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SPEZIAL GAME CHANGER MISSION POSSIBLE GAME CHANGER Mit der Digitalisierung liegt Deutsch- lands Industrie in weiten Teilen hinter der Weltspitze zurück. Doch es gibt auch Ausnahmen. Drei Unter- nehmen, die beweisen, dass man nicht aus dem Silicon Valley kommen muss, um die Spielregeln zu ändern.

SPEZIAL GAME CHANGER MISSION POSSIBLEGame Changer Awards 2016 DIE JURY Diese sieben Wirtschafts-experten kürten die Sieger des Wett - bewerbs PHILIPP JUSTUS Managing Director, Google

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SPEZIAL GAME CHANGER

MISSIONPOSSIBLEGAME CHANGER Mit der Digitalisierung liegt Deutsch-lands Industrie in weiten Teilen hinter der Weltspitze zurück. Doch es gibt auch Ausnahmen. Drei Unter -nehmen, die beweisen, dass man nicht aus dem SiliconValley kommen muss, um die Spielregeln zu ändern.

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D er einarmige Held ist circa1,40 Meter groß, weiß undhört auf den Namen Hero.Wobei das streng genom-

men nicht stimmt, denn hören kann derHelping Robot im Dresdener Chipwerkvon Infineon nicht. Noch nicht. Sehenund tasten dagegen schon. Völlig auto-nom rollt der maschinelle Helfer durchdie Gänge und versorgt die Belichtungs-maschinen mit neuen Siliziumwafern.Stellt man sich ihm in den Weg, bleibter stehen. Während sein Greifarm dieBox mit den Wafern an die richtige Stel-le bugsiert, fährt ein kleiner Stecker ineine Buchse im Boden und lädt den Akkunach. Heros Schicht dauert 24 Stundenam Tag. Pausenzeiten: keine.

Verglichen mit anderen Ländern liegtDeutschland bei der Digitalisierung zu-rück: In einer vom Bundeswirtschafts-ministerium in Auftrag gegebenen Studierangiert die Bundesrepublik bei der di-gitalen Leistungsfähigkeit weltweit nurauf Platz sechs, mit deutlichem Abstandzum Spitzenreiter USA (siehe Grafik Sei-te 104). Alle maßgeblichen Innovatio-nen der vergangenen Jahre hatten ihrenUrsprung in Amerika – vom iPhone überFacebook bis hin zum Taxischreck Uber.Selbst das erste Oberklasseauto mit E-Antrieb wurde nicht in Stuttgart, Mün-chen oder Ingolstadt entwickelt, son-dern bei Tesla im Silicon Valley.

„Die Wettbewerbsfähigkeit Deutsch-lands hängt ganz entscheidend davonab, wie die heimischen Unternehmendie großen Potenziale nutzen, die Digi-talisierung und Automatisierung bie-ten“, sagt Walter Sinn, Deutschland-Chef der Beratung Bain & Company. 2

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Venture-Capital finanzierten Unternehmenerstellt – auf Basis aller in Deutschland registrierten Firmen. Diese Liste umfasstmehr als 21 000 Gesellschaften. Nach Kriterien wie Mindestumsatz und digitalesInnovationspotenzial wurde diese Liste auf 300 Kandidaten eingeschränkt. Und es wurde sichergestellt, dass dieausgewählten Unternehmen weder un-ethisch noch gesetzlich auffällig sind.Die 300 Aspiranten wurden jeweils einerder drei Preiskategorien zugeordnet. An-schließend wurden sie einer tief gehendenAnalyse (Due diligence) unterzogen.Zentraler Aspekt bei alldem: die digitaleAnpassungsfähigkeit.

DAS FINALE Jedes der 300 Unternehmenauf der Longlist wurde nach einem Punk-tesystem bewertet, die fünf jeweils Besten einer Kategorie wurden dann nocheinmal von einer fachkundigen Jury daraufhin untersucht, wie neu und einzig -artig ihr Geschäftsmodell tatsächlich ist,wie stark es die Branche, die Kunden undden Wettbewerb beeinflusst und wienachhaltig und profitabel das Wachstumeinzuschätzen ist. Aus den 15 Finalistengingen die Gewinner in den drei Kate -gorien hervor. Die Preisverleihung fand im Rahmen einer exklusiven Galaveran-staltung am 17. November 2016 im Gaso -meter in Berlin statt.

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DIE IDEE Disruptive Geschäftsmodelle ver-ändern ganze Industriezweige von Grundauf. Mit dem Game Changer Award würdigen die Beratungsgesellschaft Bain& Company und manager magazin deutsche Unternehmen, die durch einebeherzte Digitalisierung der Geschäfts -pro zesse die Spielregeln innerhalb ihrerBranche neu definiert haben. Der Preiswird 2016 in drei Kategorien verliehen: 1. Customer Experience: für die besteSteigerung des Kundennutzens. 2. Product & Service Innovation: für dasüberzeugendste digitale Produkt oder dieinnovativste digitale Dienstleistung. 3. Operations of the Future: für die viel-versprechendste Umsetzung intelligenterProduktionsverfahren (Industrie 4.0).

DIE VORGEHENSWEISE Die Auswahl derPreisträger erfolgte über ein mehrstufigesSelektionsverfahren. Zunächst wurde eine branchenübergreifende Übersichtvon börsennotierten privaten sowie durch

DER WETTBEWERBZielsetzung, Methodik und Auswahlverfahren des Game Changer Awards 2016

DIEJURYDiese siebenWirtschafts-expertenkürten dieSieger des Wett -bewerbs

PH I L IPP JUSTUS Managing Director,

Google DACH

Der frühere Unter-nehmensberater istseit Jahren in der

Onlinewelt zuHause, arbeitete in

Führungspositionenbei Zanox, Ebay undPayPal. Seit 2013 ist

er bei Google.

HENN ING KAGERMANN Präsident, Acatech

Seit 2009 steht derfrühere SAP-Chef

Deutschlands ersterWissenschaftsakade-mie vor. Zudem ist

er Aufsichtsrat unteranderem bei Munich

Re, BMW und derDeutschen Bank.

ANDREAS VON BECHTOLSHE IM

Chairman, Arista Networks

Der Mitgründer vonSun Microsystems

ist ein gefragterBerater und Investorim Silicon Valley. BeiArista fungiert er zu-sätzlich als Chief De-

velopment Officer.

STEFFEN KLUSMANN Chefredakteur,

manager magazin

Der Volkswirt warChefredakteur von

„Capital“ und„Financial Times

Deutschland“. Nacheiner Station beim

„Stern“ führt er seit2013 die manager-

magazin-Redaktion.

ANN-KR IST IN ACHLE I TNERProfessorin,

TU München

Die Wirtschaftswis-senschaftlerin lehrt

EntrepreneurialFinance und ist

Mitglied mehrererAufsichtsräte, darun-ter Metro, Linde und

Munich Re.

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METHODESPEZIAL GAME CHANGER

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Droht eine der größten Industrie -nationen der Welt wirtschaftlich abge-hängt zu werden? „Noch haben wirDeutschen die Chance, ganz vorn mitdabei zu sein“, sagt Kanzleramtschef Pe-ter Altmaier (CDU) im mm-Interview(siehe Seite 124). „In vier bis fünf Jahrensind die Anteile verteilt.“

Dass der Minister optimistisch ist,was die Zukunft der deutschen Wirt-schaft anbelangt, liegt an Unternehmenwie Infineon. Weitgehend unbemerktvon der Öffentlichkeit hat sich der Chip-hersteller zum Vorreiter bei der globalenVernetzung der Produktion aufge-schwungen und damit innerhalb seinerBranche neue Maßstäbe gesetzt (sieheSeite 118).

Auch SAP ändert gerade die Spielre-geln: Mit der virtuellen Datenbank Hanaermöglicht der Softwarehersteller ausWalldorf Firmen die Auswertung gigan-tischer Datenmengen in Echtzeit – undverschafft ihnen so Effizienzgewinneund Möglichkeiten für maßgeschneider-te Angebote (siehe Seite 112).

Dass es mitunter nur einer cleverenIdee bedarf, um mit einem digitalen Geschäftsmodell die Machtverhältnissein einem traditionellen Wirtschafts-zweig zu verändern, beweist Flixbus: Innerhalb von nur drei Jahren hat sichdas Münchener Start-up zum Quasi -monopolisten im deutschen Fernbus-markt aufgeschwungen (siehe Seite106). Dafür zeichnen manager magazinund Bain die drei Unternehmen mitdem „Game Changer Award 2016“ aus.

Die Preisträger stehen exemplarischfür die Überlegenheit digitaler Ge-

HARALD KRÜGER Vorstands -

vorsitzender, BMW

Seine Karriere beiBMW startete er als

Trainee. Er warWerksleiter, Perso-

nalchef, verantwort-lich für Mini undRolls-Royce. 2008wurde er Vorstand,

seit 2015 ist er CEO.

WALTER S INN Deutschland-Chef,

Bain

Der Betriebswirtverfügt über mehrals 20 Jahre Erfah-

rung in der Banken-und Finanzbranche.2011 wechselte er zuBain, seit 2014 leiteter das Deutschland-

Geschäft.

