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©Priv.-Doz'in Dr. Elisabeth Burr Fakultät 2 / Romanistik Gerhard-Mercator-Universität Duisburg
Sprachbetrachtung und Medienrevolutionen
6. DER BUCHDRUCK
Wer genau den Buchdruck in Europa erfunden hat, darüber gehen die Meinun-
gen auseinander: Gutenberg und seine Mitarbeiter aus Mainz, Prokop Waldvo-
gel aus Prag, der in Avignon die Kunst des künstlichen Schreibens lehrte, oder
Laurens Coster aus Haarlem, wie es in der 11. Ausgabe (1910-11) der Ency-
clopædia Britannica stand (cf. ), oder irgendein Unbekannter. Sicher ist allerdings, dass in China das
Drucken mit beweglichen Lettern schon lange bevor das erste Buch in Europa
gedruckt wurde, bekannt war. Deshalb hier zunächst einige Informationen zu
China.
6.1 Vor langer Zeit in China
Schriftzeichen auf Knochen, Bronzen, Keramik und Steinen belegen die Ver-
wendung von Schrift in China schon für das 5. Jahrtausend vor Christus. In
größerer Menge reproduzierbar wurde Schrift, als den Chinesen vor rund 2200
Jahren die Erfindung des Papiers gelang. Es bestand anfangs noch aus Hanffa-
sern, dann aus Seidenlumpen oder Maulbeerrinde und ähnlich exotischen
Grundstoffen. Aber es funktionierte: Plötzlich standen große Schreibflächen
zur Verfügung, die leicht produziert werden konnten.
Bald stellte sich entsprechend die Frage auch nach der Reproduzierbarkeit
der Schriftzeichen. Als Vorform des Druckens gelten heute chinesische Abrei-
bungen und Abklatsche von Steininschriften, die eine gezielte Verbreitung von
Texten ermöglichten. Im 2. Jahrhundert nach Christus, als etwa zur gleichen
Zeit in der westlichen Welt der römische Kaiser Marc Aurel seine philosophi-
schen Gedanken auf Papyrusrollen festhielt und für die Vervielfältigung auf
Schreiber angewiesen war, schnitt man in China seit dem Jahr 175 unserer
1
http://www.uni-duisburg.de/FB3/ROMANISTIK/PERSONAL/Burr/http://www.gutenberg.de/erfindu2.htm
Zeitrechnung über acht Jahre hinweg die Hauptwerke der klassischen chinesi-
schen Literatur in Steinplatten. Davon wurden Tausende Kopien in Form von
Abklatschen hergestellt: Man drückte befeuchtetes Papier so auf die Inschrif-
tensteine, dass beim Bürsten des Papiers mit Tusche die eingeschnittenen
Schriftzeichen sich weiß vom sonst geschwärzten Papier abhoben.
Die nächste Stufe erreichte man mit dem sogenannten Holztafeldruck im 7.
Jahrhundert: Jedes Zeichen wurde seitenverkehrt in einen Holzstock geschnit-
ten, indem man alles umgebende Holz entfernte. So entstanden erhabene Li-
nien, die entsprechend eingefärbt und auf Papier abgerieben, in positiver Ges-
talt den gewünschten Text abfärbten.
Dieses - technisch betrachtet - Hochdruckverfahren blieb über Jahrhunderte
in China die Drucktechnik für religiöse und profane Bücher, für Spielkarten,
Kalender, Papiergeld und Bilderdrucke. Das ausgeklügelte chinesische Ver-
waltungs- und Bildungssystem der Song-Dynastie (960 - 1269) bewirkte eine
Blütezeit des Buchdrucks. Es entstanden Enzyklopädien, Handbücher und Lite-
ratursammlungen aller Art. Noch am Ende des 19. Jahrhunderts bediente man
sich in China des Buchdrucks von Holzdruckstöcken.
Doch schon um 1040, als in Europa Wilhelm der Eroberer noch seine Kin-
dertage in der Normandie verbrachte, experimentiert ein Chinese namens Bi
Sheng mit beweglichen, einzeln hergestellten Druckstempeln aus Keramik. Er
ordnete sie auf einer Eisenform zu ganzen Texten an und fixierte sie mit einer
Schicht Wachs und Harz. Dann wurde gedruckt. Wollte man die Zeichen er-
neut verwenden, erhitzte man die Eisenplatte, bis schmelzendes Wachs und
Harz die Formen wieder freigaben. 300 Jahre später tauchten die ersten Lettern
aus Holz auf.
Von da war es nur noch ein kleiner Schritt, die einzelnen Holzlettern gleich
groß herzustellen, um sie immer in genormten Blöcken zusammensetzen zu
können. Der Gebrauch von hölzernen Lettern verbreitete sich dann von China
aus bis nach Turkistan. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts werden so-
wohl in China als auch in Korea Lettern aus Kupfer, Blei oder Messing perfek-
tioniert und verbreiten sich weit.
2
Aber das Drucken mit beweglichen Lettern hat sich in China bis zum Aus-
gang des 19. Jahrhunderts nie wirklich durchsetzen können. Der Grund lag auf
der Hand: Das traditionelle Drucken mit ganzen Holzplatten erforderte zwar
enormen Stapelplatz, aber die Abertausende chinesischer Schriftzeichen ver-
hinderten eine einfache und vor allem schnelle Zusammenstellung von Druck-
platten aus beweglichen Lettern. (cf. für den obigen Teil .
Ob es von China eine Verbindung zur Erfindung Gutenbergs gibt, ist nicht
klar. Es ist aber zweifelhaft, dass es sich bei dem Buchdruck mit beweglichen
Lettern um eine europäische Erfindung handelt und dass nicht die Reisenden,
von denen einige nach China reisten und wieder zurück, den Buchdruck mit
beweglichen Lettern mitbrachten. (cf. Gutenberg.de u. Braudel 1982: 368-369).
6.2 Das 15. Jahrhundert
Das 15. Jahrhundert markiert den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Auf
nahezu allen Gebieten des menschlichen Zusammenlebens vollzogen sich tief-
greifende Veränderungen. Gefahrvolle, lange Entdeckungsreisen der Spanier
und Portugiesen zur See erschlossen neue Welten, während in Europa, in der
Alten Welt, das politische Mächtegleichgewicht vollständig umgestaltet wurde.
Technische Innovation, eine deutliche Zunahme der Schriftlichkeit auch au-
ßerhalb klösterlicher Mauern, kirchliche Reformbestrebungen, eine erste Blüte
humanistischen Gedankengutes und neue Wege in den bildenden Künsten prä-
gen ebenso wie furchtbare Inquisitionsprozesse und zahlreiche, andauernde
Kriege auf dem ganzen Kontinent dieses an Widersprüchen so reiche Jahrhun-
dert Johannes Gutenbergs (cf. )
3
http://www.gutenberg.de/zeit.htm
6.3 Wichtige Ereignisse im 15. Jahrhundert
Wichtige Ereignisse im 15. Jahrhundert sind
1400 Geoffrey Chaucer (Dichter der Canterbury Tales) gestorben.
1402 Jan Hus wird Rektor der Prager Universität
1408-1416 Les Très Riches Heures der Brüder Limburg für den Duc de
Berry
1409 Le donait françois von John Barton, erste französische Franzö-
sischgrammatik,
1415 Wiederaufnahme des 100jährigen Krieges zwischen England
und Frankreich. Französische Niederlage in der Schlacht bei
Azincourt. Verbrennung des Jan Hus auf dem Konstanzer Kon-
zil
1418 Erster datierter Holzschnitt in Europa (Brüsseler Madonna)
Ende des großen Papstschismas
1419-1436 Hussitenkriege
1417-1435 Der italienische Humanist Leonardi Bruni übersetzt die Politik
des Aristoteles ins Italienische
1427-52 Die Azoren gelangen in portugiesischen Besitz
1431 Inquisitionsprozess und Hinrichtung der Jeanne d'Arc, der Jung-
frau von Orleans, in Rouen
1431-65 François Villon (Französischer Balladendichter)
