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Statistische Physik Stefan Weinzierl 17. Juli 2012 1

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Statistische Physik

Stefan Weinzierl

17. Juli 2012

1

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Inhaltsverzeichnis

1 Einführung 41.1 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41.2 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41.3 Historisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5

2 Thermodynamik 62.1 Exakte Differentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . 82.2 Die Hauptsätze der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 12

2.2.1 Der nullte Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .132.2.2 Der erste Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .132.2.3 Der zweite Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .152.2.4 Der dritte Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .17

2.3 Fundamentale Gleichungen der Thermodynamik . . . . . . . . .. . . . . . . . 182.3.1 Die Euler-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .182.3.2 Die Gibbs-Duhem-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 19

2.4 Zustandsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 192.4.1 Das ideale Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.4.2 Die Virialentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 202.4.3 Die Van der Waals-Zustandsgleichung . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 202.4.4 Das Curie-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

2.5 Der Carnot-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 212.6 Thermodynamische Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 24

2.6.1 Die innere EnergieU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.6.2 Die EnthalpieH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262.6.3 Die Helmholtzsche freie EnergieF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272.6.4 Die Gibbsche freie EnthalpieG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292.6.5 Das großkanonische PotentialΩ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302.6.6 Die EntropieS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

2.7 Response-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 322.7.1 Die Wärmekapazität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322.7.2 Die Kompressibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 332.7.3 Der thermische Ausdehnungskoeffizient . . . . . . . . . . . .. . . . . . 342.7.4 Die magnetische Suszeptibilität . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 342.7.5 Beziehungen zwischen den Response-Funktionen . . . . .. . . . . . . . 34

2.8 Gleichgewichtszustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 37

3 Grundlagen der statistischen Physik 423.1 Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitstheorie . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 42

3.1.1 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilungen . . . . . . .. . . . . . . . . . 423.1.2 Kontinuierliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen. . . . . . . . . . . . . 433.1.3 Wahrscheinlichkeitsverteilungen mit mehreren Variablen . . . . . . . . . 45

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3.1.4 Die Binomialverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 473.1.5 Die Gauß-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .483.1.6 Die Poisson-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 493.1.7 Zufallsbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .493.1.8 Markov-Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

3.2 Statistische Ensembles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . 543.2.1 Die Phasenraumdichte in der klassischen Physik . . . . .. . . . . . . . 563.2.2 Der Dichteoperator in der Quantenmechanik . . . . . . . . .. . . . . . 583.2.3 Die statistische Definition der Entropie . . . . . . . . . . .. . . . . . . 613.2.4 Das mikrokanonische Ensemble . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 623.2.5 Das kanonische Ensemble . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .663.2.6 Das großkanonische Ensemble . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 69

4 Ideale Quantengase 714.1 Die Bose-Einstein-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 744.2 Die Fermi-Dirac-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . 774.3 Die Maxwell-Boltzmann-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 794.4 Die Planck-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . 844.5 Die Fermi-Fläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 864.6 Die Bose-Einstein-Kondensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 88

5 Phasenübergänge 905.1 Phasenübergänge erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . 935.2 Kontinuierliche Phasenübergänge . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 945.3 Ginzburg-Landau-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . 96

5.3.1 Molekularfeldnäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 965.3.2 Das Ginzburg-Landau-Funktional . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . 98

5.4 Die Renormierungsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 103

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1 Einführung

1.1 Literatur

- F. Schwabl, Statistische Mechanik, Springer, Berlin

- L. E. Reichl, A Modern Course in Statistical Physics, E. Arnold, London

- L. Landau und E. Lifschitz, Lehrbuch der theoretischen Physik, Band V: Statistische Physik,Akademie Verlag, Berlin

- F. Scheck, Theoretische Physik 5: Statistische Theorie der Wärme, Springer, Berlin

- R. Feynman, Statistical Mechanics, Benjamin, Reading

- J. Zinn-Justin, Phase Transitions and Renormalization Group, Oxford University Press, Oxford

1.2 Motivation

Die statistische Physik beschäftigt sich mit physikalischen Systemen, die eine große Anzahlvon Freiheitsgraden besitzen. Beispiele hierfür sind Vielteilchensysteme, wie zum Beispiel inGasen, Flüssigkeiten oder Festkörpern, aber auch in Sternen oder im Strahlungsfeld auftreten.Die Anzahl der Freiheitsgrade befindet sich durchaus im Bereich vonN ∼ 1023 und darüber.

Durch die große Anzahl von Freiheitsgraden ist einemikroskopische Beschreibung(zumBeispiel im klassischen Fall durch die Angabe aller Bahnkurven aller Teilchen) praktisch unmög-lich. Im klassischen Fall müsste man hierzuO(N)∼O(1023) gekoppelte Differentialgleichungenmit entsprechenden Anfangsbedingungnen lösen. Im quantenmechanischen Fall, der meistensbei einer mikroskopischen Beschreibung zu verwenden ist, müsste man für einen Hamiltonope-rator mit O(N) ∼ O(1023) Koordinaten und Impulsen die Eigenwerte und die Eigenzuständebestimmen. Neben der praktischen Unmöglichkeit der mikroskopischen Beschreibung stellt sichauch die Frage – gesetzt den Fall, man könnte ein solches System mikroskopisch beschreiben –der Interpretation der Ergebnisse (“Datensalat”). In der Praxis interessiert nicht die detaillierteInformation über ein einzelnes Teilchen, sondern gemittelte Aussagen über viele Teilchen.

Man geht daher zu einermakroskopischen Beschreibungüber, und beschreibt den Zustandeines Systems mit vielen Freiheitsgraden durch eine geringe Zahl von Größen. Diese Größenbezeichnet man alsZustandsgrößen. Im Rahmen derThermodynamik interessiert man sichfür Gesetze, die verschiedene Zustandsgrößen in Verbindung setzen. Zum Beispiel:

• Antwort eines Systems auf äußere Veränderungen.

• Einstellung von Gleichgewichtszuständen.

• Transporteigenschaften.

Im Rahmen derstatistischen Beschreibungfragt man nach der

• Herleitung der makroskopischen Eigenschaften aus den mikroskopischen Eigenschaften.

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1.3 Historisches1592 G. Galilei Thermometer1643 E. Torricelli Barometer1660 H. Power, R. Townley pV = const fürT = const

(heute nach R. Boyle benannt).1738 D. Bernoulli Anfänge der kinetischen Gastheorie

1787 J. Charles V(T,p)V(T0,p)

= TT0

= p(T,V)p(T0,V)

(heute nach Gay-Lussac benannt).1811 A. Avogadro pV = nRT1824 S. Carnot erste Arbeiten zum zweiten Hauptsatz1834 E. Clapeyron weitere Arbeiten zum zweiten Hauptsatz1842 J. Mayer erste Arbeiten zum ersten Hauptsatz1843 P. Joule weitere Arbeiten zum ersten Hauptsatz1847 H. von Helmholtz weitere Arbeiten zum ersten Hauptsatz1850 W. Thomson (Lord Kelvin), Entropie

R. Clausius1859 J. Maxwell Geschwindigkeitsverteilung für Gasmoleküle1866 J. Loschmidt Bestimmung vonR1872 L. Boltzmann Ensembletheorie1873 J. van der Waals Zustandsgleichung für nicht ideale Gase1873-1878 J. Gibbs Arbeiten von Gibbs1900 M. Planck Strahlung eines schwarzen Körpers1905 A. Einstein photoelektrischer Effekt1911 W. Nernst dritter Hauptsatz1920 W. Lenz Ising-Modell1924 S. Bose, A. Einstein Bose-Einstein-Statistik1925 E. Ising Lösung des eindimensionalen Ising-Modells1926 E. Fermi, P. Dirac Fermi-Dirac-Statistik1942 L. Onsager Lösung des zweidimensionalen Ising-Modells∼ 1940/50 L. Landau, N. Bogoliubov, R. Feynman Erklärung der Suprafluidität in4He.1957 J. Bardeen, L. Cooper, J. Schrieffer Erklärung der Supraleitung∼ 1960/70 B. Widom, L. Kadanoff, Renomierungsgruppe

K. Wilson, M. Fisher

Anwendungen der statistischen Physik finden sich heute in der Aero- und Hydrodynamik, Um-weltphysik, Atmosphärenphysik und der Chemie. Die Festkörperphysik kann als ein Teilgebietder statistischen Physik aufgefasst werden. Aber auch in der Plasmaphysik, der Astrophysik undder Kosmologie finden sich Anwendungen der statistischen Physik.

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2 Thermodynamik

Als Gleichgewichtszustandbezeichnet man einen makroskopischen Zustand, der sich mitderZeit nicht ändert. Grundlage der Thermodynamik sind die (empirischen) Beobachtungen, daßsich Systeme mit vielen Freiheitsgraden im Gleichgewichtszustand

• durchwenige Zustandsgrößenbeschreiben lassen,

• und die Werte der Zustandsgrößen im Gleichgewichtszustandunabhängigdavon sind,wieder Gleichgewichtszustand erreicht wurde.

Wir bezeichnen ein physikalisches System als

• materiell abgeschlossen, falls kein Austausch von Teilchen mit der Umgebung stattfindet,

• mechanisch abgeschlossen, falls kein Austausch von Arbeit mit der Umgebung stattfin-det,

• adiabatisch abgeschlossen, falls kein Austausch von Wärme mit der Umgebung stattfin-det.

Wir bezeichnen ein physikalisches System alsvollständig abgeschlossen(oder isoliert), falls esmateriell, mechanisch und adiabatisch abgeschlossen ist.Wir bezeichnen ein physikalisches System alsoffen, falls es weder materiell, noch mechanisch,noch adiabatisch abgeschlossen ist.Während man in der klassischen Mechanik und in der Quantenmechanik vor allem abgeschlos-sene Systeme betrachtet, richtet sich in der statistischenPhysik das Interesse auch auf Systeme,die einen Austausch von Teilchen, Arbeit oder Wärme mit der Umgebung erlauben.

Bei den Zustandsgrößen verdienen die extensiven Zustandsgrößen und die intensiven Zustands-größen besondere Beachtung. Zur Definition dieser Begriffebetrachten wir ein physikalischesSystemS, das wir in zwei TeilsystemeS1 und S2 aufteilen. SeiX eine Zustandsgröße, die dasSystemSbeschreibt, undX1 undX2 die entsprechenden Größen für die SystemeS1 undS2.Wir sprechen von einerextensiven Zustandsgrößenfalls X = X1+X2 gilt. Beispiele für exten-sive Zustandsgrößen sind:

• Anzahl der TeilchenN,

• VolumenV,

• FlächeA eines zweidimensionalen Systems,

• LängeL eines eindimensionalen Systems,

• Magnetisierung~M,

• elektrische Polarisierung~P,

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• EntropieS.

Wir sprechen von einerintensiven Zustandsgrößenfalls X = X1 = X2 gilt, intensive Zustands-größen bleiben bei einer Vergrößerung oder Verkleinerung des Systems unverändert. Beispielefür intensive Zustandsgrößen sind:

• chemisches Potentialµ,

• Druck p,

• Oberflächenspannungσ,

• (Längen-) SpannungJ,

• magnetische Feldstärke~H,

• elektrische Feldstärke~E,

• TemperaturT.

Extensive und intensive Zustandsgrößen treten oft in Paaren auf, sie entsprechen im Ausdruckder thermodynamischen Arbeit verallgemeinerten Koordinaten (extensiv) und verallgemeinertenKräften (intensiv). Beispiele hierfür sind

• Anzahl der TeilchenN und chemisches Potentialµ,

• VolumenV und Druckp,

• FlächeA und Oberflächenspannungσ,

• LängeL und (Flächen-) SpannungJ,

• Magnetisierung~M und magnetische Feldstärke~H,

• elektrische Polarisierung~P und elektrische Feldstärke~E,

• EntropieSund TemperaturT.

Zu den intensiven Zustandsgrößen zählen auch die Antwort-Funktionen (oder auch Response-Funktionen), die Auskunft darüber geben, wie stark sich einSystem bei einer Veränderung äu-ßerer Parameter verändert. Neben den bereits genannten Beispielen sind dies vor allem

• WärmekapazitätC,

• KompressibilitätK,

• magnetische Suszeptibilitätχ.

Zu den extensiven Zustandsgrößen zählen auch die thermodynamischen Potentiale. Die üblichenthermodynamischen Potentiale sind

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• innere EnergieU ,

• EnthalpieH,

• Helmholtzsche freie EnergieF,

• Gibbsche freie EnthalpieG,

• großkanonisches PotentialΩ.

2.1 Exakte Differentiale

Der Wert von Zustandsgrößen hängt nicht davon ab, wie der Gleichgewichtszustand erreichtwurde. Ändern wir den Zustand eines Systems von einem AnfangszustandA in einen Endzu-standB, so ist die Änderung der Zustandsgrößen unabhängig davon, auf welchen Weg wir vonA nachB gelangen. Wäre dem nicht so, so könnte man aus den Zustandsgrößen Informationenüber den Weg extrahieren, das System würde sich sozusagen “erinnern”. Mathematisch bedeutetdiese Aussage, daß die Zustandsgrößen exakte Differentiale besitzen.

Unter einem (nicht notwendigerweise exakten)Differential verstehen wir eine Differentialformerster Ordnung (auch Einsform genannt). Bei zwei unabhängigen Variablen läßt sich eine Eins-form schreiben als

ω(x1,x2) = ω1(x1,x2)dx1+ω2(x1,x2)dx2

Wir nennen ein Differentialexakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußereAbleitung einer FunktionF ist:

ω(x1,x2) = dF (x1,x2) .

Unter der äußeren Ableitung einer FunktionF(x1, ...,xn) von n Variablen versteht man die Eins-form

dF (x1, ...,xn) =n

∑j=1

∂F (x1, ...,xn)

∂x jdxj ,

im Falle einer Funktion von zwei Variablen also

dF (x1,x2) =∂F (x1,x2)

∂x1dx1+

∂F (x1,x2)

∂x2dx2.

Bei der partiellen Ableitung nachxk differenzieren wir nach der Variablenxk, während alle ande-ren Variablen konstant gehalten werden. Um zu verdeutlichen, welche Variablen konstant gehal-ten werden, hat sich in der statistischen Physik auch die folgenden Schreibweise eingebürgert:

(∂F∂x1

)

x2

=∂F (x1,x2)

∂x1,

(∂F∂x1

)

x2,x3

=∂F (x1,x2,x3)

∂x1, etc.

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Seiω ein Differential vonn Variablen und gegeben durch

ω =n

∑j=1

ω j dxj .

Eine notwendige Bedingung, daßω exakt ist, ist

∂ωi

∂x j=

∂ω j

∂xi1≤ i, j ≤ n.

Dies sieht man leicht wie folgt: Istω exakt, so gibt es einF, so daßωi = ∂F/∂xi . Wir nehmenan, daßF zweimal stetig differenzierbar ist. Dann vertauschen die zweiten Ableitungen:

∂2F∂x j∂xi

=∂2F

∂xi∂x j,

oder in anderen Worten∂ωi/∂x j = ∂ω j/∂xi .Bemerkung: Die obige Bedingung gibt Auskunft darüber, ob die Einsformω geschlossen ist. Istω geschlossen und ist der zugrundeliegende Raum topologischtrivial, so ist dann auchω exakt.

SeidF nun ein exaktes Differential. Integrieren wirdF entlang eines Wegesγ mit AnfangspunktA und EndpunktB, so gilt

γ

dF = F(B)−F(A).

In einer Dimension ist dies nicht anderes als der Hauptsatz der Integral- und Differentialrech-nung, in mehreren Dimensionen ist dies ein Spezialfall des Stokeschen Integralsatzes für Diffe-rentialformen. Insbesondere hängt die rechte Seite nur vomAnfangs- und Endpunkt, aber nichtvom gewählten Weg ab.

Für einen geschlossenen Weg, bei dem per Definition Anfangs-und Endpunkt zusammenfallen(A= B), gilt:

∮dF = 0.

Bemerkung: Die Tatsache, daß das Integral nicht vom gewählten Weg abhängt, ist eine Eigen-schaft exakter Differentiale. Für nicht-exakte Differentiale ω gilt im Allgemeinen, daß das Inte-gral

γ

ω

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vom gewählten Wegγ abhängt.

Sprechweise: SeidF ein exaktes Differential, gegeben durch

dF =n

∑j=1

ω j dxj , ω j =∂F∂x j

.

Wir bezeichnen das Paar(x j ,ω j) alskonjugierte Variablen bezüglich der FunktionF.

Wir wollen noch einige nützliche Rechenregeln für exakte Differentiale betrachten. SeienX, YundZ drei Zustandsvariablen, die eine GleichungG(X,Y,Z) = 0 erfüllen. Es sind also nur zweiVariablen unabhängig, die dritte kann durch die GleichungG(X,Y,Z) = 0 durch die anderenausgedrückt werden. Es gilt:

(∂X∂Y

)

Z=

1(

∂Y∂X

)

Z

,

(∂X∂Y

)

Z

(∂Y∂Z

)

X

(∂Z∂X

)

Y= −1.

Beweis: Wir betrachten zunächstY undZ als unabhängig und somitX = X(Y,Z). Für das Diffe-rential gilt dann

dX =

(∂X∂Y

)

ZdY+

(∂X∂Z

)

YdZ.

Andererseits können wir auchX und Z als unabhängig betrachten, undY = Y(X,Z). In diesenFall gilt für das Differential vonY:

dY =

(∂Y∂X

)

ZdX+

(∂Y∂Z

)

XdZ.

Wir eliminieren nundY aus diesen beiden Gleichungen und erhalten[(

∂X∂Y

)

Z

(∂Y∂X

)

Z−1

]

dX+

[(∂X∂Y

)

Z

(∂Y∂Z

)

X+

(∂X∂Z

)

Y

]

dZ = 0.

Die Ausdrücke in den eckigen Klammern müssen unabhängig voneinander Null sein. Aus demersten Term folgt

(∂X∂Y

)

Z=

1(

∂Y∂X

)

Z

.

Aus dem zweiten Term folgt zunächst(

∂X∂Y

)

Z

(∂Y∂Z

)

X= −

(∂X∂Z

)

Y,

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und mit Hilfe von∂X/∂Z = 1/(∂Z/∂X) letztendlich(

∂X∂Y

)

Z

(∂Y∂Z

)

X

(∂Z∂X

)

Y= −1.

SeiW nun eine vierte Zustandsgröße, die sich ebenfalls wieder durch zwei der drei VariablenX,Y undZ ausdrücken läßt. Wir haben dann

(∂X∂W

)

Z=

(∂X∂Y

)

Z

(∂Y∂W

)

Z,

(∂X∂Y

)

Z=

(∂X∂Y

)

W+

(∂X∂W

)

Y

(∂W∂Y

)

Z.

Zum Beweis der ersten Gleichung betrachten wirY undZ als unabhängig undX = X(Y,Z). Wirdividieren das DifferentialdX durchdW und erhalten

dXdW

=

(∂X∂Y

)

Z

dYdW

+

(∂X∂Z

)

Y

dZdW

.

Für konstantesZ gilt dZ= 0. Somit erhalten wir(

∂X∂W

)

Z=

(∂X∂Y

)

Z

(∂Y∂W

)

Z.

Für den Beweis der zweiten Gleichung betrachten wirY undW als unabhängig undX =X(Y,W).Wir teilen das DifferentialdX durchdY und erhalten

dXdY

=

(∂X∂Y

)

W

dYdY

+

(∂X∂W

)

Y

dWdY

.

Beschränken wir uns dann auf konstantesZ, so erhalten wir(

∂X∂Y

)

Z=

(∂X∂Y

)

W+

(∂X∂W

)

Y

(∂W∂Y

)

Z.

Abschliessend soll noch darauf hingewiesen werden, daß nicht alle Differentiale exakt sind. Bei-spiele für nicht-exakte Differentiale in der statistischen Physik sind die Differentiale der WärmeδQ oder der mechanischen ArbeitδW. Wir verwenden die NotationδX um anzudeuten, daß essich um nicht-exakte Differentiale handelt. Mathematischhandelt es sich um Einsformen, dienicht exakt sind. (Ist der zugrundeliegende Raum topologisch trivial, so sind diese Einsformenauch nicht geschlossen.) Für diese Differentiale ist die Integration vom gewählten Weg abhän-gig. Insbesondere kann die Integration über einen geschlossenen Weg ungleich Null sein. Diesist zum Beispiel bei Kreisprozessen von Bedeutung.

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2.2 Die Hauptsätze der Thermodynamik

Die Thermodynamik basiert auf vier Hauptsätzen, die in Kurzform lauten:

1. Systeme, die miteinander im Gleichgewicht sind, haben dieselbe Temperatur.

2. Die Gesamtenergie ist erhalten.

3. Die Entropie nimmt nicht ab.

4. Der absolute Nullpunkt der Temperatur ist nicht erreichbar.

Zuerst sollen noch einige Begriffe erklärt werden:

• Prozesse, bei denen der Druck konstant ist (p= const), nennt manisobar,

• Prozesse, bei denen das Volumen konstant ist (V = const), nennt manisochor,

• Prozesse, bei denen die Temperatur konstant ist (T = const), nennt manisotherm,

• Prozesse, bei denen die Entropie konstant ist (S= const), nennt manisentrop,

• Prozesse, bei denen keine Wärme zu- oder abgeführt wird (δQ = 0), nennt manadiaba-tisch,

Des weiteren sind wichtig:

• Ein quasistatischer Prozesseines physikalischen Systems läuft langsam gegenüber dercharakteristischen Relaxationszeit des Systems ab. Unterder charakteristischen Relaxa-tionszeit eines Systems versteht man die Zeit, innerhalb derer das System von einemNichtgleichgewichtszustand in einen Gleichgewichtszustand übergeht. Bei einem quasi-statischer Prozess kann man daher annehmen, daß sich das System zu jedem Zeitpunkt imGleichgewicht befindet.

• Ein irreversibler Prozess ist ein Prozess, der nicht in umgekehrter Richtung ablaufenkann, wie zum Beispiel der Übergang von einem Nichtgleichgewichtszustand in einenGleichgewichtszustand.

• Ein reversibler Prozessist ein Prozess, der auch in der umgekehrten Richtung ablaufenkann.

• Ein Kreisprozessist ein Prozess, in dem sich ein System nach Durchlaufen eines Zykelswieder im thermodynamischen Zustand des Ausgangspunktes befindet.

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2.2.1 Der nullte Hauptsatz

Der nullte Hauptsatz der Thermodynamik besagt, daß zwei Systeme, die miteinander im Gleich-gewicht sind, die gleiche Temperatur besitzen.

Der nullte Hauptsatz erlaubt, das Konzept eines Thermometers einzuführen: Hierzu betrachtetman ein Referenzsystem, welches Zustandsvariablen besitzt, die abhängig von der Temperaturverschiedene Werte annehmen. Diese Zustandsvariablen können zum Beispiel die Höhe einerQuecksilbersäule oder der Wert eines Widerstandes sein. Bringt man das Referenzsystem inKontakt mit einem weiteren System, so läß sich die Temperatur des zweiten Systems messen.In der Praxis ist natürlich darauf zu achten, daß sich der Gleichgewichtszustand erst nach einergewissen Zeit einstellt. Auch sollte das Thermometer eine möglichst kleine Wärmekapazität ha-ben, so daß das zu messende System möglichst wenig gestört wird.

Zwei Systeme (die voneinander getrennt sein dürfen) besitzen die gleich TemperaturT, fallseine Messung mit einem Thermometer die gleiche Temperatur ergibt.

Mathematisch handelt es sich bei dem nullten Hauptsatz um das Konzept einer Äquivalenzre-lation. Schreiben wir

S1T∼ S2

für zwei Systeme, die die gleiche Temperatur besitzen, so ist diese Relation transitiv: Aus

S1T∼ S2 und S2

T∼ S3

folgt

S1T∼ S3.

Offensichtlich ist die Relation auch reflexiv

S1T∼ S1

und symmetrisch

S1T∼ S2 ⇒ S2

T∼ S1.

Somit liegen alle Anforderungen an eine Äquivalenzrelation vor.

2.2.2 Der erste Hauptsatz

Der erste Hauptsatz der Thermodynamik besagt, daß die Gesamtenergie erhalten ist.

Im Rahmen der Thermodynamik sind die folgenden Energieformen relevant: Wärme, Arbeit,

13

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chemische Energie (Materialzufuhr) und die innere Energieeines Systems. Die Energieerhal-tung formuliert man wie folgt: Die Änderung der inneren EnergieU eines Systems ist gegebendurch die zugeführte WärmeδQ, die am System verrichtete ArbeitδW und die zugeführte Ma-terie (chemische Energie)µdN. In Formeln ausgedrückt lautet der erste Hauptsatz

dU = δQ+δW+µ dN.

Hierbei istµ das chemische Potential undN die Anzahl der Teilchen. Besteht ein System ausverschiedenen Teilchenarten, so verallgemeinert sich dererste Hauptsatz wie folgt:

dU = δQ+δW+∑j

µj dNj ,

wobei über alle Teilchenarten summiert wird.µj ist das chemische Potential der Teilchenartj,Nj die dazugehörige Anzahl der Teilchen der Artj.

In der obigen Definition wird dieam System geleistete Arbeit positiv gezählt. In der Literaturfindet man auch die Konvention, dievom System geleistete Arbeit positiv zu zählen. In diesemFall findet man ein explizites Minuszeichen vor demδW-Term im ersten Hauptsatz.

Die am System geleistete Arbeit kann durch die Änderung verschiedener mechanischer extensi-ver Zustandsgrößen bewirkt werden:

δW = −p dV+σ dA+J dL+ ~H ·d~M+~E ·d~P+ ...

Wir können die Größen

~Y =(

−p,σ,J, ~H,~E, ...)

alsverallgemeinerte Kräfte betrachten, und die Größen

~X =(

V,A,L, ~M,~P, ...)

alsverallgemeinerte Koordinaten, so daß sich die am System geleistete Arbeit als

δW = ~Y ·d~X

schreiben läßt.Zur Erinnerung: In der klassischen Mechanik läß sich die Änderung der kinetischen Energieeines Teilchens als

d Ekin = d

(12

m~x2)

= ~F ·d~x

schreiben.

Der erste Hauptsatz läßt sich somit auch als

dU = δQ+~Y ·d~X+∑j

µj dNj

14

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angeben.

Wichtig ist, daß die GrößenδQ und δW keine exakten Differentiale sind. Die GrößendU, d~XunddN sind dagegen exakte Differentiale. Betrachten wir hierzu ein System, bei dem mechani-sche Arbeit nur durch eine Volumenänderung geleistet wird

δW = −p dV,

so istδW nicht exakt, aberdV ist exakt. In anderen Worten

−1p

δW

ist exakt. Mathematisch bezeichnet man den Vorfaktor(−1/p) als integrierenden Faktor.