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104 manager magazin D E Z E M B E R 2016

schäftsmodelle. Eine Bain-Untersu-chung von mehr als 400 Unternehmenergab, dass diejenigen, die frühzeitig dieinterne Vernetzung vorantreiben, deranalogen Konkurrenz in der Regel umLängen voraus sind. Der Studie zufolgeist die Wahrscheinlichkeit, zu den best-verdienenden Anbietern der Branche zugehören, bei digitalisierten Firmen dop-pelt so hoch wie bei analog arbeitendenKonkurrenten. Die Chance, wichtigeEntscheidungen schneller zu treffen alsdie Wettbewerber, ist sogar fünfmal grö-ßer. Und die Wahrscheinlichkeit, dasseine Entscheidung auch zum gewünsch-ten Ergebnis – also zu einem Wettbe-werbsvorteil – führt, ist dreimal so hochwie bei Rivalen, die noch nicht auf In-dustrie 4.0 umgestellt haben. „In der di-gitalisierten Welt spielt es keine Rollemehr, ob man Start-up, Mittelständleroder Großkonzern ist“, sagt Sinn. „Jederkann mit einem disruptiven Ansatz dieSpielregeln innerhalb einer Branchekomplett verändern.“

Dem trägt auch der Game ChangerAward Rechnung. Anders als bisher rich-ten sich die Preiskategorien nicht mehrnach der Unternehmensgröße, sondernnach der Art der Innovation. In diesemJahr wird jeweils ein Unternehmen aus-gezeichnet, das den Kundennutzen amnachhaltigsten gesteigert hat (CustomerExperience), das mit einem neuartigenProdukt oder einer Dienstleistung denMarkt verändert (Product & Service In-

novation) und das neue Maßstäbe durchdie Digitalisierung seiner Prozesse ge-setzt hat (Operations of the Future). Injeder Kategorie mussten sich die Kandi-daten einem harten Auswahlprozess so-wie dem Votum einer Expertenjury stel-len (siehe Seite 102/103).

Dass es mit Bosch, Siemens, derDeutschen Telekom oder dem Foto -dienstleister Cewe diesmal viele Unter-nehmen aus der vordigitalen Ära in dieFinalrunde schafften, zeigt, dass Disrup-tion und Tradition kein Widerspruchsein müssen – obwohl gerade viele großeMittelständler sich mit der Umstellungauf Industrie 4.0 nach wie vor schwer-tun (siehe mm 6/2016).

Dass es möglich ist, die klassische In-dustrieproduktion in ein neues Zeitalterzu katapultieren, beweist nicht zuletztHero, der kleine Roboter in Dresden.Seine Laufwege orientieren sich an de-nen seiner menschlichen Vorgänger, dieAnordnung der Produktion wurde trotzDigitalisierung nicht verändert. Das wä-re zu teuer gewesen. „Ich glaube, dass inder intelligenten Nachautomatisierungein Riesenpotenzial für den StandortDeutschland liegt“, sagt Infineon-ChefReinhard Ploss. „Dafür braucht manMeister, Techniker und Ingenieure, unddie haben wir in unserem Land.“

Beste Voraussetzungen also für eineAufholjagd in Sachen Digitalisierung.Die Mission ist machbar, das beweisennicht zuletzt die diesjährigen Preisträ-ger. Klar ist aber auch: Allzu viel Zeitsollte sich niemand mehr lassen.1 Claus GorgsIL

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1 | Monitoring-Report „Wirtschaft Digital“.Quelle: BMWI/TNS Infratest Grafik: manager magazin

W E I T E R W E G A N D I E S P I T Z EDigitale Leistungsfähigkeit im Länder-vergleich, Index1

USA 76

Südkorea 70

Finnland 62

Japan 55

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2Großbritannien 65

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4

5Deutschland 53

6Frankreich 52

7China 47

8Spanien 45

9Indien 30

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METHODESPEZIAL GAME CHANGER

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D ie Revolution kommt pünkt-lich. Kurz vor acht rollt dergrasgrüne Reisebus an dieHaltestelle, und Kalle lädt

schon mal die Koffer ein. Er stellt sichnur mit Vornamen vor, so machen dasalle hier. Die Sitze sind etwas eng, aberbequem, grüne LEDs illuminieren denDachhimmel, natürlich gibt es WLANan Bord und eine Steckdose über jederReihe. Busfahren im 21. Jahrhundert sollnichts mehr gemein haben mit Kaffee-fahrten und Rheumadecken, es sollgünstig sein, ökologisch und cool. „Will-kommen bei Flixbus“, sagt Kalle.

Kein Unternehmen hat den deut-schen Reisemarkt in den vergangenenJahren so aufgemischt wie das Start-upaus München. Und das mit einem Ver-kehrsmittel, das seine Zukunft längsthinter sich zu haben schien. Vier Jahrenach der Gründung hat Flixbus 900 Mit-arbeiter, einen Umsatz von geschätzten400 Millionen Euro und einen Marktan-teil im Fernbusgeschäft von gut 90 Pro-zent. Konkurrenten wie Mein Fernbus,City2City, Deinbus oder Postbus wur-den einfach überrollt. Als vorerst letztergab die Deutsche Bahn entnervt denStraßenkampf auf. „Flixbus ist für michdas Uber des Busmarkts“, sagt der Tech-Investor Andreas von Bechtolsheim. „Esist beeindruckend, wie das Unterneh-men es geschafft hat, in so kurzer Zeitden Markt zu dominieren.“

Superniedrigpreise, Internetvertrieb,datenbasierte Streckenplanung: DieNeuen machen so ziemlich alles andersals etablierte Busunternehmen. Und gerade das macht sie erfolgreich. „Das Geschäftsmodell von Flixbus ist beste-chend“, sagt Walter Sinn, Deutschland-Chef von Bain. „Sie haben schnell undkonsequent einen sich öffnenden Marktaufgerollt und mit einem digitalen An-satz die Spielregeln in der analogen Weltverändert.“ Dafür erhält der Newcomerden Game Changer Award in der Kate-gorie „Customer Experience“.

André Schwämmlein (35), offenesHemd, Dreitagebart, sitzt in der neuenFirmenzentrale am Münchener Hirsch-garten und staunt selbst noch ein wenigdarüber, was in den vergangenen dreiJahren alles passiert ist. Und vor allemwie schnell. Rings um den modernenBüroturm ist alles immer noch Baustel-le, in einigen der ikeamöblierten Räumestehen seit Monaten unausgepackteUmzugskartons. Nach der Übernahmedes schärfsten Konkurrenten MeinIL

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FAHRTINS

GRÜNE

FLIXBUS In nur drei Jahren ist aus dem Start-upein Monopolist auf dem deutschen

Fernbusmarkt geworden. Wenn es nach denGründern geht, ist das erst der Anfang.

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FLIXBUSSPEZIAL GAME CHANGER

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Fernbus 2015 platzte der alte Standortaus allen Nähten, jetzt kommt zusätz-lich die Fernbussparte der DeutschenPost dazu.

Schwämmlein und seine beiden Mit-gründer Daniel Krauss (33) und JochenEngert( 34) legen ein ungeheures Tem-po vor. Als Reiseunternehmer haben siesich dabei nie gesehen: Sie begreifenBusse als Netzwerkgeschäft. So wie Facebook zum dominierenden Internet-tummelplatz wurde, weil es mehr und bessere Kontaktmöglichkeiten bot als andere, wollten die drei das beste Liniennetz auf der Straße anbieten. „Wir waren von Anfang an der Über -zeugung, dass ein gutes Produkt alleinnicht reicht, um zu gewinnen“, sagtSchwämmlein, der früher Berater beider Boston Consulting Group war.„Netzwerke haben eine natürliche Kon-zentrationstendenz, deshalb war eswichtig, möglichst schnell möglichstviele Verbindungen anzubieten.“

Früher als andere hatten die Gründererkannt, dass am Ende alles auf einen beherrschenden Player hinauslaufenwürde. Mit einem überlegenen Konzept,externem Kapital und der nötigen Kalt-schnäuzigkeit sorgten sie dafür, dassdieser Player Flixbus wurde.

Die Idee, ausgerechnet ein Fernbus-unternehmen zu gründen, kam denFreunden bereits 2009. Damals war derMarkt noch streng reguliert, doch als die Bundesregierung ihn 2013 freigab, waren die drei vorbereitet. Sie hatten ihre Rechner mit allen Reisedaten undPassagierströmen gefüttert, deren siehabhaft werden konnten, und daraus abgeleitet, welche Strecken am viel -versprechendsten waren – und zu welchem Preis. „Fernbusreisen sind ein Endkundengeschäft, kein Infra -strukturgeschäft“, sagt Schwämmlein.„Unser Job ist es, das richtige Angebotzur richtigen Zeit zu haben.“

Mit den Daten von mittlerweile 50Millionen eigenen Passagieren in ganzEuropa wird es für die Researcher in derMünchener Zentrale immer leichter,Fahrgastaufkommen und Preissensibi-lität vorherzusagen und neue Streckenzu erschließen. „Keiner macht das sogranular wie wir“, sagt Schwämmlein.

Das Fahren überlassen die Münche-ner derweil anderen. Betrieben werdendie Routen, die der Rechner ausspuckt,von regionalen Busunternehmen imAuftrag von Flixbus. Angenehmer Ne-beneffekt: Die Investitionen für die

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tiert zudem in digitale Bezahl- und Kun-denloyalitätssysteme (Nubon) und Big-Data-Auswertungen (Blue Yonder).

PROSIEBENSAT.1 Fernsehen war gestern, dieZukunft gehört der Multimediaunterhal-tung. Nach diesem Motto hat Vorstands-chef Thomas Ebeling (siehe Interview Seite 80) die Münchener Sendergruppe zueiner diversifizierten Medienfirma umge-baut, die Vergleichsportale betreibt (Verivox), mobile TV-Nutzung ermöglicht(7TV App) und Reisen verkauft (7Travel).Die digitale Videothek Maxdome hat denMarkt verändert, lange bevor AmazonPrime und Netflix die Bühne betraten. MitStudio 71 betreibt ProSiebenSat.1 (Um-satz: 3,2 Milliarden Euro) ein eigenes Mul ti-channel-Netzwerk und stieg im März 2016als erster Medienkonzern in den Dax auf.Über die Tochter 7Ventures ist der Konzernzudem an zahlreichen Start-ups beteiligt.