1434 Cosimo de Medici erringt die Stadtherrschaft in Florenz.
Vollendung der Florentiner Domkuppel durch Filippo Brunelle-
schi
1436 Ende des Hundertjährigen Krieges zwischen England und
Frankreich. Erste portugiesische Niederlassungen an der afrika-
nischen Westüste
4
http://www.gutenberg.de/zeitleis.htm
1438 - 1441 Grammatichetta von Leon Battista Alberti, in Libri di famiglia,
erste italienische Italienischgrammatik
1440 Friedrich III. deutscher König
1441 Beginn des portugiesischen Sklavenhandels
1444/45 Raubzüge der Armagnaken Feuerwaffen und Söldnerheere be-
stimmen immer stärker die europäischen Kriegsschauplätze
1444 Cosimo de Medici gründet die Biblioteca Medicea Laurenziana
in Florenz
1444-46 Prokop Waldvogel lehrt in Avignon die Kunst des künstlichen
Schreibens
1446 Ältester datierter Kupferstich (Berliner Passion)
1444-1448 Konzil von Basel
1447-1455 Papst Nikolaus V., Stifter der Biblioteca Vaticana
1450 Der frühere Söldnerführer Francesco Sforza wird Herzog von
Mailand
1452 Kaiserkrönung Friedrichs III. in Rom. Leonardo da Vinci und
Savonarola geboren
1452 Leon Battista Alberti: Über die Baukunst
1452-1454/55 Gutenberg druckt in Mainz seine 42-zeilige Bibel in einer Auf-
lage von ca. 180 Exemplaren
1453 Eroberung Konstantinopels durch Mohamed II. (den Großen).
Flucht zahlreicher griechischer Gelehrter nach Italien
1454 Gutenberg druckt in Mainz Ablassbriefe mit deren Erlöß ein
Kreuzzug gegen die Türken finanziert werden soll
1458-1464 Enea Silvio Piccolomini Papst Pius II.
1459 Gründung der Platonischen Akademie in Florenz unter Cosimo
de Medici
5
1459 Gründung der Universität Basel
um 1460 Johannes Müller Regiomontanus entwickelt die Dezimalbruch-
rechnung
1462 Mainz verliert die Stadfreiheit und wird erzbischöfliche Stadt
1466 Erste deutsche Bibel in Straßburg bei Johannes Mentelin ge-
druckt
1467 Arnold Pannartz und Konrad Sweynheym begründen in Subiaco
die erste Druckerei in Italien
1468 Johannes Gutenberg stirbt am 3. Februar in Mainz
1469 Erasmus von Rotterdam und Macchiavelli geboren
1471 Portugiesen überqueren erstmals den Äquator
1473 Baubeginn der Sixtinischen Kapelle in Rom.
1474 Botticelli: Der Frühling. Michelangelo geboren
1481 Einführung der Inquisition in Spanien durch Thomas de Torque-
mada
1483 Geburt Martin Luthers. Geburt Raffaels
1491 Ignatius von Loyola geboren
1492 Entdeckung Amerikas. Erster Weltglobus des Martin Behaim in
Nürnberg. Einnahme Granadas beendet die spanische Recon-
quista; Gramática de la lengua castellana von Antonio de
Nebrija, erste spanische Spanischgrammatik und erste gedruckte
Grammatik einer romanischen Sprache, Vertreibung der Juden
aus Spanien. Leonardo da Vinci zeichnet eine Flugmaschine.
1493 Friedrich III. stirbt; Maximilian I. von Habsburg ("Der letzte
Ritter"), seit 1486 deutscher König, tritt seine Nachfolge an.
Aufteilung der Neuen Welt zwischen Spanien und Portugal
durch Schiedsspruch Papst Alexanders VI.
6
1494 Sturz der Medici in Florenz. Erstes Auftreten der Syphilis in Eu-
ropa.
1497 Leonardo da Vinci: Das Abendmahl
1497/98 Giovanni Caboto landet in englischem Auftrag in Nordamerika
1498 Vasco da Gama umsegelt das Kap der Guten Hoffnung und er-
reicht Indien auf dem Seeweg. Holzschnittzyklus Apokalypse
Albrecht Dürers. Hinrichtung Savonarolas
1499 Schweizer Eidgenossen lösen sich im sog. Schwabenkrieg vom
deutschen Reich. Die Fugger kontrollieren den europäischen
Kupfermarkt; ihr Vermögen hat sich in zwanzig Jahren verzehn-
facht.
1500 Geburt Karls V. Der portugiesische Seefahrer Pedro Caba landet
in Brasilien
(cf. , hier gekürzt und integriert mit
Daten zu Grammatiken)
6.4 Johann Gensfleisch zu Gutenberg
Um 1400 Johann Gensfleisch wird in Mainz im Hof zum Gutenberg gebo-
ren und wohl am 24. Juni (Johannistag) in der Pfarrkirche St.
Christoph getauft.
Um 1419 Gutenbergs Vater, Friele Gensfleisch, stirbt in Mainz. Im
folgenden Jahr müssen sich Gutenberg und seine Geschwister
mit ihrer Stiefschwester Patze wegen des Erbteils des gemein-
samen Vaters vor Gericht auseinandersetzen.
1419/20 Die Erfurter Universitätsmatrikel verzeichnet für das Winterse-
mester 1419/20 einen Johannes de Altavilla, bei dem es sich um
Johannes Gutenberg handeln könnte, ohne dass dies mit letzter
Sicherheit zu klären ist.
7
http://www.gutenberg.de/zeigutb.htm
Um 1428 In Mainz kommt es u.a. wegen der desolaten finanziellen Lage
der Stadt wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen den po-
litisch regierenden Familien, die jeweils von den Patriziern der
Stadt oder aber den Handwerkerzünften unterstützt werden. Aus
Protest gegen die Steuerforderungen des überwiegend aus Ver-
tretern der Zünfte bestehenden Rates verlassen zahlreiche Mit-
glieder der traditionellen Führungsschicht, d.h. der patrizischen
Familien, die Stadt, darunter auch Gutenberg und die Familie
Gensfleisch.
1429-1434 Der genaue Aufenthalt Gutenbergs für diese Jahre ist ungewiss.
1433 Gutenbergs Mutter, Else Wirich, stirbt in Mainz; ihr Nachlass
wird unter die drei Kinder Friele, Else und Henne (Johannes)
Gensfleisch aufgeteilt.
1434 Erste urkundliche Erwähnung für Gutenbergs langjährigen Auf-
enthalt in Straßburg (1434-1444). In dem Dokument erfahren
wir, dass Gutenberg den Mainzer Stadtschreiber Nikolaus von
Wörrstadt zu Straßburg in Schuldhaft setzen ließ, um 310 Gul-
den rückständiger Rentenzahlungen von dem Rat der Stadt
Mainz zu erzwingen.
1436/37 Gutenberg wird von der Straßburger Bürgerstochter Ennelin von
der Isern Türe wegen eines nichteingehaltenen Eheversprechens
vor dem geistlichen Gericht in Straßburg angeklagt. Ob Guten-
berg Ennelin daraufhin geheiratet hat, ist ebenso wie der Aus-
gang des Gerichtsverfahrens nicht überliefert. Im Verlauf des
Prozesses bezeichnet Gutenberg Niklaus Schott, einen Zeugen
der Ennelin, als armen, notdürftigen Menschen, der ein armes
notdürftiges Leben mit Lügen und Trügen führt. Gutenberg wird
darauf von Niklaus Schott wegen Beleidigung verklagt und zu
einer Zahlung von 15 Gulden verurteilt.
