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Die Makromolekulare Chemie 161 (1972) 85-100 Technisch-Chemisches Laboratorium der Eidgenossischen Technischen Hochschule Zurich, CH-8006 Zurich, UniversitatstraIJe 6, Schweiz Spontane Polymerisation von 2 -Vinylpyridin in Gegenwart von Polymethacrylsaure CHRISTOPH KLEIN (Eingegangen am 21. Juli 1971) ZUSAMMENFASSUNG: Die spontane Polymerisation von 2-Vinylpyridin ia Gegenwart von Polymethacrylsaure in waoriger Losung wurde mit Polymethacrylsauren verschiedener Taktizitat untersucht. Die Polymerisationssysteme waren heterogen, wobei Poly(2-vinylpyridin) und Polymeth- acrylsaure fast ausschliefilich in der festeu Phase gefunden wurden. Die Bruttopolymerisa- tionsgeschwindigkeit hing nur sehr wenig von der Taktizitat der Polysauren ab. Anfallende Poly(2-vinylpyridin)/Polymethacrylsaure-Gemische konnten nur in stark saurem Milieu getrennt werden. Die abgetrennten Poly(2-vinylpyridine) waren nach NMR-spektroskopi- schen Messungen vorwiegend syndiotaktisch, die Taktizitat hing jedoch nicht von der Taktizitat der Polysaure ab. SUMMARY: The polymerization of 2-vinylpyridine in the presence of poly(methacry1ic acid) of vary- ing tacticity was studied in an aqueous medium. The reaction systems were heterogeneous with poly(2-vinylpyridine) and polymethacrylic acid almost exclusively in the precipi- tated phase. The overall rate of conversion was found to depend on the poly(methacry1ic acid) tacticity only to a very little extent. The poly(2-vinylpyridine)/poly(methacrylic acid) mixture of the insoluble phase could be separated only in a strong acid medium. NMR measurements indicated the products to be predominantly syndiotactic, quite in- dependent on the tacticity of the poly(methacry1ic acid) used. I. Einleitung Die ,,spontane Polymerisation " von 4-Vinylpyridin in Gegenwart von Polysauren wie Polystyrolsulfonsauren, Polyathylensulfonsauren und Polyacrylsauren ist bekannt l-5). Nach dem vorgeschlagenen Mechanis- mus erfolgt dabei das Wachstum nach Ieitiierung durch ein Anion anionisch iiber Zwitterionen273). Wie bei der Polymerisation von Salzen des 4-Vinylpyridins mit niedermolekularen Sauren in konzentrierter Lo- sung21 nimmt nur protoniertes Vinylpyridin an der Polymerisation teil, da dessen Doppelbindung durch die positive Ladung auf dem Pyridin- Stickstoff fur einen anionischen Angriff besonders aktiviert ist. Mit Poly- sauren findet jedoch die Polymerisation schon in verdiinnter Losung 85

Spontane polymerisation von 2-vinylpyridin in gegenwart von polymethacrylsäure

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Die Makromolekulare Chemie 161 (1972) 85-100

Technisch-Chemisches Laboratorium der Eidgenossischen Technischen Hochschule Zurich, CH-8006 Zurich, UniversitatstraIJe 6, Schweiz

Spontane Polymerisation von 2 -Vinylpyridin in Gegenwart von Polymethacrylsaure

CHRISTOPH KLEIN

(Eingegangen am 21. Juli 1971)

ZUSAMMENFASSUNG: Die spontane Polymerisation von 2-Vinylpyridin ia Gegenwart von Polymethacrylsaure

in waoriger Losung wurde mit Polymethacrylsauren verschiedener Taktizitat untersucht. Die Polymerisationssysteme waren heterogen, wobei Poly(2-vinylpyridin) und Polymeth- acrylsaure fast ausschliefilich in der festeu Phase gefunden wurden. Die Bruttopolymerisa- tionsgeschwindigkeit hing nur sehr wenig von der Taktizitat der Polysauren ab. Anfallende Poly(2-vinylpyridin)/Polymethacrylsaure-Gemische konnten nur in stark saurem Milieu getrennt werden. Die abgetrennten Poly(2-vinylpyridine) waren nach NMR-spektroskopi- schen Messungen vorwiegend syndiotaktisch, die Taktizitat hing jedoch nicht von der Taktizitat der Polysaure ab.

SUMMARY: The polymerization of 2-vinylpyridine in the presence of poly(methacry1ic acid) of vary-

ing tacticity was studied in an aqueous medium. The reaction systems were heterogeneous with poly(2-vinylpyridine) and polymethacrylic acid almost exclusively in the precipi- tated phase. The overall rate of conversion was found t o depend on the poly(methacry1ic acid) tacticity only to a very little extent. The poly(2-vinylpyridine)/poly(methacrylic acid) mixture of the insoluble phase could be separated only in a strong acid medium. NMR measurements indicated the products to be predominantly syndiotactic, quite in- dependent on the tacticity of the poly(methacry1ic acid) used.

I. Einleitung

Die ,,spontane Polymerisation " von 4-Vinylpyridin in Gegenwart von Polysauren wie Polystyrolsulfonsauren, Polyathylensulfonsauren und Polyacrylsauren ist bekannt l-5). Nach dem vorgeschlagenen Mechanis- mus erfolgt dabei das Wachstum nach Ieitiierung durch ein Anion anionisch iiber Zwitterionen273). Wie bei der Polymerisation von Salzen des 4-Vinylpyridins mit niedermolekularen Sauren in konzentrierter Lo- sung21 nimmt nur protoniertes Vinylpyridin an der Polymerisation teil, da dessen Doppelbindung durch die positive Ladung auf dem Pyridin- Stickstoff fur einen anionischen Angriff besonders aktiviert ist. Mit Poly- sauren findet jedoch die Polymerisation schon in verdiinnter Losung

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C. KLEIN

statt. Nach dem von KABANOV et al. postulierten Model1 wird das pro- tonierte 4-Vinylpyridin entlang der Polysaurekette angelagert, wobei durch diese Vororientierung die Polymerisation stark beschleunigt oder uberhaupt erst moglich wird29 375). Die Polymerisation findet danach auf einer Polysaure-,,Matrize" statt.

