnte, von ei­nem Zwerg, einer häßlichen, widerwärtigen Mißgeburt von einem Weichbauch.

Gefangen! Es gab einen Ausweg aus diesem Dilem­

ma, nur eine ehrenvolle Flucht. Es durfte einfach keinen gefangenen Kroloc geben. Mehr war nicht zu tun.

Es war durchaus denkbar und keineswegs schmachvoll – ein wenig peinlich vielleicht, aber das ließ sich ertragen – wenn ein Kro­loc von einem Fremden tot aufgefunden wurde. Dergleichen konnte vorkommen. Daß ein Fremder einen Kroloc stellte, be­zwang und sogar gefangennahm, war hinge­gen unmöglich. So etwas durfte es nicht ge­ben.

Gefangen! Mit der kalten Entschlossenheit, die nicht

nur für ihn typisch war, verstärkte Mayzca Fell diesen Impuls noch. Er ließ ihn noch hämmernder, noch eindringlicher werden.

Gefangen! In dem Augenblick, in dem das überlaste­

te, von diesem Gedanken zum Zusammen­bruch gezwungene Gehirn des Krolocs den Dienst versagte, durchzuckte den Sterben-den noch der letzte triumphierende Gedan­ke: Er hatte die Ehre seines Volkes gerettet und seinen Bezwingern ein Schnippchen ge­schlagen.

Eine Zehntelsekunde nach diesem eupho­rischen Gedankenblitz erloschen alle Le­bensvorgänge im Körper des Scouts.

Mayzca Fell war tot. Und niemand, jedenfalls kein Kroloc,

würde jemals erfahren, daß er im Kampf be­siegt worden war. Wenn die Invasionsarmee kam und selbstverständlich auch dieses Ge­biet eroberte und den Zwerg gefangennahm, dann konnte er reden soviel er wollte – kein Kroloc würde ihm glauben, daß er Mayzca Fell besiegt und gefangengenommen hatte. Man konnte einen Kroloc nicht gefangen­

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nehmen. Mayzca Fell hatte auf Kroloc-Art den Be­

weis dafür geliefert.

*

Kröbel schluckte. Er hatte schon allerlei erlebt. Ein Magier,

insbesondere ein skullmanenter Magier, wurde in seinem Leben mit vielen seltsa­men, unglaublichen, wunderlichen Dingen und Ereignissen konfrontiert. Was das be­traf, hatte Kröbel reiche Erfahrung.

Aber daß jemand, der körperlich unver­sehrt war, einfach starb, sein Leben wegwarf – das war dem Magier noch nicht unterge­kommen.

»Tot!« murmelte Kröbel fassungslos. »Einfach gestorben.«

Er hatte sich in den letzten zwei Minuten davon überzeugt, daß die Riesenspinne tat­sächlich tot war und sich nicht etwa verstell­te. Aber da der Körper des Fremden auf ver­schiedene Beschwörungen nicht reagiert hat­te, konnte es am Tod des merkwürdigen We­sens keinen Zweifel mehr geben.

Kröbel hatte es auch nicht an einer hand­greiflichen Probe fehlen lassen. Er hatte den Körper des Fremden getreten, aber der hatte sich nicht gerührt. Kein Zweifel, er war tot.

Die ganze Angelegenheit gefiel dem klei­nen Magier überhaupt nicht.

Da war zum einen dieses widerwärtige Vieh, das zwar nun ein für allemal tot war, aber nichtsdestotrotz an Kröbels Nerven zerrte. Da war zum anderen die Sorge um Heimdall, dem die Riesenspinne offenbar ganz erheblich zugesetzt hatte. Ohne seinen Hausmagier war der Odinssohn viel zu ge­fährdet, stellte Kröbel fest. Zum dritten mußte Kröbel noch beichten, daß man ihm den Parraxynth-Schatz abgejagt hatte.

Und zu allem Überfluß geisterte der neue König von Pthor im Lettro herum und such­te nach Heimdall.

»Hilf mir, Magier!« Der König war aufgetaucht. Er trug

Heimdall über der Schulter, eine beachtliche

Peter Terrid

Leistung, mußte Kröbel zugeben. Er selbst hatte mehr als einmal Stunden darauf auf­wenden müssen, den biersatten Göttersohn in sein Bett zu schaffen.

»Wie geht es ihm?« fragte Kröbel erregt. »Er ist ohnmächtig«, sagte der König. Er

ließ Heimdall sehr behutsam auf den Boden gleiten. Vielleicht war das ein gutes Zei­chen, vielleicht würde er Heimdall, wenn er erwachte, nicht zu arg mit Fragen nach dem Parraxynth-Schatz peinigen.

Kröbel raffte seinen Fachverstand zusam­men und untersuchte Heimdall. Der Götter­sohn war von einem Energieschuß an der linken Körperseite verletzt worden. Es war keine lebensgefährliche Wunde, aber eine Verletzung von der infamen Art, die derart schmerzt, daß man sich fast schon den Tod wünscht. Zwei, drei Tage, schätzte Kröbel, dann war Heimdall wiederhergestellt.

