Spiegel: Siemens statt Humboldt

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  • 8/9/2019 Spiegel: Siemens statt Humboldt

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    Deutschland

    Montag: Aufstehen um 6.30 Uhr,8 Uhr Experimentalphysikvorle-sung. 90 Minuten Stoff. Der Pro-fessor spricht mit der Tafel oder liest seineFolien vor.

    Um 10 Uhr in die Bibliothek zum Ler-nen: Zu jeder Vorlesung werden jede Wo-che bungsbltter verteilt, pro bungs-blatt zehn Stunden Arbeit.

    13 Uhr: Leberkssemmel beim MetzgerVinzenz Murr.

    13.30 Uhr: Wieder bungsblatt in derBibliothek bis abends 8 Uhr.

    Wenn die Fakultt schliet, Umzug mit-samt bungsblttern in die Staatsbiblio-thek, die hat bis Mitternacht geffnet.

    70 Stunden in der Woche, so rechnetRobert Lohmeyer, Physikstudent an derMnchner Ludwig-Maximilians-Universi-tt, msse er schon investieren: Jedesbungsblatt wird eingesammelt und ber-prft, jede Vorlesung endet mit einerKlausur zu Semesterende, manche Pro-fessoren verlangen sogar zwei.

    Wer nicht besteht, muss das im nchs-ten Semester nachholen. Das geht abernicht, sagt Robert, 20, denn im nchstenSemester sei gar keine Zeit fr so etwas.

    Robert hat sich sein Studium andersvorgestellt. Physik war fr mich die auf-regende Herausforderung, etwas ganz,ganz Schwieriges zu lernen. Mit Physikkann man die Welt erklren, es geht umdie Stringtheorie, um das groe ungelsteProblem der Vereinheitlichung von Quan-tenfeldtheorie und Allgemeiner Relativi-ttstheorie: Es wre so etwas wie eineWeltformel.

    Ach was, Weltformel.Es gibt so wenig Spielraum, sagt

    Zweitsemester Robert, das macht hieralles keinen Spa. Nun versucht er tap-fer, trotzdem ein guter Student zu sein:Ich habe ja keine Alternative.

    Die neue Turbo-Bildung ist ohne Aus-weg: das Bachelor-Studium. Sechs Semes-ter Schmalspur-Wissenschaft sollen nachdem Willen der bundesdeutschen Kultus-minister den Geist der humboldtschenUniversitt ersetzen, um den Deutsch-land weltweit beneidet wurde.

    Kein Geist, nirgendwo: Generationen

    verunsicherter Nichts-richtig-Knner ste-hen der Bildungsrepublik Deutschland(Angela Merkel) ins Haus. Ohne einenMaster-Abschluss, der lngst nicht allen

    offensteht, studieren Studenten wie Ro-bert Lohmeyer ins Leere. Schon jetzt di-stanzieren sich Wirtschaftsfhrer von derkonzeptionslosen und unterfinanziertenBildungsreform dem grten anzuneh-menden Unglck des deutschen Bildungs-fderalismus.

    29 europische Staaten hatten in Bolo-gna 1999 beschlossen, die Universittsaus-bildung dem globalen Wissen zu ffnen,den grenzberschreitenden Austauschvon Forschung und Lehre und Lernen undDenken und Geist mit einer internationa-len Reform zu beflgeln. Doch dann kamder Bologna-Prozess in die Hnde deut-scher Kultusminister.

    Ohne dass das Ziel des Reformplansauch nur erkennbar war, beschloss dieKultusministerkonferenz in vorauseilen-dem Gehorsam, was die Bologna-Erkl-rung von 1999 so strikt gar nicht vorgese-hen hatte: Die Verpflichtung der Lnder,flchendeckend bis 2010 den europi-schen Standard bis zum letzten Credit

    Point an ihren Universitten umzusetzen in einem Schmalspur-Studium von dreiJahren, eine traurige Mogelpackung,so der Deutsche Hochschulverband. Ver-

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    B I L D U N G

    Siemens statt HumboldtWie Inkompetenz, Finanznot und Verantwortungslosigkeit dasUniversittsstudium ruinieren. Von Thomas Darnstdt

    Der Fderalismus wird von der Politik nirgendwo so konsequent umgesetztwie bei der Bildung. Vorige Woche beleuchtete der SPIEGEL die Folgen der Klein-

    staaterei fr Lehrer, Schler und Eltern. Der zweite Teil beschftigt sich mit den Uni-

    versitten, in denen nach Einfhrung der Bachelor-Studiengnge alles einheitlicher

    werden sollte. Erste Hochschulen gehen jedoch bereits Sonderwege.