8
1436-1444 In den Einträgen des Straßburger Helbeling-Zollbuches, eines
Weinungeld- bzw. -steuerregisters, erscheint Gutenberg zu-
nächst unter den Halbkonstofelern, d.h.den nicht ganz vollwerti-
gen Mitgliedern der patrizischen Vereinigung der Konstofeler,
daneben aber auch als Halbmitglied der Goldschmiedezunft so-
wie in der Liste derjenigen, die gar keiner Zunft angehören. In
einer Aufgebotsliste der Stadt für den Kriegsfall ist Gutenberg
dagegen für das Jahr 1443/44 in der Gruppe der Patrizier bzw.
der Konstofeler mit einem halben Pferd als zu leistendem Ver-
teidigungsbeitrag verzeichnet. Sein sozialer Status während der
Straßburger Zeit bleibt somit unklar, entsprach aber wohl dem
eines sog. Freimeisters.
1439 Gutenberg muss sich 1439 in einem Prozeß vor dem Straßburger
Rat verantworten. Die Protokolle des Verfahrens, darunter um-
fangreiche Zeugenaussagen, sind die maßgeblichen Quellen zu
Gutenbergs geschäftlichen, künstlerischen und handwerklichen
Aktivitäten in Straßburg. Sie berichten über eine Lehr- und
Werkgemeinschaft Gutenbergs mit verschiedenen Straßburger
Bürgern, u.a. Andreas Dritzehn, zur Herstellung von sog. Wall-
fahrtsspiegeln für die große Aachener Wallfahrt, erwähnen aber
auch eine zweite Geschäftsgesellschaft sowie eine geheime
Kunst Gutenbergs, welche die Teilhaber streng zu wahren hat-
ten. Da im Zusammenhang mit diesem Geschäftsgeheimnis auch
von einer Presse sowie von Material, das zu dem trucken gehö-
ret, gesprochen wird, darf man aller Wahrscheinlichkeit nach
annehmen, daß Gutenberg schon in Straßburg verschiedene
Elemente seiner Erfindung in die Praxis umgesetzt und bereits
erste Druckversuche durchgeführt hat.
1441/1442 Im Zusammenhang mit einem Darlehen über 100 Pfund Straß-
burger Denare, welche der Edelknecht Johann Karle von dem
Straßburger St. Thomas-Stift geliehen hat, tritt Gutenberg als
9
wohlhabender Bürge auf. Nur ein Jahr später nimmt Gutenberg
selbst ein Darlehen über 80 Pfund derselben Währung von dem
St. Thomas-Stift auf, das er aber bis zu seinem Lebensende nicht
zurückzahlen kann und aus diesem Grunde mehrfach gerichtlich
belangt wird, u.a. auch von dem kaiserlichen Hofgericht in Rott-
weil.
1444 - 1448 Für diesen Zeitraum sind über Gutenbergs Aufenthalt und seine
Aktivitäten keine Nachrichten erhalten.
1448 Gutenberg ist wieder nach Mainz zurückgekehrt und nimmt auf
Vermittlung seines Verwandten Arnold Gelthuß 150 Gulden
Darlehen zu 5% Zinsen auf, die er wahrscheinlich zur weiteren
Vervollkommnung seiner Erfindung einsetzt.
Vor 1450 Gutenberg druckt ein Gedicht vom Weltgericht in deutscher
Sprache nach einem um 1360 in Thüringen verfassten Sibyllen-
buch. Der wohl früheste Gutenberg zugeschriebene Druck ist
nur in einem kleinen Fragment erhalten, dessen Druckort und
Erscheinungsjahr bislang nicht eindeutig geklärt werden konn-
ten.
1450-1452 Der Mainzer Advokat Johannes Fust leiht Gutenberg zunächst
eine Summe von 800 Gulden für Gutenbergs kostspieliges Pro-
jekt, das neben dem Aufbau einer Druckerwerkstatt auch für die
Einstellung lohnabhängiger Gehilfen beträchtliche Geldsummen
erfordert. Wohl bereits im Jahre 1452 beteiligt sich Fust mit ei-
ner weiteren Zahlung von 800 Gulden als Teilhaber an dem ge-
meinschaftlichen Unternehmen, oder, wie es in den Quellen
heisst, dem Werk der Bücher.
1452-1454 Druck der 42-zeiligen Bibel in lateinischer Sprache in einer ge-
schätzten Auflage von ca. 180 Stück, davon ca. 30 auf Perga-
ment. Erste Exemplare werden in Form von ungebunden ge-
druckten Faszikeln bereits im Herbst 1454 während des Frank-
10
furter Reichsstages von einem "wundersamen Mann" (vir mira-
bilis) zum Verkauf angeboten, bei dem es sich womöglich um
Gutenberg selbst gehandelt hat.
1454/55 In der Werkstatt Gutenbergs werden die 30- bzw. 31-zeiligen
sog. "zyprischen Ablassbriefe" gedruckt, deren Erlös Papst Ca-
lixt III. zur Finanzierung eines Kreuzzuges gegen die Türken auf
Zypern verwenden möchte.
1455 Über den von Fust gegen Gutenberg wegen der ausbleibenden
Zins- und Geldrückzahlungen angestrengten Prozess informiert
uns ein nach dem Notar Ulrich Helmasperger benanntes Doku-
ment, das sog. Helmaspergersche Notariatsinstrument vom
6.11.1455. Wenngleich nur ein vereinzeltes Aktenstück aus dem
gesamten Prozeß, stellt es unsere wichtigste Quelle über Guten-
bergs geschäftlichen Verbindungen zu Fust und den Druck der
42-zeiligen Bibel dar. In dem Prozess, dessen Ausgang nicht
eindeutig überliefert ist, verliert Gutenberg wahrscheinlich den
gesamten Bibeldruck sowie große Teile seiner Druckerwerk-
statt.
1457 In der Druckerwerkstatt Fust-Schöffer wird der Mainzer Psalter
als erstes Beispiel eines Dreifarbendrucks vollendet. Eine
zweite, textlich allerdings stark veränderte Ausgabe erscheint im
Jahre 1459.
1462 Im Zuge des Streits zwischen den beiden konkurrierenden Main-
zer Erzbischöfen erobert der vom Papst favorisierte Kandidat
Adolf von Nassau in der Nacht zum 29. Oktober im Straßen-
kampf die Stadt, die darauf geplündert und zum Teil zerstört
wird. Zahlreiche Familien werden für längere Zeit aus Mainz
verbannt, ihre Höfe an die Parteigänger Adolfs von Nassau ver-
geben. Auch der Hof zum Gutenberg wechselte in diesen Jahren
den Besitzer, was vermuten lässt, dass Johannes Gutenberg
ebenfalls zu den Verlierern und Geschädigten der Mainzer
11
Stiftsfehde zählte. So sind auch verschiedene Verwandte Guten-
bergs in diesen Jahren in dem nahegelegen Frankfurt im Exil
nachgewiesen.
1465 Der Mainzer Erzbischof Adolf von Nassau nimmt Johannes Gu-
tenberg zu seinem Hofmann an und gewährt ihm bis an sein Le-
bensende neben großzügigen Wein- , Getreide- und Kleider-
spenden die Freiheit von den Steuern und Diensten, welche die
Bürger der Stadt dem Kurfürsten üblicherweise zu leisten haben.
Die Hintergründe dieser Auszeichnung konnten bislang nicht
geklärt werden.