Die Polymerisation von 2-Vinylpyridin, dessen Doppelbindung bei Protonierung des Pyridinstickstoffes ahnlich aktiviert wird wie diejenige von 4-Vinylpyridin, wurde mit Polysaurep bisher nicht untersucht. Wir interessierten uns fur Poly(l-pyridyl-(2)-athylen) [Poly(2-vinylpyridin)] als Modellsubstanz fur die Untersuchung der Assoziation von Polymeren in Losung. Durch die Polymerisation auf einer Polysaure-Matrize schien sich ein Weg zur Synthese taktischer Poly(2-vinylpyridine) zu eroffnen. Wir fuhrten deshalb Polymerisationsversuche mit 2-Vinylpyridin in Ge- genwart von Polysauren durch. Als Polysaure schien uns Polymethacryl- saure besonders geeignet, da deren Taktizitat uber das entsprechende Polymethylmethacrylat NMR-spektroskopisch leicht bestimmbar ist. Um den Mechanismus aufzuklaren und festzustellen, ob die Polymerisa- tion wirklich auf Matrize stattfinde, wurde auch die Polymerisationskine- tik untersucht, insbesondere die Einfliisse der Taktizitat der Polysaure und der ,,Fiillung der Matrize" auf die Polymerisationsgeschwindigkeit.

11. Experimentelles 1. Polymethacrylsauren

Isotaktische Polymethacrylsaure (PMA 304) wurde durch Verseifen von isotaktischem Polymethylmethacrylat mit konzentrierter Schwefelsaure hergestellt6-8), wobei man von einem mit Lithiumaluminiumhydrid polymerisierten Polymethylmethacrylat ausging.

Ein relativ ataktisches Produkt (PMA 309) erhielt man durch radikalische Polymeri- sation von Methacrylsaure in Xylol bei 85°C und ein hoher syndiotaktisches (PMA 306) durch radikalische Polymerisation in Methanol bei O°C. Die Taktizitaten bestimmte man nach Veresterung mit DiazomethanQ) uber die entsprechenden Polymethylmethacrylate mit Wilfe der NMR-Spektroskopie10). Einzelheiten wurden bereits beschriebenll).

2. Polymerisationen von 2-Vinylpyridin mit Polymethacrylsauren a. Reinigung der Ausgangsstoffe

2- Vinylpyridin : Es wurde mit wasserfreiem Natriumsulfat vorgetrocknet, bei 11 Torr uber Kaliumhydroxid unter RUckfluS erhitzt und anschlieflend uber eine Fiillkorperkolonne unter Stickstoff destilliert (Sdp.l144"), wobei man zur weiteren Trocknung Calciumhydrid in die eisgekuhlte Vorlage gab. Unmittelbar vor der Polymerisation wurde eine zweite Destillation am Vakuum unter Stickstoff durchge€iihrt.

PMA 306 und PMA 309 wurden zweimal mit Methanol/Ather umgefallt und aus Wasser gefriergetrocknet. PMA 304 wurde zweimal mit Dimethylform-

Polyrnethacrylsiuren :

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Spontane Polymerisation von 2-Vinylpyridin in Gegenwart von Polymethacrylsaure

amidlwasser umgefallt, in Wasser dialysiert (Befreiung von Sulfationen aus der Verseifung) und aus Dimethylsulfoxid gefriergetrocknet.

Vasser : Ionenaustauscher-Wasser wurde unter Stickstoff destilliert.

b. Polymerisationen

Beispiel : In einem 250-cm3-Vierhalskolben mit Gaseinleitungsrohr, Riihrer, RuckfluB- kuhler und selbstdichtender Gummimembran wurden 2,OO g (23,25 d o l ) PMA 306 einge- wogen, der Kolben wurde mehrmals evakuiert und mit Stickstoff gefiillt. Danach fugte man mit einer Injektionsspritze unter Ruhren 116,s cm3 unter Stickstoff destilliertes Wasser zu und nach Losen und Spiilen mit Stickstoff 2,372 cm3 (23,25 mMol) 2-Vinylpyridin. Das Gemisch wurde dann unter leichtem Ruhren in einem Wasserbad auf 64OC erhitzt, wobei eine weifie Fallung entstand, die nach UV und I R aus Polymethacrylsaure, Poly(2-vinyl- pyridin) und 2-Vinylpyridin bestand und sich im Laufe der Polymerisation zusammen- ballte. Nach 72 Stdn. wurde die Polymerisation abgebrochen.

Analoge Polymerisationen wurden mit PMA 304 und PMA 309 durchgefiihrt. hn l iche Polymerisationen mit Vinylpyridin-Konzentrationen von 0,12 Mol/Z und Polysaurenkon- zontrationen von 0,3 Grundmol/Z *) wurden in Ampullen durchgefiirt, die unter Vakuum abgeschmolzen und gelegentlich geschuttelt wurden.

Aufarbeitung : Durch Zugabe von Salzsaure bis pH 2 wurde das System gelost, danach bis zum pH von 3,8 Natronlauge zugegeben und gefallt. Die Fallung bestand aus Polyvinyl- pyridin und Polymethacrylsaure und enthielt nach Abfiltrieren und Trocknen nur noch sehr wenig 2-Vinylpyridin.

c. Trennung des Polymethacrylsaure/Poly(2-vinylpyridin)-Gemisches

Das Polymergemisch wurde unter Ruhren und Kuhlen in einem Kolben rnit der zwan- zigfachen Menge reiner, konzentrierter Schwefelsaure versetzt. Nacli Losen und kurzem Stehenlassen bei Zimmertemperatur wurde die gekuhlte Losung langsam unter Ruhren zur funffachen Meuge Eis zugetropft und die Fallung abfiltriert ; sie bestand nach IR-Messungen aus fast reiner Polymethacrylsaure. Das Filtrat brachte man mit Natronlauge unter starker Kuhlung auf pH 10, wobei ab pH 5 Poly(2-vinylpyridin) ausfiel. Das Gemisch wurde in einem Scheidetrichter mit Chloroform ausgeschuttelt, die Chloroformlosung mit Wasser gewa- sohen und eingedampft. Der Ruckstand bestand aus fast reinem Poly(2-vinylpyridin). Durch zweimalige Umfallung in SalzsaurelAmrnoniak und schliefilich Benzol/Petrolather wurde er weiter gereinigt und aus Benzol gefriergetrocknet. Die Ausbeuten lagen zwischen 45 und 80 yo (bezogen auf Polyvinylpyridin im Gemisch).

