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Unfallchirurg 2012 · 115:552–553 DOI 10.1007/s00113-012-2166-3 © Springer-Verlag 2012 H. Polzer 1  · J. Neu 2 1   Chirurgische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München,    Campus Innenstadt, München 2   Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen, Hannover Spätinfektion nach  Osteosynthese am  oberen Sprunggelenk Sachverhalt Ein 63-jähriger Patient [Vorerkrankun- gen: Diabetes mellitus Typ II, peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK), Zustand nach Amputation des linken Unterschenkels] erlitt im Rahmen eines Stolpersturzes eine trimalleoläre Sprung- gelenkluxationsfraktur. Die Versorgung erfolgte mittels Plattenosteosynthese der distalen Fibula und Zugschraubenosteo- synthese des medialen Malleolus. Der Patient wurde 13 Tage postoperativ mit reizlosen Wunden aus der stationären Behandlung entlassen; 6 Monate später stellte sich der Patient mit den klinischen Zeichen eines tiefgreifenden Infekts er- neut in der Klinik vor. In der Röntgendia- gnostik zeigten sich eine Lockerung der Implantate und eine Dislokation der Frak- tur. Aufgrund dieser Befunde wurde die Indikation zur operativen Therapie ge- stellt. Es erfolgte die Entfernung der bei- den Zugschrauben am medialen Malleo- lus. Intraoperativ zeigte sich eine tiefgrei- fende Infektion mit Gelenkempyem, aus dem oberen Sprunggelenk (OSG) entleer- te sich Eiter. Des Weiteren erfolgten eine einmalige Spülung des Gelenkes und eine Einlage von Antibiotikaketten. Nach ins- gesamt 4 Wochen stationärer Behandlung wurde der Patient mit einer Unterschen- kelschiene entlassen. Zwei Monate nach Entlassung wurde der Patient bei entgleistem Diabetes mel- litus in der Abteilung für Innere Medizin aufgenommen. Bei der konsiliarischen Untersuchung durch die Chirurgie zeigte sich eine Fistel am Sprunggelenk mit pu- trider Sekretion, eine operative Therapie wurde nicht veranlasst. 3 Wochen später wurde der Patient durch die Hausärztin in einem anderen Krankenhaus vorgestellt. Dort wurde zunächst das restliche Osteo- synthesematerial an der distalen Fibula vollständig entfernt, das Sprunggelenk gespült und débridiert, Knorpelreste ent- fernt und anschließend erneut Antibio- tikaketten eingelegt. Im Verlauf erfolgte dann die Arthrodese des OSG, die verzö- gert knöchern durchbaute. Das Gutachten Der von der Schlichtungsstelle einge- schaltete Gutachter stellte fest, dass an der Indikation zur Osteosynthese und deren Durchführung nichts zu bemängeln sei. Nach 6 Monaten kam es zu einem Spät- infekt. Auch die Indikation zur Durchfüh- rung der Gelenkspülung sei richtig gewe- sen und auch dieser Eingriff sei sachge- recht durchgeführt worden. Fehler seien nicht erkennbar. Die Entscheidung Die Schlichtungsstelle schloss sich den Wertungen des Gutachters im Ergebnis nicht an. Sie argumentierte, dass es sich bereits bei der Vorstellung 6 Monate post- operativ eindeutig um einen Spätinfekt mit Empyem des OSG handelte. Im Ope- rationsbericht sei ausdrücklich vermerkt worden, dass sich Eiter aus dem Gelenk entleerte. Lediglich eine teilweise Metall- entfernung durchzuführen, das Gelenk einmalig zu spülen und Antibiotikaket- ten einzulegen, entspräche nicht den Re- geln zur Versorgung von Gelenkinfekten, demzufolge seien die in der ersten Revi- sionsoperation durchgeführten Maßnah- men unzureichend gewesen. Die Ent- lassung des Patienten aus der stationä- ren Behandlung hätte erst nach ausgiebi- gem Débridement des Gelenks, vollstän- diger Metallentfernung, Retention mittels Fixateur externe und nach sicherer Sanie- rung des Infekts erfolgen dürfen. Dieser Fehler habe zu einer 3,5-monatigen Ver- zögerung der sachgerechten Behandlung, einschließlich der einhergehenden Be- schwerden, geführt. Allerdings sei nicht zu beweisen, dass das Ergebnis, die Arth- rodese des OSG, fehlerbedingt eingetreten sei. Diese sei auch nach initial sachgerech- ter Behandlung zu erwarten gewesen. Addendum Infektionen nach Osteosynthese am Sprunggelenk sind mit ca. 1–8% häufige Komplikationen [5]. Mit dem Vorliegen eines Diabetes mellitus steigt das Risiko für eine Infektion auf 10–60% erheblich an [3, 5]. Eine Reihe weiterer endoge- ner Faktoren wie beispielsweise Nikotin- abusus, Nieren- oder Leberinsuffizienz, Immunsuppression oder Durchblutungs- störung begünstigen zusätzliche Kompli- kationen, diese können bis zur Amputa- 552 | Der Unfallchirurg 6 · 2012 Medizinrecht Redaktion W. Mutschler, München  J. Neu, Hannover  K.-G. Kanz, München