1468 Am 3. Februar 1468 stirbt Johannes Gutenberg im Hof zum Al-
gesheimer und wird in der Franziskanerkirche zu Mainz (nieder-
gelegt 1742) bestattet. Noch in demselben Monat erhält der frü-
here Stadtsyndikus Dr. Konrad Humery verschiedene Druckge-
räte, welche Gutenberg von Humery zuvor geliehen hatte, mit
der ausdrücklichen Auflage, diese nur innerhalb der Stadt Mainz
zu verwenden (cf. )
6.5 Die Erfindung
Gedruckt wurde schon vor Gutenberg per Holzdruck. Hierbei wurde Papier auf
den bearbeiteten und mit Farbe versehenen Holzstock gelegt und abgerieben -
ein aufwendiges und langwieriges Verfahren.
Grundgedanke der Erfindung Gutenbergs war die Zerlegung des Textes in
alle Einzelelemente wie Klein- und Großbuchstaben, Satzzeichen, Ligaturen
und Abkürzungen, wie sie aus der Tradition der mittelalterlichen Schreiber
allgemein üblich waren. Diese Einzelelemente wurden als seitenverkehrte Let-
tern in beliebiger Anzahl gegossen, schließlich zu Wörtern, Zeilen und Seiten
zusammengefügt. Urform oder Prototyp für jeden Buchstaben war der Stempel.
In die Stirnseite eines Stahlstifts wurde das Zeichen geschnitten, so dass
sich ein seitenverkehrtes präzises Relief ergab:
12
http://www.gutenberg.de/erfindun.htm
Stahlstab mit eingravierter Letter
Nun wurde der jeweilige Stempel, die Patrize, in einen rechteckigen Block
aus weicherem Metall, in der Regel wohl Kupfer, "abgeschlagen", d. h. senk-
recht mit dem Schlag eines Hammers eingetieft. Die so erzeugte Matrize
musste nachbearbeitet und begradigt werden, so dass ein rechtwinkliger Kubus
mit geraden Seiten entstand. Das seitenrichtige Bild sollte eine einheitliche
Tiefe haben, weshalb die Oberfläche mit einer Feile bearbeitet wurde. Dies war
die Matrize, die in das Gießinstrument einjustiert werden musste.
Matrize mit eingeschlagenem Buchstaben
(cf. , )
13
Um den Guss einer Letter zu bewerkstelligen,
entwickelte Gutenberg das Handgießinstrument.
Zwei Teile umschließen einen rechteckigen
Gießkanal, dessen eines Ende durch Einsetzen
der Matrize verschlossen wurde. Nach dem
Guss der Lettern im Handgießinstrument musste
der Angusszapfen entfernt werden. Jede Letter
hatte eine "Sollbruchstelle", so dass alle Lettern automatisch die gleiche Höhe
erhielten. Das Handgießinstrument, der bedeutendste Teil der Erfindung,
ermöglichte es, im schnellen Wechsel die jeweils benötigten Mengen an unter-
schiedlichsten Lettern zu gießen. Das Gussmetall war eine Legierung aus Blei,
Zinn und weiteren Beimischungen, die ein schnelles Erkalten und eine ausrei-
chende Dauerhaftigkeit unter dem hohen Druck der Presse gewährleistete.
Die Druckerpresse, die gegenüber dem bis
dahin bekannten Reiberdruck eine enorme Be-
schleunigung des Druckvorgangs bewirkte, war
eine Spindelpresse mit spezieller Ausrüstung für
die effektive und gleichmäßige Übertragung des
Druckbildes von der Form auf das Papier oder
auch das Pergament.
Die Lettern wurden in ei-
nen Setzkasten sortiert, aus
dem sie die Setzer bei der
Erstellung der Druckseite
zusammensuchten.
(cf. ).
Der folgende Link führt zu einer weiteren anschaulichen Erklärung der
Herstellung eines Buches.
14
http://www.gutenbergdigital.de/gudi/dframes/index.htm
6.6 Die Verbreitung des Buchdrucks
Von Mainz aus verbreitet sich der Buchdruck sehr schnell über ganz Europa.
Dabei war es eher ein unerwartetes Ereignis, das den Anlass zu dieser raschen
Ausbreitung gab: Nachdem schon einzelne Druckergesellen Gutenberg, der im
Rechtsstreit mit seinem Geldgeber lag und schließlich sogar seine Werkstatt
verlor, verlassen hatten, folgte im Jahr 1462, sechs Jahre vor dem Tod Guten-
bergs, ein großer Exodus in Mainz. Der Streit zwischen dem amtierenden
Mainzer Erzbischof Diether von Isenburg und Adolf von Nassau, dem von
Papst und Kaiser favorisierten Kandidaten, wurde ganz zeitgemäß in der Ma-
nier spätmittelalterlicher Fehden gelöst: Die Nassauer nahmen Mainz mit Ge-
walt ein, vertrieben den amtierenden Erzbischof samt einer beachtlichen An-
zahl missliebiger Mainzer Bürger, darunter auch etliche der in den Werkstätten
von Gutenberg und seinen Konkurrenten Fust und Schöffer tätigen Drucker.
6.6.1 In Deutschland
Nun war die Einrichtung einer leistungsfähigen Druckerei nicht nur sehr ka-
pitalintensiv, sondern sie lohnte sich auch nur, wenn ein entsprechender Markt
vorhanden war. Die Mainzer Drucker suchten also in den Städten Zuflucht, in
denen dank regen Handelsverkehrs oder durch Universitäten bedingt ein tägli-
cher Bedarf an Büchern bestand.
Dieser Umstand ließ die meisten Städte wenig attraktiv erscheinen - man
musste unter Umständen schon relativ weit wandern. So entstanden kurz nach-
einander in Heidelberg, Straßburg, Augsburg, Basel, Ulm, Nürnberg und Wien
im Süden, in Köln, in Leipzig in Mitteldeutschland und im norddeutschen Lü-
beck Druckereien. Auch Bischofssitze wurden zu Druckorten, denn dort
herrschte immer Bedarf an liturgischer Literatur: Würzburg, Regensburg, Bam-
berg, Freising, Eichstätt, Passau, Münster, Merseburg, Breslau, Schwerin und
Meißen erhielten so frühzeitig Druckwerkstätten. (cf. )
15
http://www.gutenberg.de/erfindu4.htmhttp://www.gutenberg.de/erfindu4.htm
6.6.2 In Europa
Im Kloster Santa Scolastica im italienischen Subiaco wurde das erste jenseits
der Alpen gedruckte Werk schon 1465 fertiggestellt. Es war von Konrad
Sweynheym und Arnold Pannartz gedruckt worden. Sweynheim, der ursprüng-
lich Kleriker in Erzdiözese Mainz gewesen war, hatte vermutlich schon 1462
in der Fust-Schöfferschen Druckerei in Mainz das Druckhandwerk gelernt. Die
erste von deutschen Druckern geleitete Offizin in Rom entstand 1464/65. Und
wieder waren Sweynheim und Pannartz zusammen mit einem Ulrich Han aus
Ingolstadt die Drucker vor Ort in der Heiligen Stadt.
Von den über 40 Druckereien, die vor 1500 allein in Rom entstanden, be-
fanden sich 25 in deutscher Hand. Die Verlautbarungen der Kurie, Predigten
und politische Texte garantierten in Rom eine gute Auftragslage. An der Spitze
Italiens stand aber Venedig: 150 Druckereien produzierten dort bis ca. 1500
etwa 4.500 Buchtitel und andere Druckerzeugnisse. Der erste in Venedig war
ein Johannes de Spira (= von Speyer), der für 1460/61 in Mainz erwähnt wird.
1469 erschien in der Lagunenstadt das erste Buch, ganz klassisch: Cicero,
"Epistolae ad familiares".
Während in Italien die Kirche eine starke Antriebsfeder für den Buchdruck
war, förderte in Paris vor allem der Bedarf der Sorbonne die Einführung des
Buchdrucks. Professoren der "Hohen Schule" setzten dort die Bereitstellung
von Geldmitteln für die Einrichtung einer Druckerei durch und holten drei
deutsche Drucker der zweiten Generation aus Colmar, Konstanz und Straß-
burg.