    Ingenieurstudenten in einem Massenhrsaal an

    Protestierende Studenten

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    murkst, so der Hochschulexperte derGrnen im Bundestag Kai Gehring, wur-den vielerorts die Studiengnge, ver-schult, verdichtet, berstrukturiert.

    Deutsche Universitten, weltweit an-erkannt in der Tradition Wilhelm vonHumboldts, sehen sich am Rand derFunktionsfhigkeit: Hektisch werden nunin den meisten Bundeslndern die Stu-diengnge erneut reformiert, um die Stu-dierbarkeit wiederherzustellen.

    War nicht Mnchen einmal die Hoch-burg von Geist und Expertise? Die beidengroen Universitten der Stadt belegtenSpitzenpltze in den Rankings. Nun hatdie Technische Universitt, Gewinner imExzellenz-Wettbewerb, eigenmchtig dieseit Bologna abgeschafften Diplom-Titelbeibehalten aus Sorge um den Ruf derdeutschen Ingenieurwissenschaft.

    Diese Sorge wird vielerorts geteilt. Infast allen Lndern arbeiten die Kultus-brokraten daran, ihre Universitten vorSchaden zu bewahren. In Stuttgart kn-

    digte Wissenschaftsminister Peter Fran-kenberg (CDU) an, er mchte das Bache-lor-Studium um ein Jahr verlngern;dafr knnte, damit es schnell geht, das

    anschlieende Master-Studium auf einJahr verkrzt werden. Dass damit derwissenschaftliche Teil der Studiengngeerheblich beschdigt wrde, ficht nichtalle an. Schlielich, so Frankenberg, seiendie Master-Studiengnge ohnehin nichtfr alle Studenten vorgesehen. Das ent-spreche, sagt der Minister, der Logik derBologna-Studiengnge.

    Da ist es wieder, das schon bekannteProblem der deutschen Bildungs-Klein-staaterei: Niemand kann etwas dafr.Kein Geist, nirgends.

    Was qualifiziert Sie eigentlich fr dieHochschulpolitik?, fragte die Frankfur-ter Rundschau die 2008 in Hessen insAmt gekommene CDU-Wissenschafts-ministerin Silke Lautenschlger. Die Ex-Rechtsanwltin antwortete: Fr mich istes ein spannender neuer Bereich. Ich binsehr neugierig und finde es schn, neueAufgabengebiete kennenzulernen.

    So reden sie fast alle, denen die Nationdas Wichtigste anvertraut, das sie hat:

    ihre Ressourcen an klugen Kpfen. WasWunder, dass die Wissenschaftsministervon den Hochschulprofessoren in der Re-gel nicht ernst genommen werden. Die

    Bologna-Reform, wei der Generalsekre-tr der Kultusministerkonferenz ErichThies, ist auer Kontrolle geraten, weilviele Hochschullehrer ihre Steckenpferdedurchgesetzt haben.

    Robert Lohmeyers Dienstag: Mathe-Vorlesung von 10 bis 12 Uhr. Dann Tuto-rium Rechenmethoden, Besprechungder bungsbltter wie in der Schule. 20Leute, eine Tutorin, man darf fragen. Bis16 Uhr bung Mathe fr Physiker, dasbungsblatt wird vom Professor erklrt.

    Danach: Leberkssemmel. Alles schwirrtim Kopf. Heute keine Bibliothek.

    Die Arbeitsbelastung der jungen Stu-denten, spttelt Julian Nida-Rmelin,Mnchner Philosophieprofessor und ehe-mals Gerhard Schrders Kulturstaats-minister, sei ein Fall fr den Menschen-rechtsgerichtshof.

    Zu viel, zu schnell: Teilweise hhereAbbruchquoten als vor der Bologna-Re-form meldete der Bildungsbericht 2008,Orientierungsprobleme, Entscheidungs-

    unsicherheiten, Informationsdefizitehaben Humboldts Universitten zu Toll-husern gemacht, schon jetzt sei das Imageder Bachelor-Abschlsse notleidend: Die

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    HERMANN

    BREDEHORST/POLARIS

    /LAIF(L.)