Spätinfektion nach Osteosynthese am oberen Sprunggelenk; Late infections after open reduction and internal fixation of the upper ankle joint;

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Page 1: Spätinfektion nach Osteosynthese am oberen Sprunggelenk; Late infections after open reduction and internal fixation of the upper ankle joint;

Unfallchirurg 2012 · 115:552–553DOI 10.1007/s00113-012-2166-3© Springer-Verlag 2012

H. Polzer1 · J. Neu2

1  Chirurgische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, 

  Campus Innenstadt, München2  Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen, Hannover

Spätinfektion nach Osteosynthese am oberen Sprunggelenk

Sachverhalt

Ein 63-jähriger Patient [Vorerkrankun-gen: Diabetes mellitus Typ II, peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK), Zustand nach Amputation des linken Unterschenkels] erlitt im Rahmen eines Stolpersturzes eine trimalleoläre Sprung-gelenkluxationsfraktur. Die Versorgung erfolgte mittels Plattenosteosynthese der distalen Fibula und Zugschraubenosteo-synthese des medialen Malleolus. Der Patient wurde 13 Tage postoperativ mit reizlosen Wunden aus der stationären Behandlung entlassen; 6 Monate später stellte sich der Patient mit den klinischen Zeichen eines tiefgreifenden Infekts er-neut in der Klinik vor. In der Röntgendia-gnostik zeigten sich eine Lockerung der Implantate und eine Dislokation der Frak-tur. Aufgrund dieser Befunde wurde die Indikation zur operativen Therapie ge-stellt. Es erfolgte die Entfernung der bei-den Zugschrauben am medialen Malleo-lus. Intraoperativ zeigte sich eine tiefgrei-fende Infektion mit Gelenkempyem, aus dem oberen Sprunggelenk (OSG) entleer-te sich Eiter. Des Weiteren erfolgten eine einmalige Spülung des Gelenkes und eine Einlage von Antibiotikaketten. Nach ins-gesamt 4 Wochen stationärer Behandlung wurde der Patient mit einer Unterschen-kelschiene entlassen.

Zwei Monate nach Entlassung wurde der Patient bei entgleistem Diabetes mel-litus in der Abteilung für Innere Medizin aufgenommen. Bei der konsiliarischen

Untersuchung durch die Chirurgie zeigte sich eine Fistel am Sprunggelenk mit pu-trider Sekretion, eine operative Therapie wurde nicht veranlasst. 3 Wochen später wurde der Patient durch die Hausärztin in einem anderen Krankenhaus vorgestellt. Dort wurde zunächst das restliche Osteo-synthesematerial an der distalen Fibula vollständig entfernt, das Sprunggelenk gespült und débridiert, Knorpelreste ent-fernt und anschließend erneut Antibio-tikaketten eingelegt. Im Verlauf erfolgte dann die Arthrodese des OSG, die verzö-gert knöchern durchbaute.

Das Gutachten

Der von der Schlichtungsstelle einge-schaltete Gutachter stellte fest, dass an der Indikation zur Osteosynthese und deren Durchführung nichts zu bemängeln sei. Nach 6 Monaten kam es zu einem Spät-infekt. Auch die Indikation zur Durchfüh-rung der Gelenkspülung sei richtig gewe-sen und auch dieser Eingriff sei sachge-recht durchgeführt worden. Fehler seien nicht erkennbar.