Im Süden Frankreichs fanden sich einige Wanderdrucker aus Deutschland,
die zum Teil auch über die Pyrenäen nach Spanien überwechselten. Johannes
Numeister war einer der Ersten: Er hatte zuerst den Buchdruck nach Foligno in
Italien gebracht (seit 1470), wandte sich dann nach Perugia und ging später
nach Albi und Lyon in Frankreich.
Im spanischen Valencia nahm 1473 der Kölner Drucker Lambert Palmart
den Betrieb auf; schon 1490 erschien dort in der Druckerei des Zwickauer Dru-
16
ckers Nicolaus Spindeler in valencianischer Sprache das erste Werk lokaler
Prägung, der Ritterroman "Tirant lo Blanch". (cf. )
17
1454 Gutenberg’s Bibel
Italien Frankreich Spanien Portugal
1465 Santa Scolastica,Subiaco: Konrad Sweynheym u. Arnold Pannartz drucken 1. Buch
1464/65 Konrad Sweynheim, Arnold Pannartz, Ulrich Han richten Offizin in Rom ein
1469 Venedig: Johannes de Spira druckt Cicero’s Epistolae ad familiares
1470 Venedig: Petrarcas Sonnette Sorbonne holt Drucker aus Colmar, Konstanz, Straßburg: Michael Friburger, Ulrich Gering, Martin Crantz de Stein
1470 Johannes Neumeister startet in Foligno Geschäft „in arte impressione“ litterarum“
1471 erstes Buch in Paris gedruckt: Epistolae von Gasparino Barzizza
18
1472 erste gedruckte Ausgabe der Commedia von Dante
Segovia: Sinodal (?)
1473 erstes Buch in Lyon gedruckt
1473/1474
Druckerei in Valencia, Zaragoza u. Barcelona
1474 Valencia: Obres e Trobes en lahors de la Verge Maria
1476 Druckerei in Toulouse
1487 erstes gedrucktes Buch erscheint in Faro
1490 Valencia: "Tirant lo Blanch".
1493 Barcelona: Carcél de Amor
1497 Oporto 1. portugiesisches Buch von 1. portugiesischen Drucker Rodrigo Álvares
Daten zusammengestellt aus: gutenberg.de , L’histoire de l’imprimerie à Toulouse Capitale du Languedoc , Museu Virtual de Imprensa
19
6.6.3 Buchproduktion
1480 sind mehr als 110 europäische Städte wegen ihren Druckereien bekannt
und um 1500 haben zwischen 236 (Braudel 1982: 370) und 260 Orte in Europa
eine eigene Druckerei. Insgesamt soll es um 1480 schon 1120 Druckereien ge-
geben haben. Zudem wurden zwischen 1450 und 1500, also in der Zeit der In-
kunabeln, schon so viele Bücher gedruckt, wie in den tausend Jahren davor ins-
gesamt von den Schreibern und Kopisten hergestellt worden waren. In der
Literatur ist von 20 Millionen Exemplaren die Rede, die auf 30.000 Werke
entfallen sollen. Wie Braudel anmerkt, hatte Europa zu dieser Zeit etwa 70
Millionen EinwohnerInnen (cf. Braudel 1982: 370). Für die Zeit um 1600, also
hundert Jahre später, wird eine Zahl von 200.000 verschiedenen Büchern mit je
einer Auflage von 1000 Exemplaren berechnet.
Im 15. Jahrhundert deckt Italien 44%, die deutschen Länder 31%, Frank-
reich und die französische Schweiz 16%, Belgien und die Niederlande 3,5%,
Spanien 2%, England 1,2% der gedruckten Bücher ab.
Im 16. Jahrhundert wird die Entwicklung schneller. Die Reformation und
die Konterreformation bedienen sich des Buches. (Braudel 1982: 371)
6.7 Neues und altes Medium
Wie Eisenstein (1979: 26) sagt, knüpft das neue Medium zunächst an die Pro-
duktions-; Präsentations- und Nutzungsroutinen des ‚alten’ Mediums an. Die
Drucker kommen schließlich aus dem gleichen Milieu wie die Kopisten (cf.
Catach 2001: 97) und sahen selbst im Druck mit beweglichen Lettern nur eine
Möglichkeit, so schnell wie möglich und billiger als vorher Kopien von Bü-
chern herzustellen, in einer Zeit als die steigende Nachfrage nach Büchern mit
den traditionellen Mitteln kaum noch zu befriedigen war:
Fue una aventura industrial y comercial llevada a capo por hombres avi-spados que buscaban un procedimiento para enriquecerse reproduciendo libros con mayor rapidez de la usual y a precios inferiores a los de un mercado con una demanda creciente (Escolar 1994: 11).
20
Es handelte sich um ein industrielles und kommerzielles Abenteuer, das von gierigen Männern unternommen wurde, die nach einem Verfahren suchten, sich zu bereichern, indem sie Bücher schneller als bisher und zu niedrigeren Preisen für einen Markt, der von einer wachsenden Nach-frage bestimmt wurde, reproduzierten.
Deshalb sehen auch die Inkunabeln oder ersten Bücher wie Manuskripte aus
und weisen die gleichen Unzulänglichkeiten auf (s. u.). Sie konnten allerdings
viel schneller und in viel größerer Zahl hergestellt werden. Außerdem waren
sie viel billiger. So kosteten gedruckte Prachtausgaben zwischen 1450 und
1500 nur noch ein Siebtel oder Achtel dessen, was für Handschriften zu be-
zahlen war und der Preis für einfache Drucke verringerte sich sogar um das
Zwanzig- bis Dreißigfache (Dröge / Kopper 1991: 43, zit. nach Ludes 1998:
63).
Marktwirtschaftliche Gründe gaben auch den Ausschlag dafür, dass sich die
frühen Drucker zunächst auf die Reproduktion von schon bekannten und in
Bibliotheken aufbewahrten Büchern und von Bestsellern konzentrierten. Erst
als dieser Schatz immer mehr erschöpft war, wendeten sie sich dem Druck von
Neuem zu. Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass sie, um Bücher, de-
ren Herstellung aufwändig war und die sich nicht so schnell verkaufen ließen,
herstellen zu können, alle möglichen kleineren Schriftstücke, wie z.B. Ablass-
briefe, Ankündigungen etc. druckten, um schneller Einkommen zu erzielen.
6.8 Die frühen gedruckten Bücher
Wie gesagt, waren die ersten Bücher als bessere Kopien von Manuskripten ge-
dacht. Damit reproduzierten sie auch alle ihre Unzulänglichkeiten und propa-
gierten Fehler weiter. Wie sah nun das Buch vor der Erfindung des Buchdrucks
aus? Wir haben das zwar schon gesehen, es soll in diesem Zusammenhang aber
noch einmal aufgegriffen werden.
Seit dem Mittelalter hatte sich die Struktur des Buches nicht grundlegend
verändert. Es setzt sich aus Faszikeln zusammen, die zumeist aus Gründen der
Sparsamkeit mit einer sehr engen Schrift beschrieben sind. Mit allen möglichen
Abkürzungen wurde versucht, Zeit und Platz zu sparen. Die Verweise auf dem
21
breiten Seitenrand sollten den Lesenden helfen, sich trotzdem im Text zurecht
zu finden. Auf dem Seitenrand erscheinen oft auch Glossen in einer anderen
oder kleineren Schrift, die den Haupttext kommentieren.
Damit der Buchbinder die Faszikel in die richtige Anordnung bringen kann,
erscheint an ihrem Ende ein Verweise auf die sich anschließende Faszikel. Ab
dem 15. Jahrhundert werden z.T. auch die einzelnen Seiten der Faszikeln num-
meriert. Ein Deckblatt ist eine Rarität. Inhaltsverzeichnisse oder Indizes fehlen
zumeist.