2.2.3 Der zweite Hauptsatz

Empirisch stellt man fest, daß nicht jeder Prozess, der die Energieerhaltung respektiert, auchstattfindet. So beobachtet man nie, daß bei zwei Systemen unterschiedlicher Temperatur, die inthermischen Kontakt gebracht werden, sich das wärmere System weiter erwärmnt, während daskältere System sich weiter abkühlt. Auch beobachtet man nie, daß sich Gasmoleküle, die sich ineinem geschlossenen Volumen befinden alle in einem Subvolumen lokalisiert sind. Der zweiteHauptsatz beschreibt diese Tatsachen. Es exisitieren äquivalente Formulierungen des zweitenHauptsatzes:

Eine Formulierung des zweiten Hauptsatzes lautet:

• Die Entropieänderung eines vollständig abgeschlossenen physikalischen Systems ist nichtnegativ. Die Entropieänderung ist nur dann Null, falls das System einen reversiblen Prozessdurchläuft. Durchläuft das System einen irreversiblen Prozess, so ist die Entropieänderungimmer positiv.

Andere Formulierungen lauten:

• Die spontane Tendenz eines physikalischen Systems einen Gleichgewichtszustand zu er-reichen, kann nicht umgekehrt werden ohne Arbeit in Wärme umzuwandeln.

• In einem Kreisprozess ist es nicht möglich Wärme aus einem Wärmereservoir in Arbeitumzuwandeln ohne gleichzeitig auch Wärme einem kälteren Reservoir zuzuführen.

Die letzte Formulierung geht auf W. Thomson (Lord Kelvin) zurück. Auf Clausius geht diefolgende Formulierung zurück:

• In einem Kreisprozess ist es nicht möglich Wärme aus einem kalten Wärmereservoir in einwarmes Wärmereservoir zu überführen, ohne Arbeit zu verrichten.

15

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Der zweite Hauptsatz verbietet ein perpetuum mobile der zweiten Art.Ein perpetuum mobile der ersten Art würde Arbeit bzw. Energie aus dem Nichts erzeugen

und verletzt die Energieerhaltung (erster Hauptsatz).Ein perpetuum mobile der zweiten Art würde zwar die Energieerhaltung respektieren und

Arbeit bzw. Energie alleine durch immer weitere Abkühlung eines Wärmereservoirs erzeugen.Der zweite Hauptsatz besagt, daß dies nicht möglich ist.

Wir wollen den zweiten Hauptsatz nun in Formeln fassen. Er lautet: DieEntropie S eines Sy-stems ist eine Zustandsgröße und es gilt

δQ ≤ T dS,

wobei

δQ = T dS für reversible Prozesse,

δQ < T dS für irreversible Prozesse.

Für einen reversiblen Prozess gilt

dS =δQT

.

Ist die Entropie für einen AnfangszustandA bekannt, und erreicht man den EndzustandB durcheinen reversiblen Prozess, so erhält man die Entropie für den ZustandB durch Integration:

SB = SA+

B∫

A

dS= SA+

B∫

A

δQT

.

Für δQ kann man nun den ersten Hauptsatz verwenden:

δQ = dU−~Y ·d~X−∑j

µjdNj .

Da die Entropie eine Zustandsgröße ist, gilt für einen reversiblen Kreisprozess∮

dS = 0.

Betrachten wir nun noch kurz irreversible Prozesse. Hier gilt

dS >δQT

.

Für ein vollständig abgeschlossenes System istδQ= 0. Durchläuft dieses System einen irrever-siblen Prozess (z.B. indem es von einem Nichtgleichgewichtszustand in einen Gleichgewichts-zustand übergeht), so istdS> 0 und auch

∆S > 0.

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Ein irreversibler Prozess in einem vollständig abgeschlossenes System führt zu einer Entropieer-höhung.

Per Definition ist ein Gleichgewichtszustand ein Zustand, in dem keine irreversiblen Zustandsän-derungen auftreten, d.h. es existieren in einem vollständig abgeschlossenes System keine Prozes-se, die die Entropie erhöhen können. Somit ist ein Gleichgewichtszustand in einem vollständigabgeschlossenes System ein Zustand maximaler Entropie.

2.2.4 Der dritte Hauptsatz

Der dritte Hauptsatz wurde 1906-1912 von W. Nernst und M. Planck entwickelt und aufgestellt.Er besagt, daß die Entropiedifferenz stabiler thermodynamischer Zustände, die durch reversibleZustandsänderungen verbunden sind, fürT → 0 gegen Null strebt.

In anderen Worten: Am absoluten NullpunktT = 0 nimmt ein System den kleinstmöglichenWert der Entropie an. In einem(S,T)-diagramm haben wir also die folgende Situation:

S

T

S0

Versucht man nun, daß System durch reversible Prozesse abzukühlen, so kann man dies durcheinen Wechsel von isothermen (T = const) und adiabatischen Prozessen (S= const) tun. Aus derSkizze ist ersichtlich, daß man nicht in endlichen Schritten zum Punkt(S,T) = (S0,0) gelangt.Wir können daher den dritten Hauptsatz auch wie folgt formulieren: Der absolute Nullpunkt derTemperatur ist durch eine endliche Anzahl an reversiblen Prozessen nicht erreichbar.

Es soll darauf hingewiesen werden, daß im Allgemeinen für den GrenzfallT → 0 die Quan-teneigenschaften des betrachteten Systems relevant werden, das System also nicht mehr klas-sisch behandelt werden kann. Betrachten wir ein System ausN Teilchen und bezeichnen mitS0 = S(T = 0) den Wert der Entropie beiT = 0, so können wir den dritten Hauptsatz auch wiefolgt formulieren: Die Größe

S0

Nist eine Konstante, die nicht von den weiteren Zustandsgrößen abhängt. (Bemerkung: Die Entro-pie ist eine extensive Zustandsgröße, teilen wir durch die TeilchenzahlN, die ebenfalls eineextensive Zustandgröße ist, so erhalten wir eine Größe, dievon N unabhängig ist.) Wir werdenspäter sehen, daßS0 gegeben ist durch

S0 = kBN lng,

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wobeigdie Entartung des Grundzustandes angibt. Ist der Grundzustand nicht degeneriert (g= 1),so giltS0 = 0.

2.3 Fundamentale Gleichungen der Thermodynamik

2.3.1 Die Euler-Gleichung

Es wurde bereits erwähnt, daß die Entropie eine extensive Zustandsgröße ist. Betrachten wirdie Entropie als Funktion der inneren EnergieU , der verallgemeinerten Koordinaten~X und derTeilchenzahlenNi, so gilt wenn wir die extensivenU , ~X undNi um einen Faktorλ skalieren

S(

λU,λ~X,λNi

)

= λS(

U,~X,Ni

)

Leiten wir diese Gleichung nachλ ab, so erhalten wir

S(

U,~X,Ni

)

=

(∂S∂U

)

~X,Ni

U +∑i

(∂S∂Xi

)

U,Xk6=iNj

Xi +∑i

(∂S∂Ni

)

U,~X,Nj 6=i

Ni .

Betrachten wir reversible Prozesse, so istδQ= T dSund

dU = T dS+~Y ·d~X+∑j

µj dNj .

Somit gilt(

∂S∂U

)

~X,Ni

=1T,

(∂S∂Xi

)

U,Xk6=iNj

= −Yi

T,

(∂S∂Ni

)

U,~X,Nj 6=i

= −µi

T.

Setzen wir diese Relationen ein, so erhalten wir

S =UT−~Y ·~X

T−∑

j

µjNj

T,

bzw. durch Umstellen

U = TS+~Y ·~X+∑j

µjNj .

Diese Gleichung wird als Euler-Gleichung oder Fundamentalgleichung der Thermodynamik be-zeichnet.

18

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2.3.2 Die Gibbs-Duhem-Gleichung

Zur Herleitung der Gibbs-Duhem-Gleichung betrachten wir das Differential der Euler-Gleichung

dU = d(TS)+d(

~Y ·~X)

+∑j

d(µjNj

).

Es ist

d(TS) = T dS+S dT

und ebenso fürd(~Y ·~X) undd(µjNj). Subtrahieren wir nun

dU = T dS+~Y ·d~X+∑j

µj dNj ,

so erhalten wir

0 = S dT+~X ·d~Y+∑j

Nj dµj .

Dies ist die Gibbs-Duhem-Gleichung. Sie stellt eine lineare Beziehung zwischen den Differen-tialen der intensiven Zustandsvariablen dar.

Eine Anwendung besteht darin, daß chemische Potential durch Integration der Gibbs-Duhem-Gleichung zu erhalten. Liegt nur eine Teilchensorte vor, sogilt

dµ = − SN

dT−~XN·d~Y.

2.4 Zustandsgleichungen

Unter einer Zustandsgleichung versteht man eine Relation zwischen den Zustandsvariablen ei-nes Systems im Gleichgewicht. Eine Zustandsgleichung reduziert die Anzahl der thermodyna-mischen Variablen, die benötigt werden, um ein System zu beschreiben. Wir diskutieren einigeBeispiele.

2.4.1 Das ideale Gas

Die bekannteste Zustandsgleichung ist die Zustandsgleichung eines idealen Gases. Unter einemidealen Gas versteht man ein System von punktförmigen und nicht wechsel-wirkenden Teilchen.Die Zustandsgleichung lautet

pV = NkBT,

wobeikB = 1.381·10−23 J K−1 dieBoltzmannsche Konstanteist. Man findet auch die Schreib-weise

pV = nRT,

wobei n die Anzahl der Mols angibt undR= 8.314 J mol−1 K−1 die universelle Gaskonstantebezeichnet.

19

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2.4.2 Die Virialentwicklung

Die Zustandsgleichung für ein ideales Gas läßt sich auch wiefolgt schreiben:

pkBT

=NV.

Sie basiert auf der Annahme, daß die einzelnen Teilchen nicht wechselwirken. In einem realisti-schen System wechselwirken die Teilchen natürlich miteinander. Den Einfluß der Wechselwir-kung beschreibt man näherungsweise durch die Virialentwicklung

pkBT

=NV+B2(T)

(NV

)2

+B3(T)

(NV

)3

+ ....

B2(T) bezeichnet man als den zweiten Virialkoeffizienten,B3(T) als dritten Virialkoeffizienten.

2.4.3 Die Van der Waals-Zustandsgleichung

Die Van der Waals-Zustandsgleichung ist eine phänomenologische Gleichung, die die Wechsel-wirkung zwischen den Teilchen zu modellieren versucht. Sielautet

(

p+aN2

V2

)

(V −bN) = NkBT.

Die zwei Konstantena undb habe die folgende Bedeutung: Bei der Wechselwirkung zwischenzwei Teilchen geht man von einem langreichweitigen anziehenden Anteil und einem starkenkurzreichweitigen abstoßenden Anteil (massiver Kern) aus. Der abstoßende Anteil führt dazu,daß das Gas nicht aufV = 0 komprimiert werden kann, sondern nur auf einen MinimalwertVmin = bN. Der anziehende Anteil führt zu einer leichten Verminderung des Druckes. DieseVerminderung ist proportional zur Wahrscheinlichkeit, daß zwei Teilchen wechselwirken unddies wiederum ist proportional zum Quadrat der DichteN/V.

2.4.4 Das Curie-Gesetz

Zustandsgleichungen sind nicht nur auf (ideale) Gase beschränkt. Ein Beispiel außerhalb desBereichs der (idealen) Gase ist die Magnetisierung eines paramagnetischen Festkörpers. P. Curriefand das empirische Gesetz

~M = cNT~H,

wobeic eine materialabhängige Konstante ist. Auch hier soll betont werden, daß diese Zustands-gleichung im Allgemeinen nur unter idealisierenden Annahmen gültig ist.

20

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2.5 Der Carnot-Prozess

Ein Carnot-Prozess ist ein Kreisprozess, der sich aus vier reversiblen Teilprozessen zusammen-setzt.

1. Isotherme Absorption einer Wärmemenge∆Q12 aus einem Wärmebad der TemperaturT+.

2. Adiabatische Zustandsänderung von der höheren Temperatur T+ auf die niedrigere Tem-peraturT−.

3. Isotherme Abgabe einer Wärmemenge∆Q34 an ein Wärmebad der TemperaturT−.

4. Adiabatische Zustandsänderung von der niederen Temperatur T− auf die höhere Tempera-tur T+.

In einem(X,Y)-Diagramm stellt sich der Carnot-Prozess schematisch wie folgt dar:

X

Y

1

2

3

4

Bis jetzt haben wir noch keine Aussagen über die mechanischen VariablenY und X gemacht.Man verwendet oft(Y,X) = (−p,V). In einem(V, p)-Diagramm stellt sich der Carnot-Porzesswie folgt dar:

V

p

1

2

3

4

WegenY = −p hat sich die Umlaufrichtung in dieser Darstellung umgekehrt. (Auch haben wirdie Darstellung durch eine Wahl des Ursprungs derp-Achse verschoben.) Es soll auch daraufhingewiesen werden, daß Adiabaten und Isothermen in einem(X,Y)- bzw.(V, p)-Diagramm imAllgemeinen keine Geraden sind. Dies wurde nur in den Diagrammen vereinfacht dargestellt.

21

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Der Wirkungsgradη eines Carnot-Prozesses ist definiert als dievomSystem geleistete Arbeit(−∆W), geteilt durch die im Schritt 1 aufgenommene Wärmemenge∆Q12:

η =(−∆W)

∆Q12.

Die vom System geleistete Arbeit beim Durchlaufen eines Zykels ist gegeben durch

−∆W = −∮~Y ·d~X.

Nach Durchlaufen eines Zykels befindet sich das System wieder im Ausgangszustand, insbeson-dere hat sich die innere Energie nicht geändert:

∆U = 0.

Wir können weiter annehmen, daß im Rahmen des Carnot-Prozesses die Teilchenzahl konstantist, damit reduziert sich der erste Hauptsatz auf

∮δQ = −

∮~Y ·d~X =−∆W.

Nun ist aber ∮δQ = ∆Q12−∆Q34,

und somit

η = 1− ∆Q34

∆Q12.

Wir wollen noch das konkrete Beispiel eines Carnot-Prozesses mit einem idealen Gas betrachten.Für ein ideales Gas gilt die Zustandsgleichung

pV = NkBT,

außerdem gilt für die innere Energie des idealen Gases

U =32

NkBT.

Betrachten wir zunächst die Isothermen und Adiabaten. Für Isothermen giltT = const, und somitfolgt aus der Zustandsgleichung sofort

p =p0V0

V.

Für Adiabaten giltδQ= 0 und somit folgt aus dem ersten Hauptsatz

dU = −p dV.

22

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Kombiniert man die Zustandsgleichung mit der Gleichung fürdie innere Energie, so erhält man

U =32

pV.

Betrachtet man hiervon das Differential, so ergibt sich

dU =32

p dV+32V dp.

Wir haben somit zwei Ausdrücke fürdU, die wir gleichsetzen können:

32

p dV+32V dp = −p dV,

bzw.

dpp

= −53

dVV

.

Die Integration liefert

p = p0

(VV0

)− 53

.

Wir möchten noch die auf- bzw. abgegebene Wärmemenge entlang der Isothermen bestimmen.Entlang einer Isotherme ist

∆Q =

b∫

a

δQ=

b∫

a

p dV=

b∫

a

paVa

VdV =

b∫

a

NkBTV

dV = NkbT ln

(Vb

Va

)

.

Somit ist

∆Q12 = NkbT+ ln

(V2

V1

)

, −∆Q34 = NkbT− ln

(V4

V3

)

.

(∆Q34 ist die an das WärmebadT− abgegebene Wärmemenge, somit ist(−∆Q34) die vom Wär-mebadT− aufgenommene Wärmemenge.)

Entlang Adiabaten gilt

p3aV

5a = p3

bV5b ,

oder anders geschrieben

(paVa)3V2

a = (pbVb)3V2

b .

23

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Verwenden wir nunpV = NkBT, so erhalten wir

T3a V2

a = T3b V2

b .

Somit ist

V2

V3=

(T+T−

)− 32

=V1

V4.

Wir haben also

V2

V1=

V3

V4.

Somit erhalten wir für den Wirkungsgrad

η = 1− ∆Q34

∆Q12= 1− T−

T+

ln(

V3V4

)

ln(

V2V1

) = 1− T−T+

.

2.6 Thermodynamische Potentiale

Als thermodynamische Potentiale bezeichnet man die innereEnergie und Zustandsfunktionen,die durch eine Legendre-Transformation aus der inneren Energie hervorgehen.

Wir wiederholen kurz den Begriff einer Legendre-Transformation: Sei f (x,y1, ...,yn) eineFunktion und

∂2 f∂x2 6= 0.

Wir betrachten die Legendre-Transformation bezüglich derVariablenx, die weiteren Variableny1, ..., yn sind nicht weiter relevant, sie werden wie Parameter behandelt. Aufgrund der Bedin-gung an die zweite Ableitung existiert zu

z =∂ f∂x

die Umkehrfunktion

x = x(z,y1, ...,yn).

Dann ist die Legendretransformierte vonf bezüglichx definiert durch

g(z,y1, ...,yn) = zx(z,y1, ...,yn)− f (x(z,y1, ...,yn),y1, ...,yn) .

Für die innere Energie gilt bei reversiblen Prozessen

dU = T dS+~Y ·d~X+∑j

µj dNj .

24

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Wir können die innere Energie daher bei reversiblen Prozessen als Funktion der VariablenS,~X und Nj auffassen. Wir erhalten die anderen thermodynamischen Potentiale, indem wir eineLegendre-Transformation bezüglich dieser Variablen durchführen. Wir erhalten dann eine Funk-tion in der zugehörigen konjugierten Variable. Die wichtigsten thermodynamischen Potentialesind in der folgenden Tabelle zusammengestellt:

Potential unabhängige Variableninnere EnergieU S, ~X, Nj

EnthalpieH S,~Y, Nj

Helmholtzsche freie EnergieF T, ~X, Nj

Gibbsche freie EnthalpieG T,~Y, Nj

großkanonisches PotentialΩ T, ~X, µj

2.6.1 Die innere EnergieU

Wir beginnen die Diskussion der thermodynamischen Potentiale mit der inneren EnergieU undbetrachten zunächst reversible Prozesse. Hier gilt für dasDifferential der inneren Energie

dU = T dS+~Y ·d~X+∑j

µj dNj .

Wir können die innere EnergieU also als Funktion der extensiven ZustandsvariablenS, ~X undNj betrachten.

U = U(

S,~X,Nj

)

.

Die Euler-Gleichung gibt uns einen Ausdruck für die innere Energie:

U = TS+~Y ·~X+∑j

µjNj .

Aus dem Differential lesen wir auch die Ableitungen ab(

∂U∂S

)

~X,Nj

= T,

(∂U∂Xi

)

S,Xk6=i ,Nj

=Yi ,

(∂U∂Ni

)

S,~X,Nj 6=i

= µi.

Da die zweiten Ableitungen vertauschen, erhalten wir(

∂T∂Xi

)

S,Xk6=i ,Nj

=

(∂Yi

∂S

)

~X,Nj

,

(∂T∂Ni

)

S,~X,Nj 6=i

=

(∂µi

∂S

)

~X,Nj

,

(∂Yi

∂Nj

)

S,~X,Nk6= j

=

(∂µj

∂Xi

)

S,Xk6=i ,Nl

.

25

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Diese Relationen werden als Maxwell-Relationen bezeichnet. Wir zeigen kurz die erste Relation:(

∂T∂Xi

)

S,Xk6=i,Nj

=∂

∂Xi

(∂U∂S

)

=∂

∂S

(∂U∂Xi

)

=

(∂Yi

∂S

)

~X,Nj

.

Die anderen Relationen beweist man analog.Wir betrachten nun irreversible Prozesse. WegenδQ< T dSgilt nun für das Differential der

inneren Energie

dU < T dS+~Y ·d~X+∑j

µj dNj .

Betrachten wir nun eine irreversible Zustandsänderung beikonstantemS, ~X undNj , so folgt

dU < 0.

Im Gleichgewicht treten solche irreversiblen Zustandsänderungen nicht mehr auf, daher ist dieinnere Energie im Gleichgewichtszustand eines Systems mitkonstantemS, ~X undNj minimal.

Bemerkung: Wir haben in der Diskussion des zweiten Hauptsatzes bereits gesehen, daß in einemvollständig abgeschlossenen System (in dem also die VariablenU , ~X undNj konstant sind) derGleichgewichtszustand der Zustand minimaler Entropie ist. (In einem vollständig abgeschlosse-nen System istδQ= 0, d~X = 0 unddNj = 0, aus dem ersten Hauptsatz folgt dann auchdU = 0.)Im hier betrachteten Fall interessieren wir uns nun für die RandbedingungendS= 0,d~X = 0 unddNj = 0. In diesem Fall ist der Gleichgewichtszustand der Zustandminimaler innerer Energie.

2.6.2 Die EnthalpieH

Bei der Enthalpie betrachten wir die Legendre-Transformierte der inneren EnergieU(S,~X,Nj)bezüglich der VariablenXi. Aufgrund von

(∂U∂Xi

)

S,Xk6=i ,Nj

=Yi

sind die konjugierten Variablen die verallgemeinerten Kräfte Yi . Die EnthalpieH(S,~Y,Nj) istdefiniert als

−H(

S,~Y,Nj

)

= ~Y ·~X−U,

bzw.

H(

S,~Y,Nj

)

= U −~Y ·~X.

(Es ist also(−H) die Legendre-Transformierte der inneren Energie bezüglich der Variablen~X.Das Minuszeichen ist Konvention.)

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Wir betrachten zunächst wieder reversible Prozesse. Für das Differential der Enthalpie gilt

dH = dU−d(

~Y ·~X)

= dU−~Y ·d~X−~X ·d~Y.

Setzen wir den Ausdruck fürdU ein, so ergibt sich

dH = T dS−~X ·d~Y+∑j

µj dNj .

Aus der Euler-Relation folgt

H = TS+∑j

µjNj .

Auch hier können wir wieder die partiellen Ableitungen betrachten:(

∂H∂S

)

~Y,Nj

= T,

(∂H∂Yi

)

S,Yk6=i ,Nj

=−Xi,

(∂H∂Ni

)

S,~Y,Nj 6=i

= µi .

Die Maxwell-Relationen lauten(

∂T∂Yi

)

S,Yk6=i ,Nj

= −(

∂Xi

∂S

)

~Y,Nj

,

(∂T∂Ni

)

S,~Y,Nj 6=i

=

(∂µi

∂S

)

~Y,Nj

,

−(

∂Xi

∂Nj

)

S,~Y,Nk6= j

=

(∂µj

∂Yi

)

S,Yk6=i ,Nl

.

Betrachten wir nun irreversible Prozesse, so gilt

dH < T dS−~X ·d~Y+∑j

µj dNj .

Für eine irreversible Zustandsänderung bei konstantemS,~Y undNj gilt also

dH < 0.

Somit folgt, daß für Systeme mit konstantemS, ~Y und Nj im Gleichgewicht die EnthalpieHminimal ist.

2.6.3 Die Helmholtzsche freie EnergieF

Die Helmholtzsche freie EnergieF erhält man aus der inneren Energie durch eine Legendre-Transformation bezüglich der VariablenS. Aufgrund von

(∂U∂S

)

~X,Nj

= T

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ist die zuSkonjugierte Variable die TemperaturT. Die Helmholtzsche freie EnergieF ist defi-niert durch

F(

T,~X,Nj

)

= U −TS,

das Minuszeichen in der Legendretransformation ist wiederKonvention.

Wir betrachten zunächst reversible Prozesse. Für das Differential findet man

dF = −S dT+~Y ·d~X+∑j

µj dNj .

Die Euler-Gleichung liefert

F = ~Y ·~X+∑j

µjNj .

Die partiellen Ableitungen lauten(

∂F∂T

)

~X,Nj

=−S,

(∂F∂Xi

)

T,Xk6=i,Nj

=Yi ,

(∂F∂Ni

)

T,~X,Nj 6=i

= µi .

Die Maxwell-Relationen lauten:

−(

∂S∂Xi

)

T,Xk6=i ,Nj

=

(∂Yi

∂T

)

~X,Nj

,

−(

∂S∂Ni

)

T,~X,Nj 6=i

=

(∂µi

∂T

)

~X,Nj

,

(∂Yi

∂Nj

)

T,~X,Nk6= j

=

(∂µj

∂Xi

)

T,Xk6=i,Nl

.

Betrachten wir nun irreversible Prozesse, so gilt

dF = dU−d(TS)< T dS+~Y ·d~X+∑j

µj dNj −d(TS) =−S dT+~Y ·d~X+∑j

µj dNj ,

also

dF < −S dT+~Y ·d~X+∑j

µj dNj .

Für eine irreversible Zustandsänderung bei konstantemT, ~X undNj gilt also

dF < 0.

Somit folgt, daß für Systeme mit konstantemT, ~X undNj im Gleichgewicht die freie EnergieFminimal ist.

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2.6.4 Die Gibbsche freie EnthalpieG

Die Gibbsche freie EnthalpieGerhält man aus der inneren Energie durch eine Legendre-Transformationin den VariablenSund~X. Die Gibbsche freie EnthalpieG ist definiert durch

G(

T,~Y,Nj

)

= U −TS−~Y ·~X.

Wir betrachten wieder zunächst reversible Prozesse. Dann gilt für das Differential

dG = −S dT−~X ·d~Y+∑j

µj dNj .

Aus der Euler-Gleichung erhält man

G = ∑j

µjNj .

Für die partiellen Ableitungen findet man(

∂G∂T

)

~Y,Nj

=−S,

(∂G∂Yi

)

T,Yk6=i,Nj

=−Xi ,

(∂G∂Ni

)

T,~Y,Nj 6=i

= µi .

Die Maxwell-Relationen lauten

−(

∂S∂Yi

)

T,Yk6=i ,Nj

= −(

∂Xi

∂T

)

~Y,Nj

,

−(

∂S∂Ni

)

T,~Y,Nj 6=i

=

(∂µi

∂T

)

~Y,Nj

,

−(

∂Xi

∂Nj

)

T,~Y,Nk6= j

=

(∂µj

∂Yi

)

T,Yk6=i,Nl

.

Betrachten wir nun irreversible Prozesse, so gilt

dG < −S dT−~X ·d~Y+∑j

µj dNj .

Für eine irreversible Zustandsänderung bei konstantemT,~Y undNj gilt also

dG < 0.

Somit folgt, daß für Systeme mit konstantemT,~Y undNj im Gleichgewicht die Gibbsche freieEnthalpieG minimal ist.

29

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2.6.5 Das großkanonische PotentialΩ

Das großkanonische PotentialΩ erhält man aus der inneren Energie durch Legendre-Transformationin den VariablenSundNj . Aufgrund von

(∂U∂Ni

)

S,~X,Nj 6=i

= µi

ist die zuNj konjugierte Variable das chemische Potentialµj . Das großkanonische PotentialΩist definert durch

Ω(

T,~X,µj

)

= U −TS−∑j

µjNj .

