28
D as Grundgesetz für die Bundes- republik Deutschland gehört zu den großen Errungenschaften der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es wurde am 23. Mai des Jahres 1949 verabschiedet und schützt viele Dinge: Die Freiheit von Forschung und Lehre, Asylbewerber, die Presse, die Tiere und die Wohnung. Nur einen der wichtigsten Helfer eines gedeihlichen Zusammenlebens, die deutsche Sprache, schützt es nicht. In anderen Ländern ist das anders; deren Verfassungen nehmen in aller Regel auf die jeweilige Landessprache oder die jeweiligen Landessprachen ausdrücklich Bezug (und wo sie es nicht tun, wie etwa in den USA, ist ein Bezug im Licht der klaren und unbestrittenen Vorherrschaft des Englischen nicht nötig). Selbst die deutsche Sprache wird jenseits der deutschen Landesgrenzen durchaus als Verfassungsthema anerkannt. „Die deutsche Sprache ist … die Staatssprache der Republik“ sagt Artikel 8 des Bundes-Verfassungsgesetzes der Republik Österreich. „Die deutsche Sprache ist die Staats- und Amtssprache“ bestimmt Artikel 6 der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein, und „Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch“ verkündet der 1. Titel, Artikel 4, der Bundesverfassung für die Schweiz. In Deutschland dagegen ist die Landes- sprache bislang nur ein Thema für nach- gelagerte Gesetze – eine Lücke, die von immer mehr Politikern und Wissenschaftlern als großer Standortnachteil angesehen wird. Vor einem Jahr berichteten die Sprachnachrichten an dieser Stelle über einen Kongreß „Europa denkt mehrsprachig“ in Berlin. Der Organisator der Tagung, der Düsseldorfer Romanist Fritz Nies, schlug in seiner Zusammenfassung vor, die besonders in Deutschland um sich greifende sprachliche und geistige Selbstkolonisierung durch eine Verankerung der deutschen Sprache auch im Grundgesetz zu bremsen, und gleiches forderte im Januar dieses Jahres, in einem vielbeachteten Gespräch mit der Berliner Zeitung, der Generalsekretär der CSU. Geistige Grundlage für ökonomischen Erfolg „Deutschland braucht mehr Gemeinsinn und Zusammenhalt“, meinte General- sekretär Markus Söder. „Die anstrengenden Reformen … sind nur möglich, wenn es eine Art Mannschaftsgeist gibt. Das ist die mentale Grundlage für ökonomischen Erfolg.“ Denn mehr als in den meisten anderen Ländern Europas und der Welt ist es in Deutschland die Landessprache, die das sprach nachrichten Verein Deutsche Sprache e. V. (VDS) www.vds-ev.de Nr. 26 / April 2005 0,80 Meinung Sprache und Politik Denglisch Deutsche Sprache Vereinsleben Leserbriefe VDS im Ausland Deutschland und die Welt Bücher Zu guter Letzt Rubriken 2 - 5 6, 7 8 - 10 11 - 18 19 - 21 22 23 24, 25 26, 27 28 Deutsch ins Grundgesetz Die deutsche Sprache ist im Grundgesetz nicht verankert. In den Verfassungen anderer Länder ist das Einbinden der Landessprache selbstverständlich. Jetzt kommt Bewegung in die Debatte. Von Walter Krämer Gemeinwesen zusammenhält und diesen von Söder eingeforderten Mannschaftsgeist erzeugt. Zu Zeiten Goethes oder Schillers gab es zwar noch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, aber unter diesem mehr als löchrigen Schutzschirm herrschten mehrere Dutzend selbständige Souveräne. Wenn Goethe von Weimar in seine Geburtsstadt Frankfurt reiste, hatte er je nach Reiseroute zwischen sechs und acht Staatsgrenzen zu überqueren, auf seiner berühmten Italienreise sogar zehn. Aber in allen diesen Ländern las man seinen Werther, diskutierte seinen Faust und schmolz bei der, wie viele meinen, schönsten jemals gedruckten Zeile deutscher Sprache – „halb zog sie ihn, halb sank er hin“ – vor Entzücken und Bewunderung dahin. „Aus den Sprachen sind die Völker, nicht aus den Völkern die Sprachen entstanden“, verkündete vor über 1000 Jahren der spanische Kirchenlehrer Isidor von Sevilla, und zumindest für Deutschland trifft das zu. „Die deutsche Einigung stützt sich wesentlich auf die in der Sprachgemeinschaft vorgefundene Kulturgemeinschaft“, schreibt Paul Kirchhof, der wohl bekannteste deutsche Verfassungsrechtler, im Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, und deshalb fordern immer mehr Menschen in Deutschland immer lauter, das vor allem durch die schleichende Einführung des Englischen als Unterrichts-, Verkehrs- und Wirtschaftssprache drohende Zerfallen dieser Sprachgemeinschaft aufzuhalten. Ein unübersehbares Bollwerk gegen diesen Zerfall und zugleich ein wichtiges Signal an alle, die aus anderen Ländern dieser Welt nach Deutschland kommen, wäre ein neuer Artikel 22 a im Grundgesetz: „Die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch“. Seit seiner Geburt im Mai 1949 hat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 51 Änderungen erfahren. Der Verein Deutsche Sprache meint: Es ist Zeit für eine 52ste. Eine eigens dafür eingesetzte Arbeitsgruppe um Eva-Maria Kieselbach wird mit Politikern aller Parteien reden, um Verbündete dafür zu werben. Die Zeit ist reif. Die neue Arbeitsgruppe „Deutsch ins Grundgesetz“ des Vereins Deutsche Spra- che stellt Kontakte zu Politikern aller Parteien her und wirbt für Unterstützung. Das Ziel: Die Erweiterung des Grundgesetzes um eine Aussage zur Landessprache. Ein Infor- mationsblatt „Warum Deutsch als Landes- sprache in das Grundgesetz gehört“ und weitere Informationen gibt es bei Eva-Maria Kieselbach unter [email protected]. Adolf Muschg: „Mangel an Selbstachtung“ Marron Fort: „Gesunder Patriotismus ist verpönt“ Udo Leuschner: „Deutschtümelei?“ Michael Wolffssohn: „Patriotismus? Ja, bitte!“ Thema Patriotismus 2 3 4 5 Wie sich die Arbeitnehmer in Frankreich gegen die Firmensprache Englisch wehrten. 7 Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein künstlerisches Schaffen beginnt unsere neue Serie „Schönes Deutsch“. 16 Germanist Gottfried Fischer über das Wohlergehen des Genetivs. 18 Grammatik 1: Dem Vater sein Hut Autor Bastian Sick über sein Buch: Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod. 26 Grammatik 2: Herr Langenscheidt und Frau Duden

sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

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Page 1: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

Das Grundgesetz für die Bundes-republik Deutschland gehört zu den großen Errungenschaften

der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es wurde am 23. Mai des Jahres 1949 verabschiedet und schützt viele Dinge: Die Freiheit von Forschung und Lehre, Asylbewerber, die Presse, die Tiere und die Wohnung. Nur einen der wichtigsten Helfer eines gedeihlichen Zusammenlebens, die deutsche Sprache, schützt es nicht.

In anderen Ländern ist das anders; deren Verfassungen nehmen in aller Regel auf die jeweilige Landessprache oder die jeweiligen Landessprachen ausdrücklich Bezug (und wo sie es nicht tun, wie etwa in den USA, ist ein Bezug im Licht der klaren und unbestrittenen Vorherrschaft des Englischen nicht nötig). Selbst die deutsche Sprache wird jenseits der deutschen Landesgrenzen durchaus als Verfassungsthema anerkannt. „Die deutsche Sprache ist … die Staatssprache der Republik“ sagt Artikel 8 des Bundes-Verfassungsgesetzes der Republik Österreich. „Die deutsche Sprache ist die Staats- und Amtssprache“ bestimmt Artikel 6 der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein, und „Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch“ verkündet der 1. Titel, Artikel 4, der Bundesverfassung für die Schweiz.

In Deutschland dagegen ist die Landes-sprache bislang nur ein Thema für nach-gelagerte Gesetze – eine Lücke, die von immer mehr Politikern und Wissenschaftlern als großer Standortnachteil angesehen wird. Vor einem Jahr berichteten die Sprachnachrichten an dieser Stelle über einen Kongreß „Europa denkt mehrsprachig“ in Berlin. Der Organisator der Tagung, der Düsseldorfer Romanist Fritz Nies, schlug in seiner Zusammenfassung vor, die besonders in Deutschland um sich greifende sprachliche und geistige Selbstkolonisierung durch eine Verankerung der deutschen Sprache auch im Grundgesetz zu bremsen, und gleiches forderte im Januar dieses Jahres, in einem vielbeachteten Gespräch mit der Berliner Zeitung, der Generalsekretär der CSU.

Geistige Grundlage für ökonomischen Erfolg

„Deutschland braucht mehr Gemeinsinn und Zusammenhalt“, meinte General-sekretär Markus Söder. „Die anstrengenden Reformen … sind nur möglich, wenn es eine Art Mannschaftsgeist gibt. Das ist die mentale Grundlage für ökonomischen Erfolg.“

Denn mehr als in den meisten anderen Ländern Europas und der Welt ist es in Deutschland die Landessprache, die das

sprachnachrichten

Verein Deutsche Sprache e. V. (VDS)www.vds-ev.de

Nr. 26 / April 2005 • 0,80 €

Meinung

Sprache und Politik

Denglisch

Deutsche Sprache

Vereinsleben

Leserbriefe

VDS im Ausland

Deutschland und die Welt

Bücher

Zu guter Letzt

Ru

bri

ken 2 - 5

6, 78 - 1011 - 1819 - 21222324, 2526, 2728

Deutsch ins Grundgesetz

Die deutsche Sprache ist im Grundgesetz nicht verankert. In den

Verfassungen anderer Länder ist das Einbinden der Landessprache

selbstverständlich. Jetzt kommt Bewegung in die Debatte.

Von Walter Krämer

Gemeinwesen zusammenhält und diesen von Söder eingeforderten Mannschaftsgeist erzeugt. Zu Zeiten Goethes oder Schillers gab es zwar noch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, aber unter diesem mehr als löchrigen Schutzschirm herrschten mehrere Dutzend selbständige Souveräne. Wenn Goethe von Weimar in seine Geburtsstadt Frankfurt reiste, hatte er je nach Reiseroute zwischen sechs und acht Staatsgrenzen zu überqueren, auf seiner berühmten Italienreise sogar zehn. Aber in allen diesen Ländern las man seinen Werther, diskutierte seinen Faust und schmolz bei der, wie viele meinen, schönsten jemals gedruckten Zeile deutscher Sprache – „halb zog sie ihn, halb sank er hin“ – vor Entzücken und Bewunderung dahin.

„Aus den Sprachen sind die Völker, nicht aus den Völkern die Sprachen entstanden“, verkündete vor über 1000 Jahren der spanische Kirchenlehrer Isidor von Sevilla, und zumindest für Deutschland trifft das zu. „Die deutsche Einigung stützt sich wesentlich auf die in der Sprachgemeinschaft vorgefundene Kulturgemeinschaft“, schreibt Paul Kirchhof, der wohl bekannteste deutsche Verfassungsrechtler, im Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, und deshalb fordern immer mehr Menschen in Deutschland immer lauter, das vor allem durch die schleichende Einführung des Englischen als Unterrichts-, Verkehrs- und Wirtschaftssprache drohende Zerfallen dieser Sprachgemeinschaft aufzuhalten.

Ein unübersehbares Bollwerk gegen diesen Zerfall und zugleich ein wichtiges Signal an alle, die aus anderen Ländern dieser Welt nach Deutschland kommen, wäre ein neuer Artikel 22 a im Grundgesetz: „Die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch“. Seit seiner Geburt im Mai 1949 hat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 51 Änderungen erfahren. Der Verein Deutsche Sprache meint: Es ist Zeit für eine 52ste. Eine eigens dafür eingesetzte Arbeitsgruppe um Eva-Maria Kieselbach wird mit Politikern aller Parteien reden, um Verbündete dafür zu werben. Die Zeit ist reif.

Die neue Arbeitsgruppe „Deutsch insGrundgesetz“ des Vereins Deutsche Spra-

che stellt Kontakte zu Politikern aller Parteien

her und wirbt für Unterstützung. Das Ziel:

Die Erweiterung des Grundgesetzes um

eine Aussage zur Landessprache. Ein Infor-

mationsblatt „Warum Deutsch als Landes-

sprache in das Grundgesetz gehört“ und weitere

Informationen gibt es bei Eva-Maria Kieselbach

unter [email protected].

Adolf Muschg: „Mangel an

Selbstachtung“

Marron Fort: „Gesunder

Patriotismus ist verpönt“

Udo Leuschner:

„Deutschtümelei?“

Michael Wolffssohn:

„Patriotismus? Ja, bitte!“The

ma

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3

4

5

Wie sich die Arbeitnehmer in Frankreich gegen die Firmensprache Englisch wehrten. 7

Elektriker gegen General Electric

thomas mann

Schwere Stunde

Mit der Erzählung über Schiller und seinkünstlerisches Schaffen beginnt unsere neue Serie „Schönes Deutsch“. 16

Germanist Gottfried Fischer über das Wohlergehen des Genetivs. 18

Grammatik 1: Dem Vater sein Hut

Autor Bastian Sick über sein Buch: Der Dativ

ist dem Genetiv sein Tod. 26

Grammatik 2: Herr Langenscheidt und Frau Duden

Page 2: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

Die Zeiten für einen Patriotismus alter Prägung sind vorbei. 4

Nein, danke!Michael Wolffsohn meint: Patriotismus ist der Einsatz der Bürger für ihr Gemeinwesen. 5

Ja, bitte!

meinung

Liebe Sprachfreunde,

diese Ausgabe der Sprachnachrichten hat den Schwerpunkt „Patriotismus“. Das Thema liegt schon länger in der Luft. Nachdem die Deutschen ihre geliebte D-Mark nicht mehr haben, auch nicht mehr Fußballweltmeister sind und wirtschaftlich zu den Nachzüglern dieser Welt gehören, vermissen viele Deutsche etwas, auf das sie stolz sein können.

Das hat auch mit Sprache und mit der modernen Vermanschung des Deutschen mit dem Englischen zu Denglisch zu tun. Es zeigt, daß 60 Jahre Gehirnwäsche durch Hollywood, mit Tausenden von Filmen und Fernsehserien, in den so sicher wie das Amen in der Kirche die Bösewichte deutsche Namen haben, auf keinen Fall aber jemals ein sympathischer Held aus Deutschland kommt, uns jeden vernünftigen, von Wirtschaft

und Weltmeisterschaften unabhängigen Nationalstolz ausgetrieben haben.

Seit einigen Jahren hängt in meinem Dienstzimmer die deutsche Fahne. Manche Kollegen stören sich daran. Wer ist hier abnormal? In allen Ländern dieser Erde, Deutschland ausgenommen, würde das als Scherzfrage empfunden.

Viele Deutsche, die heute Denglisch reden, fl üchten nicht eigentlich aus unserer Sprache (das ist nur ein Symptom und für die Flüchtenden eher nebensächlich), sie fl üchten aus ihrer nationalen Haut als Deutsche. Lieber ein halber Ami als ein ganzer Nazi, man möchte endlich, und sei es auch nur leihweise, zu denen gehören, die in Hollywoodfi lmen immer gewinnen, zu den Edlen, Guten und Geliebten dieser Erde. Die Pidgin-Sprache, in der viele Deutsche heute reden, ist eine Art selbstgefertigter Kosmopolitenausweis, den seine Besitzer

in der Absicht schwenken, daß man sie nicht für Deutsche halten möge.

Warum zum Beispiel wirbt die Kaffee-Firma Jacobs im Fernsehen für eine Marke – geschrieben: Jacobs mild, gesprochen:Jacobs maild? Kein einziger der immer wieder aufgeführten Pseudo-Gründe für die Übernahme englischer Wörter in die deutsche Sprache trifft hier zu. Das englische Wort ist weder kürzer noch

treffender als das deutsche, es wird gleich geschrieben und hat eine völlig identische Bedeutung. Der einzige Grund, den man hier für den Anglizismus fi nden kann, ist: Man will auf Teufel komm heraus die deutsche Sprache meiden.

Solange wir weiter unsere über tausend-jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen, Luther, Leibniz, Bach und Beethoven, Einstein, Gauß und Dürer, Kant und Hegel, Gutenberg und Zuse, auf 12 Jahre Naziherrschaft reduzieren lassen, wird auch die deutsche Sprache nicht komplett genesen.

Mit nachdenklichen Grüßen,

Ihr Vereinsvorsitzender

Prof. Dr. Walter Krämer

der vorsitzende meint

2

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Der Darstellung der deutschen Kultur nach außen (und innen) liegt ein Selbstachtungs-Problem zugrunde. Mir scheint, die deutsche Kulturpolitik wage Stärken, die ihr andere Kulturen nicht nur zubilligen, sondern an ihr suchen, gar nicht auszuspielen, aus sehr achtbaren Gründen, aber auch aus weniger achtbaren.

Die achtbaren haben natürlich mit der deutschen Geschichte und der Selbstqualifikation der Deutschen als Täternation zu tun. Diese Reaktion ist verständlich, aber sie hat eine unglückliche Nebenwirkung. Sie fi xiertauch den Partner auf diese Schuld-problematik und erlaubt ihm weder Freiheit noch Unbefangenheit. Es entsteht ein ungewollter und paradoxer Effekt: Nicht nur wird Hitler zur negativ beherrschenden Figur der deutschen Geschichte; die durch seine Existenz Gezeichneten erscheinen auch im Licht der Ausgezeichneten, nach dem Motto: „Wenn wir nicht die Besten sein können – daß wir die Schlimmsten sind, lassen wir uns nicht nehmen.“ Damit begibt sich das Selbstverständnis der Deutschen in eine Falle, bleibt gewissermaßen in einem hermetischen Glas gefangen, in dem sich der negative Erreger fort und fort reproduziert und dabei eine unerwünschte Faszination aufbaut. Der

Schatten der deutschen Vergangenheit zeigt sich als Einladung an die andern, eine kollektive Neurose zu teilen. Diese Einladung scheint, wie Menschen gebaut sind, gern angenommen zu werden. Die Deutschen selbst müßten sie als unannehmbar behandeln und dies – darauf läuft mein Votum hinaus – in ihrer Kulturpolitik zu erkennen geben. Schuld- und Schamgefühl: ja, doch mit Takt, beides darf sich nicht zu einer neuen ungewollten Form von Unverschämtheit auswachsen.

Deutsche Universität: Satellit der Globalisierung

Neben den achtbaren Gründen, die Selbstachtung nach außen klein zu halten, gibt es auch weniger ansehnliche. Hitler und das Dritte Reich haben leider den nachhaltigen Erfolg gehabt, daß nicht nur die vorausgegangene deutsche Geschichte rückwirkend hinter dem Grandguignol der NS-Zeit aus dem Bewußtsein (und aus dem Lehrstoff) verschwindet, sondern auch das deutsche Kulturangebot an die Welt, das epochal zu nennen ein Understatement ist. Das betrifft – das Schillerjahr macht es uns bewußt – sozusagen das gesamte Genom der deutschen Klassik, aber es beschädigt auch die Präsenz der deutschen Kultur überhaupt. Es ist eine Tatsache, auf die

wir uns nicht unbeschränkt verlassen können, daß es bei allen andern besser aufgehoben ist als den Deutschen. Die Traditionsignoranz der Deutschen ist (wo es nicht um Retro-Moden geht) skandalös.

Hier ist ein fundamentales Problem des deutschen Bildungswesens angesprochen, u. a. die Aushöhlung und Disqualifi kation der Geisteswissenschaften. (Die ameri-kanischen Spitzenuniversitäten haben nie daran gedacht, sie mitzumachen.) Heute ist die deutsche Universität – als Institution – von einer kulturell prägenden Größe auf den Status eines Satelliten der Globalisierung heruntergekommen.

Weltgeltung der deutschen Kultur

Die starke Stellung der deutschen Kultur im Bewußtsein der andern beruht aber gerade auf einer geistigen Errungenschaft, welche – neben der Musik, die zu einem hoch verdienten, aber auch bedenklichen Alleinvertretungsanspruch gekommen ist – durch Namen wie Kant, Hegel, Schopenhauer, die deutsche Romantik gekennzeichnet ist (um für einmal von Goethe zu schweigen). Aber auch durch die Leitbildfunktion der Humboldts für den Kosmos der Weltkultur, ein Leitbild, das von den Deutschen selbst nicht nur aufgegeben, sondern vergessen worden

ist. Daß Alexander von Humboldt zu einer fulminanten Wiederentdeckung kommt, ist, bei Licht besehen, eine nötige, als PR-

Event aber auch barbarische Korrektur. Sein geistiger Ansatz hätte nie vergessen werden dürfen. Ich hoffe, daß uns eine Entdeckung Wilhelms bevorsteht. Sie müßte – jenseits des Marketings – unabsehbare segensreiche Folgen haben, und die deutsche Kulturpolitik könnte hier Vorreiter sein. Der verlorene Rang der deutschen Universität hat sehr viel damit zu tun, daß sie ihre Grundlage verschüttet und ihr wichtigstes Talent vergraben hat, statt damit zu wuchern.

Darin sehe ich wieder ein Problem deutscher Selbstachtung, für das mir das Verständnis fehlt. Ich schäme mich der Indifferenz, mit welcher Deutsche ihren spezifi schen Beitrag zur Weltzivilisation behandeln. Für seine Anerkennung wäre eine Rehabilitation der nationalen Spezialität nötig, die inzwischen von Selbstgratulation weit genug entfernt sein dürfte. Auch die Usurpation des „nationalen Erbes“ durch die DDR braucht kein negatives Vorbild mehr zu sein. Nur wer sein nationales Instrument gut und überzeugend spielen kann, ist ein guter und überzeugender Mitspieler im kosmopolitischen Orchester.

Der Text ist eine gekürzte Fassung der Rede,

die Adolf Muschg Mitte Dezember 2004 vor

der Enquête-Kommission „Kultur” des

Deutschen Bundestages hielt und erschien

ursprünglich in der Welt. Prof. Adolf Muschg

ist Präsident der Akademie der Künste in

Berlin. Grandguignol: etwa „Popanz“.

patriotismus 1

Die Indifferenz gegenüber der Nationalkultur muß aufgegeben werden.Von Adolf Muschg

Mangel an Selbstachtung

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Meinung ß 3

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

patriotismus 2

Dr. Marron Fort: „Die Deutschen sprachen Anglo-Teutonisch“.

„Gesunder Patriotismus ist verpönt“

Sprachnachrichten: Herr Fort, Sie sprechen

sechs Sprachen und gelten als bester Kenner

des Saterfriesischen überhaupt. Ist das eine

eigene Sprache oder nur ein Dialekt?

Marron Fort: Das Saterfriesische ist eine Sprache. Sie ist weder für Hoch- noch Niederdeutsche verständlich. Das Saterfriesische ist der letzte Rest der ostfriesischen Ursprache, die bis ins späte Mittelalter an der Nordseeküste vom heutigen Lauwersmeer bis an die Weser gesprochen wurde. Die Ostfriesen von heute sprechen Niederdeutsch.

Beispiel: Hochdeutsch: Ich habe mit ihm gesprochen, aber er hat mir gesagt, daß er mir den Schlüssel nicht geben könne.

Oldenburger Niederdeutsch: Ik heb mit em/üm snackt, man he het mi seggt, dat he mi den Slöädel nich gäven kunn.

Ostfriesisches Niederdeutsch (Emden): Ik heb mit hum proot‘t, man he het an mi seggt, dat he mi de Slötel neet geven kunn.

Saterfriesisch: Iek häbe mäd him boald, man hie häd mie toukweden, dat hie mie dän Koai nit reke kude.

Wie kommt ein gebürtiger schwarzer

Amerikaner dazu, deutsche Dialekte zu

erforschen?

Ich habe während meiner Studentenzeit festgestellt, daß ich überhaupt keine Probleme mit deutschen Dialekten

hatte. Ich konnte sie analysieren und auch einwandfrei aussprechen. Man fragt mich immer wieder, ob Plattdeutsch meine Muttersprache sei. Mein Doktorvater an der Universität von Pennsylvanien, der renommierte germanische und baltisch-slawische Philologe Professor Alfred Senn, war Schweizer; und bei ihm habe ich Schwyzerdüütsch gelernt. Als ich Austauschlektor an der Universität Freiburg i. B. war, sollte ich für ihn eine Dissertation über lateinische Lehnwörter in den Dialekten des Berner Oberlandes schreiben; aber ich habe während der ersten zwei Wochen meines Aufenthalts festgestellt, daß jemand in Zürich mit diesem Thema schon beschäftigt war. Ein junger Student aus Vechta – heute Professor Dr. Berndt Ostendorf, Ordinarius für Amerikanistik in Mün-chen, sagte mir: „Es hat noch niemand eine Doktorarbeit über das Vechtaer Platt geschrieben. Vielleicht wäre das was für dich.“

Nach meiner Promotion war ich postdoctoral fellow an der Universität Gent im belgischen Flandern; und in dieser Zeit haben die Saterfriesen mich angeschrieben und gefragt, ob ich ihnen helfen könnte, ihre Sprache zu retten. Ich hatte ihnen schon 1966 versprochen, daß, wenn ich eine Gastprofessur in Deutschland bekäme, ich ein Wörterbuch oder eine Grammatik des Saterfriesischen erstellen würde. Nach einer anderhalbjährigen

Tätigkeit an der Universität Salzburg kam ich 1982 als Fulbright-Professor nach Oldenburg zurück und wurde schließlich Akademischer Oberrat und Bibliothekar und leitete die Forschungsstelle Niederdeutsch und Saterfriesisch im Bibliotheks- und Informationsystem der Universität bis zu meiner Pensionierung Ende Oktober 2003.

Wie geht es nach Ihrer Pensionierung mit

dem Saterfriesischen weiter? Stirbt diese

Sprache aus?

Ich glaube nicht. Es gibt immer noch ca. 2 500 Sprecher. Zwar macht sich vor allem bei der jüngeren Generation der Einfl uß des Niederdeutschen bemerkbar, und der alte Wortschatz geht langsam verloren. Aber es gibt vier Kindergärten im Saterland, wo man die Sprache an über 200 Kinder weitergibt.

Welche Rolle sehen Sie ganz allgemein für

Dialekte in der heutigen Zeit?

In Süddeutschland werden sich die Mundarten halten, und im Norden erlebt vor allem Nordfriesisch eine Blütezeit; aber aus Angst vor Schulproblemen bringen die plattdeutschen Eltern und Großeltern ihren Kindern und Enkelkindern kein Platt mehr bei. Ostfriesland ist glücklicherweise eine Ausnahme. Hier sprechen viele Kinder und Jugendliche noch Platt, das ist

sozusagen ein Hauptmerkmal der ostfriesischen „Nationalität“.

Wie sehen Sie als gebürtiger Amerikaner die

Amerikanisierung der deutschen Sprache

und Kultur?

Die Deutschen werden langsam sprach-los. Sie können Wörter und Orts- und Personennamen wie penalty, Chicago,

Mobile, Arkansas, Charlotte, Cheryl, Charlene nicht richtig aussprechen, spicken ihre Sätze aber trotzdem mit englischen Brocken und verwenden selbst dann englische Redewendungen, wenn es eine Entsprechung im Deutschen gibt.

Warum ist diese Amerikanisierung gerade in

Deutschland so weit fortgeschritten?

Die Deutschen leiden so sehr unter ihrer Vergangenheit, daß sie auf der Flucht vor sich selbst sind. Durch ihr Denglisch, das ich lieber Anglo-Teutonisch nenne, versuchen sie sich möglichst international und un-deutsch zu geben. Jede Form von gesundem Patriotismus ist verpönt.

Was gefällt Ihnen und was stört Sie am Verein

Deutsche Sprache?

Die Ziele des Vereins sind gut, ja für die deutsche Kultur lebensnotwendig, aber wir müssen ins Fernsehen! Wir brauchen eine Sendung über guten Sprachgebrauch! Unser Vorbild – die niederländische Sendung Tien voor Taal, wo fünf Flamen und fünf Niederländer Probleme des guten Sprachgebrauchs erörtern. Mehr Medienpräsenz überhaupt!

Dr. Marron Fort wurde 1938 im US-

amerikanischen Bundesstaat New

Hampshire als Sohn eines Chemikers,

Dr. M. W. Fort, geboren, der als erster

schwarzer Amerikaner am renommierten

Massachusetts Institute of Technology

promovierte. Im Rahmen eines Germa-

nistik-Studiums kam Marron Fort

nach Deutschland, promovierte über

die niederdeutsche Mundart der

niedersächsischen Kreisstadt Vechta

und entdeckte dabei seine Liebe zum

bedrohten Saterfriesischen, das er

bis zu seiner Pensionierung im Jahr

2003 an der Universität Oldenburg

vertrat. Wissenschaftlichen Ruhm

erwarb er sich durch ein Wörterbuch

des Saterfriesischen und durch eine

saterfriesische Übersetzung des

Neuen Testaments. Seit 1988 ist Dr.

Fort Staatsbürger der Bundesrepublik

Deutschland und seit Januar 1999

Mitglied des Vereins Deutsche Sprache.

Das Interview führte VDS-Vorsitzender

Professor Dr. Walter Krämer.

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4 ß Meinung

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Udo Leuschner, Leiter der Region 69:

Heidelberg, fordert Widerstand gegen die

Anglisierung der deutschen Sprache. Für

diese „sprachliche Selbstbehauptung“

tritt er nicht als „Patriot“ ein, sondern

als Angehöriger der deutschen Sprach-

gemeinschaft. Leuschner hat sich Ge-

danken zum Patriotismus gemacht, wie er

gegenwärtig diskutiert wird. Wir bringen

Auszüge aus einem unter www.vds69.de

veröffentlichten Text.