Der Text fängt normalerweise oben auf der ersten Seite an. Ihm kann der
Titel des Buches (incipit) in anderer Tintenfarbe und größerer Schrift vorange-
stellt sein, zumeist wird der Name des Autors aber nicht erwähnt. Viele Bücher
schließen einfach mit explicit. Einige wenige Kopisten fügen am Ende des Bu-
ches ein Kolophon an.
Die Kodizes sind zumeist mit sogenannten Miniaturen verziert, die der Ma-
ler oder die Malerin, nachdem der Text kopiert worden war, an der entspre-
chenden Stelle eingefügt hat. Der Rubrikator hatte vorher schon mit roter Tinte
die Hinweise auf den Rand gezeichnet.
All das wird vom Buchdruck zunächst reproduziert, auch das spätere Kolo-
rieren und Einfügen der Illustrationen. Ein Beispiel kann die 1472 in Foligno
gedruckte Inkunabel der Comedia von Dante sein: Fehlen eines Titelblattes,
keine Seitenzählung, Abkürzungen, auch wenn diese aus einem technischen
Blickwinkel betrachtet eigentlich kontraproduktiv sind, später eingefügte
(eventuell vom Käufer / der Käuferin ausgesuchte) Miniatur (cf. ).
6.8.1 Komunikative Wende
Trotz dieser anfänglichen Anknüpfung an die Produktions-, Präsentations- und
Nutzungsroutinen des ‚alten Mediums, führt das neue Medium zu einer kom-
munikativen Wende, von der die Historikern Elizabeth Eisenstein in ihrem
Buch The Printing Press as an Agent of Change (1979) sagt, sie habe die Be-
dingungen, unter denen Information gesammelt, archiviert, aufgesucht, kriti-
22
http://www.uni-duisburg.de/FB3/ROMANISTIK/PERSONAL/Burr/Medien/Medienrevolutionen/Dante_Foligno.htm
siert, entdeckt und gefördert wird, grundsätzlich geändert. Nicht nur hatten die
Gelehrten nie zuvor Zugriff auf so viele Texte, Bilder und Diagramme, sondern
es ändert sich neben vielem anderen auch der Zugang zum Wissen.
So benutzen die Drucker-Herausgeber immer öfter ihr eigenes Emblem und
machen im Kolophon nicht mehr nur Angaben zu Erscheinungsort und -datum,
sondern sie tun darin auch ihre Rolle im Herstellungsprozess des Buches kund,
werben für die Verdienste des Unternehmens und versuchen damit auch ihr Ei-
gentum vor dem Raub durch die mit ihnen in Konkurrenz stehenden Drucker
zu schützen. Mit der Zeit übernimmt ein eigenes Titelblatt einige der im Ko-
lophon erscheinenden Inhalte.
Das erste Titelblatt soll Gutenbergs Nachfolger, Peter Schöffen, benutzt ha-
ben. Bei den frühen Formen des Titelblattes handelte es sich aber nur um eine
halbe Seite. Das ganzseitige Titelblatt erschien erst 1476, als Erhard Ratdolt es
in Venedig in einem astronomischen und astrologischen Kalender benutzte. In
Form eines Gedichtes erschien hier der Titel des Werkes, das Datum und der
Ort des Druckes und der Name des Druckers.
Um 1500 hatte sich das Titelblatt schon gut etabliert, die ersten Titelblätter
führten aber den Namen des Autors / der Autorin nicht auf, auch später noch
war dies selten. Das Titelblatt sollte ursprünglich wohl vor allem als Schutz für
den Text dienen, mit der Zeit bot es aber dem Herausgeber-Drucker auch im-
mer mehr die Gelegenheit, für sich zu werben.
Das immer systematischere Auftreten des Titelblattes wird oft als die wich-
tigste Neuerung des Buchdrucks bezeichnet, denn es trug ganz wesentlich nicht
nur zum Katalogisieren der Bücher bei (Buchkataloge entstehen), sondern för-
derte auch die Herausbildung neuer Formen des Datierens und des Positionie-
rens. Auch wurde das Titelblatt zu einer Werbungsangelegenheit zunächst
zwar nur für die Drucker, später aber auch für die Autoren. Durch ihre Kon-
trolle über die Werbung bekamen die Drucker zudem eine wichtige Rolle im
sich herausbildenden Kapitalismus.
23
http://histoire.typographie.org/venise/chapitre3.html
Weitere Neuerungen, die den Zugang zu dem in den Büchern enthaltenem
Wissen verändern, sind der immer systematischere Einsatz von Indizes und In-
haltsverzeichnissen und der Seitennummerierung, wodurch ein direkter Zugang
zu ganz bestimmten Textstellen ermöglicht wird.
In der Manuskriptkultur hängt dagegen das Auffinden von Wissen ganz er-
heblich vom Gedächtnis des / der Einzelnen ab. Es gab viele mnemotechnische
Verfahren, die das Gedächtnis stützen sollten, und auch Autoritäten, die bei der
Suche nach Information konsultiert werden konnten. Auch erstellen die Mön-
che für ihre Bibelstudien und besonders für den Vergleich des Alten und
Neuen Testaments thematische Konkordanzen, in denen sie die wichtigsten
Personen, Orte, Gegenstände und Ideen der Bibel zusammenstellen, um so den
Zugang zum Wissen zu erleichtern. Auch Indizes wurden immer wieder er-
stellt, aber eben nicht systematisch. Erst als mit dem Druck 1000 identische
Kopien von einem Buch und damit auch von einem Index hergestellt werden
konnten, lohnte es sich wirklich, solche Indizes zu erstellen.
6.8.2 Schriftarten und Orthographie
Im Mittelalter wechseln sich, wie wir gesehen hatten, verschiedene Schriftty-
pen ab bzw. es werden neue erfunden. So überleben nach dem Untergang des
Römischen Reiches die quadratischen Großbuchstaben nur in den Titeln. Zwi-
schen dem 4. und 9. Jahrhundert verbreitet sich dann die Unzialschrift. Karl
der Große ließ sein Bildungsprogramm für das Heilige Römische Reich mit
einem Schriftsatz aus römischen Majuskeln und Minuskeln, der als
karolingische Minuskel bekannt wurde, schreiben, um so dem weiteren Experi-
mentieren mit Schriftarten entgegenzuwirken und das Schreiben zu standardi-
sieren (cf. . Diese karolin-
gische Minuskel bleibt zwar in ganz Europa bis zum 12. Jahrhundert in
Gebrauch, die einmal erreichte Uniformität war aber nur von kurzer Dauer und
24
http://www.uni-duisburg.de/FB3/Romanistik/Personal/Burr/Medien/Medienrevolutionen/Majuskeln.htmhttp://www.uni-duisburg.de/FB3/Romanistik/Personal/Burr/Medien/Medienrevolutionen/Unziale.htmhttp://www.uni-duisburg.de/FB3/Romanistik/Personal/Burr/Medien/Medienrevolutionen/Carolina.htm
es wurde weiter experimentiert, bis sich im 15. Jahrhundert die gotische Schrift
herausgebildet hat und die karolingische Minuskel ersetzt.1
Die gotische Schrift wurde zum ersten Modell für die Drucker. So druckte
Gutenberg seine Bibel mit dieser Schrift. Als die Drucker aber in Italien, z.T.
beeinflusst von der humanistischen Bewegung, anfingen, lateinische Texte zu
drucken, schien ihnen die gotische Schrift nicht dem humanistischen Geist zu
entsprechen. Sie suchten deshalb nach einer ursprünglicheren Schrift. Als Kon-
rad Sweynheim und Arnold Pannartz 1465 in Subiaco Cicero’s De oratore
druckten, benutzten sie eine vor-karolingische Schrift, die ausdrücklich eine
Kopie der in der Zeit von Cicero verwendeten Schrift sein sollte, in Wirklich-
keit aber keine solche Kopie war. Um diesen Schrifttyp vom moderneren Goti-
schen zu unterscheiden, wurde dieser Schrifttyp Antiqua genannt. Dieser
Schrifttyp, heute als Roman bekannt, verbreitete sich schnell über ganz Europa.