    ;MARTINAHENGESBACH

    /JOKER/ULLSTEIN

    BILD

    (R.)

    der Ruhr-Universitt Bochum: Es gibt so wenig Spielraum, das macht hier alles keinen Spa

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    Berufschancen bei den Geistes- und Sozial-wissenschaftlern seien nun noch schlechtergeworden.

    Zu viel, zu schnell: Wie schon bei derbereilten Einfhrung des achtjhrigenGymnasiums haben sich die Kultusminis-ter auch bei der Bologna-Reform der Uni-

    versitten dem Zeitgeist der Beschleuni-gung an den Hals geworfen, ohne Kon-zept und vernnftiges Ziel.

    Aber mit System. Am Beispiel Physikskizziert der Bamberger Bildungssoziolo-ge Richard Mnch, wie die klassische deut-sche Bildung der Menschen durch dieProduktion von Humankapital abgelstwurde: Die im Auftrag der OECD struk-turierten Pisa-Standards seien fr den na-turwissenschaftlichen Unterricht an denSchulen so gemacht, dass die jungen Leuteauf das Physikstudium hin strukturiertwerden. Dieses Physikstudium aber werdenun mit dem Ziel der employabilityrein praxisbezogen ausgerichtet.

    Nicht mehr Humboldt, Siemens setztdie Mastbe. Das Bildungssystem ist indie Pflicht genommen, den Aussto vonIngenieuren zu vergrern: eine Aufgabe,die frher berwiegend abseits der klas-sischen Universitten von den Fachhoch-schulen erledigt wurde.

    Schneller und effektiver lernen: DieserZeitgeist ist tatschlich eher bei Unter-nehmensberatern wie McKinsey denn indeutschen Wissenschaftsministerien ent-standen. Die Wirtschaft hat das mit demschneller Lernen doch hauptschlich vom

    Zaun gebrochen, klagt im MnchnerKultusministerium der Amtschef Josef Er-hard. Und in der Tat stehen junge Deut-sche der Nation als Geldverdiener undSteuerzahler im internationalen Vergleichrelativ spt zur Verfgung.

    Der ehemalige McKinsey-Deutschland-Chef Jrgen Kluge tritt schon lange inBchern und Aufstzen gegen den ver-mufften deutschen Fderalismus an. Un-ternehmensberater erschrecken nicht sosehr vor den Lese- und Rechenschwchender abgebrochenen Hauptschler als vordem Mangel an guten Ingenieuren undjungen Naturwissenschaftlern.

    Allein in China werden jhrlich rund600000 Ingenieure ausgebildet mehr alsalle Ingenieure, die in Deutschland in denletzten zehn Jahren die Hochschulen ver-lassen haben warnt der SPD-Abgeord-nete Karl Lauterbach. Wenn nicht umge-hend mehr Physiker ausgebildet werden,so frchten Wirtschaftsexperten, verliertdie Bildungsrepublik den Anschluss anden Weltstandard der IT-Wirtschaft.

    Ich will aber nicht in die Wirtschaft,sagt Paula.

    Paula Reichert, 23, studiert auch Physikan der Mnchner Ludwig-Maximilians-

    Universitt, und zwar Hardcore, dasTheoretische, das Schwierigste, nicht wiean der TU, nebenan, die sind ihr zu pra-xisbezogen. Kann man denn nicht Theo-

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    retische Physik studieren, einfach weil esspannend ist, eine Herausforderung?

    Die Weltformel? Am Wissenschafts-standort Mnchen wird Paula sie nichtfinden. Nicht mal die einfachsten Zahlenbekommen die mit ihrem Bologna-Stu-dium auf die Reihe. Keiner kann mir er-klren, warum man fr das Modul Theo-rie 1 Mechanik an dieser Uni 9 Credit

    Points bekommt, fr das gleiche Modulan der TU da drben nur 8. Ich glaube,dieses ganze System hat keinen Sinn.

    Die Wirtschaft, der die Reform dienensoll, kann damit jedenfalls wenig anfan-gen. Zu eindimensional findet Burk-hard Schwenker, der Chef der Unterneh-mensberatung Roland Berger, die neuen,verschulten Studiengnge. Wichtig wrenach Ansicht des Experten ein breites,interdisziplinres Angebot in bester hu-manistischer Tradition. Humboldt eben.