Das Konversationslexikon übersetzt Patriotismus mit „Vaterlandsliebe“ und defi niert ihn als „die im staatsbürgerlichen Ethos wurzelnde, zugleich gefühlsbetonte, oft leidenschaftlich gesteigerte Hingabe an das überpersönliche staatliche Ganze“. Nicht nur in Deutschland, aber auch und besonders hier, hat diese gesteigerte Hingabe an das überpersönliche staatliche Ganze eine verhängnisvolle Tradition. Schon für Heinrich Heine bestand der Patriotismus des Deutschen darin, „daß sein Herz enger wird, daß es sich zusammenzieht wie Leder in der Kälte, daß er das Fremdländische haßt, daß er nicht mehr Weltbürger, nicht mehr Europäer, sondern nur ein enger Deutscher sein will.“

Heine schrieb dies Anfang der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts. Er wandte sich damit gegen den Turnvater Jahn und ähnliche Deutschtümler. In Deutschland wird die Zugehörigkeit zur

„Nation“ seit jeher blutsmäßig defi niert. Die Bundesrepublik Deutschland hat viel Geld und Mühe aufgewendet, um die Nachfahren irgendwelcher Auswanderer, die ihre Heimat im 18. oder 19. Jahrhundert verlassen hatten, „heim ins Reich“ zu holen. Sie leben jetzt zum großen Teil in Ghettos und bilden eine problematische Minderheit, weil es nicht gelingt, sie in die deutsche Sprachgemeinschaft und Kultur zu integrieren.

Sprache ist entscheidend für die nationale Zugehörigkeit

Für den Franzosen dagegen ist nicht die Abstammung, sondern die Teilhabe an einer gemeinsamen Sprache und Kultur das entscheidende Kriterium für nationale Zugehörigkeit. In Frankreich kann jeder, unbeschadet seiner Hautfarbe und sonstigen Herkunft, zum Franzosen werden, sofern er die Sprache des Landes und die Grundregeln der „Zivilisation“ beherrscht – ein Wort, das der Deutsche eher mit asphaltierten Straßen oder Wasserspülung verbindet, während es im Französischen ungefähr unserem Begriff „Kultur“ entspricht.

Die gegenwärtige Patriotismus-Debatte wurde von Politikern angestoßen. Den Hintergrund bildet dabei das Einwanderungsproblem bzw. die mangelnde Integration von Einwanderern

in die deutsche „Leitkultur“ – wiederum ein problematisches Wort. Man will den Teufel der Multikulti-Ideologie, deren Bocksfüßigkeit sich nicht länger verbergen läßt, mit dem Beelzebub des Patriotismus austreiben. Es geht dabei aber gar nicht um die Sache selbst – auch nicht um das, was man als gesunden Patriotismus bezeichnen könnte –, son-dern um Wählerstimmen.

So entstehen dann Strohfeuer, die zwar nicht lange anhalten, an denen man sich aber dennoch die Finger verbrennen kann. Wenn in solchen Zusammenhängen von Patriotismus die Rede ist, würde ich es mit Bundespräsident Gustav Heinemann halten , der auf die Frage, ob er die Bundesrepublik Deutschland liebe, geantwortet hat: „Ich liebe meine Frau.“

Aber das ist Schnee von vorgestern. Der Begriff Patriotismus wirkt heute in seiner alten, nationalstaatlichen Bedeutung immer obsoleter. Er trägt paradoxe, sogar skurrile Züge. Man denke nur daran, wie bis ins 20. Jahrhundert wirtschaftliche Interessen patriotisch kostümiert wurden – nach dem Motto: Was gut für Krupp, AEG, Siemens oder die Deutsche Bank ist, ist auch gut für Deutschland. Oder wie Demokraten jeglicher Couleur als „vaterlandslose Gesellen“ stigmatisiert werden konnten. Heute sind die vaterlandslosen Gesellen die Großkonzerne, die ihre Gewinne auf

den Bermudas versteuern, während sie im Stammland über massiven Stellenabbau die Sozialversicherung ruinieren und mit der Verlagerung der verbliebenen Arbeitsplätze ins Ausland drohen, wenn die Politik sie dennoch in die Pfl icht zu nehmen gedenkt. Und der Chef der Deutschen Bank ist ein Ausländer, der den Sitz des Instituts schon morgen nach London oder an einen anderen Ort der Welt verlegt, wenn es ihm opportun erscheint.

Die Vereinigten Staaten von Europa sind längst keine Utopie mehr

Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch hat der deutsche Patriotismus alter Prägung den Boden unter den Füßen verloren. Faktisch haben wir heute im europäischen Rahmen ähnliche Verhältnisse wie im Deutschland des 19. Jahrhunderts vor der Reichsgründung. Wer auf dem alten nationalstaatlichen Patriotismus beharrt, hat noch nicht gemerkt, daß wir inzwischen mehr von Brüssel als von Berlin aus regiert werden. Die Vereinigten Staaten von Europa sind keine Utopie mehr, sondern absehbare Konsequenz der bisherigen Entwicklung.

In diesem vereinigten Europa wirkt der deutsche Patriot alten Schlages ebenso anachronistisch wie der Bayer, der noch immer dem „Kini“ nachtrauert oder den Haß gegen die „Saupreußen“ pfl egt.

patriotismus 3

Deutschtümelei?Willkommen in der Realität, willkommen Willkommen in der Realität, willkommen

im Vereinten Europa. Die Zeiten von im Vereinten Europa. Die Zeiten von Nationalstaaterei und Patriotismus alter Nationalstaaterei und Patriotismus alter

Prägung sind vorbei.Prägung sind vorbei.

„Für mich ist die Anglisierung unserer

Sprache nur ein Symptom – die

Krankheit ist das fehlende nationale

Selbstbewußtsein.“

eberhard schöck, vds-mitglied und stifter des

kulturpreises deutsche sprache

„Es ist der Drang jedes

jungen Menschen, auf

etwas stolz zu sein.

Warum nicht auf die

eigenen Leute.“

sönke wortmann,

fi lmregisseur

(„das wunder von bern“)

„Ich liebe meine Familie.

Für mein Land, in dem ich

am liebsten von allen lebe,

arbeite ich hart. Patriotismus

ist eine Frage des Tuns, nicht

des Erklärens.“

gerhard schröder, bundeskanzler

worte zur patriotismus-debatte

Page 5: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

Wie patriotisch dürfen Deutsche sein? Nicht „wie“, sondern „ob“ – das schien und scheint manchen die eigentliche Frage. Diese Wahrnehmung ist so falsch wie jene. Ob die Deutschen „patriotisch“ sein dürfen? Natürlich, warum nicht? Eine Gesellschaft, die durch nichts zusammengehalten wird, fällt auseinander. Es gibt kein Haus ohne Fundament und keine Gemeinschaft ohne ein Fundament. Dieses „Fundament“ kann man auch „Verbindendes“ nennen oder „Überliefertes“, positiv wie negativ, und warum – trotz des Hühnerhofgeschnatters – nicht auch „Leitkultur“. „Leitkultur“, gemeinsam Erlebtes und Überliefertes, das durchaus in ein und derselben Gemeinschaft unterschiedlich bewertet wird, gibt es in jeder Gemeinschaft, und in fast jeder Gemeinschaft ist es anders. „Die“ Deutschen haben, gut oder schlecht, andere prägende und überlieferte Erfahrungen als die Einwohner Papua-Neuguineas, die Eskimos oder die Franzosen und Engländer. Da zudem jede Gemeinschaft jedem nicht nur Wohltaten geben kann, sondern zum Beispiel Steuern nehmen muß, um jene zu fi nanzieren, muß das Nehmen immer wieder und immer wieder neu begründet und die Begründung von der Bevölkerungsmehrheit innerlich mehr oder weniger akzeptiert werden. Andernfalls zerbröselt das Gemeinwesen. Es besteht nur noch aus Ichlingen, mit denen im wahrsten Sinne des Wortes kein Staat zu machen ist, geschweige denn eine Gemeinschaft. Ganz ohne Wir-Gefühl gibt es auch keine Verbesserung, „Erfüllung“ oder „Selbstverwirklichung“ des Ichs.

Der ganz natürliche Patriotismus

Auch die Frage: „Wie patriotisch dürfen Deutsche sein?“ ist falsch gestellt, denn Deutsche dürfen genauso patriotisch oder nicht patriotisch sein wie Nichtdeutsche. Das war so, das ist und das wird so bleiben.

Deutsche dürfen, wie Nichtdeutsche, so patriotisch sein, daß ihr Patriotismus die Lebensmöglichkeit und Lebensqualität anderer Nationen nicht behindert. Nicht behindern und nicht behindert werden. Leben und leben lassen. Darauf kommt es im friedlichen Nebeneinander der Nationen an. Freiheit ist stets die Freiheit des Andersdenkenden, in der eigenen Nation, bei den Nachbarn, in der Welt. Nicht der Patriotismus ist das Übel, sondern der jeweilige Versuch, andere Nationen zu beherrschen oder gar zu erobern und zu unterdrücken.

Patriotismus an sich ist weder gut noch schlecht. Schlecht ist nur der Mißbrauch des ganz Natürlichen.

Und natürlich ist jeder Patriotismus, manche sagen lieber zu diesem natürlichen Patriotismus „Nationalismus“. Der Grund ist einfach: Nationalismus kommt vom lateinischen Wort natio, die Nation. Natus sum heißt, vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt, ich bin geboren. Wie alle anderen, überall und immer, bin ich in eine Gemeinschaft geboren. Diese Gemeinschaft, in die ich geboren wurde, ist die Nation. Diese Nation ist also so natürlich wie die Tatsache, daß ich geboren wurde, natus sum. Das gilt für alle Deutschen und für alle Nichtdeutschen. Auch das Wort Nationalismus wäre also an sich harmlos. Aus geschichtlichen

Gründen, weil der Nationalismus so oft, besonders in Deutschland, mißbraucht wurde, sprechen viele hierzulande lieber vom „Patriotismus“ als vom „Nationalismus“. Sei‘s drum.

Was ist Patriotismus? Patriotismus ist der Einsatz der Bürger für ihr Gemeinwesen; für das Gemeinwesen, in dem sie leben, das sie entweder lebenswert gestalten oder erhalten wollen. Was ist „lebenswert“? Darauf gibt es in demokratischen Gesellschaften, gottlob, keine einheitliche Meinung. Gerade auf die Vielfalt kommt es an. Ohne Vielfalt keine Freiheit. Das wiederum bedeutet: Den Patriotismus schlechthin gibt es nicht, weil die Lebensvorstellungen jedes einzelnen oder Lebensziele verschiedener Gruppen oft ganz unterschiedlich sind. So setzen sich die verschiedenen Bürger für das ein, was sie jeweils für gut und lebenswert halten. Jeder ringt, das heißt argumentiert politisch und gewaltlos (!) in Demokratien um die Durchsetzung und Verbreitung seines Lebens- und Gesellschaftsentwurfs innerhalb des eigenen Gemeinwesens.

Der Einsatz freier Bürger für ihr freies Gemeinwesen: Das ist Bürgersinn, und Bürgersinn gehört zu jeglichem Patriotismus. In Deutschland und woanders. Kein Gemeinwesen kann ohne diesen Patriotismus leben und überleben. Das wiederum bedeutet: Jeder Staat braucht den Patriotismus seiner Bürger,

der deutsche Staat wie jeder andere auch. Wer das Gegenteil behauptet, verkennt die elementaren Voraussetzungen jedes Gemeinwesens.

Die Schatten des Dritten Reiches

Oft hört man: „Wegen ihrer Geschichte können und dürfen die Deutschen eben jenen positiven Bezug zu ihrem Gemeinwesen nicht mehr hegen und pflegen.“ Von welchem deutschen Gemeinwesen ist die Rede? Vom Dritten Reich? Gewiß, das Dritte Reich lehnen deutsche Demokraten ab. Gut so. Doch das Dritte Reich gibt es nicht mehr, den Alliierten sei Dank. Den Staat der bundesdeutschen Demokratie gibt es stattdessen. Und warum dürfen oder

sollen oder können „die Deutschen“ sich für ihre Demokratie weniger einsetzen, also weniger Patriotismus zeigen als britische Demokraten für ihre britische Demokratie oder französische Demokraten für ihre französische Demokratie? Die Frage zu stellen, heißt, sie beantworten.

Wer sich selbst innerlich nicht annimmt, kann andere erst recht nicht annehmen. Frieden nach außen kann nur bewahren, wer inneren Frieden gefunden hat. Wenn ich mich selbst nicht liebe, kann ich auch andere nicht lieben. Deshalb heißt es in der Hebräischen Bibel (nicht unbedingt ein Dokument des deutschen Patriotismus): „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Für Zwischenstaatliches gelten letztlich die gleichen Grundregeln wie für Zwischenmenschliches.

Einmal mehr und immer wieder und kurzum: Deutsche dürfen so patriotisch wie Nichtdeutsche sein. Niemand verbietet es ihnen. Niemand erwartet, daß Deutsche weniger patriotisch als andere sind. Was von Deutschen wie von Nichtdeutschen, von allen friedliebenden Bürgern nach innen und außen erwartet wird, ist die Bereitschaft zu friedlicher Zusammenarbeit und zum friedlichen Ausgleich. Kein Bürger lebt auf einer einsamen Insel, wie weiland Robinson Crusoe, und kein Staat ist allein auf dieser Welt. Allen und keinem allein gehört die Welt. Wer das beherzigt, kann problemlos

patriotisch sein. Und machen wir uns –bitte – nichts vor. Die Deutschen tun es doch schon längst. Ihnen und ihrer Umwelt bekommt es bestens.

Die innerdeutsche Kontroverse um den Patriotismus „der Deutschen“ ist in erster Linie Politikum und Instrument: Instrument der „Linken“ (parteipolitisch meistens der SPD, Grünen und PDS sowie der diversen einstigen K-Gruppen, Grüppchen und Sekten, also der Alt-68er und Neu-Linken), um der demokratischen Rechten der Bundesrepublik, vor allem der CDU/CSU die demokratische Rechtfertigung zu entziehen. Das Argumentationsmuster ist dabei, besonders seit 1968, ebenso banal wie wirksam: Die Nationalsozialisten hätten das Nationale betont, überhöht und verbrecherisch mißbraucht. Deshalb sei jede Form des Patriotismus oder gar des Nationalismus tabu, Patriotismus gleiche aggressivem Nationalismus und sei eigentlich „Nationalsozialismus“ oder zumindest „wie Nationalsozialismus“ – und wenn nicht „Nationalsozialismus“, eben „Faschismus“. Worte als Schlag-worte, wie mit dem Salzstreuer hantierend, wirkungsvoll allemal, denn: „Jeder Patriot ist Nazi“, besonders ein christdemokratischer Patriot, demgegenüber man sich bei Bedarf, und wenn einem die Argumente ausgehen, der Total-Verunglimpfung, nämlich der Nazi-Keule bedient. So knallhart wie die rot-grüne Koalition seit 1998 hat – warum auch nicht? – kaum eine bundesdeutsche Regierung im europäischen Rahmen nationale Interessen formuliert und manchmal rüde durchgesetzt.

Gelassenheit tut not

Auch sprachlich nahm man Anleihen bei vorher Verteufelten auf: Im Jahre 1994 war ein Buch mit dem Titel „Die selbstbewußte Nation“ erschienen, die Autoren waren zumeist anerkannte und ehrenwerte Konservative und Liberale. Empört wurde besonders auf den Titel reagiert, ein Sturm im Wasserglas entfacht und einmal mehr „Nazis ante portas!“ oder „Wehret den Anfängen!“ gerufen.

Am Anfang der rot-grünen Koalition griff Neu-Kanzler Gerhard Schröder in seiner ersten Regierungserklärung diesen Gedanken und jene Formulierung fast wörtlich auf, und keiner regte sich auf. Als danach diese nicht zuletzt aus einstigen „Friedensbewegten“ bestehende Bundesregierung in drei Jahren zwei leider notwendige Kriege zu Recht mit führte, gab man zugunsten des Machterhalts eigene lang gehegte Prinzipien auf, und nun hat sogar Günter Grass im „Krebsgang“ gelernt, daß Leid durch Deutsche kein Leid von Deutschen rechtfertigt. Woraus wir lernen, daß und wie heuchlerisch politische Schlagworte verwendet und bekämpft werden. Sie werden tatsächlich eher als Schlaginstrumente eingesetzt und nicht, wie üblicherweise das Wort, als Mittel der Kommunikation. Viele unserer politischen Debatten sind Heuchelorgien. Deshalb befürworte ich auch in der Diskussion über „Patriotismus“ mehr Gelassenheit.

Meinung ß 5

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

patriotismus 4

Patriotismus ist der Einsatz der Bürger für ihr Gemeinwesen – für das Gemeinwesen, in dem sie leben, das sie entweder lebenswert gestalten oder erhalten wollen. Von Michael Wolffsohn

Patriotismus? Ja, bitte!

Prof. Michael Wolffsohn wurde 1947 in Tel Aviv

geboren und kam mit 7 Jahren nach Berlin. Er lehrt

Geschichte an der Universität der Bundeswehr in

München und ist seit mehreren Jahren Mitglied des

Vereins Deutsche Sprache.

Der vorliegende Aufsatz erschien zuerst

in der Welt am Sonntag.

Page 6: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

Die Mitarbeiter von General Electric in Versailles kämpften erfolgreich für ihre Sprache. 7

Gegen EnglischWie Jutta Limbuch (Anti-) Werbung für die deutsche Sprache macht. 7

Für Englisch

sprache und politik

6

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Wir kennen Passau als Stadt der Red Bag Days, die den Oberbürgermeister auf die Kandidatenliste für den Sprachpanscher brachten. Aber in der Stadt an der Donau ist auch der „Professor Klardeutsch“ aktiv. So nennen Parteifreunde den CSU-Abgeordneten Gerhard Waschler. Dieser hatte im Sommer 2004 im Bayrischen Landtag einen Antrag zur „Vermeidung von Fremdwörtern“ eingebracht. Eine ansehnliche Zahl von Abgeordneten unterstützte ihn.

Der frühere Lehrer für Sport, Religion und Deutsch an einem Passauer Gymnasium freut sich, daß die Staatsregierung Maßnahmen zur Vermeidung von Fremdwörtern ergriffen hat. In einer Presseerklärung teilte Waschler unlängst mit, die Regierung in München werde in

Kürze ein Informationsheft „Bürgernahe Sprache in der Verwaltung“ herausgeben und alle Verwaltungsbediensteten in Aus- und Fortbildungskurse schicken. Sie sollen lernen, in Wort und Schrift eine verständliche, bürgerfreundliche Sprache zu gebrauchen.

Gerhard Waschler kritisiert nicht nur papierenes Bürokratendeutsch. Auch die vielen englischen und denglischen Begriffe, die in die Verwaltungssprache eingeführt wurden, sind ihm ein Dorn im Auge. Er geißelt Ausdrücke wie Mindzone (nach Alkoholgenuß), Culture Scene (bei der Jugendarbeit), Info-Booklet (Informationsheft) oder Cluster-Bildung (im Rahmen von Wirtschaftsförderung). Für besonders abwegig hält er den Begriff Bayern-light, der für „Fasten“ steht. spn

Michael Weigand, Vorsitzender der Jungen Union Mönchengladbach-Stadtmitte, hat die Redakteure des Rheinischen Merkur, der Westdeutschen Zeitung und anderer Blätter der Stadt am Niederrhein ermuntert, in ihren Artikeln und Berichten auf Denglisch zu verzichten und gutes Deutsch zu schreiben: „Der Ende der 90er Jahre einsetzende Trend, durch Einflechtung überflüssiger englischer Wörter in den eigenen Sprachgebrauch Weltoffenheit und Bildung vorzutäuschen, trifft derzeit glücklicherweise auf einen immer größeren Widerstand“, so Michael Weigand. „Überfl üssige Anglizismen schaden nicht nur unserer wunderschönen Sprache, sondern führen zu einem Mißverhältnis der Generationen untereinander, da dieser Trend allzu oft nur von der jüngeren oder mittleren Generation mitgetragen und von der älteren Generation nicht verstanden wird“, begründete er seine Ermahnung.

Auch der Kreisvorsitzende der Jungen Union in Mönchengladbach, Bernhard Stein, macht sich für eine hohe Sprachkultur in den Medien stark: „Die deutsche Sprache in all ihren Facetten benötigt keine Überfl utung mit mißverständlichen englischen Ausdrücken, die genauso gut auch durch deutsche Begriffe ersetzt werden

könnten. Es ist recht verwunderlich, warum wir Deutsche oft so unachtsam mit der Sprache Goethes und Schillers umgehen.“ Stein und Weigand sind Mitglieder im Verein Deutsche Sprache.

CDU-Nachwuchs unterstützt Forderung nach stärkerer Rolle des Deutschen in der EU

Mit diesen Verlautbarungen unterstützt die Junge Union Mönchengladbach-Stadtmitte die Haltung ihres Bundestagsabgeordneten Dr. Günter Krings. Dieser hatte sich für eine Stärkung des Deutschen in der Europäischen Union eingesetzt. Deutsch sei die Muttersprache von 88 Millionen Menschen und damit die führende Sprache in der EU, hinter der Englisch (58 Millionen) sowie Französisch und Italienisch (jeweils 55 Millionen) rein zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle spielten, hatte Krings anläßlich des „Tages der deutschen Sprache“ 2004 erklärt. Diese Zahlen dürften bei der Behandlung der Sprachen in der Europäischen Union nicht vernachlässigt werden.

In der letzten Ausgabe der Sprachnachrichten berichteten wir über die Forderungen des Abgeordneten Krings nach einer Aufwertung von Deutsch auf europäischer Ebene.

spn

Auf S. 6 der letzten Sprachnachrichten

wurde für einen Beitrag zur Sprachen-frage in Europa der falsche Verfasser genannt. Dietrich Voslamber legt Wert auf die Feststellung, daß er nicht der Autor des Textes „Mehr Deutsch in der EU“ ist. Wir bedauern unser Ver-sehen. spn

„Die Veranstaltung ist auf deutsch“, erfuhr FDP-Vorsitzender Guido Westerwelle imschweizerischen Davos. Dort fand im Januar das World Economic Forum statt. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, Oppositionsführerin Angela Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle hatten zu einer eigenen Veranstaltung eingeladen. Um vor der internationalen Teinehmerschaft einen guten Eindruck zu machen, hatte Westerwelle sich gezielt präpariert und zu der Frage What Direction for Germany? eine Rede in englischer Sprache mitgebracht. Wie es der Titel sagt, sollte sie richtungsweisend sein. Aber sie verblieb ungesprochen in Westerwelles Aktentasche. „Schon seltsam, daß auf dem Weltwirtschaftsforum Deutsch gesprochen wird“, bemerkte der deutsche Politiker sichtlich verschnupft. spn

Zum Abschluß einer Haushaltsdebatte im Kreistag Bergstraße erklärte Jochen Ruoff, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, im Januar des Jahres in Bensheim: „Übrigens, wenn Sie das alles noch nicht auswendig können, das meiste ist auf Seite 47 des Haushaltsplanes wörtlich nachzulesen. Bei den verwendeten Anglizismen wäre ein Antrag angemessen, der ähnlich wie in der Musikbranche eine Quote für deutschsprachige Begriffe einführt. Das könnten wir dann als konkreten Beitrag zur Patriotismusdebatte veröffentlichen.“ spn

CSU-Politiker gegen Denglisch und Behördendeutsch

bayern

Junge Union gibt Redakteuren Nachhilfemedien

Richtigstellung

Patriotismus in Haushaltsdebatte

kreistag

Ohne Deutschgeht nichts

weltwirtschaftsforum

FDP-Chef

Guido

Westerwelle

Kritisiert papierenes

Bürokratendeutsch

und Denglisch:

Gerhard Waschler.

Page 7: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

Sprache und Politik ß 7

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Am 12. Januar verkündete das für das Verfahren zuständige Tri-bunal de grande instance (etwa: Landgericht) von Versailles, daß GEMS sich den Bestimmungen des 1994 erlassenen Gesetzes zum Gebrauch der französischen Sprache zu unterwerfen habe. Damit war die Klage der Belegschaft erfolgreich. Die Gewerkschaften CGT, CFDT und CFTC sowie mehrere Organisationen zum Schutz der französischen Sprache hatten die Mitarbeiter von GESM unterstützt.

„Die Dinge haben sich ganz allmählich entwickelt“, erklärte Jocelyn Chabert, Sprecherin der Gewerkschaft CGT noch im Herbst 2004. „Zuerst wurden die leitenden Angestellten, die kein Englisch sprachen, durch englischsprachige ersetzt. Dann erschienen sämtliche Dokumente der Firma – Bekanntmachungen innerhalb des Betriebs, Protokolle, Presseberichte – nur noch in englischer Sprache. Heute ist Englisch mehr oder weniger Pfl icht für jeden, obwohl in den Arbeitsverträgen von 80 Prozent der Beschäftigten davon nichts steht. Wer kein Englisch kann, ist weg vom Fenster, ihm wird mangelnder Teamgeist vorgeworfen, und er kann mit keiner Beförderung mehr rechnen.“

Ein Techniker des US-Unter-nehmens, das in Versailles medizinische Geräte herstellt, sagte damals: „Ich spreche Englisch, aber es reicht nicht. Besprechungen, die in Englisch abgehalten werden, schwänze ich. Kollegen, die dabei waren und vorgeben, sie hätten folgen können, liefern mir jeder eine andere Version der Verhandlungen.“

Die Loi Toubon von 1994 schreibt zwingend vor, daß in Frankreich das Französische die Unternehmenssprache ist. Die Betriebsordnung, Arbeits-verträge oder Anweisungen und

Vorschriften über die Ausführung von Arbeiten müssen in Französisch abgefaßt sein oder ins Französische übersetzt werden. Der Schutz der eigenen Sprache – und der Menschen, die sie sprechen! – geht in Frankreich so weit, daß fremdsprachige Begriffe in französischsprachigen Arbeitsverträgen auf französisch erläutert werden müssen. GEMS nahm es damit nicht sehr genau und redete sich bislang mit den hohen Kosten für Übersetzungen heraus. Das entsprach der amerikanisch geprägten Unternehmenskultur von GEMS. So gelten auch gewerkschaftliche Aktivitäten als „Bürokratie“ und werden behindert. Oder am Jahresende haben sich die Mitarbeiter einer Bewertung zu unterziehen. bei der Kollegen über Kollegen urteilen und Punkte vergeben.

„Verstoß gegen das Gebot zur Nutzung der französischen Sprache“

Den beiden Gewerkschaften CGT und CFDT reichte es. Zusammen mit dem Betriebsrat und dem Hygiene- und Sicherheitsdienst verklagten sie im November 2004 die amerikanische Firmenleitung wegen Verletzung der Loi Toubon und Verstoßes gegen das Gebot, die französische Sprache als Betriebssprache zu gebrauchen.

Der angesehene französische Sprachwissenschaftler Alain Rey hatte den Kampf der Gewerkschaften gegen das allgegenwärtige Englisch begrüßt. Rey ist Herausgeber des Petit

Robert, des führenden französischen Sprachwörterbuchs, dem deutschen Duden vergleichbar. Er räumte ein, daß im Arbeitsleben einige englische Begriffe schwer zu ersetzen seien – auch wenn sie ursprünglich französisch sind wie „Management“, das auf ein französisches ménage (Haushalt) zurückgeht. Für ihn stehe jedoch fest,

daß Widerstand gegen die globale Übermacht des Englischen notwendig ist. Das Französische sei Ausdruck einer gemeinsamen Kultur und Geschichte der Franzosen. Es sei die Sprache, mit der jeder einzelne aufgewachsen ist und die die Menschen eines Landes verbindet. Wann hören wir in Deutschland solche Worte aus der Duden-Redaktion?

Nach dem Urteil des Versailler Gerichts ist das Unternehmen GESM nun gehalten, alle Bekanntmachungen, Dokumente und Texte zur Daten-verarbeitung, der Ausbildung der Mitarbeiter und deren Sicherheit, über die Hygienevorschriften sowie die von der Firma GESM hergestellten Produkte unverzüglich ins Französische zu übersetzen. Innerhalb von 6 Monaten müssen sämtliche Textdokumente über GESM-Produkte auf dem Markt in französischer Fassung vorliegen.

„Dieses Urteil macht den zahlreichen französischen Arbeitnehmern Mut,denen täglich eine Sprache aufgezwungen wird, die nicht ihre Muttersprache ist“, schreibt Marceau Déchamps, Vizepräsident der angesehenen Dé-fense de la Langue française, zu der der VDS freundschaftliche Beziehungen unterhält. Und Déchamps fügt hinzu: „Wir streiten für eine edle Sache. Wir leisten keinen Widerstand gegen den Gebrauch fremder Sprachen, soweit sie der internationalen Verständigung dienen. Wir wollen aber, daß die französischen Arbeitnehmer in Frankreich sich in ihrer Muttersprache verständigen können und auf Französisch informiert werden, wie die Verfassung von 1958 ihnen das garantiert.“

Dort heißt es unter Artikel II: „Das Französische ist die Sprache der Republik.“ Für das deutsche Grundgesetz wird ein ähnlicher Zusatz angestrebt.

Gerd Schrammen

frankreich

Die französische Tageszeitung Libération brachte mehrere Berichte über den Widerstand der Beschäftigten von General Electric Medical Systems (GEMS) in Versailles gegen zu viel Englisch. Diese siegten mit einer Klage vor Gericht.

Elektriker gegen General Electric

Jutta Limbach gibt seltsame Sprüche von sich. „Englisch ist ein Muß, Deutsch ein Plus“, hören wir öfter aus ihrem Munde. Das ist vieldeutig und dunkel, auf keinen Fall aber ein entschlossenes und warmherziges Eintreten für die deutsche Sprache, wie es der Präsidentin des Goethe-Institus gut zu Gesicht stünde. Ausgerechnet die Franzosen, die stolz auf ihre Sprache sind und sie innig lieben, erinnerte sie an die Weltgeltung des Englischen. Auf einer Feier zum 40. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags erklärte sie in Paris: „Wir Deutschen ziehen es vor, durch den Gebrauch des Englischen Weltoffenheit, Bildung und Modernität sowie das Gefeitsein vor Nationalsozialismus zu demonstrieren.“ Man muß nicht üblen Willens sein, um aus solchen Worten eine Kritik an der Einstellung der Franzosen zu ihrer Sprache und die Aufforderung herauszuhören, es den Deutschen gleichzutun und mehr Englisch zu sprechen.