Ansonsten hatten er Prellungen am Ober­körper, seine Rippen waren geschwollen. Er sah übel aus, schwebte aber nicht in Lebens­gefahr.

»Ich werde ihn heilen«, versprach Kröbel eilfertig. »Und ich danke für die Hilfe. So­bald Heimdall erwacht, werde ich ihm er­zählen …«

Der König sah Kröbel an. Der Blick der rötlichen Augen war hart – und ein kleines bißchen amüsiert.

»Ich werde warten«, sagte Atlan, »bis er wieder zu sich gekommen ist.«

»Sehr freundlich«, stimmte Kröbel zu. »Heimdall wird entzückt sein.«

In Wirklichkeit würde Heimdall recht ver­ärgert sein, Kröbel wußte das. Wie konnte man diesen vermaledeiten König fortkom­plimentieren? Er durfte in keinem Fall bei Heimdall bleiben, bis der Göttersohn aus seiner Ohnmacht erwachte. Womöglich plauderte Heimdall im ersten Erwachen.

Zu allem Überfluß erschien jetzt auch noch des Bewußtlosen Schwester. Thalia wurde bleich, als sie den ohnmächtigen Heimdall sah. Auch das fand Kröbel wenig erfreulich, versprach diese Reaktion doch, daß er nun auch noch die Schwester Heim­

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dalls würde abwimmeln müssen, von den Dellos, die im Hintergrund standen und glotzten, ganz zu schweigen. Eine überaus unangenehme Situation. Schließlich konnte Kröbel dem König nicht mit Zaubersprü­chen und ähnlichem drohen. Er mußte höf­lich sein, sehr höflich.

»Er lebt«, informierte Atlan die Heimdall-Schwester. »Und er wird bald zu sich kom­men. Kröbel wird mir helfen, ihn aufzu­wecken.«

Kröbel nickte, was blieb ihm anderes üb­rig.

Der König war grausam genug, dem ohn­mächtigen Heimdall mit einem Guß kalten Wassers zu helfen. Heimdall blieb noch eine halbe Sekunde in der eiskalten Pfütze liegen, dann öffnete er die Augen.

Er sagte nichts, aber seine Augen wander­ten von einem der umstehenden zum ande­ren. Kröbel sah, wie sich Heimdalls Augen zusammenzogen, als er Thalia sah. Groß war die Liebe nicht zwischen Bruder und Schwe­ster.

»Sieh an«, sagte Heimdall, als er sich endlich aufrichtete. Kröbel kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß jetzt keine Gefahr mehr bestand. Heimdall war voll erwacht und würde sich nicht verplaudern. »Hoher Besuch.«

Die Gesichtszüge des Königs waren zu ei­nem Lächeln verzogen, aber die Stimme kam mit kristallener Klarheit.

»Ich kam, weil meine Boten beschossen wurden.«

»Jawohl, das wurden wir, und wie, und überhaupt …«

»Schweigt!« rief Heimdall, und die Dellos verstummten.

»Ich mußte nach Lage der Dinge anneh­men, daß der heimtückische Schütze Heim­dall hieß.«

Heimdall zuckte mit den Schultern. Er produzierte ein schmerzliches Lächeln, dann deutete er auf den Körper des Fremden.

»Nicht ich schoß«, sagte er; das Ächzen in der Stimme war ein klein wenig zu dick aufgetragen. Zwischen dem Odinssohn und

dem Magier wurde ein blitzschneller Blick gewechselt.

»Es war der Fremde, der auf die Dellos geschossen hat. Ich würde es nie wagen, auf die Boten des Königs zu schießen.«

Er würde sie mit der flachen Hand er­schlagen, dachte Kröbel, ohne sein Mienen­spiel zu verändern.

»Wozu die Dellos?« Heimdall stand langsam auf. Er ließ sich

von Atlan helfen, und er brachte es perfekt fertig, ein leicht wehleidiges Gesicht zu schneiden – der Held, der mannhaft seinen großen Schmerz erträgt.

»Sie hatten den Auftrag, die Stücke des Parraxynths zu holen. Du erinnerst dich?«

Heimdalls Züge bekamen etwas Gram­volles.

»Des Schießens hätte es nicht bedurft«, sagte er mit Trauer in der Stimme. »Folgt mir.«

Kröbel war gespannt, was sich Heimdall hatte einfallen lassen. Heimdall schlug den Weg zur Schatzkammer ein, wie Kröbel ei­nigermaßen verblüfft feststellte. Was hatte der Odinssohn vor?