    Die europische Universittsreformgebe vor, sich an den US-Elite-Unis zuorientieren. Doch dort, wei Nida-Rme-lin, der in den USA lehrte, gilt Humboldtnoch etwas: Die Bachelor-Studiengngein den USA sind lnger und sie sindkonsequent bildungsorientiert, nicht aus-bildungsorientiert.

    Das System ist dagegen, dass Physik-studenten in Mnchen zu tief graben. DasStudium der Philosophie, nicht nur nachNida-Rmelins Ansicht unverzichtbar,die Grenzfragen der Naturwissenschaftzu verstehen, hlt fr die Bachelor-Aus-bildung zu sehr auf. Der Physikstudent,der an der Ludwig-Maximilians-Uni imdigitalen Uni-System Philosophievorle-

    sungen belegen will, wird wieder ausge-spuckt: Error. Geht nicht.Paula Reichert wre keine gute Physi-

    kerin, wenn sie sich von plumper Elektro-

    nik etwas vormachen liee: Die Inter-pretation von Formeln ist eine Frage derPhilosophie, folglich hat sie das Systemausgetrickst und studiert nun heimlichdoch die Wissenschaft der groen Fragen.

    Jetzt macht die Studentin ihren Bache-lor-Abschluss und hat das Gefhl, dassdas Kurzstudium kaum mehr bringe alsdas alte Diplom-Studium bis zum Ende

    des Grundstudiums: Eine Einfhrung indie Grundlagen das wars.Zu viel, zu schnell. In sechs Semestern,

    sagt die Grnen-Politikerin Krista Sager,kann nun mal nicht der gleiche Stoff be-wltigt werden wie in acht bis zehn.

    Verantwortlich? Keiner.Verantwortung lag in den Hnden der

    Arbeitsgruppe Fortfhrung des Bologna-Prozesses unter Beteiligung des Bun-desforschungsministeriums, der Kultus-ministerkonferenz, der Hochschulrektoren-konferenz, des Deutschen AkademischenAustauschdienstes, der Studierendenschaf-ten und des Akkreditierungsrats. Die aller-dings trug die Verantwortung auch nichtallein, weil sie die berwachung der neuenStudiengnge in Deutschland abzustimmenhatte mit den europischen Beratungs- undKoordinierungsnetzwerken, die unter Ab-krzungen wie ENQA und ECA ein macht-volles Schattendasein fhren.

    Was die europischen Gremienmhlenausspucken, wird nirgendwo so perfektzermahlen wie im System der deutschenKultusministerkonferenz. Vernichtenddas Urteil des Klner Politologen FritzScharpf: Die horizontale Selbstkoordi-nation der Lnder durch Institutionen wie

    die Kultusministerkonferenz sei die ri-gideste und innovationsfeindlichste Formder Problembearbeitung im deutschenpolitischen System.

    Chinesische Uni-Absolventen in Wuhan, deutscher Student im Physiklabor an der TU Chemnitz:

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    Sparsamer Staat

    ffentliche Bildungsausgaben in Prozentdes Bruttoinlandsprodukts (BIP), 2007

    4,5

    5,4

    6,8

    4,3

    4,0*

    5,3

    4,4

    5,6

    5,4

    5,3

    sterreich

    Norwegen

    Niederlande

    Frankreich

    Deutschland

    Griechenland

    Italien

    Spanien

    Grobritannien

    USA

    Quelle: Eurostat

    *2004

    Mit welcher Akribie jede politische Bil-dungsinitiative ruiniert wird, zeigt einBlick in das Innenleben der KMK-Ent-scheidungsmaschinerie. Da ging es in derinternen Beratungsunterlage RS Nr.402/2005 um das Thema der Begabten-frderung an den Unis. Immerhin gab esunter diesem Aktenzeichen einen kerni-gen Beschluss: Die Kultusministerkon-

    ferenz nimmt mit Befremden zur Kennt-nis, dass die Finanzministerkonferenz mitBefremden zur Kenntnis genommen hat,dass die Kultusministerinnen und Kultus-minister die Spitzenfrderung von Stu-dierenden fr notwendig erachten. WasWunder, dass nach jahrelangen Debattenum ffentliche Stipendien fr Begabtedas Projekt vorige Woche im Bundesratvorlufig zerredet wurde.