Zum merkwürdigen Gebaren der ersten Frau des Goethe-Instituts veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Leserbrief von VDS-Mitglied und AG-Leiter Heinz-Dieter Dey. Er schrieb: „‚Englisch ist ein Muß, Deutsch ist ein Plus‘ ist die Devise des Goethe-Instituts, wie seine Präsidentin in der Berliner Lektion vortrug. Die Begründung dafür lautet, daß das Institut Englisch nüchtern als Weltsprache anerkennt. Das wird die englischen Muttersprachler sicherlich freuen. Warum aber wirbt das Goethe-Institut in seinem Wahlspruch für die englische Sprache, die eine solche Hilfe gar nicht nötig hat? Warum wird unterschiedslos – Goethe-Institute gibt es auch in Deutschland – die deutsche Spra-che auf die weiteren Ränge verwiesen? Warum geht von einer Institution für die deutsche Sprache ein so katastrophales Signal für den faktischen EU-Sprach-gebrauch aus? Die Umsicht ist bei der Wahl des Mottos leider auf der Strecke geblieben. Tun wir alles, was unsere Sprache stärkt, und unterlassen wir alles, was unsere Sprache schwächt.“ spn

Der Fehltritt der Präsidentin

goethe-institut

Triumphbogen in Paris: Französische

Arbeitnehmer haben sich den rein

englischen Sprachgebrauch von GE nicht

gefallen lassen – und Recht bekommen.

Page 8: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

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SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Caiserslautern besinnt sich curück auf seine culturellen Wurceln. XX

Der Ceit voraus... und andere Sprachver-wirrungen: Sprachhunzer aufgespießt. 10

Der Goethe-Jump...

denglisch

Was ist Denglisch? Im Rechtschreib-duden steht: „denglisch: abwertend für

Deutsch mit zu vielen englischen Ausdrücken

vermischt; Denglisch abwertend“. Der Duden sagt dazu nichts. Um zu ermitteln, wann ein deutscher Text „zu viele englische Ausdrücke“ enthält, habe ich bei einem meiner Seminare zwei Gruppen der Teilnehmer befragt: 1. Redakteure, die hauptberuflich technische Doku-mentationen schreiben und im Beruf ohne Englisch nicht auskommen; 2. Mitarbeiter deutscher Betriebe, die im Beruf oft schreiben müssen, z. B. Berichte, Vorschriften oder Anweisungen verfassen. Hier folgen die Ergebnisse der Befragungen zu drei vermeidbaren Anglizismen: Roadshow, Call-Billing-Center und Stroke Unit.

Roadshow: Auf einem Faltblatt, dasdie Gesellschaft für technische Kom-munikation ihren Mitgliedern als Einladung verschickt, steht als Überschrift Roadshow – das einzige englische Wort auf dem Deckblatt. Die Gesellschaft für technische Kommunikation ist der Fachverband von Redakteuren für technische Dokumentation und hat mehr als 5000 Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Frage: Was stellen Sie sich unter einer

Roadshow vor?

siehe Tabelle 1

Von den 217 Antworten, die in der Tabelle 1 erfaßt sind, möchte ich nur eine wörtlich wiedergeben, und zwar von einer Amerikanerin, die bei einem deutschen Konzern als Übersetzerin arbeitet: „Roadshow bedeutet eine Show auf Reisen. Ein Fernseh- oder Radiosender reist übers Land und sendet einige Zeit lang die Show jeden Tag aus einer anderen Stadt.“

Im erwähnten Rechtschreibduden ist dieses Wort nicht verzeichnet, auch nicht im Großen Duden-Fremdwörterbuch, ebensowenig im MAXI-Wörterbuch Englisch von Langenscheidt. Im Duden-Wörterbuch der New Economy steht: „Roadshow: engl. für: Straßentheater;

Präsentationstour eines Unternehmens zu

Analysten und potentiellen Investoren.“ Im

Internet fand ich zwei Erklärungen: im Glossar der Commerzbank AG und unter http://Boerse.de/Lexikon. Eine Roadshow ist demnach eine Unternehmenspräsentation inFinanzzentren anläßlich von Kapital-maßnahmen. Ein Unternehmen unter-nimmt eine Roadshow, indem es an wichtigen Finanzplätzen um Anleger wirbt.

Call-Billing-Center: Die RWE AG – einer der größten deutschen Stromversorger – benutzt im Schriftverkehr mit den

Kunden einen Briefbogen mit den Kopfzeilen „RWE Energie AG – Call-

Billing-Center“.

Frage: Was ist ein Call-Billing-Center?

siehe Tabelle 2

Call-Billing-Center ist kein englisches Wort, es ist ein Anglizismus, den das RWE gebildet hat, um eine Abteilung umzubenennen, die einhundert Jahre lang „Stromabrechnung“ hieß.

Stroke Unit: Bei einer Wahlveranstaltung habe ich Bundesfinanzminister Hans Eichel öffentlich gebeten: „Bitte setzen Sie sich dafür ein, daß im Klinikum Darmstadt auf Hinweisschildern und Informationstafeln die Bezeichnung Stroke Unit durch eine deutsche Bezeichnung abgelöst wird“. Der Finanzminister fragte sofort: „Was ist eine Stroke Unit?“

Frage: Was bedeutet Stroke Unit?

siehe Tabelle 3

Bei einer Großveranstaltung in Kassel

sagten mir zwei Rotkreuzsanitäter „Hier sind wir die Stroke Unit“. Sie erklärten mir, wer im Raum Kassel zum Rettungseinsatz fahre, der sei in diesem Moment die Stroke

Unit. Aufgrund dieser Ergebnisse habe ich den Direktor der zuständigen Klinik gebeten, auf den Hinweisschildern und Informationstafeln den Begriff Stroke Unit durch eine allgemein verständliche Bezeichnung abzulösen, z. B. „Schlaganfall-Station“. Der Direktor hat das abgelehnt, weil „es sich bei dem Begriff Stroke Unit um eine zertifi zierte, international gebräuchliche Bezeichnung handelt“.

Meine drei Befragungen sind nichtrepräsentativ. Sie zeigen jedoch deut-lich, wie sehr die Verständlichkeit deutscher Texte und die Verständigung in Deutschland unter vermeidbaren Anglizismen leidet. Martin Koldau

Der Beitrag ist eine gekürzte und leicht geänderte Fassung aus den Akten des 37.

Linguistischen Kolloquiums. Jena 2002. S. 417 - 424.

ZeilensummeArt der Antwort Die Antwort auf die Frage besagt sinngemäß Anzahl der Antworten in den Gruppen

I II

Verkaufsfördernde Produktvorführung nacheinander an verschiedenen Orten mit einem mobilen (Messe-) Stand im Bus oder Lkw.

Mobile Informationsveranstaltung nacheinander an verschiedenen Orten, zielt nicht auf den Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen (z.B. Infobus über AIDS).

Veranstaltungen, die unterhalten wollen und von Ort zu Ort wandern wie Straßentheater, Wanderzirkus, Lasershow.

Alle Antworten, in denen mindestens 2 der 3 Arten A, B, C ausdrücklich erwähnt sind oder die sich so auslegen lassen, daß sie in alle drei Arten passen.

Antworten wie Straßenveranstaltung: Autos und Motorräder springen über Hindernisse, Wegbeschreibung, Straßenansicht; auch Antworten wie: nichts, keine Ahnung, nur ein „?“als Antwort.

A

B

C

D

E

26

9

8

24

67

5

3

9

9

57

31

12

17

33

124

134 83 217Summe der Antworten

Frage: Was stellen Sie sich unter einer Roadshow vor?

Tabelle 1. Die Antworten

ZeilensummeArt der Antwort Merkmale der Antworten Anzahl der Antworten in den Gruppen

I II

Die Antwort bezieht sich (zumindest mittelbar) auf eine Stromabrechnungsabteilung. Beispiele solcher Antworten: Rechnungsstellung auf Abruf (ähnlich Telefonbanking), Reklamationsabteilung für Rechnungen, Mahnabteilung.

Die Antwort enthält keinen Hinweis auf Rechnungen, dafür aber auf Preise, z.B.: telefonische Auskunft über Billigtarife, Telefonauskunft über Strompreise, Informationszentrum für Stromkauf.

Sonstige Antworten wie ein „?“, keine Ahnung, Anruf-Abrechnungszentrale, Telefonzentrale für die Angabe von Änderungen (Adresse, Bankkonto).

A

B

C

67

8

65

11

-

39

78

8

104

140 50 190Summe der Antworten

Frage: Was ist ein Call-Billing-Center?

Tabelle 2. Die Antworten

ZeilensummeArt der Antwort Merkmale der Antworten Anzahl der Antworten in den Gruppen

I II

Die Antwort gibt sinngemäß richtig wieder, was mit Stroke Unit bezeichnet wird: Schlaganfall-Abteilung, Hirnschlag-Abteilung.

Die Antwort ist sachlich unzutreffend, läßt aber eine Beziehung zum Krankenhaus erkennen, z.B. Herzzentrum, Herzinfarkt, Notaufnahme.

Die Antwort läßt keine Beziehung zum Krankenhaus oder zur Medizin erkennen, z.B. ...-Einheit, Wach- oder Sicherheitsdienst, keine Ahnung, nur ein „?“ als Antwort.

A

B

C

5

13

53

0

10

28

5

23

81

71 38 109Summe der Antworten

Frage: Was bedeutet Stroke Unit?

Tabelle 3. Die Antworten

Was bitte ist ein Call-Billing-Center?

studie

C

Page 9: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

Denglisch ß 9

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Der angesehene und ausgezeichnete Kollege Stefan Woltereck bietet seine Dienste im Kroll-Taschenbuch Motorpresse 2002/2003 auf Seite 103 mit folgenden Worten an: „leicht verständliches Erklären komplizierter technischer Zusammenhänge“. Man könnte diese sechs Worte als allgemeines Motto über den Berufsstand des Motorjournalisten stellen, ohne das Adjektiv „technisch“ sogar als griffi g ausgedrückte gesellschaftliche Aufgabe des Journalismus überhaupt.

„Leicht verständlich“ heißt unter anderem, unsinnige Modewörter zu meiden, mit denen sich manche Autoren als schick-flotte Schreiber hervorzuheben meinen, die aber meist

eine ganz andere oder überhaupt keine Bedeutung haben. Mein persönliches motorjournalistisches Unwort heißt alle Jahre wieder Feature. Ich halte jede Wette, daß bei einer Umfrage auf der Einkaufstraße einer beliebigen deutschen Stadt die Frage, was denn wohl das Wort „Fietscher“ bedeutet, mehrheitlich mit Kopfschütteln und Schulterzucken beantwortet wird.

Im Duden kommt der Begriff zwar vor, aber als „aktuell aufgemachter Dokumentarbericht, besonders für Funk oder Fernsehen“. Der englisch-deutsche Langenscheidt nennt als Übersetzung „Gesichtszug, Merkmal, Charakteristikum, Attraktion“. Schön und gut, aber eine Übersetzung

bedeutet noch nicht, daß der Begriff im Deutschen geläufi g ist.

Zur Erläuterung, wie unsinnig Denglisch gebraucht wird, ein Zitat aus der Pressemappe eines französischen (!) Herstellers: „Zu den weiteren Features zählen der dynamische Sportstoßfänger und der kurze Heckspoiler, ebenfalls in Karosseriefarbe lackiert.“ Beinahe noch besser als die Features gefällt mir in diesem Satz der „dynamische Sportstoßfänger“. Nach längerem Grübeln bin ich darauf gekommen, daß es sich dabei um einen besonders beweglichen Fechter handeln muß, dessen Stärke die Abwehr ist.

Bernd-Wilfried Kießler

Das amerikanische Unternehmen Mars will das Wort delight für die Aufnahme in den Duden vorschlagen. Ein Schokoriegel soll diesen englischen Namen tragen, weil es im Deutschen angeblich keinen passenden Audruck gibt.

„Vergnügen, Entzücken, Glück und Freude können nicht in einem einzigen deutschen Wort ausgedrückt werden“, lautete die dümmliche Begründung

der Firma. Sie fand, es sei „Zeit für delight“ und forderte die Verbraucher in Deutschland zur elektronischen Abstimmung auf.

Eine süße Schokoladenknabber-stange mit Namen delight würde zum ekligen Kloß im Hals aller Freunde der deutschen Sprache anschwellen und Würgereize hervorrufen. So dachten wohl die meisten, als sie von dem Unfug Wind bekamen. Sie klinkten

sich ins Internet ein, ließen sich von der englischen Aufforderung Vote now! nicht schrecken und stimmten ab. Anfang März, nach 2 Wochen Umfrage, hatten 91 Prozent gegen delight gestimmt, klägliche 9 Prozent dafür.

Da haben Mars-Menschen das Sprachempfi nden mitteleuropäischer Erdenbewohner falsch eingeschätzt.

G. S.

erfreulich

CHOCO fresh: Schüler protestiert

Der 12jährige Anatol Rettberg schrieb an die Marketingabteilung des Süßwarenherstellers Ferrero in Frankfurt: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich fi nde Ihr Produkt CHOCO fresh beziehungsweise die Verpackung sehr kläglich. Der ehemalige Name „Kinder Prof. Rino“ war besser, denn er ist deutsch. Dem gleichen Produkt nur einen anderen Namen zu geben fi nde ich miserabel! Bitte antworten Sie mir. – Ihr Anatol Rettberg, Reinhardshagen.“

Mittleres Erdbeben

Wir lesen im Internet in einem Messtechnik-Newsletter: „Unsere Umfra-ge nach einer eventuell zu starken Verwendung von Anglizismen in unseren Beiträgen hat ein mittleres Erdbeben in der Redaktion ausgelöst: Repräsentative 75 Prozent unserer Abonnenten sind der Meinung, daß wir zukünftig versuchen

sollten, wesentlich mehr mit deutschen Worten zu berichten. Wir werden es uns hinter die Ohren schreiben und an die Presse-Referenten, deren Mitteilungen wir verwerten, mit der Bitte um Beach-tung weiterleiten.“

Startseite statt Homepage

„Niemand würde im Straßenverkehr auf die Idee kommen, ein STOP-Schild, mal mit STOP und mal mit HALT zu beschriften“, sagen Daniel Fehrle und Dr. Miriam Yom, Leiter einer jüngst durchgeführten Studie über zentrale Begriffe auf Netzseiten. Einheitlichkeit wünschen die Internet-Benutzer. Und Anfänger bevorzugen deutsche Begriffe, weil sie verständlicher sind.

Bei den Navigationselementen lag„Suche“ deutlich vor Search. Die Be-zeichnung „Startseite“ erhielt mehr Zustimmung als Homepage. Mit der „Startseite“ haben wir unser vertrautes Wort „Seite“ gerettet. Bei dem englischen start, das einen Anfang von etwas bezeichnet, erinnern wir uns, daß es mit „stürzen“ verwandt ist. Seien wir ehrlich:

home und „Heim“ sind auch Vettern, aber page nach dem französischen „page“, das von lateinisch „pagina“ kommt, ist doch ganz schön fremd. Leider fand der Begriff „Einstiegseite“, den mancher Freund der deutschen Sprache gern benutzt, bei dieser Befragung nur wenige Anhänger.

ärgerlich

Peinliche Stellenausschreibung

Aus einer Zeitungsanzeige des Instituts für deutsche Sprache/IDS in Mannheim: „Gesucht wird Mitarbeiter für folgende Aufgaben: Allgemeine Supervisorprobleme bei Frage- und Antwortprozessen, Parsing und Pattern-Matching über einer normalen Sprache und Multiprocessing-Verfahren. Wir bieten die Möglichkeit zur Einarbeitung in eine very high level language aus dem Bereich Artifi cial Intelligence.“ – IDS = „Institut für dumme Sprüche“?

Englische Tiere?

Die Kranichberinger in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ver-dienen ein großes Lob. Dank ihrer zeitaufwendigen Bemühungen ist es ihnen gelungen, mehrere fl ugunfähige Jungkraniche auszuspähen und einzu-fangen. In diesen PISA-Zeiten bereitet den Jungornithologen die Namens-findung für jeden Fängling aber beträchtliche Mühe.

Anscheinend gibt die deutsche Sprache nicht viel her, weshalb man den englischen Sprachschatz zu Rate zieht. Pferdezüchter, Hundehalter oder Katzenliebhaber nutzen die offenbar höhere Sprachebene schon länger. Sie nennen ihre Pferde Goldfever (und verlieren das olympische Gold wegen Doping), Tiger Hill oder For Pleasure, ihre Hunde Blacky oder Fox und ihre Katzen Jamie oder Candy. Kranich Nummer 269 wurde nun ebenfalls aufgewertet und aufge„westelt“: Er wird in der Forschungsdatei unter Thunder geführt. Donnerschlag noch mal!

Gerhard Landau, Kassel

Caiserslautern ist eine fortschrittliche Stadt. Mit neuen Verkehrstafeln weist sie auf das „Parkhaus Centrum-West“ und das „Parkhaus Centrum-Ost“ hin. Nach dem neuesten (aber sicher immer noch altmodischen) Duden wird Zentrum ausschließlich mit Z geschrieben, aber warum soll sich eine moderne Stadtverwaltung an so alte Regeln halten? „Centrum“ ist sogar eine internationale Innovation – spätlateinisch zwar, aber kein Wort der englischen Sprache, denn die Engländer sagen centre, die Amerikaner dagegen center. Ihr Schüler und Lehrer: Setzt ein Ceichen und eilt der Ceit voraus, cerreißt die Fesseln des Duden und ceigt auf unser gemeinsames Ciel: modern sein, was es auch costen mag!

Rückbesinnung auf unsereculturellen Wurceln

Die deutsche Sprache hat – wie Italienisch, Spanisch und Französisch – gemeinsame romanische Wurzeln. In den romanischen Sprachen wird C vor e und i wie Z gecischt, vor allen anderen Buchstaben aber als K gecnarrt. Als moderne Menschen sollten wir uns auf unsere culturellen Wurceln zurückbesinnen und diese romanischen Regeln übernehmen. Also: Wir ciehen cur Cammgarn in Caiserslautern, um Music (Mu-, nicht mju-) zu hören, und stellen uns beim 1.FCC auf unsere cehn Cehen, damit wir alle Eincelheiten der cwei Mannschaften verfolgen cönnen, und machen Crach bei jeder roten Carte.

Heiner Müller-Merbach, Caiserslautern

Dummdeutsch für Motorjournalisten 2: „Fietscher“

Delight? Nein, danke! – Mund zu voll genommen

kurz notiert

Der Ceit vorauscaiserslauternneues von der strasse...

... und vom mars

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1.

3.

10 ß Denglisch

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Den grobsinnigen Sprachmeistern, die unser schönes Deutsch zum häßlichen Denglisch umgestalten, müssen wir weiterhin Einhalt gebieten. Liebe Leser, tun Sie das Ihre dazu und schreiben Sie Protestbriefe an die hier vorgestellten Sprachverderber! Sagen Sie ihnen, wie sehr sie sich unbeliebt und lächerlich machen und mit ihrem Denglisch die deutsche Sprache verhunzen. Auf ihren Schreibtischen soll sich viel Papier stapeln. Bitte verzichten Sie deshalb auf elektronische Mitteilungen oder Telephonanrufe und senden Sie Ihre Kritik als Brief oder Fax.

Auch diesmal gelten die folgenden Faustregeln: 1. In der Kürze liegt die Würze. 2. Gute Argumente, Witz und Spott erzielen mehr Wirkung als blinde Wut und wüste Beschimpfungen. 3. Verzichten Sie auf Witzchen mit Hilfe von Englisch oder Denglisch. Das wird hinterlistig als lustvoller Gebrauch der englischen Sprache gedeutet und gegen uns gewendet, wie verschiedentlich geschehen.

Ich danke allen, die mir Kopien ihrer Protestbriefe geschickt haben. Sie gehen in den Briefwettbewerb 2005 ein. Hinweise auf Sprachhunzer – mit brauchbaren Belegen – nehme ich wie immer gern entgegen. Meine Anschrift: Gerd Schrammen, Mohnstieg 5, 37077 Göttingen, Fax 0551/2097285, e-Post [email protected].

Wichtig: In der Zentrale liegen so-genannte „Aktionsblätter“ bereit. Leo Thenn aus Pforzheim hat sie entwickelt. Es sind vorgefertigte Protestbriefe mit Raum für Zusätze des Absenders. Sie enthalten bewährte Argumente gegen Denglisch. Eine Anleitung zu ihrer Benutzung und drei Muster werden mitgeliefert. Wer seinem Ärger über die Beschädigung der deutschen Sprache rasch und ohne Umstände Luft machen möchte, fordert dieses Aktionspaket an. Senden Sie dazu bitte einen C 4-Umschlag mit Ihrer Anschrift und Briefmarken im Wert von 1,44 Euro nach Dortmund.

Noch bequemer ist es, die „Aktions-blätter“ von den VDS-Netzseiten herun-terzuladen: www.vds-ev.de: „Sprach-hunzer“. G. S.

Der dritte: Jörn Rühl, Deutscher Turnerbund

Sie haben schon lange Abschied genommen von ihrem Ahnherrn Friedrich Ludwig Jahn. Seilspringen nennen sie Ropeskipping, die Mädchen sind Girls, und die Frau in Deutschland wird zur Woman. Der gute Turnvater Jahn brachte den Deutschen 1810 auf der Hasenheide bei Berlin nicht nur die Bauchwelle und den Handstandüberschlag bei. Er verfaßte auch Schriften zur Erhaltung der deutschen Sprache und erfand den gesamten Wortschatz für eine neue Sportart, das Turnen.

Heute sprechen die Turner Denglisch. Unterstützt von

namhaften Krankenkassen bieten sie das Gesundheitsprogramm Feel Well Woman in Motion an. Es beginnt mit Opening-Sequenzen. In ihren Pluspunkt-News geben sie Feel Well-Tips und werben für Feel Well Sets. Berichte über Feel Well Facts, ein Angebot für die Feel Well Beauty oder eine Einladung zu Power durch Yoga ergänzen den Feel Well-Humbug.

Schreiben Sie an:

Jörn Rühl, Redaktion Das Magazin, Deutscher Turnerbund, Otto-Fleck-Schneise 8, 60528 Frankfurt, Fax 069/67801179

Vorschlag: Karin Schewe, Bielefeld

2.

sprachhunzer aufgespiesst

Er hat den Goethe-Jump erfunden

Der erste: Prof. Herbert Beck, Städel-Museum Frankfurt

Die Vorschau auf eine wichtige Veranstaltung heißt Preview. Zu den Highlights gehören der Unfinished Print

oder der (oder die? oder das?) German

Art. Familien können den Art Talk for Families besuchen. Eltern, die im Book Shop ungestört stöbern wollen, schicken ihre Kinder in die LiterARTour für Kids.

Direktor Beck kümmert sich auch um den Feierabend kunstbeflissener Frankfurter Bürger. Er lockt sie zu Art after Work. Wer dann noch nicht genug hat vom denglischen Geschwätz bei Städel, strebt in die Holbein‘s Lounge. Dort gibt es die Members Night. Gemütlich geht alles an mit dem Get Together, bis das verbale Delirium dann mit dem Goethe-Jump seinen krönenden Abschluß fi ndet. Der sprachliche Unfug entlarvt sich selbst. Trotz

ihres üblen deutsch-englischen Sprachgemischs scheinen die Museumsmacher vom Main zu wissen, daß Deutsch und Englisch zwei verschiedene Sprachen sind. Für Besucher aus angelsächsischen Ländern enthalten die Prospekte der Frankfurter Kulturstätte einen richtigen englischen Text.

Schreiben Sie an:

Prof. Dr. Herbert Beck, Direktor Städel-Museum, Dürerstraße 2, 60596 Frankfurt, Fax 069/610163

Vorschlag: Rüdiger Hoessrich, Bad Homburg

Er sorgt für sprachliche Mobilität

Der zweite: Michael Ramstetter, ADAC-Magazin young driver

Der Allgemeine „Deutsche“ Automobil schaltet die Köpfe junger Autofahrer auf sprachlichen Leerlauf. Die Club-Zeitschrift young driver lädt ein zum Drive-in mit Stars und Storys und preist die richtige Location an für Fun and More. Im Internet – auch dafür gibt es ein Drive-in – können die User über ihre Bikes und Cars plaudern. Besondere Freude verspricht das Gewinnspiel Sport & Action mit dem Fun-Faktor. Da winken der ADAC-Skiguide oder das Freestyle-Boarder-Magazin Pleasure als wertvolle Preise. Der junge Mensch am Steuer, der genug hat von verstopften Autobahnen und sich an sonnigen

Skihängen tummeln möchte, findet reizvolle Angebote für einen Low-Budget-Urlaub mit einem zünftigen We are Family-Erlebnis.

All das beim Allgemeinen Deutschen Automobil Club in dessen Magazin young driver. Es ist für die „mobile Generation“ in Deutschland gemacht. Auch sprachlich mobil soll sie sein. Bleibt zu hoffen, daß der junge deutsche Fahrzeuglenker auch fürderhin deutsche Verkehrsschilder lesen kann.

Schreiben Sie an:

Michael Ramstetter, Chefredakteur young driver, Am Westpark 8, 81373 München, Fax 089/76762604

Vorschlag: Rüdiger Harnisch, Passau

Er bringt deutsche Frauen in Motion

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11

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Hat Schiller uns heute noch etwas zu sagen? Goethe schon eher, aber Schiller? Das Bildungsbürgertum – gibt es das heute noch? – hat sein Urteil gesprochen. Über 200.000 Zuschauer haben in der ZDF-Sendung „Unsere Besten“ abgestimmt. Schiller landete auf dem 68. Platz, 52 Plätze hinter einem so großen Deutschen wie Daniel Küblböck. Des Lebens ungemischte Freude wird keinem Irdischen zuteil.

Viele Literaturfreunde urteilen anders. Thomas Mann über den Dra-matiker Schiller: „ … das glänzend-ste, rhetorisch packendste, das imDeutschen und in der Welt je erfunden worden.“ Marcel Reich-Ranicki hält Schillers Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ für eine der schönsten deutschen Balladen überhaupt und bekennt, vom Genie Schillers zur Literatur verführt worden zu sein. Laut Joachim C. Fest ist Schillers Gedicht „Nänie“ ein Meisterwerk, auch die strengste Auswahl deutscher Gedichte müßte es enthalten.

Schillers große Dramen stehen nach wie vor auf dem Programm deutscher Bühnen: Don Carlos, Die Jungfrau von Orleans und nicht zuletzt Wilhelm Tell. Schiller war ein politischer Denker, dem die Idee der Freiheit über alles ging. Nachdem Hitler jahrelang den Tell gefeiert hatte, ließ er ihn 1941 verbieten, weil er fürchtete, Schillers Aufforderung zum Tyrannenmord könnte Nachahmer fi nden. Stauffenberg und seine Freunde hatten ihren Schiller gut gelesen. Die Machthaber in der DDR ließen den Tell 1961 ebenfalls verbieten.

Ergebnis: Verbunden werden auch die Schwachen mächtig. Schiller das Genie: Mediziner, Volksdichter, Philosoph, Geschichtsprofessor, Freund des Schönen, Aufklärer – vor allen Dingen Europäer. Nicht von ungefähr wurde seine „Ode an die Freude“ zum Text der Europahymne ausgewählt. Im Jahre 1792 wurde ihm eine besondere Ehre zuteil: Die französische Nationalversammlung ernannte ihn zum Ehrenbürger der Republik.

Schiller: „Die Sprache ist ein Spiegel der Nation“

Schiller war beispielgebend für die Entwicklung und Kreativität der deutschen Sprache. Der Sprachforscher Dr. Fuchs schreibt in einem Beitrag: „Schiller selbst pries das köstliche Gut der deutschen Sprache, die alles ausdrückt, das Tiefste und Flüchtigste, den Geist, die Seele.“ Ein weiteres Zitat Schillers: „Die Sprache ist ein Spiegel einer Nation; wenn wir in diesen Spiegel schauen, so kommt uns ein großes, treffl iches Bild von uns selbst daraus entgegen.“

Wie sieht es heute aus: Wir erleben eine Überfl utung unserer Muttersprache mit Anglizismen und eine Verhunzung unserer Sprache, die einmalig ist in der deutschen Geschichte. Es wird häufi g behauptet, englische Begriffe seien kürzer und treffender als deutsche. Hier ist Erfindungsgeist gefragt. Schiller hat dieses Wort geprägt. Er hatte eine Vorliebe für ungewöhnliche und neuklingende Wortschöpfungen.

Beispiele aus Schillers Feder:

Selbstverteidigung, Sprachgewalt, Wohllaut; scharfsichtig, schutzlos, selbstzufrieden. Ein typisches Beispiel gibt es auch aus dem Tell: Altkanzler! Wir alle, die wir unsere Sprache lieben, sollten uns im Sinne Schillers für sie einsetzen. Was man nicht aufgibt, hat man nicht verloren.

Schiller setzte auf Erziehung, vor allen Dingen aber auf Erziehung durch Kunst – sie läßt die Welt ertragen wie sie ist. Vielleicht eine Utopie, von der aber jeder so viel ergreifen kann, wie er möchte.

Wie sieht es mit Schillers Ideal der „ästhetischen Erziehung des Menschen“ heute aus? – Gemischt. Die Menschheit – so Hannah Arendt – schickt sich an, in der sterilsten Passivität zu enden, die die Geschichte bisher gekannt hat, in der wir nur noch Abnehmer von Standardprodukten sind. Wir haben ein Problem: Die Gebildeten sind fast rund um die Uhr in die Produktion eingebunden und haben keine Zeit für die Kunst. Die breite Masse hockt vor der Glotze und bleibt, was die Kunst angeht, draußen vor der Tür. Aber es soll ja noch Menschen geben, die die Glotze ausschalten, die sich mit sich selbst beschäftigen, die sich öffnen, die etwas verändern wollen und gegen Konsumismus und Sprachverfall aufbegehren. Sie geben ihrem Leben – um mit Schiller zu sprechen – „Anmut und Würde“. Sie sind Schillers Erben.