Trennversuche durch Extraktion des Polymergemisches im Soxhlet rnit Chloroform, Tetrahydrofuran und 4 n Salzsaure, mit basischen Ionenaustauschern oder mit Elektro- phorese waren weniger erfolgreich.

Elektrophoretische Trennversuche wurden auf einer Elphor-VaP-Apparatur fiir kon- tinuierliche Papierelektrophorese (Bender-Hobein, Munchen) durchgefiihrt. Als Puffer- gemische verwendete man I<aliumdihydrogenphosphat/Natriumhydroxid-Puffer bei pH 6 bzw. pH 8 und Kaliumchlorid/Salzsaurepuffer bei pH 2, als Trager einen Trennkarton Binzer 230. Die Gleichspannung betrug 1500-2000 V bei 150 mA.

*) Grundmol = Mol, bezogen auf den Grundbaustein.

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C. KLEIN

d) Kinetische Untersuchungen

Da die Polymerisationssysteme heterogen waren, konnte die Polymerisation nicht iiber Probeentnahme verfolgt werden. Jeder Wert entspricht einem nenen Ansatz.

Mommerliisung : Aus Genauigkeitsgrunden wurde das Vinylpyridin nicht direkt zuge- geben, sondern fur eine Ansatzreihe wurden z. B. 3,054 g frisch destilliertes 2-Vinylpyridin in einen rnit Stickstoff gefullten MeBkolben eingewogen und rnit nnter Stickstoff destil- liertem Wasser auf 200 ml aufgefiillt (Vinylpyridin ist mit Wasser bis zn maximal 1,s yo mischbar).

Polymerisation: In einem typischen Beispiel wurden in einer 20-cm3-Ampnlle 100 mg (1,16 mMol) Polymethacrylsaure eingewogen. Die Ampulle wurde mehrmals evakuiert, mit Stickstoff gefiillt und mit einer Gummikappe verschlossen. Mit einer Spritze fugte man 1,75 ems Wasser zu und loste die Polymethacrylsaure unter Schiitteln (da sich PMA 304 nicht loste, wurde die Aufschlammung zur Quellung jeweils mehrere Tage stehengelassen). Mit einer Spritze wurde dann 8,OO cm3 Monomerlosung (1,16 d o 1 2-Vinylpyridin ent- haltend) zngefugt und die entstandene Losung auf O°C abgekiihlt, worauf man kurz eva- kuierte und unter Vakunm abschmolz.

Die Polymerisationen wurden bei 64 O C in einem Wasserbad bei konstanter Schuttel- geschwindigkeit durchgefiihrt.

Abbruch und Konzentrationsbestimmung : Zum Abbruch der Polymerisation wurden die Ampullen rasch abgekiihlt, getiffnet; der Inhalt wurde in einem Kaliumchlorid-Salzsanre- Puffer von pH 1,58 gelost, in MeBkolben auf ein bestimmtes Volumen stark verdunnt (je nach Messung 500-1000 Mal). 2-Vinylpyridin polymerisierte bei diesen Bedingungen nicht mehr weiter.

Die Konzentrationen an 2-Vinylpyridin und Poly(2-vinylpyridin) wurden dann UV- spektroskopisch aus den beiden entsprechenden Absorptionsmaxima bei 285 nm und 262 nm ermittelt, wobei man die Anteile durch Auftrennung der Flache rnit einem DuPont- Curve-Resolver 310 oder uber die Hohenmethode ermittelte.

Bei einigen Proben wnrden beim Abbrechen die feste nnd flussige Phase durch Zentri- fugieren in der Hitze getrennt und einzeln aufgearbeitet.

3. Physikalische Messungen

NMR-Spektroskopie : NMR-Spektren wurden mit einem Varian-XL-lOO-NMR-Spek- trographen in 10-proz. Losnng in o-Dichlorbenzol oder CDC13 aufgenommen.

IR-Spektroskopie : IR-Spektren wurden in Kaliumbromid mit einem Perkin-Elmer- IR-Spektrographen Model1 21 aufgenommen.

UV-Spektroskopie : UV-Spektren wurden mit einem Beckman-DK-2-Spektralphoto- meter aufgenommen, wobei man Suprasil-Quarzglaskuvetten mit einer Schichttiefe von 0,l cm verwendete. Die Spektren wurden z. T. mit einem Curve-Resolver 310 von DuPont Co. aufgespalten.

pH-Messungen: pH-Werte wurden mit einem pH-Meter E 300 von Metrohm, Herisau, bestimmt.

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Spontane Polymerisation von 2-Vinylpyridin in Gegenwart von Polymethacrylsaure

PMA 304 PMA 309 PMA 306

111. Ergebnisse

95,l 4.39 30,9 69,l 18,2 81,8

1. Temperatur- und Losungsmitteleinfusse

Polymerisationen von 2-Vinylpyridin in Gegenwart von Polymeth- acrylsauren liel3en sich am besten UV-spektroskopisch durch Beobachtung der Abnahme der maximalen Absorptionsbande von 2-Vinylpyridin bei 285 nm und der Zunahme der Bande von Poly(2-vinylpyridin) bei 262 nm verfolgen. Polymethacrylsaure zeigt im betreffenden Bereich keine Ab- sorptionen. Die UV-Spektren wurden nach Polymerisationsabbruch in einer Pufferlosung von p H 1,58 bei groBer Verdiinnung aufgenommen.

Taktizitaten und Viskositatsmittel der Molekulargewichte der fur die Versuche verwendeten Polyme-thacrylsauren sind in Tab. 1 aufgefiihrt.

Tab. 1. Taktizitaten und Viskositatsmittel der Molekulargewichte (aq) der Polymethaeryl- sauren

a, .10-4

[Dl

5,83 5,80 5,13

*) Xi bzw. X, = isotaktische bzw. syndiotaktische Diadenanteile.