»Seht«, sagte Heimdall. »Seht selbst.« Er ließ sich, von Verletzungen erschöpft

und geschwächt, auf einem Hocker nieder. »Heimdall!« rief Thalia. »Was ist gesche­

hen?« Heimdall zuckte mit den Schultern, eine

Geste der Hilflosigkeit. »Es muß während meiner Abwesenheit

passiert sein«, sagte er stockend. Es war ihm anzusehen, wie sehr ihn der Verlust schmerzte. »Als ich zurückkehrte, fand ich meine Schatzkammer in diesem Zustand.«

Kröbel hatte sich unterdessen umgesehen. Er sah, was Uneingeweihte übersehen muß­ten – Heimdalls wertvollste Stücke waren unbeschädigt. Zwar sah die Halle aus, als sei ein Heer von Wüterichen hindurchgezogen, aber Kröbel konnte sich ausrechnen, daß es der Arbeit nur weniger Tage bedurfte, den Raum wieder herzurichten. Er hoffte, daß die Besucher Heimdall nicht auf die Schli­che kamen.

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»Beachtlich«, war der Kommentar des Königs. »Sieht aus, als hätte hier ein Dut­zend Haluter gehaust.«

»Haluter?« fragte Kröbel, um vom wich­tigsten Thema abzulenken.

»Ehemalige Freunde von mir«, antwortete Atlan knapp. »Der Parraxynth-Schatz ist al­so verschwunden. Wer hat ihn?«

Heimdall hütete sich klugerweise, zu Krö­bel hinüberzuschielen. Der Magier hielt den Atem an, als Heimdall sagte:

»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat der Fremde den Schatz verschleppt, während ich bewußtlos war.«

Kröbel freute sich über diese Antwort. Sie belastete niemanden, und dem scheußlichen Monstrum konnte es gleichgültig sein, wes­sen es nach seinem Tod noch bezichtigt wurde.

»Hm«, machte Atlan. Es sah nicht so aus, als schenke er Heimdalls Erklärung großen Glauben. Nun, was schadete es? Der Schatz war weg, und niemand wußte besser als Kröbel, wie sehr verschwunden der Schatz war. Mochte der König nur suchen, finden würde er nichts.

»Hättest du den Schatz herausgegeben?« Ein weiteres Mal stockte Kröbel der

Atem. Heimdall machte ein finsteres Ge­sicht.

»Ungern, wenn überhaupt!« knurrte der Hüne.

Atlan lachte. Er lachte breit und offen. Die Antwort schien ihm zu gefallen.

»Das glaube ich, Heimdall. Du wirst es mir sagen, wenn der Schatz wieder auf­taucht? Wenn du eine Spur von den Parra­xynth-Stücken findest?«

»Möglich!« »Heimdall!« rief Thalia entrüstet. »Laß ihn, Thalia«, sagte Atlan. Er wandte

sich zum Gehen. »Er ist ehrlich, und mehr verlange ich einstweilen nicht.«

Er drehte sich noch einmal um und fixier­te Heimdall.

Kröbel war erstaunt zu sehen, daß der Hü­ne auf seinem Hocker unruhig hin und her rutschte. Der Blick des Königs schien von

Peter Terrid

durchdringender Schärfe zu sein. »Dieses Wesen, das in deinem Hof liegt,

Heimdall, hat dir arg zu schaffen gemacht. Ich hätte nie gedacht, daß sich ein Odins­sohn so leicht besiegen läßt.«

Heimdall sprang auf und ballte die Fäuste. »Leicht besiegt? Ich? Heimdall, des Odins

Sohn. Herr …!« Atlan rührte sich nicht. »Dieses Vieh war heimtückisch und mör­

derisch, und es hat den härtesten Schädel, auf den ich je meine Fäuste herabsausen ließ. Und wahrlich, ich fälle einen gemäste­ten Ochsen mit einem Schlag meiner Faust.«

Atlan nickte. »Ich glaube dir, Heimdall. Aber denke

daran: Dies war nur ein Fremder. Was willst du machen, wenn ein Heer davon Pthor überschwemmt?«

»Kämpfen!« schrie Heimdall. »Was sonst?«

»Allein?« Heimdall stutzte betroffen. »Wenn sich die Fremden wider uns rü­

sten, Heimdall, werden wir – und damit mei­ne ich alle Bewohner Pthors – unsere Kräfte gegen diesen Feind vereinen müssen, wenn wir siegen wollen. Denke daran, Heimdall, wenn du mir das nächste Mal grollst.«

Heimdall sagte nichts. Er schnaubte durch die Nase.

Atlan drehte sich um und verließ die Schatzkammer. Kröbel folgte ihm.

Vor dem toten Fremden blieben Thalia und Atlan noch einen Augenblick stehen.

»Was wollt ihr mit dem Leichnam ma­chen?« fragte Thalia. Kröbel zuckte die Schultern.

»Vielleicht übe ich daran«, sagte er ratlos. Atlan fixierte den Magier. Kröbel wurde

unter diesem Blick unbehaglich zumute. Dann streckte der König die Hand aus. »Ich danke dir, skullmanenter Magier.