Kurt Kösters

Kurt Kösters ist Leiter der Region 48:

Münster.

schillerjahr

Zum 200. Todesjahr von Friedrich von Schiller

Das köstliche Gut der deutschen Sprache

„Humankapital“

deutsche sprache

Ökonomen und Sprachwissen-schaftler streiten sich um das Unwort des Jahres. 12

Germanist Gottfried Fischer über das Wohlergehen des Genetivs. 18

Dem Vater sein Hut

Auch ohne gesetzliche Quote für deutsche Musik im Radio wird man in letzter Zeit mit fast schon vergessenem Liedgut erfreut: Junge deutsche Künstler singen deutsch. Offenbar sind die Tage für Casting-Gewinner, die sich schnellen Erfolg mit englischen Texten erhoffen, gezählt. Viele Hörer haben endgültig genug von langweiligen Texten, die ihren (meist eintönigen) Inhalt hinter der Fassade einer fremden Sprache verbergen. Stattdessen sind es beispielsweise die frechen Texte der Gruppe „Juli“, die mit ihrer „Geilen Zeit“ die Hitlisten stürmen.

So wundert es nicht, daß sich ein Album wie „Es ist Juli“ auch im November gut verkauft hat. Das mag zum einen daran liegen, daß ein verständlicher Ohrwurm zum Mitsingen deutlich besser ankommt als das Bandwurm-Gefühl, das beim schlechten Englisch einiger deutscher Künstler aufkommt; zum anderen sind es die Hörer, die sich durch deutsche Musik besser angesprochen fühlen, da sie den Text verstehen. Ein Künstler, der in der Sprache des Hörers singt, wirkt einfach viel näher als ein anderer, der dasselbe tun könnte, aber lieber ins Englische ausweicht. Wer nichts Sinnvolles mitzuteilen hat, macht es so, daß es kaum jemand versteht. Dies soll keine Kritik an ausländischen Musikern sein, die in ihrer Sprache singen – es ist

nur verwunderlich, daß einige deutsche Interpreten nicht den Mut haben, in ihrer Musik die eigene Sprache zu verwenden. Es wäre einfacher, seine Texte so zu gestalten, daß sie dem Hörer direkt ins Herz gehen anstatt auf die Nerven.

Das hatte sich auch Stefan Raab zu Herzen genommen, als er den „Bundesvision Song Contest“ ausrief. Für alle sechzehn Teilnehmer galt die Regel, einen Teil ihres Beitrags auf deutsch zu verfassen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, vertraten die Interpreten doch ihr Bundesland, in dem natürlich Deutsch gesprochen wird. Juli gewannen den Wettbewerb mit ihrem Lied „Geile Zeit“, das durch frische Musik und einen frechen und einfallsreichen Text die Zuschauer begeisterte.

Martin Reulecke, Jugendredaktion

musik

Eine geile Zeit

< Statue Friedrich von

Schillers auf dem Berliner

Gendarmenmarkt. Platz

68 erreichte Schiller bei

der Suche nach „Unseren

Besten“ im ZDF, 52 Plätze

hinter Daniel Küblböck.

Mit deutschen Texten erfolgreich: Juli.

Page 12: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

12 ß Deutsche Sprache

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Sprachkundige Menschen, zumeist an der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität beschäftigt, wählten das Wort „Humankapital“ zum Unwort des Jahres 2004. Wirtschaftswissenschaftler haben gegen diese Wahl teilweise scharf protestiert. Der Begriff „Humankapital“ gehöre zu ihrer Fachterminologie und habe keinerlei negative Nebentöne. Dazu haben sich kritische Leser der FAZ Gedanken gemacht. Die NZZ brachte einen unfreundlichen Artikel gegen die Unwortwahl.

Sprachliche Dekadenzen

Nicht nur die Wirtschaftswissenschaft, jede Fachrichtung hat ihre eigenen sprachlichen Dekadenzen: Ich erinnere mich an meine Militärdienstzeit während des Kalten Krieges, da wurde unbefangen vom „Menschenmaterial und Megatoten“ geredet, die Sozialwissenschaftler sprechen heute nicht mehr von Ärzten,sondern von „medizinischen Leistungs-erbringern“. Die groteskeste Wortneu-schöpfung ist mir aber aus der DDR in Erinnerung: „Milchgebende Großvieh-

einheit (MGV)“, womit schließlich eine Kuh gemeint war.

Dr. Jürgen Schütz, Bad Düben

Unwörter rund um Schule und Lernen

Die wirklichen Unwörter produziert ein System, das für die Heranbildung von Humankapital an erster Stelle zuständig ist, die Bildungsbürokratie. Hier eine Aus-wahl: Qualitätsstandards, Qualitätsstan-dards für Qualitätsprogramme, Qualitäts-management, Qualitätskontrolle, Qua-litätsprogrammarbeit, Qualifi zierungs-prozesse, Innovationsberatung, Eva-luationsprozesse, Maßnahmenverbund, nachfrageorientierte Fortbildungs-planung, Schnittstellen der Schularten, Pädagogische Serviceeinrichtungen, Steuergruppen, Agenturleistungen, kumulativer Kompetenzerwerb, Bilan-zierung der Unterrichtsqualität, Netz-werkbildung, Netzwerkschulen, netz-basiertes interaktives Lehr- und Lernkonzept, Effizienzsteigerung, Ressourcenplanung, Output-Orien-tierung ...

Mit dieser McKinseyisierung der

Schule wird der (junge) Mensch tat-sächlich zu einer ökonomischen Stell-größe degradiert.

Franz-Josef Nett, Gerolstein

Verqueres Ökonomieverständnis

Der Chigagoer Ökonom und Nobel-preisträger Gary Becker erfand 1964 den Begriff human capital. Die Frankfurter Jury war der Auffassung, der entsprechende deutsche Ausdruck „Humankapital“ degradiere den Menschen zur allein ökonomisch interessanten Größe. Genau das Gegenteil sei der der Fall, belehrt die Neue Zürcher Zeitung ihre Leser. Beckers Theorie nehme den Einzelnen ernst, der dank der Aneignung von Fähigkeiten und

Fertigkeiten soziale Mobilität erwerbe.

So weit, so gut. Dann wird’s ruppig. Wir lesen: „Man mag bedauern, daß immer mehr Anglizismen in die deutsche Sprache Eingang finden, gerade wenn es wie im Fall von ‚Humankapital’ deutschsprachige Alternativen

gibt. Doch der Jury geht es nicht um solche Subtilitäten. Ihr Mißgriff beruht nicht nur auf einem verqueren Ökonomieverständnis, sondern zeugtvor allem von ideologischen Scheu-klappen.“

So geht das immer. Die einen bezichtigen die anderen, einer Ideologie anzuhängen und nehmen für sich in Anspruch, nur die Wirklichkeit zu beschreiben. Ideologische Scheuklappen bei den Frankfurter Sprachgelehrten? Ja, nicht zu leugnen! Aber auf der Nase derer, die mit der Ökonomischen Theorie im Kopf auf die Welt blicken, sitzt natürlich auch die ideologische Brille.

Gerd Schrammen

... und noch eine wahl

Unwort des Jahres im Meinungsstreit

„Humankapital“

Jutta Eisenhuth studiert Germanistik und

Anglistik an der der Universität Bamberg.

Sie schreibt eine Diplomarbeit im Fach

„Deutsche Sprachwissenschaft“ über den

Apostroph beim Genitiv . Hinter dieser im

Deutschen immer häufiger zu beobachtenden,

in den meisten Fällen fehlerhaften Bildung

des Genitivs vermutet sie den Einfluß

des Englischen und bittet den Lektor der

Sprachnachrichten und VDS-Sprachberater

Dieter H. Burkert um eine Stellungnahme.

Burkert antwortet der Studentin:

Die Amtliche Regelung – Deutsche Recht-

schreibung. Regeln und Wörterverzeichnis, 9/1996, sagt unter § 97 E : „Von dem Apostroph als Auslassungszeichen zu unterscheiden ist der gelegentliche Gebrauch dieses Zeichens zur Verdeutlichung der Grundform eines Personennamens vor der Genitivendung -s oder vor dem Adjektivsuffi x -sch: Carlo‘s

Taverne, Einstein‘ sche Relativitätstheorie.“Eine erste Duden-Variante dieser

Fassung der Amtlichen Regelung lautet: „Nicht als Auslassungszeichen, sondern zur Verdeutlichung der Grundform eines Eigennamens wird der Apostroph

gelegentlich in folgenden Fällen gebraucht: a) Vor der Adjektivendung -sch, b) Vor dem Genitiv-s.“

Meine Beurteilung, die mit der im VDS herrschenden Auffassung übereinstimmt, lautet: Wie häufi ger in der Amtlichen Regelung wird eine ad-libitum-

Haltung eingenommen. Die Aussagen „gelegentlicher Gebrauch“ und „zur Verdeutlichung“, kommen teils wörtlich, teils sinngemäß in der Duden-Variante wieder vor. Diese Normoffenheit ermöglicht zwar eine Entwicklung der Sprache, führt aber andererseits zur Verunsicherung der Benutzer. Die Prinzipien „Vereinheitlichung“ und „Vereinfachung“, von denen die Reformer während der Wiener Gespräche im Vorfeld der Amtlichen

Regelung ausgegangen waren, werden gefährdet.

Ziel einer Bearbeitung des Themas „Genitivbildung mittels Apostroph“ müßte es sein, Kriterien zu entwickeln, die es erlauben, zwischen notwendigem und nichtnotwendigem Gebrauch des Apostrophs bei der Genitivbildung zu

unterscheiden. Als notwendig erscheint mir der Apostroph etwa bei Andrea‘s

Blumenecke (Blumenecke der Andrea) zur klaren Unterscheidung vom männlichen Vornamen Andreas. Nicht notwendig und fehlerhaft wäre der Apostroph bei Willis

Würstchenbude, wo keine Verwechslung mit einem Wort *Willis droht.

Für den zunehmenden falschen Gebrauch des Apostrophs im Deutschen ist ohne Zweifel der Einfl uß der englischen Sprache verantwortlich. Beispiele wie Beck‘s Bier, Oma‘s Sparbuch,

Alles für die Kid‘s, leckere Pizza‘s – Apostroph beim Genitiv und vor dem Plural-s – sind sicher als Nachahmung englischer Spracheigentümlichkeiten anzusehen. Der sächsische Genitiv - my father‘s car, Emily‘s smile - hat hier Pate gestanden. Man darf dahinter einen Drang nach Weltläufigkeit und Internationalität vermuten.

Psychologisch und sprachpolitisch ist die Sucht nach dem Apostroph nicht unbedenklich. Daß sich die Apostroph-Genitivbildung endgültig durchsetzt, halte ich jedoch für unwahrscheinlich. Der

Genitiv und der Plural von Initialwörtern werden aber wohl noch erfaßt werden. Des PKW‘s und die LKW‘s, die CD‘s, meines PC‘s und vergleichbare Bildungen werden uns in Zukunft sicher häufi ger begegnen.

Auf „Sprachsünden“ ganz allgemein hatte

Hanns Schneider in Köln hingewiesen. Ihm

schrieb Dieter H. Burkert:

Dem Verein Deutsche Sprache ist seit seiner Gründung im November 1997 bewußt, daß Anglizismen und Amerikanismen nicht nur zur Veränderung des Wortschatzes der deutschen Sprache führen, sondern auch die „innere Form“ unserer Muttersprache negativ beeinflussen. Das betrifft in der Tat die von ihnen aufgezeigte semantische Dimension des Deutschen in besonderer Weise. Auch strukturelle Verwerfungen – Sie nennen unzulässig gebrauchte Pronomina – sind in der Tat zu beklagen. Auch hier wirkt der VDS auf Besserung hin.

vds-sprachberatung

Genitivbildung mittels Apostroph

Arbeiter bei Ford in Köln:

Nur noch „Humankapital“?

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Deutsche Sprache ß 13

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Wenn für eine Kreuzfahrt eine Reiseleitung in deutscher Sprache zugesagt wurde, haben die Urlauber auch einen Anspruch darauf. Das berichtet die Zeitschrift ReiseRecht

aktuell. Das Landgericht Frankfurt hielt in einem Urteil eine Minderung von 5 Prozent des Reisepreises für angemessen (Az.: 2/24 S 377/01). Bei einer Kreuzfahrt bestehe jedoch kein Anspruch auf eine noch höhere Reisepreisminderung, befand das Gericht. spn

Ljubljana für Laibach, Bratislava für Preßburg, Poznan für Posen ... Ist das Höfl ichkeit oder nach Unterwürfi gkeit riechender Verzicht auf deutsche Namen für ausländische Orte? Wer sich für die slowenische, slowakische und polnische Version entscheidet, müßte folgerichtig dann auch Milano, Moskwa, Klaipeda oder Nijmegen sagen statt Mailand, Moskau, Memel oder Nimwegen. Und von den Franzosen, Italienern, Engländern und Tschechen könnte er verlangen, auf Cologne, Amburgo, Munich und Viden (für Wien) zu verzichten. Es hat nichts mit sprachlicher Großmannssucht zu tun, wenn wir die deutschen Bezeichnungen für wichtige Städte im Ausland beibehalten. Also Warschau, Königsberg, Bukarest oder Tifl is und nicht Warszawa, Kaliningrad, Bucuresti oder Tbilissi.

Rückenstärkung für diesen Umgang mit den ausländischen Städtenamen kam vor einiger Zeit aus Wien. Das österreichische Bundeskanzleramt ermunterte seinerzeit die Leser der Zeitung Die Presse in einer Textbeilage zu einem selbstbewußteren Gebrauch der deutschsprachigen Bezeichnungen für fremde Städte. spn

Theo, wir fahren nach ...

städtenamen

Deutsch auf hoher See

meckern lohnt sich

nachruf

Am 12. Januar 2005 ist

Prof. Dr. phil. Dr. jur. hc. Manfred Fuhrmann

im Alter von 79 Jahren in seinem Haus in Überlingen am Bodensee nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Der Verein Deutsche Sprache verliert mit ihm eines seiner prominentesten Mitglieder.

Er hatte außer der Altphilologie Musik, Jura und Theologie studiert und gehörte zu den letzten Vertreterneiner umfassend gebildeten Gelehr-tengeneration – wie der Konstanzer Südkurier schrieb. Kurz vor seinem Tode verlieh ihm die Juristische Fakultät der Universität Freiburg in Würdigung seiner Arbeiten auf dem Grenzgebiet zwischen Philologie und Jurisprudenz die Ehrendoktorwürde. Der Spiegel widmete ihm in seiner Kolumne für prominente Verstorbene einenNachruf, der seinen Rang in derdeutschen Wissenschaft wider-spiegelt:

„In einem seiner vielen Bücher zur europäischen Bildungsgeschichte zeigte der Latinist das Foto eines neugotischen Schulhauses. Es war das

Gymnasium seiner Jugend, Symbol für sein Lebenswerk: Beharrlich pries er die Schätze des antiken Geistes und des humanistischen Kanons; wortmächtig trat er allen entgegen, die Klassiker für entbehrlich erklärten und aus Kultur eine verrechenbare Nutzgröße machen wollten. Im theoriesüchtigen Konstanz, wo er von 1966 an lehrte, blieb der musisch-sensible Praktiker der Tradition zwareine Ausnahmefigur. Doch Fuhr-manns Fleiß, hünenhaft wie seineGestalt, war nicht auf den Unter-richt beschränkt. Geschliffene Über-setzungen vor allem seines Lieblings, des Universalmenschen Cicero –,Biografien und selbst alltägliche Gespräche zeigten vorbildhaft, was

ihn antrieb: Bildungsbürgertum aus Leidenschaft.“

Doch war dem renommierten Latinisten auch die Pflege und Wahrung der deutschen Sprache ein Herzensanliegen, wie es der Geistliche in seiner Trauerrede formulierte. So hat er auch aktiv an der Verwirklichung der Vereinsziele des VDS mitgewirkt. Als Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates“ war er beratend für die Vereinsführung tätig und stand auch mir als Vorsitzenden der Region Boden-see/Oberschwaben stets mit seinem ausgewogenen Rat zur Verfügung. In den Mitgliederversammlungen, an denen er regelmäßig teilnahm, und auch in persönlichen Gesprächen in seinem Haus in Überlingen hat er mir immer wieder wertvolle Anregungen vermittelt. Er wurde nicht müde, die Schönheit, Ausdruckskraft und Präzision der deutschen Sprache ins rechte Licht zu rücken. Er hat mich inspiriert, das Vorwort zu dem Anglizismen-INDEX mit Bezug auf Matthäus 5, Vers 15/16 mit dem Fazit zu schließen: „Nein, wir müssen unsere Sprache nicht unter den Schef-fel stellen“. Gerhard H. Junker

Aus dem fernen Buenos Aires schrieb James

Werner Fuchs:

In einem Leserbrief der letzten Sprach-

nachrichten wird erwähnt, daß es bei der Rechtschreibeform anfänglich Ansätze für eine Abschaffung der Großschreibung gegeben hatte, die aber nach Ansicht des Verfassers unsere Sprache erheblich beschädigt hätte. Als Beispiel dient der Satz: „Honecker hat in Moskau liebe genossen“. Meine Frage dazu: Wie ist es denn bei den anderen führenden Kultursprachen? Denn Deutsch ist die einzige mir bekannte Weltsprache, in der Dingwörter großgeschrieben werden! Wie haben es die anderen führenden Sprachen geschafft, ohne Großschreibung auszu-kommen? Und wieso sollten wir das nicht auch schaffen können?

Eberhard Schmidt aus Bamberg ist anderer

Auffassung:

Die Fragestellung von James Werner Fuchs geht an dem Sachverhalt vorbei.

Genauso gut könnte man auch fragen, warum es Männer nicht schaffen, Kinder zu kriegen, oder Frauen, im Stehen zu ... Antwort: der kleine Unterschied. Sprachen sind nun mal sehr unterschiedlich. Dafür, wie man eine Sprache am besten (also am eindeutigsten, präzisesten, lesefreundlichsten usw.) aufschreibt (= Rechtschreibung), muß man die Eigenheiten der Sprache berücksichtigen. Dazu gehören der Grundtyp der Sprache (analytisch oder synthetisch?), der Lautbestand, die Reduktionen und Verschiebungen, die Art der Flexionen, die feste oder lockere Satzstellung, die Anzahl der Homonyme (einschließlich der gebeugten Formen und Wortverbindungen!).

In einigen dieser Eigenschaften unterscheidet sich Deutsch eben so grundlegend von anderen Sprachen, daß die Großschreibung der Substantive geeignet ist, einige Probleme der Nichteindeutigkeit zu vermeiden. Das sind nicht nur die „lieben Genossen in Moskau“ oder die bekannte

„Vogelfreundlichkeit“. Wenn es das nur wäre, könnte man ja darüber reden. Aber in sehr vielen Fällen hilft die Groß-/Kleinschreibung beim schnellen Erfassen des Sachverhalts, ohne daß ich noch einmal darüberlesen muß.

Die Eindeutigkeit entsteht dabei nicht erst nachträglich am Ende des Satzes, sondern bereits während des Lesens an den betreffenden Stellen. Als einem Praktiker der Sprache begegnen mir ständig Fälle, in denen eine Kleinschreibung (mir) das Lesen erschweren würde.

Warum z. B. das Niederländische und das Dänische so relativ klaglos zur Kleinschreibung übergegangen sind, kann ich nicht sagen. Doch war dies möglicherweise eine politische Entscheidung, um sich vom Deutschen abzugrenzen. Wir Deutschen aber haben keinen Grund, aus politischen Gründen – nach dem Motto „Alle anderen sind anders. Wir wollen so sein wie alle anderen“ – eine sinnvolle Regelung in unserer Sprache abzuschaffen.

Klein oder groß?rechtschreibung

Zwei Sprachfreunde haben sich auf denNetzseiten des VDS zur Groß- und Klein-schreibung geäußert.

Vor wenigen Wochen ver-starb nach kurzer schwerer Krankheit der Leiter unserer Region 25 (Schleswig-Holstein Nordseeküste)

Prof. Dr. Albrecht Lindner

Wir werden ihn als lebens-lustigen und tatkräftigen Sprachfreund in Erinnerung behalten!

Für den Verein Deutsche Sprache,

Prof. Dr. Walter Krämer

nachruf

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14 ß Deutsche Sprache

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Manchmal wird es drinnen still,

nichts drängt mehr auf dich ein.

Tief schaust du, ruhig und allein,

Landschaften deiner Seele an.

Das also bist du?

Warst du‘s immer?

Willst du‘s noch sein?

Eher anders werden?

Du streifst wie durch Gärten,

unbekannt und doch vertraut.

Du steigst wie in Flüsse,

Quellgrund und Mündung zugleich.

Winter- und Weihnachtsanthologie,

Offenbach am Main 2004

Eine junge amerikanische Deutschlehrerin schrieb: „Mein schönstes deutsches Wort ist ‚Pfifferling‘. Es macht einfach viel Spaß, es auszusprechen. Ich gebe zu, Pfifferlinge sind mein Lieblingsgericht, aber bevor ich sie probiert habe, hat das Wort selbst mich beeindruckt. Wenn man ‚pfi ff‘ sagt, muß man die Lippen so formen, als ob man die Blütenblättcr von Blumen wegblasen will. Am Ende kommt ‚ling‘, was irgendwie magisch und niedlich ist. Wenn ich ‚Pffi ferling‘ sage, lächele ich immer ein bißchen. Und wenn etwas so Einfaches wie ein Wort sofort die Laune hebt – wie könnte das etwas anderes sein als das schönste deutsche Wort.“

Marianne Riedenauer, Schwebheim

Während ihres Aufenthalts in Deutschland besuchte Laura Bush die General H. H. Ar-nold High School in Wiesbaden, wo sie voramerikanischen Schülern sprach. Die Schü-ler empfi ngen die Präsidentengattin vor ei-nem großen Plakat mit dem Text: „Will-kommen in Deutschland, Frau Bush“. spn

Das Verständnis für deutsche Texte wird durch die Kenntnis des Lateinischen gefördert. Das teilte Prof. Dr. Wolfgang Dieter Lebek mit, Klassischer Philologe an der Universität Köln, der bei einer sorgfältig angelegten Untersuchung herausfand, daß Studenten ohne Lateinkenntnisse Mühe hatten, deutsche Texte richtig zu verstehen. Er hatte ihnen neun ausgewählte Texte von Lessing über Kant bis Sigmund Freud vorgelegt. Die meisten von denen, die Inhalt und wesentliche Gedanken der Textauszüge richtig erfaßten und wiedergeben konnten, hatten während ihrer Schulzeit am Lateinunterricht teilgenommen. Schwächen beim Verständnis deutscher Texte zeigten auch Studierende, die auf dem Gymnasium den Leistungskurs Deutsch besucht hatten. Dagegen schnitten die Kommilitonen, die nur den Grundkurs Deusch belegt, aber das Latinum erworben hatten, erkennbarbesser ab. spn

Ich träume vom Nichtshabgenuß,

den Traum hab ich im Überfl uß.

Diogenes in seiner Tonne

genoß doch schon die Nichtshabwonne.

Ich gebe mich dem Traume hin,

daß arm ich auch arm-selig bin.

Ich träum den alten Menschheitstraum,

erfüllen wird er sich wohl kaum.

dieter burkert

Betrachtung

gedichte

otto vowinckel

Habseligkeiten

Wer Latein kann, liest besser Deutsch

verständnisfragen

„Pfifferling“ sorgt für gute Laune

schönstes wort

Schüler begrüßen Laura Bush auf deutsch

bush-besuch

Als Victor von Bülow (Loriot) im Oktober 2004 mit dem Jacob-Grimm-Preis ausgezeichnet wurde, hat er in seiner mit stürmischem Beifall bedachten Dankesrede launig und mit hintergründigem Witz die Entwicklung des Sprechenkönnens vom Neander-taler bis zum Gegenwartsslang, vom Säuglings- bis zum Greisenalter nachgezeichnet. Humorvoll wies er am Beispiel des Grimmschen Märchens „Das Waldhaus“ nach, daß den Tieren diese Gabe nicht zuteil wurde. Denn als die drei verirrten Holzhackerstöchter nacheinander in einem einsamen Waldhaus Einlaß und Nachtlager begehren, fragt der darin wohnende eisgraue Alte zuerst seine Tiere um Rat. Und Schön Hühnchen, Schön Hähnchen und die schöne bunte Kuh machen „Ducks“, denn sie können nicht sprechen.

Märchenkenner wissen freilich, daß Tiere in Volkserzählungen durchaus zu sprechen vermögen – manchmal sogar im Dialekt. Das angesprochene Märchen ist den Brüdern Grimm von dem Literaturhistoriker Karl Goedeke (1814-1887) zugekommen, der besonders durch seinen „Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung“

bekannt geworden ist. Er hat es im August 1838 aufgezeichnet, wie es ihm wohl seine Tante, „eine schlichte Bürgersfrau“, aus der Papiermühle in Delligsen bei Alfeld an der Leine erzählt hatte. Die hörte es von dem aus dem Eichsfeld stammenden Lumpensammler Steffen. Im Eichsfeld und in ganz Mitteldeutschland sagt man nämlich „Ducks!“ (Tu es! Tu’s doch!) wenn man der Aufforderung, etwas zu tun, Nachdruck verleihen will. Wilhelm Grimm, der Goedekes Text bearbeitete, konnte das wohl nicht wissen, denn er setzte nicht ganz zutreffend hinzu: „Das mußte wohl heißen: Wir sind es zufrieden!“

Auch der Germanist und Dichter Johannes Matthias Firmenich-Richartz (1808-1889) gebraucht den Ausdruck in seinem überaus reizvollen „Märchen von Beenelang Beenelangbart“ aus der Mundart der Gegend um Bernburg im Anhaltischen, wenn er die Tiere bei den Wünschen des unheimlichen Waldwesens raten läßt: „Thuk du’s man, ’s thut dich nischt.“ Da steht also wieder ein „Ducks!“ Hätten die „lieben Tiere“ nur Naturlaute, oder, wie der großartige Erzähler Rudolf Geiger in seiner Interpretation meint, einen „nichts-

und allessagenden Krächzton“ von sich gegeben, dann hätten sie vielleicht „gicks“ und „gacks“ und „muh“ gesagt. Firmenich-Richartz hat in seiner dreibändigen Ausgabe „Germaniens Völkerstimmen“ (1843 ff.) eine der damals reichhaltigsten Sammlungen zu Mundart, Dichtung, Sage und Märchen vorgelegt. Überhaupt hat er als einer der ersten erkannt, daß ein „tiefes Eindringen in den Geist unserer Sprache ohne das Studium der Mundarten“ nicht möglich ist.

Selbst in Übersetzungen scheint unser „Ducks“ in Märchen verwandten Typs noch auf. So fragt die vertriebene Waise Lenka in einer böhmischen Variante der tschechischen Dichterin Bozena Nemkova (1820 - 1862) die „dankbaren Tiere“ beim Verlangen des Walddämons: „Kätzchen und Hündchen, soll ich es tun?“ „Tu es, Jungfrau …“, antworteten die beiden. Und so wird es oft nahezu gleichlautend in weiteren Fassungen dieses bemerkenswerten Märchens gesagt. Denn immer greifen Tiere in diesem bisher noch wenig beachteten Märchentyp aktiv in den dramatischen Ablauf ein.

Diether Röth, Märchenforscher in Kassel

deutsch für tiere

Schöne Hühnchen,schöne bunte Kühe

Ist einer arm, hat nichts, fast nichts,

nur wenige Habseligkeiten,

sinds besser Nichtshab-Seligkeiten,

sinds Habenichts-Nichtseligkeiten.

Wer arm ist, hätte gerne mehr.

so arm zu sein, verzichtet er

auch auf die Art von Seligkeiten

die andre ihm per Wort bereiten!

fi ftyfi fty – Das Straßenmagazin,

Düsseldorf 1999

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Deutsche Sprache ß 15

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Ich habe die Lokalbeilagen der in Rostock erscheinenden Ostseezeitung eine Woche lang aufmerksam gelesen und dabei vor allem auf die Verwendung überfl üssiger Anglizismen geachtet, auch aber auf sprachliche Schnitzer schlechthin. Um es vorweg zu sagen: Die Sprache der Ostseezeitung ist vorwiegend Deutsch. Wo sie es nicht ist, ist sie Mecklenburger Platt, was mir als einem der Vorsitzenden der VDS-AG „Regionalsprachen und Dialekte“ nur recht ist.

Auf über 200 Textseiten gibt es Fehler und Ausrutscher, und einige Anglizismen tauchen auf. Den Girls Day

und andere englische Ausdrücke setzten die Journalisten jedoch löblicherweise in Anführungsstriche oder stellten ein „sogenannt“ davor. Sie bringen damit eine gewisse Distanzierung zum Ausdruck. Mitunter bieten Journalisten mit „Mädchenzukunftstag“ sogar eine gute deutsche Alternative an. Der Begriff „Muskelhypothek“ für Eigenleistung beim Eigenheimbau zeugt von der sprachlichen Kreativität der Mecklenburger. Ein schönes Beispiel ist auch das Übersetzungsangebot „gläserner Himmelsgang“ für einen „sogenannten Sky Walk“. Was das Corporate Design von Greifswald ist, bleibt dagegen ein Geheimnis, es läßt sich auf türgroßen Tafeln unterbringen, soviel steht fest. Auch wo Deutsche und Polen wirklich sind, wenn sie am Set sind, ist mir unklar. Für eine echte Bereicherung der englischen Sprache halte ich das Wort „Eventisierung“. Damit werden die Anglizismen wirklich highlightisiert.

Englische Begriffe finden sich erwartungsgemäß auf den Sportseiten. Aber auch hier schreibt die Mehrzahl der Journalisten von Mannschaften (Teams sind eher die Ausnahme) und von Torhütern (ein einziger Sassnitzer Keeper wurde gefunden). Kein Trainer wurde zum Coach, kein Schiri zum Referee, nur ein Spiel zum Match, gerade mal ein Elfer zum Penalty. Das macht Mut. Anders dagegen bei der Fortbewegung, die es auf deutsch nicht mehr zu geben scheint: „Schüler crossen beim Frühjahrscrosslauf“, ein Postauto wird Opfer einer Stop-and-

go-Fahrt, Nienhäger joggen durch den Gespensterwald, Grevesmühler offroaden oder treiben Nordic Walking wie die Bad Kleinener, wenn sie sich nicht gerade outen. Freaks aus Spandowerhagen sitzen in Sit-one-Kajaks. Sollte das ein Kajak-Einer sein?