ZALANDO Ein Start-up ist Europas führenderOnlinemodehändler längst nicht mehr. Innerhalb weniger Jahre hat das Vor -standstrio Rubin Ritter, Robert Gentz undDavid Schneider aus dem schrillen Schuh-portal einen ernst zu nehmenden Amazon-Rivalen mit knapp 3 Milliarden EuroUmsatz gemacht. Zum Onlineportal mitseinen 150 000 Artikeln und kostenfreiemVersand sind inzwischen weitere Vertriebs-kanäle hinzugekommen, darunter derShoppingklub Zalando Lounge und dieApp Zipcart, die Lieferung noch am selbenTag garantiert. Die Aktie ist auf Rekord-hoch – und Großaktionär Rocket Internetschreit vor Glück.

HUK COBURG Als erster deutscher Versiche-rer gründete HUK Coburg einen Online-ableger – schon im Jahr 2000. Heute sinddie Oberfranken Marktführer bei Autover-sicherungen und erreichen hohe Zufrie-denheitswerte bei den Kunden. CEOWolfgang Weiler hat die Digitalisierungzum Teil seiner Geschäftsstrategie ge-macht und damit ein konstantes Umsatz-wachstum auf zuletzt 6,6 Milliarden Eurogeneriert. HUK Coburg ist auf Facebook,Xing und per App ebenso für seine Kun-den zu erreichen wie per Telefon oderüber den Vertreter vor Ort. Als einer derErsten in der Branche erkannte der Versicherer das Potenzial standardisierterVerfahren – und konnte seine Kosten da-durch signifikant senken.

OTTO Kaum ein Handelsunternehmen ausder analogen Welt hat die digitale soumarmt wie der einstige Katalogversen-der aus Hamburg. Mit intuitiv zu bedie-nenden Shoppingportalen, umfangreichenSocial-Media-Aktivitäten und dem durch-digitalisierten Lieferdienst Hermes be-hauptet sich das Familienunternehmen(Umsatz: 12,1 Milliarden Euro) als schärfs-ter Amazon-Konkurrent hierzulande. CEOHans-Otto Schrader, den alle Mitarbeiterganz start-up-mäßig duzen dürfen, inves-

KUNDENKÖNIGEDiese Unternehmen schafftenes in der Kategorie „CustomerExperience“ bis ins Finale.

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FLIXBUSSPEZIAL GAME CHANGER

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bis zu 460 000 Euro teuren Me-galiner stemmen die Partner,nicht Flixbus.

Kalle, der Busfahrer, arbeitetalso trotz grüner Krawatte nichtfür Flixbus, sondern für einenMittelständler aus Schleswig-Holstein. Wie der bei einem Ti-cketpreis von 9,99 Euro für dieFahrt von Hamburg nach Dres-den, von dem er auch noch 25Prozent nach München über -weisen muss, zurechtkommt,bleibt sein Geheimnis. Die Firmaschweigt – wie alle von mm kon-taktierten Flixbus-Partner.

Grund für die Zurückhaltung:Seit der Übernahme von MeinFernbus gibt es keine ernst zunehmende Konkurrenz für dasgrasgrüne Start-up mehr. Und fürBusbetreiber keine Alternativen.Das Geschäft mit Tagestourenund Urlaubsreisen trocknet aus,selbst Schulen buchen ihre Klassenfahrten inzwischen überFlixbus – weil die günstiger sindals der lokale Anbieter. „Flixbusnimmt den Busunternehmern die Kundenschnittstelle weg“,konstatiert Bain-Experte Sinn.„Dafür erhalten sie Zugang zu einem europaweiten Netz und einer mächtigen Marketing- undVertriebsplattform.“

Die Fahrt von Hamburg nachDresden ist für beide Seiten eingutes Geschäft: Nur 8 von 49 Sitz-plätzen sind unbesetzt, bei einerAuslastung von mehr als zweiDritteln bringt die Tour Gewinn.Wären da nicht die drei Rentnermit Hut und das türkische Ehe-paar, man könnte das Ganze füreine Studienfahrt halten: DieMehrzahl der Reisenden ist zwi-schen 20 und 30 Jahre alt.

Kurz vor Berlin baumeln La-dekabel wie Infusionsschläuchevon der Decke – die Smartphone-akkus sind alle. „Flixbus hat dieFernreise demokratisiert“, sagtBMW-Chef Harald Krüger. „Dasist für mich eine beeindruckendeDisruption.“

Stolz ist Schwämmlein, dereinst Fraktionsvorsitzender derGrünen im Landkreis Fürth war, dass seit der Freigabe desFernbusmarkts mehr Menschenöffentliche Verkehrsmittel benut-zen als vorher. „Die meisten un-serer Kunden sind vorher Autound Mitfahrzentrale gefahren“,sagt er. „Und die Bahn hat sogarPassagiere hinzugewonnen, seites uns gibt.“ DieselbetriebeneOmnibusse und Klimaschutzsind für ihn kein Widerspruch:„Gemessen am CO2-Ausstoß proPassagierkilometer sind wir dasumweltfreundlichste Verkehrs-mittel überhaupt.“

Sein unternehmerisches Meis-terstück lieferte das Gründertrio2015 mit der Übernahme desgrößten Rivalen ab. „Die Gründervon Mein Fernbus hatten eineähnliche Denke wie wir“, sagtSchwämmlein. Ein Zusammen-schluss unter Gleichen, so stellenes die Beteiligten gern dar. Dochganz so kuschelig war es nicht.

Unterlagen, die mm vorliegen,belegen, dass die Transaktion alsÜbernahme angelegt war. DieMein-Fernbus-Gründer TorbenGreve und Panya Putsathit wur-den mit Millionenbeträgen ab -gefunden und halten heute nurnoch 5,7 Prozent an der neuenGesellschaft. Schwämmlein, Engert und Krauss 29,4 Prozent.Und das, obwohl die Berliner2014 größer waren und 1,1 Mil -lionen Euro Gewinn einfuhren,während Flixbus 5,6 MillionenVerlust schrieb.

Die Münchener waren einfachden entscheidenden Schrittschneller und rigoroser als der Rivale Mein Fernbus. Schwämm-lein, Engert und Krauss hatten ihrKonzept von vorn herein inter -national ausgerichtet und aus -reichend Treibstoff für die Ex-pansion gebunkert: Mit GeneralAtlantic holten sie sich einen potenten Private-Equity-Fondsan Bord, der einen langen Atemhat und nicht gleich Gewinne

erwartet. Mit 35,4 Prozent ist der US-Investor heute der größteAnteilseigner. Dank General Atlantic hat Flixbus jetzt die Chance, ein ehemals mittelstän-disches Geschäft zu einer europa-weiten Plattform auszubauen. Mit Vollgas zum Marktführer –da konnte Mein Fernbus nichtmithalten.

Die Expansion läuft bereits: InItalien und den Niederlanden istFlixbus schon die Nummer eins,in Frankreich gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der StaatsbahnSNCF. Die grünen Busse rollendurch Österreich, Kroatien, Bel-gien, als Nächstes steht Skandina-vien auf dem Fahrplan.

„Auf dem deutschen Marktwerden wir dieses Jahr erstmalsschwarze Zahlen schreiben“, ver-spricht Schwämmlein. Wann dieFirma als Ganzes Gewinn macht?Ein freundliches Lächeln. Manhat Zeit, Geld und noch viel vor.

Vor wenigen Monaten hat sichdie Holding in Flixmobility umbe-nannt. Carsharing, Taxi-Pooling –die drei Gründer können sichnoch einiges vorstellen. „Es gibtda keinen Masterplan“, sagtSchwämmlein.

Er selbst fährt gern Bus, seinVater organisiert in der fränki-schen Heimat den Bürgerbus. InsBüro nimmt er die S-Bahn oderdas Fahrrad. Ein Auto besitzt ernicht. Nur wenn er nach Berlinreist, wo Flixbus nun seinen zwei-ten Sitz hat, nimmt auch der Bus-disruptor mal das Flugzeug.1 Claus Gorgs

ANDRÉ SCHWÄMMLE IN

GRÜNDER

Der Wirtschafts-ingenieur brachseine Promotionüber innovative

Verkehrssystemeab, um Flixbus zu

gründen. Er istzuständig für das

operative Ge-schäft, Marketing

und Vertrieb.

JOCHEN ENGERT GRÜNDER

Der gebürtigeWürzburger

studierte Techni-sche BWL inStuttgart. Bei

Flixbus ist er ver-antwortlich fürUnternehmens-

entwicklung,Strategie und

Personal.

DAN I E L KRAUSS GRÜNDER

Als CIO kümmertsich der IT-Ent-wickler um dasdigitale Herz-

stück von Flixbus.Der frühere Mi-crosoft-Managerund MitgründerSchwämmlein

sind alte Schul-freunde.

