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"Städtebau in der DDR 1955-1971"
(Seemann Verlag Leipzig 1988)
Referat über das Buch von Thomas Topfstedt
im Wahlpflichtfach
"Gestaltungstheorie und Ästhetik"
vorgelegt bei
Dr. A. Gangler und Prof. W. Everts
Stadtplanung Semester 7
Fachhochschule Nürtingen
von
Rico Ulbricht
aus
Hainichen
Wintersemester 2002/2003
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Einleitung
Das im Jahre 1988 veröffentlichte Buch "Städtebau der DDR 1955-1971" stellt
eine Abriss der damals fast vier Jahrzehnte umspannenden Städtebaugeschichte
der DDR dar, die bis dato noch keiner wirklich gründlichen Erforschung unterzo-
gen wurde. Ohne weitere präzise, auf Auswertung aller noch verfügbaren Archi-
valien beruhende Dokumentationen der lokalen Bau- und Planungsgeschichte der
Städte, erscheint, nach Ansicht des Autors, die DDR-Städtebaugeschichte als ein
auf weiten Strecken noch unbekanntes Terrain. Unter dieser Restriktion sind dem
Autor, den im Jahre 1947 in Erfurt geborenen Thomas Topfstedt, noch inhaltliche
Grenzen gesetzt, zeigen aber den Mut zur Lücke. Substantionell basiert die Ar-
beit auf den 1979 und 1984 verteidigten Dissertationen des seit 1988 an der U-
niversität Leipzig tätigen Professors und seit 1996 berufenen Dekans der Fakultät
für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften.
Das Buch beinhaltet Aussagen, wie unter den völlig neuartigen Bedingungen
des industriellen Bauens Probleme der Raumbildung im Städtebau gelöst wurden,
welche städtebaulichen Leitbilder die sozialistische Gesellschaft zur Weiterfüh-
rung des Wiederaufbaues bzw. komplexen Umgestaltung der Städte entwickelte,
und welche realen stadtgestalterischen Ergebnisse dieser tief greifende städte-
bauliche Umgestaltungsprozess insbesondere während der 1960er Jahre zeigte.
Meine Ausarbeitung erstreckt sich auf das Kapitel, welches den Grundproble-
men des Wiederaufbaues und der Umgestaltung der Stadtzentren gewidmet ist.
Dabei wird Kontinuität und Wandel des seinerzeit verbindlichen Städtebauleitbil-
des, das Verhältnis der Gesellschaft zum städtebaulichen Erbe und die für die
2.Hälfte der 1960er Jahre charakteristische Konzeption der Architektur als Bild-
zeichen abgefasst. Da dieses Referat im Fach "Gestaltungstheorie und Ästhetik"
abgeleistet wird, möchte ich einen Schwerpunkt auf die Bildzeichen-Architektur
setzen.
Auf den Weg zu jener Bildzeichen-Architektur, muss jedoch am Anfang er-
wähnt werden, dass bei den Entwicklungsetappen der DDR-Städtebaugeschichte
die baupolitischen Grundorientierungen der Parteitage der SED und die zum
Bauwesen gefassten Regierungsbeschlüsse ein tragfähiges Gerüst der bauge-
schichtlichen Periodisierung bilden. Von diesen baupolitischen Grundorientierun-
gen empfing die Entwicklung des Städtebaus und der Architektur die entschei-
denden Impulse. Zum Beispiel formulierte das 1950 beschlossene Städtebauleit-
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bild der "Sechzehn Grundsätze des Städtebaus" eine gesellschaftlich und bau-
künstlerisch eindeutig definierte Zielvorstellung:
Auszug aus den "Sechzehn Grundsätzen des Städtebaus"
"Das Zentrum bildet den bestimmenden Kern der Stadt. Das Zentrum der Stadt
ist der politische Mittelpunkt für das Leben der Bevölkerung. Im Zentrum der
Stadt liegen die wichtigsten politischen, administrativen und kulturellen Stätten.