Ohne deine Hilfe hätte ich den Fremden wahrscheinlich nicht bezwingen können. Ich schulde dir Dank. Wenn ich einmal dir zu Hilfe kommen kann …«

Kröbel errötete fast vor Freude. Er schüt­

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43 Späher der Krolocs

telte die Hand, und er hatte Heimdall und seinen Schatz fast vergessen, als er zusah, wie Thalia, Atlan und die Dellos den Zugor bestiegen und davonflogen.

Es dauerte allerdings nicht sehr lange, dann wurde Kröbel wieder an die Parra­xynth-Stücke erinnert.

Heimdall erschien auf dem Hof. Von Hin­fälligkeit und Wehleidigkeit war nichts mehr zu erkennen. Der Odinssohn wirkte kraftvoll und energisch wie immer. Als erstes holte er sich die Khylda zurück. Er schwang die Waffe durch die Luft und lachte dröhnend.

»Die beiden haben wir prachtvoll herein­gelegt«, rief er. »Nun aber zu dir, Kröbel. Wieso bist du schon wieder hier? Die Reise zum Taamberg dauert doch länger?«

Kröbel holte tief Luft.

10.

»Ich erschlage dich!« brüllte Heimdall. »Ich reiße dich in kleine Fetzen. Mein Zorn wird dich vernichten.«

Kröbel wich Schritt für Schritt zurück, bis er in seinem Rücken die Wand des Lettros spürte. In Heimdalls rechter Hand blinkte der Stahl der Khylda.

»Gestohlen, sagst du? Mein Schatz ge­stohlen, geraubt? Von diesen verlausten Pi-raten?«

»Mein Tod würde nichts daran ändern, Heimdall«, wandte Kröbel ein, der große Zweifel hatte, ob der erzürnte Heimdall logi­schen Gedankengängen im Augenblick zu­gänglich war. Es sah eher danach aus, als wolle er Kröbel tatsächlich töten.

»Sie waren in der Überzahl. Wir haben tapfer gekämpft, aber was nicht geht, geht nicht. Es gibt Gegner, denen man sich ge­schlagen geben muß, nicht wahr, Heim­dall?«

Kröbel ließ es bei diesem diskreten Hin­weis auf den toten Fremden bewenden. Viel­leicht war es nicht ratsam, Heimdall in sei­ner augenblicklichen Laune an diese Nieder­lage zu erinnern.

Heimdall war außer sich.

In seiner begreiflichen Wut ließ er sich al­lerdings nicht dazu hinreißen, den kleinen Magier mit einem Hieb der Khylda der Län­ge nach zu spalten, wozu er ohne weiteres in der Lage gewesen wäre. Statt dessen rannte Heimdall auf dem Hof des Lettros hin und her und stieß schauerliche Verwünschungen aus.

Kröbel hütete sich, Heimdall bei dieser Wanderung in irgendeiner Form zu stören. Er blieb reglos stehen und schielte ab und zu auf die blitzende Schneide der Khylda, mit der Heimdall einige unsichtbare, eingebilde­te Gegner köpfte.

Eine Viertelstunde verging, die Kröbel wie eine Ewigkeit erschien. Dann hatte sich Heimdall leidlich beruhigt. Seine Stimme klang noch immer wie Donnergrollen, aber er hatte einen Teil seiner Seelenruhe wieder­gefunden.

»Wo, sagst du, hat der Überfall stattge­funden?«

Kröbel erinnerte sich an den Weg, den das Gespann genommen hatte. Zunächst Rich­tung Donkmoon, dann in weitem Bogen westlich um die Stadt herum.

»Glaubst du, die Stelle wieder finden zu können?«

Kröbel wußte, was geschehen würde, wenn er jetzt verneinte. Er würde noch einen Blitz sehen, und danach hätte er seinen Kopf vor seinen Füßen liegen gehabt.

»Natürlich«, behauptete er, und er war überglücklich, nicht einmal lügen zu müs­sen.

»Dann laß, uns aufbrechen«, sagte Heim­dall. »Mach das Yassel fertig. Ich komme in wenigen Augenblicken zurück.«

Kröbel verbrachte einige kurzweilige Mi­nuten mit dem Yassel, das ihn hergetragen hatte, dann kehrte Heimdall zurück, in voller Rüstung. Allein der Anblick dieses Riesen reichte aus, Normalpthorern Angstschauer über den Rücken laufen zu lassen. Heimdall trug ein geschupptes Lederkleid, das den ganzen Körper bis zum Hals einschloß. Dar­über saß der metallgepanzerte Waffenrock, bläulich schimmernd wie der geschweifte

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Helm. So gewappnet und gerüstet stellte Heim­

dall eine knapp zwei Meter große Kampfma­schine dar, die fast zweihundertsechzig Pfund durchtrainierter Muskulatur in die Waagschale einer Auseinandersetzung wer­fen konnte. Für seine Gegner war er das fleischgewordene Verhängnis.