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European Bus Holding (General Atlantic)

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A L L E S U N T E R K O N T R O L L EWie das Flixbus-Lager die neue Flixmobility GmbH dominiert

Quelle: Handelsregister Grafik: mm

Flixbus-Investoren

Mein-Fernbus-Investoren

29,4 SEK Ventures (Flixbus-Gründer)

15,4 Holtzbrinck Ventures

5,5 Moovel (Daimler)6,6 Business Angels

(Flixbus)2,0 Business Angels

(Mein Fernbus)5,7 Linie 1 / Lilyput

(Mein-Fernbus-Gründer)

FLIXBUSSPEZIAL GAME CHANGER

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D ie größte Überraschungbeim diesjährigen DFB- Pokal bescherte den er-staunten Zuschauern der

FC-Astoria Walldorf. Unter den Augenseines Sponsors Dietmar Hopp besiegteder Viertligist erst den ZweitligavereinVfL Bochum und schlug dann den Bun-desligaklub SV Darmstadt 98.

Der Einzug ins Achtelfinale resultier-te nicht allein aus der Spielfreude derProvinztruppe. Den entscheidendenKick lieferte eine Software. Und zwardie „Weltmeistertechnologie“ der vonHopp mitgegründeten SAP. Der ortsan-sässige Konzern stellt dem Verein seinProgramm Sports One zur Verfügung,das schon die deutsche Nationalmann-schaft 2014 in Rio triumphieren ließ.

Mit der Software kann der Trainersämtliche Daten aus den Matches derGegner – von der Form jedes Spielers biszu dessen einzelnen Aktionen – analy-sieren und damit seine Elf optimal ein-stellen. Und das sogar in Echtzeit wäh-rend eines Spiels. Möglich macht dieblitzschnelle Auswertung der giganti-schen Informationsmengen die Daten-bank Hana. Auf deren Big-Data-Analy-sen kann der Astoria-Coach via Cloudvon seiner Bank aus zugreifen.

Die innovative Technologie verän-dert das Spiel. Nicht nur im Fußball.„Mit Hana und ihren Cloud-Angebotenhat SAP gezeigt, dass sie disruptive Ver-änderungen in Gang setzen und erfolg-reich auf solche reagieren kann“, sagtBain-Partnerin Melanie Bockemühl.Deshalb geht der Game Changer Awardin der Kategorie Produkt- und Service-innovation an SAP.

„Ob etablierter Konzern oder Start-up, mit Hana können wir alle Unterneh-men bei der Digitalisierung unterstüt-zen“, erklärt Bernd Leukert, der fürProdukte zuständige SAP-Vorstand. Tat-sächlich ermöglicht es die Unterneh-menssoftware S/4 Hana, herkömmlicheProzesse vom Controlling bis zum Personalwesen ins digitale Zeitalter zu überführen. Neue datengetriebene Anwendungen können auf der Hana-Cloud-Plattform viel schneller als frü-her entwickelt und betrieben werden.

Die Integration von Echtzeitdaten-banktechnologie ins Stammgeschäft mitUnternehmenssoftware gilt als wegwei-send. „Kein Wettbewerber verfügt der-zeit über eine vergleichbare Lösung“,konstatiert Consultant Bockemühl.Noch ist die Zahl der konkreten An-

SPIEL-MACHER

SAP Der Walldorfer Softwarekonzern liefert mitseiner neuartigen Datenbanktechnologie

die Basis für die Digitalisierung der Wirtschaft.

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SAPSPEZIAL GAME CHANGER

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wendungen überschaubar, dasPotenzial ist indes gewaltig.

Nie zuvor in der 44-jährigenGeschichte des Konzerns nahmdie SAP-Kundschaft ein Produktso schnell an wie Hana. Innerhalbder vergangenen zwölf Monatehat sich die Zahl der S4-Kundenauf gut 4100 mehr als verdrei-facht. Beim Vorgänger R3 dauertees 24 Monate, bis dieser Stand erreicht war. Selbst Firmen, diekeine SAP-Software nutzen, ent-scheiden sich für Hana. 40 Pro-zent der Abschlüsse stammenvon Neukunden.

CEO Bill McDermott (55)glaubt, der Boom habe geradeerst begonnen. „Unsere Wachs-tumsmaschine läuft auf vollenTouren.“ Die Umsatzprognosefür das Jahr 2016 hat der SAP-Chef Ende Oktober schon malnach oben korrigiert. Und in denkommenden Jahren will er dankHana noch dynamischer wach-sen. Gerade auch in den USA, woSAP bislang hinter MarktführerOracle zurückbleibt. Dort soll das Hana-Geschäft zweistelligwachsen und Marktanteile hinzu -gewinnen.

Dabei stieß „Hassos Neue Architektur“, wie die Datenbank intern lange genannt wurde, zu-nächst auf große Skepsis. Bei derVorstellung im Frühjahr 2010hielten Branchenkenner den An-griff auf den Erzrivalen Oracle füreine Schnapsidee von Aufsichts-

ratschef Hasso Plattner. Nerdsglaubten, die In-Memory-Metho-de – bei der die Daten statt aufder Festplatte nur im Arbeits -speicher gehalten werden – seifehleranfällig und riskant.

Mittlerweile ist die Stimmungregelrecht in Euphorie umge-schlagen. „Heute wird Hana welt-weit als disruptiv bewertet“, sagtLeukert betont nüchtern, kannsich aber ein triumphierendes Lä-cheln nicht ganz verkneifen. DieUnternehmen hätten erkannt,dass Geschwindigkeit in digitalenZeiten entscheidend für den Geschäftserfolg sei. Hana habedurch die Vereinfachung der Datenstrukturen das Tempo derVerarbeitung extrem beschleu-nigt – in einigen Fällen sogar umdas Tausendfache.

„Wir könnten künftig die gigantischen Datenmengen, die unsere 19 Millionen aktiven Kun-den erzeugen, ohne Hana nichtso effizient bewältigen“, bestätigtMartina Hilzinger. Die Informa-tikerin leitet beim Onlinemode-händler Zalando das SAP-Teamund hat die Systeme auf Hanaumgestellt. Täglich werden850 000 Dokumente erzeugt, dieüber die „superschnelle undhochperformante Datenbank“laufen. Dadurch sind viele Pro-zesse so optimiert, dass die mor-gendliche Zahlungsverarbeitungstatt drei Stunden nur noch 60 Minuten dauert: „Wir haben so

wieder mehr Spielraum für dieUmsetzung neuer Produkte und Ideen.“

Die Hana-Begeisterung in denChefetagen verdankt SAP auchdem Marketingtalent des Vor-standschefs. Mit dem Slogan„Run simple“ trifft McDermottden innigen Wunsch so ziemlichaller Führungskräfte, die Soft-ware möge sie einfach und effi-zient beim Managen unterstüt-zen und nicht als kostspieligePflichtübung nerven.

Branchenanalyst Axel Angelivom Beratungshaus Logosworlderkennt in diesem Marketing -erfolg starke Parallelen zum Vorgehen der Tech-Ikone Apple:„Wie den Kaliforniern ist es SAPgelungen, eine gängige, aber we-niger verbreitete Technik durchabsolute Kundenorientierung zueinem extrem begehrenswertenProdukt umzumünzen.“

Geschäftsmodelle bauen, Ab-läufe optimieren, Echtzeitdatenanalysieren – Hana bildet dentechnischen Unterbau für die Digitalisierung der Wirtschaft.Doch bevor SAP diesen „Digita-len Kern“ (Eigenwerbung) schaf-fen konnte, musste sich der Konzern zunächst einmal selbsttransformieren.

Rund 50 Milliarden Euro in-vestierte McDermott seit 2010 in den Umbau. Knapp die Hälftefloss in den Kauf von Cloud- Unternehmen wie Ariba, Concuroder Fieldglass. Den größeren

B I L L MCDERMOTTCEO SAP

Der Vorstands-chef trimmte denSoftwarekonzernvoll auf Kunden-

freundlichkeitund Innovation.Damit stieg SAP

zum wertvollstenUnternehmen

des Landes auf.

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Diese Plattform will Vor stands chef EdzardOverbeek nun zum Standard für den Austausch von Po si tionsdaten zwischenAutos machen. Derzeit setzt Here mit seinem Lokalisie rungs service rund eineMilliarde Euro um.

SIGNAVIO Das 2009 in Berlin gestarteteUnternehmen hat ein cloud-basiertes Planungsprogramm entwickelt, mit dem Unternehmen ihre internen Prozesse perfekt designen und managen können. Mitgründer und CEO Gero Decker holte sich sein technisches Rüstzeug amHasso-Plattner-Institut in Potsdam. Ex-SAP-CEO Léo Apotheker steht seinemAufsichtsrat vor. Das mehr als 100 Mit -arbeiter starke Unternehmen gilt mittler-weile als international führend bei dervirtuellen Modellierung von Abläufen. Hotelkonkurrent Airbnb etwa baute mit-hilfe der Signavio-Software sei ne ge-samte Organisation auf. Insgesamt nutzen800 Unternehmen weltweit die Signavio- Lösungen. Weiteres Wachstum hat die jüngste Finanzierungsrunde über 31 Mil lionen Euro sichergestellt.

TRUMPF Der hocherfolgreiche Maschinen-bauer tummelt sich unter Führung vonCEO Nicola Leibinger-Kammüller mittler-weile auch ambitioniert im IT-Geschäft.Der Mittelständler mit 2,7 Milliarden EuroUmsatz und fast 11 000 Mitarbeiterngründete 2015 Axoom. Die Dienstleis-tungstochter hilft mit ihrer offenen Cloud-Plattform kleineren Herstellern, sich mitverschiedenen Modulen zu Partnern vonIndustrie 4.0 zu entwickeln.