Wir betrachten zunächst reversible Prozesse. Für das Differential findet man

dΩ = −S dT+~Y ·d~X−∑j

Nj dµj .

Die Euler-Gleichung liefert

Ω = ~Y ·~X.

Die partiellen Ableitungen lauten(

∂Ω∂T

)

~X,µj

=−S,

(∂Ω∂Xi

)

T,Xk6=i,µj

=Yi ,

(∂Ω∂µi

)

T,~X,µj 6=i

=−Ni .

Die Maxwell-Relationen lauten:

−(

∂S∂Xi

)

T,Xk6=i,µj

=

(∂Yi

∂T

)

~X,µj

,

−(

∂S∂µi

)

T,~X,µj 6=i

= −(

∂Ni

∂T

)

~X,µj

,

(∂Yi

∂µj

)

T,~X,µk6= j

= −(

∂Nj

∂Xi

)

T,Xk6=i ,µl

.

Betrachten wir nun irreversible Prozesse, so gilt

dΩ < −S dT+~Y ·d~X−∑j

Nj dµj .

Für eine irreversible Zustandsänderung bei konstantemT, ~X undµj gilt also

dΩ < 0.

Somit folgt, daß für Systeme mit konstantemT, ~X undµj im Gleichgewicht das großkanonischePotentialΩ minimal ist.

30

Page 31: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

2.6.6 Die EntropieS

Obwohl kein thermodynamisches Potential im eigentlichen Sinne (die Entropie hat nicht dieDimension einer Energie und ist auch nicht durch eine Legendre-Transformation aus den obendiskutierten thermodynamischen Potentialen erhältlich), soll hier nochmals auf die Entropie ein-gegangen werden.

Für reversible Prozesse folgt aus dem ersten Hauptsatz für das Differential der Entropie

dS =dUT

−~Y ·d~X

T−∑

j

µj

TdNj .

Wir können die EntropieS also als Funktion der extensiven ZustandsvariablenU , ~X und Nj

betrachten:

S = S(

U,~X,Nj

)

.

Aus der Euler-Gleichung folgt

S =UT−~Y ·~X

T−∑

j

µjNj

T.

Für irreversible Prozesse giltδQ< T dSund somit

dS >dUT

−~Y ·d~X

T−∑

j

µj

TdNj .

Bemerkung: In dieser Gleichung tritt ein Größer-als-Zeichen, und kein Kleiner-als-Zeichen auf.Betrachten wir nun eine irreversible Zustandsänderung beikonstantemU , ~X undNj , so folgt

dS > 0.

Im Gleichgewicht treten solche irreversiblen Zustandsänderungen nicht mehr auf, daher ist dieEntropie im Gleichgewichtszustand eines Systems mit konstantemU , ~X undNj maximal.

Bemerkung: Für ein ideales Gas gilt

U =32

NkBT.

Somit impliziert konstantesU und konstantesN auch eine konstante TemperaturT. Somit ist fürein ideales Gas bei konstantemT (bzw. U ), ~X und Nj die EntropieS maximal und die Helm-holtzsche freie EnergieF minimal.Für andere Stoffe gilt die BeziehungU ∼ NT im allgemeinen aber nicht, und man muß die FälleU = const undT = const unterscheiden.

31

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2.7 Response-Funktionen

Response-Funktionen (oder auch Antwortsfunktionen) geben an, wie sich eine extensive Zu-standsvariable ändert, wenn andere intensive Zustandsvariablen kontrolliert verändert werden.Response-Funktionen sind in der Experimentalphysik wichtig, da sie direkt gemessen werdenkönnen.

SeiΦ ein thermodynamisches Potential,I1 eine intensive Größe undE1 die zuI1 konjugierteextensive Größe, wobei

E1 = −∂Φ∂I1

.

Ausserdem seiI2 eine weitere intensive Größe, der FallI2 = I1 sei hierbei ausdrücklich miteingeschlossen. In der Tat wirdI2 = I1 der Standardfall sein. Eine Response-FunktionR ist vonder Form

R = −α∂2Φ

∂I1∂I2,

wobeiα ein Vorfaktor ist. Äquivalent haben wir

R = α∂E1

∂I2.

Die Response-Funktion gibt an, wie stark sich die extensiveGrößeE1 bei einer Änderung derintensiven GrößeI2 ändert.

2.7.1 Die Wärmekapazität

Die Wärmekapazität ist im allgemeinen definiert durch

C =δQdT

,

und gibt an, welche Wärmemenge erforderlich ist, um die Temperatur eines Systems um einGrad zu erhöhen.

Es gibt verschiedene Varianten der Wärmekapazität, die sich dadurch unterscheiden, welcheder übrigen Zustandsvariablen konstant gehalten werden. Die gebräuchlichsten Varianten sind:Es werden die extensiven mechanischen Variablen~X konstant gehalten (z.B. das Volumen)

C~X,Nj

oder es werden die intensiven mechanischen Variablen~Y konstant gehalten (z.B. der Druck)

C~Y,Nj.

32

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Für reversible Prozesse istδQ= T dSund somit

C~X,Nj=

(δQdT

)

~X,Nj

= T

(∂S∂T

)

~X,Nj

=−T

(∂2F∂T2

)

~X,Nj

.

In der letzten Umformung haben wir

S = −(

∂F∂T

)

~X,Nj

verwendet. Wir sehen also, dass die Wärmekapazität bei konstantem~X undNj mit der zweitenAbleitung der Helmholtzschen freien Energie nachT abhängt.

Ebenso findet man für reversible Prozesse bei konstantem~Y

C~Y,Nj=

(δQdT

)

~Y,Nj

= T

(∂S∂T

)

~Y,Nj

=−T

(∂2G∂T2

)

~Y,Nj

.

Die Wärmekapazität bei konstantem~Y und Nj steht also mit der zweiten Ableitung der Gibb-schen freien EnthalphieG in Beziehung.

Als spezifische Wärmec bezeichnet man den Quotienten aus Wärmekapazität und MassedesStoffes. Auch hier unterscheidet man wieder, welche Größenkonstant gehalten werden undspricht zum Beispiel vonc~X,Nj

bzw.c~Y,Nj.

2.7.2 Die Kompressibilität

Als Suszeptibilität bezeichnet man allgemein eine Größe der Form

χi j =∂Xi

∂Yj.

Wird das System durchn verallgemeinerte KoordinatenX1, ...,Xn undn verallgemeinerte KräfteY1, ...,Yn beschrieben, so ist die Suszeptibilitätχi j einen×n-Matrix.

Bezieht man sich auf ein System, indem die mechanischen Variablen durch(Y,X) = (−p,V)gegeben sind, und normiert man die Größe auf das VolumenV, so gelangt man zur Kompressi-bilität κ, allgemein definiert durch

κ = − 1V

∂V∂p

.

Auch hier unterscheidet man wieder verschiedene Fälle, je nachdem welche Variablen konstantgehalten werden. Die isotherme Kompressibilität ist definiert durch

κT,Nj = − 1V

(∂V∂p

)

T,Nj

=− 1V

(∂2G∂p2

)

T,Nj

.

33

Page 34: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

Die adiabatische (isentropische) Kompressibilität ist definiert durch

κS,Nj = − 1V

(∂V∂p

)

S,Nj

=− 1V

(∂2H∂p2

)

S,Nj

2.7.3 Der thermische Ausdehnungskoeffizient

Eine Response-Funktion, bei der nach zwei unterschiedlichen intensiven Variablen abgeleitetwird ist gegeben durch

αi =1Xi

(∂Xi

∂T

)

~Y,Nj

=− 1Xi

(∂2G

∂Yi∂T

)

Yk6=i ,Nj

.

Betrachtet man Systeme, in denen die mechanischen Variablen durch(Y,X) = (−p,V) gegebensind, so bezeichnet man diese Größe als thermischen Ausdehnungskoeffizienten.

α =1V

(∂V∂T

)

p,Nj

=1V

(∂2G

∂p∂T

)

Nj

.

2.7.4 Die magnetische Suszeptibilität

In einem magnetischen System sind die mechanischen Variablen gegeben durch(~Y,~X)= (~H, ~M).Die magnetische Suszeptibilität ist daher gegeben durch

χi j =∂Mi

∂H j.

Die magnetische Suszeptibilität ist im allgemeinen ein Tensor, da sowohl~M als auch~H drei-komponentige Vektoren sind. Auch hier unterscheidet man wieder verschiedene Fälle, je nach-dem welche Variablen konstant gehalten werden. Die isothermische magnetische Suszeptibilitätist gegeben durch

(χi j)

T,Nl=

(∂Mi

∂H j

)

T,Nl

=−(

∂2G∂Hi∂H j

)

T,Nl

.

Die adiabatische (isentrope) magnetische Suszeptibilität ist gegeben durch

(χi j)

S,Nl=

(∂Mi

∂H j

)

S,Nl

=−(

∂2H∂Hi∂H j

)

S,Nl

.

2.7.5 Beziehungen zwischen den Response-Funktionen

Aus den Maxwell-Relationen und der Gibbs-Duhem folgen Relationen zwischen den verschie-denen Response-Funktionen. Als ein Beispiel wollen wir eine Beziehung zwischen den Wärme-kapazitäten bei konstantem~Y und konstantem~X herleiten. Betrachten wir die EntropieSals eine

34

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Funktion der VariablenT, ~X, Nj , so ist

dS =

(∂S∂T

)

~X,Nj

dT+∑i

(∂S∂Xi

)

T,Xk6=i,Nj

dXi +∑j

(∂S

∂Nj

)

T,~X,Nl 6= j

dNj .

Betrachten wir hingegen die Entropie als eine Funktion der VariablenT,~Y, Nj , d.h.

S = S(

T,~X(

T,~Y,Nj

)

,Nj

)

,

so folgt

dS =

[(∂S∂T

)

~X,Nj

+∑i

(∂S∂Xi

)

T,Xk6=i,Nj

(∂Xi

∂T

)

~Y,Nj

]

dT

+∑i, j

(∂S∂Xi

)

T,Xk6=i,Nl

(∂Xi

∂Yj

)

T,Yk6= j ,Nl

dYj

+∑j

[(∂S

∂Nj

)

T,~X,Nl 6= j

+∑k

(∂S∂Xk

)

T,Xi 6=k,Nl 6= j

(∂Xk

∂Nj

)

T,~Y,Nl 6= j

]

dNj .

Es ist dann

C~Y,Nj−C~X,Nj

= T

(∂S∂T

)

~Y,Nj

−T

(∂S∂T

)

~X,Nj

= T ∑i

(∂S∂Xi

)

T,Xk6=i,Nj

(∂Xi

∂T

)

~Y,Nj

Nun können wir die Maxwell-Relation (die wir im Zusammenhang mit der Helmholtzschen frei-en Energie hergeleitet haben)

(∂S∂Xi

)

T,Xk6=i,Nj

= −(

∂Yi

∂T

)

~X,Nj

und die Definition

αi =1Xi

(∂Xi

∂T

)

~Y,Nj

verwenden und erhalten

C~Y,Nj−C~X,Nj

= −T ∑i

αiXi

(∂Yi

∂T

)

~X,Nj

.

Als nächstes zeigen wir die Hilfsrelation(

∂Yi

∂T

)

~X,Nj

= −∑j

(∂Yi

∂Xj

)

T,Xk6= j ,Nl

(∂Xj

∂T

)

~Y,Nl

.

35

Page 36: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

Hierzu betrachten wir~X(T,~Y,Nj) und~Y(T,~X,Nj), sowie die dazugehörigen Differentiale:

dXi =∂Xi

∂TdT+

∂Xi

∂YjdYj +

∂Xi

∂NkdNk,

dYj =∂Yj

∂TdT+

∂Yj

∂XidXi +

∂Yj

∂NkdNk.

Wir eliminieren mit Hilfe der ersten GleichungdXi in der zweiten Gleichung und erhalten(

∂Yj

∂T+

∂Yj

∂Xi

∂Xi

∂T

)

dT+

(∂Yj

∂Xi

∂Xi

∂Yl−δ jl

)

dYl +

(∂Yj

∂Nk+

∂Yj

∂Xi

∂Xi

∂Nk

)

dNk = 0.

Die Koeffizienten vondT, dYl und dNk müssen unabhängig voneinander Null sein. Aus demKoeffizienten vondT folgt die gesuchte Hilfsrelation. Mit Hilfe dieser Relation können wir nunschreiben

C~Y,Nj−C~X,Nj

= T ∑i, j

αiXi

(∂Yi

∂Xj

)

T,Xk6= j ,Nl

(∂Xj

∂T

)

~Y,Nl

= T ∑i, j

αiXi

(∂Yi

∂Xj

)

T,Xk6= j ,Nl

α jXj .

Nun ist aber(

∂Yi

∂Xj

)

T,Xk6= j ,Nl

=

(∂Xj

∂Yi

)−1

T,Yk6=i ,Nl

=(χ ji)−1

T,Yk6=i,Nl,

und somit

C~Y,Nj−C~X,Nj

= T ∑i, j

αiXi(χ ji)−1

T,Yk6=i ,Nlα jXj .

Dies ist die gesuchte Relation zwischenC~Y,NjundC~X,Nj

.

Betrachten wir nun den Fall, daß das System durch ein Paar mechanischer Variablen beschriebenwird: (~Y,~X) = (−p,V). Des weiteren wollen wir annehmen, daß nur eine Teilchensorte auftrittund die Teilchenzahl konstant ist. Dann vereinfacht sich die obige Relation zu

Cp−CV = Tα2V2

χT=

TVα2

κT.

DaT, V und die KompressibilitätκT nicht-negative Zahlen sind, folgt

Cp ≥ CV .

Die isobare Wärmekapazität ist also größer gleich der isochoren Wärmekapazität.

Analog läßt sich für die Kompressibilitäten zeigen

κT −κS =TVα2

Cp.

36

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Somit ist die isotherme Kompressibilität größer gleich deradiabatischen (isentropischen) Kom-pressibilität:

κT ≥ κS.

Kombiniert man die beiden Fälle, so erhält man

Cp

CV=

κT

κS.

2.8 Gleichgewichtszustände

Wir betrachten ein vollständig abgeschlossenes System im Gleichgewicht, daß wir durch die in-nere EnergieU , die mechanischen Variablen~X und durch die TeilchenzahlenNj charakterisierenwollen. Wir unterteilen dieses System in zwei Teilsysteme 1und 2, die jeweils durch die ent-

sprechenden VariablenU (1), ~X(1), N(1)j undU (2), ~X(2), N(2)

j beschrieben werden. Wir stellen unsvor, daß diese Unterteilung variablen sein kann, d.h. sowohl in Teilsystem 1 als auch in Teilsy-

stem 2 können sich die VariablenU (a), ~X(a), N(a)j ändern. Allerdings setzen wir voraus, daß im

Gesamtsystem gilt:

∆U (1)+∆U (2) = 0, ∆~X(1)+∆~X(2) = 0, ∆N(1)j +∆N(2)

j = 0.

Wir wollen zeigen, daß im Gleichgewicht für die Teilsysteme1 und 2 gilt

T(1) = T(2), ~Y(1) =~Y(2), µ(1)j = µ(2)j .

Hierzu betrachten wir die EntropieS(U,~X,Nj). Im Gleichgewicht nimmt die Entropie für dasGesamtsystem ihr Maximum an. Für kleine Fluktuationen um den Gleichgewichtszustand giltdaher in erster Ordnung

∆S = 0.

Nun ist die Entropie eine extensive Größe, es gilt also

∆S = ∆S(1)+∆S(2).

Für die Änderung der Entropie in den Teilsystemen können wirschreiben

∆S(a) =

(

∂S(a)

∂U (a)

)

~X(a),N(a)j

∆U (a)+∑i

(

∂S(a)

∂X(a)i

)

U (a),X(a)k6=i ,N

(a)j

∆X(a)i

+∑j

∂S(a)

∂N(a)j

U (a),~X(a),N(a)l 6= j

∆N(a)j + ...

37

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Unter der Benutzung von

(

∂S(a)

∂U (a)

)

~X(a),N(a)j

=1

T(a),

(

∂S(a)

∂X(a)i

)

U (a),X(a)k6=i ,N

(a)j

=−Y(a)i

T(a),

∂S(a)

∂N(a)j

U (a),~X(a),N(a)l 6= j

=−µ(a)j

T(a).

erhalten wir

0 =

(1

T(1)− 1

T(2)

)

∆U (1)−∑i

(

Y(1)i

T(1)− Y(2)

i

T(2)

)

∆X(1)i −∑

j

µ(1)j

T(1)−

µ(2)j

T(2)

∆N(1)j + ...

Da dies für beliebige∆U (1), ∆X(1)i und∆N(1)

j gelten soll, müssen die Koeffizienten der Änderun-gen verschwinden. Hieraus folgt

T(1) = T(2), ~Y(1) =~Y(2), µ(1)j = µ(2)j .

Wir wollen nun die Änderung der Entropie in zweiter Ordnung betrachten, falls wir die Va-riablenU , ~X und Nj um den Gleichgewichtszustand variieren. Da die Entropie imGleichge-wichtszustand ein Maximum annimmt, verschwinden die ersten Ableitungen. Da es sich um einMaximum handelt, ist die Matrix der zweiten Ableitungen negativ semi-definit. Wir wollen dieWerte am Maximum durch

S(0), T(0), ~X(0), N(0)j , etc.

bezeichnen. Für die Entwicklung einer Funktion um ein Maximum gilt, da die ersten Ableitungenverschwinden

∆ f (~x) = f (~x)− f (~x(0)) =12

∆xi

(∂2 f

∂xi∂x j

)

∆x j + ...

=12

∆xi ∆(

∂ f∂xi

)

+ ...,

wobei die Notation∆xi = xi −x(0)i verwendet wurde. Angewandt auf die EntropieS(U,~X,N− j)haben wir

∆S(2) = S−S(0) =12

∆U ∆(

∂S∂U

)

~X,Nj

+12

∆Xi ∆(

∂S∂Xi

)

U,Xk6=i ,Nl

+12

∆Nj ∆(

∂S∂Nj

)

U,~X,Nl 6= j

.

Der hochgestellte Index(2) deutet an, daß wir in der zweiten Ordnung in den Größen∆U , ∆Xi,∆Nj , etc. arbeiten. Der Einfachheit halber haben wir hier die übliche Summenkonvention ver-wendet: Über die zweifach auftretenden Indizesi und j ist jeweils zu summieren. Nun ist aber

(∂S∂U

)

~X,Nj

=1T,

(∂S∂Xi

)

U,Xk6=i ,Nj

=−Yi

T,

(∂S

∂Nj

)

U,~X,Nl 6= j

=−µj

T,

38

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und somit

∆S(2) =12

[

∆U ∆(

1T

)

−∆Xi ∆(

Yi

T

)

−∆Nj ∆(µj

T

)]

.

Mit Hilfe der Produktregel erhalten wir

∆S(2) =12

[(∆U −Yi∆Xi −µj∆Nj

)∆(

1T

)

− ∆Xi

T∆Yi −

∆Nj

T∆µj

]

.

Verwenden wir nun den ersten Hauptsatz und∆(1/T) =−1/T2∆T, so ergibt sich

∆S(2) =12

[

T∆S

(

− 1T2∆T

)

− ∆Xi

T∆Yi −

∆Nj

T∆µj

]

= − 12T

[∆S∆T +∆Xi ∆Yi +∆Nj ∆µj

].

Die letzte Zeile ist symmetrisch bezüglich den extensiven und intensiven Variablen. Wir formendiese Gleichung nun in eine quadratische Form um. Hierzu betrachten wir die VariablenT, ~YundNj als unabhängig. Wir erhalten

∆S(2) = − 12T

[∂S∂T

(∆T)2+∂S∂Yi

∆T ∆Yi +∂S

∂Nj∆T ∆Nj

+∂Xi

∂T∆T ∆Yi +

∂Xi

∂Yj∆Yi ∆Yj +

∂Xi

∂Nj∆Yi ∆Nj

+∂µj

∂T∆T ∆Nj +

∂µj

∂Yi∆Yi ∆Nj +

∂µj

∂Ni∆Ni ∆Nj

]

.

Aufgrund der Maxwell-Relationen der Gibbschen freien Enthalpie

−(

∂S∂Yi

)

T,Yk6=i ,Nj

= −(

∂Xi

∂T

)

~Y,Nj

,

−(

∂S∂Ni

)

T,~Y,Nj 6=i

=

(∂µi

∂T

)

~Y,Nj

,

−(

∂Xi

∂Nj

)

T,~Y,Nk6= j

=

(∂µj

∂Yi

)

T,Yk6=i ,Nl

verschwinden die gemischten Terme∆T ∆Nj und ∆Yi ∆Nj . Ausserdem vereinfachen sich dieTerme∆T ∆Yi . Wir erhalten

∆S(2) = − 12T

[∂S∂T

(∆T)2+2∂Xi

∂T∆T ∆Yi +

∂Xi

∂Yj∆Yi ∆Yj +

∂µj

∂Ni∆Ni ∆Nj

]

.

39

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Bemerkung: Die Matrizen(

∂Xi

∂Yj

)

T,Yk6= j ,Nl

= −(

∂2G∂Yi∂Yj

)

T,Yk6=i, j ,Nl

,

(∂µj

∂Ni

)

T,~Y,Nl 6=i

=

(∂2G

∂Ni∂Nj

)

T,~Y,Nl 6=i, j

sind offensichtlich symmetrisch. Nun ist

(∂S∂T

)

~Y,Nj

=C~Y,Nj

T

und

2∂Xi

∂T∆T ∆Yi +

∂Xi

∂Yj∆Yi ∆Yj = 2αiXi ∆T ∆Yi +χi j ∆Yi ∆Yj

= 2 ∆T αiXiχ−1i j χ jk ∆Yk+∆Yi χi j χ−1

jk χkl ∆Yl

=(2 ∆T α jXj

)χ−1

jk (χkl ∆Yl )+(χ ji ∆Yi

)χ−1

jk (χkl ∆Yl )

=(χ ji ∆Yi +∆T α jXj

)χ−1

jk (χkl ∆Yl +∆T αkXk)−(∆T α jXj

)χ−1

jk (∆T αkXk) .

Weiter ist

χi j ∆Yj +∆T αiXi =

(∂Xi

∂Yj

)

∆Yj +

(∂Xi

∂T

)

∆T +

(∂Xi

∂Nj

)

∆Nj −(

∂Xi

∂Nj

)

∆Nj

= ∆Xi −(

∂Xi

∂Nj

)

∆Nj .

Somit erhalten wir

∆S(2) = − 12T

[C~Y,Nj

T(∆T)2+

(

∆Xj −∂Xj

∂Ni∆Ni

)

χ−1jk

(

∆Xk−∂Xk

∂Nl∆Nl

)

−(∆T α jXj

)χ−1

jk (∆T αkXk)+∆Ni∂µi

∂Nj∆Nj

]

.

Nun haben wir aber bereits bei der Diskussion der Relationenzwischen den Response-Funktionengezeigt, daß

C~Y,Nj−C~X,Nj

= Tα jXjχ−1jk αkXk

gilt. Somit vereinfacht sich unser Ergebnis zu

∆S(2) = − 12T

[C~X,Nj

T(∆T)2+

(

∆Xj −∂Xj

∂Ni∆Ni

)

χ−1jk

(

∆Xk−∂Xk

∂Nl∆Nl

)

+∆Ni∂µi

∂Nj∆Nj

]

.

40

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Anhand dieser Form können wir nun gut die Bedingungen für denGleichgewichtszustand able-sen. Der Ausdruck für∆S(2) ist in quadratischer Form. Für den Gleichgewichtszustand muß dieMatrix der zweiten Ableitungen negativ semi-definit sein. Dies impliziert, daß

C~X,Nj≥ 0,

und daß die Matrizen

(χi j)−1

T,Nlund

(∂µi

∂Nj

)

T,~Y

positiv semi-definit sind.Bemerkung: Istχ−1 positiv definit, so ist dann auchχ positiv definit und umgekehrt.

Wir können diese drei Bedingungen wie folgt interpretieren:

• Die BedingungC~X,Nj≥ 0 ist eine Aussage über die thermische Stabilität. Wird einem

Teilsystem im Gleichgewicht etwas Wärme hinzugefügt, so erhöht sich be einer positi-ven Wärmekapazität die Temperatur, so daß durch die erhöhteTemperatur gegenüber derUmgebungstemperatur das Teilsystem Wärme an die Umgebung abgibt und so ins Gleich-gewicht mit der Umgebung zurückkehrt. Bei einer negativen Wärmekapazität würde sichdie Temperatur erniedrigen. Dies würde dazu führen, daß noch mehr Wärme in das Teil-system fließt. Dies ist instabil.

• Bei einem System mit den mechanischen Variablen(~Y,~X) = (−p,V) impliziert χT,Nj posi-tiv definit, daß die isotherme KompressibilitätκT,Nj positiv ist. Dies ist eine Bedingung andie mechanische Stabilität. Erhöht sich das Volumen eine Teilsystems, so sorgt die positiveisotherme Kompressibilität dafür, daß sich der Druck des Teilsystems erniedrigt. Der dannhöhere Umgebungsdruck führt das System dann wieder ins Gleichgewicht über. Wäre dieisotherme Kompressibilität negativ, so würde eine spontante Volumenerhöhung eines Teil-systems auch den Druck des Teilsystems ansteigen lassen, dies würde zu einer weiterenVolumenerhöhung und somit zu einer Instabilität führen.

• Betrachten wir ein System mit einer Teilchensorte. Die dritte Bedingung(∂µ/∂N)T,p ≥ 0ist eine Bedingung an die chemische Stabilität. Fügt man demSystem Teilchen hinzu, soerhöht sich das chemische Potential und umgekehrt.

41

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3 Grundlagen der statistischen Physik

Wir beginnen nun die Grundbegriffe der statistischen Physik einzuführen.

3.1 Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitstheorie

Zunächst wollen wir einige Aussagen der Statistik und der Wahrscheinlichkeitstheorie wieder-holen.

3.1.1 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilungen

SeiX eine Variable, dieN verschiedene Wertex1, x2, ...,xN annehmen kann. Weiter wollen wirannehmen, daß die Wertex1, x2, ..., xN mit den WahrscheinlichkeitenP(x1), P(x2), ..., P(xN)angenommen werden. Wir bezeichenX als eineZufallsvariable oderstochastische Variable.Für die Wahrscheinlichkeiten gilt:

P(xi) ≥ 0, 1≤ i ≤ N,N

∑i=1

P(xi) = 1.

Für denMittelwert (oderErwartungswert ) der ZufallsvariablenX gilt

〈X〉 =N

∑i=1

xi P(xi).

Wir betrachten auch Funktionenf (X), die von der ZufallsvariablenX abhängen, und deren Er-wartungswerte. Es gilt

〈 f (X)〉 =N

∑i=1

f (xi) P(xi).