    Hilflos stehen die Landesminister vorder von ihnen hartnckig beanspruchtenAufgabe, die deutsche Bildung zu retten.Andere Mchte sind stets strker, derGeist von McKinsey, die Logik des euro-pischen Prozesses, die Wucht des vonder Weltwirtschaftsorganisation OECDausgelsten Pisa-Schocks, die wissen-schaftlichen Autoritten der Bildungsfor-schung, die der Nation Humboldts eineempirische Wende verschrieben haben.

    Die systematische Unterlegenheit derLnderpolitik beruht nicht in allen Fllenauf Inkompetenz, stets aber auf demMangel an Geld. Die gesamte deutscheBildungspolitik ist unterfinanziert weilsie in der Hand der Lnder liegt. Derdeutsche Fderalismus ist schon deshalbeine Fehlkonstruktion, weil die Bundes-

    lnder sich zwar als eigene Staaten miteigener Hoheitsgewalt auffhren drfen ihnen aber die entscheidende, die Fi-nanzhoheit fehlt.

    Zwar drfen die 16 Fderalstaaten dasGeld weitgehend selbstndig ausgeben,aber bei den Einnahmen sind sie vomBund abhngig, der die ergiebigen Steu-ern erhebt. Fr die Kassenwarte in derHauptstadt ist die Bildung kein wesent-licher Rechnungsposten, denn frs Bil-dungsbudget ist in Berlin ja niemandverantwortlich, von Forschungsgeldern

    mal abgesehen.Nida-Rmelin, der mal in Berlin mit-zureden hatte, rechnet: Eine Weltspit-zen-Universitt wie Yale kostet im Jahr2 Milliarden. Der Bund zahlt im Jahr 80Milliarden Zuschsse fr die Rentenver-sicherung das wren 40 Spitzen-Unis.Niemand wrde verlangen, dass das Geldfr die Rentenversicherung besser frUniversitten ausgegeben werden soll.Allein: Es fehlt in der Bildungsrepublik

    Deutschland die Instanz, die beides mit-einander gleichberechtigt abwgt.

    Wie viel aus dem gemeinsamen Steu-ertopf die Lnder abbekommen, richtetsich nicht nach ihren Aufwendungen frSchulen und Universitten, sondern nacheinem komplizierten Aushandlungspro-

    zess, in dem politische Paketlsungen undKompromisse wichtiger sind als berle-gungen der Bildungsreform.

    Die ganze Hilflosigkeit der Lnder-politik wird aus einer Rechnung derMainzer Kultusministerin Doris Ahnen(SPD) deutlich: Das Wachstumsbe-schleunigungsgesetz des Bundes bringtuns als Land im Schnitt 125 MillionenEuro Mindereinnahmen pro Jahr. Dassind 2000 Lehrerstellen. Nur mit eige-nem Finanzaufkommen, so die Erkennt-nis des noch amtierenden DsseldorferWissenschaftsministers Andreas Pink-wart (FDP), knnen wir Schwerpunktein der Bildung setzen.

    Dennoch wurde bei der Fderalismus-reform 2006 auf Wunsch der Mehrheitder Ministerprsidenten das Finanzie-rungssystem zu Lasten der Schulen undUniversitten noch enger: Im Rahmenumfassender Verfassungsnderungen ver-lor der Bund nicht nur die Rahmenge-setzgebungskompetenz fr die Hochschu-len, die Lnder mussten im Gegenzugdem Bund auch die bis dahin bestehendeMitverantwortung fr die Finanzierungabnehmen. Nun konnten die Lnder mitihren Unis machen, was sie wollten

    mussten es aber auch bezahlen.Ein Sieg fr den Fderalismus? Natr-lich ist keines der 16 Lnder in der Lage,Spitzen-Unis selbst zu finanzieren. Hoch-verschuldet und noch dazu unter demneu in das Grundgesetz aufgenommenemVerbot, weitere Schulden aufzunehmen(Schuldenbremse), schaffen es zumin-dest die rmeren Lnder schon langenicht mehr, allein die bestehenden Hoch-schulen in Schuss zu halten.

    Viele Universitten knnen den Lehr-betrieb nur noch aufrechterhalten, weilsie die Unterrichtung von Studenten perLehrauftrag an mehr oder weniger quali-fizierte Billigkrfte vergeben, die fr einpaar Euro im Semester die Verantwor-tung fr den Anschluss der Industrie-nation Deutschland bernehmen. Ande-re, wie vergangene Woche die Uni L-beck, mssen mit Nothilfezahlungen desBundes in letzter Minute vor der Schlie-ung teurer Fachbereiche gerettet wer-den. Unterfinanziert war die mit groenWorten angekndigte Bologna-Reformvon Anfang an. Bundesbildungsministe-rin Annette Schavan hat es gleich gesagt:Ohne zustzliche Mittel geht es nicht.Doch niemand fhlte sich angesprochen.