BOSCH Der größte unter den Regelbre-chern ist der Industriekonzern und Auto-mobilzulieferer Bosch, mit mehr als 70Milliarden Euro Umsatz und weltweit rund375 000 Mitarbeitern zentral für die deut-sche Wirtschaft. Das von CEO VolkmarDenner geführte Unternehmen gilt globalals Technologieführer bei sogenanntencyber-physikalischen Systemen in der Produktion, in denen Maschinen undSoftware zu einem Konglomerat ver-schmelzen. Damit zählt Bosch zu denentscheidenden Akteuren der Digitalisie-rung in der Industrie. Zudem verfügen die Stuttgarter über viel Kompetenz beimautonom fahrenden Auto.

HERE Ein Kind der Autoindustrie ist auchder Kartenservice Here, seit ihn Audi,BMW und Daimler im Dezember 2015 ge-meinsam von Nokia übernommen haben.Seither entwickelt sich das zunächst aufNavigationsdienste ausgerichtete JointVenture mit seinem cloud-basierten Angebot immer mehr zur Basis für dasautonome Fahren. Mithilfe der hoch -aufgelösten Kartendaten lassen sich Fahr-zeuge bis auf 20 Zentimeter genaulokalisieren und entsprechend exakt len-ken. Nur so können sich selbstfahrendeWagen im Verkehr sicher bewegen.

Teil aber gab der CEO für die Verände-rung der internen Abläufe mithilfe vonDesign-Thinking-Methoden aus.

Heute baut SAP nicht mehr nachPlan perfekte Produkte und sucht dannKäufer. Mittlerweile entwerfen SAP-Teams aus allen Bereichen gemeinsammit ihren Kunden iterativ Prototypen,die dann am Launch-Tag vom Pilot -kunden vorgeführt werden. Für die-se start-up-typische Vorgehensweisemussten massenweise Mitarbeiter ge-schult und auch ausgetauscht werden.

Gut 5000 Arbeitnehmer erhieltenAbfindungen. Rund 10 000 neue Kolle-gen kamen in diesem Jahr neu hinzu.Zum Jahresende beschäftigt SAP welt-weit rund 83 000 Menschen.

Tendenz stark steigend. Denn Leu-kert hat noch jede Menge innovativerIdeen. Etwa durch den Einsatz vonKünstlicher Intelligenz. Damit lieferndie Systeme neben der Analyse auchHandlungsempfehlungen. So kann sichein Recruiter anzeigen lassen, welcheKandidaten am besten zum Profil einerStelle passen. Auf der Hausmesse Sap-phire im kommenden Mai will der Pro-duktevorstand einen ganzen Katalogsolcher intelligenten selbstlernendenAnwendungen vorstellen.

Aus Sicht von CEO McDermott mussSAP sogar zu einer Art innovativem Per-petuum mobile werden. Er glaubt, dassdie nächsten fünf Jahre viel disruptiverwerden, als es die vergangenen zehn waren. 1 Eva Müller

PRODUKTHELDENDie vier anderen Finalisten in der Kategorie „Product &Service Innovation“

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SCHALTKREIS-DISRUPTORINFINEON Der Chiphersteller war eigentlich schonGeschichte. Bis er seine Fabriken von Grund aufneu dachte: vernetzt und virtuell. Seither schreibendie Münchener Digital-Geschichte.

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L autlos gleitet das schwere Me-talltor zur Seite und gibt denWeg frei zu der langen, ge-schwungenen Auffahrt. Der

Wachmann öffnet eine kleine Pforte ne-ben den Drehkreuzen am Eingang, perFahrstuhl geht es in die vierte Etage. In einer Umkleidekabine heißt es aus-ziehen bis auf die Unterwäsche, dann inblauer Jogginghose und weißem T-Shirtweiter den Gang entlang, unsere Gum-milatschen schmatzen über klebrigeFußmatten zur nächsten Sicherheits-schleuse. Helfende Hände streifenGanzkörperanzüge aus dünner Kunst-faser über den Einheitsdress; mit Kapu-ze, Mundschutz und Gummihandschu-hen ähnelt nun jeder einem Chefarztkurz vor der OP.

Was anmutet wie eine Mischung ausHochsicherheitsgefängnis, Intensivsta-tion und „Raumschiff Enterprise“ ist eineder modernsten Chipfabriken der Welt.Hier am Rande der Dresdener Neustadtproduziert Infineon sogenannte Leis-tungshalbleiter, kleinste elektronischeBauteile, die später Automotoren steu-ern, Handys laden oder Kreditkarten si-chern. Jedes Staubpartikel kann die nurwenige Nanometer breiten Leiterbah-nen beschädigen, daher die strengen Bekleidungsvorschriften.

Reinhard Ploss (60) eilt zwischenden Schaltkästen hindurch wie einFremdenführer durch die Gassen derDresdener Altstadt. Der Infineon-Chefkennt hier jeden Winkel, kann jedenProduktionsschritt erklären – und tut esauch. Roboter surren durch die in gelbesLicht getauchten Gänge, ein Greifarmzieht wie bei einer Jukebox silberneScheiben aus einer Plastikkiste und legteine nach der anderen auf einen Platten-teller. Nur dass der zweite Arm keineMusik abspielt, sondern eine hauchdün-ne Lackschicht aufträgt, auf die später

die Schaltkreise belichtet werden wieauf einem Diafilm.

Je nach Produkt passen bis zu 10 000Chips auf einen solchen Wafer. „Welcheder vielen unterschiedlichen Variantenproduziert werden soll, erkennt die Ma-schine anhand eines Codes am Randedes Wafers“, erklärt Ploss. Die passendeStruktur holt sich die Maschine aus demZentralcomputer. Fertig.

In seiner Vermummung ist Ploss nurdurch das Namensschild als CEO zu er-kennen, was ihm sehr recht ist. Gäbe eseinen Preis für den unbekanntesten Vor-standsvorsitzenden aller Dax-Konzerne,Ploss hätte exzellente Titelchancen. Dieöffentliche Inszenierung liegt ihm nicht,er bezeichnet sich als „schaumge-bremst“, seinen Kaffee schenkt er sicham liebsten selbst ein.

Die Gefahr, hier im Allerheiligsten er-kannt zu werden, wäre ohnehin gering.Man sieht die Orientierungshilfen fürdie Roboter am Boden, Transportbän-der unter der Decke und viel glänzendenEdelstahl. Menschen sieht man nicht.

Die virtuelle Fabrik, die Manager undWissenschaftler als Technologie der Zu-kunft preisen, ist in Dresden längst real.„Infineon hat bei der Vernetzung seinerProduktion Maßstäbe gesetzt“, sagtBains Deutschland-Chef Walter Sinn.Nicht nur innerhalb des Werks weiß ei-ne Maschine genau, was die nächste tutund welche Priorität jeder Auftrag hat.Alle 19 Fabriken weltweit kommunizie-ren miteinander – und mit den Rech-nern der Kunden und Lieferanten.Kommt ein Auftrag rein, entscheidet dasSystem, wann und wo die Order abge -arbeitet wird. Das spart Zeit, senkt dieKosten und erhöht die Produktivität.

„Infineon hat eine überlegene undsehr überzeugende Geschäftsstrate- 2

INFINEONSPEZIAL GAME CHANGER

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gie“, lobt Ann-Kristin Achleitner,Wirtschaftsprofessorin an derTU München. Kaum ein anderesUnternehmen ist bei der digita-len Vernetzung der Produktion soweit vorn. Dafür wird der Konzernmit dem Game Changer Award inder Kategorie „Opera tions of theFuture“ ausgezeichnet.

Noch vor wenigen Jahren hät-te niemand auf Infineon ge -wettet. Im März 2009 dümpelteder Aktienkurs bei 0,35 Euro. Derweltweite Chipmarkt war ein -gebrochen, das Unternehmenschrieb rote Zahlen. Pleite oderÜbernahme – das Ende der frü-heren Siemens-Sparte schien nurnoch eine Frage der Zeit zu sein.

Inzwischen hat das Unterneh-men seinen Umsatz auf 5,8 Mil -liarden Euro mehr als verdoppelt,wächst schneller als der Marktund zählt mit einer Nettomargevon 15 Prozent zu den profita-belsten Chipherstellern der Welt.Wie war das möglich?

„Mir war immer klar, dass dieFertigung in Deutschland wegender hohen Lohnkosten unterDruck geraten würde“, sagt Ploss.„Zudem werden unsere Produkteund Prozesse immer vielfältigerund komplexer. Als Mensch danoch den Überblick zu behaltenund keinen Fehler zu machen istunmöglich.“ Also begann er be-reits in seiner Zeit als Produkti-onsvorstand, menschliches Wis-sen durch Maschinenwissen zuersetzen. Er schaltete schnellerals die Konkurrenz, rüstete Infi-neons Fabriken auf Industrie 4.0um, als die meisten Big Data nochfür den neuesten Blockbuster ausHollywood hielten. „Die konse-quente Fokussierung und der ho-he Integrationsgrad in der Fer -tigung tragen ganz klar Ploss’Handschrift“, sagt Halbleiterex-perte Hans Joachim Heider vonBain. Er habe Infineon zu einemweltweiten Vorreiter gemacht.

Die Grundlage dafür hatte seinVorgänger Peter Bauer gelegt, der2012 aus gesundheitlichen Grün-den aus dem Amt schied. Er la-gerte die defizitäre Speicherpro-duktion aus, die später unter demNamen Qimonda in die Pleiteschlitterte, verkaufte den zu klei-nen Handychipbereich an Intel.

Heute ist Infineon auf Hoch-leistungschips für Autos, Energie-steuerung und Sicherheit spezia-lisiert – Segmente, in denen sichmehr Geld verdienen lässt unddie überdurchschnittlich wach-sen. Automatisiertes Fahren, er-neuerbare Energien, Internet-Se-curity: „Wir haben die richtigenMärkte, andere hätten die gern“,sagt Ploss mit Blick auf die weni-ger ertragsstarken Rivalen.