Offensichtlich gilt

〈 f (X)+g(X)〉 = 〈 f (X)〉+ 〈g(X)〉 ,〈c f(X)〉 = c〈 f (X)〉 .

Eine besondere Bedeutung unter den Funktionen der ZufallsvariablenX haben dieMomentevonX: Unter demn-ten Moment versteht man die Größe

〈Xn〉 =N

∑i=1

xni P(xi).

Das erste Moment ist also der Mittelwert. AlsVarianz vonX bezeichnet man die Größe

σ2X =

N

∑i=1

(xi −〈X〉)2 P(xi).

42

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Es gilt:

σ2X =

⟨X2⟩−〈X〉2 .

Dies zeigt man wie folgt

σ2X =

N

∑i=1

(xi −〈X〉)2 P(xi) =N

∑i=1

(

x2i −2〈X〉xi + 〈X〉2

)

P(xi)

=N

∑i=1

x2i P(xi)−2〈X〉

N

∑i=1

xi P(xi)+ 〈X〉2N

∑i=1

P(xi)

=⟨X2⟩−2〈X〉2+ 〈X〉2 =

⟨X2⟩−〈X〉2 .

Die Varianz kann also durch das erste und zweite Moment vonX ausgedrückt werden. Aus derersten Definition der Varianz ist ersichtlich, daß die Varianz nie negativ ist. AlsStandardabwei-chung bezeichnet man die Größe

σX =√

σ2X.

3.1.2 Kontinuierliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen

Wir verallgemeinern den obigen Fall einer diskreten Zufallsvariablen auf eine kontinuierlicheZufallsvariable. SeiX eine Variable, die Werte aus dem Intervall

a≤ X ≤ b

annehmen kann. Sei weiter eineWahrscheinlichkeitsdichte p(x) gegeben:

p(x) ≥ 0, a≤ x≤ b,b∫

a

dx p(x) = 1.

Wir bezeichnenX als eine kontinuierliche Zufallsvariable. Sei nun

a≤ x0 < x1 ≤ b.

Die Wahrscheinlichkeit, daßX einen Wert aus dem Intervall[x0,x1] annimmt, ist gegeben durch

P(x0 ≤ X ≤ x1) =

x1∫

x0

dx p(x)

43

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Die folgenden Definitionen übertragen sich vom diskreten Fall auf den kontinuierlichen Falldurch die Ersetzung der Summe durch eine Integration:

〈X〉 =

b∫

a

dx x p(x),

〈 f (X)〉 =

b∫

a

dx f(x) p(x),

〈Xn〉 =

b∫

a

dx xn p(x),

σ2X =

b∫

a

dx (x−〈X〉)2 p(x) =⟨X2⟩−〈X〉2 .

Für eine kontinuierliche Zufallsvariable definieren wir diecharakteristische Funktion durch

φX(k) =⟨

eikX⟩

=

∞∫

−∞

dx eikx p(x).

Hier haben wir über]−∞,∞[ integriert. Istp(x) nur auf einem endlichen Intervall[a,b] gegeben,so können wir immerp(x) = 0 für x < a und x > b setzen. Die charakteristische Funktion istdie Fouriertransformierte der Wahrscheinlichkeitsdichte p(x). Mit Hilfe der charakteristischenFunktion sieht man leicht, daß die Kenntniss aller Momente〈Xn〉 der ZufallsvariablenX dieWahrscheinlichkeitsdichtep(x) bestimmt. Sind alle Momente bekannt, so ist wegen

φX(k) =∞

∑n=0

1n!

(ik)n〈Xn〉

auch die charakteristische FunktionφX(k) bekannt. Die Wahrscheinlichkeitsdicht erhält mandurch die inverse Fouriertransformation

p(x) =12π

∞∫

−∞

dk e−ikxφX(k).

Anstelle der Entwicklung der charakteristischen Funktionin den Momenten

φX(k) =∞

∑n=0

1n!

(ik)n〈Xn〉

verwendet man auch häufig die Entwicklung in denKumulanten, die wie folgt definiert ist

φX(k) = exp

[∞

∑n=0

1n!

(ik)nCn(X)

]

.

44

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Cn(X) wird alsn-ter Kumulant bezeichnet. Vergleicht man die ersten Terme beider Entwicklun-gen, so findet man

C1(X) = 〈X〉 ,C2(X) =

⟨X2⟩−〈X〉2 ,

C3(X) =⟨X3⟩−3〈X〉

⟨X2⟩+2〈X〉3 .

Wir sehen, daß die ersten beiden Kumulanten gerade der Mittelwert und die Varianz sind.

Wir betrachten noch den Fall einer Variablentransformation: Es seiX eine kontinuierliche Zu-fallsvariable undf (X) eine Funktion der VariablenX. Dann ist auch

Y = f (X)

eine Zufallsvariable. Für die WahrscheinlichkeitsdichtepY(y) gilt

pY(y) =

∞∫

−∞

dxδ(y− f (x)) pX(x).

Ist Y = aX+c, wobeia undc Konstanten sind, so gilt für Erwartungswert und Varianz

〈Y〉 = a〈X〉+c,

σ2Y = a2σ2

X.

3.1.3 Wahrscheinlichkeitsverteilungen mit mehreren Variablen

Bisjetzt haben wir immer nur eine Zufallsvariable betrachtet. Wir können auch mehrere Zufalls-variablen gleichzeitig betrachten. Es seienX undY Zufallsvariablen undp(x,y) die Wahrschein-lichkeitsdichte, daßX den Wertx und Y den Werty annimmt. Es gilt wieder

p(x,y) ≥ 0,∫dx

∫dy p(x,y) = 1.

Man bezeichnetp(x,y) als die gemeinsame Wahrscheinlichkeitsdichte fürX = x undY = y (aufEnglisch “joint probability distribution”).Interessieren wir uns nur fürX, aber nicht fürY (oder nur fürY, aber nicht fürX), so erhaltenwir die WahrscheinlichkeitsdichtenpX(x) und pY(y) durch

pX(x) =∫

dy p(x,y),

pY(y) =∫

dx p(x,y).

45

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Für zwei ZufallsvariablenX undY ist dieKovarianz definiert durch

cov(X,Y) =∫

dx∫

dy (x−〈X〉)(y−〈Y〉) p(x,y).

Es gilt

cov(X,Y) =

∫dx

∫dy xy p(x,y)−〈Y〉

∫dx

∫dy x p(x,y)−〈X〉

∫dx

∫dy y p(x,y)

+〈X〉〈Y〉∫

dx∫

dy p(x,y)

= 〈XY〉−〈Y〉∫

dx x pX(x)−〈X〉∫

dy y pY(y)+ 〈X〉〈Y〉= 〈XY〉−〈X〉〈Y〉−〈X〉〈Y〉+ 〈X〉〈Y〉= 〈XY〉−〈X〉〈Y〉 .

Die Korrelation zwischenX undY ist definiert durch

cor(X,Y) =cov(X,Y)

σXσY.

Für die Korrelation gilt

cor(X,Y) = cor(Y,X) ,

−1≤ cor(X,Y)≤ 1,

cor(X,X) = 1, cor(X,−X) =−1,

cor(aX+b,cY+d) = sign(a) sign(c) cor(X,Y) , für a,b 6= 0.

Wir bezeichnen zwei ZufallsvariablenX undY alsstochastisch unabhängig, falls gilt

p(x,y) = pX(x)pY(y).

Sind zwei Zufallsvariablen stochastisch unabhängig, so folgt zum Beispiel

〈XY〉 = 〈X〉〈Y〉 ,cor(X,Y) = 0.

Seien nun wiederX undY zwei beliebige Zufallsvariablen undf (X,Y) eine Funktion der Varia-blenX undY. Dann ist auch

Z = f (X,Y)

eine Zufallsvariable. Für die WahrscheinlichkeitsdichtepZ(z) gilt

pZ(z) =

∫dx

∫dyδ(z− f (x,y)) p(x,y).

46

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Wir führen auch noch die bedingte Wahrscheinlichkeitdichte (oder konditionale Wahrschein-lichkeitdichte) ein. Wir betrachten zwei Zufallsvariablen X undY mit der gemeinsamen Wahr-scheinlichkeitsdichtep(x,y). Integrieren wir über die ZufallsvariableX, so erhalten wir die ein-dimensionale WahrscheinlichkeitsdichtepY(y). Wir definieren die bedingte Wahrscheinlichkeits-dichtep(x|Y = y) durch

pY(y)p(x|Y = y) = p(x,y).

Die bedingte Wahrscheinlichkeitsdichtep(x|Y = y) beschreibt die Wahrscheinlichkeitsdichte fürdie ZufallsvariableX, unter der Bedingung, daß die ZufallsvariableY den Werty annimmt.

3.1.4 Die Binomialverteilung

SeiX eine Zufallsvariable, die die Werte 1 und−1 annehmen kann. Für die Wahrscheinlichkeitenschreiben wir

P(1) = p,

P(−1) = 1− p= q.

Wir führen nun ein ZufallsexperimentN-mal durch. Hierbei sei vorausgesetzt, daß ein einzelnesZufallsexperiment von den vorherigen Zufallsexperimenten stochastisch unabhängig sei. Wir in-teressieren uns für die WahrscheinlichkeitPN(n1), daß beiN-maliger Durchführung genaun1-mal der Wert 1 angenommen wird. (Der Wert−1 wird dann genaun2-mal angenommen, wobein2 = N−n1.) Wir betrachten zunächst eine geordnete Sequenz vonN Werten, in der der Wert 1genaun1-mal vorkommt, z.B.:

1,1,−1,1,−1,−1, ...,1.

Die Wahrscheinlichkeit, daß diese geordnete Sequenz auftritt, ist

p · p ·q · p ·q ·q · ... · p = pn1qn2.

Wir summieren über alle Möglichkeiten, in einer geordnetenSequenz vonN Werten genaun1-mal den Wert 1 zu finden und erhalten

PN(n1) =

(Nn1

)

pn1qn2 =N!

n1!n2!pn1qn2, n2 = N−n1, q= 1− p.

Eine Wahrscheinlichkeitsverteilung dieser Form bezeichnet man als Binomialverteilung. Wir be-rechnen noch den Erwartungswert und die Varianz der Binomialverteilung:

〈n1〉 =N

∑n1=0

n1PN(n1) =N

∑n1=0

n1

(Nn1

)

pn1qn2 =

[

pd

dp

N

∑n1=0

(Nn1

)

pn1qn2

]∣∣∣∣∣q=1−p

=

[

pd

dp

N

∑n1=0

(Nn1

)

pn1qN−n1

]∣∣∣∣∣q=1−p

=

[

pd

dp(p+q)N

]∣∣∣∣q=1−p

= pN (p+q)N−1∣∣∣q=1−p

= pN.

47

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Für das zweite Moment finden wir

⟨n2

1

⟩=

N

∑n1=0

n21PN(n1) =

[(

pd

dp

)2 N

∑n1=0

(Nn1

)

pn1qn2

]∣∣∣∣∣q=1−p

=

[(

pd

dp

)2

(p+q)N

]∣∣∣∣∣q=1−p

= pN (p+q)N−1∣∣∣q=1−p

+ p2N(N−1) (p+q)N−2∣∣∣q=1−p

= pN+ p2N(N−1) = p2N2+ pqN.

Somit erhalten wir für die Standardabweichung

σn1 =

√⟨n2

1

⟩−〈n1〉2 =

pqN.

3.1.5 Die Gauß-Verteilung

Eine ZufallsvariableX ist normal verteilt, falls ihre Wahrscheinlichkeitsdichte p(x) durch eineGauß-Verteilung (oder Normalverteilung) gegeben ist:

p(x) =1

σ√

2πexp

[

−12(x−µ)2

σ2

]

.

Die ZufallsvariableX hat den Erwartungswert

〈X〉 = µ,

und die Standardabweichung

σX = σ.

Die Gauß-Verteilung ist durch die beiden Größenµ undσ vollständig bestimmt.

Aufgrund des zentralen Grenzwertsatzes ist die Gauß-Verteilung von besonderer Bedeutung.Hierzu betrachten wirN beliebig verteilte und von einander unabhängige ZufallsgrößenXi (1≤i ≤ N) mit den Erwartungswertenµi und den Varianzenσ2

Xi. Betrachten wir nun die Zufallsgröße

X =1N

N

∑i=1

Xi ,

so hatX den Erwartungswert

µ = 〈X〉= 1N

N

∑i=1

µi ,

und die Varianz

σ2 = σ2X =

1N2

N

∑i=1

σ2Xi.

Der zentrale Grenzwertsatz sagt aus, daßX im GrenzfallN→∞ normalverteilt ist, mit Mittelwertµ und Standardabweichungσ, unabhängig von den Verteilungen der ZufallsgrößenXi .

48

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3.1.6 Die Poisson-Verteilung

Eine diskrete ZufallsgrößeN, die Werte 0, 1, 2, ..., annehmen kann, nennt man Poisson-verteilt,falls die Wahrscheinlichtkeiten durch

P(n) =µn

n!e−µ

gegeben sind. Die Wahrscheinlichkeiten sind auf Eins normiert, wie man durch

∑n=0

P(n) =∞

∑n=0

µn

n!e−µ = e−µ

∑n=0

µn

n!= e−µeµ = 1.

sofort sieht. Die Poisson-Verteilung wird durch einen einzigen Parameterµ bestimmt. Für denErwartungswert und die Varianz der Poisson-Verteilung findet man

〈N〉 = µ,

σ2N = µ.

Man erhält die Poisson-Verteilung aus der Binomialverteilung, indem man den Grenzwert

N → ∞, p→ 0 mit Np= const

betrachtet.

3.1.7 Zufallsbewegungen

Als Beispiel für eine Zufallsbewegung (engl. “random walk”) betrachten wir ein Teilchen, daßsich in einer Dimension in diskreten Schritten bewegt. In einem Schritt bewegt es sich entwederum+1 oder um−1, jeweils mit Wahrscheinlichkeit 1/2. Insbesondere soll die Bewegung in ei-nem Schritt unabhängig von den Bewegungen der vorherigen Schritte sein.

Nehmen wir an, daß sich das Teilchen nachN Schrittenn1-mal in die positive Richtung be-wegt hat. Es hat sich dann auchn2-mal in die negative Richtung bewegt, wobein2 = N−n1 ist.Da jeder Schritt die Länge 1 hat, hat sich das Teilchen insgesamt um die Strecke

Z = n1−n2 = 2n1−N

bewegt. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist durch die Binomialverteilung gegeben:

P(z) =

(Nn1

)

pn1qn2 = 2−N(

Nn1

)

, z= 2n1−N.

Für den Erwartungswert und die Standardabweichung findet man

〈Z〉 = 0,

σZ =√

N.

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Im LimesN → ∞ wird P(z) aufgrund des zentralen Grenzwertsatzes durch eine Gauß-Verteilungbeschrieben:

p(z) =1√2πN

exp

(

− z2

2N

)

.

Legt das Teilchen in einem Schritt die Wegstreckel zurück, so haben wir

〈Z〉= 0, σZ = l√

N.

Im LimesN → ∞ gilt dann

p(z) =1√

2πNl2exp

(

− z2

2Nl2

)

.

Sei nunn die Anzahl der Schritte pro Einheitszeitintervall und somit N = nt. Für nt ≫ 1 ist dieVerteilungsfunktion zur Zeitt somit gegeben durch

p(z, t) =1√

2πntl2exp

(

− z2

2ntl2

)

=1√

4πDtexp

(

− z2

4Dt

)

,

wobei man

D =12

nl2

als Diffusionskoeffizienten bezeichnet.

3.1.8 Markov-Prozesse

Die oben diskutierte Zufallsbewegung läßt sich verallgemeinern. Wir betrachten eine diskreteZufallsvariableX, die die Wertex1, x2, ...,xn annimmt. Wir nehmen an, daß sich der Wert dieserZufallsvariablen in diskreten Zeitschritten∆t ändert. Wir setzent j = j∆t. Es sei

P1(xi1, t1)

die Wahrscheinlichkeit, daß die ZufallsvariableX zum Zeitpunktt1 den Wertxi1 annimmt. Weitersei

P2(xi1, t1;xi2, t2)

die Wahrscheinlichkeit, daß die ZufallsvariableX zum Zeitpunktt1 den Wertxi1 und zum Zeit-punktt2 den Wertxi2 annimmt. Allgemein sei

PN (xi1, t1;xi2, t2; ...;xiN, tN)

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die Wahrscheinlichkeit, daß zu den Zeitpunktent j (1≤ j ≤ N) der Wertxi j angenommen wird.Aus den gemeinsamen WahrscheinlichkeitenPN lassen sich alle gemeinsamen Wahrscheinlich-keitenPk mit k< N ableiten. So ist zum Beispiel

PN−1(xi1, t1;xi2, t2; ...;xiN−1, tN−1

)=

n

∑iN=1

PN(xi1, t1;xi2, t2; ...;xiN−1, tN−1;xiN , tN

).

Mit Hilfe der bedingten Wahrscheinlichkeit läßt sichPN auch wie folgt schreiben

PN (xi1, t1; ...;xiN, tN) = P1|N−1(xiN , tN|xi1, t1; ...;xiN−1, tN−1

)PN−1

(xi1, t1; ...;xiN−1, tN−1

).

Wir bezeichnen einen Prozess alsMarkov-Prozess, falls für die bedingte Wahrscheinlichkeit

P1|N−1(xiN , tN|xi1, t1; ...;xiN−1, tN−1

)= P1|1

(xiN, tN|xiN−1, tN−1

)

gilt, d.h. die Wahrscheinlichkeiten zum ZeitpunkttN nur von den WertenxiN−1 zum ZeitpunkttN−1 abhängen, aber nicht von den VorgängerwertenxiN−2, xiN−3, ..., zu den ZeitpunktentN−2,tN−3, .... In anderen Worten: die Evolution des Systems vonxiN−1 nachxiN ist unabhängig davon,wie das System in den ZustandxiN−1 gekommen ist.

Wir bezeichnen eine Prozess alsstationär, falls

PN (xi1, t1+ j∆t; ...;xiN, tN+ j∆t) = PN (xi1, t1; ...;xiN, tN)

gilt. Beispielsweise sind alle Gleichgewichtsprozesse stationär.

Für einen stationären Markov-Prozesse gilt

PN (xi1, t1; ...;xiN, tN) = PN (xi1, t2; ...;xiN, tN+1)

= P1|1(xiN , tN+1|xiN−1, tN

)PN−1

(xi1, t2; ...;xiN−1, tN

)

= P1|1(xiN , tN+1|xiN−1, tN

)PN−1

(xi1, t1; ...;xiN−1, tN−1

).

Andererseits gilt natürlich auch

PN (xi1, t1; ...;xiN, tN) = P1|1(xiN , tN|xiN−1, tN−1

)PN−1

(xi1, t1; ...;xiN−1, tN−1

).

Somit folgt

P1|1(xiN, tN+1|xiN−1, tN

)= P1|1

(xiN , tN|xiN−1, tN−1

).

Definieren wir nun eine(n×n)-Übergangsmatrix

Qi j = P1|1(xi , tk|x j , tk−1

),

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so folgt, daß diese Definition vonk unabhängig ist. Für einen stationären Markov-Prozess habenwir somit

P1(xiN , tN) =n

∑i1=1

...n

∑iN−1=1

PN(xi1, t1; ...;xiN−1, tN−1;xiN , tN

)

=n

∑i1=1

...n

∑iN−1=1

P1|1(xiN, tN|xiN−1, tN−1

)...P1|1(xi2, t2|xi1, t1)P1(xi1, t1)

=n

∑i1=1

...n

∑iN−1=1

QiN iN−1...Qi2i1P1(xi1, t1)

Setzen wir nun

~P1(N) = (P1(x1, tN), ...,P1(xn, tN))T ,

so können wir in Matrizennotation kompakt schreiben

~P1(N) = QN~P1(0).

Die Wahrscheinlichkeitsverteilung~P1(N) zum ZeitpunkttN hängt also von der ÜbergangsmatrixQ und der Wahrscheinlichkeitsverteilung~P1(0) zum Zeitpunktt0 ab. Die Einträge der Übergangs-matrixQ sind bedingte Wahrscheinlichkeiten und daher nicht-negativ.

Wir diskutieren kurz die Frage, unter welchen Bedingungen~P1(N) im Grenzfall N → ∞ von~P1(0) unabhängig ist. Dies ist der Fall, falls die Übergangsmatrix Q regulär ist. Wir nennen dieÜbergangsmatrixQ regulär, falls es eine Potenzk gibt, so daß alle Einträge der Matrix

Qk

positiv sind (d.h. es gibt keinen Eintrag der Null ist). Für eine reguläre Übergangsmatrix läßt sichzeigen, daß es einen Vektor~P= (P1, ...,Pn)

T gibt, so daß

limN→∞

QN =

P1 P1 ... P1

P2 P2 P2

... ...Pn Pn ... Pn

.

In diesem Fall ist dann

limN→∞

~P1(N) = limN→∞

QN~P1(0) =

P1 P1 ... P1

P2 P2 P2

... ...Pn Pn ... Pn

P1(x1,0)P1(x2,0)

...P1(xn,0)

=

P1

P2

...Pn

(n

∑i=1

P1(xi ,0)

)

= ~P,

52

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und somit von~P1(0) unabhängig.

Wir betrachten noch einige Fälle, in denen die Übergangsmatrix nicht regulär ist. Ist die Über-gangsmatrixQ von Blockdiagonalgestalt, z.B.

Q =

Q11 Q12 0 0Q21 Q22 0 00 0 Q33 Q34

0 0 Q43 Q44

,

so istQ nicht regulär, da jede PotenzQk Nullen in den nicht-diagonal Blöcken besitzt. Beginnenwir im obigen Beispiel mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung

~P1(0) = (P1(x1,0),P1(x2,0),0,0)T ,

so haben auch nachN Schritten nur die Wertex1 undx2 von Null verschiedene Wahrscheinlich-keiten, d.h. es finden keine Übergänge zu den Wertenx2 undx4 statt. Beginnen wir dagegen mitder Wahrscheinlichkeitsverteilung

~P1(0) = (0,0,P1(x3,0),P1(x4,0))T ,

so haben nachN Schritten nur die Wertex3 andx4 von Null verschiedene Wahrscheinlichkeiten.

Ein weiteres Beispiel einer nicht-regulären Übergangsmatrix ist durch eine Übergangsmatrix ge-geben, die eine Spalte mit einer Eins auf der Diagonalen und Nullen auf den übrigen Positionender Spalte besitzt, z.B.

Q =

Q11 0 Q13 Q14

Q21 1 Q23 Q24

Q31 0 Q33 Q34

Q41 0 Q43 Q44

,

Eine solche Matrix nennt man eineabsorbierende Matrix. Wird im obigen Beispiel zu einemZeitpunkttk der Wertx2 angenommen, so bleibt dieser Wert in allen weiteren Schritten bestehen,daQ j2 = 0 für j 6= 2 undQ22 = 1.

Wir führen noch den Begriff einerergodischenÜbergangsmatrix ein. Hierunter versteht maneine Übergangsmatrix, so daß jeder Zustand von jedem anderen Zustand aus nach einer endli-chen Zahl von Schritten erreicht werden kann. Eine absorbierende Matrix ist klarerweise nichtergodisch. Eine reguläre Übergangsmatrix ist immer ergodisch, allerdings ist nicht jede ergodi-sche Matrix auch regulär, wie das Beispiel

Q=

0 12 0

1 0 10 1

2 0

, Q2 =

12 0 1

20 1 012 0 1

2

, Q3 =

0 12 0

1 0 10 1

2 0

= Q,

zeigt.

53

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3.2 Statistische Ensembles

Wir beginnen mit einem idealisierten Beispiel: Wir betrachten ein System von 2N unterscheid-baren Teilchen, die den Spinzustand+1/2 oder−1/2 annehmen können, jeweils mit gleicherWahrscheinlichkeit. Wir wollen weiter annehmen, daß keineWechselwirkung zwischen denSpins besteht und auch kein äußeres Magnetfeld vorliegt. Der Zustand dieses Systems wird durchdie Angabe der Werte der einzelnen Spins

(s1,s2, ...,s2N) , si ∈

+12,−1

2

vollständig charakterisiert. Ein solcher Zustand wird alsMikrozustand bezeichnet. Da ein ein-zelner Spin zwei Werte annehmen kann, gibt es bei 2N Teilchen insgesamt

22N

verschiedenen Mikrozustände. Jeder dieser Mikrozuständeist gleich wahrscheinlich, d.h. dieWahrscheinlichkeit für das Auftreten eines bestimmten Mikrozustandes ist

P(Mikrozustand) = 2−2N.

Die MagnetisierungM des Systems sei definiert durch

M =2N

∑i=1

si.

Die Magnetisierung nimmt die Werte

−N,−N+1, ...,−1,0,1, ...,N−1,Nan. Wir interessieren uns nun für die Frage, daß das System ineinem Zustand mit festenM ist,beispielsweiseM = 0 oderM = N. Ein Zustand mit festemM wird alsMakrozustand bezeich-net. Zu einem gegebenen Makrozustand können mehrere Mikrozustände beitragen.Wir betrachten dies am Beispiel eines Systems von zwei Teilchen. Wir haben drei MakrozuständeM ∈ −1,0,1. Zu den MakrozuständenM =−1 undM = 1 trägt jeweils nur ein Mikrozustandbei ( (−1/2,−1/2) bzw. (1/2,1/2)). Zu dem MakrozustandM = 0 tragen jedoch zwei Mikro-zustände bei:

(12,−1

2

)

und

(

−12,12

)

.

Wir stellen nun die Frage, wie wahrscheinlich ist es, daß dasSystem in einen bestimmten Ma-krozustand ist. Diese Wahrscheinlichkeit ist gegeben durch die Summe der Wahrscheinlichkeitender beitragenden Mikrozustände. Im Beispiel des System mitzwei Teilchen haben wir also

P(M = 1) =14,

P(M = 0) =14+

14=

12.

Betrachten wir das nächst größere System mit vier Teilchen,so finden wir die folgende Tabelle

54

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M Mikrozustände P(M)

2 (+,+,+,+) 116

1 (+,+,+,-), (+,+,-,+), (+,-,+,+), (-,+,+,+) 14

0 (+,+,-,-), (+,-,+,-), (-,+,+,-), (+,-,-,+), (-,+,-,+), (-,-,+,+) 38

−1 (-,-,-,+), (-,-,+,-), (-,+,-,-), (+,-,-,-) 14

−2 (-,-,-,-) 116

Bei einem System von 2N Teilchen finden wir für die Wahrscheinlichkeiten der MakrozuständeM = 0 undM = N

P(M = N) = 2−2N,

P(M = 0) =

(2NN

)

2−2N.