Kröbel hatte auch den Eindruck, daß das Yassel leidgeprüft dreinsah, als Heimdall klirrend auf es zukam.

»Du steigst mit auf!« bestimmte Heim­dall. Seine tiefe Stimme hatte einen Tonfall, der keinerlei Widerspruch zuließ.

Kröbel seufzte leise und folgte dem Be­fehl.

Heimdall trieb das Yassel rücksichtslos an. Das Tier hatte einiges zu schleppen, und der Weg war nicht eben einfach, aber das Yassel bewältigte die Aufgabe.

Eine halbe Stunde Verschnaufpause wur­de dem strapazierten Tier gewährt, als die beiden Reiter jene Stelle erreichten, an der Kröbel die befremdliche Scheibe gesehen hatte.

Kröbel berichtete umständlich, was er ge­sehen, was er getan und wie die Scheibe zu glühen begonnen hatte …

Heimdall besah sich die Reste mit gerin­ger Neugierde.

Von dem scheibenförmigen, metallischen Etwas war nicht mehr geblieben als ein dün­ner Fladen, der noch immer rötlich schim­merte. Die Hitze war so groß, daß man die Reste nicht berühren konnte.

»Hm«, machte Heimdall. »Ich vermute, daß diese Scheibe der Flugapparat ist, der den Fremden zu uns gebracht hat. Nun gut, der Fremde ist tot, seine Maschine ist un­brauchbar – lassen wir es dabei. Zeige mir die Stelle, wo ihr überfallen worden seid!«

Ein zweites Mal schwang sich Kröbel seufzend auf den Rücken des Yassels. Es war dieser Ort gewesen, an dem das Tier seinen Schabernack mit dem Magier getrie­ben hatte. Nun, da Heimdall gepanzert auf dem Rücken des Tieres saß, wagte das Yas­sel keine Mätzchen mehr. Folgsam trug es

Peter Terrid

die beiden Reiter ihrem Ziel entgegen. »Dort vorne«, sagte Kröbel schließlich. Er war zufrieden, die Stelle erkannt zu ha­

ben. An einigen Stellen waren die Spuren des Wagens kaum zu erkennen gewesen. Hier aber war der Boden weich, und die Ab­drücke der Räder waren deutlich zu erken­nen.

Heimdall sprang von dem Yassel. Kröbel folgte ihm, und eine Sekunde danach ver­drehte das überanstrengte Tier die Augen und fiel um. Kröbel beglückwünschte das Yassel zu diesem Ausweg. Er wäre jetzt auch gerne in Ohnmacht gefallen.

Heimdall untersuchte die Spuren auf dem Boden.

Kröbel hatte den Verlauf des Kampfes wahrheitsgemäß geschildert. Er hatte sich ausrechnen können, daß Heimdall sich den Kampfplatz genauestens ansehen würde, und dem Scharfblick des Odinssohns ent­ging in solchen Fällen keine Kleinigkeit.

»Immerhin«, brummte Heimdall. »Ihr habt euch wacker gewehrt, das muß ich zu­geben.«

»Sie waren einfach in der Überzahl«, sag­te Kröbel kläglich.

Heimdall schritt den Kampfplatz ab, un­tersuchte die Blutflecken auf dem Boden, musterte die Trümmer des Wagens.

»Die Burschen sind nach Donkmoon ge­zogen«, stellte er schließlich fest. »Wir wer­den ihnen folgen.«

Er hatte die Spuren völlig richtig gedeutet und gelesen. Er hatte nur einen Fehler ge­macht. Der Prallgleiter der Gordys hatte kei­nerlei Spuren hinterlassen, und die Gordys selbst hatten sich beim Abtransport der Schätze alle Mühe gegeben, keine Spuren zu verursachen. Daß die Schätze von Heim­dallsheim längst einen neuen Besitzer gefun­den hatten, konnte der Göttersohn nicht wis­sen.

Klirrend marschierte Heimdall voran. Kröbel folgte langsam. Er begriff nicht ganz, was die Piraten in

Donkmoon wollten. Gut, als sie aufgebro­chen waren, hatten sie einen Überfall auf die

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Stadt im Sinn gehabt. Aber nun hatten sie Heimdalls Schatz, die größte Sammlung von Kostbarkeiten, die sich überhaupt denken ließ. Wer riskierte da noch, eine Stadt wie Donkmoon zu überfallen?

Und dann die Spuren! Kröbel war kein Experte auf diesem Ge­

biet. Er besaß nicht die Scharfäugigkeit, die die Piraten hinterlassen Stapfen, die die Pi-raten hinterlassen hatten, hätten selbst Del­los ohne Mühe verfolgen können. Die Ver­letzten hatten ihren Weg gar mit deutlich er­kennbaren Blutstropfen markiert, über denen Fliegenschwärme tanzten. Deutlichere Hin­weise auf die Marschrichtung der Piraten ließen sich schwerlich denken.

Hatten sich die Piraten einen Trick einfal­len lassen?

