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| TREFFPUNKT FORSCHUNG Chem. Unserer Zeit, 2008, 42, 186 – 191 www.chiuz.de © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 189 konnte der in Oxford tätige Spinnen- forscher Fritz Vollrath im vergange- nen Jahr mit Hilfe der Rheologie, also der Messung des Fließverhaltens des Seidenrohstoffs aufklären.Vollrath und seine Mitarbeiter fanden heraus, dass die Eigenschaften des im Labor rekonstituierten Rohstoffs sich nicht nur graduell sondern prinzipiell von dem direkt aus lebenden Spinnen ge- wonnenen Material unterscheiden [1].Vollrath setzt deshalb seine Hoff- nungen nicht mehr auf Reagenzglas- Imitate, sondern auf eine biologische Lösung, nämlich die Übertragung von Spinnen-Genen auf leicht handhab- bare Insekten, wie etwa die Seiden- raupe. Davon ließen sich aber die Ar- beitsgruppen von Andreas Bausch und von Thomas Scheibel an der TU München nicht abschrecken. Sie konstruierten ein Mikrofluidik-Sys- tem, um die in der Spinne vorliegen- den Produktionsbedingungen mög- lichst detailliert im Laborversuch nachahmen zu können [2]. Die Forscher produzierten zwei verschiedene Proteine der Garten- kreuzspinne (Abbildung 1), Araneus diadematus, in rekombinanten Bak- terien: eADF3 und eADF4 (für en- gineered A. diadematus fibroin). Mit den Lösungen dieser Proteine ver- suchten sie dann, die Seidenprodukti- on der Spinne so gut wie möglich nachzuahmen. Dazu ließen sie die Lö- sungen durch feine Kapillargefäße strömen (Abbildung 2) und setzten insbesondere drei variable Funk- tionen ein: die Verengung des Stroms (die bei der Spinne vermutlich zur Ausbildung langgestreckter beta-Falt- blatt-Strukturen beiträgt), die Mi- schung mit Kaliumphosphatlösungen variabler Konzentration, und die Ver- änderung des pH-Werts. Wie knifflig der Prozess ist, zeig- ten die ersten Experimente mit dem Protein eADF4: Im Untersuchungska- nal des Mikrofluidik-Chips tauchten lediglich harte Proteinkügelchen auf, von Spinnenfäden keine Spur. Mehr Glück hatten die Forscher dann mit dem Fibroin Nr. 3: in diesem Fall konnten sie ein Rezept – bestehend aus genau festgelegten Fließge- schwindigkeiten und Mischungsbe- dingungen – entwickeln, das zuver- lässig zur Ausbildung von Fasern führt.Aus Mischungen beider Prote- ine konnten die Münchner dann ebenfalls Fasern gewinnen. Genauere Untersuchung der Fa- sern zeigte, dass sie hochgradig elas- tisch, und, genauso wie der Spinnen- faden, reich an beta-Faltblatt-Struktu- ren sind. Die Vorgehensweise bei ih- rer Erzeugung unterscheidet sich je- doch von der natürlichen Produktion des Spinnenfadens insofern, als in den Spinnkanälen der Tiere extrem hohe Proteinkonzentrationen vorlie- gen, die man bisher im Laborversuch nicht nachahmen kann, ohne unkon- trollierte Ausfällung (Aggregation) des gesamten Proteinmaterials zu ris- kieren. Die Teams von Scheibel und Bausch haben nun gezeigt, dass es auch mit verdünnteren Lösungen geht, wenn man nur die Fließeigen- schaften des Rohmaterials, die sich mit einem Rheometer messen lassen, und die chemischen Rahmenbedin- gungen optimiert. Bisher hat das Sys- tem allerdings nur mikroskopisch kleine Fasern geliefert, deren genaue Charakterisierung auch noch nicht abgeschlossen ist. Bis zur anwen- dungsreifen künstlichen Spinnensei- de, dem Ziel, das den Wissenschaft- lern schon seit einem Jahrzehnt vor- schwebt, das sich aber bisher als Fata Morgana erwiesen hat, bleibt noch vieles zu optimieren. Michael Groß www.michaelgross.co.uk NATURMATERIALIEN | Spinnenseide durch Mikrofluidik ? Bereits seit einem Jahrzehnt kann man die Hauptbestand- teile der Spinnenseide gentech- nisch aus anderen Organismen gewinnen, doch die erhoffte Massenproduktion des Wun- dermaterials ist ausgeblieben, da man den Weg vom Protein zum Spinnenfaden noch nicht vollständig durchschaut. Neue Hoffnung bringt jetzt der Ein- satz von Rheologie und Mikro- fluidik. Spinnenseide hat erstaunliche Mate- rialeigenschaften, mit denen kein von Menschen erzeugter Werkstoff mit- halten kann. Bei gleichem Gewicht ist ein Spinnenfaden stärker als Stahl und Kevlar. Die Nutzung dieses Stoffs scheitert allerdings daran, dass Spin- nen aggressives Territorialverhalten zeigen und somit zur Massentierhal- tung nicht geeignet sind. Andererseits sind auch alle Versuche, künstliche Spinnenseide im Labor zu erzeugen, bislang fehlgeschlagen. Warum dem Menschen das Spin- nen nicht so recht gelingen will, << Abb. 1 Die Seidenfäden der Gartenkreuzspin- ne haben bemer- kenswerte Eigen- schaften. Die Spinne selbst hat eine Größe von einigen Millime- tern. < Abb. 2 In der Reaktionskam- mer versucht man, die Faden- bildung nachzu- ahmen. Die Reagentien wer- den von rechts zugeleitet. [Bild: Sebastian Rammensee] [1] C. Holland et al., Polymer, 2007, 48, 3388. [2] S. Rammensee et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA, 2008, 105, 6590. [3] U. K. Slotta, S. Rammensee, S. Gorb und T. Scheibel, An- gew. Chem. Int. Ed., DOI: 10.1002/ anie.200800683 [4] Einen Übersichts- artikel zur Spin- nenseide finden Sie in ChiuZ 4/2007, S. 306–314.