Parallel dazu investierte derManager in neue Technologienwie die Fertigung von Wafern mit300 Millimetern Durchmesser,auf denen sich mehr Chips unter-bringen lassen als auf dem bishe-rigen 200-Millimeter-Standard.„50 Prozent unseres Erfolgs istInnovation“, sagt Ploss. Derzeitentsteht in Dresden die weltweiteinzige 300-Millimeter-Fertigungvon Leistungshalbleitern.

3,5 Milliarden Euro hat derMünchener Konzern in den ver-gangenen Jahren allein in denStandort Dresden investiert.„Viel Geld“, sagt Ploss, „aber eshat sich gelohnt.“ Stillstandszei-ten gibt es praktisch nicht mehr,das Werk produziert an 365 Tagenim Jahr rund um die Uhr. Die mo-bilen Roboter laden ihre Akkuswährend des Betriebs wieder auf,durch die Automatisierung ist dieProduktivität um fast 70 Prozentgestiegen – und die Zahl der Ar-beitsplätze nicht gesunken. 2000Mitarbeiter beschäftigte Infineonvor zehn Jahren in Dresden, ge-nauso viele wie heute.

„Viele weniger qualifizierteJobs wurden ersetzt, dafür sindneue hoch qualifizierte Tätigkei-ten entstanden“, sagt der Vor-standschef. Die 4000 Stellen je-doch, die durch das Ende derSpeicherchipproduktion verlorengingen, kehrten nicht zurück.

Ploss betont gern, dass vieleMitarbeiter, deren Aufgaben weg-

rationalisiert wurden, sich internweiterqualifiziert und nun ande-re, bessere Jobs haben. Die Beleg-schaft, versichert der CEO, trageden Digitalisierungskurs voll mit.„Es kommt viel aus der Mann-schaft heraus. Mir geht es darum,eine Kultur des Wagens und Dür-fens zu schaffen, in der die Kolle-gen die Vorgaben selbst in kon-krete Schritte übersetzen und dieErfolge selbst wahrnehmen.“

In Dresden sind sie stolz da-rauf, dass die Fehlerquote inzwi-schen bei weniger als eins zuzehn Millionen liegt. Doch Plosslegt die Latte schon wieder höher.„Auch dieser eine Fehler unterzehn Millionen Chips wird in Zu-kunft nicht mehr akzeptiert wer-den“, sagt er. „Wer möchte schonin dem autonom fahrenden Autositzen, in dem dieser eine Chipverbaut wurde? Wir werden unsin Richtung Null-Fehler-Toleranzbewegen.“

Um diesem Anspruch näher-zukommen, verlässt sich der Dax-Konzern nicht nur auf seine eige-nen Stärken. Anfang 2015 kaufteInfineon für drei Milliarden Dol-lar den Konkurrenten Internatio-nal Rectifier und stärkte damitseine Position auf dem US-Markt.Im Juli 2016 folgte die Ankündi-gung, für 850 Millionen DollarWolfspeed zu übernehmen. DieAmerikaner sind Spezialisten fürHalbleiter auf Basis von Silizium-carbid. Die Chips sind besser fürhöhere Spannungen geeignet, zudem lassen sich noch mehr von ihnen auf einem Wafer un -terbringen. Das hilft, Kosten zu sparen.

RE INHARD PLOSS CEO INFINEON

Der Verfahrens-techniker ver-brachte sein

ganzes Berufsle-ben im Siemens-Universum. Alsdie Chipsparte1999 ausgeglie-

dert wurde, ginger mit zu Infi-

neon. 2007wurde er Vor-

standsmitglied,2012 CEO.

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Von seinem jüngsten Zukauf, der Phi-lips-Ausgründung Innoluce, erhofftPloss sich neue Impulse für die Automo-bilsparte: Die Niederländer sind Spezia-listen für laserbasierte Abstandsmes-sungen, die eine wichtige Rolle bei derEntwicklung autonom fahrender Autosspielen könnten.

Das Risiko, selbst zum Übernahme-kandidaten zu werden, hält Ploss fürüberschaubar. „Wir sind bei der aktuel-len Marktkapitalisierung (18 MilliardenEuro) nicht gerade ein Schnäppchen.Und je erfolgreicher wir sind, destosperriger werden wir.“

Ausgeschlossen ist eine feindlicheOfferte freilich nicht. Gerade hat derBranchenvierte Qualcomm die Über-nahme des Infineon-Rivalen NXP fürrund 47 Milliarden Dollar angekündigt.Die Niederländer sind gemessen amUmsatz die Nummer sieben der Bran-che, die Münchener stehen auf Platzzehn. Ploss gibt sich entspannt: „Ich binda nicht nervös.“

Auf dem Rückweg von der virtuellenin die reale Welt steht er schon wiederim Anzug in der Umkleide und eilt zurTür, als alle anderen noch an den Reiß-verschlüssen ihrer Schutzanzüge nes-teln. In zehn Jahren, schätzt er, könntenalle Fabriken auf dem Stand von Dres-den sein, inklusive der Zukäufe. SeinVertrag läuft noch bis 2020, bis dahinwill Ploss weiterhin jährlich 8 ProzentWachstum und eine Rendite von 15 Pro-zent abliefern. Infineon würde dann 8,5 Milliarden Euro Umsatz erzielen –über 2 Milliarden mehr als heute.

Und sein persönliches Ziel? Jetztmuss er überlegen. „Ich will ein Infineonhinterlassen, bei dem die nächste Gene-ration nicht sagen muss: Jetzt müssenwir erst mal aufräumen“, sagt er schließ-lich. „Am besten wäre, wenn man garnicht merkt, dass ich weg bin.“ 1 Claus Gorgs

lösungen des Dax-Konzerns sind die Voraussetzung für viele industrielle An-wendungen von autonom fahrendenAutos bis hin zur Telemedizin.

SIEMENS Der Münchener Mischkonzerngehört zu den führenden Anbietern vonIndustrie-4.0-Lösungen in Deutschland.Das Dax-Schwergewicht (Umsatz: 76 Mil-liarden Euro) unterstützt seine Kunden mitseiner „Digital Enterprise Software Suite“bei der Weiterentwicklung ihrer Pro -duktion, von der automatisierten hin zur digitalen Fabrik. Auch intern treibt Vor-standschef Joe Kaeser die Digitalisierungvoran, um die Kosten zu senken und die Produktivität zu erhöhen. Darüber hinaus investiert das Unternehmen überseinen Wagnisfinanzierer Siemens Venture Capital in Start-ups, die auf neueProduktionsverfahren spezialisiert sind.

SIXT LEASING Ein Auto online zu mieten istlängst normal. Doch Deutschlands größ-ter herstellerunabhängiger Autovermieterhat die Digitalisierung noch viel weiter getrieben. So verwaltet Sixt Leasingganze Firmenflotten virtuell, mischt dankseiner neutralen Handelsplattform SixtNeu wagen beim Onlinehandel mit Neufahrzeugen mit – Konfigurator für allegängigen Marken inklusive. Auf dieseWeise ist es Vorstandschef Rudolf Rizzolligelungen, mehrere Jahre in Folge ein solides Wachstum des Umsatzes auf zu-letzt 665 Millionen Euro hinzulegen. Auchdie internen Prozesse wurden umfang-reich digitalisiert. Damit hat Sixt einen neuen Standard für die Branche gesetzt.

CEWE Kodak? Agfa? War da was? Vieleklangvolle Namen aus dem Fotofilmge-schäft endeten auf dem analogen Firmen-friedhof. Nicht so Cewe: Der Fotofinisheraus Oldenburg (CEO: Rolf Hollander)schwenkte rechtzeitig auf Digitalfotografieum und verdient sein Geld heute mit Fotobüchern, personalisierten Post -karten-Apps und Digitaldruck. Wo früherFarbfilme durch Chemiebäder gezogenwurden, verarbeiten nun voll automatischeBelichter die Kundenaufträge aus dem Internet. Cewe ist heute europäischerMarktführer für digitale Fotoprodukte undder Umsatz mit 554 Millionen Euro höher, als er zu analogen Zeiten je war.

DEUTSCHE TELEKOM Dass sich mit dem Te-lefongeschäft allein langfristig kein Geldmehr verdienen lassen würde, hat derBonner Konzern (Umsatz: 69 MilliardenEuro) früh erkannt. Vorstandschef TimHöttges trimmt den ehemaligen Staats-konzern daher zunehmend auf Zukunfts-themen wie Cloud-Computing, Internet-sicherheit und Big-Data-Anwendungen.Im Endkundengeschäft verschmelzenFestnetz und Mobilfunk, mit T-Home undEntertain ist die Telekom zum mächtigenSpieler im Multimedia- und TV-Geschäftgeworden. Die intelligenten Netzwerk -

DIGITALDENKERVier weitere Firmen schafftenes in der Kategorie „Operationsof the Future“ in die Endrunde

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INFINEONSPEZIAL GAME CHANGER

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D er Obstteller auf dem Schreib-tisch ist unberührt, das Sakkohängt über der Stuhllehne. Pe-ter Altmaier hackt schnell noch

zwei Sätze in den Computer. Eigentlich hatder Kanzleramtsminister und Vertrautevon Angela Merkel keine Zeit. Die Renten,die Flüchtlinge. Aber dann redet er dochfast anderthalb Stunden über die Digitali-sierung der deutschen Wirtschaft. SeineBegeisterung für das Thema ist zu spüren.Seine Sorge auch.