Kröbel versuchte, der Sache durch schar­fes Nachdenken auf den Grund zu kommen.

Sie hatten Heimdalls Hort in ihren Besitz gebracht. Jeder wußte, daß Heimdall sich diesen dreisten Raub niemals würde gefallen lassen. Wer sich mit dem Schatz davon­machte, mußte damit rechnen, daß ihm ein wutschnaubender Heimdall auf dem Fuß folgte. Wer dann noch solche Spuren hinter­ließ wie die Piraten, der war fast schon als Selbstmörder zu bezeichnen. Die Piraten mußten doch wissen, daß Heimdall alles daran setzen würde, sich wieder in den Be­sitz seiner Kostbarkeiten zu setzen.

»Pssst!« Kröbel hielt an. Heimdall legte den Zeigefinger über die

Lippen, dann bewegte er ruckartig den Kopf. Kröbel nickte und folgte Heimdalls Beispiel. Hastig versteckte er sich im Gebüsch.

*

»Das war der dümmste, der schlechteste, der unglücklichste Überfall, der je von Pira­ten unternommen worden ist.«

»Maul halten!« brüllte Germinal, und dann stöhnte er schmerzerfüllt auf.

Kirnals Kritik paßte ihm nicht, obwohl er sich selbst eingestehen mußte, daß dieser

Raubzug lange Zeit auf der Kippe gestanden hatte – auf der Kippe zwischen einer Nieder­lage und einer kompletten Katastrophe. Es war ein fürchterlicher Fehlschlag geworden.

Auf eine geheimnisvolle Weise, vielleicht durch Magie, hatten die Gordys etwas von dem geplanten Raubzug erfahren. Jedenfalls hatten sie auf die Piraten förmlich gewartet.

Das erste Eindringen in die Stadt war den Angreifern unverhältnismäßig leichtgefal­len. Und dann …

Sie waren von allen Seiten gekommen, blitzartig waren sie erschienen. Die Piraten hatten es nur unverdientem Glück zu ver­danken, daß sie nicht allesamt auf der Strecke geblieben waren. Mit blutigen Köp­fen waren sie zurückgeschickt worden, aber immerhin – Germinal hatte sein Leben retten können, und etwa die Hälfte seiner Gefähr­ten hatte sich ebenfalls absetzen können. Was aus dem Rest geworden war, wußte Germinal nicht.

»Erst diese Pleite mit dem Schrott«, setzte Kirnal seine Kritik fort, »und dann die Nie­derlage in Donkmoon. Schlechte Führung ist daran schuld. Mir wäre so etwas nicht pas­siert, mir nicht.«

»Hähä«, machte Germinal böse. Sein rechtes Bein schmerzte, in seiner lin­

ken Schulter stak ein Bolzen, der jetzt schon schreckliche Schmerzen verursachte und noch weher tun würde, wenn man ihn her­ausschnitt oder – riß. Die anderen Piraten sa­hen nicht besser aus. Gerlur der Schniefer war als einziger nahezu unverletzt. Er hatte sich das Nasenbein gebrochen und schniefte jetzt Blut.

Kirnal hatte eine Zeitlang mit der Zunge an einem lockeren Zahn gespielt, den er jetzt in weitem Bogen ausspie. Einen dünnen Strahl Blut ließ er folgen.

»Und was machen wir jetzt?« fragte er. »Sterben, ihr Halunken!« donnerte eine

furchtbare Stimme. Germinal hatte ihn nicht kommen sehen. Er stand da, wie vom Himmel gefallen,

schrecklich groß, mit dunklen, bösen Augen, und in der Hand trug der Riese das scheuß­

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lichste Stück Waffe, mit dem jemals Germi­nal hatte bearbeitet werden sollen.

»Oh, ihr Götter!« stöhnte Germinal auf. Er konnte hören, daß die riesenhafte

Streitaxt bösartig summte, und dann blitzte und pfiff sie, und Germinals Helm flog hal­biert ins Gras. Die Schneide der Streitaxt hatte den Helm durchtrennt wie ein Messer weiche Butter, und obendrein hatte die Schneide Germinals Schädeldach um höch­stens eine Fingerbreite verfehlt.

»Bleibt stehen, ihr Wichte«, brüllte der Riese mit Donnerstimme. »Oder ich spalte auch Helme und Hirne!«

Germinal ließ das Schwert fallen. Gegen diesen Gewaltmenschen schien ihm jeder Widerstand zwecklos.

Im Hintergrund sah er den Zwerg, der die beiden orxeyanischen Fuhrleute begleitet hatte. Nun war er zurückgekehrt, mit Ver­stärkung – mit was für einer Verstärkung.

»Gnade!« stammelte Germinal. Vor sei­nen Augen flimmerte es. Der Zwerg kicherte giftig.