    In diesem Macht- und Finanzvakuum,das nach der Fderalismusreform diedeutschen Universitten umgab, war derGeist von McKinsey pltzlich sehr will-

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    Deutschland

    Die Bildungsrepublik Deutschland verliert den Anschluss an den WeltstandardZHOU

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    kommen. Viele Lnder ga-ben ihre teure, neuerrunge-ne Verantwortung zum gu-ten Teil an die Wirtschaftweiter. Vorgemacht hat dasder Dsseldorfer LiberalePinkwart, der mit allein 14

    mittelmigen Universit-ten und 16 Fachhochschulentatschlich die Hauptlastder Bildungsfinanzierungbewltigen muss: Er setzteim Landtag ein Hochschul-freiheitsgesetz durch, dasden staatlichen Anstaltenauferlegte, sich die fehlen-den Gelder etwa durchKooperationsvertrge mitWirtschaftsunternehmen zubesorgen. Denn: Hoch-schulen sind zwar keine Un-ternehmen, mssen aberweit unternehmerischer ge-fhrt werden als bisher.

    Das sieht nicht nur Pink-wart so. Zahlreiche Unis inDeutschland wurden auf diese Weise ausder Finanzverantwortung der Lnder-ministerien befreit: Die deutsche Wirt-schaft ist dabei, ihren Einfluss auf dieHochschulen massiv auszuweiten, mel-dete das Handelsblatt. berall wurdengesetzlich teilweise extern besetzteHochschulrte eingesetzt, oft mit weit-reichenden Kompetenzen bis hin zurWahl des Uni-Prsidenten. An Paula Rei-

    cherts Uni sitzt beispielsweise Nikolausvon Bomhard, der Chef der Munich Re,im Hochschulrat, nebenan an der TU istes BMW-Chef Norbert Reithofer. berdie Uni Karlsruhe hlt Daimler-Chef Die-ter Zetsche seine Hand.

    Doch an den Unis wchst die Wut dar-ber, dass sich Lnder ihre so trotzig er-rungene Macht ber die hhere Bildungauf diese Weise veruntreuen: Ohne uni-versitre Sachkompetenz mischten sichExterne in Forschung und Lehre ein,zrnten die Rechtsprofessoren der Frank-furter Goethe-Universitt. Und der Ham-burger Kollege Michael Khler hat Ver-fassungsbeschwerde erhoben, weil erdurch die Auslieferung der Uni an dieWirtschaft die grundrechtlich garantierteWissenschaftsfreiheit verletzt sieht.

    Die prekre Lage der Bildung wurdevon den Lndern noch mutwillig ver-schrft, indem sie bei der Fderalismus-reform ein finanzielles Kooperationsver-bot mit dem Bund ins Grundgesetz auf-nehmen lieen: Ein bildungspolitischercrash (Schavan).

    Weil dieser verfassungsrechtlich eherlcherliche Fderalradikalismus nichtdurchzuhalten war, einigten sich Bund

    und Lnder alsbald darauf, das mhsamin die Verfassung geboxte Spendierverbotein bisschen zu umgehen: Im Hochschul-pakt verpflichtet sich der Bund, den Ln-

    dern befristete Zuschsse zur Vermehrungder Studienpltze zu geben. Nun habensich die Lnder in Berlin eine Verlnge-rung der Zahlungen erbettelt.

    Vollends in Verlegenheit hat KanzlerinMerkel die 16 Inhaber der bildungspoliti-schen Kernkompetenz (KMK) auf demBund-Lnder-Bildungsgipfel 2008 ge-bracht. Eigentlich gibt es auf einem sol-chen Gipfel mangels Bundeskompetenz

    nichts zu besprechen, aber die Kanzlerinmachte ein Angebot, das die Lnder nichtablehnen konnten: Bis zum Jahr 2015 soll-ten alle in einer gemeinsamen Kraftan-strengung den Anteil der Bildungsausga-ben auf zehn Prozent des Bruttoinlands-produkts (BIP) steigern.