MM Herr Altmaier, Sie waren der ersteSpitzenpolitiker, der twitterte, heutehört man dort nur noch wenig von Ih-nen. Sind Sie digitalisierungsmüde?PETER ALTMAIER Auf keinen Fall! Twitter nut-ze ich nach wie vor, aber mehr, um mich zuinformieren, als selbst zu posten. WichtigeDinge, die auf der Welt passieren, bekom-me ich so deutlich früher mit. Die Heizungbei mir zu Hause steuere ich bald über meinSmartphone. Als ich neulich einen Umbauan meinem Haus im Saarland hatte, konnteich den Baufortschritt bequem digital vonBerlin aus verfolgen. Politisch nutze ich öfter die Möglichkeit, per Video-Online-schaltung live zu sprechen. Das ermöglichtdirekte Kommunikation, spart aber Zeitund Kosten und schont die Umwelt. Die Di-gitalisierung ist eine große und spannendeVeränderung fast aller Lebensbereiche. Siewird kommen, egal was die Politik dazusagt. Deshalb tun wir gut daran, uns recht-zeitig mit den Folgen zu befassen.In der deutschen Wirtschaft scheintdiese Erkenntnis noch nicht überall an-gekommen zu sein. Alle großen Inter-netkonzerne sitzen in den USA, unsereSmartphones werden in China gebaut,Akkus für Elektroautos in Korea. Deutschland hat schon viele ökonomischeHerausforderungen gemeistert: Das Endedes Wirtschaftswunders, die Umwälzun-gen in der Unterhaltungs- und Optikindus-trie, die „German Angst“ nach der Wieder-vereinigung. Wir hatten damals mehrereMillionen Arbeitsplätze verloren, aber seit-her durch Reformen, die von einem großenparteiübergreifenden Konsens getragenwaren, bewiesen, dass wir Globalisierungkönnen. Wir haben uns Marktanteile zu-rückerobert, den China-Boom für uns ge-nutzt. Das Ergebnis: Vier Millionen Jobsmehr als zu Zeiten der Wiedervereinigung.Wenn wir rechtzeitig die Weichen stellen,meistern wir auch die Digitalisierung, wirddie Erfolgsgeschichte weitergehen.Es geht aber nicht so weiter. Der Chi-na-Boom ebbt ab, die Digitalisierung

VIEL ZEITHABENWIR NICHT“INTERVIEW Kanzleramtsminister Peter Altmaier erklärt, warum sich die Digitalisierung nicht genauso verordnen lässt wie die Energiewende –und wieso ihm das Sorgen bereitet.

PETER ALTMA I ER

Der Saarländer gilt alsAngela Merkels Mannfür die wichtigen Themen. Als Bundesum-weltminister setzte erdie Energiewende inDeutschland durch, aktuell koordiniert derCDU-Politiker als Kanzleramtschef dieFlüchtlingspolitik.

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INTERVIEWSPEZIAL GAME CHANGER

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droht selbst die Kernbranchen derdeutschen Industrie zu marginalisieren. Die Digitalisierung ist in der Tat ein GameChanger. Das Thema ist ja nicht neu, aberwir erleben gerade einen qualitativenSprung, den man sich bis vor Kurzem sonicht vorstellen konnte. Deutschland ist ei-nerseits gut aufgestellt, zeitweise hattenwir mehr Softwareentwickler als die USA;andererseits sind wir hier weltweit nichtunter den ersten drei. Die große Dynamikfindet zurzeit woanders statt. Alle großendigitalen Plattformen, alle relevanten Social-Media-Netzwerke sind in den USA angesiedelt. In Sachen Industrie 4.0 sindwir schon besser aufgestellt, weil es da umhochtechnologische Prozesse geht, die mitder Digitalisierung verschmelzen. So etwaskann Google nicht. Allerdings ändern sichdie Dinge gerade in einem enormen Tem-po, etwa beim 3-D-Druck. Wir sind in derSpitze gut vertreten, müssen den Prozessaber in die Breite tragen.Warum tun sich gerade viele große Mit-telständler digital so schwer?Es gibt dort noch viele, die sich vor Verän-derung, vor dem Unbekannten fürchten.Wir brauchen eine Bewusstseinsänderung.Die Digitalisierung ist ja eine Riesenchance:Heute kann ein Unternehmer aus der Nie-derlausitz den Weltmarkt aufrollen.Uber und Tesla kommen aber wederaus der Niederlausitz noch aus Berlin,sondern aus Kalifornien. Es gibt auch bei uns einige echte Leucht-türme: Traditionsunternehmen wie Thys-senKrupp, Bosch oder Siemens haben dasThema frühzeitig erkannt und sind schonsehr weit. Trotzdem müssen wir erkennen,dass wir es nicht mit einer evolutionärenVeränderung zu tun haben, sondern mit einem Innovationssprung, bei dem dieClaims neu abgesteckt werden. Das birgtgroße Chancen, aber auch Risiken, wenndie Innovation anderswo stattfindet. DerUmbruch ist deshalb so radikal, weil er kos-tengetrieben ist und Produktivitätsvorteilevon bis zu 50 Prozent hervorbringt. Wer solche Effizienzsprünge hebenwill, muss investieren. Da halten wiruns derzeit auffällig zurück.Noch sind wir etwa sehr stark in künstli-cher Intelligenz, was hochrelevant ist fürdas autonome Fahren. Doch wir stellenfest, dass Plattformen wie Google in die-sem Feld enorm investieren und sich dasKnow-how über Joint Ventures oder Über-nahmen deutscher Spezialisten holen.Es wäre nicht das erste Mal, dass Deut-sche die Technologien entwickeln undAmerikaner die Produkte verkaufen.

Noch haben wir Deutschen die Chance,ganz vorn mit dabei zu sein. In vier bis fünfJahren sind die Anteile verteilt.Gilt das auch für unsere ökonomischeLebensader, die Automobilindustrie?Das Auto der Zukunft fährt möglicherweisemit Elektroantrieb, sein teuerstes Bauteilist dann die Batterie. Wir haben aber hier-zulande keine Batteriefertigung. Das Autoder Zukunft fährt voraussichtlich selbst.Bei dieser Technologie sind wir zwar nichtschlecht aufgestellt, aber andere arbeitendaran mit Hochdruck. Und keiner weiß, obsich das Beste oder das Schnellste durch-setzt. Wenn am Ende 60 Prozent der Wert-schöpfung eines Autos digital sind und 20 Prozent auf die Batterie entfallen, nütztes uns gar nichts, wenn wir 80 Prozent derOberklasseautos bauen, aber nur noch 20 Prozent der Wertschöpfung im eigenenLand haben. Dann greifen Sie als Bundesregierungdoch ein. Als es um die Energiewendeging, haben Sie doch auch Milliardenbewegt und nicht lange gefackelt.Ich bin ein Anhänger der sozialen Markt-wirtschaft – in diesem Begriffspaar stecktsehr viel Markt und sehr viel Wirtschaft.Ich glaube, dass der Staat ein schlechter In-vestor ist. Deshalb haben wir bei der Ener-giewende starke Anreize gesetzt und Hilfenangeboten, aber nicht selbst Solaranlagenoder Windräder gebaut. Das verlangt ja auch diesmal keiner.Autoindustrie und Energiesektor sind nurbedingt vergleichbar. Es wird nicht Hun-derte Batteriefabriken geben, sondern nurwenige. Und die Herausforderung, den

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Quelle: Akamai Grafik: manager magazin

D E U T S C H L A N D S U R F T H I N T E R H E RDie Länder mit dem schnellsten Internet-zugang 2016, in Mbit/s

Südkorea 27,0

Norwegen 20,1

Schweden 18,8

Schweiz 18,3

1

2Hongkong 19,5

3

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Deutschland 14,124

Finnland 17,66

Lettland 17,57

Singapur 17,28

Japan 17,19

Island 17,010

INTERVIEWSPEZIAL GAME CHANGER

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Koreanern und der Giga Factory von Pana-sonic und Elon Musk etwas entgegenzuset-zen, betrifft ganz Europa. Deutschland istda aufgrund seiner großen Kompetenz imAutomobilbau natürlich prädestiniert.Aber es passiert nichts.Der Staat kann nur den Rahmen setzen.Deutschland war ja mal führend in der Bat-terieentwicklung. Um diese Expertise zureanimieren, haben wir neue Lehrstühlegeschaffen. Die Batteriefabrik indes müs-sen schon die Unternehmen bauen.Bei der Energiewende haben Sie einensehr rigiden Rahmen gesetzt und dieWirtschaft regelrecht zum Umsteuerngezwungen. Der Autoindustrie schei-nen Sie ziemlich hörig zu sein.Nein, aber durch das europäische Beihilfe-recht sind uns enge Grenzen gesetzt. Wirsind bereit, die Forschung zu fördern. Dochwir können durch Ordnungspolitik keineBatteriefabrik in Deutschland erzwingen.Beim Atomausstieg waren Sie als Um-weltminister der Ansprechpartner fürdie Unternehmen. Die Zuständigkeitenfür Digitalisierung sind über vier Res-sorts verteilt. Braucht das Land nichtdringend ein Digitalministerium?Ich glaube nicht, dass man für jede neueEntwicklung unbedingt ein neues Ministe-rium braucht. Ich war als Umweltministerauch nur für die erneuerbaren Energien zu-ständig, nicht für Netze und konventionelleKraftwerke. Ein eigenständiges Energie -ministerium gibt es bis heute nicht, trotzEnergiewende. Zu Beginn der Legislatur-periode haben wir tatsächlich über ein In-ternetministerium diskutiert, und das warauch gut so, weil es allen die Wichtigkeitdes Themas verdeutlicht hat.Und Sie glauben, das reicht? Ein The-ma, für das niemand wirklich verant-wortlich ist, treibt auch keiner voran.Natürlich sollte man Entscheidungen vonZeit zu Zeit überprüfen. Aber ich werdejetzt nicht über den Ressortzuschnitt nachder nächsten Bundestagswahl spekulieren.Der Staat muss erst einmal selbst unter Be-weis stellen, dass er die Digitalisierung imGriff hat, indem er eine Verwaltung ent-sprechend modernisiert. Die Union ist seit elf Jahren an der Regierung. Das hätten Sie doch alleslängst beweisen können.Wir sind in den vergangenen drei Jahrenschon gut vorangekommen, das ist nurnicht immer bis auf die Titelseiten vorge-drungen, weil Themen wie die Flüchtlings-krise im Vordergrund standen. Wenn es umDigitalisierung geht, bin ich mir zum Bei-spiel mit Sigmar Gabriel in vielen Fragen