Polymerisationen von 2-Vinylpyridin mit Polymethacrylsauren bei Monomer- bzw. Polysaurenkonzentrationen von 0,12 Grundmol/l in Was- ser verliefen bei 25 "C auBerst langsam. Die Polymerisationsgeschwindig- keit stieg aber mit der Temperatur stark an. Weitere Versuche wurden deshalb bei 64 "C durchgefiihrt.

Bei grundmolaren Verhaltnissen 2-Vinylpyridin/Polymethacrylsaure von 1 :1 verliefen die Polymerisationen in Wasser heterogen. Wahrend mit PMA 306 und PMA 309 beim Start alles gelost war und erst nach Auf- heizen auf die Polymerisationstemperatur ein Gemisch von Polymeth- acrylsaure, Vinylpyridin und Polyvinylpyridin auszufallen begann, war die isotaktische PMA 304 schon beim Start nicht in Losung. PMA 304 loste sich in Ubereinstimmung mit Literaturangaben fur isotaktische Polymethacrylsaure~~7) erst bei Neutralisationsgraden von ca. 0,3. Urn Unterschiede aufgrund der Loslichkeit moglichst auszuschliefien, wurden PMA 304-Aufschlammungen vor der Polymerisation jeweils mehrere Tage gequollen.

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C. KLEIN

Polymerisationsversuche von 2-Vinylpyridin mit Polymethacrylsaure in andern Losungsmitteln als Wasser waren nicht erfolgreich. Bei Poly- merisationsansatzen mit 2-Vinylpyridin/PMA 306 1 :1 in Formamid, Di- methylformamid oder Methanol war das System gelost, eine nennens- werte Polymerisation t ra t jedoch auch nach langer Zeit und erhohter Temperatur nicht ein. Polymethacrylsaure ist wahrscheinlich eine zu schwache Saure, um in den betreffenden Losungsmitteln die schwache Base Vinylpyridin zu protonieren und damit iiberhaupt polymerisations- fahig zu machen.

Mit Zusatzen von p-Benzochinon als Radikalfanger konnte gezeigt werden, da13 die Polymerisation in Wasser nicht iiber einen radikalischen Mechanismus verlauft. Zusatze von 6 Mol- % p-Benzochinon beziiglich Vinylpyridin hatten keinen wesentlichen EinfluB auf den Verlauf der Umsatzkurven (vgl. Abb. 1).

30 -

- 2 20 - i 3

8' 0

04 0 10 20 30 40 50

Polymerisationsdauer [Std .]

Abb. 1. Umsatz als Funktion der Zeit bei Polymerisationen von 2-Vinylpyridin (VP) mit PMA 304 ( ), PMA 309 (0) und PMA 306 (0) sowie PMA 306 und 6 Mol-% o-Benzochinon/ VP (A) bei 64OC in Wasser und Konzentrationen an vP]o und [PMA] von 0,1172

Grundmol/l

2 . Abhtingigkeit der Bruttopolymerisationsgeschwindigkeit von der Taktizi- tat der Polymethacrylsauren

Isotaktische und syndiotaktische Polymethacrylsauren zeigen in ihrem elektrolytischen Verhalten Unterschiede. Nach potentiographischen Ti- trationen ist die isotaktische Form bei allen Neutralisationsgraden a eine etwas schwachere Saure6J2). Die Dissoziationskonstanten unterscheiden sich bei allen a um ca. 0,4 PIC-Einheiten. Differenzen wurden auch im

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Spontane Polymerisation van 2-Vinylpyridin in Gegenwart von Polymethacrylsaure

304 304 304 304 304 304 304 304 304 309 309

Bindungsvermogen von Gegenionen wie Cu2@, Mg20 usw. festgestellt7,s). Man konnte deshalb erwarten, daIj bei ,,Matrizenpolymerisationen" von 2-Vinylpyridin mit Polymethacrylsauren deren Taktizitat einen Einflufi auf die Bruttopolymerisationsgeschwindigkeit vbr hat, besonders da sich auch Unterschiede im Loslichkeitsverhalten der verschiedenen Polymeth- acrylsauren zeigten. Bei Versuchen mit grundmolaren Verhaltnissen 2-Vinylpyridin/Polymethacrylsaure von 1 :I bei 648 "c in Wasser war vbr

mit der isotaktischen PMA 304 zwar eher etwas grofier, doch die Unter- schiede waren nicht bedeutsam (Abb. 1, Tab. 2).

3,68 493 7,22 14,2

11,45 12,9 14,47 21,o 24,17 26,8 26,62 27,6 &2,32 32,9 52,24 32,4 53,25 33,9

3,68 6,6 11,45 16,7

Tab. .2. Polymerisationen van 2-Vinylpyridin (VP) mit Polymethacrylsauren (PMA) in Wasser bei 64"Ca)

PMA

309 309 306 306 306 306 306 306 306 306 306

t

[Std.]

24,22 52,24

324 3,68 8,33

11,45 17,53 17,60 24,22 40,O 52,24

Umsatz

(%) 25,7 32,5 7,6 9 8

13,7 16,s 22,8 22,2 24,8 30,2 31,6

Bei den Polymerisationen mit PMA 304, die schon bei Beginn ungelost vorlag, wurde bei einigen hnsatzen in der Aufarbeitung durch Zentrifu- gieren bei der Polymerisationstemperatur die feste von der fliissigen Phase getrennt die entsprechenden Vinylp yridin- und Poly(viny1pyridin)- Konzentrationen wurden getrennt bestimmt. Nur ein Bruchteil des Vinyl- pyridins befand sich danach in der festen Phase ([VP],, Tab. 3). Die aus der Dissoziationskonstante von 2-Vinylpyridin (PIC = 4,9411713)), dem gemessenen p H und der gefundenen Vinylpyridin-Konzentration [VP]n in der fliissigen Phase nach pK = p H + log(cc/l-cc) berechnete Konzentration an protoniertem Vinylpyridin [ HVP @]fl zeigte aber, dafi sich sozusagen keine durch Neutralisation mit der Polymethacrylsaure protonierte Vinylpyridiniumionen im gelosten Teil befanden. Gebildetes Poly(viny1pyridin) wurde ebenfalls nur in der festen Phase gefunden.