Wir sehen, daß der MakrozustandM = 0 um einen Faktor(2N)!/(N!)2 wahrscheinlicher istals der MakrozustandM = N. Die Wahrscheinlichkeiten für die Makrozustände folgen einerBinomialverteilung mitp= q= 1/2. Im Grenzfall 2N → ∞ geht diese in eine Gauß-Verteilungüber, und wir finden

lim2N→∞

p(M) =1√πN

exp

(

−M2

N

)

.

Dies ist eine Verteilung mit

〈M〉= 0 und σM =

N2.

Wir definieren die mittlere Magnetisierungm durch

m =M2N

=1

2N

2N

∑i=1

si.

m nimmt Werte aus dem Intervall[−1/2,1/2] an. Für 2N → ∞ wird p(m) durch die Gauß-Verteilung

lim2N→∞

p(m) =1

σm√

2πexp

(

− m2

2σ2m

)

, σm =1

2√

2N.

beschrieben. Im Grenzfall 2N → ∞ gilt

lim2N→∞

σm = 0,

daher ist im Grenzfall 2N → ∞ die Verteilung immer stärker um den Wertm= 0 lokalisiert.

55

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3.2.1 Die Phasenraumdichte in der klassischen Physik

Wir betrachten nun ein klassisches System vonN Teilchen mit den Koordinatenq1, q2, ...,q3N,den Impulsenp1, p2, ..., p3N und der HamiltonfunktionH(~q,~p, t). Der Zustand des Systems wirddurch die Angabe eines(6N)-dimensionalen Vektors

(~q(t0),~p(t0)) = (q1(t0), ...,q3N(t0), p1(t0), ..., p3N(t0))

zum Zeitpunktt = t0 eindeutig charakterisiert, die weitere Evolution des Systems folgt dann ausden Hamilton-Gleichungen

qi =∂H∂pi

,

pi = −∂H∂qi

.

Wir bezeichnen den Raum aller Vektoren(~q,~p) alsPhasenraumdes Systems. Der Phasenraumhat die Dimension(6N). Zum Zeitpunktt0 beschreibt ein Punkt im Phasenraum einen Mikro-zustand des Systems und umgekehrt. Für großesN ist der Phasenraum ein hochdimensionalerRaum und es ist im allgemeinen unmöglich den Zustand des Systems zum Zeitpunktt0 genau zukennen. Wir führen daher eine Wahrscheinlichkeitsdichte

ρ(~q,~p, t)

ein, die beschreibt, wie wahrscheinlich es ist, daß das System zum Zeitpunktt im Zustand(~q,~p)ist. Da es sich um eine Wahrscheinlichkeitsdichte handelt,gilt

∫d3Nq d3Np ρ(~q,~p, t) = 1.

Mit Hilfe der Phasenraumdichte läßt sich der Erwartungswert einer ObservablenO wie folgtschreiben:

〈O(t)〉 =∫

d3Nq d3Np ρ(~q,~p, t) O(~q,~p, t) .

Sei(~q0,~p0) ein Phasenraumpunkt zum Zeitpunktt = t0

(~q0,~p0) = (~q(t0),~p(t0))

undρ0 die Wahrscheinlichkeitsdichte zum Zeitpunktt = t0

ρ0(~q0,~p0) = ρ(~q0,~p0, t0)

Sei weiter(

~qsol(~q0,~p0, t) ,~psol(~q0,~p0, t)

)

56

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die Trajektorie im Phasenraum, die sich durch das Lösen der Bewegungsgleichungen mit derAnfangsbedingung(~q0,~p0) ergibt. Diese Trajektorie hat die Wahrscheinlichkeitsdichte

δ3N(

~q−~qsol(~q0,~p0, t))

δ3N(

~p−~psol(~q0,~p0, t))

.

Zur Bestimmung vonρ(~q,~p, t) müssen wir über alle Anfangsbedingungen(~q0,~p0) mit der Wahr-scheinlichkeitsdichteρ0(~q0,~p0) integrieren. Wir erhalten

ρ(~q,~p, t) =∫

d3Nq0

∫d3Np0 ρ0(~q0,~p0)δ3N

(

~q−~qsol(~q0,~p0, t))

δ3N(

~p−~psol(~q0,~p0, t))

.

Für die zeitliche Ableitung gilt

∂∂t

ρ(~q,~p, t) =3N

∑i=1

∫d3Nq0

∫d3Np0 ρ0(~q0,~p0)

(

qsoli

∂∂qsol

i

+ psoli

∂∂psol

i

)

δ3N(

~q−~qsol(~q0,~p0, t))

δ3N(

~p−~psol(~q0,~p0, t))

= −3N

∑i=1

∫d3Nq0

∫d3Np0 ρ0(~q0,~p0)

(

qi∂

∂qi+ pi

∂∂pi

)

δ3N(

~q−~qsol(~q0,~p0, t))

δ3N(

~p−~psol(~q0,~p0, t))

= −3N

∑i=1

(

qi∂

∂qi+ pi

∂∂pi

)∫d3Nq0

∫d3Np0 ρ0(~q0,~p0)

δ3N(

~q−~qsol(~q0,~p0, t))

δ3N(

~p−~psol(~q0,~p0, t))

= −3N

∑i=1

(

qi∂

∂qi+ pi

∂∂pi

)

ρ(~q,~p, t)

= −3N

∑i=1

(∂H∂pi

∂ρ∂qi

− ∂H∂qi

∂ρ∂pi

)

= H,ρ .

Wir erinnern uns an die Definition der Poisson-Klammer:

A,B = ∑i

(∂A∂qi

∂B∂pi

− ∂A∂pi

∂B∂qi

)

.

Bemerkung: In einigen Lehrbüchern der statistischen Physik findet sich auch die Definition derPoisson-Klammer mit umgekehrten Vorzeichen.

Die Gleichung

∂ρ∂t

= H,ρ

wird als Liouville-Gleichung bezeichnet.

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3.2.2 Der Dichteoperator in der Quantenmechanik

In vielen Fällen ist zur Beschreibung der Mikrozustände eine quantenmechanische Beschreibungnotwendig. In der Quantenmechanik wird ein System durch eine Wellenfunktion|ψ, t〉 beschrie-ben. Der Erwartungswert von Observablen ist gegeben durch

⟨O⟩

=⟨ψ, t∣∣O∣∣ψ, t

⟩.

Die zeitliche Entwicklung der Wellenfunktion wird durch die Schrödinger-Gleichung beschrie-ben

i~∂∂t

|ψ, t〉 = H |ψ, t〉 ,

wobei H der Hamilton-Operator ist. Als Anfangsbedingung benötigen wir die Wellenfunktion|ψ, t0〉 zu einem Zeitpunktt = t0. Oft ist es nicht möglich, diese exakt anzugeben. Wir betrachtendaher eine statistische Verteilung von Zuständen. Es sei|ψi , t〉 ein vollständiges Orthonormalsy-stem. Wir definieren denDichteoperator (oder Dichtematrix) durch

ρ = ∑i

pi |ψi , t〉〈ψi , t| ,

wobei diepi ’s die Wahrscheinlichkeiten angeben, daß das System sich imZustandi befindet. Dadie pi ’s Wahrscheinlichkeiten sind, gilt

pi ≥ 0, ∑i

pi = 1.

Aus dem Dichteoperator lassen sich die Erwartungswerte vonObservablen bestimmen:⟨O⟩

= Tr(ρO),

da

Tr(ρO)

= Tr

(

∑i

pi |ψi , t〉〈ψi , t|O)

= ∑i

pi 〈ψi , t|O|ψi , t〉

Beispielsweise ist die innere Energie gegeben durch

U =⟨H⟩= Tr

(ρH).

Weitere Beispiele sind die mittlere Teilchenzahl

N =⟨N⟩= Tr

(ρN)

wobeiN der Teilchenzahloperator ist, oder eine mechanische VariableX

X =⟨X⟩= Tr

(ρX).

58

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Der Dichteoperatorρ ist hermitisch:

ρ† = ∑i

pi (|ψi , t〉〈ψi , t|)† = ∑i

pi (〈ψi , t|)†(|ψi , t〉)† = ∑i

pi |ψi , t〉〈ψi , t|= ρ

Für die Spur gilt

Tr(ρ) = Tr

(

∑i

pi |ψi , t〉〈ψi , t|)

= ∑i

pi Tr(|ψi , t〉〈ψi , t|) = ∑i

pi 〈ψi , t|ψi, t〉= ∑i

pi = 1.

Wir bezeichnen einen Zustand als einenreinen Zustand, falls es genau einp j = 1 gibt, für alleanderen gilt dannpi 6= j = 0. Wir bezeichnen einen Zustand als einengemischten Zustand, fallses mindestens zweij undk gibt, mit p j 6= 0 undpk 6= 0.Es gilt:

Tr(ρ2) = 1, für einen reinen Zustand,

Tr(ρ2) < 1, für einen gemischten Zustand.

Dies sieht man wie folgt:

Tr(ρ2) = Tr

(

∑i

pi |ψi , t〉〈ψi , t|)(

∑j

p j∣∣ψ j , t

⟩⟨ψ j , t

∣∣

)

= ∑i, j

pi p jTr

|ψi , t〉

⟨ψi , t|ψ j , t

︸ ︷︷ ︸

δi j

⟨ψ j , t

∣∣

= ∑i

p2i Tr(|ψi , t〉〈ψi , t|) = ∑

ip2

i 〈ψi , t|ψi, t〉= ∑i

p2i .

Gibt es einj, so daßp j = 1 undpi = 0 für alle i 6= j, so ist

Tr(ρ2) = ∑

ip2

i = p2j = 1.

Gibt es dagegen mindestens zweij undk, so daßp j 6= 0 undpk 6= 0, so ist

Tr(ρ2) = ∑

ip2

i <

(

∑i

pi

)2

= 1,

da 2p j pk > 0 nach Voraussetzung.

Bemerkung: Liegt der Dichteoperator in Diagonalgestalt vor, so läßt sich direkt ablesen, ob essich um einen reinen oder gemischten Zustand handelt. Durcheinen Basiswechsel geht im all-gemeinen die Diagonalgestalt verloren. Ist der Dichteoperator in Nicht-Diagonalform gegeben,kann man, um zu entscheiden, ob es sich um einen reinen oder gemischten Zustand handelt, den

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Dichtoperator natürlich zunächst diagonalisieren. Dies ist allerdings umständlich um meistensnicht praktikabel. Es ist einfacher das Kriterium Tr(ρ2) zu verwenden, welches von der Basisunabhängig ist: Sei|ψ′

j , t〉 ein zweites Orthonormalsystem. Der Übergang zwischen den zweiOrthonormalsystemen|ψi , t〉 und |ψ′

j , t〉 wird durch eine unitäre Transformation beschrieben:

|ψ′j , t〉 = ∑

iU ji |ψi , t〉, U†U =UU† = 1,

|ψi , t〉 = ∑j

U†i j |ψ′

j , t〉.

In der Basis|ψ′j , t〉 ist der Dichtoperator gegeben durch

ρ′ = U ρU†,

wobei der(i, j)-te Eintrag durch

ρ′i j = ∑

k

pkUik |ψk, t〉〈ψk, t|U†k j

gegeben ist. Es gilt

Tr(ρ′2) = Tr

(

U ρU†U ρU†)

= Tr(

U ρρU†)

= Tr(

ρ2U†U)

= Tr(ρ2) ,

d.h. Tr(ρ2) ist von der Basis unabhängig.

Wir betrachten noch die Zeitentwicklung des Dichteoperators. Die Schrödinger-Gleichung fürdie Bra- und Ket-Vektoren lautet

i~∂∂t

|ψ, t〉= H |ψ, t〉 , −i~∂∂t

〈ψ, t|= 〈ψ, t|H.

Somit ergibt sich

∂∂t

ρ = ∑i

pi

[(∂∂t

|ψi , t〉)

〈ψi , t|+ |ψi , t〉(

∂∂t

〈ψi , t|)]

= ∑i

pi

[1i~

H |ψi , t〉〈ψi , t|−1i~

|ψi , t〉〈ψi , t|H]

=1i~

(Hρ− ρH

)=

1i~

[H, ρ

].

Diese Gleichung wird als die von Neumann-gleichung bezeichnet. Vergleichen wird die Zeitent-wicklung des Dichteoperator

∂∂t

ρ =1i~

[H, ρ

]

60

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in der Quantenmechanik mit der Zeitentwicklung der Phasenraumdichte in der klassischen Phy-sik

∂ρ∂t

= H,ρ ,

so sehen wir, daß beim Übergang von der klassischen Physik zur Quantenmechanik die Poisson-Klammer durch das 1/(i~)-fache des Kommutators ersetzt wird.

3.2.3 Die statistische Definition der Entropie

Mit Hilfe der Phasenraumdichte in der klassischen Physik bzw. des Dichteoperators in der Quan-tenphysik können wir nun eine statistische Definition der Entropie angeben. Wir beginnen mitdem Fall der Quantenmechanik. Wir setzen

S = −kB Tr(ρ ln ρ) =−kB 〈ln ρ〉 .

Hierbei versteht man unter lnO einen Operator, dessen Eigenfunktionen mit denen des OperatorsO identisch sind, und dessen Eigenwerte gleich den Logarithmen der Eigenwerte des OperatorsO sind. Istρ durch

ρ = ∑i

pi |ψi , t〉〈ψi , t|

gegeben, so sind die∣∣ψ j , t

⟩Eigenzustände vonρ

ρ∣∣ψ j , t

⟩= ∑

ipi |ψi , t〉

⟨ψi , t|ψ j , t

⟩= p j

∣∣ψ j , t

⟩,

und es gilt

S = −kB Tr(ρ ln ρ) =−kB∑i

pi 〈ψi , t| ln ρ |ψi , t〉=−kB∑i

pi ln pi .

Betrachten wir zunächst den Fall eines reinen Zustandes, d.h. es gibt einj mit

p j = 1 und pi = 0 für alle i 6= j.

Dann ist

S = −kB∑i

pi ln pi =−kBp j ln p j =−kB ln1= 0.

Besteht hingegen das Quantensystem ausN Zuständen, und liegt ein gemischter Zustand vor, indem jeder Zustand gleichwahrscheinlich ist, d.h.

pi =1N

für alle i,

61

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so gilt

S = −kB

N

∑i=1

pi ln pi =−kB

N

∑i=1

1N

ln1N

= kB lnN.

Da die Eigenwerte des Dichteoperators alle im Intervall[0,1] liegen (es handelt sich um Wahr-scheinlichkeiten), gilt lnpi ≤ 0. Dies zeigt, daß stets

S ≥ 0

gilt. Wir sehen, daß ein reiner Zustand die Entropie minimiert. Andererseits läß sich zeigen, daßin einem System mitN Zuständen die Entropie unter der Nebenbedingung Trρ = 1 durch diegleichmäßige Verteilungpi = 1/N maximiert wird.

Im Rahmen der klassischen Physik definieren wir die Entropiedurch

S = −kB

∫d3Nq d3Np ρ(~q,~p) ln(CNρ(~q,~p)) .

Hierbei ist

CN =

(N!)h3N ununterscheidbare Teilchenh3N unterscheidbare Teilchen

Man erhält die Formel für die Entropie in der klassischen Physik aus der Grenzbetrachtung derFormel für die Entropie in der Quantenmechanik. Dabei geht die Spur in das Phasenraumintegralüber. Die Phasenraumdichte ist eine dimensionsbehaftete Größe, daher tritt im Logarithmus dieKonstanteCN auf, die sicherstellt, daß(CNρ) dimensionslos ist. Die Formel für die statistischeDefinition der Entropie in der klassischen Physik kann nichtinnerhalb der klassischen Physikhergeleitet werden. Dies sieht man daran, daß in der KonstantenCN das Plancksche Wirkungs-quantumh auftritt.

Es soll auch noch auf den Faktor(N!) in CN im Falle ununterscheidbarer Teilchen hinge-wiesen werden. Auch dieser Faktor folgt aus der Quantenmechanik. Die Notwendigkeit diesesFaktors wurde allerdings schon von Gibbs bemerkt. Ohne diesen Faktor wäre die Summe derEntropien zweier gleichartiger idealer Gase ausN Teilchen kleiner als die Entropie eines der-artigen Gases mit(2N) Teilchen. Diese Situation ist als das Gibbsche Paradoxon bekannt. DerFaktorN! löst das Paradoxon auf.

3.2.4 Das mikrokanonische Ensemble

Für das mikrokanonische Ensemble betrachten wir ein vollständig isoliertes System. In einemvollständig isolierten System werden weder Teilchen, nochArbeit, noch Wärme mit der Umge-bung ausgetauscht. Es sind daher die innere EnergieU , die mechanischen Variablen~X und dieTeilchenzahlenNj konstant. Wir wissen bereits, daß in diesem Fall der Gleichgewichtszustanddurch einen Zustand maximaler Entropie gegeben ist. Wir betrachten zunächst den klassischen

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Fall. Wir bestimmen die Phasenraumdichteρ(~q,~p, t). Hierzu definieren wir im Phasenraum dieEnergieschalezuU mit Dicke ∆U . Hierunter verstehen wir alle Punkte im Phasenraum, für diegilt

U ≤ H (~q,~p) ≤ U +∆U.

Wir interessieren uns insbesondere für den Grenzfall∆U → 0. In diesem Grenzfall läßt sich dasVolumen der Energieschale schreiben als

Ω(U) ·∆U,

wobeiΩ(U) die Oberfläche der Energieschale ist. Klarerweise gilt für das mikrokanonische En-semble

ρ(~q,~p) = 0 für H (~q,~p) /∈ [U,U +∆U ] .

Da im mikrokanonischen Ensemble die innere EnerigeU vorgegeben ist, liegen alle Punkte aufder Energiefläche

H (~q,~p) = U.

Jeder dieser Punkte ist gleichwahrscheinlich. Wäre dies nicht der Fall, so würde die Phasen-raumdichte noch von anderen Größen außerU abhängen und die Poissonklammer der Phase-raumdichteρ mit H nicht verschwinden. Dann wäre aberρ 6= 0, was im Widerspruch zu einemGleichgewichtszustand steht.

Es ist also

ρ(~q,~p) =1

Ω(U) ·∆Ufür H (~q,~p) ∈ [U,U +∆U ] .

Im Grenzfall∆U → 0 erhält man

ρ(~q,~p) =1

Ω(U)δ(H (~q,~p)−U) .

Wir wollen dieses Ergebnis noch auf eine zweite Art herleiten, indem wir fordern, daß der Gleich-gewichtszustand die Entropie maximiert. Wir benutzen die statistische Definition der Entropieund suchen daher eine Phasenraumdichteρ(~q,~p, t), so daß

S[ρ] = −kB

U≤H(~q,~p)≤U+∆U

d3Nq d3Np ρ(~q,~p) ln(CNρ(~q,~p))

maximal unter der Nebenbedingung∫

U≤H(~q,~p)≤U+∆U

d3Nq d3Np ρ(~q,~p) = 1

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ist. Die Nebenbedingung läßt sich auch schreiben als∫

U≤H(~q,~p)≤U+∆U

d3Nq d3Np

(

ρ(~q,~p)− 1Ω(U)∆U

)

= 0.

Führen wir einen Lagrange-Multiplikatorλ ein, so suchen wir eine Funktionρ, welche∫

U≤H(~q,~p)≤U+∆U

d3Nq d3Np

[

−kBρ(~q,~p) ln(CNρ(~q,~p))−λ(

ρ(~q,~p)− 1Ω(U)∆U

)]

maximiert. Die Variationsrechnung liefert

−kB ln(CNρ)−kB−λ = 0,

und daher

ρ(~q,~p) =1

CNexp

(

− λkB

−1

)

für H (~q,~p) ∈ [U,U +∆U ] .

ρ(~q,~p) ist also auf der Energieschale konstant. Setzen wir nun in die Nebenbedingung ein, soläßt sichλ undρ(~q,~p) bestimmen und man findet wieder

ρ(~q,~p) =1

Ω(U) ·∆Ufür H (~q,~p) ∈ [U,U +∆U ] .

Wir fassen zusammen: Für das mikrokanonische Ensemble ist die Phasenraumdichte durch

ρ(~q,~p) =1

Ω(U)δ(H (~q,~p)−U)

gegeben. Für die OberflächeΩ(U) der Energieschale gilt

Ω(U) =∫

d3Nq d3Np δ(H (~q,~p)−U) .

Als mikrokanonische Zustandssummebezeichnet man die dimensionslose Größe

Zmikro =Ω(U)∆U

CN.

Für die Entropie findet man

S = −kB

U≤H(~q,~p)≤U+∆U

d3Nq d3Np ρ(~q,~p) ln(CNρ(~q,~p))

= − kB

Ω(U) ·∆Uln

(CN

Ω(U) ·∆U

) ∫

U≤H(~q,~p)≤U+∆U

d3Nq d3Np

= kB ln

(Ω(U)∆U

CN

)

= kB lnZmikro.

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Bemerkung:Zmikro ist das Phasenraumvolumen der Energieschale geteilt geteilt durchCN. Fürunterscheidbare Teilchen istCN = h3N und entspricht dem Phasenraumvolumen eines quanten-mechanischen Zustandes. (Für ununterscheidbare Teilchenist CN = N!h3N.) Im Rahmen einerklassischen Beschreibung nehmen wir an, daßZmikro deutlich größer als Eins ist. Ist diese Be-dingung nicht erfüllt, ist eine klassische Beschreibung nicht sinnvoll und wir müssen das Systemquantenmechanisch behandeln. Insbesondere können wir in der Formel für die Entropie im Rah-men der klassischen Beschreibung nicht den Grenzwert∆U → 0 bilden.

Wir betrachten nun ein quantenmechanisches System. In der Quantentheorie findet man, daßder Dichteoperator durch

ρ = ∑i

p(Ei) |ψi〉〈ψi |

gegeben ist, wobei die|ψi〉 Eigenzustände des HamiltonoperatorH mit den EigenwertenEi sind,und

p(Ei) =

1

Ω(E)∆E , E ≤ Ei ≤ E+∆E,

0 sonst.

Hierbei istΩ(E) die Anzahl der Zustände im Intervall[E,E+∆E] geteilt durch∆E:

Ω(E) =1

∆E ∑i

θ(E ≤ Ei ≤ E+∆E) .

Man schreibt auch oft verkürzt

ρ =1

Ω(E)δ(H −E

),

Ω(E) = Tr δ(H −E

),

wobei die Diracsche Deltafunktion eines Operators im Sinnedes obigen Grenzwertprozesses zuverstehen ist. Die mikrokanonische Zustandssumme für Quantensysteme ist gegeben durch

Zmikro = Ω(E)∆E = ∑i

θ(E ≤ Ei ≤ E+∆E) ,

wobei

θ(E ≤ Ei ≤ E+∆E) =

1 E ≤ Ei ≤ E+∆E0 sonst.

Für die Entropie findet man

S = −kB Tr(ρ ln ρ) =−kB∑i

pi ln pi =− kB

Zmikroln

(1

Zmikro

)

∑i

θ(E ≤ Ei ≤ E+∆E)

= kB ln(Zmikro) .

65

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3.2.5 Das kanonische Ensemble

Das kanonische Ensemble ist dadurch charakterisiert, daß wie beim mikrokanonischen Ensem-ble die mechanischen Variablen~X und die TeilchenzahlenNj konstant sind. Im Gegensatz zummikrokanonischen Ensemble kann aber im kanonischen Ensemble Wärme mit der Umgebungausgetauscht werden. Hieraus folgt unmittelbar, daß die innere Energie fluktuieren kann. Wir be-trachten zunächst den klassischen Fall. Zur Bestimmung derPhasenraumdichteρ(~q,~p, t) fordernwir, daß

S[ρ] = −kB

∫d3Nq d3Np ρ(~q,~p) ln(CNρ(~q,~p))

maximal unter den Nebenbedingungen∫

d3Nq d3Np ρ(~q,~p) = 1,∫

d3Nq d3Np ρ(~q,~p)H (~q,~p) = U

ist. In den Integralen wird über den gesamten Phasenraum integriert. Bezeichnen wir das Volu-men des Phasenraumes mit vol(Γ), so können wir die beiden Nebenbedingungen auch wie folgtschreiben:

∫d3Nq d3Np

(

ρ(~q,~p)− 1vol(Γ)

)

= 0,

∫d3Nq d3Np

(

ρ(~q,~p)H (~q,~p)− Uvol(Γ)

)

= 0.

Wir führen daher zwei Lagrange-Multiplikatorenλ1 undλ2 ein, und bestimmenρ(~q,~p), so daß∫

d3Nq d3Np[

−kBρ(~q,~p) ln(CNρ(~q,~p))−λ1

(

ρ(~q,~p)− 1vol(Γ)

)

−λ2

(

ρ(~q,~p)H (~q,~p)− Uvol(Γ)

)]

maximal wird. Die Terme unabhängig vonρ liefern bei der Variation vonρ keinen Beitrag, esgenügt daher das Funktional

∫d3Nq d3Np [−kBρ(~q,~p) ln(CNρ(~q,~p))−λ1ρ(~q,~p)−λ2ρ(~q,~p)H (~q,~p)] =

∫d3Nq d3Np ρ(~q,~p) [−kB ln(CNρ(~q,~p))−λ1−λ2H (~q,~p)]

zu betrachten. Die Variationsrechnung liefert

−kB ln(CNρ)−kB−λ1−λ2H (~q,~p) = 0,

66

Page 67: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

und daher

ρ(~q,~p) =1

CNexp

(

−λ1

kB− λ2

kBH (~q,~p)−1

)

=1

CNexp

(

−λ1

kB−1

)

exp

(

−λ2

kBH (~q,~p)

)

= cexp(−βH (~q,~p)) .

Wir setzen nun

Z =1

CN

∫d3Nq d3Np exp(−βH (~q,~p)) .

Man bezeichnetZ als diekanonische Zustandssumme. Wir bestimmen nun die Konstantec ausder ersten Nebenbedingung:

1 =∫

d3Nq d3Np ρ(~q,~p) = c∫

d3Nq d3Np exp(−βH (~q,~p)) = cCNZ,

es ist alsoc= 1/(CNZ) und

ρ(~q,~p) =1

CNZexp(−βH (~q,~p)) .

Ist die Zustandssumme als Funktion vonβ bekannt, so erhält manβ aus der zweiten Nebenbe-dingung:

U =∫

d3Nq d3Np ρ(~q,~p)H (~q,~p) =1

CNZ

∫d3Nq d3Np H (~q,~p)exp(−βH (~q,~p))

= − 1CNZ

ddβ

∫d3Nq d3Np exp(−βH (~q,~p)) =−1

Zd

dβZ,

also durch Lösen der Gleichung

U = − ddβ

lnZ.