Auf den Plätzen im Stadtraum finden die politischen Demonstrationen, die Auf-
märsche und die Volksfeiern an Festtagen statt. Des Zentrum der Stadt wird mit
den wichtigsten und monumentalsten Gebäuden bebaut, beherrscht die architek-
tonische Silhouette der Stadt."
Somit wurde die Gesamtstadt als ein vom peripheren Wohngebiet zur Stadt-
mitte hin baukünstlerisch zu steigerndes Ensemble betrachtet, dessen Zentrum
als "sozialistische Stadtkrone" ausgeformt werden sollte. Unumgänglich war in
diesem Zusammenhang auch eine neue Begriffsbestimmung der sozialistischen
Architektur.
Nach diesen Grundsätzen begann in vielen Städten der Wiederaufbau bzw. die
Umgestaltung ihrer Zentren. Die Bautätigkeit konzentrierte sich aber zunächst
auf die Anlage neuer, zunehmend in industriellen Bauweisen errichteter Wohn-
komplexe am Rande der Stadt. Erst mit dem 1958 ausgeschriebenen internatio-
nalen Ideenwettbewerb zur sozialistischen Umgestaltung des Zentrums Berlins,
wurde ein Zeichen für die Weiterführung des Aufbaues auch der Stadtzentren
gegeben. (Berliner Karl-Marx-Allee und Straße der Nationen in Karl-Marx-Stadt)
Die sich seit 1958/59 allmählich anbahnende Umformung und inhaltliche Er-
weiterung des Städtebauleitbildes fand mit den 1965 von der Deutschen Bauaka-
demie herausgegebenen „Grundsätzen der Planung und Gestaltung sozialisti-
schen Stadtzentren" ihren Abschluss.
Auszug aus den "Grundsätzen der Planung und Gestaltung sozialisti-
scher Stadtzentren"
"Das Stadtzentrum stellt ein zusammenhängendes, zentral gelegenes Stadtgebiet
dar, in dem sich Bauten und städtebauliche Anlagen, von zentraler örtlicher und
überörtlicher Bedeutung befinden. Sie bilden den Mittelpunkt für das gesell-
schaftliche Leben der gesamten Bevölkerung und den Höhepunkt in der architek-
tonischen Komposition der Stadt. Das Stadtzentrum dient der Entwicklung des
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sozialistischen Gemeinschaftslebens, es dient der politischen und kulturellen Be-
tätigung und Bildung sowie der Erholung und der materiellen Versorgung der Be-
völkerung."
Ein, aus den Auszügen ersichtliches, an die Umgestaltung der Stadtzentren
eng verbundenes Anliegen kann bis zum Beginn der 1970er Jahre kontinuierlich
verfolgt werden: die bauliche Manifestation und Darstellung der sozialisti-
schen Gesellschaft durch die Errichtung neuer Stadtdominanten. Bereits
in den Jahren nach 1950 prägte diese Idealvorstellung vom signifikanten Monu-
mentalbau in Gestalt des stadtbeherrschenden Hochhauses den Charakter der
meisten Zentrumskonzeptionen. Doch es blieb nur bei der Planung, denn keines
der Turmhaus-Entwürfe ist verwirklicht worden.
Ungeachtet des nach 1955 beginnenden Wandels der baukünstlerischen
Auffassungen wirkte aber der Gedanke fort, dass die sozialistische Umgestaltung
des Stadtzentrums mit einer oder mehreren neuen Höhendominanten ihren
krönenden Abschluss zu finden habe. Eine so exponierte Rolle sollte
selbstverständlich nur den wichtigsten Gesellschaftsbauten zukommen. Jedoch
erweisen sich Hochhäuser bei Bauten, die für die gesellschaftliche
Kommunikation von herausragender Bedeutung waren, funktionell als nicht
geeignet. So fanden sie Anwendung für Wohnbauten, Bürogebäude und Hotel-
Bettenhäuser. Die Dominanz der Hochhäuser im Stadtbild entsprach aber in der
Regel nicht einem politisch oder kulturell begründeten Führungsanspruch.