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C. KLEIN

Tab. 3. Polymerisationen van 2-Vinylpyridin mit PMA 304 bzw. PMA 306 bei 64'C in Wasser mit Konzentrationen an [VP]o und [PMA] van 0,1172 Grundmol/l

PMA

304 304 304 304 304 304

306 306 306 306 306 306

a) [VPltot b' [VPIf, c' r(rPIf1

t

[Std.]

0 7,22

14,47 16,18 24,17 42,03

0 3,4 8,33

17,53 40,O 42,O

0,1172 0,1020 0,0931 0,0926 0,0862 0,0803

0,1172 0,1083 0,1011 0,0914 0,0818 0,0813

LVPIieb'

[Mol/lI

0,0315 0,0220 0,0189 0,0179 0,0164 0,0171

-

0,0093 0,0171 0,0213 0,0157 0,0211

[VPI f I C)

[MOl/ll

0,0857 0,0799

0,0746 0,0697 0,0631

0,1172 0,0990 0,0840 0,0701 0,0661 0,0602

0,074,3

7,Ol 6,90 6,77

6,96 -

-

5,88 6,06 6,275 6,91 7,12 6,95

[HVP@]fid)

lMol/lI

0,0007 0,0008 0,0011

0,0006 -

-

0,0119 0,0069 0,0036 0,0007 0,0004 0,0006

= totale Vinylpyridinkonzentration. = Vinylpyridinkonzentration infester Phase (bezogen auf das Gesamtvolumen). = Vinylpyridinkonzentration in Aiissiger Phase.

d, [HVP@]fi = Vinylpyridiniumkonzentration in fliissiger Phase.

Daraus kann rnit grol3er Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, da13 die Polymerisation nur in der festen Phase stattfindet, was tatsachlich auf eine Polymerisation auf Matrize hindeutet.

Fur die Konzentration an Vinylpyridin in der festen Phase (bezogen auf das Totalvolumen) [VP],, erhielt man nach einer anfanglichen Ab- nahme einen fast konstanten Wert, wahrend [VP]n weiterhin abnahrn. Dies kann man durch einen gegenlaufigen Effekt erklaren. Mit Poly- methacrylsaure als schwacher Saure und 2-Vinylpyridin als schwacher Base findet bei grundmolaren Verhaltnissen von 1 :1 nur eine teilweise Neu- tralisation statt. Nur ein Bruchteil der Carbonsauregruppen dissoziiert und wird mit Vinylpyridinium-Ionen besetzt. Die Vinylpyridinium-Ionen werden durch Polymerisation verbraucht, was zu einer Abnahrne von [VP], fuhrt. Poly(2-vinylpyridin) ist eine schwache Basel4) und die ein- gebauten Pyridiniumeinheiten gehen zum groSen Teil wieder in Pyridin- einheiten uber. Dadurch frei gewordene Protonen neutralisieren im ge- losten Teil neue Vinylpyridin-Molekiile, die sich dann in der festen Phase anlagern, was zu einer Zunahme von [VP], fuhrt. Gebildetes Poly(viny1- pyridin) kann mit der Polysaure uber Ionenpaarbindung oder uber

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Spontane Polymerisation von 2-Vinylpyridin in Gegenwart von Polymethacrylsaure

Wasserstoffbriicken assoziiert bleiben, wobei aber nicht jede Pyridin- einheit beteiligt sein rnuR.

Mit PMA 306 und PMA 309 waren die Systerne kornplizierter, da die Polysauren erst im Laufe der Polymerisation ausfielen. Trennversuche bei Polymerisationen mit PMA 306 zeigten, daR die Fallungen aus einem Gemisch von Polymethacrylsaure, Poly(viny1pyridin) und Vinylpyridin bestanden. Die Konzentration an Polyrnethacrylsaure in fliissiger Phase nahrn im Laufe der Polymerisation rasch ab. Gleichzeitig wurde eine Zu- nahme des pH-Wertes und infolgedessen eine Abnahme an Vinylpyridi- niurn-Ionen in Losung [HVP@]fl festgestellt (Tab. 3).

Nach 15 Stdn. erreichte die Losung einen fast konstanten pH-Wert von 6,9-7,l. [HVP @If1 wurde dabei fast Null, die Polysaurenkonzentration in Losung ebenfalls sehr klein, und Poly(viny1pyridin) wurde nur noch in der festen Phase gefunden. Man erhielt folglich im Laufe der Polymerisa- tion ein gleiches System wie rnit PMA 304,. [VPJf, nahm zunachst mit zunehmender Ausfallung zu und erreichte dann einen fast konstanten Wert, der ungefahr gleich groR war wie mit PMA 304 (Abb. 2).

- - 1

0 0.10 2 I

c 0

m .- c

L c

0.05 c 2

0 0 10 20 30 40

Reaktionsdauer [Std.]

Abb. 2. Konzentrationen als Funktion der Zeit bei Polymerisationen von 2-Vinylpyridin rnit PMA 304 in Wasser bei 64'C. 0 [VP]t,,t, o [VP],, o [VPInl, @ [HVP@],, und A [VPIee

rnit PMA 306 (Abkurzungen s. Tab. 3)

Offenbar wird von beiden Polysauren unabhangig von der Taktizitat gleich vie1 Vinylpyridin gebunden. Vbr, das rnit beiden Polysauren unge- fahr gleich pol3 war, hangt wahrscheinlich nur von der Menge des ge- bundenen Vinylpyridins ab und nicht von der Art der Bindung, d. h. der sterischen Anordnung der Liganden.