Die Entscheidung

Die Schlichtungsstelle schloss sich den Wertungen des Gutachters im Ergebnis nicht an. Sie argumentierte, dass es sich bereits bei der Vorstellung 6 Monate post-operativ eindeutig um einen Spät infekt mit Empyem des OSG handelte. Im Ope-rationsbericht sei ausdrücklich vermerkt

worden, dass sich Eiter aus dem Gelenk entleerte. Lediglich eine teilweise Metall-entfernung durchzuführen, das Gelenk einmalig zu spülen und Antibiotikaket-ten einzulegen, entspräche nicht den Re-geln zur Versorgung von Gelenkinfekten, demzufolge seien die in der ersten Revi-sionsoperation durchgeführten Maßnah-men unzureichend gewesen. Die Ent-lassung des Patienten aus der stationä-ren Behandlung hätte erst nach ausgiebi-gem Débridement des Gelenks, vollstän-diger Metallentfernung, Retention mittels Fixateur externe und nach sicherer Sanie-rung des Infekts erfolgen dürfen. Dieser Fehler habe zu einer 3,5-monatigen Ver-zögerung der sachgerechten Behandlung, einschließlich der einhergehenden Be-schwerden, geführt. Allerdings sei nicht zu beweisen, dass das Ergebnis, die Arth-rodese des OSG, fehlerbedingt eingetreten sei. Diese sei auch nach initial sachgerech-ter Behandlung zu erwarten gewesen.

Addendum

Infektionen nach Osteosynthese am Sprunggelenk sind mit ca. 1–8% häufige Komplikationen [5]. Mit dem Vorliegen eines Diabetes mellitus steigt das Risiko für eine Infektion auf 10–60% erheblich an [3, 5]. Eine Reihe weiterer endoge-ner Faktoren wie beispielsweise Nikotin-abusus, Nieren- oder Leberinsuffizienz, Immunsuppression oder Durchblutungs-störung begünstigen zusätzliche Kompli-kationen, diese können bis zur Amputa-

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Medizinrecht

RedaktionW. Mutschler, München J. Neu, Hannover K.-G. Kanz, München

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tion führen [4]. Als Spätinfektionen wer-den Infektionen bezeichnet, die ab der 4. postoperativen Woche auftreten. Häufig ist in einem solchen Fall das Implantat von einem Biofilm bedeckt, entsprechend sollte die Implantaterhaltung nur in Aus-nahmefällen erwogen werden.

Ist die Fraktur bereits konsolidiert, sollte eine vollständige Implantatentfer-nung und ein ausführliches Débridement durchgeführt werden. Das radikale chir-urgische Débridement ist essentiell zur Keimreduktion durch Entfernung von avitalem und infiziertem Gewebe [2]. Ist die Fraktur noch nicht durchbaut oder liegt eine infizierte Pseudarthrose vor, sollte ein Verfahrenswechsel erfolgen. Unter Umständen ist ein mehrzeitiges Verfahren, d. h. zunächst die Versorgung im Fixateur externe, anzuraten.

Bei Vorliegen eines Gelenkempyems kann es bereits nach Tagen zu irreversi-blen Schäden des Gelenkknorpels kom-men, aus diesem Grund ist ein unverzüg-liches Handeln unabdingbar. Bei Vorlie-gen einer Makroangiopathie sollte eine gefäßchirurgische Intervention oder ein radiologisch-interventionelles Verfahren erwogen werden.

Die Verbesserung der Durchblutung ist eine wichtige Vorraussetzung zur Infekt- und Weichteilsanierung. Zur Behandlung größerer Weichteildefekte hat sich die temporäre Vakuumtherapie zur Verbes-serung der Mikrozirkulation, Beschleu-nigung der Granulation und Infekt-beherrschung als vielversprechend er-wiesen [1]. Bei größeren Weichteildefek-ten wird im Verlauf u. U. eine plastische Deckung notwendig. Nach der Weich-teil- und Infektsanierung kann dann die definitive osteosynthetische Versorgung durchgeführt werden. In jedem Fall soll-te baldmöglichst eine resistenzgerechte Antibiotikatherapie eingeleitet werden. Meist handelt es sich um eine Infektion mit Staphylococcus aureus [5].