Stattdessen setzte sich im Kulturbau der Typus der breitgegliederten Stadthalle
mit großem Mehrzwecksaal durch. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurden wieder verstärkte Bemühun-
gen um eine gestalterisch prägnantere, emotional wirksame Architektur bei der
Planung zentrumsprägender Neubauten unternommen. Ein Indiz dafür ist ein of-
fener Brief, den W. Ulbricht im Januar 1968 an den Präsidenten des BDA sandte.
Dieser Brief enthielt klar artikulierte Erwartungen an die gestalterischen Qualitä-
ten einer sozialistischen Architektur.
Auszug aus dem Brief mit dem Titel "Unser sozialistisches Vaterland
schöner und anziehender gestalten"
"Ziel ist es ... geschlossene städtebauliche Ensembles zu schaffen, die eine hohe
architektonische Wirksamkeit ausüben und die Vorzüge unserer sozialistischen
Ordnung überzeugend widerspiegeln. Es geht um konkrete städtebauliche und
architektonische Leistungen die sich durch Klarheit, Originalität und schöpferi-
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sche Phantasie auszeichnen, eine neue Qualität der Einheit von Ökonomie, Tech-
nik und Funktion und baukünstlerischer Gestaltung verkörpern und die neuen
Wesenszüge einer sozialistischen Architektur herauszuarbeiten helfen, die für die
Deutsche Demokratische Republik typisch sind."
Die eigenwilligste Lösung, in der sich so deutlich wie bei keinem anderen
zentrumsprägenden Neubau der 1960er Jahre der inhaltliche Wandel von her-
kömmlichen zu völlig neuen Repräsentationsabsichten dokumentiert, war die Er-
richtung des Berliner Fernsehturms (1965-1969) . Vorangegangen war ein Wett-
bewerb zur Neugestaltung des Berliner Stadtzentrums. Die Idee von Hermann
Henselmann, den Berliner Bezirk durch einen "Turm der Signale" zu markieren,
gewann nach anfänglicher Ablehnung dann doch zunehmende Akzeptanz. Dies
sollte zum neuen architektonischen Wahrzeichen der DDR werden. (Abb.1)
In anderen Städten wurden lediglich Hotelbauten als Zentrumsdominanten
aufgeführt, z.B. in Karl-Marx-Stadt das mit einer Stadthalle zu einer eindrucks-
vollen Baugruppe kombinierte Interhotel "Kongreß". (Abb. 2)
Für die Gestaltung all dieser Bauten kamen die historisierenden Repräsentati-
onsformeln der frühen 1950er Jahre längst nicht mehr in Frage. Auf monumenta-
len Ausdruck und eine zeitgemäße, jedermann verständliche Symbolik durfte a-
ber nicht verzichtet werden, denn die neuen Stadtdominanten sollten ins Be-
wusstsein des Volkes dringen und als architektonische "Bedeutungsträger" des
gesellschaftlichen Fortschritts anerkannt werden. Hier bot die Theorie von der Ar-
chitektur als Großplastik und Bildzeichen eine willkommene Möglichkeit. Hinzu
kam, dass nach der Mitte der 1960er Jahre eine neuartige Synthese von Archi-
tektur und bildender Kunst in der DDR angestrebt wurde.
Mit der Konzeption der Bildzeichen-Architektur verbindet sich vornehmlich der
Name Hermann Henselmanns, der die Experimentalwerkstatt des Instituts für
Städtebau und Architektur der Deutschen Bauakademie leitete und von dieser
Position aus einen republikweiten Einfluss auf die Planung vieler bedeutender
Zentrumsvorhaben ausübte.