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C. KLEIN

3 . Abhangigkeit der Bruttopolymerisationsgeschwindigkeit uom grundmolaren Verhaltnis Vinylpyridinl Polymethacrylsaure

Bei einer Polymerisation von auf einer Polysaurenmatrize fest ge- bundenen Vinylpyridinium-Ionen wurde man eine Abhangigkeit der Po- lymerisationsgeschwindigkeit von der ,,Fullung" der Matrize erwarten. Aus den vorangegangenen Messungen zeigte sich, dafi bei einem grundmo- laren Verhaltnis Vinylpyridin/Polymethacrylsaure von 1 :1 bei weitem nicht alles Vinylpyridin auf der Saure gebunden ist, was anzunehmen war, da PMA als schwache Saure die schwache Base Vinylpyridin nicht vollstan- dig neutralisiert und wahrscheinlich vorwiegend nur ionisierte, d. h. pro- tonierte Vinylpyridin-Molekiile als Gegenionen auf der Saure gebunden werden.

Um das System etwas beseer aufzuklaren, wurden im folgenden Ver- suche mit verschiedenen Verhaltnissen VPIPMA durchgefiihrt. Verschie- dene ,,Fiillungsgrade" liefien sich damit jedoch nicht erreichen. Die Poly- merisationsgemische waren beim Start homogen. Die Verhal tnisse der nach pK = p H + log (ctil-ct) aus dem p H beim Start pHo und der Mono- merkonzentration beim Start abgeschatzte Menge gebundenen protonier- ten Vinylpyridins [HVP @I 0 zur Polymethacrylsaure-Konzentration va- riierten bei verschiedenen Verhaltnissen [VP]o/[PMA] nur sehr wenig (vgl. Tab. 4). Andere Verhaltnisse von [HVP@]o/PMA zu erreichen, ohne das System zu verandern, ist schwierig. Beigabe einer niedermolekularen Saure wiirde zwar die Vinylpyridinium-Konzentration erhohen, doch wiirde auch die Dissoziation der Polysaure beeinflufit.

Der berechnete Wert von [HVP@], stimmt nicht unbedingt mit der wirklichen Menge protonierten Vinylpyridins iiberein, da die Gleichung eigentlich nur fur Aktivitaten gilt. Die Aktivitatskoeffizienten von Ge- genionen in Polyelektrolytlosungen sind immer kleiner als l. Die Ak- tivitatskoeffizienten werden dabei von der Ladungsdichte des Polyelek- trolyten beeinflufit, sind aber von der Polyelektrolyt-Konzentration in grofien Bereichen weitgehend unabhangigls). Da man aber fur verschie- dene Verhaltnisse [VP]o/[PMA] ungefahr gleiche Ladungsdichten (gleiche Neutralitatsgrade) fur die Polymethacrylsaure erhielt, konnen die abge- leiteten [HVP@]o-Werte trotzdem als Vergleichsbasis dienen. Fur die Abhangigkeit der aus den Anfangssteigungen der [VP]t = f(t)-Kurven berechneten Anfangs-Bruttopolymerisationsgeschwindigkeiten (vbr)o bei verschiedenen Verhaltnissen [VPJo/[PMA] von [ HVP @lo erhielt man eine Beziehung 1. Ordnung (Tab. 4, Abb. 3). Gleiches hat te man bei Polymeri- sationen von Salzen des 2-Vinylp yridins mit Schwefelsaure in konzen- trierter wafiriger Losung festgestellt 18).

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Spontane Polymerisation von 2-Vinylpyridin in Gegenwart von Polymethacrylsaure

Tab. 4. Polymerisationen von 2-Vinylpyridin (VP) mit PMA 306 in Wasser bei 64OCa)

[VPIO

[Mol/lI

0,1172 0,1172 0,1172 0,1172 0,1172 0,0624 0,2412

[PMAI [Grund- mol/Z]

0,5860 0,4105 0,2344 0,1758 0,1172 0,0624 0,1206

092 0,286

0,667 1 1 2

0,5

PHO

a) Abkurzungen s. vorangehende Tabellen.

4,97 5,27 5,56 5,69 5,88 5,88 6,32

1 lo-'

[HVPeIo [ M o l / l ]

[HVP@]o

[Mol/lI

0,0565 0,0375 0,0232 0,0183 0,0119 0,0063 0,0096

0,0964 0,0914 0,0994 0,1042 0,102 0,102 0,080

(Vbr)O

[Mol/Z. ser]

43,8 26,O 14,75 11,18

7,52 3,70 599

Abb. 3. Brnttoreaktionsgeschwin- digkeiten (vbr )~ als Funktion von [HVP@]o bei Polymerisationen von 2-Vinylpyridin mit PMA 306 in Wasser bei 64OC mit verschie- denen Verhaltnissen [VP]o/PMA]

4. Trennung der Poly(2-vinylpyridin)/ Polymethacrylsaure-Gemische

Das Losungsverhalten des bei den Polymerisationen von 2-Vinylpyri- din mit Polymethacrylsaure anfallenden Polymergemisches wies auf starke Wechselwirkungen zwischen den Komponenten hin. In Methanol, Dimethylformamid oder Pyridin war es loslich. Beim Mischen von Lo- sungen von radikalisch polymerisiertem Poly(2-vinylpyridin) mit Poly- methacrylsaure entstanden dagegen aus Grunden der Unvertraglichkeit Falungen. In Wasser zeigte es amphoteres Verhalten. Wahrend reines Poly(2-vinylpyridin) oberhalb pH 4,5 und reine PMA 304 unterhalb pH 4 unloslich sind, war das ,,Matrizenpolymerisat" Poly(vinylpyridin)/PMA 304 bei Zimmertemperatur im basischen Bereich loslich, fiel bei pH 6,5 aus, ging zwischen pH 2,s und 1,2 in Losung, und fiel im stark sauren Bereich

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C. KLEIN

wieder aus. Die Niederschlage bestanden immer aus beiden Komponenten. I m basischen Bereich wurde die Loslichkeit durch den Polysauren-Anteil so gut, daS auch der Poly(viny1pyridin)-Anteil in Losung ging; im sau- ren Bereich war es umgekehrt.

Durch radikalische Copolymerisation hergestellte Polyampholyte aus 2-Vinylpyridin und Methacrylsaure zeigen in Wasser ein sehr ahnliches Loslichkeitsverhalten14). Bei den Matrizenpolymerisaten konnte es sich teilweise um Pfropf-Copolymere handeln. Nach KABANOV 2 ) wird die Polymerisation von 4-Vinylpyridin-Salzen mit niedermolekularen oder Polysauren durch die Gegenanionen ausgelost. Bei Initiierung durch Carboxylat-Anionen der Polymethacrylsaure wurde das gebildete Poly- (vinylpyridin) uber Esterbrucken an die Polysaure gebunden bleiben.