Nur in Deutschland, wo die humanistische Bewegung durch die Reformation
blockiert wurde, konnte er sich nicht durchsetzen. Stattdessen wurde hier die
gotische Schrift fast zu einer nationalen Schrift und blieb bis 1940 in Gebrauch
(cf. ).
Dass die vor-karolingische Minuskel ab dem 14. Jahrhundert die Humanis-
ten inspiriert und auch beim Druck der ersten italienischen Inkunabeln benutzt
wird, hat weitreichende Folgen für die Orthographie nicht nur des Italieni-
schen, sondern auch der romanischen Sprachen. Während nämlich die gotische
Schrift ganz ohne Akzente auskam, wies, wie Catach (2001: 51) ausführt, die
vom 8. bis zum 12. Jahrhundert verwendete Minuskel die folgende Besonder-
heit auf:
en Italie du Sud comme en France, une véritable tradition de l’usage des accents et signes auxiliaires, venue de l’enseignement des grammairiens latins (IVe-XIIe siècles), est toujours liée à la pratique de la minuscule «antique». (Catach 2001 : 51)
in Süditalien wie in Frankreich gab es eine echte Tradition des Gebrauchs von Akzenten und Hilfszeichen. Diese stammt vom Unter-
1 Boccaccio beklagt sich in einem Brief an Petrarca über diese Schrift, die von weitem die
Augen brennen lässt und sie von Nahem ermüdet, so als wäre sie für alles andere als fürs Lesen erfunden worden.
25
http://www.uni-duisburg.de/FB3/Romanistik/Personal/Burr/Medien/Medienrevolutionen/gotisch.htm
richt der lateinischen Grammatiker her (4. - 12. Jahrhundert). Praktiziert wird sie immer zusammen mit der antiken Minuskel.
Zudem zeichneten sich beide Gegenden, also Süditalien und Frankreich, durch
einen reichhaltigen Gebrauch von Satzzeichen aus.
An diese Tradition knüpft nun der Buchdruck an (Catach 2001: 51-52),
zwar, wie gesagt, zunächst mit hybriden, noch von der gotischen Schrift beein-
flussten Schriftsätzen (Romain de Subiaco 1465), schon bald entstehen dann
aber in Venedig die ersten wirklichen, an die karolingische Minuskel anknüp-
fenden Antiqua-Schriften. Die erste wurde von dem Franzosen Nicolas Jenson,
der die Druckkunst in Deutschland gelernt hatte, entworfen. Er hatte in Vene-
dig mehr oder minder genau zu der Zeit, als das Monopol der de Spira-Brüder
auslief, eine Druckerei aufgemacht. Seine Schrift (cf. Jenson 1470) wurde 1470
zum ersten Mal beim Druck von Cicero's Epistolae ad Brutum, eingesetzt (cf.
).
Die hier skizzierte Rückbesinnung auf die Vergangenheit ist also insgesamt
dafür verantwortlich, dass die Sonderzeichen und Satzzeichen in die Schrift-
sätze aufgenommen wurden, die schon bald auch beim Druck von Werken im
Volgare eingesetzt werden sollten.
6.8.3 Aldus Manutius
Besondere Bedeutung kommt im Zusammenhang mit den Schriftarten Aldo
Manuzio alias Teobaldo Manucci, alias Aldus Manutius alias Alde Manuce zu,
der 1449 in Bassiano, damals Vatikanstaat, geboren wurde und am 6. Februar
1515 in Venedig starb. Nach Studien in Rom und Ferrara etablierte sich Aldus
Manutius in Venedig, das damals schon ein wichtiges Zentrum des Buchdrucks
war (zur Erinnerungg: schon 1469 druckte Johannes de Spira (= von Speyer)
hier: Cicero’s Epistolae ad familiares), als Drucker.
Manutius setzte es sich zum Ziel, in großer Auflage alle klassischen Schrif-
ten der griechischen Literatur herauszugeben und zu drucken.2 In Venedig leb-
ten damals viele griechische Gelehrte, die nach der Eroberung Konstantinopels
26
http://www.uni-duisburg.de/FB3/ROMANISTIK/PERSONAL/Burr/Medien/Medienrevolutionen/Antigua.htmhttp://www.uni-duisburg.de/FB3/ROMANISTIK/PERSONAL/Burr/Medien/Medienrevolutionen/Antigua.htmhttp://histoire.typographie.org/venise/chapitre4.html
1453 durch Mohamed II. (den Großen) dorthin geflüchtet waren. Außerdem
gab es in Venedig viele wohlhabende Händler, von denen anzunehmen war,
dass sie Bücher der Klassiker kaufen würden, um damit ihre Paläste auszu-
schmücken. Das erste Buch, das Manuzio publizierte, war 1495 eine griechi-
sche Grammatik.
Manuzio versammelte um sich viele der griechischen Gelehrten. Diese wie-
derum sammelten für ihn die klassischen Texte, lasen und korrigierten sie und
gaben sie heraus. Griechische Manuskripte waren nämlich selten, zudem unter-
schieden sich die verschiedenen Versionen eines Textes. 1500 gründeten diese
Gelehrten eine Akademie, die auch die Accademia Aldina genannt wurde. Sie
widmete sich dem Studium und der Herausgabe der griechischen Literatur wid-
mete. Die Mitglieder der Akademie sprachen nur griechisch und griechisierten
ihre Namen. Hier arbeiteten auch Pietro Bembo, Alberto Pio, Linacre und
Erasmus.
Aldus machte die ganze Buchproduktion selbst, d.h. er stellte seine Tinte
selbst her und band auch die Bücher selbst, die er verkaufte. Auch ließ er ei-
gens von dem ehemaligen Goldschmied Francesco di Bologna, Griffo genannt,
für sich Druckbuchstaben entwerfen und gießen: zuerst griechische Buchsta-
ben, dann eine Antiqua-Schrift (cf. Manutius 1490). Griffo orientierte sich da-
bei nicht so sehr an der Schrift der damaligen Manuskripte, sondern an einer
ursprünglicheren, vor-karolingischen. Diese Antiqua-Schrift wurde zum ersten
Mal beim Druck von Aetna von Pietro Bembo eingesetzt. Von Griffo stammt
wohl auch das berühmte Emblem von Manutius.
Aldo Manutius größte Erneuerung war aber, dass er von Griffo zu dieser
Antiqua-Schrift grazile halb kursive Lettern gießen ließ, die sich, so wird im-
mer wieder behauptet, an der Schrift von Petrarca orientieren sollen. Vorbild
war aber in Wirklichkeit wohl eher die von den Schreibern der päpstlichen
Kanzleien in Venedig mit dem Ziel, ihre Arbeit zu beschleunigen, entwickelte
informelle, kursive und von vielen Ligaturen charakterisierte Schrift. Einge-
setzt wurde sie zum ersten Mal 1501 beim Druck eines Vergils. Auch wenn
2 Ihm ist es zu verdanken, dass so viele der klassischen Schriften überlebten.
27
http://www.uni-duisburg.de/FB3/ROMANISTIK/PERSONAL/Burr/Medien/Medienrevolutionen/Antigua.htmhttp://library.byu.edu/~aldine/aldIntro.htmlhttp://www.uni-duisburg.de/FB3/Romanistik/Personal/Burr/Medien/Medienrevolutionen/kursiv.htm
diese Lettern noch nicht perfekt waren, so eröffnete dies doch dem Buchdruck
eine ganz neue Dimension: fortan wurde nämlich kein Antiqua-Schriftsatz
mehr ohne eine kursive Version hergestellt.