Wir möchtenβ noch mit thermodynamischen Größen in Verbindung bringen. Wir haben diePhasenraumdichte durch das Maximieren der Entropie unter zwei Nebenbedingungen abgeleitet.Aus der Thermodynamik wissen wir aber, daß Gleichgewichtszustände bei konstantemT, ~X undNj die Helmholtzsche freie EnergieF minimieren. Äquivalent können wir auch sagen, daß

− 1T

F = S−UT

maximiert wird. Zur Bestimmung der Phasenraumdichte suchen wir also eine Funktion, die

∫d3Nq d3Np

[

−kBρ(~q,~p) ln(CNρ(~q,~p))− 1T

ρ(~q,~p)H (~q,~p)

]

67

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maximiert unter dereinenNebenbedingung∫

d3Nq d3Np ρ(~q,~p) = 1.

Wir benötigen nun nur einen Lagrange-Multiplikatorλ1 und suchen ein Maximum des Funktio-nals

∫d3Nq d3Np ρ(~q,~p)

[

−kB ln(CNρ(~q,~p))− 1T

H (~q,~p)−λ1

]

.

Dieses Fukntional ist von der gleichen Form wie zuvor. Durcheinen Vergleich der beiden Formenfinden wirλ2 = 1/T und somit

β =1

kBT.

Wir fassen zusammen: Für das kanonische Ensemble führen wirdie Zustandssumme

Z =1

CN

∫d3Nq d3Np exp(−βH (~q,~p)) , β =

1kBT

ein und erhalten die Phasenraumdichte zu

ρ(~q,~p) =1

CNZexp(−βH (~q,~p)) .

Wir berechnen noch die freie Energie:

F = U −TS=∫

d3Nq d3Np ρ(~q,~p) [H (~q,~p)+kBT ln(CNρ(~q,~p))]

=1

CNZ

∫d3Nq d3Np e−βH

[

H +1β

ln

(1Z

e−βH)]

= − lnZβCNZ

∫d3Nq d3Np e−βH =−kBT lnZ.

Für ein quantenmechanisches System findet man

Z = Tr[exp(−βH

)]= ∑

ie−βEi , β =

1kBT

,

ρ =1Z

exp(−βH

)=

1Z ∑

ie−βEi |ψi〉〈ψi | ,

F = −kBT lnZ.

wobei die|ψi〉 Energieeigenzustände zum EigenwertEi bezeichnen.

68

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3.2.6 Das großkanonische Ensemble

Für das großkanonische Ensemble betrachten wir ein System,daß sowohl Wärme als auch Teil-chen mit der Umgebung austauschen kann. Die mechanischen Variablen~X sollen konstant sein.Es können nun sowohl die innere Energie als auch die Teilchenzahl fluktuieren. Wir betrachtenzunächst den klassischen Fall mit einer Teilchensorte. ZurBestimmung der Phasenraumdichtemaximieren wir wieder die Entropie

S[ρ] = −kB

∑N=0

∫d3Nq d3Np ρN (~q,~p) ln(CNρN (~q,~p))

unter den drei Nebenbedingungen

∑N=0

∫d3Nq d3Np ρN (~q,~p) = 1,

∑N=0

∫d3Nq d3Np ρN (~q,~p)HN (~q,~p) = U ,

∑N=0

∫d3Nq d3Np ρN (~q,~p)N = N.

Führen wir drei Lagrange-Multiplikatorenλ1, λ2 undλ3, so suchen wir ein Maximum des Funk-tionals

∑N=0

∫d3Nq d3Np ρN (~q,~p) [−kB ln(CNρN (~q,~p))−λ1−λ2HN (~q,~p)−λ3N] .

Die Variation liefert

−kB ln(CNρN (~q,~p))−kB−λ1−λ2HN (~q,~p)−λ3N = 0,

bzw.

ρN (~q,~p) =1

CNexp

(

−λ1

kB− λ2

kBHN (~q,~p)− λ3N

kB−1

)

.

Nun wissen wir aus der Thermodynamik, daß ein System bei konstantemT, ~X undµj ein Mini-mum des großkanonischen PotentialsΩ annimmt, bzw. äquivalent hierzu, ein Maximum von

− 1T

Ω = S−UT+∑

j

µjNj

T.

Bei einer Teilchensorte führt dies auf das Variationsproblem

∑N=0

∫d3Nq d3Np ρN (~q,~p)

[

−kB ln(CNρN (~q,~p))−λ1−1T

HN (~q,~p)+µT

N

]

.

69

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Durch Vergleich erhalten wir

λ2 =1T, λ3 =− µ

T.

Somit ergibt sich

ρN (~q,~p) =1

CNe−

λ1kB

−1exp[−β(HN (~q,~p)−µN)] , β =1

kBT.

Wir führen nun diegroßkanonische Zustandssumme

Z =∞

∑N=0

1CN

∫d3Nq d3Np exp[−β(HN (~q,~p)−µN)]

ein. Aus der ersten Nebenbedingung erhalten wir

1 =∞

∑N=0

∫d3Nq d3Np ρN (~q,~p) = e−

λ1kB

−1∞

∑N=0

1CN

∫d3Nq d3Np exp[−β(HN (~q,~p)−µN)]

= e−λ1kB

−1Z

und somit

e−λ1kB

−1=

1Z.

Wir fassen zusammen: Für das großkanonische Ensemble ergibt sich mit Hilfe der großkanoni-schen Zustandssumme

Z =∞

∑N=0

1CN

∫d3Nq d3Np exp[−β(HN (~q,~p)−µN)] , β =

1kBT

,

die Phasenraumdichte zu

ρN (~q,~p) =1

CNZexp[−β(HN (~q,~p)−µN)] .

Wir berechnen noch das großkanonische Potential

Ω = U −TS−µN=∞

∑N=0

∫d3Nq d3Np ρN (~q,~p) [HN (~q,~p)+kBT ln(CNρN (~q,~p))−µN]

=1Z

∑N=0

1CN

∫d3Nq d3Np e−β(HN−µN)

[

HN +1β

ln

(1Z

e−β(HN−µN))

−µN

]

= − lnZβZ

∑N=0

1CN

∫d3Nq d3Np e−β(HN−µN) =−kBT lnZ.

Für ein quantenmechanisches System gilt

Z = Tr

exp[−β(H −µN

)], β =

1kBT

,

ρ =1Z

exp[−β(H −µN

)],

Ω = −kBT lnZ.

70

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4 Ideale Quantengase

Wir betrachten nun ideale Quantengase. Hierunter verstehen wir Vielteilchensysteme, die quan-tenmechanisch beschrieben werden, aber wobei die einzelnen Teilchen nicht miteinander wech-selwirken. Wir beschränken uns auf eine Teilchensorte. Dieeinzelnen Teilchen seien ununter-scheidbar. Wir nehmen an, daß sich die Teilchen in einem Würfel mit der KantenlängeL undVolumenV = L3 befinden.

Beispielsweise ist für nicht-relativistische Teilchen der Hamilton-Operator für ein Teilchen

H =1

2m~p2.

Da die Teilchen nicht wechselwirken, ist der Hamilton-Operator fürN-Teilchen gegeben durch

H =N

∑i=1

12m

~ ip2.

Die Lösungen der Einteilchenschrödingergleichung sind gegeben durch

|ψ〉 =1√V

ei~~p·~x,

wobei die Impulseigenwerte durch

~p =2π~L

(ν1,ν2,ν3)T , ν1,ν2,ν3 ∈ Z

gegeben sind. Sei nun

|ψi〉 , i ∈ N

ein vollständiges Orthonormalsystem von Eigenfunktionendes Einteilchen-Hamilton-Operatorsmit den Eigenwerten

H |ψi〉 = Ei |ψi〉 .

Ein bestimmter EnergieeigenwertE j darf hierbei durchaus öfter vorkommen. Tritt ein bestimm-ter EnergieeigenwertE j k-mal auf, so bezeichnet man diesen EnergieeigenwertE j als k-fachentartet. Im obigen Beispiel führen zum Beispiel die Impulseigenzustände

2π~L

(1,0,0)T und2π~L

(0,1,0)T

auf die gleichen Energieeigenwerte 2π2~

2/(mL2). Eine weitere Möglichkeit besteht, wenn dieTeilchen noch innere Freiheitsgrade (Spin) haben. Da wir alle Wechselwirkungen vernachlässi-gen, vernachlässigen wir auch Spinwechselwirkungen. Somit haben Teilchen mit verschiedenen

71

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Spineinstellungen, aber ansonsten gleichen Quantenzahlen, die gleiche Energie.

Unter demthermodynamischen Limesversteht man den Grenzwert, indem die (mittlere) Teil-chenzahlN und das VolumenV gegen Unendlich gehen, dabei aber das VerhältnisN/V konstantbleibt. Im thermodynamischen Grenzfall liegen die Impulseigenwerte sehr dicht beieinander undwir können die Summation über alle Zustände näherungsweisedurch eine Integration ersetzen.Wir betrachten hierzu das nicht-relativistische Teilchenin einem Würfel der LängeL und neh-men an, daß ein Teilcheng interne Freihietsgrade hat (für ein Teilchen mit SpinSist g= 2S+1.)Betrachten wir nun die Impulseigenfunktionen, so müssen wir über alleν1, ν2 undν3 summieren.Jeder Zustand ist hierbeig-fach entartet. Aufgrund der Beziehung

~p =2π~L

setzen wir

∆p =2π~L

.

Wir haben dann

g ∑ν1∈Z

∑ν2∈Z

∑ν3∈Z

=g

(∆p)3 ∑ν1∈Z

∆p ∑ν2∈Z

∆p ∑ν3∈Z

∆p=g

(∆p)3

∫d3p=

gL3

(2π~)3

∫d3p

=gh3V

∫d3p=

gh3

∫d3q

∫d3p.

Für Teilchen ohne Spin (g= 1) haben wir also

∑ν1∈Z

∑ν2∈Z

∑ν3∈Z

=1h3

∫d3q

∫d3p.

Wir sehen also, daß bei der Näherung der Summe durch eine Integration das Plancksche Wir-kungsquantumh auftritt. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß in einem endlichen Vo-lumen nur diskrete Impulszustände~p= (2π~/L)~ν mit νi ∈ Z möglich sind.

Wir betrachten nun die Wellenfunktion einesN-Teilchensystems,

|ψi1,i2,...,iN〉

und hierbei insbesondere wie sich die Wellenfunktion bei der Vertauschung von zwei Teilchenverhält. Es seiPαβ der Vertauschungsoperator, welcher die Teilchenα undβ vertauscht:

Pαβ

∣∣∣ψi1,...,iα,...,iβ,...,iN

=∣∣∣ψi1,...,iβ,...,iα,...,iN

.

Führen wir die Vertauschungsoperation zweimal hintereinander aus, so erhalten wir wieder dieursprüngliche Wellenfunktion.

P2αβ

∣∣∣ψi1,...,iα,...,iβ,...,iN

=∣∣∣ψi1,...,iα,...,iβ,...,iN

.

72

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Es folgt, daß der Vertauschungsoperator die Eigenwerte±1 hat. Offensichtlich kommutiert derVertauschungsoperator mit dem Hamilton-Operator, so daß wir die Zustände gleichzeitig alsEigenzustände zum Hamilton-Operator und zum Vertauschungsoperator angeben können. DasSpin-Statistik-Theorem besagt, daß Teilchen mit ganzzahligen Spin den Eigenwert+1 unterVertauschung zweier Teilchen haben:

Pαβ

∣∣∣ψi1,...,iα,...,iβ,...,iN

=∣∣∣ψi1,...,iβ,...,iα,...,iN

=+∣∣∣ψi1,...,iα,...,iβ,...,iN

.

Teilchen mit ganzzahligen Spin bezeichnet man alsBosonen. Weiter besagt das Spin-Statistik-Theorem, daß Teilchen mit halbzahligen Spin den Eigenwert−1 unter Vertauschung zweierTeilchen haben:

Pαβ

∣∣∣ψi1,...,iα,...,iβ,...,iN

=∣∣∣ψi1,...,iβ,...,iα,...,iN

=−∣∣∣ψi1,...,iα,...,iβ,...,iN

.

Teilchen mit halbzahligen Spin bezeichnet man alsFermionen.

Für nicht-wechselwirkende Systeme können wir dieN-Teilchenwellenfunktion durch die Ein-teilchenwellenfunktionen ausdrücken. Für Bosonen hat man

|ψi1,i2...,iN〉 = N ∑σ∈SN

∣∣ψσ(i1)

⟩∣∣ψσ(i2)

⟩...∣∣ψσ(iN)

⟩,

für Fermionen findet man

|ψi1,i2...,iN〉 = N ∑σ∈SN

sign(σ)∣∣ψσ(i1)

⟩∣∣ψσ(i2)

⟩...∣∣ψσ(iN)

⟩,

wobei jeweils über alle Permutationen summiert wird. sign(σ) bezeichnet das Vorzeichen derPermutation. DieN-Teilchenzustände werden vollständig dadurch charakterisiert, wie oft dieverschiedenen einzelnen Einteilchenzustände|ψi〉 im N-Teilchenzustand auftreten. Wir bezeich-nen die Anzahl, wie oft der Einteilchenzustand|ψi〉 im N-Teilchenzustand auftritt mitni. Mannenntni dieBesetzungszahldes Zustandes|ψi〉. Für denN-Teilchenzustand gilt

∑i

ni = N,

∑i

niEi = E.

Für Fermionen folgt aus der Antisymmetrisierung, daß die Besetzungszahlen für Fermionen nurdie Werte 0 und 1 annehmen können. (Für eine Besetzungszahl größer Eins ergibt die Antisym-metrisierung eine Wellenfunktion, die identisch Null ist.)

Für den NormierungsfaktorN ergibt sich

N =1√

N!n1!n2!....

Für Fermionen reduziert sich der Normierungsfaktor aufgrund von 0!= 1! = 1 auf

N =1√N!

.

73

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4.1 Die Bose-Einstein-Verteilung

Wir berechnen nun die großkanonische Zustandssumme für einideales Bosonengas. Wir könneneineN-Teilchenzustand durch die Angabe der Besetzungszahlen

~n = (n1,n2, ...)

spezifizieren, wobei

N = ∑i

ni

gilt. Für die Energie diesesN-Teilchenzustandes gilt

E~n = ∑i

niEi .

Für die großkanonische Zustandssumme erhält man

Z = Tr

exp[−β(H −µN

)]=

∑N=0

∑~n

∑i

ni=N

exp[−β(E~n−µN)] .

Für die großkanonische Zustandssumme können wir anstelle von erst über alleN und dann überalle~n mit der Einschränkung∑i ni = N zu summieren einfach über alle Besetzungszahlen~n ohneEinschränkung summieren,

Z = ∑~n

exp

[

−β

(

E~n−µ∞

∑i=1

ni

)]

,

dies entspricht lediglich einer Umsortierung der Summanden. Wir erhalten also

Z = ∑~n

exp

[

−β

(

E~n−µ∞

∑i=1

ni

)]

= ∑~n

exp

[

−β

(∞

∑i=1

niEi −µ∞

∑i=1

ni

)]

= ∑~n

exp

[

−β∞

∑i=1

ni (Ei −µ)

]

= ∑~n

∏i=1

exp[−βni (Ei −µ)]

=∞

∏i=1

∑ni=0

exp[−βni (Ei −µ)] =∞

∏i=1

1

1−e−β(Ei−µ).

Hierbei haben wir die Formel für die geometrische Reihe angewandt. Damit die geometrischeReihe konvergiert, muß gelten

Ei > µ, ∀i.

Ist E1 der kleinste Energieeigenwert, so muß für Bosonen also gelten

µ < E1.

74

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Wir fassen zusammen: Die großkanonische Zustandssumme eines idealen Bosonengases ist ge-geben durch

Z =∞

∏i=1

1

1−e−β(Ei−µ).

Das großkanonische Potential ergibt sich zu

Ω = −kBT lnZ = kBT∞

∑i=1

ln(

1−e−1

kBT (Ei−µ))

.

Aus dem großkanonische Potential läßt sich die mittlere TeilchenzahlN bestimmen:

N = −(

∂Ω∂µ

)

T,V=

∑i=1

e−1

kBT (Ei−µ)

1−e−1

kBT (Ei−µ)=

∑i=1

1

e1

kBT (Ei−µ)−1

Wir setzen

ni =1

e1

kBT (Ei−µ)−1.

ni gibt die mittlere Besetzungszahl des Zustandes|ψi〉 an:

〈ni〉 = Tr(ni ρ) =1Z

Tr(

nie−β(H−µN)

)

=1Z ∑

~n

nie−β∑

jn j(E j−µ)

= − 1βZ

∂∂(Ei −µ)

(

∑~n

e−β∑

jn j(E j−µ)

)

=− 1βZ

∂∂(Ei −µ)

Z =−1β

∂∂(Ei −µ)

lnZ.

Setzen wir nun den Ausdruck fürZ ein, so erhalten wir

〈ni〉 = −1β

∂∂(Ei −µ)

lnZ =1β

∂∂(Ei −µ)

∑j=1

ln(

1−e−β(E j−µ))

=e−β(Ei−µ)

1−e−β(Ei−µ)= ni .

Wir bezeichnen

ni =1

e1

kBT (Ei−µ)−1

als dieBose-Einstein-Verteilungsfunktion.

Wir betrachten das ideale Bosonengas im thermodynamischenGrenzfall und ersetzen die Sum-mation durch eine Integration. Für das großkanonische Potential erhalten wir im nicht-relativistischenFall

Ω =gkBTV

(2π~)3

∫d3p ln

(

1−e− 1

kBT

(

p2

2m−µ

))

=gkBTV2π2~3

∞∫

0

dp p2 ln

(

1−e− 1

kBT

(

p2

2m−µ

))

.

75

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Wir setzenx= p2/(2mkBT) und erhalten

Ω =g√

2(kBT)52 m

32V

2π2~3

∞∫

0

dx√

xln(1−ze−x) .

Hierbei haben wir auch

z = eβµ

gesetzt. Die Größez wird alsFugazität bezeichnet. Führen wir nun die thermische Wellenlänge

λ =h√

2πmkBT

ein, so können wir schreiben

Ω =2gkBTV√

πλ3

∞∫

0

dx√

xln(1−ze−x) .

Wir betrachten nun typische Integrale, die im Rahmen des thermodynamischen Grenzfalles auf-treten. Wir beginnen mit der Definition der Riemannschen Zeta-Funktion:

ζ(ν) =1

Γ(ν)

∞∫

0

dxxν−1

ex−1

Für Re(ν)> 1 hat man die folgende Reihendarstellung:

ζ(ν) =∞

∑j=1

1jν.

Wir führen die folgenden Verallgemeinerungen der Riemannschen Zeta-Funktion ein

gν (z) =1

Γ(ν)

∞∫

0

dxxν−1

z−1ex−1=

∑j=1

zj

jν,

fν (z) =1

Γ(ν)

∞∫

0

dxxν−1

z−1ex+1=

∑j=1

(−1) j+1 zj

jν.

gν(z) tritt in Zusammenhang mit Bosonen auf,fν(z) tritt in Zusammenhang mit Fermionen auf.

Kehren wir zum großkanonischen Potential des idealen Bosonengases zurück, so erhalten wirnach einer partiellen Integration und mitΓ(5/2) = 3

√π/4

Ω = −4gkBTV

3√

πλ3

∞∫

0

dxx

32

z−1ex−1=−gkBTV

λ3 g5/2(z)

76

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Auch die anderen thermodynamischen Größen findet man im thermodynamischen Grenzfall ana-log. Für nicht-relativistische Teilchen haben wir die Substitution

∑i

→ 2gV√πλ3

∞∫

0

dx√

x, x=p2

2mkBT.

Für die mittlere Teilchenzahl ergibt sich

N =2gV√

πλ3

∞∫

0

dx

√x

z−1ex−1=

gVλ3 g3/2(z).

Für die Entropie finden wir

S =gkBV

λ3

[52

g5/2(z)−µ

kBTg3/2(z)

]

.

Die innere Energie ergibt sich dann zu

U = Ω+TS+µN =32

gkBTVλ3 g5/2(z).

Vergleichen wir die innere Enerige und das großkanonische Potential und nutzen aus, daßΩ =−pV ist, so finden wir

pV =23U ,

die gleiche Relation wie beim klassischen idealen Gas.

4.2 Die Fermi-Dirac-Verteilung

Die Berechnung der großkanonische Zustandssumme für ein ideales Fermionengas vollzieht sichanalog zu der Berechnung für ein ideales Bosonengas, wobei für ein Fermionengas zu beachtenist, daß die Besetzungszahlenni nur die Werte 0 und 1 annehmen können. Wir haben also

Z = Tr

exp[−β(H −µN

)]=

∑N=0

∑~n

∑i

ni=N

exp[−β(E~n−µN)]

= ∑~n

exp

[

−β

(

E~n−µ∞

∑i=1

ni

)]

= ∑~n

exp

[

−β∞

∑i=1

ni (Ei −µ)

]

= ∑~n

∏i=1

exp[−βni (Ei −µ)] =∞

∏i=1

1

∑ni=0

exp[−βni (Ei −µ)]

=∞

∏i=1

(

1+e−β(Ei−µ))

.

77

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Das großkanonische Potential ergibt sich zu

Ω = −kBT lnZ =−kBT∞

∑i=1

ln(

1+e−1

kBT (Ei−µ))

.

Auch hier erhalten wir aus dem großkanonische Potential diemittlere TeilchenzahlN:

N = −(

∂Ω∂µ

)

T,V=

∑i=1

e−1

kBT (Ei−µ)

1+e−1

kBT (Ei−µ)=

∑i=1

1

e1

kBT (Ei−µ)+1

Wir setzen nun

ni =1

e1

kBT (Ei−µ)+1

.

ni gibt wieder die mittlere Besetzungszahl des Zustandes|ψi〉 an:

〈ni〉 = Tr(niρ) =−1β

∂∂(Ei −µ)

lnZ =−1β

∂∂(Ei −µ)

∑j=1

ln(

1+e−β(E j−µ))

=e−β(Ei−µ)

1+e−β(Ei−µ)= ni.

Wir bezeichnen

ni =1

e1

kBT (Ei−µ)+1

als dieFermi-Dirac-Verteilungsfunktion .

Wir betrachten auch hier wieder den thermodynamischen Grenzfall für nicht-relativistische Teil-chen und finden für das großkanonische Potential

Ω = −kBT∞

∑i=1

ln(

1+e−1

kBT (Ei−µ))

=−2gkBTV√πλ3

∞∫

0

dx√

xln(1+ze−x)

= −4gkBTV

3√

πλ3

∞∫

0

dxx

32

z−1ex+1=−gkBTV

λ3 f5/2(z).

Es tritt also anstelle der Funktiong5/2, die wir im Falle eines Bosonengases erhalten haben,bei einem Fermionengas die Funktionf5/2 auf. Auch die übrigen thermodynamischen Größenberechnen sich analog:

N =gVλ3 f3/2(z),

S =gkBV

λ3

[52

f5/2(z)−µ

kBTf3/2(z)

]

,

U =32

gkBTVλ3 f5/2(z).

78

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Auch hier findet man wieder den Zusammenhang

pV =23U .

4.3 Die Maxwell-Boltzmann-Verteilung

Wir wollen nun den klassischen Limes betrachten. Hierunterverstehen wir den Fall, in dem diethermische Wellenlängeλ wesentlich kleiner als der mittlere Teilchenabstandl :

λ ≪ l .

Zur Erinnerung: Die thermische Wellenlänge ist definiert durch

λ =h√

2πmkBT,

den mittleren Teilchenabstand können wir aus der Anzahl derTeilchenN und dem VolumenVleicht zu

l =

(V

N

) 13

bestimmen. Wir betrachten also den Fall

δ =λ3

g(V/N)=

h3

g(2πmkB)32

(NV

)1

T32

≪ 1.

Hier haben wir noch den Entartungsfaktorg eingefügt. Der klassische Grenzfall tritt also fürgroße TemperaturenT oder eine kleine DichteN/V auf. Wir zeigen zunächst eine Hilfsaussage,nämlich daß in diesem Grenzfall auch die Fugazität

z= eβµ ≪ 1

klein ist. Es ist

δ =λ3

gVN =

g3/2(z) für Bosonen,f3/2(z) für Fermionen.

Die Funktioneng3/2(z) bzw. f3/2(z) können wir in eine Taylorreihe entwicklen und finden

δ =∞

∑j=1

(±1) j+1 zj

j32

= z± z2

232

+O(z3) .

Diese Gleichung können wir iterativ nachz auflösen und erhalten

z = δ∓ δ2

232

+O(δ3) .

79

Page 80: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

Wir sehen also, daß ein kleinesδ auch eine kleine Fugazitätz impliziert.

Wir betrachten nun die Verteilungsfunktionen der Bose-Einstein- und der Fermi-Dirac-Statistik:

ni =1

eβ(Ei−µ)∓1.

Wir wollen annehmen, daß die Energieeigenwerte nicht negativ sind. Im klassischen Grenzfallgilt

z= eβµ ≪ 1,

bzw. äquivalent hierzu

z−1 = e−βµ ≫ 1.

Da aucheβEi > 1 ist, gehen im klassischer Grenzfall sowohl die Bose-Einstein- als auch dieFermi-Dirac-Verteilungsfunktion über in

ni = e−β(Ei−µ).

Wir können diese Verteilungsfunktion aus einer Zustandssumme herleiten, die wir als die Zu-standssumme eines (hypothetischen) Maxwell-Boltzmann-Gases betrachten. Wir betrachten

Z =∞

∑N=0

∑~n

∑i

ni=N

1N!

(N

n1 n2 ... n j ...

)

exp[−β(E~n−µN)] .

Ohne den Faktor 1/(N!) wäre dies die Zustandssumme eines Systems von unterscheidbaren Teil-chen, von denen sichn1 im ZustandE1, n2 im ZustandE2, ... befinden. In der Quantenmechanikwird ein Zustand mit den Besetzungszahlen(n1,n2, ...) genau einmal gezählt. In der klassischenPhysik würde man naiv einen solchen Zustand mit der Multiplizität

(N

n1 n2 ... n j ...

)

zählen. Wir werden allerdings sehen, daß der zusätzliche Faktor 1/(N!) notwendig ist, um denGrenzwert der Bose-Einstein- und der Fermi-Dirac-Verteilung zu reproduzieren. Wir werten dieZustandssumme aus:

Z = ∑~n

1n1!n2!...

exp

[

−β∞

∑i=1

ni (Ei −µ)

]

= ∑~n

∏i=1

1ni !

exp[−βni (Ei −µ)]

=∞

∏i=1

∑ni=0

1ni!

exp[−βni (Ei −µ)] =∞

∏i=1

exp(

e−β(Ei−µ))

.

80

Page 81: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

Das großkanonische Potential ergibt sich zu

Ω = −1β

lnZ =−1β

∑i=1

e−β(Ei−µ).

Für die mittlere TeilchenzahlN findet man

N = −(

∂Ω∂µ

)

T,V=

∑i=1

e−β(Ei−µ),

und für die mittlere Besetzungszahl ¯ni

ni = e−β(Ei−µ).

Diese Verteilungsfunktion wird als dieMaxwell-Boltzmann-Verteilungsfunktion bezeichnet.Die Maxwell-Boltzmann-Verteilung ist der Grenzwert der Bose-Einstein- und der Fermi-Dirac-Verteilung im Limes

eβµ ≪ 1.