    Dagegen war kaum anzugehen: Die f-fentlichen und privaten Ausgaben fr Bil-dung und Forschung sind in den vergan-genen Jahren deutlich unterproportionalzum Anstieg des BIP gewachsen, der An-teil lag 2008 bei 8,6 Prozent. Allein beiden ffentlichen Bildungsausgaben lagDeutschland 2007 sogar nur bei 4,5 Pro-zent ganz weit hinten.

    Seit dem Herbst 2008 arbeitet eine vonBund und Lndern beschickte Strate-giegruppe daran, die Zahlungskonditio-nen auszuhandeln. Im Gesprch ist eineSumme von 13 bis 16 Milliarden Euro.Hessens Kultusministerin DorotheaHenzler (FDP) zum Beispiel steht aberauf dem Standpunkt, ihr Land msse garnichts mehr beitragen: Unser Finanz-minister sagt, Hessen hat das Zehn-Pro-zent-Ziel lngst erreicht.

    Zerstritten ist die Kommission aller-dings weniger wegen der eigensinnigen

    Rechner in der Provinz als wegen ei-ner Grundsatzfrage, die der MnchnerAmtschef Erhard so beschreibt: DerBund ist gern bereit, Geld zu geben,

    aber er will sich dabei fotografierenlassen.

    So sehen das die Lnder: Wenn derBund den 16 Inhabern der Bildungshoheitetwas Gutes tun will, soll er nicht so vielWind machen, sondern einfach den An-teil der Lnder am gemeinsamen Um-

    satzsteuertopf erhhen die Ministerwssten dann schon, wie sie mit demGeld umzugehen haben.

    Natrlich lehnt die Kanzlerin so etwasrundweg ab: Wenn berhaupt Geld flie-en kann, so macht der Bund deutlich,dann nur zweckgebunden fr Landespro-jekte, die sich auch auf Bundesebene poli-tisch verkaufen lassen.

    Auf keinen Fall, sagt etwa der Schwe-riner Minister fr Bildung und Wissen-schaft Henry Tesch (CDU), knne mansich auf so etwas einlassen: Die Kofi-nanzierung konkreter Bildungsmanah-men durch Bund und Lnder bindet zuviele Mittel im Landeshaushalt, da bleibtden Lndern ja kaum noch eigener Hand-lungsspielraum. Auch Teschs SPD-Kolle-gin Ahnen in Mainz sieht in solch zweck-gebundenen und befristeten Dreingabendes Bundes auf Dauer keine Lsung.

    Als die Fderalismusreformkommis-sion 2007 darber diskutierte, die kom-plizierte deutsche Finanzverfassung zuvereinfachen, warnte der Kommissions-berater und Verfassungsrechtler JoachimWieland davor, den Lndern Kompeten-zen fr die Bildung ohne aufgabenge-rechte Finanzausstattung zu geben.

    Doch die Warnung blieb ungehrt.Dabei ist die Abschottung der Schul-und Universittspolitik von den staat-lichen Finanzquellen ein deutsches Uni-kum. In keiner anderen Fderation derWelt, so ergab eine vergleichende Unter-suchung des hannoverschen Fderalis-musexperten Hans-Peter Schneider, ha-ben die Gliedstaaten weniger Einflussauf die Gestaltung des Steuerrechts undder Steuerverteilung als in Deutschland.

    Wie es anders gehen knnte, das willin der Mega-Fderation USA jetzt Prsi-dent Barack Obama zeigen: Weil von ei-nigen Bundesstaaten die pdagogischePost-Pisa-Wende bisweilen ebenso zger-lich umgesetzt wird wie in Deutschland,will er von oben herab die Umsetzungder nationalen Bildungsvorgabe an denSchulen mit finanziellen Belohnungen frjene Staaten, deren Schulen gute Ergeb-nisse bringen. Umgekehrt bekommen dieVerliererstaaten Strafabzge. Wettbe-werbsfderalismus auf Amerikanisch.

    Fr den Verfassungsexperten Wielandist klar, dass an einer verstrkten Finan-zierung der Bildungsaufgaben durch denBund auch in Deutschland kein Wegvorbeifhre. Denn die Alternative, den

    Lndern eigene ergiebige Finanzquellenmit einem eigenen Steuererhebungsrechtzu erschlieen, wurde schon in der Fde-ralismuskommission von der Mehrheit der

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    Physikabsolventin Reichert: Ich will aber nichtQUIRINL

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