Schlimm ist die fehlerhafte Ver-wendung von Anglizismen oder Fremd-wörtern überhaupt. Den Aufruf, kein Fastfoot zu essen, weil es ebenso wie Genfoot Allergien erzeuge, heißt wohl, ich soll nicht zum Kannibalen werden und den Indianerhäuptling „Schneller Fuß“ verspeisen. Und sollte Genfoot nun

neben dem genetischen Fingerabdruck als genetischer Fußabdruck dienen? Allerdings halte auch ich nichts von Fastfood.

Noch ein Wort zum Geschlecht der Anglizismen: Wo nimmt man „der“, „die“ oder „das“ für das englische the bei Substantiven wohl her? Meist aus der deutschen Übersetzung des Wortes oder eines Teils. „Internationaler“ oder „internationales Flair“? Besser, man verwendet „Atmosphäre“ statt Flair.

Beim Aufspüren überflüssiger Anglizismen fi elen auch einige Druck-, Syntax- und Grammatikfehler oder aus Unwissen herrührende Ungereimtheiten auf. Was zum Beispiel „optimal“ ist, habe ich gelernt, es ist unter gegebenen Umständen das Beste. Was aber ist „optimaler“? Oder ein Satz wird angefangen, aber fehlerhaft beendet wie „Bald geht beginnt für Schinkenkalli“ oder „Für FC Anker zählt in Parchim zählt nur noch ein Sieg“. Auch ist man sich nicht einig, wie die Einwohner von Wismar und von Rügen genannt werden sollten: Wismarer oder Wismaraner, Rügener oder Rugianer?

Was hat mir am besten gefallen? Eindeutig der Beitrag „Guten Tag, liebe Leser“ von Martina Plothe. Sie wendet sich da gegen Kurzsprach-Codes aus Halbwörtern und Symbolen und gegen

Kleinschreibung in Leserbriefen, die die Redaktion dann mühsam verdeutschen muß. Und was verspreche ich mir von all diesen Bemerkungen? Nichts weiter als: Erst denken und dann schreiben!

Abschreckende Leserwerbung – mit Anglizismen gespickt

Nach der Beschäftigung mit der Ostseezeitung fl atterte mir ein mit einigen Anglizismen gespicktes Angebot auf den Tisch, das Neue Deutschland mal 14 Tage zur Probe zu lesen. Ich lehnte ab, da ich fürchtete, die Zeitung sehe ähnlich aus wie dieses Angebot. Der verantwortlichen Mitarbeiterin des ND

muß ich wohl Unrecht getan haben. Sie hatte Verständnis für meine Weigerung und wollte wissen, wie man VDS-Mitglied wird.

Bei der Durchsicht der Ausgaben von zwei Wochen fand ich dann heraus: Auf keiner der Titelseiten gab es etwas zu beanstanden. Je weiter man aber nach hinten blättert, umso ärgerlicher wird es. Das Elend beginnt mit dem globalen Boom. Dem folgen Sponsoring, Open-air-Kurztour und Soul-Queen. Meckern wir nicht über die Story, aber eine stehende Zeile Action ist dann wohl als eine Dauerleihgabe des Englischen an das ND anzusehen. Auf den Gesundheits-seiten lese ich ohne Freude die

Überschrift Wellness, aber die Begriffe „Wohlfühloase“ und „Wohlfühlzwecke“ stimmen versöhnlich.

Deutsch auf den wichtigen Seiten, Denglisch in den Beilagen

Gefallen hat mir das Zitat von Brigitte Reimann „Die Stadt ist die kostbarste Erfindung der Zivilisation, die als Vermittlerin von Kultur nur hinter der Sprache zurücksteht“. Auf der Gewerkschaftsseite und in der Rubrik „Bildung und Beruf“ stoße ich dann auf unverständliche Anglizismen wie Undercoverpleite, New-Economy, Mailinglisten, Brain Drain, Crash-Kurs, Estland-Connection, E-Learning-Modul, Lern-Content-Management-System, Mediadesign, Blended Learning , Web-Based-Training , Evo-Learning. Allerdings sind auch ein paar deutsche Wörter dazwischen. Schließlich taucht völlig unmotiviert bei der Diskussion über linke Parteien der Satz There is no Alternative auf. In der Nachbarschaft eines rätselhaften Multipla-Bipower erscheint unter Auto-Mobiles die Dauerleihgabe Stop-and-go. Unter „Reise“ sieht man, daß selbst die Schwaben im Denglischen nachziehen, sie bieten eine Happy-Family-Woche an.

Auf den Sportseiten häufen sich die Anglizismen. Ich lese teils mehrfach: Comeback, Matchwinner, Teams, Blackout, Image, Transfer und Pressing-verhalten. Im Play-off-Finale geht es um die Best-of-Five. Es folgen Youngster (aber auch einmal ein Jungstar), Referee, Champions League, Premier League und Mainstream-Denksportler. Aber es gibt auch positive Spalten von Peter Ducke und Eduard Geyer. Geyer schreibt in „Nach dem Abpfi ff“ bis auf die einmalige Verwendung von Coach über zwei halbe Spalten hinweg einen ordentlichen deutschen Text, an dem sich fast jeder Sportreporter des ND, aber auch anderer Zeitungen und Medien ein Beispiel nehmen sollten. Und auch Ducke schreibt wirklich richtig Deutsch und nicht nur das, er schreibt sogar „Mann des Tages“, wo einem doch die meisten Medien weismachen wollen, daß es Man of the Day zu heißen habe.

Auf die in der Überschrift gestellte Frage antworte ich: Kein Neudeutsch, sondern Deutsch auf den Hauptseiten des ND, den Kulturseiten und auf denen, die sich vorwiegend an die dem Blatt nahestehenden politischen Gruppen wenden. Gelegentliche Ausrutscher will ich nicht überbewerten. Auf den Sportseiten scheint es dagegen, als würden deutsche Wörter geradezu systematisch durch englische ersetzt. Vorhandene deutsche Ausdrücke wie Schiedsrichter, Mannschaft, Elfmeter, Liga oder Torwart werden gemieden und verdrängt durch englische Brocken. Für die Sportseiten lautet meine Antwort: Ja, fast nur Denglisch.

medien

Dieter Rasch, Leiter der VDS-Region Rostock, nahm für die Sprachnachrichten die Sprache der Ostsee-Zeitung und des Neuen Deutschland unter die Lupe. Ergebnis: In beiden Blättern hält sich die Englischsucht in Grenzen.

Kaum Neudeutsch im Neuen Deutschland

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16 ß Deutsche Sprache

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

In dieser Ausgabe der Sprachnachrichten eröffnen wir eine neue Reihe mit Texten zur deutschen Sprache. In ungeordneter Folge, ohne

Rücksicht auf zeitliches Nacheinander oder literarische Gattungen, bringen wir Auszüge aus wichtigen Werken der deutschen Literatur

– schlechthin Beispiele für „schönes“ Deutsch.

Den Anfang macht die Erzählung „Schwere Stunde“ von Thomas Mann. Es geht um Schiller, sein künstlerisches Schaffen unter

widrigen Umständen, die mühsame Arbeit am „Wallenstein“ und sein Verhältnis zu Goethe. Mit dem Abdruck des Textes von Thomas

Mann leisten wir unseren ersten Beitrag zum Gedenkjahr 2005. Er soll nicht die einzige Erinnerung an Schillers

200. Todesjahr in den Sprachnachrichten bleiben.

Er stand vom Schreibtisch auf, von seiner kleinen, gebrechlichen Schreibkommode, stand auf wie ein Verzweifelter und ging mit

hängendem Kopfe in den entgegengesetzten Winkel des Zimmers zum Ofen, der lang und schlank war wie eine Säule. Er legte die Hände an die Kacheln, aber sie waren fast ganz erkaltet, denn Mitternacht war lange vorbei, und so lehnte er, ohne die kleine Wohltat empfangen zu haben, die er suchte, den Rücken daran, zog hustend die Schöße seines Schlafrockes zusammen, aus dessen Brustaufschlägen das verwaschene Spitzenjabot heraushing, und schnob mühsam durch die Nase, um sich ein wenig Luft zu verschaffen; denn er hatte den Schnupfen wie gewöhnlich.

Das war ein besonderer und unheimlicher Schnupfen, der ihn fast nie völlig verließ. Seine Augenlider waren entfl ammt und die Ränder seiner Nasenlöcher ganz wund davon, und in Kopf und Gliedern lag dieser Schnupfen ihm wie eine schwere, schmerzliche Trunkenheit. Oder war an all der Schlaffheit und Schwere das leidige Zimmergewahrsam schuld, das der Arzt nun schon wieder seit Wochen über ihn verhängt hielt? Gott wußte, ob er wohl daran tat. Der ewige Katarrh und die Krämpfe in Brust und Unterleib mochten es nötig machen, und schlechtes Wetter war über Jena, seit Wochen, seit Wochen, das war richtig, ein miserables und hassenswertes Wetter, das man in allen Nerven spürte, wüst, fi nster und kalt, und der Dezemberwind heulte im Ofenrohr, verwahrlost und gottverlassen, daß es klang nach nächtiger Heide im Sturm und Irrsal und heillosem Gram der Seele. Aber gut war sie nicht, diese enge Gefangenschaft, nicht gut für die Gedanken und den Rhythmus des Blutes, aus dem die Gedanken kamen ...

Das sechseckige Zimmer, kahl, nüchtern und unbequem, mit seiner geweißten Decke, unter der Tabaksrauch schwebte, seiner schräg karierten Tapete, auf der oval gerahmte Silhouetten hingen, und seinen vier, fünf dünnbeinigen Möbeln, lag im Lichte der beiden Kerzen, die zu Häupten des Manuskripts auf der Schreibkommode brannten. Rote Vorhänge hingen über den oberen Rahmen der Fenster, Fähnchen nur, symmetrisch geraffte Kattune; aber sie waren rot, von einem warmen, sonoren Rot, und er liebte sie und wollte sie niemals missen, weil sie etwas von Üppigkeit und Wollust in die unsinnlich-enthaltsame Dürftigkeit seines Zimmers brachten ...

Er stand am Ofen und blickte mit einem raschen und schmerzlich angestrengten Blinzeln hinüber zu

dem Werk, von dem er gefl ohen war, dieser Last, diesem Druck, dieser Gewissensqual, diesem Meer, das auszutrinken, dieser furchtbaren Aufgabe, die sein Stolz und sein Elend, sein Himmel und seine Verdammnis war. Es schleppte sich, es stockte, es stand – schon wieder, schon wieder! Das Wetter war schuld und sein Katarrh und seine Müdigkeit. Oder das Werk? Die Arbeit selbst? Die eine unglückselige und der Verzweifl ung geweihte Empfängnis war?

Er war aufgestanden, um sich ein wenig Distanz davon zu verschaffen, denn oft bewirkte die räumliche Entfernung vom Manuskript, daß man Übersicht gewann, einen weiteren Blick über den Stoff, und Verfügungen zu treffen vermochte. Ja, es gab Fälle, wo das Erleichterungsgefühl, wenn man sich abwendete von der Stätte des Ringens, begeisternd wirkte. Und das war eine unschuldigere Begeisterung, als wenn man Likör nahm oder schwarzen, starken Kaffee ... Die kleine Tasse stand auf dem Tischchen. Wenn sie ihm über das Hemmnis hülfe? Nein, nein, nicht mehr! Nicht der Arzt nur, auch ein zweiter noch, ein Ansehnlicherer, hatte ihm dergleichen behutsam widerraten: der andere, der dort, in Weimar, den er mit einer sehnsüchtigen Feindschaft liebte. Der war weise. Der wußte zu leben, zu schaffen; mißhandelte sich nicht; war voller Rücksicht gegen sich selbst ...

Stille herrschte im Hause. Nur der Wind war hörbar, der die Schloßgasse hinuntersauste, und der Regen, wenn er prickelnd gegen die Fenster getrieben ward. Alles schlief, der Hauswirt und die Seinen, Lotte und die Kinder. Und er stand einsam wach am erkalteten Ofen und blinzelte gequält zu dem Werk hinüber, an das seine kranke Ungenügsamkeit ihn nicht glauben ließ ... Sein weißer Hals ragte lang aus der Binde hervor, und zwischen den Schößen des Schlafrocks sah man seine nach innen gekrümmten Beine. Sein rotes Haar war aus der hohen und zarten Stirn zurückgestrichen, ließ blaß geäderte Buchten über den Schläfen frei und bedeckte die Ohren in dünnen Locken. An der Wurzel der großen, gebogenen Nase, die unvermittelt in eine weißliche Spitze endete, traten die starken Brauen, dunkler als das Haupthaar, nahe zusammen, was dem Blick der tiefl iegenden, wunden Augen etwas tragisch Schauendes gab. Gezwungen, durch den Mund zu atmen, öffnete er die dünnen Lippen, und seine Wangen, sommersprossig und von Stubenluft fahl, erschlafften und fi elen ein ...

Nein, es mißlang, und alles war vergebens! Die Armee! Die Armee hätte gezeigt werden müssen! Die

Armee war die Basis von allem! Da sie nicht vors Auge gebracht werden konnte – war die ungeheure Kunst denkbar, sie der Einbildung aufzuzwingen? Und der Held war kein Held; er war unedel und kalt! Die Anlage war falsch, und die Sprache war falsch, und es war ein trockenes und schwungloses Kolleg in Historie, breit, nüchtern und für die Schaubühne verloren!

Gut, es war also aus. Eine Niederlage. Ein verfehltes Unternehmen. Bankerott. Er wollte es Körnern schreiben, dem guten Körner, der an ihn glaubte, der in kindischem Vertrauen seinem Genius anhing. Er würde höhnen, fl ehen, poltern – der Freund; würde ihn an den Carlos gemahnen, der auch aus Zweifeln und Mühen und Wandlungen hervorgegangen und sich am Ende, nach aller Qual, als ein weithin Vortreffl iches, eine ruhmvolle Tat erwiesen hat. Doch das war anders gewesen. Damals war er der Mann noch, eine Sache mit glücklicher Hand zu packen und sich den Sieg daraus zu gestalten. Skrupel und Kämpfe? O ja. Und krank war er gewesen, wohl kränker als jetzt, ein Darbender, Flüchtiger, mit der Welt Zerfallener, gedrückt und im Menschlichen bettelarm. Aber jung, ganz jung noch! Jedesmal, wie tief auch gebeugt, war sein Geist geschmeidig emporgeschnellt, und nach den Stunden des Harms waren die anderen des Glaubens und des inneren Triumphes gekommen. Die kamen nicht mehr, kamen kaum noch.

Er stöhnte, preßte die Hände vor die Augen und ging wie gehetzt durch das Zimmer. Er setzte sich auf einen Stuhl an der Wand, ließ die gefalteten Hände zwischen den Knien hangen und starrte trüb auf die Diele nieder. ... Nicht klagen! Nicht prahlen! Bescheiden, geduldig denken von dem, was man trug! Und wenn nicht ein Tag in der Woche, nicht eine Stunde von Leiden frei war – was weiter? Die Lasten und Leistungen, die Anforderungen, Beschwerden, Strapazen gering achten, klein sehen, – das war‘s, was groß machte!

Er stand auf, zog die Dose und schnupfte gierig, warf dann die Hände auf den Rücken und schritt so heftig durch das Zimmer, daß die Flammen der Kerzen im Luftzuge fl atterten ... Größe! Außerordentlichkeit! Welteroberung und Unsterblichkeit des Namens! Was galt alles Glück der ewig Unbekannten gegen dies Ziel? Gekannt sein, – gekannt und geliebt von den Völkern der Erde! Schwatzet von Ichsucht, die ihr nichts wißt von der Süßigkeit dieses Traumes und Dranges! Ichsüchtig ist alles Außerordentliche, sofern es leidet. Mögt ihr selbst zusehen, spricht es, ihr Sendungslosen, die ihr‘s auf Erden so viel leichter habt! Und der

thomas mann

Schwere Stunde

schönes deutsch

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Deutsche Sprache ß 17

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

sprüche und

goldene worte

Ehrgeiz spricht: Soll das Leiden umsonst gewesen sein? Groß muß es mich machen! ...

Und dies war seine Eifersucht: daß niemand größer werde als er, der nicht auch tiefer als er um dieses Hohe gelitten. Niemand! ... Er blieb stehen, die Hand über den Augen, den Oberkörper halb seitwärts gewandt, ausweichend, fl iehend. Aber er fühlte schon den Stachel dieses unvermeidlichen Gedankens in seinem Herzen, des Gedankens an ihn, den anderen, den Hellen, Tastseligen, Sinnlichen, Göttlich-Unbewußten, an den dort, in Weimar, den er mit einer sehnsüchtigen Feindschaft liebte ... Und wieder, wie stets, in tiefer Unruhe, mit Hast und Eifer, fühlte er die Arbeit in sich beginnen, die diesem Gedanken folgte: das eigene Wesen und Künstlertum gegen das des anderen zu behaupten und abzugrenzen ... War er denn größer? Worin? Warum? War es ein blutendes Trotzdem, wenn er siegte? Würde je sein Erliegen ein tragisches Schauspiel sein? Ein Gott, vielleicht, – ein Held war er nicht. Aber es war leichter, ein Gott zu sein als ein Held! – Leichter ... Der andere hatte es leichter! Mit weiser und glücklicher Hand Erkennen und Schaffen zu scheiden, das mochte heiter und quallos und quellend fruchtbar machen. Aber war Schaffen göttlich, so war Erkenntnis Heldentum, und beides war der, ein Gott und ein Held, welcher erkennend schuf!

Dennoch, und jenem zum Trotz: Wer war ein Künstler, ein Dichter gleich ihm, ihm selbst? Wer schuf, wie er, aus dem Nichts, aus der eigenen Brust? War nicht als Musik, als reines Urbild des Seins ein Gedicht in seiner Seele geboren, lange bevor es sich Gleichnis und Kleid aus der Welt der Erscheinungen lieh? Geschichte, Weltweisheit, Leidenschaft: Mittel und Vorwände, nicht mehr, für etwas, was wenig mit ihnen zu schaffen, was seine Heimat in orphischen Tiefen hatte. Worte, Begriffe; Tasten nur, die sein Künstlertum schlug, um ein verborgenes Saitenspiel klingen zu machen ... Wußte man das? Sie priesen ihn sehr, die guten Leute, für die Kraft der Gesinnung, mit welcher er die oder jene Taste schlug. Und sein Lieblingswort, sein letztes Pathos, die große Glocke, mit der er zu den höchsten Festen der Seele rief, sie lockte viele herbei ... Freiheit ... Mehr und weniger, wahrhaftig, begriff er darunter als sie, wenn sie jubelten. Freiheit – was hieß das? Ein wenig Bürgerwürde doch nicht vor Fürstenthronen? Laßt ihr euch träumen, was alles ein Geist mit dem Worte zu meinen wagt? Freiheit wovon? Wovon zuletzt noch?

Vielleicht sog noch vom Glücke, vom Menschenglück, dieser seidenen Fessel, dieser weichen und holden Verpfl ichtung ...

Vom Glück ... Seine Lippen zuckten; es war, als kehrte sein Blick sich nach innen, und langsam ließ er das Gesicht in die Hände sinken ... Er war im Nebenzimmer. Bläuliches Licht fl oß von der Ampel, und der geblümte Vorhang verhüllte in stillen Falten das Fenster. Er stand am Bette, beugte sich über das süße Haupt auf dem Kissen ... Eine schwarze Locke ringelte sich über die Wange, die von der Blässe der Perlen schien, und die kindlichen Lippen waren im Schlummer geöffnet ... Mein Weib! Geliebte! Folgtest du meiner Sehnsucht und tratest du zu mir, mein Glück zu sein? Du bist es, sei still! Und schlafe! Schlag jetzt nicht diese süßen, langschattenden Wimpern auf, um mich anzuschauen, so groß und dunkel, wie manchmal, als fragtest und suchtest du mich! Bei Gott, bei Gott, ich liebe dich sehr! Ich kann mein Gefühl nur zuweilen nicht fi nden, weil ich oft sehr müde vom Leiden bin und vom Ringen mit jener Aufgab, welche mein Selbst mir stellt. Und ich darf nicht allzusehr dein, nie ganz in dir glücklich sein, um dessentwillen, was meine Sendung ist ...

Er küßte sie, trennte sich von der lieblichen Wärme ihres Schlummers, sah um sich, kehrte zurück. Die Glocke mahnte ihn, wie weit schon die Nacht vorgeschritten, aber es war auch zugleich, als zeigt sie gütig das Ende einer schweren Stunde an. Er atmete auf, seine Lippen schlossen sich fest; er ging und ergriff die Feder ...

Und es wurde fertig, das Leidenswerk. Es wurde vielleicht nicht gut aber es wurde fertig. Und als es fertig war, siehe, da war es auch gut. Und aus seiner Seele, aus Musik und Idee, rangen sich neue Werke hervor, klingende und schimmernde Gebilde, die in heiliger Form die unendliche Heimat wunderbar ahnen ließen, wie in der Muschel das Meer saust, dem sie entfi scht ist.

Der hier wieder-gegebene Text ist leicht gekürzt. Um den

Lesefluß nicht zu stören, wurden die Kürzungen nicht

kenntlich gemacht. Auslassungspunkte erscheinen auch

im Original. G. S.

Menschlich

Wie menschlich Menschen sind, zeigt ihr Umgang mit der Muttersprache.

Friedrich von Schiller

Schreiben in der Muttersprache

Man kann sehr wohl Gedanken in einer fremden Sprache schriftlich ausdrücken. Aber schreiben, also schöpfen, kann man nur in der Muttersprache.

Sándor Márai, ungarischer Schriftsteller

Kostbares Gepäck

Denn ich hatte aus dem Land, aus dem ich nun vertrieben wurde, die Sprache mitgenommen, die deutsche, und die Literatur, die deutsche.

Marcel Reich-Ranicki

Klare Sprache

Einer gekünstelten, mit Anglizismen und Fremdwörtern überfrachteten Sprache sagen wir den Kampf an! Man kann Dummheit Dummheit nennen, aber auch „suboptimale Intelligenz“. Wir meinen Dummheit klingt besser, und treten ein für eine klare Sprache.

Werbe-Agentur Lindner, Nürnberg

Deutsch

Ich rede deutsch, ich denke deutsch, ich träume deutsch.

Mieze, Sängerin der Gruppe „Mia“

Gefühle rüberbingen

Musik ist ein Gefühletransporter. In Deutschland lassen sich Gefühle auf englisch nicht so gut rüberbringen. Aber wenn ich deutsch singe, entsteht ein echter Wärmeaustausch.

Inga Humpe, Sängerin

Keine Amerikanisierung

Die Amerikanisierung der deutschen Unternehmenskultur muß gestoppt werden.

Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident

Deutsche Sprache weiterentwickeln

Wir werden unsere deutsche Sprache in bezug auf viele Gebiete verlieren, wenn wir sie nicht weiterentwickeln.

Konrad Ehlich, Vorsitzender des deutschen

Germanistenverbandes

Thomas Mann (1875-1955) schrieb „Schwere Stunde“

1905 in Schillers 100. Todesjahr. Den Essay „Versuch

über Schiller“ verfaßte er 1955, in seinem letzten Lebens-

jahr und 150 Jahre nach Schillers Tod.

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18 ß Deutsche Sprache

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Die Verwendung des Genetivs gehe zurück, hört man in letzter Zeit nicht nur in Sprachpfl egekreisen, ja bald sei es um ihn geschehen. Statt des Vaters Hut oder der Hut des Vaters sage man jetzt der

Hut vom Vater oder gar dem Vater sein Hut, stellen die Freunde des 2. Falles fest.

Nun, ich bin sicherlich der letzte, der den furchterregenden Sprachverfall und Kulturverlust im deutschsprachigen

Raum leugnet, und man muß den Sprachpfl egern, zu denen ich mich zähle, ja auch eine gewisse Überempfi ndlichkeit (Verfolgungswahn) einräumen, sonst wären sie fehl am Platze, denn sie müssen Mißstände feststellen und bekämpfen, noch bevor sich diese ausbreiten und festsetzen und der Sprache schaden. Leider haben Men-schen mit Verfolgungswahn auch manchmal recht. Der schönen Tochter Priamos’, Kassandras, Warnung, die Griechen würden Troja zerstören, mochte niemand Glauben schenken, sie wurde für wahnsinnig gehalten. Leider hatten auch die Sprachpfleger im 19. Jahrhunderts recht, die glaubten, es drohe eine Überschwemmung des Deutschen mit Anglizismen, obwohl es

damals nur eine Handvoll denglischer Ausdrücke gab.

Beim Genetiv möchte ich aber doch vor allzu dramatischen Warnungen warnen. Zunächst zur Form des Wortes: Sicher haben sich schon einige Leser gewundert, daß ich die Form Genetiv verwende, obwohl Genitiv heute geläufi ger ist. Im Lateinischen fi ndet sich die Schreibung genitivus, bei den Klassikern aber genetivus.

Deswegen fi nde ich Genetiv besser. Diese Form ist auch in der Sprachwissenschaft verbreitet.

Nun zum Hut des Vaters: Die Konstruktionen der Hut vom Vater und dem Vater sein Hut sind durchaus nicht neu, sondern in manchen deutschen Mundarträumen seit langem beheimatet, neu ist nur die Verwendung der ersten im Fernsehen bei Unterhaltungssendungen. Während man sich in den sechziger Jahren bei Sendungen wie „Der Kommissar“ mehr an die Hochsprache hielt (die Beobachtungen des Tatzeugen), neigt man jetzt immer mehr dazu, die Umgangssprache zu verwenden (die

Beobachtungen vom Tatzeugen). Dies führt selbstverständlich zu einem Rückgang der Verwendung des Wesfalls, da ja

das Fernsehen Vorbildwirkung hat. Das gilt allerdings nicht für Sendungen mit offiziellem Charakter, z. B. die Nachrichten im staatlichen Fernsehen. Die Fügung mit von wurde übrigens auch schon früher bei Namen, die auf -s enden, gern verwendet, z. B. die schöne

Tochter von Priamos.

Genetivendungen werden immer häufiger ausgelassen

Auch werden die starken, schwachen und gemischten Genetivendungen immer häufi ger ausgelassen (die Rede des

Minister, der Besuch des Präsident, die Funktion

des Herz). Hier muß man allerdings drei Einschränkungen machen: Das Tilgen der Endung kommt nicht sehr oft unmittelbar nach dem Artikel vor, sondern eher wenn das Substantiv weit entfernt vom Artikel steht (die

Rede des soeben in Köln angekommenen

Arbeitsminister); zweitens: Das Tilgen der Endung ist nicht kennzeichnend für den Genetivgebrauch, sondern folgt der allgemeinen Entwicklung, Endungen einzusparen (Dativ: ich hole

Geld aus dem Bankomat[en], Akkusativ: ich

kaufe den Teddybär[en], Plural: das Gewicht

der LKW[s]); drittens: Die Tilgung der Endung erfolgt selbstverständlich nur dort, wo die Endung wegen des Artikels eigentlich überflüssig (redundant) ist: Der Wagen des Landwirtschaftsministers ist häßlich, aber verständlich, während Hilde

neuer Wagen statt Hildes neuer Wagen nicht verstanden wird. Diese Konstruktion ist sogar im Niederländischen, dessen Genetiv an sich ausgestorben ist, erhalten: vaders geld („Vaters Geld“).

Im Mittelhochdeutschen gab es noch zahlreiche Verben, die den Genetiv verlangten. Der Genetiv mein in Vergißmeinnicht ist heute ein Akkusativ und steht für Vergiß mich nicht. Heute haben wir nur noch wenige Verben mit dem Genetiv, und sie gehören der gehobenen Sprache an: eines Mordes bezichtigen, sich eines

Dinges bemächtigen, eines Toten gedenken. Hier wird der Genetiv aus Unkenntnis durch den Dativ ersetzt: Heute gedenken wir dem

Toten. Die Verwendung des Genetivs ist also

tatsächlich rückläufi g, und zwar schon seit mittelhochdeutscher Zeit. Es gibt aber einige Erwägungen, die dagegen sprechen, daß der 2. Fall aussterben wird. Eine verschriftete Sprache ändert sich in ihrem Formenschatz nur sehr langsam. Im geschriebenen Deutsch ist der Genetiv als Besitzanzeiger durchaus lebendig. Man nehme sich eine Zeitung und zähle, wie oft er auf jeder Seite vorkommt! Der Wesfall dient aber nicht nur der Besitzanzeige (die Gesetzesvorlage der Regierung), sondern steht auch nach Präpositionen, und

die Zahl der Präpostionen, die den Genetiv verlangen, ist im Deutschen außerordentlich groß: abseits, abzüglich, anläßlich, anfangs, angesichts, anhand, anläßlich, anstatt, anstelle, antwortlich, aufgrund, ausgangs, ausschließlich, außerhalb, behufs, beiderseits, be-treffs, bezüglich, binnen, diesseits, eingangs, einschließlich, exklusive, halber, hinsichtlich, infolge, inklusive, inmitten, innerhalb, jenseits, kraft, längs, längsseits, laut, mangels, minus, mittels[t], oberhalb, plus, rücksichtlich, seitens, seitlich, seitwärts, statt, trotz, um – willen, unbeschadet, unerachtet, unfern, ungeachtet, unterhalb, unweit, [ver]mittels[t], vermöge, vorbehaltlich, während, wegen, von – wegen, zeit, zufolge, zugunsten, zuzüglich, zwecks.