Fazit für die Praxis

Nach Osteosynthese am Sprung gelenk ist beim Vorliegen von  Risikofaktoren wie z. B. Diabetes mellitus, Nikotin­abusus, Durchblutungsstörung,  Nieren­ oder  Leberinsuffizienz und Immunsup­pression vermehrt mit Infektionen zu rechnen. Im Falle einer Infektion ist ein aggressives operatives Management entscheidend. Bei konsolidierter Frak­tur sollte das Osteosynthesematerial ent­fernt, bei nicht konsolidierter Fraktur ein Verfahrenswechsel, in jedem Fall aber ein radikales chirurgisches Débridement durchgeführt werden. Falls möglich ist eine frühzeitige Verbesserung der Durch­blutung zur Verbesserung der Infekt­ und Weichteilheilung anzustreben.

Korrespondenzadresse

Dr. H. PolzerChirurgische Klinik und  Poliklinik, Klinikum der  Ludwig-Maximilians- Universität München,  Campus InnenstadtNussbaumstraße 20, 80336 Münchenhans.polzer@ med.uni-muenchen.de

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt für sich und seinen Koautor an, dass kein Interes-senkonflikt besteht.

Literatur

  1.  Kollrack Y, Mollenhoff G (2009) Ankle osteosynthe-sis infection: vacuum therapy as the treatment of choice. Unfallchirurg 112:433–438

  2.  Lewis K (2001) Riddle of biofilm resistance. Anti-microb Agents Chemother 45:999–1007

  3.  Stapp MD, Hodos MJ, Austin JH Jr (2004) Current trends in the management of foot and ankle infec-tions. J Foot Ankle Surg 43(Suppl):1–23

  4.  Walter G et al (2011) Wundheilungsstörungen und Infektionen. Trauma Berufskrankh 13:191–197

  5.  Zalavras CG et al (2009) Infection following opera-tive treatment of ankle fractures. Clin Orthop Relat Res 467:1715–1720

Zusammenfassung · Abstract

Unfallchirurg 2012 · 115:552–553DOI 10.1007/s00113-012-2166-3© Springer-Verlag 2012

H. Polzer · J. Neu

Spätinfektion nach Osteosynthese am oberen Sprunggelenk

ZusammenfassungEin 63-jähriger Patient mit Diabetes mellitus und peripherer arterieller Verschlusskrankheit  (pAVK) erlitt eine trimalleoläre Sprunggelenk-luxationsfraktur, die mittels ORIF („open  reduction and internal fixation“) versorgt  wurde. In der Folge kam es zur Spätinfektion mit Gelenkempyem. Es wurde eine teilweise  Implantatentfernung sowie eine einmalige  Gelenkspülung vorgenommen. Bei anhalten-den Zeichen der Infektion wurde schließlich eine vollständige Implantatentfernung und Infektsanierung und im Anschluss eine  Arthrodese des oberen Sprunggelenks (OSG) durchgeführt. Die Schlichtungsstelle entschied,  dass diese therapeutischen Maßnahmen bei Erstdiagnose der Spätinfektion nicht ausge-reicht hätten. Dadurch sei es zu einer Verzö-gerung der sachgerechten Behandlung ge-kommen. Ob dadurch jedoch die Versteifung des OSG hätte verhindert werden können, sei nicht zu beweisen.

SchlüsselwörterInfektion · Sprunggelenk · Fraktur ·  Schlichtungsstelle · Behandlungsfehler

Late infections after open reduction and internal fixation of the upper ankle joint

AbstractA 63-year-old patient suffering from diabetes  mellitus and arterial occlusive disease sustained a displaced fracture of the upper ankle joint. The fracture was treated by open reduction and internal fixation (ORIF) but  6 months later a delayed infection developed.  Partial implant removal and a single lavage were performed. With persistent signs of in-fection full implant removal and subsequently  debridement and lavage were carried out  3.5 months later followed by arthrodesis of the upper ankle joint. The arbitration board decided that the treatment applied after  diagnosing the delayed infection was not  sufficient which led to a delay in appropriate treatment. However, whether the arthrodesis of the upper ankle joint could have been  prevented could not be proven.

KeywordsInfection · Ankle joint · Fracture ·  Arbitration board · Medical malpractice

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