In diesem Limes können wir nun die Formel für die statistische Definition der Entropie in derklassischen Physik

S = −kB

∫d3Nq d3Np ρ(~q,~p) ln(CNρ(~q,~p)) .

aus der entsprechenden Formel für die Quantenmechanik

S = −kB Tr(ρ ln ρ)

herleiten. Wir führen diese Herleitung für ein ideales Quantengas ohne Spinfreiheitsgrade ineinem Würfel der KantenlängeL durch. Da die Teilchen keinen Spin haben (S= 0) handelt essich um Bosonen, die korrekterweise durch die Bose-Einstein-Statistik beschrieben werden. DerDichte-Operator ist somit

ρ =1

ZBEexp[−β(H −µN

)].

Für die Entropie ergibt sich

S = −kB Tr(ρ ln ρ) =− kB

ZBETr

e−β(H−µN) [−β(H −µN

)− lnZBE

]

= − kB

ZBEβ

∂∂β

ZBE+kB lnZBE = kB

(

1−β∂

∂β

)

lnZBE.

Im Grenzfalleβµ ≪ 1 können wirZBE durchZMB ersetzen und erhalten

S ≈ kB

(

1−β∂

∂β

)

lnZMB.

81

Page 82: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

Wir definieren nun einen OperatorB, der angewandt auf einen Zustand mit den Besetzungszahlen(n1,n2, ...) den Eigenwert

1N!

(N

n1 n2 ... n j ...

)

=1

n1!n2!...n j !...

liefert. Mit Hilfe dieses Operators läßt sich die großkanonische Zustandssumme der Maxwell-Boltzmann-Verteilung als

ZMB = Tr Be−β(H−µN)

schreiben. Der Dichteoperator ist wie bisher

ρMB =1

ZMBe−β(H−µN)

und Mittelwerte werden für die Maxwell-Boltzmann-Verteilung durch die Formel

⟨O⟩

= Tr(BρMBO

)

berechnet. Wir bestimmen nun

−kBTr(BρMB ln ρMB

)= − kB

ZMBTr

Be−β(H−µN) [−β(H −µN

)− lnZMB

]

= kB

(

1−β∂

∂β

)

lnZMB ≈ S.

Somit ergibt sich

S ≈ −kBTr(BρMB ln ρMB

)=−kB

∑N=0

∑~n

∑i

ni=N

1N!

(N

n1 n2 ... n j ...

)

p(~n) ln p(~n) .

Anstelle über die Besetzungszahlen(n1,n2, ...,nN) können wir auch über die Impulseigenzustän-de (ν1, ...,ν3N) summieren. Hierbei wird der Energieeigenzustand mit den Besetzungszahlen(n1,n2, ...,nN) genau

(N

n1 n2 ... nN

)

mal gezählt, wir müssen also durch diesen Faktor teilen und erhalten

S ≈ −kB

∑N=0

∑~ν

1N!

p(~ν) ln p(~ν) .

82

Page 83: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

Wir nähern nun die Summe durch ein Integral und erhalten

S ≈ −kB

∑N=0

1N!

∫d3Nq d3Np

h3N p(~q,~p) ln p(~q,~p)

= −kB

∑N=0

∫d3Nq d3Np

p(~q,~p)N!h3N ln

(

N!h3N p(~q,~p)N!h3N

)

.

Hierbei bezeichnetp(~q,~p) eine Wahrscheinlichkeit, während~q und~p die Koordinaten und dieImpulse bezeichnen. Führen wir nun die Notation

ρ(~q,~p) =p(~q,~p)N!h3N , CN = N!h3N,

so ergibt sich die gewünschte Formel

S ≈ −kB

∑N=0

∫d3Nq d3Np ρ(~q,~p) ln(CNρ(~q,~p)) .

Betrachten wir nun noch den thermodynamischen Limes der Maxwell-Boltzmann-Verteilung:

Ω = −1β

∑i=1

e−β(Ei−µ) =− 2zgV√πβλ3

∞∫

0

dx√

xe−x

︸ ︷︷ ︸12√

π

=−zgVβλ3 ,

N =∞

∑i=1

e−β(Ei−µ) =zgVλ3 .

Wir haben also

Ω =−gkBTVλ3

g5/2(z)f5/2(z)z

N =gVλ3

g3/2(z) Bose-Einsteinf3/2(z) Fermi-Diracz Maxwell-Boltzmann

Nun istΩ =−pV und mitδ = λ3/g · (N/V) findet man in einer Entwicklung inδ

pV = NkBT

1−2−52 δ+O(δ2) Bose-Einstein

1+2−52 δ+O(δ2) Fermi-Dirac

1 Maxwell-Boltzmann

Die Terme∓2−52 δNkBT in der Zustandsgleichung werden als Quantenkorrekturen oder Aus-

tauschkorrekturen bezeichnet. Sie haben ihren Ursprung inder Symmetresierung bzw. Antisym-metriesierung der Wellenfunktion. Die Quantenkorrekturen sind proportional zu~3. Die Sym-metrisierung führt im Vergleich zum klassisschen idealen Gas zu einer Druckverminderung, dieAntisymmetrisierung führt im Vergleich zum klassisschen idealen Gas zu einer Druckerhöhung.

83

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Bemerkung: Wir haben nun also die Zustandsgleichung des idealen Gases mit Hilfe der stati-stischen Physik hergeleitet. Als Näherung haben wir den thermodynamischen Limes verwendet,so daß wir die Summation durch ein Integral ersetzen konnten. Betrachten wir darüberhinausden klassischen Grenzfall (hohe Temperaturen bzw. geringeDichte), so erhalten wir die Zu-standsgleichung des klassischen idealen GasespV = NkBT. Für ideale Quantengase haben wiraußerdem die ersten Korrekturen zu dieser Näherung erhalten.

4.4 Die Planck-Verteilung

Wir wollen nun einen wichtigen Spezialfall der Bose-Einstein-Verteilung diskutieren und be-trachten ein Photonengas. Photonen sind Bosonen mit Spin 1,sie haben allerdings nur zweiSpinzustände, so daß der Entartungsfaktorg= 2 ist. Der dritte Spinzustand ist aufgrund der Ei-chinvarianz des elektromagnetischen Feldes verboten. Photonen sind relativistische Teilchen mitRuhemasse Null. Zwischen Energie und Impuls gilt die Beziehung

E = ~ω = c|~p| .Weiter gilt für Photonen, daß ihr chemisches Potential gleich Null ist.

Wir betrachten ein Photonengas in einem Würfel der KantenlängeL. Für die großkanonischeZustandssumme finden

Z =

[

∏~ν

1

1−e−βE~ν

]2

, E~ν =2π~c

L|~ν| ,

wobei die Potenz 2 von den zwei Spinzuständen kommt. Für das großkanonische Potential ergibtsich

Ω = −kBT lnZ = 2kBT ∑~ν

ln(

1−e−βE~ν)

.

Wir ersetzen die Summation durch eine Integration

Ω =2VkBT

h3

∫d3pln

(

1−e−βE~p

)

=8πVkBT

h3

∞∫

0

dp p2 ln(

1−e−cp

kBT

)

=8πV(kBT)4

h3c3

∞∫

0

dx x2 ln(1−e−x)=

V(kBT)4

π2(~c)3

∞∫

0

dx x2 ln(1−e−x)

Das Integral berechnet sich wie folgt∞∫

0

dx x2 ln(1−e−x) =

13

∞∫

0

dx

(ddx

x3)

ln(1−e−x)=−1

3

∞∫

0

dxx3

ex−1

= −13

Γ(4)ζ(4) =−2ζ(4) =−π4

45.

84

Page 85: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

Somit erhalten wir

Ω = −V(kBT)4

(~c)3

π2

45=−4σ

3cVT4, σ =

π2k4B

60~3c2

σ bezeichnet man als die Stefan-Boltzmann-Konstante. Für die Entropie erhalten wir

S = −(

∂Ω∂T

)

V=

16σ3c

VT3.

Die innere Energie ergibt sich zu (chemisches Potentialµ= 0)

U = Ω+TS=4σc

VT4.

Für den Druck erhalten wir

p = −(

∂Ω∂V

)

T=

4σ3c

T4.

Betrachten wir nun die Ergebnisse für den Druck und die innere Energie, so finden wir die Be-ziehung

pV =13U.

Zum Vergleich: Für ein ideales Gas hat man die Beziehung

pV =23U.

Die BeziehungpV =U/3 ist für das frühe Universum, in dem es von Strahlung dominiert wurde,von Bedeutung.

Wir leiten noch das Plancksche Strahlungsgesetz her. Aus der mittleren Besetzungszahl

ni =1

eEi

kBT −1

folgt für die besetzten Zustände ind3p

ni2V

(2π~)3d3p

und mitd3p= 4πp2dp und p= ~ω/c für die besetzten Zustände indω

niV

π2c3ω2dω =V

π2c3

ω2dω

e~ωkBT −1

.

Die spektrale Energiedichteu(ω) ist durch Energie pro Volumen- und Frequenzeinheit definiert.Man erhält sie aus dem obigen Ausdruck durch Multiplikationmit ~ω/V/dω:

u(ω) =~

π2c3

ω3

e~ωkBT −1

.

Dies ist dasPlanksche Strahlungsgesetz.

85

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4.5 Die Fermi-Fläche

Wir diskutieren nun das Verhalten der idealen Quantengase bei tiefen Temperaturen. Fermionenund Bosonen zeigen bei tiefen Temperaturen ein stark unterschiedliches Verhalten. Wir begin-nen mit der Diskussion des Tieftemperaturverhaltens von Fermionen. Es läßt sich zeigen, daßfür tiefe Temperaturen das chemische Potential von Fermionen positiv ist. Die Fermi-Dirac-Verteilungsfunktion geht im GrenzfallT → 0 über in eine Stufenfunktion

limT→0

1

e1

kBT (Ei−µ)+1

= θ(

µ−Ei

µ

)

.

Es sind also nur die Energieniveaus mitEi < µ besetzt. Wir bezeichnen die Grenzenergie alsFermi-Energie

EF = µ.

Betrachten wir nicht-relativistische Teilchen, so gilt die Energie-Impuls-Beziehung

E =|~p|22m

,

und wir definieren im nicht-relativistischen Fall denFermi-Impuls durch

pF =√

2mEF .

Ebenso definiert man dieFermi-Temperatur durch

TF =EF

kB.

Unter derFermi-Flächeversteht man im Impulsraum alle Punkte~p, so daß

|~p| = pF .

Wir wollen diese Größen noch mit Teilchenzahl und Volumen inBeziehung setzen. Wir haben

N = g ∑|~p|≤pF

1= gV

(2π~)3

∫d3p θ

(pF −|~p|

pF

)

=4πgV(2π~)3

pF∫

0

dp p2 =4πgV p3

F

3(2π~)3 =gV p3

F

6π2~3 ,

und somit ist

pF = ~

(6π2

gNV

)13

und

EF = µ=~

2

2m

(6π2

gNV

)23

.

86

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Für das großkanonische Potential gilt

Ω = −gkBTVλ3 f5/2(z) =−4gkBTV

3√

πλ3

∞∫

0

dxx

32

z−1ex+1=− 4gV

3√

πλ3(kBT)32

∞∫

0

dE E32 n(E)

= −NE− 3

2F

∞∫

0

dE E32 n(E),

wobei

n(E) =1

eβ(E−µ)+1.

Für kleine Temperaturen können wir für ein Integral der Form

I =

∞∫

0

dE f(E)n(E)

die folgende Näherung machen (EF = µ):

I =

EF∫

0

dE f(E)+

∞∫

0

dE f(E)

[

n(E)−θ(

µ−EkBT

)]

≈EF∫

0

dE f(E)+

∞∫

−∞

dE f(E)

[

n(E)−θ(

µ−EkBT

)]

.

Wir setzen nun

y =E−µkBT

und entwickelnf (E) umE = µ:

f (E) =∞

∑n=0

1n!

f (n)(µ)(E−µ)n =∞

∑n=0

1n!

f (n)(µ)(ykBT)n .

Die Funktion

1ey+1

−θ(−y)

ist antisymmetrisch bezüglichy↔ (−y). Daher tragen von der Taylorentwicklung vonf (E) nurdie ungeraden Terme bei. Wir erhalten

I ≈EF∫

0

dE f(E)+2∞

∑n=1,3,...

1n!

f (n)(µ)(kBT)n+1∞∫

0

dyyn

ey+1.

87

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Es ist∞∫

0

dyy

ey+1=

π2

12

und somit erhalten wir fürΩ indem wir in der Taylorentwicklung nur den Termn= 1 mitnehmen

Ω = −NE− 3

2F

∞∫

0

dE E32 n(E)

≈ −NE− 3

2F

EF∫

0

dE E32 −2NE

− 32

F

(32

E12F

)

(kBT)2 π2

12=−2

5NEF − π2

4NEF

(kBTEF

)2

.

Der Term proportional zuT2 ist der erste Korrekturterm gegenüber dem Ergebnis fürT = 0.

4.6 Die Bose-Einstein-Kondensation

Wir betrachten nun ein Bosonengas im Tieftemperaturbereich. Wir betrachten nicht-relativstischeTeilchen mit Spin Null, so daßg= 1 ist. Die Energie des Grundzustands seiE1 = 0. Die Bose-Einstein-Verteilungsfunktion für den Grundzustand ist somit

n1 =1

z−1−1=

z1−z

.

Bei der Herleitung der Bose-Einstein-Verteilung haben wirµ< E1 und mitE1 = 0

z < 1

vorausgesetzt. Im Grenzfallz→ 1 haben wir

limz→1

n1 = ∞.

Wir erwarten also, daß der Grundzustand im Grenzfallz→ 1 makroskopisch besetzt wird.

Fürz< 1 ergab sich die mittlere Besetzungszahl zu

N =Vλ3g3/2(z).

Somit gilt für die Größeδ = λ3N/V

δ = g3/2(z).

Wegen

δ = λ3NV

=NV

h3

(2πmkBT)32

∼ T− 32

88

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nimmt die Größeδ bei einer Erniedrigung der Temperatur zu, bis der Maximalwert g3/2(1) er-reicht wird. Dies definiert diekritische Temperatur Tc:

δc =NV

λ3c =

NV

h3

(2πmkBTc)32

= g3/2(1).

Auflösen nachTc liefert

Tc =2π~2

mkb

(

1g3/2(1)

NV

) 23

.

Wir betrachten nun den Fallz→ 1. In diesem Fall müssen wir bei der Ersetzung der Summe allerZustände durch ein Integral sorgfältiger sein. Wir behandeln den Grundzustand separat. Für diemittlere Teilchenzahl schreiben wir

N =∞

∑i=1

1

z−1eβEi −1=

z1−z

+∞

∑i=2

1

z−1eβEi −1.

Im zweiten Term können wir wie gewohnt die Summe durch ein Integral ersetzen.

∑i=2

1

z−1eβEi −1=

Vλ3g3/2(z),

daß Integral um~p= 0 liefert im thermodynamischen Limes einen verschwindenden Beitrag zurTeilchendichteN/V. Dies sieht man wie folgt

2√πλ3

λ2

L2∫

0

dx

√x

ex−1≈ 2√

πλ3

λ2

L2∫

0

dx√x=

4√πλ2

1L.

Wir erhalten also

N =z

1−z+

Vλ3g3/2(z),

und mit Hilfe der Definition der kritischen Temperatur

N =z

1−z+ N

(TTc

)32 g3/2(z)

g3/2(1).

FürT > Tc ist z< 1 und der erste Term ist endlich und kann gegenüberN vernachlässigt werdenund die Formel reduziert sich auf den bereits bekannten Ausdruck N = g3/2(z)V/λ3. Insbeson-dere ist

limN→∞

n1

N= 0

89

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FürT < Tc ist

z = 1−O

(1N

)

,

und wir können im zweiten Termg3/2(z) durchg3/2(1) nähern. Wir finden also für die Beset-zungszahl des Grundzustandes

n1 =z

1−z= N

(

1−(

TTc

)32)

, T < Tc

Wir führen noch denOrdnungsparameter

√ν =

n1

N

ein. In der Umgebung der kritischen TemperaturTc gilt dann

√ν =

0 T > Tc,√

32

(Tc−T

Tc

)12

T < Tc.

Wir sehen also, daß der Ordnungsparameter oberhalb der kritischen TemperaturTc gleich Nullist, während er unterhalb der kritischen TemperaturTc ungleich Null ist. Dieses Phänomen trittbei einemPhasenübergangauf.

5 Phasenübergänge

Wir betrachten nun die Physik der Phasenübergänge. Wir haben bereits im letzten Abschnittdurch die Bose-Einstein-Kondensation einen Phasenübergang kennengelernt.

In Abhängigkeit von einem oder mehreren Kontrollparametern liegt ein System in einer odermehrerer verschiedenen Phasen vor. AlsKontrollparameter werden wir oft, aber nicht aus-schließlich, die TemperaturT betrachten. Verwenden wir die Temperatur als Kontrollparameter,so bezeichnen wir den Wert, an dem der Phasenübergang stattfindet mitTc (kritische Tempera-tur). Oft ist es möglich, Observablen anzugeben, die die einzelnen Phasen des Systems unter-scheiden können. Solche Observablen werden alsOrdnungsparameter bezeichnet. Beispielehierfür sind die Magnetisierung oder die bereits oben erwähnte Besetzung des Grundzustandesim idealen Bosonengas.

Die Phasenübergänge werden nach Ehrenfest wie folgt klassifiziert: Wir betrachten ein thermo-dynamisches Potential und dessen Ableitungen. Bei einemPhasenübergangn-ter Ordnung istmindestens eine dern-ten Ableitungen des thermodynamischen Potentials nicht stetig und alle

90

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niedrigeren Ableitungen stetig. Die nicht-stetige Ableitung kann im betrachteten Punkte entwe-der eine Diskontinuität oder eine Singularität haben.Bei einem Phasenübergang erster Ordnung ist also eine der ersten Ableitungen nicht stetig. Pha-senübergänge zweiter und höherer Ordnung werden auch alskontinuierliche Phasenübergän-geoderkritische Punkte bezeichnet. Die Unterteilung in Phasenübergänge erster Ordnung undkontinuierliche Phasenübergänge ist die moderne Klassifizierung. In Phasenübergängen ersterOrdnung ist der Ordnungsparameter nicht stetig und spring üblicherweise von Null auf einenendlichen Wert. In kontinuierlichen Phasenübergängen istdie Änderung des Ordnungsparamtersstetig, wobei er in der einen Phase identisch Null ist und in der anderen Phase vom kritischenPunkt weg ansteigt.

Phasenübergänge treten in Systemen mit einerunendlichen Anzahl an Freiheitsgradenauf.Beispielsweise betrachtet man im thermodynamischen LimesN → ∞, V → ∞ undN/V = constSysteme mit unendlich vielen Freiheitsgraden. Phasenübergänge treten nicht in Systemen mit ei-ner endlichen Anzahl an Freiheitsgraden auf. Bei diesen Systemen ist die Zustandssumme immereine analytische Funktion der Parameter. Die Nicht-Analytizität ergibt sich durch den GrenzwertN → ∞.

Ein Phasenübergang kann mit derBrechung der Symmetrie des Systemsoder mit derBre-chung der Ergodizität verbunden sein.

Die Gibbsche Phasenregel: Wie bereits erwähnt kann ein System in Abhängigkeit der Kon-trollparameter sich in einer oder mehreren Phasen befinden.Betrachten wir ein System, in demnur ein Paar mechanischer Variablen vorliegt, also beispielsweise(Y,X) = (−p,V). Weiter wol-len wir annehmen, daß nur eine Teilchensorte vorliegt. Wir können also die TemperaturT, denDruck p und die TeilchenzahlN als unabhängige Variablen nehmen. Das chemische Potentialµ ist dann eine Funktion dieser Variablen. Da das chemische Potential eine intensive Größe ist,kann es nur von den intensiven VariablenT und p, aber nicht von der extensiven VariablenNabhängen:

µ = µ(T, p) .

Nehmen wir zunächst an, daß im System für gegebene Werte der TemperaturT und des Druckesp zwei Phasen koexistieren. Die beiden Phasen müssen sich im Gleichgewicht befinden. Nunwissen wir aber bereits, daß für zwei Teilsysteme, die sich im Gleichgewicht befinden, alle in-tensiven Variablen gleich sind. Neben der TemperaturT und dem Druckp müssen insbesonderedie chemischen Potentialeµ(1) undµ(2) der beiden Phasen gleich sein. Da die chemischen Poten-tiale nur Funktionen der intensiven VariablenT und p sind, haben wir also

µ(1) (T, p) = µ(2) (T, p) .

Diese Gleichung definiert eine Funktion

p = p(T),

91

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so daß die zwei Phasen imp-T-Diagramm entlang der Liniep= p(T) koexistieren können. Beidrei Phasen muß für die chemischen Potentiale gelten

µ(1) (T, p) = µ(2) (T, p) = µ(3) (T, p) .

Dies definiert einen Punkt imp-T-Diagramm. (Die Gleichungen definieren zwei Kurven, unddie Lösung ist der Schnittpunkt der beiden Kurven.) Würden vier Phasen vorliegen, so hättenwir das Gleichungssystem

µ(1) (T, p) = µ(2) (T, p) = µ(3) (T, p) = µ(4) (T, p) .

Im Allgemeinen hat dieses Gleichungssystem keine Lösung für p undT. Die Gleichungen de-finieren drei Kurven. Im einfachsten Fall, in dem die drei Kurven drei Geraden entsprechen istes offensichtlich, daß sich drei Geraden im Allgemeinen nicht in einem Punkt schneiden. Wirfolgern also, daß vier Phasen im Allgemeinen nicht gleichzeitig koexistieren können.

Dies läßt sich auch auf mehrere Teilchensorten verallgemeinern. Wir betrachten ein System mit

l verschiedenen Teilchensorten. Die chemischen Potentialeµ(i)j der einzelnen Teilchensortenjin der Phase(i) können nun neben der TemperaturT und dem Druckp auch von den relativenAnteilen

η(i)j =

N(i)j

N(i), N(i) = ∑

jN(i)

j ,

der einzelnen Teilchensorten abhängen. Die Verhältnisseη(i)j sind intensive Größen. Da sich

die relativen Anteile der Teilchensorten pro Phase zu Eins addieren, haben wir also pro Phase(l − 1) zusätzliche Variablen. Nehmen wir an, daß im Systemr Phasen koexistieren. Für jedeTeilchensorte muß das chemische Potential in allen Phasen gleich sein:

µ(1)1

(

T, p,η(1)1 , ...,η(1)

l−1

)

= µ(2)1

(

T, p,η(2)1 , ...,η(2)

l−1

)

= ... = µ(r)1

(

T, p,η(r)1 , ...,η(r)

l−1

)

,

... ...

µ(1)l

(

T, p,η(1)1 , ...,η(1)

l−1

)

= µ(2)l

(

T, p,η(2)1 , ...,η(2)

l−1

)

= ... = µ(r)l

(

T, p,η(r)1 , ...,η(r)

l−1

)

.

Dies sindl(r−1)Gleichungen für 2+r(l −1) Unbekannte. Um eine Lösung zu erhalten, soll daßGleichungssystem nicht überbestimmt sein. Wir fordern also, daß die Anzahl der Gleichungenkleiner oder gleich der Anzahl der Unbekannten ist:

l (r −1) ≤ 2+ r (l −1) .

Aufgelöst ergibt dies

r ≤ 2+ l ,

92

Page 93: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

d.h. die Anzahlr der Phasen, die koexistieren können ist maximal(2+ l).

Betrachten wir nun ein System mit den unabhängigen Variablen T, ~Y und Nj . Das relevantethermodynamische Potential ist in diesem Fall die Gibbschefreie EnthalpieG(T,~Y,Nj). An ei-nem Phasenübergang, der bei einem bestimmten Wert der Parameter T, ~Y, Nj auftritt, ist dieGibbsche freie Enthalpie stetig. Nun ist

G = ∑j

µjNj .

Wir haben bereits gesehen, daß auch die chemischen Potentiale µj am Phasenübergang stetigsind. Somit sind auch die partiellen Ableitungen

(∂G∂Ni

)

T,~Y,Nj 6=i

= µi

am Phasenübergang stetig. Keine Aussage kann allerdings über die partiellen Ableitungen(

∂G∂T

)

~Y,Nj

=−S,

(∂G∂Yi

)

T,Yk6=i ,Nj

=−Xi,

gemacht werden.

5.1 Phasenübergänge erster Ordnung

Wir betrachten wieder ein System mit den unabhängigen Variablen T, ~Y und Nj . Bei einemPhasenübergang erster Ordnung ist mindestens eine der partiellen Ableitungen

(∂G∂T

)

~Y,Nj

=−S,

(∂G∂Yi

)

T,Yk6=i ,Nj

=−Xi,

nicht stetig. Betrachten wir den Fall, daß∂G/∂T nicht stetig ist. In diesem Fall ist die Entropiein den beiden Phasen unterschiedlich:

∆S = S(2)−S(1) =

(

∂G(1)

∂T

)

~Y,Nj

−(

∂G(2)

∂T

)

~Y,Nj

6= 0.

Somit gilt auch für die EnthalpieH, die mit der Gibbschen freien EnthalpieG mittelsH =G+TSzusammenhängt:

∆H = H(2)−H(1) = T∆S 6= 0.

∆H wird als latente Wärmebezeichnet.

Betrachten wir nun ein System mit einem Paar mechanischer Variablen(Y,X) = (−p,V) und

93

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bei konstanter Teilchenzahl. Die Gibbsche freie Enthalpieist bei einem Phasenübergang stetig.Somit gilt entlang der Koexistenzkurve zweier Phasen

dG(1) = dG(2).

Nun ist

dG = −SdT+Vdp+µdN

und bei konstanter Teilchenzahl folgt somit

−S(1)dT+V(1)dp = −S(2)dT+V(2)dp,

bzw.(

∂p∂T

)

koexisitenz=

S(2)−S(1)

V(2)−V(1)=

∆HT∆V

.

Diese Gleichung wird alsClausius-Clapeyron-Gleichungbezeichnet.

5.2 Kontinuierliche Phasenübergänge

Wir betrachten nun kontinuierliche Phasenübergänge. Als Standardfall nehmen wir die Tempe-raturT als Kontrollparameter und betrachten die Annäherung an einen kritischen Punkt bei derTemperaturTc. Wir setzen

τ =T −Tc

Tc.

Es zeigt sich, daß sich viele physikalisch relevante Größenin der Umgebung vonτ = 0 durchPotenzgesetze beschreiben lassen, wobei unterschiedliche Potenzen bei Annäherung an den kri-tischen Punkt von oben und unten zugelassen sind. Um dies exakter fassen zu können definierenwir denkritischen Exponentenλ einer Funktionf (τ) durch

λ = limτ→0

d ln f (τ)d lnτ

.