Einige dieser Präpositionen kommen nur im Amtsdeutsch vor, andere wirken veraltet, und bei manchen gibt es auch die Möglichkeit, von zu verwenden: unterhalb

des Wasserfalls oder unterhalb von dem

Wasserfall. Erstaunlich ist aber, daß einige Präpositionen vom Dativ zum angeblich aussterbenden Genetiv übergewechselt sind: trotz dem Befehl klingt heute veraltet, trotz des Befehls ist modern; in trotzdem

oder mir zum Trotz sieht man noch, daß früher der Dativ verwendet wurde, wie in währenddem. Heute verlangt während in der Hochsprache Genetiv: während

des Vortrags. Dieses Überwechseln zeigt, daß der Genetiv durchaus Lebenskraft besitzt.

Also doch: Der Genetiv wird uns erhalten bleiben

Wir sehen also, daß der Genetiv weniger oft als früher verwendet wird. Die Zukunft kann niemand voraussagen, aber es spricht einiges dagegen, daß der Genetiv völlig ausstirbt: 1. Der Genetiv ist kürzer (ökonomischer) als der Dativ (vgl. der Hut des Vaters des Nachbarn –

der Hut von dem Vater von dem Nachbarn). 2. Die Eitelkeit der Textverfasser: Die Wissenschafter, Berichterstatter usw. wollen zeigen, daß sie gehobenes Deutsch beherrschen, und der Genetiv gehört zur gehobenen Ausdrucksweise. 3. Die stützende Funktion des Amerikanischen; im Englischen ist der Genetiv wichtig, und Amerika ist heute unser sprachliches Vorbild. 4. Die konservierende Kraft der verschrifteten Texte.

Kein Argument für das Überleben des Genetivs sind übrigens die vielen Umstandswörter, zusammengesetzten Wörter, Redewendungen und Sprich-wörter, in denen der Genetiv vorkommt wie flugs, stehenden Fußes, Gutsverwalter,

Rädelsführer, des einen Schaden – des

anderen Nutzen, denn sie könnten weiterverwendet werden, auch wenn der Genetiv ausstürbe. Das ist in anderen Sprachen auch vorgekommen (vgl. den Lokativ im Lateinischen oder Wörter wie neutraliteitsverklaring „Neutralitätserklärung“ im Nieder-ländischen); aber dennoch haben sie stützende Funktion.

Der Germanist Dr. Gottfried Fischer ist

Schriftleiter der Wiener Sprachblätter.

grammatik

Gottfried Fischer über das Wohlergehen des Genetivs

Dem Vater sein Hut

Page 19: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

Kölsche Aat

vereinsleben

Kölner VDS-Aktive wehrten sich erfolgreich gegen deng-lisches Karnevalsmotto. 20

... einmal anders – diesmal: Cornelius Sommer, General-konsul in Königsberg. 21

VDS-Mitglieder...19

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Im Jahr 2004 haben sich weniger Mitglieder an den Briefwettbewerben des VDS beteiligt als im Jahr zuvor. Wir erhielten insgesamt 425 Belege über Protestbriefe, d. h. 88 Leserbriefe, 157 Briefe an Sprachhunzer des Jahres 2004 und 180 kritische Schreiben und Beschwerden an Denglisch-Schwätzer aller Art. Für 2003 hatten wir 102 Leserbriefe, 183 Briefe an Sprachhunzer und 342 Proteste an andere Sprachfl egel gezählt. Die Zahlen geben freilich nur ungenau wieder, in welchem Umfang VDS-Mitglieder mit Briefen gegen Denglisch protestiert haben. Wir sind sicher, daß uns nur ein Teil der Briefe zuging, die insgesamt verschickt oder veröffentlicht wurden.

Aktion „Protestbriefe an Sprachhunzer“

Am besten fanden wir den Brief von Franz Aschenbrenner aus Cham in der Oberpfalz. An ihn geht das von einem stillen Geber ausgelobte Preisgeld von 250 Euro. Aschenbrenner ist Leiter der VDS-AG „Schulen“. Er schrieb an Harald Alber, den Leiter des Evangelischen Jugendwerks Stuttgart:

„Sehr geehrter Herr Alber, Sie veranstalten da Big Events, bei denen Jesus live mit Power dabei ist und von der Girls Parade, dem Teen Dance und den sonstigen Highlights ganz begeistert sein soll. Selbstredend gibt es Worship und Prayer (Hi, generation under the cross

... Shout to the Lord and only Jesus). Als ich das las, entfuhr es mir: ,Heiliger Martin, hilf !’ Ich hatte vergessen, daß

der Ahnherr Ihrer Kirche im Gegensatz zu den katholischen Theologen von der Sache mit den Heiligen und dem Zu-den-Heiligen-Beten nichts mehr wissen wollte. Aber ich versuche es trotzdem, Herr Alber – katholisch. Jeden Abend fl ehe ich ,Lieber Heiliger. Großer Martin, gib Deinen Nachfahren wieder die Sprache, welche Du uns einst gegeben hast – Bitte! Und – wenn Du es unbedingt verlangst: Ich wechsle auch die Seite.’ Herr Alber, mal schau’n, ob’s wirkt.“

Gute und witzige Protestbriefe – so meinen wir – kamen auch von Helmut Wildner aus Köln und Gerd Schnedermann aus Karlsruhe. Wildner schrieb an Jürgen Werth vom Evangeliums-Rundfunk in Wetzlar: „Würde Goethe heute leben, hätte er vermutlich nicht die ,Leiden des jungen Werther‘ geschrieben, sondern vielleicht die ,Leiden des Jürgen Werth‘“. Schnedermann fragte die Düsseldorfer Museumsleiterin Dr. Susanne Anna: „Was ist eine Floating fashion? Was fl oatet

in Düsseldorf außer dem Rhein? Ob das Düsseldorfer Publikum in Ihr Museum fl oatet, um sich zu informieren, welcher Sex in Ihrer City stattfi ndet, ist doch fraglich. Jedenfalls, ob die Leute mehr hereinströmen, wenn es denglischer Sex ist.“

Aktion „Leserbriefe“: Der Süden hat die Nase vorn

Bei den 66 Leserbriefen, die in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind, handelt es sich um eine bereinigte

Zahl. Wir haben diesmal streng gesichtet und nur Briefe in den Wettbewerb einbezogen, die unzweifelhaft von VDS-Mitgliedern stammen und deren Schreiber deutlich erkennbar für die Belange des VDS eintreten.

Der Endstand für 2004: Siegerin ist Ursula Blanke aus Karlsruhe mit 10 Punkten für 5 Briefe in den Neuesten Badischen Nachrichten. Auf den zweiten Platz kamen punktgleich Jürgen Himstedt, Leiter der Region 33 (Paderborn) und Ludwig Schichtl aus dem bayrischen Baldham. Him-stedt für 2 Briefe in der Frankfurter

Allgemeinen Zeitung, Schichtl ebenfalls für 2 Zuschriften, die die Süddeutsche

Zeitung abdruckte. Das waren 6 Punkte für jeden.

Erneut zur Spitzengruppe der Leser-briefschreiber gehörten Eva-Maria Kieselbach, Vorstandsmitglied aus Kassel, Regionalleiter Dietmar Kinder aus Köln und Oswald Nettesheim, ebenfalls aus Köln. Als Sieger der vergangenen Jahre schieden sie aus dem Wettbewerb aus. Wir vermuten übrigens, daß in den Zeitungsredaktionen von Kassel und Köln Freunde der deutschen Sprache – und des VDS? – sitzen, die Leserzuschriften zu Deutsch und Deng-lisch bereitwillig abdrucken.

Ursula Blanke hat damit die von einem ungenannten Spender gestiftete Wochenendreise für zwei Personen nach Paris gewonnen. Es darf auch eine Stadt im deutschen Sprachraum sein. Berlin, Wien oder Bozen sind allemal eine Reise wert.

Wettbewerbe 2005

„Heiliger Martin, hilf!“

briefwettbewerbe

Im vergangenen Jahr stellte die Post wieder hunderte Protestbriefe von VDS-Aktiven an Sprachhunzer zu. Franz Aschenbrenner aus Cham hat den besten Brief geschrieben. Er protestierte beim Evangelischen Jugendwerk Württemberg gegen Sprachverwirrungen wie generation

under the cross ... shout to the lord.

Für 2005 gelten die gleichen Spiel-regeln wie für die vergangenen Jahre. Wir haben sie in Nummer 25 der Sprachnachrichten aufgeführt und nennen noch einmal die wichtigsten Dinge:

Leserbriefe: Wiederum stiftet ein stiller Spender für den erfolgreichsten Leserbriefschreiber des Jahres 2005 eine Wochenendreise für 2 Personen nach Paris oder in eine (interessante) Stadt des deutschen Sprachraums. Die Briefe werden mit Punkten bewertet. Für jeden Leserbrief in einer überregionalen Zeitung oder Zeitschrift (FAZ, Welt, Süddeutsche,

Spiegel, Focus, Stern) gibt es 3 Punkte, für jede regionale Tageszeitung oder überregionale Fachzeitschrift vergeben wir 2 Punkte und für lokale Werbeblätter 1 Punkt.

Senden Sie Kopien Ihrer im Jahr 2005 veröffentlichten Briefe an: Gerd Schrammen, Mohnstieg 5, 37077 Göttingen, Fax 0551/209 7285.

Wichtig: Nur Briefe von VDS-Mitgliedern gehen in den Wettbewerb ein. Senden Sie deshalb an diese Anschrift keine Leserzuschriften von anderen Personen. Und bitte schicken Sie nur solche Briefe, in denen Sie deutlich erkennbar das Anliegen des VDS unterstützen.

Protestbriefe an Sprachhunzer: Für den besten, witzigsten, originellsten Brief gibt es auch 2005 eine Belohnung von 250 Euro. Kopien bitte an Gerd Schrammen – nur auf Papier, d. h. Brief oder Fax, keine e-Post ! – Anschrift s. o.

Machen Sie wieder mit!

Tobias Mindner und Gerd Schrammen

Page 20: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

20 ß Vereinsleben

aus den regionen

Köln - Am 16. Juli 2004 haben die Kölner VDS-Regionen 50 und 51 im Großen Saal des Kolpinghauses zum ersten Mal den „Lehrer-Welsch-Sprachpreis“ verliehen. Preisträger war der Zugleiter des Festkomitees des Kölner Karnevals, Herr Alexander von Chiari. Er hat – nicht zuletzt auf unser Betreiben – das Kölner Karnevalsmotto für das Jahr 2005 geändert. Es war die erste inhaltliche Änderung in der 181jährigen Geschichte des offiziellen Kölner Karnevals. Den zunächst vorgesehenen Spruch „Kölle un die Kids der Welt, fi ere nit nur Fasteleer“ hat er eingekölscht zu „Kölle un die Pänz us aller Welt“.

Die Feier vor rund 200 geladenen Gästen, darunter viele prominente Kölner, hat großen Anklang gefunden, so daß die VDS-Region Köln die Vergabe des „Lehrer-Welsch-Sprachpreises“ nun in einem noch größeren Rahmen veranstalten möchte. Mit der

jährlichen Verleihung des „Lehrer-Welsch-Sprachpreises“ an eine Persönlichkeit, die sich in Köln um unsere Mundart und um unsere Hochsprache verdient gemacht hat, soll eine Tradition begründet werden. Das berühmte Lied „Dreimol Null es Null“ von „de steinahl Schull en de Kayjaß“ und dem beliebten Lehrer Welsch mit seinem unverfälschten Kölsch,

ist heute in Köln noch in aller Munde.

In diesem Jahr werden die VDS-Aktiven Andreas Henseler von der CSC-Stiftung der Stadt-sparkasse Köln mit dem „Lehrer-Welsch-Sprachpreis“ auszeich-nen. Die Ehrung wird am Sams-tag, dem 30. Juli 2005, um 16.00 Uhr im Großen Konzertsaal der Hochschule für Musik stattfi nden. Die Gilden-Brauerei wird Kölsch für einen fröhlichen Rahmen der Preisverleihung stiften. Henseler hat entschei-dend dazu beigetragen, daß man vom ursprünglichen NamenCologne Science Center Abstand ge-nommen und sich stattdessen für „ODYSSEUM Köln“ entschie-den hat. Dietmar Kinder

... op Kölsche Aat

Falls Sie eine Übernachtung planen, bitte rechtzeitig für ein Hotel sorgen. Hochsaison! Leider kann der Verein keine Reisekosten übernehmen, stellt aber für rede- und/oder stimmberechtigte Teilnehmer gern eine Spendenquittung in Höhe der entstandenen Kosten aus. Auskünfte zur örtlichen Organisation erteilt auch die Regionalleitung Dresden, Herr Dr. Dieter Kupsch, Dorotheenstr. 8, 01219 Dresden, Tel. 0351-2880590, Fax 0351-2727166, e-Post [email protected] oder Dr. Siegfried Uhlig, Maulbeerenstr. 15, 01169 Dresden, Tel./Fax 0351-4162040.

Einladung zurDelegiertenversammlungHiermit lädt der Vereinsvorstand alle Mitglieder herzlich zu unserer nächsten Bundesdelegierten-versammlung am 11. Juni 2005 nach Dresden ein.Ort: Plenarsaal des Dresdner RathausesZeit: 11 bis 17 Uhr.

Tagesordnung1. Eröffnung durch den VDS-Vorsitzenden

2. Grußwort der Regionalgruppe Dresden

3. Bericht und Entlastung des geschäftsführenden Vorstands (inklusive Bericht der Kassenprüfer und Aussprache)

4. Neuwahl des Schatzmeisters

5. Berichte aus dem Ausland

6. Berichte aus den Arbeitsgruppen und Regionen

7. Kandidatenauswahl „Sprachpanscher 2005“

8. Europäische Sprachpolitik

9. Verschiedenes

vds-gremien

AnmeldeformularBitte ausschneiden oder kopieren und so schnell wie

möglich an die Vereinszentrale zurückschicken (Postfach

104128; 44041 Dortmund) oder faxen: 0231-7948521.

Ich melde mich für die Tagung an

als Regionalleiter/stv. Regionalleiter

als Arbeitsgruppenleiter mit Rederecht

als zusätzliche(r) Delegierte(r)

als Gast (nicht rede- und stimmberechtigt).

Ich nehme am Vorabend (Freitag, 10. Juni, 19 bis 22.30

Uhr) mit ___ Personen an einer Dampferfahrt auf der

Elbe teil (Preis 16,50 € pro Person). Bitte bei lokalen

Organisatoren nachfragen, ob noch Plätze frei sind.

Ich nehme am 11. Juni 2005 um 8.30 Uhr an einer

eigens für den VDS organisierten Führung durch die

Frauenkirche teil (Ende 10 Uhr, Beginn Delegierten-

versammlung 11 Uhr). Die Kosten der Führung in Höhe

von 500 Euro werden vom Verein getragen.

Ich komme auch schon zu der vom VDS zusammen

mit der Sächsischen Landeszentrale für politische

Bildung ausgerichteten Vortrags- und Diskussions-

veranstaltung am Donnerstag, dem 9. Juni, 16 bis 20.30

Uhr (Infos dazu bei Oliver Baer, Schleissbergstr. 15,

01169 Ohorn, Tel. 035955-40099, Fax 035955-40101,

e-Post [email protected]).

name

adresse

telefon

e-post-adresse

Dortmund - Am 10. März ehrte die Regionalgruppe Dortmund Herrn Heinz-Herbert Dustmann, den Geschäftsführer des Unter-nehmens Dula, für seinen einfühl-samen Umgang mit der deutschen Sprache. Die Firma Dula (für „Dustmann Ladenbau“) beschäf-tigt weltweit über 600 Mitarbeiter und betreibt seit kurzem in Dortmund-Hombruch auch ein eigenes Warenhaus für höherwertige Konsumgüter,

sozusagen zum Vorzeigen, mit ursprünglich geplantem Namenszusatz House of brands.

Nach Einspruch von Dort-munder VDS-Mitgliedern, an-geführt von Irmgard Moore, wurde daraus aber schnell „Das Haus der Marken“. Bei der Übergaben der Urkunde sagte Firmenchef Heinz-Herbert Dustmann, der fl ießend Englisch, Spanisch und Französisch spricht, den zahlreich erschienen Gästen

auch, warum: „Wirsind hier in Dort-mund und nicht in London.“

Umrahmt wurde die Preisverleihung durch Grußworte aus der lokalen Politik und durch eine kurze, aber beeindruckende Lesung des Dort-munder Schrift-

stellers Josef Reding, der Ge-dichte aus seinem neuen Buch vortrug. Für den VDS würdigten Vorsitzender Walter Krämer und Regionalvorsitzender Jost Waldschmidt die sonstigen Verdienste des Preisträgers um Qualität in Sprache und Produkt zugleich.

Den interessiert zuhörenden Medienvertretern hat diese Preisverleihung gezeigt, daß man im Verein Deutsche Spra-che nicht nur über Sprach-verhunzung jammert, sondern sich auch herzlich über eine sorgsamen Umgang mit der Muttersprache freuen kann. Nach der Preisverleihung erschienen ausführliche und anerkennende Berichte in den Ruhrnachrichten (Aufl age über 300.000) und in der Westfälischen Rundschau, sowie ein Kurzbeitrag im Fernsehen des WDR.

„Kölle un die Kids der Welt, fiere nit nur Fasteleer“ sollte das Kölner Karnevalsmotto 2005 sein. Das kann nicht sein, dachte sich der VDS, und erreichte die Änderung. Der Verantwortliche bekam den Lehrer-Welsch-Preis. Die Auszeichnung wird nun zum zweiten Mal verliehen.

Dietmar Kinder (re.) mit dem Preisträger Alexander von Chiari

umdenken lohnt sich

VDS zeichnete Unternehmer aus

Irmgard Moore (Mitte) und Heinz-Herbert Dust-

mann (2. v. r.) mit Dortmunder Sprachfreunden.

Page 21: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

Vereinsleben ß 21

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Wir setzen unsere Erfolgsgeschichte

fort und ergänzen sie.

2005 – Februar

Die Unternehmensberatung pebbGmbH in Rheinhessen nennt ein Projekt für kleine und mittlere Unternehmen bewußt nicht Case-

Management, sondern Betriebliches

Reha-Management (BeReMa).

Die Bergsträßer Winzer eG Hep-penheim hatte ihren Weißen Bur-gunder zwei Jahre lang Springtime genannt. Ab jetzt heißt er wieder Frühlingswein.

Nach Kritik nennt die Debeka-Kfz-Versicherung die Help Card

und die Service Card ab sofort klar und deutlich Debeka-Karte für den Versicherungsnehmer undDebeka-Karte für den Unfallbe-

teiligten.

Die Firma eResult hat Internet-nutzer zu Begriffen befragt. Die Mehrheit wünschte sich folgende deutsche Bezeichnungen: Startseite

(statt Homepage), Suche (statt Search), Erweiterte Suche (statt Advanced

Search), Forum, Warenkorb.

Das bayerische Kultusministerium hat auf allen Internetseiten um den Girls’ Day den Zusatz Mädchen-

Zukunftstag.

Das Weltwirtschaftsforum (World

Economic Forum) in Davos/Schweiz fand teilweise in deutscher Sprache statt.

Der Bürgermeister von Johannes-berg (Unterfranken) hat seine

Mitarbeiter angewiesen, in der Behördensprache denglische Begriffe

zu vermeiden.

Das Lied „Schnappi, das kleine Krokodil“ steht in der deutschen

Version in der Spitzengruppe der Erfolge in ganz Europa, u. a. Schweiz, Holland, Großbritannien, Frankreich, Skandinavien und selbst in Japan.

2005 – Januar

Die Kölner Plattenfi rma Stereofl ex Records will sich ausschließlich der

Förderung deutschsprachiger Popmusik

widmen.

Das Bundesfinanzministerium setzt eine EU-Richtlinie um und entscheidet, daß Unternehmen, die Anleihen grenzüberschreitend anbieten, einen Prospekt in englischer

Sprache mit deutscher Zusammenfassung

vorlegen.

Eine Privatschule in Namibia/Afrika führt Deutschunter richt

für alle Kinder ein, obwohl 90 Prozent der Schüler aus nicht-deutschsprachigen Elternhäusern stammen.

Internetnutzer können internatio-nalisierte Domain-Namen in

deutscher Schreibweise mit Umlauten registrieren lassen.

Eva-Maria Kieselbach

Die vollständige Druckausgabe der

Lichtblicke (7 Seiten, Eintragungen

ab 1997) ist unter [email protected]

oder im Internet unter www.vds-

kassel.de zu haben.

lichtblicke

Hier berichten wir in loser Folge Erlebnisse

und Taten von VDS-Mitgliedern, die mit der

deutschen Sprache allenfalls indirekt zu tun

haben, aber andere Sprachfreunde dennoch

interessieren. Dieses Mal: Unser Mann in

Königsberg (Kaliningrad).

Seit dem Januar 2004 vertritt Cornelius Sommer, Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland, unser Land in Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg. Geboren 1940 in Breslau, nach dem Studium der Philologie, Politik und Philosophie in Tübingen seit 34 Jahren im Auswärtigen Dienst (u. a. als Beauftragter für Asienpolitik und als Botschafter in Finnland ), ist das für ihn „die vielleicht am intensivsten erlebte“ Zeit in seiner an Aufregungen gewiß nicht armen Karriere. Denn in Königsberg ist fast nichts so wie anderswo. „Klar“, so sieht Sommer dies persönlich, „Kaliningrad hat dieselben Globuskoordinaten wie das einstige Königsberg, und das spielt im hiesigen Alltag eine Rolle. Welche, das bleibt undeutlich. Leben die Kaliningrader (und mit ihnen ich) in Rußland? In Ostpreußen mit neuem Vorzeichen? In der Sowjetunion? In der EU? Im Baltikum? Im Reagenzglas eines unbekannten Laboranten?“

Die aus Rußland Zugereisten meinen, hier sei es ein wenig wie in Deutschland. Und „viele Russen sprechen besser und unbefangener Deutsch als Englisch“. Wie etwa Ludmila Putina, die in Kaliningrad geborene Trägerin des Jacob-Grimm-Preises 2002.

Immer wieder trifft Cornelius Sommer auf Spuren deutscher Sprache und Kultur. Wie etwa ein Schillerdenkmal. „Es hat den Endkampf im April 1945 auf legendenumwobene Weise überlebt. Da Schillers 200. Todestag am 9. Mai 2005 just auf den 60. Jahrestag des Kriegsendes

(Version Ost) und deswegen hier, in Rußland, durch die Ritzen der öffentlichen Aufmerksamkeit fallen wird, dachte ich, es sei besser, meine Blumen schon zu Schillers 245. Geburtstag im November 2004 niederzulegen.“ Aber wie es der Zufall wollte, fand drei Wochen vorher und nur wenige Meter entfernt eine Feier am Puschkin-Denkmal statt. Kurzentschlossen brachte Cornelius Sommer auch dem großen russischen Dichter einen Strauß. „Die Puschkingemeinde fand das gut. Ich mußte aus dem Stegreif über ‚Puschkin in Deutschland’ reden und meine Blumen für die verschiedenen TV-Kameras immer wieder neu niederlegen – mit der netten Folge, daß mich drei Wochen später die Kameras und etliche Dutzend Kaliningrader (einer sagte sogar ein selbstgemachtes russisches Gedicht auf) zu Schiller begleiteten.“

VDS-Mitglied Cornelius Sommer vor

dem Grab des wohl bekanntesten

Königsberger Bürgers aller Zeiten

vds-mitglieder einmal anders

In Rußland zu viert mit Puschkin, Schiller und Kant

VDS-Aktive gründen neue ArbeitsgruppenNeue Arbeitsgruppe „Schulchöre“: Obwohl sie die Texte selten vollständig verstehen, hören oder singen junge Leute mit Vorliebe englischsprachige Stücke. Eine der Ursachen ist ohne Zweifel, daß im Schulunterricht Musik mit deutschen Texten kaum noch angeboten wird. Wie kann wieder Interesse an muttersprachlichen Liedern geweckt werden? Mit einem Modellversuch in Essen wollen wir beginnen. Pädagogen, aber auch Sänger oder andere Musikschaffende sollen dabei helfen. Es geht darum, einen Schulchor zu fi nden – oder gar zu schaffen –, mit dem wir den Anfang machen. Wer macht mit? Bitte melden Sie sich bei: Hans D. Weitermann, Deipenbecktal 171, 45289 Essen, Tel. 0201/570657, Fax 572798, e-Post [email protected].

Neue Arbeitsgruppe „Deutsch ins Grundgesetz“: Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland fehlt eine Bestimmung über Deutsch als Landessprache. Die neue Arbeitsgruppe möchte erreichen, daß das Grundgesetz um einen entsprechenden Artikel erweitert wird. Das könnte Artikel § 22a sein mit dem Text „Die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch“. Jedes VDS-Mitglied kann Politiker in dieser Frage ansprechen. Die regelmäßigen Bürgersprechstunden der Wahlkreisabgeordneten oder Wahlveranstaltungen bieten sich dafür an. Ein Infoblatt „Warum Deutsch als Landessprache in das Grundgesetz gehört“ kann angefordert werden bei Eva-Maria Kieselbach, Tel./Fax 0561/ 40 53 23, e-Post [email protected].

Einladungen zu Regionaltreffen

Die Region 47 (Krefeld, Duis-burg, Moers) trifft sich am 19. April 2005 um 18.30 Uhr im Hotel von der Valk, Krefelder Str. 169 in Moers (direkt am Autobahnkreuz).

Tagesordnung:

1. Begrüßung2. Neuwahl eines Regionalvor-stands. Für den Vorsitz kandi-diert der bisherige stellver-tretende Regionalleiter Werner Flores aus Willich. Für den stell-vertretenden Vorsitz kandidiert der Regionaleiter der ersten Stunde, Werner Lowitz aus Duisburg.3. Wahl von Nachrückdelegierten für die Bundesdelegiertenver-sammlung am 11. Juni in Dresden4. Aussprache und Planung von Aktionen

Die Region 44 (Dortmund, Bochum) trifft sich am 27. April 2005 um 19 Uhr im Kolpinghaus Dortmund, Silberstr. 26.

Tagesordnung:

1. Eröffnung und Begrüßung durch den scheidenden Regional-vorsitzenden Dr. Jost Wald-schmidt. Herr Waldschmidt möchte aus Gesundheitsgründen sein Amt abgeben. Der VDS-Vorstand dankt ihm herzlich für seinen jahrelangen unermüd-lichen Einsatz.2. Vortrag von Gerd Schrammen: „Mein geliebtes Deutsch“3. Neuwahl eines Regionalvor-sitzenden.4. Wahl von Delegierten für die für die Bundesdelegiertenversammlung am 11. Juni in Dresden5. Aussprache und Planung von Aktionen

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22 ß Leserbriefe

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Sprache und Krach

Mir ist es einerlei, ob ich auf Deutsch oder Englisch zugejault und mit Bumm-Bumm zugedröhnt werde. Diese Art von Musik, die eigentlich keine ist, sondern nur elektronisch erzeugter Krach, macht nervös und aggressiv, unter Umständen sogar krank. Das Schlimme dabei ist, daß man vor diesem Kunstlärm fast nirgendwo mehr sicher ist und er zur Zwangsbeglückung wird. Keinem Menschen darf man gegen seinen Willen Alkohol verabreichen. Aber Musik, das darf man.

Udo Knau, Minden

Bauchschmerzen

Zufällig erhielt ich die Nr. 24 der Sprachnachrichten. Ich habe das Heft mit Interesse und vor allem mit großem Vergnügen gelesen.

Mir ist aufgefallen, daß mit der Wiedervereinigung eine Menge von Ausdrücken über uns gekommen sind, die mir richtige Bauchschmerzen bereiten. Ich habe keinesfalls eine Ost-West-Polemik im Sinn, aber unübersehbar ist, daß sich eine Unverbindlichkeits- und Rückversicherungsmentalität beiuns breitgemacht hat. Es wird nur noch die Möglichkeitsform benutzt. Frage ich einen Gesprächspartner, der mir antwortet: „ich würde denken“, unter welchen Umständen sein Denken einsetzt, ernte ich nur Unverständnis.

Mir dreht sich auch der Magen um, wenn „gut aufgestellte“ Leute denken, es „macht Sinn“, mir „schlicht und ergreifend“ einen „schönen Tag noch“ zu wünschen. Unwohl ist mir auch bei: auf die Reihe bringen, auf den Punkt bringen, auf den Prüfstand stellen (Leute, die dies benutzen, haben offensichtlich noch nie einen Prüfstand gesehen) usw.

Zum Schluß noch eine kleine Bemer-kung zu den Ehrenmitgliedern. Es freut mich besonders, daß Reinhard Mey die in einem seiner Lieder vorgetragene Meinung „tret ich in keinen Verein ein“ überwunden hat und er nun „mit den VDS-Wölfen heult“.

Eckehard Frauendorf, Dresden

Cross Dressing

Ich bin Engländerin und wohne in Deutschland. Ich finde es manchmal witzig, wie englische Wörter ins Deutsche übernommen werden, aber die Bedeutung nicht. Zum Beispiel vor etwa drei Wochen berichtete die Nordwest-

Zeitung, unsere Regionalzeitung für den Raum Oldenburg, es gäbe eine neue Neuheit in der Modeszene, das Cross

Dressing. Wenn man Jeans zu einem Ball anzieht, das sei Cross Dressing. Im Englischen bedeutet Cross Dressing, daß ein Mann sich als Frau anzieht, weil er Travestit ist. Ich mußte so lachen.

Julia Lieberum

Schritt zur Pidginsprache

Mir ist es unverständlich, wie ein gebildeter Mensch etwas Positives an der neuen Schreibweise finden kann. Das Verwischen von Begriffen durch

Getrenntschreiben z. B. ist ein Schritt zur Pidginsprache. Mir tut die am Busbahnhof „allein stehende“ Mutter wirklich leid. Hat man sich schon einmal gefragt, warum dies alles geschehen ist? Ich gebe gerne Antwort darauf.

Udo Knau, Minden

„Mus“ und „muß“

Die neue Regelung für das „ss“ versus „ß“ fi nde ich sehr sinnvoll. Schon als Kind mißfi el mir die unsystematische Verwendung des „ß“ in der alten Schreibung. Ich hatte nur leider nicht den Mut, die unlogische Regelung für mich persönlich außer Kraft zu setzen. Die offizielle Begründung für die Neuregelung des „ß“ (weniger Fehler) ist freilich absoluter Unsinn: Wer vorher „s“ und „ß“ verwechselte, bringt nun eben „s“ und „ss“ durcheinander.