Spinnenseide durch Mikrofluidik?

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Chem. Unserer Zeit, 2008, 42, 186 – 191 www.chiuz.de © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 189

konnte der in Oxford tätige Spinnen-forscher Fritz Vollrath im vergange-nen Jahr mit Hilfe der Rheologie, alsoder Messung des Fließverhaltens desSeidenrohstoffs aufklären.Vollrathund seine Mitarbeiter fanden heraus,dass die Eigenschaften des im Laborrekonstituierten Rohstoffs sich nichtnur graduell sondern prinzipiell vondem direkt aus lebenden Spinnen ge-wonnenen Material unterscheiden[1].Vollrath setzt deshalb seine Hoff-nungen nicht mehr auf Reagenzglas-Imitate, sondern auf eine biologischeLösung, nämlich die Übertragung vonSpinnen-Genen auf leicht handhab-bare Insekten, wie etwa die Seiden-raupe.

Davon ließen sich aber die Ar-beitsgruppen von Andreas Bauschund von Thomas Scheibel an der TUMünchen nicht abschrecken. Sie konstruierten ein Mikrofluidik-Sys-tem, um die in der Spinne vorliegen-den Produktionsbedingungen mög-lichst detailliert im Laborversuchnachahmen zu können [2].

Die Forscher produzierten zweiverschiedene Proteine der Garten-kreuzspinne (Abbildung 1), Araneusdiadematus, in rekombinanten Bak-terien: eADF3 und eADF4 (für en-gineered A. diadematus fibroin). Mitden Lösungen dieser Proteine ver-suchten sie dann, die Seidenprodukti-on der Spinne so gut wie möglichnachzuahmen. Dazu ließen sie die Lö-sungen durch feine Kapillargefäßeströmen (Abbildung 2) und setzteninsbesondere drei variable Funk-tionen ein: die Verengung des Stroms(die bei der Spinne vermutlich zurAusbildung langgestreckter beta-Falt-blatt-Strukturen beiträgt), die Mi-schung mit Kaliumphosphatlösungenvariabler Konzentration, und die Ver-änderung des pH-Werts.