Gilt für eine Funktionf (τ) in der Umgebung vonτ = 0

f (τ) = c1τλ1 +c2τλ2 +c3τλ3 + ..., λ1 < λ2 < λ3 < ...,

wobei dieλi nicht notwendigerweise ganze Zahlen sein müssen, so ist

limτ→0

d ln f (τ)d lnτ

= limτ→0

dd lnτ

ln(

c1eλ1 lnτ +c2eλ2 lnτ + ...)

= limτ→0

c1λ1eλ1 lnτ +c2λ2eλ2 lnτ + ...

c1eλ1 lnτ +c2eλ2 lnτ + ...= λ1.

94

Page 95: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

Ist der kritische Exponent positiv, so geht die Funktion beiAnnäherung anTc gegen Null, ist derkritische Exponent negativ, so divergiert die Funktion beiAnnäherung anTc. Der Fall eines kriti-schen Exponentens gleich Null muß gesondert behandelt werden. Offensichtlich ist der kritischeExponent einer Funktion

f (τ) = c0+c1τ+O(τ2) , c0 6= 0,

gleich Null:

limτ→0

dd lnτ

ln(

c0+c1elnτ + ...)

= limτ→0

c1elnτ + ...

c0+c1elnτ + ...= 0.

Andererseits hat auch eine Funktion der Form

g(τ) = cln(τ)

einen kritischen Exponenten Null:

limτ→0

dd lnτ

ln(cln(τ)) = limτ→0

ccln(τ)

= 0.

Der kritische Exponent Null unterscheidet also nicht zwischen den Fällen, in denen einerseits dieFunktion gegen einen konstanten Wert strebt und andererseits logarithmisch divergiert.

Empirisch zeigt sich, daß das Verhalten unterschiedlicherSysteme wie z.B. Gas-Flüssigkeiten-gemische und ferromagnetische Materialien in der Nähe eines kritischen Punktes durch gleichekritische Exponenten beschrieben wird. Dieses Phänomen wird alsUniversalität bezeichnet. Diekritischen Exponenten hängen also nicht von den genauen Einzelheiten eines Systems ab, son-dern nur von wenigen Eigenschaften wie Raumdimension, Symmetrie des Ordnungsparameters,Zahl der Komponenten, Reichweite der Wechselwirkung, etc..

Desweiteren findet man empirisch, daß in der Nähe eines kritischen Punktes diese Systeme einSkalenverhaltenzeigen: Dieser Begriff soll erklärt werden. Betrachten wirzunächst eine Funk-tion f (x) einer Variablenx. Wir bezeichnen diese Funktion alshomogenvom Gradp, falls gilt

f (λx) = λp f (x) , ∀x, λ 6= 0.

Man sieht sofort, daß in diesem Fallf (x) eine Potenzfunktion ist

f (x) = xp f (1).

Wir können die Bedingung an die Homogenität auch wie folgt schreiben:

f(

λ1p x)

= λ f (x) .

95

Page 96: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

Wir verallgemeinern diese Bedingung nun auf Funktionen zweier Variablen und bezeichnen eineFunktion f (x,y) als eineverallgemeinerte homogene Funktion vom Grad(p,q), falls gilt

f(

λ1px,λ

1qy)

= λ f (x,y) .

In diesem Fall gilt

f (x,y) = yq f

(

x

yqp,1

)

,

und wir sagen, daßf ein Skalenverhalten zeigt: Neben dem Vorfaktoryq hängt f nur vom Ver-hältniss

x

yqp

ab.

Physikalisch interpretiert man das Skalenverhalten wie folgt: In der Nähe eines kritischen Punk-tes werden mikroskopische Längenskalen wie z.B. der Gitterabstand irrelevant. Die einzige re-levante Längenskala ist die Korrelationlänge von Fluktuationen, welche bei Annäherung an denkritischen Punkt anwächst und gegen Unendlich strebt. Die Korrelationslänge von Fluktuatio-nen gibt die Ausdehnung von Gebieten an, in denen der Ordnungsparameter den gleichen Werthat. Ein Beispiel hierfür sind die Weißschen Bezirke in Ferromagneten. Das System kann hier-bei durch eine effektive Wechselwirkung zwischen den einzelnen Gebieten beschrieben werden,die mikroskopischen Wechselwirkungen innerhalb der einzelnen Gebiete können vernachlässigtwerden. Die Korrelationslänge diveriert bei Annäherung anden kritischen Punkt. Als kritischenExponenten der Korrelationslänge verwendet man üblicherweise die Schreibweise

lcorr = c|τ|−ν .

Am kritischen Punkt ist die Korrelationslänge unendlich. Es exisitiert daher für das System keineausgezeichnete Längenskala mehr. Dies impliziert die Skaleninvarianz des Systems und erklärtdamit auch das Skalenverhalten.

5.3 Ginzburg-Landau-Theorie

5.3.1 Molekularfeldnäherung

Wir betrachten nun ein einfaches Modell für einen Phasenübergang zweiter Ordnung. In diesemZusammenhang wollen wir auch die Brechung der Symmetrie eines Systems betrachten. Seiφein thermodynamisches Potential (z.B. die freie Energie oder die Gibbsche freie Enthalpie). Wirwollen annehmen, daß der Ordnungsparameter durch einen Vektor~η gegeben ist, dies kann zumBeispiel die Magnetisierung sein. Das thermodynamische Potential ist eine skalare Größe undkann daher nur von~η2, aber nicht von~η alleine abhängen. In der Nähe des kritischen Punktes

96

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ist der Ordnungsparameter identisch Null in der einen Phaseund klein in der anderen Phase. Wirkönnen daher das thermodynamische Potential in der Größe~η2 entwickeln:

φ(T,~η2) = φ0(T)+α2(T)~η2+α4(T)

(~η2)2+ ...

Betrachten wir nun also ein Modell, indem das thermodynamische Potential durch die ersten dreiTerme gegeben ist:

φ(T,~η2) = φ0(T)+α2(T) |~η|2+α4(T) |~η|4 .

Da das thermodynamische Potential ein absolutes Minimum haben soll, fordern wir

α4(T) > 0.

Für ein Extremum muß gelten(

∂φ∂ |η|

)

T= 0,

2α2 |~η|+4α4 |~η|3 = 0,

|~η|(

α2+2α4 |~η|2)

= 0,

also entweder

|~η|= 0 oder |~η|=√

−α2

2α4.

Ein Minimum liegt vor, falls(

∂2φ∂ |η|2

)

T

> 0,

2α2+12α4 |~η|2 > 0.

Wir fordern nun, daß fürT > Tc das Minimum durch|~η| = 0 gegeben ist. Dies impliziertα2(T) > 0 für T > Tc. Andererseits verlangen wir auch, daß das Minimum fürT < Tc durch|~η| =

(−α2)/(2α4) gegeben ist. Dies impliziertα2(T) < 0 für T < Tc. Die Fälle α2 > 0,α2 = 0 undα < 0 sind in der folgenden Abbilding skizziert:

|η|

φ

|η|

φ

|η|

φ

97

Page 98: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

Für α2 < 0 erhalten wir im Minimum einen von Null verschiedenen Wert für |~η|. Dies wird alsspontane Symmetriebrechungbezeichnet.

Entwickeln wir α2(T) um T = Tc in eine Taylorreihe, so finden wir, daß diese Taylorreihe mitdem linearen Term beginnen muß:

α2(T) = α21 · (T −Tc)+O(

(T −Tc)2)

, α21 > 0.

Wir habenα4(T)> 0 vorausgesetzt. Entwickeln wir auch diese Funktion umT =Tc und behaltennur den führenden Term, so ergibt sich

α4(T) = α40+O (T −Tc) , α40 > 0.

Für das thermodynamische Potential ergibt sich also

Φ(T,~η2) =

φ0(T), T > Tc

φ0(T)− α221

4α40(T −Tc)

2 , T < Tc

Wir betrachten nun die zweite Ableitung des thermodynamischen Potentials bezüglich der Tem-peratur. Handels es sich bei dem thermodynamischen Potential um die freie EnergieF bzw. dieGibbsche freie EnthalpieG, so ist die zweite Ableitung bezüglich der Temperatur proportionalzur Wärmekapazität bei konstantem Volumen bzw. bei konstantem Druck. Für

C(T) = −T∂2φ∂T2

erhalten wir

limT→Tc−0

C(T)− limT→Tc+0

C(T) =α2

21

2α40Tc.

Die Wärmekapazität macht also einen Sprung um den Betragα221Tc/(2α40).

Bemerkung: In der obigen Diskussion wurde ein einziger Ordnungsparameter~η für das gesamtephysikalische System verwendet. Diese Näherung wird alsMolekularfeldnäherung odermean-field approximation bezeichnet. Betrachten wir die Magnetisierung als Ordnungsparameter, sobedeutet die Molekularfeldnäherung daß ein einzelner Spinnur den gemittelten Spin aller an-deren Spins “sieht”. Korrelationen zwischen Bezirken gleichausgerichteter Spins gehen hierbeiverloren.

5.3.2 Das Ginzburg-Landau-Funktional

Wir wollen das obige Beispiel nun etwas genauer behandeln und ersetzen den globalen Ord-nungsparameter~η durch einen ortsabhängigen Vector~η (~x). Hierbei sei~η ein n-dimensionalerVektor und~x einD-dimensionaler Vektor. Die Hauptanwendung wirdD ∈ 1,2,3 sein, und wir

98

Page 99: Statistische Physikstefanw/download/script_stat.pdf · Wir nennen ein Differential exakt (bzw. eine Einsform exakt), falls das Differential die äußere Ableitung einer Funktion F

behandeln diese Fälle simultan. Bemerkung: Es wird nicht vorausgesetzt, daßn (Dimension von~η) gleichD ist (Dimension von~x).

Wir stellen uns vor, daß man~η(~x) durch Mittelung in der Umgebung des Punktes~x erhält.In der Fourierdarstellung hat~η(~x) also nur langwellige Komponenten, aber keine kurzwelligenKomponenten. Dies bedeutet auch, daß die räumlichen Ableitungen∂i~η(~x) klein sind (wobei1 ≤ i ≤ D) . Wir könnnen also eine gleichzeitige Entwicklung in~η und dessen Ableitungenbetrachten. Wir betrachten nun die Situation, daß die Energie des Systems gegeben ist durch

H [~η(~x)] =∫

dDx

[

α2(T) |~η(~x)|2+α4(T) |~η (~x)|4+c(T)D

∑i=1

n

∑j=1

(∇iη j (~x)

)(∇iη j (~x)

)

]

.

Hierbei haben wir einen (irrelevanten) konstanten Term weggelassen und nur einen Term qua-dratisch in den Ableitungen betrachtet. Ein Term linear in den Ableitungen kann nicht auftreten,ohne eine Richtung auszuzeichnen. Die Energie ist eine Funktion der TemperaturT und einFunktional des Ordnungsparameters~η(~x). Die obige Gleichung wird alsGinzburg-Landau-Funktional bezeichnet.Wir wollen das Problem noch etwas vereinfachen und setzen wie zuvor

α2(T) = α21 · (T −Tc)+O(

(T −Tc)2)

, α21 > 0,

α4(T) = α40+O (T −Tc) , α40 > 0,

und

c(T) = c0+O (T −Tc) . c0 > 0,

Wir erhalten also

H [~η(~x)] =

∫dDx

[

α21(T −Tc) |~η(~x)|2+α40|~η(~x)|4+c0

D

∑i=1

n

∑j=1

(∇iη j (~x)

)(∇iη j (~x)

)

]

.

Wir suchen nun eine Lösung fürT > Tc. Wir machen den Ansatz

~η(~x) = ~η0+δ~η (~x) ,

wobei~η0 ortsunabhängig ist und der Molekularfeldnäherung entspricht. Die Fluktuationen wer-den durchδ~η(~x) beschrieben. Wir betrachtenδ~η(~x) als einen Korrekturterm gegenüber~η0.

Wir bestimmen zunächst~η0 aus der Bedingung, daßH minimal sein soll, d.h. daß die Termelinear inδ~η (~x) verschwinden. Dies führ auf

0 =

∫dDx

[2α21(T −Tc)+4α40~η2

0

]~η0 ·δ~η(~x)

Wegenα21 > 0 undα40 > 0 ist für T > Tc der Ausdruck in Klammern stets größer Null und esfolgt für T > Tc

~η0 = ~0.

99

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FürT > Tc ergibt sich somit

H =

∫dDx

[

α21(T −Tc) |δ~η(~x)|2+α40|δ~η(~x)|4+c0

D

∑i=1

n

∑j=1

(∇iδη j (~x)

)(∇iδη j (~x)

)

]

.

Wir diskutieren nun den Effekt der Fluktuationenδ~η(~x). Hierzu machen wir eine weitere Nä-herung und vernachlässigen den Term proportional zuα40. Diese Näherung wird als GaußscheNäherung bezeichnet. Wir erhalten also

H =

∫dDx

[

α21(T −Tc) |δ~η (~x)|2+c0

D

∑i=1

n

∑j=1

(∇iδη j (~x)

)(∇iδη j (~x)

)

]

.

Die Energie ist somit quadratisch in den Fluktuationenδ~η (~x). Für δ~η(~x) verwenden wir dieFourierdarstellung

δ~η(~x) =∫

dDk(2π)De−i~k·~x ~η

(

~k)

.

Da δ~η(~x) reell sein soll, gilt

~η(

−~k)

= ~η(

~k)∗

.

Wir erhalten also

H =

∫dDx

[

α21(T −Tc) |δ~η(~x)|2+c0

D

∑i=1

n

∑j=1

(∇iδη j (~x)

)(∇iδη j (~x)

)

]

=∫

dDx∫

dDk1

(2π)D

∫dDk2

(2π)D e−i(~k1+~k2)·~x[

α21(T −Tc)−c0~k1 ·~k2

]

~η(

~k1

)

~η(

~k2

)

=

∫dDk(2π)D

[

α21(T −Tc)+c0~k2]∣∣∣~η(

~k)∣∣∣

2.

Wir wollen nun die kanonische Zustandssumme betrachten. Hierbei müssen wir über alle Fluk-tuationen summieren bzw. integrieren. Wir betrachten alsoein Integral der Form

∫D Re~η

(

~k)

D Im ~η(

~k)

exp(

−βH[

~η(

~k)])

.

Dieses Integral wird alsFunktionalintegral bezeichnet. Dies ist wie folgt zu verstehen: Für einekomplexe Variablez= x+ iy gilt

∞∫

−∞

d Rez

∞∫

−∞

d Im z e−12a|z|2 =

∞∫

−∞

dx

∞∫

−∞

dye−12a(x2+y2) =

2πa.

100

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Dies läßt sich zunächst auf endlich viele Integrationen verallgemeinern:∞∫

−∞

d Rez1

∞∫

−∞

d Im z1...

∞∫

−∞

d Rezn

∞∫

−∞

d Im zn e− 1

2

n∑j=1

a j |zj|2=

n

∏j=1

2πa j

.

In einem weiteren Schritt verallgemeinern wir dies auf unendlich viele Integrationen. Die einzel-nen Integrationen indizieren wir mit~k. Wir erhalten also indem wir

∫dDk(2π)D = ∑

~k

∆V(2π)D

setzen

∫D Re~η

(

~k)

D Im ~η(

~k)

exp(

−βH[

~η(

~k)])

= ∏~k

(2π)D+1

2∆V

kBT[

α21(T −Tc)+c0~k2]

n

= N ∏~k

kBT

[

α21(T −Tc)+c0~k2]

n

.

Die Potenzn kommt von denn Komponenten des Vektors~η. Für die kanonische Zustandssummewollen wir über alle Fluktuationen summieren bzw. integrieren. Hierbei müssen wir aber dieBedingung

~η(

−~k)

= ~η(

~k)∗

berücksichtigen. Wir sollten also jedes Paar(~k,−~k) nur einmal zählen. Da sowohl~k als auch(−~k) jeweils ein Gaußintegral als Faktor liefern, ist es am einfachsten, sowohl~k als auch(−~k)mitzuzählen und am Ende die Wurzel zu nehmen. Wir haben also für die kanonische Zustands-summe

Z =

(∫D Re~η

(

~k)

D Im ~η(

~k)

exp(

−βH[

~η(

~k)]))

12

= N12 ∏

~k

kBT

[

α21(T −Tc)+c0~k2]

n2

.

Die freie EnergieF ist gegeben durch

F = −kBT lnZ = kBTn2∑

~k

ln

(

α21(T −Tc)+c0~k2

kBT

)

− 12

kBT lnN

=nkBT

2∆V

∫dDk ln

(

α21(T −Tc)+c0~k2

kBT

)

− 12

kBT lnN

≈ nkBT

2∆V

∫dDk ln

(

α21(T −Tc)+c0~k2

kBT

)

.

101

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Die Wärmekapazität (bei konstantem Volumen) ist gegeben durch

C(T) = −T∂2F∂T2

= −T∂2

∂T2

nkBT

2∆V

∫dDk ln

(

α21(T −Tc)+c0~k2

kBT

)

≈ nkBT2α221

2∆V

∫dDk

1(

α21(T −Tc)+c0~k2)2 .

Hierbei haben wir nur den Term berücksichtigt, welcher für|T−Tc|≪ 1 den dominanten Beitragliefert. Wir berechnen nun das auftretende Integral. Da derIntegrand nur von~k2 abhängt, ist eszweckmässig,D-dimensionale Kugelkoordinaten zu verwenden. InD Dimensionen schreibenwir

k1 = kcosθ1,

k2 = ksinθ1cosθ2,

...

kD−1 = ksinθ1...sinθD−2cosθD−1,

kD = ksinθ1...sinθD−2sinθD−1.

Wir haben also inD Dimensionen eine radiale Variablek, (D−2) polare Winkelθ j (mit 1≤ j ≤D−2) und einen AzimuthwinkelθD−1. Für das Intregralmaß ergibt sich

dDk = kD−1dkdΩD,

wobei

dΩD =D−1

∏i=1

sinD−1−i θi dθi .

Die Integration über die Winkel ergibt

∫dΩD =

π∫

0

dθ1sinD−2 θ1...

π∫

0

dθD−2sinθD−2

2π∫

0

dθD−1 =2πD/2

Γ(D

2

) ,

wobei Γ(x) die Eulersche Gammafunktion darstellt. Nach der Winkelintegration erhalten wiralso

C(T) =nkBT2α2

21πD/2

∆VΓ(D

2

)

∞∫

0

dkkD−1

(α21(T −Tc)+c0k2)2 .

102

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Wir substituieren nun

t =c0

a21(T −Tc)k2, bzw. k=

√α21

c0(T −Tc) t

und erhalten

C(T) =nkBT2α2

21πD/2

2∆VΓ(

D2

)αD/2−2

21

cD/20

(T −Tc)D/2−2

∞∫

0

dttD/2−1

(1+ t)2.

Nun haben wir ein Standardintegral, welches durch

∞∫

0

dttx−1

(1+ t)x+y =Γ(x)Γ(y)Γ(x+y)

gegeben ist. Wir erhalten also

C(T) = Γ(

2− D2

)nkBT2πD/2

2∆V

αD/221

cD/20

(T −Tc)D/2−2 .

In der Nähe des kritischen Punktes gilt fürT > Tc also

C(T) ∼ (T −Tc)D−4

2

und wir haben den kritischen Exponenten im Rahmen der Gaußschen Näherung zu

λ =D−4

2

bestimmt. Wir sehen, daß im Rahmen der Gaußschen Näherung für D < 4 die Wärmekapazitätam kritischen Punkt divergiert. Dieses Resultat unterscheidet sich qualitativ von dem Resultat,das wir im Rahmen der Molekularfeldnäherung erhalten haben. (Im Rahmen der Molekularfeld-näherung findet man, daß die Wärmekapazität eine Diskontinuität, aber keine Singularität hat.)Dieses unterschiedliche Verhalten ist auf die Berücksichtigung der Fluktuationen zurückzufüh-ren.

5.4 Die Renormierungsgruppe

Wir betrachten das Ising-Modell. Hierunter verstehen wir SpinsSi , die die Werte±1 annehmenkönnen und auf einem kubischen Gitter inD Dimensionen angeordnet sind. Der Indexi bezeich-net die verschiedenen Gitterplätze.

Betrachtet man beispielsweise das eindimensionale Ising-Modell, so sind die Spins entlang ei-ner Linie angeordnet. Besteht das System ausN Spins, so wählt man üblicherweise periodischeRandbedingungen:

SN+1 = S1.

103

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Periodische Randbedinungen lassen sich auch aufD Dimensionen verallgemeinern. Als Hamilton-Funktion betrachtet man

H = −J∑i, j

SiSj ,

wobei die Summe sich nur auf nächste Nachbarn beschränkt. (In einer Dimension hat ein Spinzwei nächste Nachbarn, in zwei Dimensionen hat ein ein Spin vier nächste Nachbarn, in drei Di-mensionen sechs nächste Nachbarn und allgemein inD Dimensionen hat ein Spin(2D) nächsteNachbarn.) Die VariableJ gibt die Stärke der Kopplung der benachbarten Spins an. Es bietet sichan, die Größe

K =J

kBT

einzuführen. Die kanonische Zustandssumme ist somit

Z(N,K) = ∑Si∈1,−1

e−βH = ∑Si∈1,−1

eK ∑

i, jSiSj

.

Bei N Spins summieren wir über 2N Konfigurationen, da jeder Spin die Werte±1 annehmenkann.

Wir betrachten nun das eindimensionale Ising-Modell genauer und schreiben die kanonischeZustandssumme etwas expliziter auf:

Z(N,K) = ∑(S1,S2,...,SN)∈1,−1N

eK(S1S2+S2S3+S3S4+...+SNS1)

= ∑(S1,S2,...,SN)∈1,−1N

eK(S1S2+S2S3)eK(S3S4+S4S5)eK(S5S6+S6S7)...

Der SpinS2 tritt nur in der ersten Exponentialfunktion auf, der SpinS4 nur in der zweiten Ex-ponentialfunktion und so weiter. Wir können daher die Summeüber die SpinsS2, S4, S6, ...ausführen und erhalten

Z(N,K) = ∑(S1,S3,S5,...)∈1,−1N/2

(

eK(S1+S3)+e−K(S1+S3))(

eK(S3+S5)+e−K(S3+S5))

...

Nun suchen wir einen WertK′ und eine Funktionf (K), so daß

eK(S1+S3)+e−K(S1+S3) = f (K)eK′S1S3.

Die Funktion f (K) hängt hierbei nur vonK, aber nicht vonS1 oderS3 ab. Man findet

K′ =12

lncosh(2K) ,

f (K) = 2eK′= 2√

cosh(2K).

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Dies läßt sich leicht verifizieren: Es ist zunächst

f (K)eK′S1S3 = 2eK′eK′S1S3 = 2eK′(1+S1S3) = 2[cosh(2K)]

12(1+S1S3)

= 2

[12

e2K +12

e−2K]1

2(1+S1S3)

=

e2K +e−2K , S1 = S3,2, S1 =−S3.

Andererseits gilt natürlich auch

eK(S1+S3)+e−K(S1+S3) =

e2K +e−2K , S1 = S3,2, S1 =−S3,

womit die Gleichheit gezeigt ist. Somit ergibt sich für die Zustandssumme

Z(N,K) = [ f (K)]N2 ∑(S1,S3,S5,...)∈1,−1N/2

eK′(S1S3+S3S5+S5S7+...)

= [ f (K)]N2 Z

(N2,K′)

,

bzw.

Z(N,K) = eN2 (K

′+ln2)Z

(N2,K′)

, K′ =12

lncosh(2K) .

Wir sehen also, daß sich die Zustandssumme fürN Spins bis auf einen VorfaktoreN2 (K

′+ln2) undbis auf eine Ersetzung der VariablenK durch die VariableK′ durch die Zustandssumme mitN/2Spins ausdrücken läßt. Wir haben diese Beziehung hergeleitet, indem wir explizit über jedenzweiten Spin summiert haben. Dieser Vorgang, indem man übereinen Teil der Freihietsgradesummiert, wird alsVergröberung bezeichnet (engl. “coarse graining”).

Wir können diese Prozedur auch iterieren. Bezeichnen wir mit f ( j) und K( j) die Werte in derj-ten Iteration, so beginnen wir mit

K(0) = K, f (0) = 1.

Die weiteren Werte sind dann rekursiv definiert durch

K( j) =12

lncosh(

2K( j−1))

, f ( j) = eN2 j (K( j)+ln2) f ( j−1),

so daß

Z(N,K) = f ( j) Z

(N2 j ,K

( j))

.

Die obigen Gleichungen fürK( j) und f ( j) werden alsRenormierungsgruppentransformati-on bezeichnet. Hierbei ist zu beachten, daß es sich strenggenommen nur um eine Halbgruppe

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handelt, die Transformation geht immer von einem gegebenenSystem zu einem vergröbertenSystem, aber nie zu einem verfeinerten System. Das Konzept der Renormierungsgruppe kommtursprünglich aus der Quantenfeldtheorie und wurde von Kadanoff und Wilson auf die Statisti-sche Physik übertragen.

Von besonderem Interesse ist, wie sich die KopplungK unter den Renormierungstransforma-tionen verhält. Hierbei sind insbesondere diejenigen Werte vonK interessant, die unter einer Re-normierungstransformation invariant bleiben. Im ein-dimensionalen Ising-Modell bedeutet dies,daß

K =12

lncosh(2K)

gelten muß. Diese Werte werden alsFixpunkte des Renormierungsflußes bezeichnet. Für dasein-dimensionale Ising-Modell sind die Fixpunkte trivial: Man findet

K = 0 und K = ∞.

Wir bemerken auch noch, daß ausgehend von der Zustandssumme

Z(N,K) = ∑(S1,S2,...)∈1,−1N

eK ∑

i, jSiSj

wir nach einer Iteration die Zustandsumme

Z(N,K) = eN2 (K

′+ln2)Z

(N2,K′)

= eN2 (K

′+ln2) ∑(S1,S2,...)∈1,−1N/2

eK′ ∑

i, jSiSj

= ∑(S1,S2,...)∈1,−1N/2

eK′ ∑

i, jSiSj+G′ ∑

i1, G′ = K′+ ln2,

erhalten. In anderen Worten: Die Renormierungstransformation modifiziert zum einen die Kopp-lung K des Terms∑

i, jSiSj und erzeugt zum anderen einen weiteren Term∑

i1 mit der Kopplung

G′. Weitere Iterationen der Renormierungstransformation erzeugen keine weiteren neuen Terme.Man bezeichnet eine Theorie alsrenormierbar , falls eine Renormierungstransformation durcheine Redefinition von endlich vielen Kopplungen beschrieben werden kann. (Hierbei ist erlaubt,daß einige dieser Kopplungen zu Beginn gleich Null sind und durch die Renormierung auf einenvon Null verschiedenen Wert gebracht werden.)

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