Dem Grundgedanken, möglichst so zu schreiben wie man spricht, kommt die Sprache damit ein gutes Stück näher. Da hilft auch kein Verweis auf regionale Mundarten, wie Albert Riß in Nr. 26 der Sprachnachrichten schreibt. Wie groß sind denn die Bereiche im Süden Deutschlands, wo das gesprochene „muss“ vom „Mus“ nicht zu unterscheiden ist? Da müßte man ja eher die Abschaffung eines jeglichen „das“ fordern, denn in großen Bereichen im Norden Deutschlands gibt es nur ein gesprochenes „daß“ und „das“ mit kurzem, aber kein „daß“ mit langem a.

Friedl Kraußer, Nürnberg

VDS wofür?

Ich bemerkte beim Lesen der letzten Sprachnachrichten, daß der Verein für Dinge eintritt, die ich gar nicht mittragen möchte. Ich bin gegen die Rücknahme der Rechtschreibreform und gegen eine Quote für deutsche Musik. Ursprünglich trat ich dem Verein bei, weil ich gegen die zunehmenden überfl üssigen Angli-zismen in der deutschen Sprache etwas tun wollte. Jetzt aber fällt mir auf, daß der Verein seine Interessen ausgeweitet hat. Vielleicht bin ich nicht auf dem laufenden, aber wurde diese Ausweitung der „Einsatzgebiete“ denn eigentlich mehrheitlich beschlossen? Ich muß mir, wenn dem so ist, überlegen, ob ich weiterhin Mitglied des VDS sein möchte.

Bettina Leopold, Koblenz

Anm. der Redaktion: Wir erhalten immer

wieder strenge Briefe, in denen sich

Mitglieder oder Sympathisanten über

die Zurückhaltung des VDS beim Thema

„Rechtschreibreform“ beklagen. Zum Beispiel

lesen wir: „Ich möchte auf ein tieferliegendes

Problem des VDS hinweisen, nämlich daß er

sich nicht gegen die Primitivisierung und

Infantilisierung der deutschen Sprache

durch die Rechtschreibreform zur Wehr

setzt. Schon lange hat es mich gestört, daß

der VDS in puncto Rechtschreibung fast

völlig abstinent ist bzw. – schlimmer noch –

sich teilweise bei seinen Mitteilungen usw.

sogar der neuen Schreibweise bedient.“

– Oder: „Zur angestrebten Rücknahme

der Rechtschreibreform vermisse ich Ihre

Stellungnahme. ... Wenn Sie den Unfug

der Rechtschreibreform nicht immer wieder

anprangern wollen, dann können Sie am

besten den Verein Deutsche Sprache

auflösen.“

Unkosten 2: Im ersten Semester

Ist eigentlich Besserwisserei Ihre Maxime? Natürlich darf der Leser erwarten, daß Sie als Befürworter der deutschen Sprache sich mit selbiger bestens auskennen und sie auch in Ihrem Blättchen propagieren. Gleichwohl finde ich es befremdlich, wenn Sie Leserbriefschreiber zu korrigieren versuchen. Wenn also Peter Reinbold den Begriff „Unkostenbeitrag“ in Frage stellt, dann hat er selbstverständlich recht, und das weiß nicht nur jeder kaufmännische Auszubildende und Wirtschaftsstudent im ersten Semester. Auch in der Bevölkerung hat sich dieser umgangssprachliche Unfug, diese Unsitte glücklicherweise ziemlich abgeschliffen. Bei Ihnen offenbar noch nicht.

Norbert C. Rottmann

Unkosten 3: In der ersten Woche

Nun muß ich aber doch ganz höfl ich widersprechen: Natürlich hat Herr Peter Reinbold in Nr. 25 unserer Sprachnachrichten völlig recht: „Unkosten“ gibt es nicht, das lernt jeder kaufmännische Lehrling in der ersten Woche. Nichts für ungut und weiter viel Erfolg!

Norbert J. Breuer

Dialekte

In Nr. 25 erwähnen Sie die kleine Melanie aus Hanau, die „mit dem hessischen Dialekt der Eltern aufgewachsen ist ... im Kindergarten schon genug Mühe mit dem Hochdeutschen hat und es oft nur mangelhaft lernt“.

Daraus kann man entnehmen, daß Sie praktizierte Mundart als Ursache für sprachliche Fehlentwicklungen bei Kindern sehen. Ich stimme insoweit mit Ihnen überein, daß vor der Beschäftigung mit einer fremden Sprache – und für dialektsprechende Kinder ist das Schriftdeutsche nun mal fremd – die eigene Muttersprache korrekt gelernt werden muß. Mundartlich geprägte Kinder haben jedoch eine hohe Ausdruckskraft und einen umfangreichen Wortschatz. Durch die spätere Beschäftigung mit dem Schriftdeutschen werden diese Kinder praktisch zweisprachig erzogen, was auch einen geschick-teren Umgang mit Sprache überhaupt zur Folge hat. Sie bringen auch später in der Schule bessere Leistungen. Eine Grundschul-Lesestudie zeigt, daß Bayern und Baden-Württemberg besser als alle anderen Bundesländer abgeschnitten haben, gerade weil hier noch viele Kinder Mundart reden.

Annette Setzensack, Mainburg

Englische Werbesprüche origineller

Auch wenn ich ein Gegner von Denglisch bin, finde ich einige der englischen Werbesprüche origineller. Die deutschen sind irgendwie Allerweltsformulierungn, oder sie klingen gekünstelt oder dick aufgetragen. So z. B. „Alles für diesen Moment“, „ Douglas macht das Leben schöner“. Bei „Ich liebe es“ hört man meiner Meinung nach den American Way

fürs Sprüchemachen förmlich heraus; daran ändert Deutsch auch nicht viel. Da fi nde ich den ursprünglichen Text origineller. Hinter die Feinheiten bin ich allerdings auch erst nach längerem Nachdenken gekommen: erstes time = „jedes Mal“, zweites time = „Zeit“ im Sinne von Have a good time.

Auf S. 10 und 11 habe ich noch 2 Fehler entdeckt, die nichts mit Sprache oder Rechtschreibung im engeren Sinne zu tun haben. Da steht „Paten-torganisation“ und „Spra-cherziehung“. Das ist auch eine Form der Sprachverhunzung.

Christoph Raum, Forchheim

Pyramiden

Mit Interesse und Vergnügen habe ich unsere Sprachnachrichten Nr. 25 gelesen. Was halten Sie aber davon, wenn unter dem Foto auf Seite 24 gestanden hätte: „Ägypten: Sphinx vor der Chephren-Pyramide“?

Peter Pistor

Neu: DER ANGLIZISMEN-INDEX, Anglizismen, Gewinn oder Zumutung?

Im April erscheint der neue „Anglizismen-

INDEX“ mit dem Untertitel „Gewinn oder

Zumutung“, und zwar sowohl als Handbuch

im IFB Verlag. ISBN 3-931263-53-3 wie

auch als Netzversion am Netzstandort des

VDS und auch des Schweizer „Sprachkreis

Deutsch“.

Er ist die Folgeausgabe 2005 der bewährten VDS-Anglizismenlisten 2002 - 2004 mit neuem Titel, neuem Gesicht, aktualisiert und gründlich überarbeitet. Er weist jetzt 6033 Einträge von Anglizismen auf, die in irgendeiner Form als Einsprengsel in ansonsten deutschsprachigen Texten aufgesammelt worden sind. Wie bisher für die Anglizismenliste gibt es in der Netzversion wieder ein Eingabefenster, über das für die jährliche Aktualisierung Vorschläge eingegeben werden können. Für diese erste Ausgabe des INDEX sind allein auf diesem Wege in den vergangenen 12 Monaten rund 800 Vorschläge für Neueinträge und Änderungen eingegangen. Die Mehrzahl ist nach sorgfältiger Prüfung und Vergleich mit internetzverfügbaren Wörterbüchern und Quellen in den neuen INDEX eingeflossen. Der Begleittext desINDEX umfaßt Erläuterungen und Anlei-tungen zur Anwendung des INDEX wie auch Textbeiträge zur Situation der deutschen Sprache in Vergangenheit und Gegenwart. Der Vorläufer, die Anglizismenliste, ist im Internetz präsent; mit der Eingabe von „Anglizismenliste“ in die Suchmaschinen von Google und Yahoo öffnet sich jeweils ein ganzer Bildschirm voll mit Einträgen über die VDS-Anglizismenliste, darunter auch einem, der ausweist, daß sie sogar in der königlich dänischen Bibliothek ausliegt.

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Der VDS im Ausland ß 23

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Der Verband der Deutschstudierenden

der Universität Lomé schrieb an die

Bundesregierungen in Berlin und Wien

sowie an die Akademien deutscher

Sprache in Berlin und Wien, die Medien

in Deutschland und Österreich, die

Goethe-Institute überall in der Welt und

an alle Deutschsprachigen zu Hause:

Wir, die togoischen Deutsch-studierenden wissen nicht, wie wir unsere Entmutigung äußern sollen, betreffs der bedauerlichen Lage, in die die deutsche Sprache immer mehr geraten ist. Natürlich kann keine Sprache sich der Entlehnung verweigern, aus Furcht, daß sie sich absondere. Feststellbar ist aber die Tatsache, daß heutzutage dem klassischen Deutschen – von Goethe geliebten und aufgewerteten – eine völlige Angloamerikanisierung droht. Die deutschen Zeitungen und Zeitschriften werden ja von so vielen angloamerikanischen Wörtern und Ausdrücken überfl utet. Bei den Fernsehnachrichten und –werbungen ist es schlimmer und vielmehr beunruhigend. Die ehe-malige deutsche Kolonie Togo gilt als eines der afrikanisch-frankophonen Länder, in denen die deutsche Sprache am meisten gelehrt und gelernt bzw. studiert

wird. Neben der amtlichen Sprache Französisch und der aus dem Westen immer mehr an Boden gewinnenden englischen Sprache, zählen wir zu denen, die noch die Gewichtigkeit der deutschen Sprache beweisen und wir kämpfen zugleich ständig gegen deren Vernichtung. Deswegen finden wir es unfaßlich und peinlich, daß man dem ekelhaften angloamerikanischen Deutschen freien Lauf läßt. Aus Furcht, daß es nach und nach die Stimme des klassisch-reinen Deutschen zum Schweigen bringt, und dies zugunsten des Französischen und Englischen. Uns Deutschstudieren-den droht dabei in der Ferne

die Arbeitslosigkeit. Unsere wichtige Rolle als Vermittler eines positiven und attraktiven Bildes Deutschlands, die als „Brücke“ zwischen Völkern gilt, wird in diesem Fall abgeschafft werden.

Damit dieser Katastrophe vor-gebeugt wird, rufen wir auch alsAusländer die amtierenden befugtendeutschen Behörden auf, sofor-tige und entsprechende Maßnah-men zu treffen, um der Angloameri-kanisierung der deutschen Sprache ein Ende zu setzen. In diesem Zeitalter der Globalisierung zählt jede Kultur.

Tsogbe Mawoussé, Vorsitzender

Djato Egbatao, Generalsekretär

Auf Einladung des Instituts für Germanische Studien der Karls-Universität Prag weilte Manfred Schroeder vom 13. bis 15. Dezember 2004 in Tschechien. Auch dort stieß er auf lebhaftes Interesse. Herr Dr. Vit Doualil (Karlsuniversität) erklärte sich bereit, als „Regionalleiter Tschechien“ des VDS zu fungieren, unterstützt durch Dr. Eva Berglova. Auch mit dem tschechischen Deutschlehrerverband und seinem Vorsitzenden Dr. Peter Boritzka wurde Verbindung aufgenommen.

Schroeder knüpfte auch erste Kontakte zur deutschen Minderheit in Tschechien. Sie umfaßt etwa 100.000 Deutsche, die nach 1945 im Land blieben. Er sprach mit Martin Dzingel, einem führenden Vertreter der deutschen Minderheit, und Matthias Dörr, dem Berater vom Institut für Auslandsbeziehungen.

Mehrere hundert neue VDS-Mitglieder in Polen

Vom 15. bis zum 20. November 2004 hielt sich Manfred Schroeder, Verantwortlicher für die Außen-beziehungen im VDS-Vorstand, in Polen auf. Er sprach an den Deutsch-Abteilungen der Uni-versitäten Danzig und Allenstein sowie der Fachhochschule Elbing zum Thema „Deutsch und die europäischen Sprachen angesichts der Globalisierung“. Das Interesse bei den Dozenten und Studenten war sehr rege. Mehrere hundert Teilnehmer erklärten sogleich ihren Beitritt zum Verein Deutsche Sprache. Die Gastfreundlichkeit der polnischen Kollegen war unübertrefflich. Erste Kontakte wurden auch aufgenommen zum „Bund der Deutschen Minderheit“.

Nach der Wende 1990 können sich die in Polen verbliebenen Deutschen wieder artikulieren und zusammenschließen – insgesamt sind es fast 500.000. Der Geschäftsführer der Danziger Sektion, Gerhard Otto, hat sich bereits als VDS-Mitglied eingeschrieben. Der VDS strebt eine korporative Mitgliedschaft der deutschen Minderheiten im Ausland an.

Neue Regionalleitung: Nach dem Tod des bisherigen VDS-Regionalleiters, Professor Manczyk, der an der Universität Grünberg/Zielona Gora lehrt, konnten Anatol Michajlow, Professor an der Universität Danzig und Dr. Jacek Iciaszek (FHS Elbing) als Regionalleiter bzw. Stellvertreter gewonnen werden. Ihre Wahl fand ordnungsgemäß am 30. Januar 2005 in Elbing statt.

Germanisten der Universität Nancy treten in VDS ein

Aus Nancy kam ein Bericht der Germanistik-Dozentin Beate Courdier (Unversität Nancy II), die gleichzeitig um ihren VDS-Beitritt bittet. 28 ihrer Deutsch-Studenten erklären mit ihren Unterschriften, daß auch sie gern dabei sein wollen. Sie sind herzlich willkommen.

Verbindung zu den Universitäten Madrid und Malaga

Die Deutsch-Abteilungen der Universitäten Madrid und Malaga bekunden ihr Interesse an einer Kontaktaufnahme mit dem Verein Deutsche Sprache und laden Manfred Schroeder zu einer Vortragsreihe im März/April 2005 ein. Die fünf Germanistik-Dozentinnen der Universidad Complutense de Madrid sind bereits – auf Initiative von Prof. Raders – dem VDS beigetreten.

Werbung für den VDS in Indonesien

In Indonesien gibt es über 1.400 Deutsch-Lehrer an den Sekundarschulen sowie Deutsch-Abteilungen an etwa zehn Univer-sitäten. Der neue VDS-Regionalleiter für Indonesien, Endik Kuswanto, wird den VDS und seine Ziele in diesem großen Personenkreis bekannt machen und für den VDS werben.

Schöner Erfolg im Jemen

Der VDS-Regionalleiter im Jemen, Jamil Saeed, meldet den Beitritt von 125 „Ehe-maligen“ aus Aden und Umgebung. Es handelt sich um Experten, die nach einem Studium in der DDR nun in ihrem Land als Ingenieure, Ärzte, Professoren, Techniker usw. arbeiten und eine Rückkehrer-Vereinigung gegründet haben. Alle beherrschen die deutsche Sprache und freuen sich, die VDS-Bewegung zu unterstützen. spn

togo

„Im Zeitalter der Globalisierung zählt jede Kultur“Offener Brief an Regierungen in Berlin und Wien

Lebhaftes Interesse in Danzig und Prag

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24 ß Deutschland und die Welt

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Nicht nur in Frankreich und Deutsch-land herrscht Unmut über den zuneh-menden Einfluß des Englischen auf die heimische Sprache. Auch in den Niederlanden stößt diese Entwicklung – sei es zögerlich – auf Widerstand. In Deutschland mögen die Schatten der Vergangenheit dafür gesorgt haben, daß es später als Frankreich angefangen hat, sich dem allzu großen Einfl uß des Englischen zu widersetzen. In den Niederlanden ist es die Vorstellung von der vermeintlichen Kleinheit – um nicht zu sagen: Nichtigkeit – des Landes und seiner Sprache, welche die Bemühungen um die Erhaltung der Muttersprache erheblich erschwert. Seitdem Indonesien sich die Unabhängigkeit erkämpft hat, pflegen Niederländer das Bild des kleinen, toleranten, weltoffenen, irgendwie lieblichen Staates. Das mag überzogen sein, auf jeden Fall haben wir uns eingeredet, daß unsere Sprache ziemlich unwichtig sei, sehr zum Ärgernis übrigens der Flamen, die erst nach einem langen Sprachkampf die Rechte der niederländischen Sprache in Belgien haben sichern können.

Der Sprecherzahl nach mag das Niederländische keine große Sprache sein. So unbedeutend, wie viele Niederländer glauben, ist es wiederum auch nicht. Das beweisen einige Zahlen. Das Niederländische ist Amtssprache in den Niederlanden, in Belgien und Surinam (Südamerika). Insgesamt ist es die Muttersprache von etwa 22 Millionen Menschen. Unter den etwa 6800 Sprachen der Welt belegt es den 34. Platz. Gemessen an der Zahl der Zeitungs- und Buchproduktionen, der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, der Sendezeit in Rundfunk und Fernsehen und dem Bildungsstand der Bürger, steht es aber an 12. Stelle. Niederländisch wird außerhalb seines Sprachraumes weltweit an 230 Universitäten in 44 Ländern unterrichtet. Mehrere hunderttausend Muttersprachler fi nden sich noch in den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Neuseeland, meist ältere Leute, welche ihre Kinder nicht mehr auf niederländisch erzogen haben. In Nordfrankreich sprechen einige zehntausend mundartliches Niederländisch. Es gibt außerdem noch einige hunderttausend Sprecher in Indonesien, Französisch-Belgien und im deutschen Grenzraum, die Niederländisch als Fremdsprache beherrschen.

Sprecher des Afrikaans und Nieder-länder verstehen sich ohne Schwierig-keiten. Strenggenommen kann man die Bewohner von Südafrika und Namibia nicht zu den Niederländischsprachigen zählen, in Südafrika hat man jedoch errechnet, daß weltweilt etwa 40

Millionen Menschen Afrikaans und Niederländisch verstehen. Aber auch ohne diese Schönrechnerei wird deutlich, daß das Niederländische mit 22 Millionen Sprechern zahlenmäßig zwar keine große, aber auch keine kleine Sprache ist. Demnach gibt es keinen Grund, die niederländische Sprache zu vernachlässigen.

Unerwünschtes und schädliches Englisch

Das Niederländische verliert jedoch nach und nach an Boden. Wie in Deutschland ist in großen Betrieben in zunehmendem Maße Englisch die Verkehrssprache. Obwohl die Königliche Niederländische Akademie der Wissenschaften aufgrund einer Studie empfohlen hat, das Englische nur in beschränktem Maße als Unterrichtssprache zu gebrauchen, beeilen sich viele Unis, die Studiengänge für Fortgeschrittene zu anglisieren. Sie tun es, obwohl die Praxis zeigt, daß das den Unterricht nachteilig beeinfl ußt. Bei einer Englischprüfung für die Professoren und Dozenten der Universität Groningen stellte sich heraus, daß die Mehrzahl durchgefallen war. Ein Sprachwissenschaftler hat das Wissen von Studenten untersucht, die Vorlesungen zum gleichen Thema entweder auf Niederländisch oder auf Englisch gehört hatten. Dabei ergab sich, daß die Studenten, welche die Vorlesung auf Niederländisch gehört hatten, unmittelbar nach der Vorlesung um 25 Prozent mehr Fragen richtig beantworten konnten als diejenigen, die denselben Lehrstoff auf Englisch gehört hatten.

Unbeeindruckt von solchen Ergebnissen hat das Parlament in Den Haag im November 2004 beschlossen, daß niederländische Schüler ab dem 16. Lebensjahr Schulzweige wählen können, in denen alle Fächer in englischer Sprache unterrichtet werden. Die Unterrichtsministerin hat sich dagegen gewehrt, aber es ist fraglich, ob sie sich gegen die Parlamentsmehrheit durchsetzen kann.

Ein letztes Beispiel: Vor ein paar Jahren hat die Führung des Nationalfl ughafens Schiphol beschlossen – angeblich nach „eingehender” Untersuchung –, daß die zweisprachige Beschilderung verwirrend für die ausländischen Fluggäste sei, die 70 Prozent der Passagiere darstellen. Deshalb fi ndet man nur noch wenige niederländische Beschriftungen. Proteste haben nichts genutzt. Demnach ist Schiphol wahrscheinlich einer der wenigen Nationalfl ughäfen auf der Welt, in denen die Landessprache weitgehend fehlt.

Aber allmählich regt sich Widerstand gegen die Anglisierung des öffentlichen Lebens. Die Angst, als beschränkt oder engstirnig-nationalistisch zu gelten, wird offenbar geringer. Intellektuelle fragen sich öffentlich, was wir um Gotteswillen mit dieser Nachäfferei anrichten. Neulich schrieben zwei Niederlandisten, man könne von der englischsprachigen Welt vieles lernen, z. B. die Fähigkeit, Fragen und Probleme rasch auf den Punkt zu bringen und Sachen prägnant zu benennen. Aber statt sich dieses Wissen anzueignen, übernehmen viele nur die englischen Bezeichnungen und glauben damit ausreichend intellektuelle Arbeit geleistet zu haben. Obendrein verleihe es mehr Prestige, in einer englischsprachigen Zeitschrift zu veröffentlichen statt in einer niederländischen. Obwohl wir in den Niederlanden meist gut Englisch sprechen, ist es ein sorgfältig gehütetes Geheimnis, daß englischsprachige Zeitschriften die Artikel niederländischer Wissenschaftler wegen mangelhaftem Englisch häufig verweigern. Viele neue Erkenntnisse werden also gar nicht veröffentlicht. Leider tun die Wissenschaftler, welche diese unkritische Englischtümelei aufs schärfste verurteilen, sich nicht zusammen.

Die „stichting Nederlands”

Einen Hoffnungsschimmer gibt es dennoch. Nachdem 1995 der Versuch gescheitert war, im Grundgesetz festzulegen, daß das Niederländische die offi zielle Landessprache ist, gibt es Bestrebungen von Parlamentsmitgliedern, dem Parlament dieses Jahr erneut einen derartigen Gesetzentwurf vorzulegen. Es gibt auch ein paar Organisationen, welche sich der Ausbreitung des „Nederengels” widersetzen. Eine davon ist die „stichting Nederlands” – richtig: kleines S am Anfang! Ich habe mich auch daran gewöhnen müssen. Sie gleicht dem VDS. Als Stiftung hat sie jedoch keine Mitglieder, sondern nur zahlende Sympathisanten, und sie ist nicht so groß wie der VDS. Die „stichting Nederlands” hat unter ihren Fittichen einige Arbeitsgruppen gebildet und veranstaltet jährlich eine durchaus unterhaltsame Konferenz, auf der der „lofprijs” (Lobespreis) und der „sofprijs” (Enttäuschungspreis) für den pfl eglichen oder verächtlichen Umgang mit der Muttersprache verliehen wird. Obwohl die sN noch keine prominenten Mitglieder oder Unterstützer hat, die sich öffentlich zur sN bekennen, waren doch drei Prominente bereit, sich an der Vergabe dieser Preise zu beteiligen. Den „lofprijs” erhielt die Niederländische Akademie der Wissenschaften für ihre

Empfehlung, an den Unis den Vorrang des Niederländischen zu sichern. Der „sofprijs” ging an das Weltunternehmen Philips, das seine Jahresberichte nur noch auf Englisch veröffentlichen will.Zu den Arbeitsgruppen der sN gehören: • Die Wortschöpfungsgruppe, die sich um Alternativen für eingeschleuste Anglizismen bemüht. Sie gibt eine „Woordenlijst liever Nederlands” (Wörterliste Lieber Niederländisch) heraus. Diese umfaßt zur Zeit etwa 2000 Wörter.• Die Forschungsgruppe. Sie untersucht u. a. die Haltung der Niederländer gegenüber den Anglizismen und ermittelt Kriterien für die Ersetzung englischer Begriffe. Sie hat herausgefunden, daß Alternativen nicht unbedingt gleich kurz oder kürzer sein müssen als die englischen Ausdrücke. Stabreimende Alternativen kommen häufi g gut an, z. B.„proefproject” (Probeprojekt) für englisch pilot.• Die Schreibgruppe, die erst ab September 2004 tätig ist, schreibt an ausgewählte Sprachsünder und an vorbildliche Sprachpfl eger. Sie ist noch jung, und es ist schwer, jetzt schon konkrete Ergebnisse zu nennen. Manche Sünder gestehen die Fehler ein, andere führen fadenscheinige Argumente an. Der VDS kennt diesen Vorgang schon besser als wir.• Die Publizitätsgruppe. Sie ist für die Öffentlichkeitsarbeit der sN zuständig, steckt aber ebenfalls noch in den Anfängen.• Die Gruppe für die Jahreskonferenz. Schwerpunkt dieser Konferenz wird2005 die englische Sprache als Unter-richtssprache im weiterführenden Unterricht sein. Des weiteren bestimmen einige Prominente die Empfänger des „lofprijs” und des „sofprijs”.

Alles im allem ist die sN auf dem richtigen Wege, aber noch nicht so weit wie unser großer deutscher Schwesterverein. Wir können einiges vom VDS lernen. Die ersten Schritte dazu haben wir bereits getan. Die Herausgeber der beiden Anglizismenlisten, der niederländischen und der deutschen, haben beschlossen zusammenzuarbeiten und damit schon begonnen.

Wer sich traut, die niederländisch-sprachigen Internetseiten der sN zu lesen, erhält weitere Auskunft unter www.stichting-Nederlands.nl.

Frens Bakker

Frens Bakker hat in Nimwegen und Bonn

Deutsch studiert und arbeitet heute als

Redakteur.

„stichting Nederlands“, die niederländische Schwesterorganistation des VDS

nachbarn

Sofprijs und Lofprijs gegen Nederengels

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Deutschland und die Welt ß 25

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Der Verein Schweizerdeutsch hat dage-gen protestiert, daß in den Schulen der Stadt Zürich anstelle von Züridütsch nur noch Hochdeutsch gesprochen wird. Wie die Neue Zürcher Zeitung schreibt, hat der Bildungsrat des Kantons diese Regelung mit dem neuen Lehrplan festgelegt, der vom Sommer an gelten soll. Die Maßnahme, so hieß es, sei eine Replik

auf das schlechte Abschneiden Schweizer Schüler bei der PISA-Studie. Diese verfügten nicht über zufriedenstellende Kenntnisse und Fertigkeiten im Hochdeutschen. Nun soll eine „bessere Frühgewöhnung an die Standardsprache“ erreicht werden.

Zürichs Pädagogen begrüßten den Schritt. Der Verein Schweizerdeutsch

hält ihn für „politischen Unfug“. Zwar ist allen Beteiligten klar, daß in den Züricher Schulstuben kein hochgestochenes Bühnendeutsch geredet werde, aber beim Verein Schweizerdeutsch herrscht bares Unverständnis über eine Anordnung, die den Schülern untersagt, in bestimmten Fächern zu reden, „wie ihnen der Schnabel gewachsen ist“. Für

viele Schweizer ist Hochdeutsch eine halbe Fremdsprache, die gestelzt und nach Papier klingt. Der Dialekt dagegen wird als anheimelnd und warmherzig empfunden.

Der turnerische Fachwort-Schatz

In den intellektuell anstrengenden Fächern wie Mathematik und Geschichte sprechen Schüler und Lehrer seit jeher Hochdeutsch – wenn auch mundartlich eingefärbt. Beim Turnen, Zeichnen und Werken reden sie Dialekt. Diese Trennung soll aufgehoben werden. Am Reck machen die jungen Schweizer bald nicht mehr den Ufzuug, sondern den „Felgaufzug“. Das vertraute Rondat wird durch die „Radwende“ ersetzt. Und der Pürtzelbaum vürschi wird sich zur „Rolle

vorwärts“ wandeln. An „Bauchwelle“ werden die Schüler sich schnell gewöhnen, das klingt nicht viel anders als Buuchwälle. Der hochdeutsche Ausdruck gehört eher zur Umgangssprache. Das turnerische Fachwort aus dem Wortschatz von Friedrich Ludwig Jahn heißt korrekt „Stützfelge vorlings“, die auch „rücklings“ ausgeführt werden kann, wenn der Leibesübende auf der Reckstange sitzt. Beides geht vorwärts oder rückwärts. Jörg Bleiker, Präsident der Züricher Sektion des Mundartvereins, will die Abkehr von der heimischen Sprache übrigens nicht widerstandslos hinnehmen. Zusammen mit seinen Mitstreitern sinnt er darüber nach, wie diese „hirnrissige Maßnahme“ zu Fall gebracht werden kann. G. S.

Daß einige Sprachflegel die deutsche Sprache derzeit zum unansehnlichen Denglisch machen, ärgert die Bürger überall im deutschen Sprachgebiet. Die in Linz erscheinende Oberösterreichische Rundschau hat darüber geschrieben, daß vielen Leuten in Österreich auch die schlechte und falsche Aussprache englischer Wörter auffällt. Der Job wird zum „Chop“ (Kotelett), Kids zu „Kits“

(Eimer oder Werkzeugtaschen), der Chat

Room wandelt sich zum „Shat Room“ (shat

ist die Vergangenheitsform von to shit). Ein Kraftsportler, der dank regelmäßiger Anstrengung seine Muskeln zum Schwellen bringt, nennt sich bekanntlich Body Builder. Er wird nicht großartiger, wenn er das wie „Badi Bilder“ ausspricht. Skiweltmeister aus Bayern, die das schöne Wort „Riesenslalom“ verlernt haben, machen sich lächerlich, indem sie vom „Ssuppertschi“ (Super G) reden.