einig, und auch bei den übrigen Themenkönnten wir schnell zu einer Einigung kom-men. Allerdings sieht nicht jeder in seinerPartei die Notwendigkeit, die Möglichkei-ten von Big Data in Deutschland zu nutzen.Sie wollen den Datenschutz lockern?Der technologische Fortschritt hat dazu geführt, dass man Daten in nahezu unbe-grenzter Form speichern und in hoher Ge-schwindigkeit verarbeiten kann. Das heißtnicht, dass wir künftig weniger Daten-schutz brauchen, aber dass wir ihn in Zu-kunft anders organisieren müssen, damittechnologischer Fortschritt und Daten-schutz unter einen Hut passen.Viel wichtiger scheinen uns Investitio-nen in die digitale Infrastruktur.Wir haben in dieser Wahlperiode großeFortschritte beim Breitbandausbau ge-macht. Wir bringen das schnelle Internetin jeden Winkel Deutschlands …… mit einer Übertragungsrate, dieschon nicht mehr ausreicht, bis Sie mitdem Ausbau fertig sind.Mag sein, aber wir hören danach ja nichtauf. Parallel arbeiten wir bereits am Aufbaudes ultraschnellen 5G-Standards, das istquasi Datenübertragung in Echtzeit undwird die Voraussetzung sein für Telemedi-zin oder autonomes Fahren. Ein 5G-Netzwürde uns einen großen Wettbewerbsvor-teil verschaffen, auch gegenüber den USA.Inwiefern?Die Amerikaner sind dabei, das Auto intel-ligent zu machen. Wir Deutschen habenden Ehrgeiz, auch die Straße intelligent zumachen. Diese Strategie ist wesentlich bes-ser als das, was Google vorhat. Die Frageist nur, ob wir schnell genug damit sind undsich nicht in der Zwischenzeit der US-Stan-dard durchsetzt. Die produzieren dannvielleicht ein paar Prozent mehr Unfälle,aber haben das automatisierte Fahren aufdie Straße gebracht. Deswegen haben wirein hohes Interesse an 5G.

Der Atomausstieg ist bei den Bürgernauch deshalb auf fruchtbaren Bodengefallen, weil ihnen die Umwelt am Her-zen liegt. Das Digitale ist nicht wirklichTeil der deutschen Seele. Historisch betrachtet gab es in Deutsch-land über viele Jahrzehnte hinweg eine gro-ße Technikbegeisterung. Die lange Debatteüber die Nutzung der Atomkraft hat dazugeführt, dass sie in Skepsis umgeschlagenist. Dabei sind Technik und Umweltschutzkeine Gegensätze. Die Digitalisierung wirduns helfen, mit weniger Energie und weni-ger Rohstoffen zu produzieren. Sie wirduns helfen, die Energiewende umzusetzenund den Verbrauch fossiler Brennstoffe zureduzieren. Ich habe die Hoffnung nichtaufgegeben, dass wir auch noch eine Be-geisterung fürs Digitale entwickeln. Am ehesten dürfte diese Begeisterungbei Kindern und Jugendlichen zu we-cken sein. Unsere Schulen indes lebenimmer noch weitgehend in der analo-gen Welt, unsere Universitäten bildenIngenieure aus statt Softwarespezialis-ten. Brauchen wir erst eine Ingenieurs-schwemme, bevor wir umsteuern?So viel Zeit haben wir nicht mehr. DieChance, zu Beginn einer Innovation von ihrzu profitieren, ist ungleich größer als imspäteren Verlauf. Die Zyklen sind in jüngs-ter Zeit noch viel schneller geworden. Des-halb kann es nur eine Schlussfolgerung ge-ben: Wir müssen ganz vorn sein und denBewusstseinswandel in den Unternehmenmit der gleichen Energie vorantreiben wiedie Veränderungen in der Bildungspolitik.Glauben Sie, dass die Mehrheit derdeutschen Spitzenpolitiker die Bedeu-tung der digitalen Revolution über-haupt begriffen hat?Die Bundesregierung hat gleich zu Beginnder Legislaturperiode die Digitale Agendaauf den Weg gebracht, wir haben im Früh-jahr eine Kabinettsklausur nur zu diesemThema abgehalten, wir führen einen brei-ten Dialog mit Arbeitgebern, Gewerkschaf-ten und anderen Gesellschaftsgruppen.Der Bewusstseinsstand ist heute ein ganzanderer als noch vor drei oder vier Jahren.Ich halte es durchaus für möglich, bei derDigitalisierung ein ähnliches Bewusstseinfür die Größe der Herausforderung zuschaffen wie bei der Energiewende. Wird die Digitalisierung zum zentralenThema der nächsten Bundesregierung?Das hängt von deren Konstellation ab. BeiRot-Rot-Grün wohl eher nicht. 1

128 manager magazin D E Z E M B E R 2016

„ES NÜTZT NICHTS,WENN WIR 80 PROZENTDER OBERKLASSE -AUTOS BAUEN, ABERNUR 20 PROZENTDER WERTSCHÖPFUNGIM LAND HABEN.“

Das Interview führten Claus Gorgs und Steffen Klusmann.

INTERVIEWSPEZIAL GAME CHANGER

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Disruptive Geschäftsmodelle verändern ganze Branchen und das Zusammenwachsen der physischen und der virtuellen Welt treibt diese Veränderungen stark voran. Mit dem Game Changer Award – initiiert von Bain & Company und manager magazin – werden Unternehmen ausgezeichnet, denen es gelungen ist, die Spielregeln für sich und ihre Branche zu verändern. Auch in diesem Jahr wurden Unternehmen auf Basis einer detaillierten Due Diligence sowie der Bewertung durch eine hochkarätige Jury darauf hin betrachtet, ob sie als Vorbilder im digitalen Zeitalter gelten können. Die Preisträger wurden in drei Kategorien prämiert: „Customer Experience“, dem vorbildlichen Gestalten des Kunden- erlebnisses, „Product & Service Innovation“, der Einführung von bahnbrechenden Produkt- und Dienstleistungsinnovationen, sowie „Operations of the Future“, dem Umsetzen innovativer Produktions- und Backoffice-Lösungen.

Wir gratulieren den Unternehmen SAP SE, Infineon Technologies AG und FlixBus zu ihrer Auszeichnung. Die Preise wurden im Rahmen einer Galaveranstaltung am 17. November 2016 in Berlin verliehen.

REVOLUTIONÄRE DER WIRTSCHAFT

Eine Initiative von manager magazin und Bain & Company

CUSTOMER EXPERIENCE

FlixBus Seit der Liberalisierung des Fernbusmark-tes 2013 ist es FlixBus gelungen, durch Einbindung mittelständischer Busunterneh-men den Markt für Fernreisen in Deutsch-land und Europa zu revolutionieren. Der digitale Ansatz sowie der schnelle Auf-bau eines europaweiten Fernbusnetzes zeigen, wie ein traditionelles Geschäft radikal verändert werden kann. Die kun-denfreundliche Buchungsplattform, die Smartphone-App oder die Verfügbarkeit von WLAN in allen Bussen schaffen zu-dem ein positives Kundenerlebnis.

PRODUCT & SERVICE INNOVATION

SAP SE Die Digitalisierung hat bei SAP den Wandel vom Anbieter klassischer Soft-warelösungen hin zum Cloud-Unterneh-men, powered by SAP HANA, einge-leitet. Mit der Entwicklung dieser Datenbankplattform und dem Fokus auf die Cloud hat SAP sein Geschäfts-modell erfolgreich an den digitalen Wandel angepasst. Unternehmen ge-winnen somit eine völlig neue Agilität und Flexibilität. Durch diesen disrupti-ven Schritt begleitet SAP seine Kunden auf dem Weg in die digitale Zukunft.

OPERATIONS OF THE FUTURE

Infineon Technologies AG Infineon ist führend bei der Anwendung von vernetzten Produktionssystemen, die eine hochautomatisierte Produktion erlauben. Zudem bindet Infineon konse-quent seine Werke und Testcenter in ein globales virtuelles Produktionsnetzwerk ein. So kann schnell, flexibel und effi- zient produziert werden – bei optimaler Nutzung von Ressourcen. Mit Smart Manufacturing demonstriert Infineon schon heute, was durch Industrie 4.0 möglich wird, und bietet seinen Kunden Lösungen auf höchstem Niveau.

Bain & Company ist eine der weltweit führenden Managementberatungen. Wir unterstützen unsere Kunden auch darin, digitale Polepositionen zu erreichen. Weitere Informationen unter www.bain.de/www.baindigital.com