Die Streitaxt kam Germinal näher, dies­mal langsam, aber das sah nicht weniger ge­fährlich aus. Immer näher kam die Schneide, sie summte und vibrierte, und sie blieb nur wenige Millimeter vor Germinals Kehlkopf­knorpel stehen. Der Riese brauchte sich nur ein wenig zu bewegen, und Germinal verlor den Kopf.

»Sprich, du Schurke! Wo habt ihr meinen Schatz versteckt.«

Germinal quollen beinahe die Augen aus dem Kopf.

»Bei allen Geister, Herr …«, stotterte er. »Keine Beschwörungen«, grollte der Rie­

se. »Rede!« »Ich weiß von keinem Schatz, Herr! Gna­

de!« Die furchtbare Axt stieg ein wenig in die

Höhe. »Wollt ihr frech leugnen, daß ihr diesen

Wagen überfallen habt?« Der Riese deutete auf die Trümmer des

Wagens. Germinal schüttelte hastig den Kopf und stellte erleichtert fest, daß Kopf

Peter Terrid

und Hals noch zusammenhielten. »Nein, nein, wir geben es zu. Wir haben

den Wagen überfallen, wir geben es zu. Bit­te nicht totschlagen!«

»Und wo ist der Schatz? Wohin habt ihr beutegierigen Halunken die Ladung ver­schleppt. Sprich, Bursche, oder ich zerlege dich in Scheiben!«

»Die Ladung, die haben wir weggewor­fen, Herr. Es war doch nur Schrott, mit dem sich nichts anfangen ließ. Und von einem Schatz, auf Ehre, Herr, wissen wir nichts.«

»Du lügst!« brüllte der Riese. Hoch schwang er das Schlachtbeil. »Er sagt die Wahrheit, Herr!« Es war die Stimme von Kirnal. Germinal

hätte ihn dafür umarmen mögen. Die Axt blieb blitzend in der Höhe. Aber sie konnte in jedem Augenblick herabsausen, und Ger­minal hatte an seinem Helm erlebt, welche Wirkung diese Waffe hatte.

»Ich glaube, sie sagen die Wahrheit, Heimdall«, mischte sich nun auch der Zwerg ein. »Vielleicht wissen sie gar nicht, was sie erbeutet haben.«

»Wir wissen es wirklich nicht«, beeilte sich Germinal zu versichern. »Wirklich, Herr. Wir sind sehr dumme Piraten.«

Er war nahe daran in Tränen auszubre­chen. Die schier endlose Kette von Niederla­gen und Demütigungen waren zuviel für Germinal. Er nahm sich vor, sein Leben grundlegend zu ändern – vorausgesetzt, der Riese ließ ihn am Leben.

Die Waffe des Riesen sank langsam in die Tiefe. Germinal holte tief Luft. Er wurde nicht erschlagen.

»Was habt ihr mit der Ladung gemacht?« »Weggeworfen, Herr! Sie war doch nichts

wert.« »Wohin?« »Hier und dort, einfach auf den Boden.

Wenn sie dort nicht mehr liegt, Herr, wir ha­ben sie nicht.«

»Verschwindet«, brüllte der Riese. »Und kommt mir nicht noch einmal unter die Au­gen!«

Germinal seufzte leise. Er kroch auf Kni­

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en aus dem Wirkungsbereich der Streitaxt, dann erst stand er auf. Jetzt erst konnte er se­hen, daß seine Männer buchstäblich vor dem Riesen auf dem Bauch lagen. Germinal schielte zu dem Hünen hinüber, dann gab er seinen Männern zaghaft ein Zeichen, sich zu erheben. Seine Waffe ließ er auf dem Boden liegen. Um keinen Preis wollte er noch ein­mal in den Wirkungskreis der Streitaxt gera­ten. Katzbuckelnd zogen sich die Piraten zu­rück.

Als sie außer Sichtweite des fürchterli­chen Mannes mit der Streitaxt waren, holte Germinal erst sehr tief Luft.

»Ich glaube«, sagte er schwach, »wir soll­ten uns nach einem anderen Gewerbe umse­hen.«

Niemand wagte ihm zu widersprechen.

*

»Sie sind tatsächlich blöde genug für einen solchen Streich«, murmelte Heimdall. »Es ist kaum zu glauben!«

Noch einmal hatte er alle Spuren und Hin­weise untersucht. Es sprach tatsächlich eini­ges dafür, daß die Piraten die Wahrheit ge­sagt hatten. In jedem Fall hatte ihr Anführer nicht gelogen, das war ihm anzusehen gewe­sen.

»Sie haben die Ladung für Schrott gehal­ten«, sagte Kröbel. Er war bitter enttäuscht. Im stillen hatte er gehofft, daß Heimdall die Piraten finden und ihnen den Parraxynth-Schatz wieder abnehmen würde. Damit wä­ren alle Sorgen behoben gewesen.

Nun aber hatte der Schatz einen neuen Besitzer, und es gab keinerlei Hinweise, wer dieser neue Besitzer sein konnte.