Die Trennung des Polymergemisches war schwierig. Durch Extraktion mit 4 n Salzsaure oder organischen Losungsmitteln gelang sie ebenso- wenig wie bei Versuchen mit basischen Ionenaustauschern. Elektro- phorese zwischen pH 5,8 und 8 und bei p H 2 fuhrte auch nicht zum Ziel. Bei Versuchen mit kontinuierlicher Papierelektrophorese wanderte das Polymergemisch oberhalb p H 6 Richtung Anode, bei p H 2 Richtung Kathode. I n extrem saurern Milieu wie in konzentrierter Schwefelsaure

werden Carbonsauren teilweise zu -C(OH) =OH protoniert. Die Kom- ponenten eines Assoziates Polymethacrylsaure/Poly(vinylpyridin) wiir- den sich dadurch elektrostatisch abstol3en. Tatsachlich konnten die Kom- ponenten schliel3lich mit folgender Methode in relativ hohen Ausbeuten an Poly(viny1pyridin) (45-80 %) getrennt werden : Das Gemisch wurde bei Zimmertemperatur in konzentrierter Schwefelsaure gelost und nach kurzem Stehenlassen zu so vie1 Eis getropft, daS eine ca. 4n Saure ent- stand. Nur leicht durch Polyvinylpyridin verunreinigte Polymethacryl- saure fiel aus und konnte durch Filtrieren abgetrennt werden. Beim Basischmachen der Losung fiel oberhalb p H 5 fast reines Poly(viny1- pyridin) aus.

Esterbriicken zwischen Poly(viny1pyridin) und Polymethacrylsaure wurden beim Behandeln mit Schwefelsaure verseift.

Als Vergleich wurden radikalische Polymerisationen von 2-Vinylpyri- din in Wasser in Gegenwart von Polymethacrylsauren mit Redoxkataly- satoren bei 32 "C, wo die Matrizenpolymerisation auSerst langsam vor sich geht, durchgefuhrt. Die anfallenden Poly(vinylpyridin)/Poly- methacrylsaure-Gemische zeigten gleiches Losungsverhalten wie Ma- trizenpolymerisate und waren ebenso schwierig zu trennen. Wachsende Polymerradikale lagerten sich wahrscheinlich schon bei kleinen Poly-

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Spontane Polymerisation von 2-Vinylpyridin in Gegenwart van Polymethacrylsaure

merisationsgraden z. B. iiber H-Brucken an die Polysaure an, wodurch analoge Assoziate wie bei Matrizenpolymerisationen entstanden und ein Ausfallen infolge Unvertraglichkeit vermieden wurde. Die Ausbeuten an Poly(2-vinylpyridin) nach Trennung in stark saurem Milieu lagen tiefer als bei Matrizenpolymerisaten (17-28 yo).

5 . Charakterisierung der abgetrennten Poly-2-vinylpyridine

IR- und UV-Spektroskopie : IR- und UV-Spektren der aus ,,Matrizenpolymerisation" mit Poly-

methacrylsauren in waBriger Losung erhaltenen Poly(2-vinylpyridine) stimmten gut mit denjenigen eines durch anionische Polymerisation rnit Natriumdiphenyl hergestellten Poly(2-vinylpyridins) uberein (vgl.11)). Polyaddukte, wie man sie bei Polymerisationen von 2vVinylpyridin mit Schwefelsaure in verdunnter Losung z.T. erhalten hatte16), konnten nicht nachgewiesen werden.

NMR-Spektroskopie : Eine quantitative Bestimmung der Taktizitat mit Hilfe der NMR-

Spektroskopie wie z. B. beim Polymethylmethacrylat ist bei Poly(2- vinylpyridinen) leider nicht moglich (vgl.11)), sie laBt sich jedoch ab- schatzen.

NMR-Spektren von Poly(2-vinylpyridinen) verschiedener Taktizitat wurden von mehreren Autoren beschrieben17-19). Bei isotaktischen Pro- ben wurden in o-Dichlorbenzol bei 6 = 2,63 ppm bzw. in Chloroform bei 8 = 2,25 ppm Signale erhalten, die den a-Methinprotonen isotaktischer Sequenzen zugeordnet werden konnten. Bei ataktischen Produkten wurde ein Teil der Methinprotonen-Signale nach hoherem Feld verschoben und uberlappte mit denjenigen der Methylenprotonen zu einem breiten, un- aufgelosten Signal.

NMR-Aufnahmen der abgetrennten ,,Matrizenpolymerisate"' wurden in o-Dichlorbenzol bei 60°C mit 100 MHz aufgenommen. Aus den sehr kleinen Anteilen der Signale bei 2,63 ppm konnte man bei allen auf relativ hohe syndiotaktische Anteile schlieBen (Abb. 4). Die Spektren der mit Polymethacrylsauren verschiedener Taktizitat erhaltenen Produkte un- terschieden sich dabei nicht wesentlich voneinander. Die Taktizitat der Poly(2-vinylpyridine) hangt folglich nicht von der Taktizitat der Poly- sauren-,,Matrize" ab.

Die Polymerisationstemperatur hatte ebenfalls keinen EinfluB auf die Taktizitat der gebildeten Poly(2-vinylpyridine). Mit PM.A 304 bzw. 306

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C. KLEIN

Abb. 4. NMR-Spektren van Poly(2-vinylpy- ridinen), polymerisiert mit PMA 306 (1,2), PMA 304 (3) und PMA 309 (4) bei 6 4 O C (2,3, 4,) bzw. 32°C (1) in Wasser, aufgenommen in

o-Dichlorbenzol bei 60°C (100 MHz).

I I ~ I ' I ' ~ ~ ' l ~ ' ~ ~ ~ ~ ' ~ ~ 1 ~ 1 ' 1 ' 1

3 .O 2 .o 1.0 ppm

im Verhaltnis Vinylpyridin/PMA von 1 : 2,5 bei 32 "C polymerisierte Poly(2-vinylpyridine) unterschieden sich nicht von den bei 64 "C poly- merisierten (Abb. 4). Die Analyse ist leider grob.