Das Hauptinteresse an diesem neuen Letterntyp war ein ökonomisches. Der
Schriftsatz war enger als die traditionellen Antiqua-Schriften, sparte somit
Platz und verringerte damit die Herstellungskosten der Bücher. Außerdem war
diese Schrift auch bei kleinformatigen Büchern gut lesbar. Und genau das
wollte Manutius: handliche, kleinformatige Bücher herstellen, die für alle er-
schwinglich waren, die die Studenten leicht konsultieren und mit sich herum-
tragen konnten und die deshalb auch eine größere Chance hatten, gelesen zu
werden. Manutius wollte sich damit also einen neuen Markt erschließen.
Die Serie wurde 1501 mit dem schon genannten Vergil eröffnet. Da pro
Ausgabe 1.000 Exemplare gedruckt wurden, vergrößerte sich die Wirtschaft-
lichkeit des Unterfangens. Die Serie wurde in ganz Europa zu einem riesen
Erfolg. Sie wurde überall stark nachgefragt. Fünf Jahre lang kam alle zwei
Monate ein neues Buch heraus. (cf. ). Manutius wird deshalb auch von manchen als der Vater der Ta-
schenbücher und der Massenproduktion des Buches bezeichnet (cf. L’œuvre de
la Renaissance und
das zu einer Erhöhung der Zahl der Lettern führt (Gutenberg entwickelte mehr
als 290 unterschiedliche Typen seines Alphabets, cf. ) und die Arbeit der Setzer erschwert (cf.
). Sowohl der Setz-
kasten als auch die Arbeit der Setzer wird damit rationalisiert.
Darüber hinaus sind diese Lettern selbst wieder Elemente eines Schriftsat-
zes. Anfangs ist dieser zwar für eine Sprache spezifisch (Griechisch oder La-
teinisch) und unterscheidet so z.B. gedruckte lateinische von gedruckten grie-
chischen Texten, mit der von Aldus Manutius in Auftrag gegebenen Kursiv-
schrift wird dann aber schon bald die Zugehörigkeit einzelner Lettern zum ei-
nen oder anderen Schriftsatz spezifiziert und zwar innerhalb ein und derselben
Sprache bzw. Sprachengruppe, d.h. die Lettern gehören jetzt entweder zum
normalen Antiqua- oder zum kursiven Antiqua-Schriftsatz.
Die Bedeutung der Zerlegung einer Form in einzelne Lettern, die Materiali-
tät der gegossenen Zeichen und die Zugehörigkeit zu Schriftsätzen darf nicht
unterschätzt werden, denn:
• eine Einheit aus signifiant und signifié muss jetzt erst einmal durch eine An-
einanderreihung der in den Setzkästen verteilten Lettern, die als kleinste
technische Einheiten wiederverwendbar sind, komponiert werden (cf. Sette-
korn 1988: 43), während sie in den lateinischen Grammatiken, wie z.B. der
Ars maior und minor von Donatus oder in den vor dem Buchdruck ent-
standenen Grammatiken der romanischen Sprachen, wie z.B. dem Donait
françois oder der Gramatichetta von Alberti als Redeteile schon gegeben
sind;
• während in den genannten Grammatiken die Hauptaufmerksamkeit den un-
terschiedlichen Formen der Redeteile (Nomen, Verb, Pronomen etc.) gilt,
führt der Buchdruck zu umfangreichen Abhandlungen zur Orthographie
(zum korrekten Zusammenfügen der Zeichen);
3 Die untere Fläche des Metallstäbchens heißt Fuß. Das Metallstäbchen selbst heißt Typen-
körper. Die obere Fläche des Metallstäbchens heißt Schulter. Der Bildkörper, der das Schriftbild enthält und oben auf der Schulter aufsitzt, heißt Kopf.
29
http://www.rs-hoesbach.de/schuler/zeitung/setzkast.htmhttp://www.fh-augsburg.de/~harsch/don_intr.htmlhttp://www.uni-duisburg.de/FB3/Romanistik/Personal/Burr/grammar/Material/Donait.htmhttp://www.uni-duisburg.de/FB3/Romanistik/Personal/Burr/grammar/Material/Donait.htmhttp://www.liberliber.it/biblioteca/a/alberti/index.htm
• die Lettern selbst werden schon bald nicht mehr nur als geometrische Figu-
ren begriffen, wie in der Schrift De Divina proportione (1509) von Luca
Paccioli, sondern als architektonische Konstrukte wie in Champ Fleury von
Geoffroy Thory (1529);
• die Uniformität von Schriftsätzen und ihre identische Reproduzierbarkeit
trägt sicher mit zur Entwicklung von Vorstellungen von Uniformität auch
mit Blick auf die Orthographie bei;
• dadurch, dass der Gebrauch von Spatien zwischen den Formen immer sys-
tematischer wird, werden die Grenzen der lexikalischen Einheiten grund-
sätzlich bewusster, scriptio continua und phonologische Kontaktphänomene
verschwinden mehr und mehr: a casa, con lui, che il statt accasa, collui,
chel und Sprache wird immer mehr als ein Wörterbuch betrachtet (cf. Tri-
fone 1993: 427).
Es ist denn auch kein Wunder, dass die späteren Sprachakademien in der
Erstellung eines Wörterbuchs ihre hauptsächliche Aufgabe sehen. In einem
Wörterbuch erscheinen schließlich die Lexeme in ihrer korrekten Schreibung.
6.8.5 Ein neuer Beruf - der Korrektor
Mit dem Buchdruck und seinem Bedürfnis nach Homogenisierung entsteht
auch ein neuer Beruf, der des Korrektors. Diese Korrektoren wurden von den
Druckereien eingesetzt. Als Korrektoren betätigen sich allerdings nicht nur
große Philologen und Letteraten, wie Pietro Bembo, sondern auch Intellektu-
elle mittleren oder niedrigen Niveaus, Kleriker, Schullehrer etc. Diese begnü-
gen sich nicht immer mit einer mechanischen Korrektur, sondern bringen sich
oft auch selbst dabei ein.
Wie nun eine Untersuchung von Trovato (1998) zu den zwischen 1475 und
1500 gedruckten Ausgaben der Terze rime von Dante und der Rerum vulga-
rium fragmenta von Petrarca zeigt, sind die Korrektoren und / oder die Setzer
nicht nur für viele norditalienische Lokalismen verantwortlich,4 sondern sie
setzen zugleich auch die Bedürfnisse der Druckereien nach Wirtschaftlichkeit
4 Die meisten Ausgaben wurden in Norditalien gedruckt.
30
31
und Einheitlichkeit um, indem sie lange bevor es Referenzpunkte wie Gram-
matiken gab und lange bevor Bembos Prose della volgar lingua erscheinen,
die Orthographie normalisieren. Ein Beispiel soll hier genügen:
Correzioni linguistiche di Petrarca 1488 ochi > occhi comune > commune se cominciaro > si cominciaro Trovomi> Trovommi mundo > mondo nengombra > ningombra te scompagne > ti scompagne fuocho > foco luogho > loco gliochi > gli occhi sechi > secchi stechi > stecchi chevechi > chenvecchi spechi > specchi tochi > tocchi arrive il > arrivi il (Trovato 1998: 113-114)
Die Korrekturen sind allerdings nicht systematisch, sondern verdichten sich
an bestimmten Stellen (cf. Trovato 1998: 114).
Insgesamt kommt Trovato aufgrund seiner Untersuchung zu dem Schluss,
dass die Fixierung des graphischen Systems und der Phonomorphologie den
Korrektoren zuzuschreiben ist. Bembos Arbeit hat diesen Prozess dann be-
schleunigt und fixiert.
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