»Ob der König …?« Kröbel machte eine Geste der Ratlosig­

keit. »Ich kann es mir nicht vorstellen«, sagte

er. »Er sah nicht so aus, als würde er zu sol­chen Mitteln greifen.«

»Pah, Aussehen«, machte Heimdall. Er warf noch einen letzten Blick auf den

Trümmerhaufen des Wagens.

»Gehen wir«, sagte er. Das Yassel war unterdessen wieder zu

sich gekommen, und offenkundig hatte es keine Lust gehabt, den Hünen und seinen Begleiter noch einmal zu schleppen. Es hatte sich still davongemacht.

Kröbel wußte nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Heimdall stapfte mit einem Tempo, das seine innere Wut deutlich verriet. Kröbel hatte beträchtliche Mühe, das Tempo mithalten zu können.

»Was machen wir unter diesen Umstän­den?« fragte der Magier.

Heimdall zuckte mit den Schultern. »Warten«, knurrte er. »Warten und hoffen.«

Er schwang die Khylda, als wolle er sich mit dieser Bewegung selbst Mut zusprechen.

»Irgendwann«, sagte er, »werden wir wie­der eine Spur von dem Schatz finden. Und dann, Kröbel, dann …«

Er knirschte mit den Zähnen. Kröbel konnte sich ausmalen, was er mit den Die­ben anstellen würde, wenn sie das Pech hat­ten, ihm in die Hände zu fallen.

»Heimdall?« Kröbel blieb stehen, auch Heimdall hielt

an. Er drehte sich um. Kröbel legte sein Gesicht noch mehr in

Kummerfalten, als er es ohnehin schon tat. »Bist du mir böse?« »Böse?« Kröbel leckte sich die Lippen. »Ich habe dir versprochen, deinen Schatz

sicher zum Taamberg zu leiten. Und jetzt ist der Parraxynth-Schatz verschwunden, ge­stohlen. Ich hätte vielleicht … es ist meine Schuld, daß du um deinen Hort gekommen bist.«

Heimdall zögerte einen Augenblick. »Und wenn ich deinem Ratschlag nicht

gefolgt wäre …?« »Müßtest du dich mit den Dellos herum­

schlagen«, überlegte Kröbel laut. »Oder …!«

Er grinste breit. »Oder den Schatz an diesen König auslie­

fern«, setzte Heimdall den Satz fort. »Glaubst du, daß ich mit ihm reden könnte,

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wie ich mit den Halunken reden werde, die meinen Schatz gestohlen haben?«

Zur Beantwortung dieser Frage mußte Kröbel nicht erst nachdenken. Der König von Pthor sah wahrlich nicht aus, als ließe er sich dreiste Reden gefallen. Und Kröbel hat­te, anders als Heimdall, gesehen, wie Atlan der Riesenspinne zu Leibe gerückt war. Die­ser Angriff hatte ihn sehr beeindruckt. So­sehr der Magier seinen Gefährten und Haus­genossen schätzte – er war nicht sicher, wer Sieger sein würde, kam es zum Kampf zwi­schen Heimdall und dem weißhaarigen Kö­nig mit den roten Augen.

»Bestimmt nicht«, sagte Kröbel. Heimdall breitete die Arme aus. »Also«, sagte er. »Von den Dieben kann

ich mir den Schatz zurückholen, wenn nicht jetzt, dann später. Aber vom König?«

»Richtig«, sagte Kröbel lächelnd. »Und mehr noch – die Diebe werden wahrschein­lich selbst Bruchstücke des Parraxynths be­sitzen. Wenn es uns also gelingt, die Räuber zu finden, dann können wir nicht nur deinen Schatz zurückholen, sondern selbst die Schätze des Räubers plündern.«

»Nicht so hastig«, sagte Heimdall amü­siert. Für einen Augenblick verdüsterte sich

Peter Terrid

seine Miene. »Erst einmal müssen wir her­ausfinden, wer überhaupt meinen Schatz an sich genommen hat.«

Er hatte seinen Marsch wiederaufgenom­men, blieb aber jetzt wieder stehen, als er Kröbels Schnaufen hörte. Mit einem Ruck beförderte Heimdall den schmächtigen Ma­gier auf seine Schultern.

»Pah«, sagte Kröbel, sobald er wieder zu Atem gekommen war. »Das werden wir bald festgestellt haben. Du darfst nicht vergessen, daß du niemand Geringeren auf deinen brei­ten Schultern schleppst als Kröbel, den skullmanenten Magier. Würde es dir etwas ausmachen, die Khylda nicht auf den Schul­tern, sondern im Gürtel zu tragen? Danke! Ich werde also einen Spiegel konstruieren, einen magischen Spiegel, und dieser Spiegel wird uns zeigen, was passiert ist, nachdem ich zurückgeschlagen wurde von den Pira­ten. Und dann werden wir den Räuber aufsu­chen und zur Rede stellen, und dann …«

ENDE

E N D E