Molekulargewichte : Die abgetrennten Poly(2-vinylpyridine) waren relativ niedermolekular.

Beim Polymerisat mit PMA 306 bei 64°C z. B. betrug der Staudinger- Index in Methanol bei 25 "C 5,95 cm3/g, was nachll) ein Viskositatsmittel des Molekulargewichts von 4900 D ergibt.

IV. Diskussion

Polymerisationen von 2-Vinylpyridin in verdiinnter, waiSriger Losung in Gegenwart von Polymethacrylsaure fuhrten eu Poly(2-vinylpyridinen). Die Polymerisationen fanden nur in wail3riger Losung statt, zugegebene Radikalinhibitoren storten die Reaktionen nicht wesentlich, was beides auf einen ionischen Mechanismus hindeutet. Vieles spricht fur eine Poly- merisation nach dem von KABANOV fur die Polymerisation von $-Vinyl- pyridinium-Salzen vorgeschlagenen anionischen Mechanismus.

Die Initiierung wurde nicht eindeutig aufgeklart. Trennungsversuche und Untersuchungen des Loslichkeitsverhaltens der Matrizenpolymeri-

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Spontane Polymerisation von 2-Vinylpyridin in Gegenwart von Polymethacrylsaure

sate waren weder beweisend gegen noch fur eine Initiierung durch die Carboxylatgruppen der Polysauren, da dabei entstehende Esterbrucken zwischen Polysaure und Poly(viny1pyridin) bei der einzigen gefundenen Trennungsmethode gespalten wurden und Produkte aus radikalischen Polymerisationen ebenso schwierig zu trennen waren.

Nach neueren Arbeiten uber die Polymerisation von Salzen des 4-Vi- nylpyridins findet die Initiierung dort eher durch einen nucleophilen An- griff mit Vinylpyridin selbst 20-22) oder nach eigenen Arbeiten bei 2-Vinyl- pyridin-Salzen16) auch mit Wasser statt.

Das bei den Polymerisationen von 2-Vinylpyridin mit Polymethacryl- saure anfallende, heterogene Gemisch wurde beim PMA 304-System aufgetrennt. Protoniertes Vinylpyridin, Poly(viny1pyridin) und Poly- methacrylsaure wurden nur in der festen Phase gefunden. Die Polymeri- sation findet somit in Umgebung der Polysaure statt. DaO die wachsende Polyvinylpyridin-Kette sehr rasch mit der Polysaure assoziiert, war an- zunehmen und wurde auch bei radikalischen Polymerisationen gefunden. DaO hingegen die an der Polymerisation teilnehmenden Vinylpyridinium- Ionen fest an die Polysaure gebunden sind und die Polymerisation wirk- lich auf Matrize erfolgt, wie es KABANOV et al. bei ,,Matrizenpolymerisa- tionen" mit 4-Vinylpyridin annahmen, ist damit nicht bewiesen. Die Tat- sachen, daO die Polymerisation schon bei relativ kleiner ,,Falung" der Matrize stattfindet und daO weder die Polymerisationsgeschwindigkeit noch die Taktizitat des gebildeten Poly(2-vinylpyridins) wesentlich von der Taktizitat der Polysaure abhangen, deuten auf eine sehr lockere Bin- dung der Vinylpyridinium-Ionen. Auf jeden Fall spielt die sterische An- ordnung der Carboxylat-Liganden keine groBe Rolle.

Eine anionische Polymerisation uber Zwitterionen findet bei Salzen von Vinylpyridinen mit niedermolekularen Sauren (z. B. Essigsaure) nur in konzentrierter Losung s tatt, wo wahrscheinlich gewisse vororientierte, polymerisationserleichternde Bereiche vorhanden sind5J6922). Die Tat- sache, daO eine solche Polymerisation mit Polysauren dagegen schon in verdiinnter Losung moglich ist, kann mit einem Konzentrationseffekt er- klart werden. Da die Sauregruppen der Polysauren an eine Kette gebun- den sind, konnen sie sich nicht gleichmaflig in der Losung verteilen. Bei gleich grundmolaren Konzentrationen herrschen deshalb in Polysaurelo- sungen viel hohere Lokalkonzentrationen an Sauregruppen als bei entspre- chenden Losungen niedermolekularer Sauren. Die Vinylpyridinium-Ionen, vom starken Feld der dissoziierten Polysaure angezogen, besitzen in Um- gebung der Polysaure ebenfalls eine viel hohere Lokalkonzentration. In

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C. KLEIN

diesen konzentrierten Bereicheri ist dann eine Polymerisation uber Zwitter- ionen moglich. Die Monomer-Ionen brauchen dabei nicht fest an die Poly- saure gebunden zu sein, so dafi man nicht von einer eigentlichen Matrizen- polymerisation reden kann.

Die Arbeit wurde im Rahmen des Projektes 4613 des SCHWEIZERISCHEN NATIONALFONDS ausgefuhrt. Herrn Prof. Dr. H.-G. ELIAS mochten wir fur seine Unterstutzung und die vielen wertvollen Anregungen danken.

1) 0. V. KARGINA, M. V. UL'YANOVA, V. A. KABANOV und V. A. KARGIN, Vysokomol.

2) V. A. KABANOV, K. V. ALIEV, 0. V. KARGINA, T. I. PATRIICEEVA und V. A. KARGIN,

3) V. A. KABANOV, V. A. PATROVSKAJA und V. A. KARGIN, Vysokomol. Soedin. A 1 0

4) 0. V. KARGINA, V. A. KABANOV und V. A. KARGIN, J. Polymer Sci. Part C, 22 (1968)

5 ) V. A. KABANOV, T. I. PATRIKEEVA, 0. V. KARGINA und V. A. KARGIN, J. Polymer Sci.

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9 ) A. KATCJ~ALSKY und H. EISENBERG, J. Polymer Sci. 6 (1951) 145.

Soedin. A 9 (1967) 34,O.

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(1968) 925.

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