Bei allem Wandel der baukünstlerischen Mittel ist als ein dieser Werke verbin-
dender Charakterzug das Streben nach Ikonizität und denkmalhafter Wirkung
herauszubeben. Während der zweiten Hälfte der 1960er Jahre erregten die von
den üblichen Gestaltungsstandards abweichenden Projekte von Henselmann grö-
ßeres Interesse als je zuvor, da sie das Bedürfnis nach einer monumentalen und
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doch unkonventionellen Architektur befriedigten und ihren dominanten Anspruch
im Stadtensemble mit einer neuen Symbolik verbanden, die direkt durch die
Baukörperform wirken sollte.
Folgende Entwürfe deuten hin auf die neue bildhaft-symbolischen Formung der
Stadtdominanten:
§ das als "Buch" zu deutende und in einer fahnenartigen Spitze ausklingende
142 hohe Universitätshochhaus in Leipzig (Abb.3)
§ das in zylindrischer Form, mit bullaugenförmigen Fenster, geplante For-
schungszentrum des VEB Carl Zeiss Jena - deutete auf "Fernrohr" und
"Linse"
§ das Haus der Wissenschaft in Rostock sollte zunächst die Gestalt eines
Schiffbuges, später die eines Segels erhalten. (Abb. 4)
§ für das Plauener Stadtzentrum plante Henselmann die Kuppel der Stadt-
halle als Netzkonstruktion in Anlehnung an die "Plauener Spitzen"
§ Magdeburger Projekt für das Haus des Schwermaschinenbaus, mit dem
sechseckigen Grundriss als "Schraube" interpretiert (Abb.5)
Doch die Bedenken, ob derartige Bildzeichen-Architekturen die in sie gesetz-
ten Erwartungen erfüllen würden, häuften sich schon in den 1970er Jahren und
so verkündete 1971 der Parteitag der SED, den Bau neuer Stadtdominanten vor-
erst zurückzustellen um den Wohnungsbau zu forcieren.
Damit, ich zitiere den Autor, "...fand eine sich eben erst formierende und sei-
nerseits im Bauschaffen aller sozialistischen Länder als singuläres Phänomen zu
wertende Architekturströmung ihr jähes Ende. Sie bezeichnete zugleich den Ab-
schluss einer Etappe der Städtebauentwicklung in der DDR, die 1955 mir der
Umstellung des Bauwesens auf industrielle Bauverfahren begann, während der
1960er Jahre auf der Grundlage eines inhaltlich erweiterten Städtebauleitbildes
die Umgestaltung der Stadtzentren in den Mittelpunkt der städtebaulichen Aktivi-
täten rückte und schließlich in der Suche nach einer bildhaften Architekturspra-
che ausklang, in der die Wertvorstellungen der entwickelten sozialistischen Ge-
sellschaft auf neue Weise widergespiegelt werden sollte."
Städtebau der DDR - der Staat ist Geschichte, aber die Städte sind es nicht.
Wir leben heute mit Ergebnissen von unterschiedlichen Entwicklungsetappen der
sozialistischen Baugeschichte der DDR, die das Stadtbild vieler Städte entschei-
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dend geprägt haben. Mit diesen Ergebnissen müssen wir auch in Zukunft umge-
hen zu wissen. Dies bestätigt der Autor, in dem er schreibt: "Die noch in den
196Oer Jahren auf Grund einer gewissen Animosität oder einer augenfälligen
Gleichgültigkeit gegenüber baulicher Zeugnisse der Vergangenheit entstanden
irreparablen Schädigungen vieler historischer Stadtbilder dürfen als Warnbeispie-
le nicht aus dem Gesichtsbild des DDR-Städtebaus verdrängt werden. Sie sind
inzwischen historische Tatsachen geworden."
Rico Ulbricht
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Abb. 1
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Abb. 2
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Abb. 3
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Abb. 4
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Abb. 5