Wie knifflig der Prozess ist, zeig-ten die ersten Experimente mit demProtein eADF4: Im Untersuchungska-nal des Mikrofluidik-Chips tauchtenlediglich harte Proteinkügelchen auf,von Spinnenfäden keine Spur. MehrGlück hatten die Forscher dann mitdem Fibroin Nr. 3: in diesem Fallkonnten sie ein Rezept – bestehend

aus genau festgelegten Fließge-schwindigkeiten und Mischungsbe-dingungen – entwickeln, das zuver-lässig zur Ausbildung von Fasernführt.Aus Mischungen beider Prote-ine konnten die Münchner dannebenfalls Fasern gewinnen.

Genauere Untersuchung der Fa-sern zeigte, dass sie hochgradig elas-tisch, und, genauso wie der Spinnen-faden, reich an beta-Faltblatt-Struktu-ren sind. Die Vorgehensweise bei ih-rer Erzeugung unterscheidet sich je-doch von der natürlichen Produktiondes Spinnenfadens insofern, als inden Spinnkanälen der Tiere extremhohe Proteinkonzentrationen vorlie-gen, die man bisher im Laborversuchnicht nachahmen kann, ohne unkon-trollierte Ausfällung (Aggregation)des gesamten Proteinmaterials zu ris-kieren.

Die Teams von Scheibel undBausch haben nun gezeigt, dass esauch mit verdünnteren Lösungengeht, wenn man nur die Fließeigen-schaften des Rohmaterials, die sichmit einem Rheometer messen lassen,und die chemischen Rahmenbedin-gungen optimiert. Bisher hat das Sys-tem allerdings nur mikroskopischkleine Fasern geliefert, deren genaueCharakterisierung auch noch nichtabgeschlossen ist. Bis zur anwen-dungsreifen künstlichen Spinnensei-de, dem Ziel, das den Wissenschaft-lern schon seit einem Jahrzehnt vor-schwebt, das sich aber bisher als FataMorgana erwiesen hat, bleibt nochvieles zu optimieren.

Michael Großwww.michaelgross.co.uk

N AT U R M AT E R I A L I E N |Spinnenseidedurch Mikrofluidik ?Bereits seit einem Jahrzehntkann man die Hauptbestand-teile der Spinnenseide gentech-nisch aus anderen Organismengewinnen, doch die erhoffteMassenproduktion des Wun-dermaterials ist ausgeblieben,da man den Weg vom Proteinzum Spinnenfaden noch nichtvollständig durchschaut. NeueHoffnung bringt jetzt der Ein-satz von Rheologie und Mikro-fluidik.

Spinnenseide hat erstaunliche Mate-rialeigenschaften, mit denen kein vonMenschen erzeugter Werkstoff mit-halten kann. Bei gleichem Gewichtist ein Spinnenfaden stärker als Stahlund Kevlar. Die Nutzung dieses Stoffsscheitert allerdings daran, dass Spin-nen aggressives Territorialverhaltenzeigen und somit zur Massentierhal-tung nicht geeignet sind.Andererseitssind auch alle Versuche, künstlicheSpinnenseide im Labor zu erzeugen,bislang fehlgeschlagen.

Warum dem Menschen das Spin-nen nicht so recht gelingen will,

<< Abb. 1 DieSeidenfäden derGartenkreuzspin-ne haben bemer-kenswerte Eigen-schaften. DieSpinne selbst hateine Größe voneinigen Millime-tern.

< Abb. 2 In derReaktionskam-mer versuchtman, die Faden-bildung nachzu-ahmen. DieReagentien wer-den von rechtszugeleitet. [Bild: SebastianRammensee]

[1] C. Holland et al.,Polymer, 22000077,48, 3388.

[2] S. Rammensee etal., Proc. Natl.Acad. Sci. USA,22000088, 105, 6590.

[3] U. K. Slotta, S. Rammensee, S. Gorb und T. Scheibel, An-gew. Chem. Int.Ed., DOI: 10.1002/anie.200800683

[4] Einen Übersichts-artikel zur Spin-nenseide findenSie in ChiuZ4/2007, S. 306–314.