Schadenfreude

Das Deutsche schlägt immer wieder durch. Fast entsteht Schadenfreude. Denn irgendwie rächt sich die deutsche Sprache an der englischen – und an den denglischbesessenen Schwätzern, die sie verschandeln. Den rechten sprachlichen Mumm scheint es noch unter den Gebirglern in Tirol zu geben. Ein Reinigungsmittel für das Haupthaar, das aufgeblasen als Professional Hair

Care daherkommt, stufen sie auf seine wirkliche Größe herab. Für sie ist das nur „so a Kopfwaschpulver“. G. S.

Die großen Firmen haben verstanden, daß sie sich mit englischen Werbe-sprüchen unbeliebt machen. Die Kunden verstehen nur Bahnhof. McDonald‘s ersetzte daraufhin Every

time is a good time durch „Ich liebe es“. Anstelle des rätselhaften Come

in and find out verkündet ein großer Parfümverkäufer nun „Douglas macht das Leben schöner“.

Nicht nur englische oder ameri-kanische Werbebotschaften werden abgelehnt. Die Verbraucher schätzen auch US-amerikanische Produkte zu-nehmend negativ ein, insbesondere Marken, die als typisch amerikanisch gelten. Die Zahl der Konsumenten, bei denen Coca Cola, Nike, McDonald‘soder Microsoft wohlige Empfi ndungen auslösen, ist seit 1998 deutlich zurück-gegangen. Zu diesem Ergebnis kommt das amerikanische Marktforschungs-institut NOPE World, das im ver-gangenen Jahr 30.000 Menschen inaller Welt befragte. Durch den Irak-krieg und ihre eigene Art der Terroris-musbekämpfung hat der Ruf der USA weltweit gelitten. Darin sehen die Meinungsforscher die Hauptursache für den Vertrauensschwund gegenüber US-Produkten.

Außerhalb der USA sank die Beliebt-heit von Coca Cola von 55 auf 52,

die von McDonald‘s von 36 auf 33 Prozent. Den stärksten Absturz gab es für Microsoft. Statt bisher 45 vertrauen nur noch 39 Prozent der Befragten dem Mehrfachmilliardär Bill Gates und seinem Computerunternehmen. Die schwindende Zustimmung für amerikanische Produkte hängt auch mit wachsendem Überdruß an der weltweit herrschenden amerikanischen Unterhaltungskultur zusammen. Unter dem Einfl uß der Bush-Politik kommt hinzu, daß amerikanische Marken in den Köpfen der Verbraucher mit Vorstellungen wie „unehrlich“, „falsch“ oder auch „ungerecht“ verbunden werden.

Einigen nicht-amerikanischen Pro-

dukten kam das zugute. Bereits nach dem Beginn des Afghanistan-Krieges schnellten die Verkaufszahlen der arabischen Marke Star Cola und des iranischen Zam Cola in die Höhe. Das türkische Cola Turka verkauft sich besonders gut seit dem Irakkrieg. Eine geschickte Werbestrategie nutzt dabei die anti-amerikanische Stimmung in der Türkei. Über die Fernsehschirme des Landes bewegen sich urechte Amerikaner, die nach dem Genuß von Cola Turka sich in Türken verwandeln. Sie essen türkische Gerichte, fl echten türkische Vokabeln in ihre englische Rede ein und singen türkische Lieder. Einem von ihnen wächst ein richtiger türkischer Schnurrbart. spn

schweiz

Schluß mit „Buuchwälle“Beim Schulturnen wird hochdeutsch gesprochen

österreich

Badi Bilder... oder – Die deutsche Sprache rächt sich

türkei

Amerikanische Firmen leiden unter dem Ruf ihres Landes

Cola Turka statt Coke

Page 26: sprach · Elektriker gegen General Electric thomas mann Schwere Stunde Mit der Erzählung über Schiller und sein ... jährige glorreiche Geschichte, mit Helden wie Karl dem Großen,

Sprachnachrichten: Herr Sick, wie erklären

Sie sich den ungeheuren Erfolg Ihres Buches?

Bisher standen Grammatikbücher ja noch

nicht auf Bestsellerlisten.

Sick: Mein Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ ist kein Grammatikbuch im eigentlichen Sinne, auch wenn Grammatik darin immer wieder eine große Rolle spielt. Vor allem aber ist es ein Buch über Sprache, und mit Sprache hat schließlich jeder zu tun, dieses Thema ist universell und unerschöpfl ich. Daß es so erfolgreich ist, hat viel mit meinem persönlichen Stil zu tun, die Dinge zu deuten und zu beschreiben. Auf zwei Zutaten lege ich beim Umgang mit Sprache größten Wert: auf Humor und auf Phantasie. Das wissen die meisten meiner Leser offenbar zu schätzen.

Sie sind ja nun Ehrenmitglied im VDS

geworden. Hat Sie das überrascht?

Und ob mich das überrascht hat! Ich habe seit meiner Teilnahme an den Bundesjugendspielen keine Ehrenurkunde mehr erhalten! Als Professor Krämer mir schrieb, fühlte ich mich sehr geehrt. Seine Lexika der populären Irrtümer und Sprachirrtümer sind in mancherlei Hinsicht Vorbild für meine Kolumne: kurze, unterhaltsame Texte zu sprachlichen Sachverhalten, die man einfach gerne liest. So läßt man sich gerne belehren! Als dann im Anschluß an meine Lesung in Görlitz Diethold Tietz, der eigens aus Bautzen angereist war, auf die Bühne stieg und mir die Urkunde zu meiner Ehrenmitgliedschaft überreichte, war ich tief bewegt. Und das ist noch milde ausgedrückt.

Welche Ausbildung hat Sie zum Sprach-

experten gemacht?

Ich habe Geschichte und Romanistik (Französisch) studiert. Französisch begeisterte mich anfangs nicht unbedingt wegen der Literatur oder der Kultur, darüber wußte ich damals noch viel zu wenig, sondern vor allem wegen der Schönheit der Sprache. An Sprache hat mich stets vor allem der ästhetische Aspekt gereizt: der Wohlklang der Worte, die Poesie einer schönen Satzmelodie. Die Beschäftigung mit Geschichte, Latein und Altfranzösisch hat mir sehr viel grundsätzliches Wissen über Grammatik und die Entwicklung von Sprache vermittelt.

Wann haben Sie gemerkt, daß Ihnen die

deutsche Sprache so sehr am Herzen liegt?

Gab es ein bestimmtes Ereignis, daß Sie sich

gezwungen sahen, auch öffentlich für den

korrekten Gebrauch der deutschen Sprache

einzutreten?

Sprache allgemein – und die deutsche im Besonderen – hat mich schon immer fasziniert. Kaum hatte ich schreiben gelernt, begann ich, Geschichten zu verfassen – in teilweise noch sehr bedenklicher Orthographie. Meinen ersten Fortsetzungsroman schrieb ich mit elf Jahren, und ich durfte in jeder Deutschstunde ein Kapitel daraus vorlesen. Als Oberschüler verfaßte ich Theaterstücke, die sogar zur Aufführung kamen. Ein bestimmtes Ereignis, das mich zu einem Kampf für richtiges Deutsch bewogen hätte, gab es nie. Meine Kolumne und mein Buch sind aus meiner Tätigkeit als Korrekturleser entstanden. Eine schöne Sprache war mir immer wichtiger als eine korrekte. Woran ich mich vor allem störe, ist gedankenloses Geplapper oder aufgeblasenes Geschwätz. Dagegen liebe ich Wortspiele und Wortwitz. Und die Befähigung einiger Schlagertexter, in ein paar Zeilen eine zutiefst bewegende Geschichte zu erzählen oder das Wesen der Liebe mit wenigen wohlgesetzten Worten auf den Punkt zu bringen, nötigt mir mehr Respekt ab als manch ellenlanger Feuilletonartikel, in dem man vergebens nach einer erhellenden Kernaussage sucht.

In Ihrem Buch kritisieren Sie an Ihren

Journalistenkollegen Übersetzungsfehler aus

dem Englischen, den stilistischen Umgang

mit Katastrophen und auch Unwissenheit in

Grammatik und Wortbedeutungen. Erteilen

Sie einem Kollegen auch schon mal direkt

einen Rüffel? Wie sehr muß sich ein Kollege

dafür im Ton vergriffen oder in der Grammatik

verirrt haben?

Ich erteile niemals Rüffel, das wäre vermessen. Meine „Zwiebelfi sch“-Texte sind als Empfehlungen zu verstehen, nicht als Belehrungen oder gar Rügen. Meine Kollegen leisten harte Arbeit, die meine Achtung verdient; ich kann sie bestenfalls ermutigen, ab und zu vom Bildschirm aufzublicken und sich das eben Geschriebene noch mal auf der Zunge zergehen zu lassen. Oft erkennt man dann, daß man es treffender (meistens: kürzer) formulieren könnte. Und ich ermutige jeden, im Zweifelsfall einfach im Wörterbuch nachzuschlagen. Das muß ich selbst auch immer wieder tun. Herr Langenscheidt und Frau Duden sind meine wichtigsten Kollegen.

Das Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ wird seine Leser auf jeden Fall aufschrecken. „Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache“ verspricht der Untertitel des Buches. Das trifft es gut. Bastian Sick nimmt den Leser mit bei seiner Durchquerung unwegsamen Geländes deutscher Grammatik, Rechtschreibung und Stilistik. In 47 Kapiteln, die zuvor als Spiegel-Online-Kolumne „Zwiebelfisch“ bekannt wurden, klärt Bastian Sick kniffl ige Fragen der deutschen Sprache auf äußerst unterhaltsame Art.

Jeder wird sich auf der einen oder anderen Seite des Buches ertappt fühlen, seine Muttersprache Deutsch doch noch nicht auf allen Gebieten zu beherrschen. Zum Beispiel heißt es – um oben gestellte Frage zu beantworten – „Ich erschrak“ bzw. „Ich war erschrocken“. Die Formen „Ich habe mich erschreckt“ bzw. „habe mich erschrocken“ sind auch möglich, beide jedoch umgangssprachlich.

„Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ zeigt dem Leser wieder, warum sich das Deutsche auch nach der Rechtschreibreform noch ein Eszett leistet und wie man auch englische Verben im Deutschen konjugieren kann. Das Buch weckt das Sprachverständnis des Lesers durch sehr anschauliche Beispiele.

Die sechs Zeiten des Deutschen werden dabei schon mal mit einem Kaufhaus verglichen. Sicks munterer Sprachstil baut zudem nützliche wie gleichsam komische Eselsbrücken: Pferde zäumt man nicht von hinten auf, und mehrteilige Attribute wie „weit reichend“ steigert man nicht von hinten. Es schreibt hier ein Sprachliebhaber, dem bei „Ich erinnere das nicht“ die Ohren schmerzen, der aber nicht lauthals gegen Anglizismen und Unterwanderung der deutschen Sprache durch englische Grammatik kämpft, sondern ironisch sagt, „es kann nur nicht schaden zu wissen, wie es auf Deutsch eigentlich heißt oder geheißen hat“.

Nicht allein der Kolumnenstil macht das Buch so spannend, sondern daß es sprachliche Ausrutscher auf allen gesellschaftlichen Ebenen entlarvt. Werbetexter und Wirtschaftsleute trieben es zu arg mit Formulierungen „wie Abenteuer pur“ und „fi nanziell optimalste Lösung“. Journalisten griffen nicht nur bei Übersetzungen oft stilistisch daneben, sondern auch beim sprachlichen Umgang mit Katastrophen. Die beamten- und politikertypische Vorliebe zur Substantivierung sei nicht schon Sprachverunglimpfung genug, sondern ziehe auch Formulierungen

wie „schrittweiser Sozialabbau“ mit sich, die (nicht nur) rein sprachlich nicht korrekt sind.

Trotz seiner Spannweite geht das Buch bei Klärung des jeweiligen grammatischen Hintergrundes erstaun-lich tief ins Detail, ohne auch nur ein einziges Mal vom unterhaltsamen Stil abzurücken. Und dank der einigen Kolumnen angehängten Tabellen und des kleinen Zwiebelfi sch-ABCs am Ende des Buches kann der Leser auch immer wieder bei Zweifelsfragen nachschlagen, wann er von einem „Streit um etwas“ oder „über etwas“ sprechen kann, wo der Unterschied zwischen „aus Kuba“ und „von Kuba“ liegt und warum es Mordsspaß, aber nicht Mordsfall heißt.

Schade nur, daß die falschen Ausdrücke nicht nur in Beispielsätzen, sondern auch in den Erläuterungen auftauchen. So muß man befürchten, sich die grammatisch oder stilistisch falschen Ausdrücke gar noch zu merken. Aber vielleicht besteht diese Gefahr nur, wenn man das Buch längere Zeit nicht aus der Hand nimmt. Denn das wird mit diesem Buch sehr leicht passieren. „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ ist so spannend wie ein Krimi. Und Bastian Sick ist wirklich ein guter Detektiv im Auftrag der deutschen Sprache.

Kirsten Frielinghaus

Habe ich mich erschreckt oder erschrocken?

kritik

26 ß Bücher

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

interview

„Herr Langenscheidt und Frau Duden sind meine wichtigsten Kollegen“Fünf Fragen an Bastian Sick, Autor der Kolumne „Zwiebelfisch“ bei SPIEGEL ONLINE und seit Januar 2005 Mitglied des VDS

Bastian Sick

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Bücher ß 27

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

Sprachnachrichten: Hermann Dieter und

Gerd Schrammen, wie ist das Buch „Reden

und Widerreden – Argumente für die

deutsche Sprache“ entstanden?

Dieter: Ich erkannte den Bedarf für diese Argumente-Sammlung während vieler Stunden an zugigen und sonnigen Infoständen, durch Gespräche mit Freunden, Kollegen, Bekannten, Ver-wandten, Mitstreitern. Ich wollte mir die tägliche Überzeugungsarbeit erleichtern und beim Argumentieren nicht immer wieder Zeit verlieren.

Schrammen: Unsere Schwesterorganisa-tion in Frankreich, die „Défense de lalangue française“, hat eine Samm-lung von Argumenten zugunsten der Muttersprache und gegen deren Anglisierung herausgebracht. Ich fand, so etwas brauchen wir auch im VDS.

Beide Herausgeber sind Vorstandsmitglieder

des VDS. Enthält das Buch somit die quasi

„amtlichen“ Argumente des Vereins?

Dieter: „Amtliche Argumente“ für die deutsche Sprache in einem formellen Sinne kann es natürlich nicht geben. Das Buch widerlegt aber die gängigsten Vorurteile gegen unsere sprachpolitische Arbeit. Es schützt insbesondere vor argumentatorischen Fallen, in die uns

gewisse Debattierer immer wieder gerne hineinstolpern sähen. Es beleuchtet aber auch tiefergehende Aspekte unseres Anliegens, die in der Hektik des täglichen Sprachkampfes gerne vergessen werden. Hierzu gehört z. B. die menschliche Hybris, zu glauben, durch Einsprachigkeit werde die Welt endlich technisch beherrschbar und dadurch einfacher. Diese Hybris ist schon in Babylon gescheitert. Ob unser Werkchen auf seine Art abschließenden oder „amtlichen“ Charakter hat, muß sich durch seinen Gebrauch zeigen.

Wie kam es gerade zu dieser Auswahl?

Dieter: Jedes der 53 Vorurteile ist uns im Lauf der letzten Jahre entweder in persönlichen Gesprächen, in schriftlichen Unterlagen (Interviews, Glossen, Hintergrundberichte), in Rundfunk- und Fernsehsendungen über den Weg gelaufen oder zu Ohren gekommen. Sie sind alle aus dem praktischen Leben gegriffen, keines davon wurde von uns „erfunden“ oder extra ausgewählt.

An wen richtet sich der Titel?

Dieter: Zielgruppe des Bändchens sind vor allem VDS-Mitglieder, die noch nicht alle Gründe kennen, aus denen sie

dem VDS zunächst vor allem spontan beigetreten sind. Desweiteren hoffen wir, auch solche Menschen zu erreichen, die zwar schon mit dem VDS sympathisieren, aber noch nicht sicher sind, ob er das richtige will, weil sie eben manchmal noch gewisse (aber nicht immer gleich alle 53) Vorurteile gegen jede Art von Politik für unsere schöne Sprache haben.

Haben denn die VDS-Aktiven ein solches

Buch nötig?

Schrammen: Ich glaube schon. Daß wir Englisch und Denglisch in Deutschland nicht brauchen, dafür gibt es eine große Zahl von Begründungen. In öffentlichen Diskussionen, am Infostand in der Fußgängerzone, für Vorträge oder bei Medienauftritten müssen wir sie aber kurz, knapp und griffig formuliert vortragen können. Wir müssen die wichtigsten Begriffe und Schlagwörter zur Hand haben. Dafür sind unsere „Argumente“ eine gute Hilfe.

Was sagen Sie zu Aktiven, die lieber aus dem

Bauch heraus argumentieren?

Schrammen: Das darf auch sein. Das alberne Denglisch macht böse und erzeugt Leidenschaften. Schimpfen und hin und wieder eine Grobheit gegen

die denglischsüchtigen Schwätzer in Deutschland – das ist in Ordnung. Aber dabei kommt man leicht ins Stottern. Unsere Proteste sind wirksamer, wenn wir sie mit kühlem Kopf vortragen und kluge und durchdachte Argumente benutzen.

Und wenn jemand ganz anderer Meinung

ist?

Dieter: Ich habe bisher noch alle, die zunächst „voll dagegen“ waren, an irgendeiner Stelle argumentativ zu fassen bekommen und auf diese Weise in ein spannendes Gespräch verwickeln können. Selbst wenn daraus nicht sofort eine sprachpolitische Liebeserklärung wurde, blieb doch immer Nachdenklichkeit. Leute, die grundsätzlich immer anderer Meinung sind und gar nicht argumentieren wollen, erkennt man sehr rasch. Zum Glück sind es nicht viele. Die lasse ich immer gleich wieder laufen.

Wem diese Informationen nicht ausreichen,

welche weiteren Titel empfehlen Sie als

Lesestoff?

Dieter: Als weiterführende Lektüre empfehle ich zur Zeit natürlich „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ von Bastian Sick. Auch auf Walter Krämers „Modern talking auf Deutsch“ weise ich häufi g hin, vor allem bei Leuten, die sich Fragen des sprachlichen Ausdrucks nicht unbedingt analytisch, sondern lieber ironisch nähern wollen. Um schließlich einen Gesprächspartner auf den Weg einer ernsthaften Liebe zur deutschen Sprache zu führen, ist „Von der Schönheit unserer Sprache“ von Gudrun Luh-Hardegg die erste Wahl.

Hermann Dieter und Gerd Schrammen über ihre „Reden und Widerreden – Argumente für die deutsche Sprache“

Nicht stottern beim Schimpfensammlung

Eine lose Reihe über die kurze Halbwertszeit

von Anglizismen. Von Reiner Pogarell

Meeting

Das Wort Meeting begegnete uns in Deutschland zuerst als Randerscheinung der 68er-Studentenbewegung. Wenn die rebellierenden Studenten sich öffentlich trafen, nannten sie dieses Treffen nicht Treffen, sondern Meeting. So wollte man sich vom verstaubten Establishment

unterscheiden. Insofern war das Meeting immer eine Protestveranstaltung. Inden achtziger Jahren stand die Studentenbewegung für Fortschritt und Modernität. Die ersten akademischen Revolutionäre hatten hübsche Posten in Wirtschaft und Verwaltung gefunden. Auch diejenigen, die nicht rebelliert, sondern nur studiert hatten, waren nun in AT und Brot. Etwas beschämt waren sie schon, weil sie weder auf den Barrikaden gestanden hatten noch irgendwie die Diktatur des Proletariats

auf ihr Bestreben hin verwirklicht sahen. Also verwendeten sie zumindest das aus der 68er-Bewegung, was weder nach Stammheim noch nach Moskau führte. Das waren halt die Wörter. Das Meeting

war immer sehr spannend gewesen, es hatte hohen Unterhaltungswert. Und so wurden bald keine Sitzungen, sondern nur noch Meetings abgehalten. Dann nannte man auch die Konferenzen erst gelegentlich, schließlich immer Meeting. Den Besprechungen ging es nicht besser. Und wenn sich heute zwei oder drei unter irgendeinem Vorwand von der Arbeit entfernen, dann halten sie ein Meeting

ab. Wird trotzdem jemand mißtrauisch, legen sie zur Rechtfertigung für ihr Plauderstündchen einige Folien auf. Meeting heißt heute nichts mehr, das Wort hat keine nennenswerte Bedeutung mehr. Wer also nun einige Menschen zu einem betrieblich sinnvollen Zusammensein beruft, sollte sich vorher überlegen, ob er zu einer Besprechung, einer Sitzung, einer Diskussionsrunde, einer Werkstatt oder einer Konferenz lädt.

Outsourcen

Als der Anglizismus Ende der achtziger Jahre in Deutschland eingeführt wurde, stand er nicht nur für das, was er eigentlich bedeutet, sondern wurde sehr gerne als Beschönigung für Personalabbau und Rausschmiß verwendet. Es hörte sich halt irgendwie netter an, wenn man Leute vor die Tür setzen wollte. Noch heute bieten Personalberatungen sogenannte Outsourcingprogramme an, die nichts anderes als einen abgefederten Personalabbau beinhalten. Natürlich konnte dies das Wort nicht unbeschadet überleben. Outsourcing

heißt für den normalen Mitarbeiter nur Rausschmiß, sonst nichts. Das deutsche Wort ‚Ausgründung‘ blieb zum Glück von dieser Bedeutungsver-schlechterung unberührt, sodaß es ohne Probleme als Ersatz verwendet werden kann. Allerdings nur so lange, wie es nicht doch einmal als Euphemismus für Kündigungen verwendet wird.

termini mortem – ungewollt und ausgedientReden und Widerreden

Argumente für die deutsche Sprache

IFB Verlag 2005, 116 Seiten, 11,20 EuroISBN 3-931263-42-8

Menschen, die sich heute für die Zukunft der deutschen Sprache und die europäische Sprachenvielfalt einsetzen, werden in Gesprächen mit Freunden, Kollegen, Verwandten und Passanten häufig auf Vorurteile und Klischees treffen. Sie sollten sich mit Argumenten wappnen, um auf diese Vorurteile zu reagieren und sie zu entkräften. Dieses Buch hilft Ihnen dabei. Es enthält die gängigen Einwände gegen eine zukunftsgerichtete Sprachpflege und bietet gut durchdachte und treffende Erwiderungen.

Walter Krämer: Modern Talking auf deutsch

Ein populäres Lexikon

Piper Verlag 2000, 262 Seiten, 8,90 EuroISBN 3-492-04211-2

Noch immer gibt es Menschen, die Hamburger für die Bewohner einer deutschen Stadt halten, die der Bikeboom nicht thrillt und die auch sonst jedes Event verschlafen. Heben Sie sich ab von diesen Losern: Walter Krämer dated Sie up! Ob in der Werbung, in den Medien oder in der Alltagssprache: Überall ist das Denglisch auf dem Vormarsch – jenes Kauderwelsch aus englischen Begriffen und deutscher Grammatik. Walter Krämer hat die 1000 wichtigsten Begriffe in alphabetischer Sortierung für den deutschen User aufgearbeitet. Satirisch überspitzt, aber mit durchaus ernstem Hintergrund zeigt Krämer, wie die Sprache systematisch verhunzt wird, wie pseudo-weltläufiges Neusprech sich überall durchsetzt. Wer mitreden will über Handys und Key Accounts, über Floppen und Primetime, wird dieses Buch brauchen.

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28 ß Zu guter Letzt

SPRACHNACHRICHTEN 02 / 2005

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RedaktionsleitungHeiner Schäferhoff (V.i.S.d.P.)

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Gestaltung und SatzMaximilian Kall

GesamtprojektleitungHeiner SchäferhoffAllee 18, 59439 Holzwickede

[email protected]

DruckLensing-Wolff Druck GmbH & Co, Dortmund

Auflage27.000 Exemplare

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redaktionell zu bearbeiten und insbesondere zu kürzen.

Wir verwenden die traditionelle Rechtschreibung.

Schlußtermin für Anzeigen und redaktionelle Beiträge: 15. Mai 2005.impressum

Welches ist der wichtigste Kontinent der Welt? Europa natürlich, ist ja klar. Nimmt man eine gesunde Mischung aus Geschichtsträchtigkeit, Wirtschaftskraft, kultureller Dichte und religiösem Wahn, kann man zu keinem anderen Ergebnis kommen.

Welches aber ist die wichtigste Sprache Europas? Deutsch natürlich: Wird von etwa 95 Millionen Menschen muttersprachlich gesprochen, wobei die Siebenbürgen und die Donauschwaben bestimmt nicht mitgezählt sind. Von den Wolgadeutschen zu schweigen. Die Folge ist klar: Deutsch ist die wichtigste Sprache der Welt. Deshalb ist auch der VDS so wichtig, aber das nur nebenbei. Englisch ist dabei die am meisten überbewertete Sprache, denn sie wird nur von lausigen 57 Millionen in Europa gesprochen und ist entsetzlich simpel. („Ich gehe, du gehe, er/sie/es geht, wir gehe, ihr gehe, sie gehe“.) Und außerdem ist’s auch nur anglophones Sächsisch. Quasi eine Mundart von Deutsch, mit ein bis zwei

Lautverschiebungen, wofür sie immerhin 300 Jahre gebraucht haben.

Neben seiner eurozentristischen Wichtigkeit ist Deutsch auch noch die zehnthäufi gst in der Welt gesprochene Sprache. Aber diese rein mengenmäßige Betrachtung kann nicht die entscheidende sein, denn was bringt es uns schon, zu sagen, daß das größte Land zum Beispiel Rußland ist, wenn wir nach der Wichtigkeit eines Landes sehen? Chinesisch wird am häufi gsten gesprochen, von 800 Millionen Menschen, gefolgt von Hindi mit der Hälfte. Immerhin, selbst wir kennen vier chinesische Wörter: Ginseng, Ketchup, Tee und Taifun. Auf den weiteren Plätzen folgen Spanisch und Englisch, Russisch, Arabisch, Bengalisch (!), Portugiesisch und Japanisch. Und dann kommt auf Platz 10 schon Deutsch! Gleich hier!

Und weil ich ja nun damit schon verraten habe, welche die wichtigste Sprache der Welt ist – Sprache des weltweiten Sport- und Exportweltmeisters, jawohl! –,

kann ich auch gleich vollkommen offen sein: Ich will Ihnen auch noch sagen, welches die wichtigste Stadt in der Welt ist, zumindest geistig-kulturell. Das ist ganz klar ... Weimar, natürlich. Glauben Sie nicht? Es wird jedem sofort einleuchten, der auch nur ein wenig darüber nachdenkt! Weimar ist – vor allem – geistig und kulturell das Zentrum Thüringens. Aber es liegt auch geographisch mittig in Thüringen. Kurz, es ist das Herz Thüringens. Thüringen ist wiederum geistig und kulturell das Zentrum Deutschlands. Und sportlich: Bei der letzen Winterolympiade holte Thüringen mehr Medaillen als Rußland! In jedem Fall und anerkanntermaßen ist Thüringen das (grüne) Herz Deutschlands. Aber auch geographisch liegt es mittendrin. Es gibt hier nicht nur den kartographischen Mittelpunkt Deutschlands, und das gleich zwei- bis dreimal: bei Silberhausen, bei Niederdorla und bei Berka auf dem Felde; sondern auch noch den Mittelpunkt der Erde (bei Stadtroda) und zudem – Wunder, oh Wunder! – ein paar Meter nebenan im heutigen Sachsen – anno dunnemals aber Thüringen! –, die ein Stück aus der Tiefe hervorlugende Erdachse, um die die Welt sich dreht (in Pausa). Das ist ungelogen so, und jeder kann sich davon überzeugen, wenn er nur will und hinfährt. Näheres beim Autor!

Deutschland aber, und das wird jeder anständige Deutsche bestätigen können, ist zweifellos das Zentrum Europas, nicht nur geistig-kulturell (allein schon seiner Sprache halber, die Deutsch ist), sondern auch wirtschaftlich. Jawohl. Sagen wir es offen! Brust raus, strammgestanden! Was soll die falsche Bescheidenheit! Deutschland ist mithin das Herz Europas. Und auch geographisch liegt es in der

Mitte! Wissen wir ja alle. (Ich will nur auf den Mittelpunkt des Alls in Schwaben hinweisen.) Zur Literatur: In Umfragen zwischen Italienern, Franzosen, Spaniern, Engländern und Deutschen liegen folgende literarische Persönlichkeiten als die bekanntesten der Geschichte überhaupt (!) vorn, in dieser Reihenfolge: Shakespeare, Goethe, Dante, Cervantes, Kafka, Thomas Mann. Obwohl die Deutschen in dieser Befragung ihre eigenen Leute nicht nennen durften, sind also noch klar zwei Deutsche und ein Halbdeutscher unter den ersten sechs. Und die Sache mit Shakespeare, der er ja vermutlich gar nicht war, ist sowieso fraglich ... (Davon, daß für die meisten Menschen auf der Welt ausgerechnet ein gewisser A. H. der bekannteste Deutsche ist, sage ich nichts.) Und mit welcher Stadt nun ist Goethe am meisten verknüpft, na? Na? Siehe oben!

Weimar ist das Herz der Welt

Doch zurück zum Eigentlichen, was alle Beteiligten dieser Umfrage sowie die Finnen sofort bestätigen würden: Europa ist quasi das Zentrum der Welt (siehe auch oben), nicht nur geistig-kulturell, sondern auch wirtschaftlich; aber auch geographisch liegt es mittendrin. Mindestens auf unseren Landkarten. Nennen wir es also ruhig das Herz der Welt. Oh du gesegnetes Abendland, schöne Alte Welt, Wiege der Zivilisation! Wenn also Weimar das Herz Thüringens, Thüringen das Herz Deutschlands, Deutschland das Herz Europas, Europa das Herz der Welt – dann ist jedem klar, daß Weimar das Herz der Welt ist. Logisch. Übrigens, das möchte ich hier nur ganz am Rande erwähnen, die Stadt, aus der ich komme, wurde in diesem Text oft genannt.

Der Erde germanischer Mittelpunkt Todernste Betrachtung eines hartgesottenen (Lokal-) Patrioten zu Deutsch und Deutschland. Von Tobias Mindner

weimar